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Stagione #2 - Theater an der Wien

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oper Im Dezember<br />

im Himmel vereint<br />

Initialzündung für das Genre oper: monteverdis L’Orfeo. Von Konrad Kuhn<br />

als sich die mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Florentiner<br />

Camerata, einem Kreis hum<strong>an</strong>istisch gebildeter<br />

adeliger, um 1600 mit dem verhältnis<br />

von (deklamierter) sprache und<br />

musik beschäftigten, war ihr ziel, die<br />

<strong>an</strong>tike Tragödie wie<strong>der</strong> zum Leben zu<br />

erwecken. sie hatten also nichts weniger<br />

im sinn als die entwicklung einer neuen<br />

musikalischen Gattung. so blieben die<br />

ersten versuche, Dramentexte mit musik<br />

zu unterlegen, denn auch blutleer; m<strong>an</strong><br />

muss Jacopo peris Euridice ebenso wie<br />

Giulio Caccinis gleichnamiges Werk als<br />

rein akademisches experiment bezeichnen.<br />

erst als das m<strong>an</strong>tu<strong>an</strong>er Gegenstück<br />

zur Florentiner Camerata, die academia<br />

degli invaghiti, den Komponisten Claudio<br />

monteverdi (1567-1643), <strong>der</strong> im Dienste<br />

<strong>der</strong> Fürsten von m<strong>an</strong>tua st<strong>an</strong>d, 1607 damit<br />

beauftragte, <strong>an</strong>knüpfend <strong>an</strong> peri und<br />

Caccini ein musikalisches orpheus-Drama<br />

zu schaffen, entst<strong>an</strong>d ein Werk, das m<strong>an</strong><br />

nach 400 Jahren operngeschichte mit Fug<br />

und recht als Initialzündung für das Genre<br />

oper bezeichnen k<strong>an</strong>n.<br />

Dabei stellte auch monteverdi das primat<br />

<strong>der</strong> sprache gegenüber <strong>der</strong> musik nicht<br />

infrage. In <strong>der</strong> beh<strong>an</strong>dlung des monodischen<br />

Ges<strong>an</strong>gs, <strong>der</strong> damals gerade dabei<br />

war, die zuvor alles beherrschende polyphonie<br />

als neue stilrichtung abzulösen,<br />

griff er jedoch auf die im (mehrstimmigen)<br />

madrigal gebräuchliche Technik zurück,<br />

einzelne begriffe als schlüsselworte mit<br />

musikalischen mitteln affektiv aufzuladen.<br />

so wird die musik in monteverdis L’Orfeo<br />

nicht nur zur verstärkenden untermalung<br />

eines im vor<strong>der</strong>grund stehenden Textes,<br />

son<strong>der</strong>n zum mittel, diesen Text auszudeuten<br />

und ihm dadurch eine neue ausdrucksebene<br />

zu verleihen, die erst durch<br />

das hinzutreten <strong>der</strong> musik entsteht. Die<br />

dabei <strong>an</strong>gew<strong>an</strong>dten musikalischen Formen<br />

sind vielfältig; T<strong>an</strong>zsätze und strophenlie<strong>der</strong><br />

kommen ebenso vor wie immer<br />

wie<strong>der</strong>kehrende, rein instrumentale zwischenspiele,<br />

„ritornell“ o<strong>der</strong> „sinfonia“<br />

gen<strong>an</strong>nt. Den größten Teil des Textes vertonte<br />

monteverdi jedoch als rezitativ. und<br />

hier erreicht <strong>der</strong> Komponist eine psychologische<br />

Wahrhaftigkeit, die seinen Orfeo<br />

bis heute zu einem <strong>der</strong> meisterwerke <strong>der</strong><br />

Gattung macht.<br />

Die b<strong>an</strong>dbreite <strong>der</strong> musikalisch zur Darstellung<br />

