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TITELTHEMA<br />

Was ist zirkuläres Bauen?<br />

Zirkuläres Bauen bedeutet, sich mit dem<br />

Erhalt, der Aufwertung und der Aktivierung<br />

des Gebäudebestands auseinanderzusetzen<br />

und diesen als wertvolle Materialquelle<br />

wahrzunehmen. Es geht also darum, vorhandene<br />

Materialien und geschaffene<br />

Werte zu nutzen. Darüber hinaus verfolgt<br />

das zirkuläre Bauen das Ziel, Baustoffe<br />

langfristig zu nutzen und in geschlossenen<br />

Kreisläufen wiederzuverwenden, sodass<br />

über den gesamten Lebenszyklus kein Abfall<br />

entsteht.<br />

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB)<br />

Eine Erkenntnis aus dem Projekt war laut dem von der Hochschule<br />

Konstanz (Fakultät Architektur und Gestaltung) verfassten<br />

Abschlussbericht, „dass in den besichtigten Abbruchgebäuden<br />

jeweils nur ein Bruchteil der vorhandenen Bauteile für eine<br />

Wiederverwendung (…) infrage kam“.<br />

Außerdem zeigte es sich, dass gerade Bauteile, die aufgrund ihrer<br />

guten Bearbeitbarkeit eigentlich für eine Wiederverwendung<br />

prädestiniert waren, wegen Schadstoffbelastung aussortiert<br />

werden mussten. Ferner fehlen dem Bericht zufolge auf Bundesebene<br />

spezielle Regularien in Bezug auf Haftung und Gewährleistung<br />

bei gebrauchten Bauteilen. Das Fazit der Untersuchung<br />

lautet: „Die Hemmnisse, die einer umfangreichen Wiederverwendung<br />

von Bauteilen aus Bestandsgebäuden derzeit im Wege<br />

stehen, werden ohne politische und wirtschaftliche Anreize nur<br />

schwierig zu überwinden sein.“<br />

NOCH GIBT ES VIELE HERAUSFORDERUNGEN<br />

Sicher, man müsse „viel Fleiß in die Planung investieren“,<br />

sagt Architekturprofessorin Angèle Tersluisen mit Blick auf<br />

Projekte, die ganz oder mehrheitlich aus gebrauchten Materialien<br />

errichtet werden. Sie rät deshalb dazu, bei der Wiederverwendung<br />

von Bauteilen nicht unbedingt mit der Gebäudehülle<br />

zu beginnen. „Im Innenbereich ist die Wiederverwendung –<br />

vorausgesetzt, die Bauteile weisen keine Schadstoffe auf – deutlich<br />

einfacher“, erklärt sie. „Trennwände in Büros beispielsweise<br />

müssen zwar Anforderungen an den Schallschutz erfüllen, aber<br />

nicht an den Brandschutz.“<br />

Dass noch ein weiter Weg zurückzulegen ist, bis sich der zirkuläre<br />

Ansatz durchgesetzt haben wird, unterstreicht eine Studie<br />

der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB).<br />

Darin untersuchte diese die Marktfähigkeit der im Rahmen der<br />

EU-Taxonomie vorgegebenen Kriterien der Circular Economy<br />

anhand von realen Bauprojekten – und kam zu einem ernüchternden<br />

Ergebnis: Keines der untersuchten Projekte kann<br />

demnach als taxonomiefähig eingestuft werden. Als besonders<br />

schwierig erwies sich die Wiederverwendung von Bauteilen:<br />

Kein einziges Vorhaben erfüllte die von der Taxonomie formulierte<br />

Materialquote, wonach die eingesetzten Baumaterialien<br />

zu mindestens 15 Prozent wiederverwendet, zu 15 Prozent<br />

recycelt und zu 20 Prozent entweder nachwachsend, wiederverwendet<br />

oder recycelt sein müssen.<br />

„Das Ergebnis ist überraschend“, sagt dazu Dr. Christine Lemaitre,<br />

geschäftsführender Vorstand der DGNB. „In Vorträgen, Diskussionen<br />

