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NL_FOCUS_2024_10_Bayer

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WIRTSCHAFT<br />

Geschasst Ex-<strong>Bayer</strong>-Chef Werner Baumannn fädelte den folgenreichen Monsanto-Kauf ein<br />

Gefährlich? In den USA sieht sich <strong>Bayer</strong> noch mit vielen<br />

TEXT VON PETER STEINKIRCHNER<br />

Mitunter kommt die Revolution<br />

in einem schlichten<br />

grauen T-Shirt daher. Bill<br />

Anderson trägt eins unter<br />

seinem lockeren Sakko,<br />

und das mitten im Februar.<br />

In diesem Outfit sitzt<br />

der Vorstandschef der <strong>Bayer</strong> AG in der<br />

Konzernzentrale auf einem hölzernen Barhocker.<br />

Die Füße auf die Trittleiste gestellt,<br />

vagabundieren seine Arme beim Sprechen<br />

durch die Luft.<br />

Dynamik will der Texaner demonstrieren,<br />

den Aufbruch personifizieren, den<br />

er <strong>Bayer</strong> verordnet hat. So gibt er seine<br />

Paraderolle: Bill, der Bürokratie-Zerstörer,<br />

Bill, der Befreier der geknechteten<br />

<strong>Bayer</strong>-Beschäftigten.<br />

Um sie zu erlösen von der Fron vermeintlich<br />

sinnfreier Tätigkeit will der 57-Jährige<br />

gleich zwölf Hierarchieebenen zertrümmern,<br />

die sich in über 160 Konzernjahren<br />

angesammelt haben. Er verkündet darum<br />

den „radikalen Wandel“, ein „fundamentales<br />

Redesign – vom Management zur<br />

Mission, von Anpassung zur Aktion, vom<br />

Konzernchef zu Kunden.“ Wer ihn zum<br />

ersten Mal erlebt, denkt „Wow“. Beim<br />

zweiten Mal dann schon eher: Was für ein<br />

Wortgeklingel und Alliterations-Gewitter!<br />

Glaubt man Anderson, arbeiten bereits<br />

jetzt, wenige Monate nach seinem Start<br />

im Juni, zig Teams in Asien und den USA<br />

an diesen neuen Ideen. Das sorge längst<br />

für Erlöse, in „Lichtgeschwindigkeit“<br />

entstehe gerade „New <strong>Bayer</strong>“.<br />

Schüttelt man sich dann kurz und schaut<br />

auf die nackten Zahlen, sieht New <strong>Bayer</strong><br />

indes noch ziemlich alt aus. Und nach<br />

Rückschlägen bei neuen Medikamenten,<br />

die dem Konzern Milliarden bescheren<br />

sollten, sowie aktuellen Gerichtsurteilen<br />

im Zusammenhang mit dem Unkrautvernichter<br />

Glyphosat, steht das Vorzeige-<br />

Unternehmen sogar weit schlechter da<br />

als zu Andersons Start.<br />

Wenn der amerikanische Chemie-Ingenieur<br />

am 5. März die Geschäftszahlen für<br />

2023 präsentiert, wartet weiteres Ungemach:<br />

Der Umsatz ist wohl unter den des<br />

Vorjahres gefallen. „Wir sind mit unserer<br />

Performance nicht zufrieden“, warnte<br />

Anderson bereits im Vorfeld. „Fast 50<br />

Milliarden Euro Umsatz, aber null Cashflow<br />

– das ist einfach nicht akzeptabel.“<br />

Eine Konsequenz: <strong>Bayer</strong> will nur noch<br />

eine Mindestdividende zahlen: elf Cent.<br />

Im Vorjahr waren es noch 2,40 Euro. Ein<br />

Investor stöhnt: „<strong>Bayer</strong> ist die einzige<br />

Position, mit der wir vergangenes Jahr<br />

Geld verloren haben.“<br />

Wie unter diesen Voraussetzungen zu<br />

den frustrierten Anteilseignern – Kleinanlegern<br />

wie Fondsmanagern – die Botschaft<br />

durchdringen soll, das neue <strong>Bayer</strong><br />

sei bereits im Werden und entsteige<br />

schon bald Reagenzgläsern und Laboren?<br />

Anderson weiß selbst, dass Investoren<br />

jetzt deutlich mehr von ihm erwarten<br />

als verbale Girlanden.<br />

Sie wollen Greifbares: Was bringt der<br />

interne Umbau der Organisation konkret?<br />

Wie viele Mitarbeiter müssen gehen?<br />

Was schaffen die neuformierten Teams<br />

an zusätzlichen Erträgen? Vor allem<br />

aber warten sie auf klare Ansagen zum<br />

Gesamtbild: Bleiben die drei Sparten –<br />

Pharma, rezeptfreie Medikamente und<br />

Agrarchemie – im Konzern? Wird Anderson,<br />

was viele fordern, eine oder gleich<br />

zwei von ihnen verkaufen, um <strong>Bayer</strong>s horrenden<br />

Schuldenberg zu verringern? Und<br />

wie will er den schwindsüchtigen Aktienkurs<br />

wiederbeleben?<br />

<strong>Bayer</strong> trifft es nicht allein<br />

Zur Wahrheit gehört: <strong>Bayer</strong> leidet nicht<br />

allein. Nahezu die gesamte Chemie- und<br />

Pharma-Branche steckt in der Krise, wie<br />

ein großer Teil der gesamten deutschen<br />

Wirtschaft. So kündigten der Chemiekonzern<br />

BASF, die drei Autozulieferer Bosch,<br />

ZF Friedrichshafen und Continental, aber<br />

auch Volkswagen wie <strong>Bayer</strong> Stellenabbau<br />

an. Die heimische Wirtschaft hängt<br />

massiv vom Export ab. Eine Belebung der<br />

Weltmärkte steht angesichts diverser Krisenherde<br />

nicht an, die Nachfrage leidet.<br />

Dazu kommen hohe Zinsen sowie<br />

Energie- und Rohstoffpreise. „Die Autoindustrie<br />

und der Bau als die wichtigsten<br />

Abnehmer für chemische Produkte<br />

stehen selbst unter erheblichem Druck“,<br />

sagt Marcus Morawietz, Experte beim<br />

Beratungsunternehmen Boston Consulting<br />

Group. „Chemie und Pharma gehören<br />

zu den führenden deutschen Exportprodukten<br />

– wenn sie leiden, dann spürt<br />

es das ganze Land.“<br />

Und dennoch ist dieses <strong>Bayer</strong> ein ganz<br />

eigener Fall. Jahrzehntelang galt der Konzern,<br />

dessen Keimzelle, das Chemiewerk,<br />

54 <strong>FOCUS</strong> <strong>10</strong>/<strong>2024</strong>

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