kommenden Gefühlslagen <strong>der</strong><br />

protagonisten ist groß. emotionale extrembereiche<br />

werden erkundet und in kontrastreichen<br />

stimmungen von <strong>der</strong> musik<br />

ausgemalt. Im zentrum steht <strong>der</strong> Titelheld:<br />

von <strong>der</strong> Idylle des vollkommenen<br />

Liebesglücks stürzt er unvermittelt in die<br />

abgrundtiefe verzweiflung über die Nachricht<br />

vom Tod <strong>der</strong> eben erst <strong>an</strong>getrauten<br />

Geliebten euridice. orfeo bäumt sich<br />

auf gegen diesen schicksalsschlag, den er<br />

nicht bereit ist zu akzeptieren. er gerät<br />

in lebensferne bereiche, die monteverdi<br />

in seiner unterweltmusik suggestiv zum<br />

Klingen bringt. und er endet, nachdem er<br />

sich endgültig mit dem verlust euridices<br />

John Mark Ainsley Mari Eriksmoen Ivor Bolton<br />

abfinden muss, in totaler verlassenheit.<br />

eine begegnung mit seinem vater apollo<br />

weist ihm schließlich den Weg <strong>an</strong> jenen<br />

ort, wo er wie<strong>der</strong> mit euridice vereint sein<br />

darf: im himmel.<br />

Ivor bolton, <strong>der</strong> vor zehn Jahren bereits<br />

in münchen mit einem monteverdi-zyklus<br />

große erfolge feiern konnte, erarbeitet mit<br />

dem Freiburger barockorchester den neuen<br />

Orfeo am <strong>Theater</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong>. hinzu<br />

treten das monteverdi Continuo ensemble,<br />

das mit seiner reichen palette historischer<br />

Continuo-Instrumente für eine differenzierte<br />

ausgestaltung <strong>der</strong> rezitativischen<br />

passagen sorgen wird, sowie <strong>der</strong> arnold<br />

schoenberg Chor.<br />

Die erlesene besetzung wird von John<br />

mark ainsley <strong>an</strong>geführt, <strong>der</strong> die ungemein<br />

<strong>an</strong>spruchsvolle partie des orfeo<br />

seit Jahren im repertoire hat. In weiteren<br />

hauptrollen sind mari eriksmoen, die bezaubernde<br />

zerbinetta <strong>der</strong> letzten spielzeit,<br />

als euridice, Katija Dragojević als messagiera<br />

und sper<strong>an</strong>za sowie in <strong>der</strong> rolle <strong>der</strong><br />

musica, die den prolog bestreitet, suz<strong>an</strong>a<br />

ograjensek als unterweltgöttin proserpina<br />

und als Ninfa, phillip ens als Caronte<br />

und pluto sowie mirko Guadagnini als<br />

apollo zu erleben. Für die Inszenierung<br />

zeichnen <strong>der</strong> regisseur Claus Guth und<br />

<strong>der</strong> bühnen- und Kostümbildner Christi<strong>an</strong><br />

schmidt ver<strong>an</strong>twortlich, die am <strong>Theater</strong> <strong>an</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Wien</strong> zuletzt mit <strong>der</strong> szenischen version<br />

von händels Messiah einen Triumph<br />

feiern konnten.<br />

oper Im Dezember<br />

Reise ins Reich <strong>der</strong> Schatten<br />

regisseur Claus Guth im Gespräch mit Dramaturg Konrad Kuhn zu monteverdis L’Orfeo.<br />

