03.04.2023 Aufrufe

Die Weinstraße - April 2023

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

ZEITREISE<br />

Der Fleimser Hexenprozess 1505<br />

ZEHN FRAUEN WURDEN NACH SCHWERER FOLTER LEBEND VERBRANNT, DARUNTER DIE TRUDNER „HEXE“.<br />

Hexenprozesse verorten wir meist im<br />

„finsteren Mittelalter“. Tatsächlich begannen<br />

sie so richtig erst an der Schwelle zur<br />

Neuzeit, die wir sonst mit Humanismus,<br />

Renaissance, Entdeckungen und Naturwissenschaft<br />

verbinden. Der päpstliche<br />

Inquisitor Heinrich Institoris kommt 1485<br />

ins Bistum Brixen und macht in Innsbruck<br />

sechs „Hexen“ den Prozess. Fürstbischof<br />

Georg Golser, Nachfolger des großen<br />

Cusanus, ernennt eine Kommission zur<br />

Überprüfung des Verfahrens: Das Urteil<br />

wird annulliert, die Frauen freigelassen<br />

und Bischof Golser nötigt den Inquisitor<br />

zum Verlassen Tirols.<br />

Der fanatische Hexenjäger verfasst dann<br />

1486 den berüchtigten „Hexenhammer“,<br />

der durch zwei Jahrhunderte Folter und<br />

Tod für Abertausende brachte. <strong>Die</strong> Sexualität<br />

ist für Institoris unheimlich und<br />

bedrohlich: „Alle Hexerei entstammt der<br />

Fleischeslust, die beim Weibe so unersättlich<br />

ist, dass es, um seine Lust zu stillen,<br />

sogar mit dem Teufel verkehrt.“<br />

<strong>Die</strong> Folgen sind verheerend: In Fleims<br />

werden zwischen 1501 und 1505 an die<br />

30 Hexen und Zauberer verbrannt oder<br />

ersäuft. Das Gericht der 12 Geschworenen<br />

unter dem bischöflichen Hauptmann Vigil<br />

von Firmian fürchtet vor allem Gewitterund<br />

Schadenszauber, so dass „die Hexerei<br />

mit größter Strenge samt der Wurzel auszurotten<br />

ist.“ 1503 werden in Auer zwei<br />

Hexen durch den Landrichter von Enn<br />

zum Feuertod verurteilt. 1506 beginnt in<br />

Völs der Prozess gegen die „Schlernhexen“.<br />

DER ALTREIER HEXENMEISTER<br />

Vollständig erhalten sind die detaillierten<br />

Protokolle des Fleimser Prozesses von<br />

1505. Schlüsselfigur war der Altreier Hans<br />

Platter, von den noch rätoromanischen<br />

Fleimsern Zuanne delle Piatte genannt. Er<br />

tingelte als Wunderheiler und Wahrsager<br />

mit Glaskugel, einem deutschen Zauberbuch,<br />

Heilkräutern und Wurzeln durch<br />

Fleims. Er hatte verheerende Vermurungen<br />

gesehen und machte so im Frühjahr 1500<br />

in Cavalese Leute auf den gefährlichen,<br />

ungesicherten Dorfbach aufmerksam. Als<br />

dieser dann im Juli nach einem Hochgewitter<br />

Häuser mitsamt den Bewohnern<br />

mitriss, wurde der Prophet prompt zum<br />

Übeltäter gestempelt. Platter wurde verhaftet,<br />

nackt angebunden, man heizte bereits<br />

die Folterzangen an. Er beteuerte,<br />

sein Wissen nicht vom Teufel, sondern von<br />

erfahrenen Gelehrten zu haben und nur<br />

Gutes zu wollen. Er musste seiner Kunst<br />

abschwören, man verbrannte seine Sachen<br />

und verbannte ihn aus Fleims.<br />

Ohne seine Stammkundschaft konnte<br />

er aber kaum überleben. Am 1. Dezember<br />

ˆ<br />

„Peinliche Befragung“ der Angeklagten<br />

vor dem Gericht: Schwere Gewichte strecken<br />

schmerzvoll die Gelenke<br />

Quelle: Archiv<br />

1504 wurde er bei der Sonntagsmesse in<br />

Tesero mit Zauberutensilien aufgespürt<br />

und der Hexerei angeklagt. Der Folter hielt<br />

er nicht lange stand, „gestand“ die Teilnahme<br />

an Hexentreffen. Natürlich wollten<br />

die Richter Namen wissen. Das war auch<br />

Platters Chance, als „reuiger Kronzeuge“<br />

dem sicheren Feuertod zu entgehen. Er<br />

wurde nach dem Todesurteil tatsächlich<br />

begnadigt.<br />

40 // APRIL <strong>2023</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!