Prof. Dr. Sven ReineckeGeschäftsführender Direktor des Instituts für Marketing & Customer Insightan der Universität St. Gallen (HSG)KÜNSTLICHEINTELLIGENZ:MÖGLICHKEITENUND GRENZENKünstliche Intelligenz steigert sowohl die Effizienz als auch dieEffektivität (Wirksamkeit) des Marketings, indem sie datenintensive,strukturierte Prozesse automatisiert. Dennoch gibt es deutlicheGrenzen. Der menschliche Aspekt im Marketing, einschliesslichIntuition und Kreativität, wird trotz oder wegen KI wichtiger werden.
11Beispiele zur Steigerung der Effizienz undEffektivität reichen von automatisiertemCustomer Support bis zur Optimierungvon Werbestrategien. Die Vorteile liegenin Flexibilität, Geschwindigkeit, Datenverarbeitungskapazität,Entscheidungsfindungund Personalisierung. Die Grenzenbeim Einsatz künstlicher Intelligenz imMarketing liegen im Umgang mit seltenenEreignissen, transparenter Begründungvon Entscheidungen (Compliance),absichtsvollem Handeln, echter Kreativitätund Humor.Höhere Marketingeffizienz und-effektivität mittels AlgorithmenIn der Marketingrealität zeigen sich immermehr Potenziale, bei denen künstlicheIntelligenz helfen kann, entweder dieMarketingeffizienz oder gar die Marketingeffektivitätzu steigern.Künstliche Intelligenz im Marketingkommt insbesondere bei datenintensiven,stark strukturierten Prozessen zumEinsatz. Davenport und Kirby fassten diesbereits 2016 wie folgt zusammen: «Themore structured tasks will be taken overby machines, or made substantially moreproductive by them.»Der verstärkte Einsatz von Informationstechnologieund die Verfügbarkeit vonDaten werden in vielen Bereichen dieMarketingeffizienz deutlich erhöhen, beispielsweisein der Sprachverarbeitung.Viele Prozesse lassen sich automatisieren:So können sowohl online als auch amTelefon (selbstlernende) Chatbots eingesetztwerden, die einen Grossteil häufigerund typischer Kundenanfragen im«First-Level Customer Support» erledigen.Des Weiteren wird es möglich sein, beivielen Marketingtätigkeiten gewisseProzesszwischenschritte zu eliminieren:Medienagenturen werden beim Einsatzvon Programmatic Advertising häufig«eingespart», zwei- oder dreistufigeDistributionswege auf Direktvertriebumgestellt, wodurch sowohl gewisseLogistik- als auch Gross- und Einzelhandelsaufgabenentfallen.Abbildung 1 auf Seite 12 zeigt Marketingtätigkeiten,die aufgrund der Automatisierunghohe Potenziale zur Effizienzsteigerungaufweisen.Aber nicht nur die Marketingeffizienz,sondern auch die Marketingeffektivitätund somit die Wirksamkeit kann durchden Einsatz von Algorithmen gesteigertwerden. So werden zahlreiche Massnahmenüberhaupt erst durch eine intensiveund schnelle Marketingautomationmöglich. Dies gilt zum Beispiel für dasScreening und Überwachen sozialerMedien, umfassende Medien-Sentiment-Analysen,Gesichtserkennung vonKunden, Sofortprotokollierungen vonMeetings oder das Anbieten schriftlicheroder mündlicher Simultanübersetzungenim Kundenkontakt. Auch das Realtime-Targetingim Online-Marketing, beidem den Zielkunden ein dynamischerund gegebenenfalls sogar personalisierterContent zum richtigen Zeitpunkt präsentiertwird, wäre ohne Marketingautomationundenkbar. Dasselbe gilt für dieOptimierung von Zahlungsausfallrisikenoder die situative Preisdifferenzierung.Mit Wilson/Daugherty (2018, S. 121 ff.)lässt sich somit feststellen, dass künstlicheIntelligenz Unternehmen fünf zentraleNutzenpotenziale bietet:• Flexibilität,• Geschwindigkeit,• Datenverarbeitungskapazität,• Entscheidungsfindung und• Personalisierung.Grenzen der Automatisierungin Marketing & VerkaufAngesichts der aufgezeigten EffizienzundEffektivitätssteigerungspotenzialeder Marketingautomation sowie dersogenannten künstlichen Intelligenz imMarketing drängt sich die Frage auf, wiesich die Marketingdisziplin künftig entwickelnwird – und welche KompetenzenMarketingführungskräfte benötigen.Zunächst muss hervorgehoben werden,dass die vollständige Automatisierungvon Marketing & Verkauf bisher nur ineingeschränktem Rahmen möglich ist,weil viele Prozesse nicht ausreichendstrukturiert sind und die Daten nicht inder erforderlichen Form vorliegen. Selbstwenn der technische Fortschritt sehrschnell voranschreitet, bleibt der Menschein soziales Wesen, das für VeränderungsprozesseZeit benötigt. Letztereswird offensichtlich, wenn man bedenkt,wie allmählich und schrittweise sich dasMediennutzungsverhalten in den letztenJahrzehnten geändert hat.Trotz des enormen Potenzials von aufAlgorithmen basierenden Entscheidungsprozessenin Marketing & Verkauf wirdes auch in den nächsten Jahren undJahrzehnten noch eine Vielzahl von Entscheidungen,Tätigkeiten bzw. Anforderungengeben, die die (derzeitigen)Grenzen dieser Technologie aufzeigen:1. Reagieren auf selteneEreignisse & Ausnahmen:Künstliche Intelligenz erfordert in der Regelhohe Datenmengen; diese liegen fürmanche Entscheidungen nicht vor – odertreten so selten auf, dass es sich nichtlohnt, einen (ggf. lernenden) Algorithmuszu programmieren, weil eine Wiederholungselten ist und somit auch keinechter Lernprozess möglich ist. Wennein Unternehmen beispielsweise ausschliesslicheuropäische Kunden bedient,dann kann es sein, dass das System nichtdafür geeignet ist, auf andersgearteteKaufgewohnheiten und Präferenzenasiatischer Kunden einzugehen.2. Echte Kreativität:Echte kreative Prozesse wie Designentscheidungenvon Modeschöpfern oderdie neuartige Werbekreation sind – imGegensatz zur reinen Optimierung –kaum automatisierbar.3. Entscheidungen nachvollziehbarbegründen:Wurden beispielsweise Preise mithilfevon Algorithmen optimiert, stellt sichdie Frage, ob Unternehmen in der Lagesind, Preiserhöhungen für bestimmte