Mit Claudio Monteverdis L’orfeo, uraufgeführt<br />

1607 am Hof des Herzogs von M<strong>an</strong>tua,<br />

beginnt die Entwicklungsgeschichte des Genres<br />

Oper – nach weniger bedeutenden ersten<br />

Versuchen – eigentlich erst richtig. Ein starker<br />

Beginn! Was <strong>an</strong> Operntypischem steckt<br />

schon im L’orfeo? Was fasziniert uns bis<br />

heute <strong>an</strong> diesem Stück?<br />

Wenn m<strong>an</strong> sich mit monteverdis L’Orfeo<br />

beschäftigt, ist es ein bisschen so, als ob<br />

m<strong>an</strong> sich, von etwas sehr weitgehend ausdifferenziertem<br />

kommend, wie<strong>der</strong> zurück<br />

gräbt zu den Wurzeln. Die einfachsten Wirkungsdynamiken<br />

treten auf geradezu minimalistische<br />

Weise zu Tage, so dass einem<br />

klar wird, aus welchen musikdramaturgischen<br />

elementen so ein stück im Grunde<br />

zusammengesetzt ist. Ich empfinde es<br />

als eine art ohrmuschel-reinigung, mich<br />

damit zu beschäftigen. es ist frappierend,<br />

wie wenig es braucht, um ungeheure emotionale<br />

stimmungswechsel auszudrücken.<br />

Wenn ich mich dabei selbst beobachte,<br />

stelle ich fest, dass m<strong>an</strong> den zuschauer<br />

erst einmal dahin führen muss, das aufzunehmen.<br />

Da unsere ohren durch unsere<br />

hörgewohnheiten so voll sind mit eindrücken<br />

und Tönen, muss m<strong>an</strong> die sensation,<br />

die in diesem minimalismus steckt, erst<br />

einmal wahrnehmen lernen. erst nach einer<br />

gewissen zeit <strong>der</strong> beschäftigung bin<br />

ich ins staunen geraten; zu beginn ist<br />

da einiges <strong>an</strong> mir vorbeigerauscht. Das<br />

kommt vielleicht auch daher, weil ich mich<br />

in <strong>der</strong> letzten zeit sehr viel mit strauss<br />

und Wagner beschäftigt habe. abgesehen<br />

von purcells King Arthur und Fairy Queen<br />

ist es meine erste begegnung mit dem<br />

Frühbarock in <strong>der</strong> musik.<br />

bei purcell herrscht zwar ein großer Ideenreichtum,<br />

aber nicht diese dramaturgische<br />

stringenz wie bei monteverdi. es gibt in<br />

L’Orfeo, für den monteverdi auf ein reich<br />

besetztes orchester zurückgreifen konnte,<br />

zwar schon von <strong>der</strong> Instrumentierung her<br />

eine reihe von effekten. aber <strong>der</strong> aufw<strong>an</strong>d<br />

ist ungleich geringer als zum beispiel bei<br />

Komponisten des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Die<br />

unterwelt-musik wirkt deshalb so überraschend,<br />

weil plötzlich eine neue Instrumentengruppe<br />

eingesetzt wird, die m<strong>an</strong><br />

bis dahin nicht zu hören bekommen hat.<br />

In <strong>der</strong> späteren entwicklung <strong>der</strong> barockoper,<br />

etwa bei händel, passiert es einem<br />

häufig, dass m<strong>an</strong> die Form als relativ schematisch<br />

empfindet: es gibt bestimmte arientypen,<br />

die immer wie<strong>der</strong> vorkommen;<br />

das prinzip <strong>der</strong> Da capo-arie als solches,<br />

auch wenn es virtuos geh<strong>an</strong>dhabt wird, ist<br />

im vergleich zu monteverdi vorhersehbar.<br />

Dem gegenüber ist L’Orfeo dramaturgisch<br />

absolut zwingend.<br />

Daraus entwickelt sich eine sogwirkung:<br />

Das stück schraubt sich immer tiefer ins<br />

zentrum <strong>der</strong> Geschichte. Da gibt es keinen<br />

Nebenfiguren-schnickschnack nach dem<br />

motto „jetzt kriegt <strong>der</strong> noch seine arie“,<br />

son<strong>der</strong>n es geht in einer aberwitzigen Geradlinigkeit<br />

vorwärts. Nicht umsonst lautet<br />

die von monteverdi und seinem Librettisten<br />

striggio gewählte Gattungsbezeichnung<br />

„una favola in musica“: eine Geschichte<br />

wird durch die musik erzählt.<br />

bei späteren Werken monteverdis ist das<br />

<strong>an</strong><strong>der</strong>s: Während m<strong>an</strong> L’Orfeo als „h<strong>an</strong>dlung“<br />

bezeichnen könnte, ist Il ritorno di<br />

Ulisse in patria für mich eher eine „atmos-<br />

phäre“.<br />

8 9<br />

Claus Guth

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