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Balsam für die Pilgerseelen Einzelseiten

Schmieren und Salben hilft allenthalben. Kommt noch Heiliges hinzu, ist die Medizin vollkommen. Ein Bruder-Klausen-Balsam erhitzte im Jahr 1915 dennoch einige Gemüter.

Schmieren und Salben hilft allenthalben. Kommt noch Heiliges hinzu, ist die Medizin vollkommen. Ein Bruder-Klausen-Balsam erhitzte im Jahr 1915 dennoch einige Gemüter.

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<strong>Balsam</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Pilgerseelen</strong><br />

Schmieren und Salben hilft allenthalben. Kommt noch Heiliges<br />

hinzu, ist <strong>die</strong> Medizin vollkommen. Ein Bruder-Klausen-<strong>Balsam</strong><br />

erhitzte im Jahr 1915 dennoch einige Gemüter.<br />

Ob Klosterfrau Melissengeist, Maria-<br />

Einsiedler-Magentropfen oder Sankt-<br />

Jakobs-<strong>Balsam</strong>: Wenn an einem Heilmittel<br />

noch ein Hauch des Heiligen haftet, tut<br />

<strong>die</strong>s nicht nur dem Patienten gut, sondern<br />

auch dem Portemonnaie des Verkäufers.<br />

Vor knapp 110 Jahren kam offenbar auch<br />

<strong>die</strong> Sarner Drogerie Stockmann auf <strong>die</strong> Idee,<br />

Heilkunst mit Religion zu vermengen. Nichts<br />

lag in Obwalden näher, als Niklaus von Flüe<br />

da<strong>für</strong> zu Hilfe zu rufen. Und so kam im Herbst<br />

1915 ein Bruder-Klausen-<strong>Balsam</strong> auf den<br />

Markt, das unter anderem deutschen Pilgern<br />

direkt vor Ort in Sachseln angepriesen wurde.<br />

Einem regelmässigen Briefeschreiber im<br />

«Obwaldner Volksfreund» schien <strong>die</strong>s allerdings<br />

gar nicht zu passen. Und so wandte er<br />

sich mit folgenden Zeilen an <strong>die</strong> Leserschaft:<br />

Stimme aus dem Publikum – Eine Überraschung<br />

sonderbarer Art war es <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

frommen Pilger aus Freiburg, als ihnen letzten<br />

Mittwoch unmittelbar vor dem Gottes<strong>die</strong>nst<br />

an den Kirchentüren in Sachseln ein<br />

Plakat in <strong>die</strong> Hände gedrückt wurde mit dem<br />

Titel: Bruder-Klausenbalsam und -Magentropfen.<br />

Es gab viel Kopfschütteln, als man<br />

<strong>die</strong> mit Bruder-Klausenbildern verunzierte<br />

Reklame betrachtete. Dieser aromatische<br />

Lebensbalsam hat als Beitrag zur Bruder-<br />

Klausen-Verunehrung bisher noch gefehlt,<br />

und <strong>die</strong> Pilger möchten ein anderes Mal auf<br />

eine derart unpassende Aufmerksamkeit<br />

gerne verzichten, zumal es in der reklamehaften<br />

Anpreisung noch heisst, man solle<br />

auch bei Blähung des Rindviehs und Kolik<br />

der Pferde dem kranken Tiere 1–2 Löffel<br />

Bruderklausen-<strong>Balsam</strong>tropfen in warmem<br />

Kamillentee eingeben. Wenn das ‹Geschäft›<br />

sich bis 1917 der Bruder-Klausenverehrung<br />

in solcher Weise bemächtigt, ist es um den<br />

Heiligenschein des Seligen <strong>für</strong> immer geschehen.<br />

Hoffentlich genügt <strong>die</strong>ser gelinde<br />

Ausdruck des Unwillens vieler Pilger, um bei<br />

etwaiger Wiederholung <strong>die</strong>ses Unfugs nicht<br />

deutlicher reden zu müssen. Kustos.»<br />

«Was ist Schlimmes dabei?»<br />

Der Unterzeichnende mit dem Pseudonym<br />

Kustos sorgte sich offensichtlich, dass solche<br />

Machenschaften einer Heiligsprechung<br />

von Bruder Klaus – <strong>die</strong>se schien damals<br />

noch näher, als sie es letztlich war – im<br />

Wege stehen könnten. Die Drogerie Stockmann<br />

liess <strong>die</strong> Vorwürfe nicht auf sich sitzen.<br />

In der nächsten Ausgabe des «Volksfreund»<br />

nahm sie wie folgt Stellung:<br />

«In Erwiderung der ‹Stimme aus dem Publikum›<br />

von Sachseln möchten <strong>die</strong> Unterzeichneten<br />

den eifrigen Bruderklausen-Verehrer<br />

anfragen, ob er schon je gehört, dass Maria-<br />

Einsiedler-<strong>Balsam</strong> und Magentropfen, Maria-<br />

Zeller-Tropfen, St. Jakobsbalsam, Elixier von<br />

St. Vinzenz von Paul etc. <strong>die</strong> Verehrung oder<br />

Wunderkraft oder Vollkommenheit der be-


Verschiedene Inserate aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts preisen <strong>die</strong> Wirkung von Salben und<br />

