geförderte publikationen im jahr 2006 - Gerda Henkel Stiftung
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STIPENDIATIN Dr. Birke-Siri Scherf, Cambridge / Großbritannien<br />
FÖRDERUNG Forschungsstipendium | Die <strong>Gerda</strong> <strong>Henkel</strong> <strong>Stiftung</strong> unterstützt das Projekt<br />
durch die Gewährung eines Forschungsstipendiums und die Übernahme von<br />
Reise- und Sachkosten. | neu bewilligt<br />
Dr. Birke-Siri Scherf beschäftigt sich in ihrem Forschungsvorhaben mit der Darstellung<br />
der osmanischen Gesellschaft in Reisealben und Kostümbüchern aus dem Konstantinopel<br />
des 16. und 17. Jahrhunderts. Die meist von europäischen Künstlern<br />
angefertigten Alben waren eine Art bebildertes Notizbuch und ein leicht zu transportierendes<br />
Souvenir. Sie wurden für Diplomaten, Botschafter und Reisende hergestellt,<br />
die sie nach ihrer Rückkehr oft ihren Dienstherren, Freunden und anderen Interessierten<br />
zukommen ließen. Die Bücher stießen auf rege Resonanz, und es wurden oft Kopien angefordert.<br />
Obwohl die Alben wie Augenzeugenberichte zu verstehen sind, machen sie<br />
einen überraschend steifen Eindruck und stellen die sehr strukturierte osmanische<br />
Gesellschaft fast kategorisierend dar. Hauptmerkmal ist die Wiederholung eines<br />
visuellen Repertoires von Figuren aus Gesellschaft und Administration (Janitschar,<br />
Eunuche, Sultan). In einigen Alben wird diese kanonähnliche Abfolge durch die Eingliederung<br />
von Szenen des öffentlichen Lebens oder Darstellungen der architektonischen<br />
Monumente Konstantinopels aufgelockert.<br />
Ausgangspunkt für die geplante Studie ist die Beobachtung, dass die Reisealben<br />
und Kostümbücher die schriftlichen Berichte über das osmanische Reich widerspiegeln,<br />
in denen stets ein gut organisierter und sehr hierarchischer Staat beschrieben<br />
wurde. Das verbale Bild und die bildliche Darstellung scheinen sich gegenseitig<br />
sowohl inspiriert als auch bestätigt zu haben. Dr. Scherf wird sich zum einen mit<br />
Texten beschäftigen, die in jenen diplomatischen Kreisen entstanden, von denen auch<br />
Alben in Auftrag gegeben wurden. Zum anderen wird sie Reisebeschreibungen wie<br />
die des Nicolas de Nicolay untersuchen, der seinen Text mit so genannten »wahren<br />
Porträts« des Alltagslebens in Konstantinopel und seiner vielgesichtigen Einwohner<br />
illustriert hat. Darüber hinaus sollen auch die Kostümbücher, denen die Beschreibungen<br />
als Vorlage dienten, und einige wichtige nicht illustrierte geschichtliche Abhandlungen<br />
über das Osmanische Reich in die Untersuchung mit einbezogen werden. Der<br />
geographische Bereich wird sich auf Italien, das Habsburgerreich sowie Deutschland<br />
und Frankreich erstrecken. Die wichtigsten Alben befinden sich in deutschen, österreichischen,<br />
französischen und britischen Bibliotheken, andere stehen in Athen, Jerusalem,<br />
St. Petersburg und Krakau zur Verfügung.<br />
Neben den inhaltlichen Aspekten wird sich Dr. Scherf auch auf die stilistische<br />
Qualität der Bücher konzentrieren. Während einige Alben die ungeschulte Hand eines<br />
Amateurs zu verraten scheinen, sind andere sehr sorgfältig und mit viel Liebe zum<br />
Detail ausgeführt. Die oft vereinfachenden Illustrationen wirken einerseits authentisch,<br />
distanzieren den Betrachter dadurch aber auch von der beschriebenen Gesellschaft.<br />
Durch die stilisierte Darstellung entfernen sich die Alben vom Genre des<br />
Augenzeugenberichts und von der Spontaneität und Direktheit einer auf Reisen<br />
gemachten Zeichnung. Leitfragen der Untersuchung betreffen die bildliche Kodifizierung<br />
und die Beschreibung einer fremden Kultur, die Distanz, die Fremde und Osmanen<br />
zueinander wahrten, und das Verhältnis von Vervielfältigung und Authentizität<br />
sowie von Text und Bild. Dr. Scherf wird in ihrer Studie versuchen zu klären, welche<br />
künstlerische Sprache die Bücher sprechen und welchen Blickkontakt zwischen Ost<br />
und West die scheinbar in einer Art Niemandsland zwischen zwei Kulturen angesiedelten<br />
Alben vermitteln.<br />
EUNUCHEN UND PFERDEHÄNDLER –<br />
DAS DAUMENKINO DES REISENDEN<br />
Haremsszene, folio 24 aus einem Album mit dem Titel<br />
»Memorie Turche« (ingesamt 57 Blätter), Wasserfarbe,<br />
entstanden wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des<br />
17. Jahrhunderts in Istanbul für einen europäischen,<br />
wahrscheinlich venezianischen Auftraggeber.<br />
Die originale Bildunterschrift auf Italienisch lautet:<br />
»Suonatrici et buffone che trattengono qualche sultana«<br />
(Musiker und Hofnarr unterhalten eine Sultana).<br />
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