und in den Medien sprechen derzeit alle über das<br />

zirkuläre Bauen und es entsteht der Eindruck, das Thema sei<br />

in der Branche angekommen. Die Studie zeigt jedoch, dass es in<br />

der gebauten Realität in dieser Dimension nicht vorhanden ist.“<br />

WIE ZIRKULARITÄT KONKRET WIRD<br />

Dennoch gibt es diverse Neubauten, die den Kreislaufgedanken<br />

umzusetzen versuchen. Das 2019 errichtete Bürogebäude<br />

der Triodos Bank im niederländischen Driebergen<br />

beispielsweise ist so konstruiert, dass sich die einzelnen Systeme<br />

leicht trennen und rückbauen lassen. Außerdem kamen beim<br />

Bau Trockenbauwände, Holzbalken und andere Materialien aus<br />

abgebrochenen Gebäuden zum Einsatz. Ein anderes Beispiel:<br />

In Bremerhaven bereitet das Berliner Architekturbüro Partner<br />

und Partner den Bau eines viergeschossigen Gründerzentrums<br />

vor, dessen Name „De tokamen Tiet“ (plattdeutsch: die herankommende<br />

Zeit) Programm ist. „Wir verstehen unseren Neubau<br />

als Materialbank“, sagt Jörg Finkbeiner, geschäftsführender<br />

Architekt bei Partner und Partner. „Baustoffe und Komponenten<br />

werden nicht verbraucht, sondern lediglich für eine bestimmte<br />

Dauer genutzt. Später müssen sie – auf verschiedene Arten –<br />

weiterverwendet werden können.“<br />

Zu vernehmen sind aber auch kritische Stimmen. „Zirkuläres<br />

Bauen gibt es eigentlich nicht“, sagt Michael Halstenberg, Baurechtler<br />

und ehemaliger Abteilungsleiter im Bundesbauministerium.<br />

„Schätzungen zufolge können nur etwa 15 Prozent der<br />

für bauliche Anlagen benötigten Baumaterialien durch wiederverwertete<br />

Materialien gedeckt werden, und das vor allem im<br />

Tiefbau“, sagt Halstenberg, der in der Düsseldorfer Kanzlei<br />

Franßen & Nusser Rechtsanwälte PartGmbB tätig ist. Eigentlich<br />

müsste das Ziel also lauten, den Anteil der wiederverwerteten<br />

Baumaterialien zu erhöhen, erklärt Halstenberg weiter. Doch<br />

da gebe es einen Zielkonflikt – denn das beste Recycling sei die<br />

Weiternutzung eines Bauwerks.<br />

Neben diesem grundsätzlichen Dilemma lauern laut dem Juristen<br />

auch technische und juristische Fallstricke. So müsse man zwischen<br />

Bauteilen und Rohstoffen unterscheiden. „Rohstoffe wie Kupfer<br />

und Stahl lassen sich relativ einfach wiederverwerten“, stellt er<br />

fest. Bei behandeltem Holz, Kunststoffen und mineralischen<br />

Stoffen sei es deutlich schwieriger. Ein Großteil der Kunststoffe<br />

werde thermisch verwertet, also verbrannt, während mineralische<br />

Stoffe häufig nicht sortenrein seien. „Deshalb kommt es oft zum<br />

Downcycling“, sagt Halstenberg. „Mineralische Stoffe werden<br />

als Gesteinskörnung zum Beispiel für den Straßenbau genutzt<br />

und sind damit für den Gebäudebereich verloren.“<br />

Auf rechtlicher Seite muss man laut Halstenberg zwischen Bauprodukten-<br />

und Abfallrecht unterscheiden. „Wenn ein Bauteil<br />

seine erste Verwendung hinter sich hat, wird es laut dem Kreislaufwirtschaftsgesetz<br />

in der Regel zu Abfall“, erläutert er. „Es sinkt<br />

gewissermaßen in die ,Unterwelt´ und muss technisch und rechtlich<br />

aufwendig wieder in die ,Oberwelt´ geholt werden.“ Bei <br />

06 #IMMOzeit

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