Tropfen an. Die Produktnamen stellen einen Bezug zu einem religiösen Hintergrund her.<br />

treffenden Heiligen irgendwie geschmälert<br />

haben? Und was ist Schlimmes dabei, wenn<br />

der eine und andere Pilger ein Fläschchen<br />

Bruderklausen-<strong>Balsam</strong> heim nimmt, sich<br />

später beim Gebrauch desselben an <strong>die</strong><br />

Wallfahrt und den lieben Seligen erinnert<br />

und sich und <strong>die</strong> Seinen, ja sogar sein Vieh<br />

dem Schutze Bruderklausens übergibt? Wir<br />

verlangen keinen Glauben <strong>für</strong> <strong>die</strong>se Hausmittel<br />

ihres Namens wegen, doch sie sind<br />

nach altbewährten Rezepten zusammengestellt.<br />

Ist das ‹Geschäft› etwas Unredliches,<br />

dass es sich unter den Schutz eines Seligen<br />

oder Heiligen stellen dürfte? Unser Landvolk<br />

hat mit Freuden <strong>die</strong> Bruder-Klausen-Kalender<br />

begrüsst, <strong>die</strong> wir seit zwei Jahren in<br />

einigen hundert Exemplaren verteilten, und<br />

wir sind überzeugt, dass sie der Verehrung<br />

des Seligen keinen Eintrag getan, im Gegenteil<br />

sie eher verbreitet und neubelebt haben.


Nach unserem Ermessen würde sich ein<br />

wahrer Bruder-Klaus-Verehrer hüten, <strong>die</strong> Heiligsprechung<br />

unseres seligen Landesvaters<br />

öffentlich auf so wackligen Stuhl zu stellen,<br />

wie es der eifrige Kustos getan hat.<br />

Fam. Stockmann, Droguerie, Sarnen»<br />

Der angesprochene Kustos wiederum wollte<br />

<strong>die</strong>se Replik nicht ohne Widerworte stehen<br />

lassen und antwortete umgehend an<br />

<strong>die</strong> Adresse der Familie Stockmann:<br />

«Wenn irgendwo, sei es in Einsiedeln oder<br />

Mariazell, in der Wahl der Etikette ein Missgriff<br />

getan wurde, so darf man sich nicht<br />

darauf berufen, um einen ähnlichen Missgriff<br />

in eigener Sache zu rechtfertigen. Nun sind<br />

aber <strong>die</strong> oben angeführten Bezeichnungen<br />

von Arzneimitteln schon oft missbilligt<br />

worden, weil sie den Andersgläubigen Anlass<br />

boten, katholische Gebräuche ins Lächerliche<br />

zu ziehen. Warum nennt man das angepriesene<br />

Mittel nicht Sachsler- oder Sarner-Wunderbalsam?<br />

Die medizinische Wirkung wäre<br />

ja <strong>die</strong> gleiche und <strong>die</strong> Bezeichnung wäre dann<br />

einwandfrei. Müssen es gerade <strong>Balsam</strong> und<br />

Tropfen sein, um <strong>die</strong> Pilger nach der Wallfahrt<br />

wieder an Bruder Klaus zu erinnern? Wären<br />

eigentliche Devotionalien wie Bilder, Medaillen<br />

und Schriften nicht viel geeignetere Mittel<br />

zu <strong>die</strong>sem Zwecke? Recht gerne und dankbar<br />

lassen wir als ein solches Mittel auch den<br />

in bester Absicht von der Firma Stockmann<br />

verbreiteten Bruder-Klausen-Blockkalender<br />

gelten, den religiösen Inhalt des Textes freilich<br />

vorausgesetzt. Was <strong>die</strong> Heiligsprechung<br />

des seligen Bruder Klaus betrifft, so steht sie<br />

wirklich noch auf schwachen Füssen und es<br />

braucht noch ganz andere Wunder, als der<br />

Bruder-Klausen-<strong>Balsam</strong> sie wahrscheinlich<br />

wirken kann, um <strong>die</strong> Aussichten hier<strong>für</strong> besser<br />

zu gestalten. Was immer Unstatthaftes in<br />

der Verehrung eines Seligen im Laufe der Zeit<br />

vorgekommen ist, wird bei einem Heiligsprechungsprozess<br />

gesammelt und als Hindernis<br />

<strong>für</strong> das weitere Vorgehen betrachtet. Dies zur<br />

Aufklärung. Nachdem wir übrigens in Erfahrung<br />

gebracht, dass viele Pilger und Einheimische<br />

ob dem Plakat stutzig wurden, dürfen<br />

wir <strong>die</strong> nur im Interesse der guten Sache und<br />

ohne jede persönliche Absicht gemachten<br />

Bemerkungen ruhig aufrecht erhalten. Es gibt<br />

auch ein Takt- und Feingefühl des Volkes, das<br />

Heiliges und Profanes getrennt wissen will.<br />

Damit Schluss!»<br />

Soweit wir in Erfahrung bringen konnten,<br />

wurde später nie wieder ein Versuch unternommen,<br />

ein Heilmittel mit Bezug zu Bruder<br />

Klaus auf den Markt zu bringen. Vielleicht<br />

weiss eine Leserin oder ein Leser mehr? (ve)

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