WA_FOCUS_2024_3_Fleischhauer
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JAN FLEISCHHAUER<br />
Der schwarze Kanal<br />
Das Glücks-<br />
Gefälle<br />
Es hat viele Vorteile, konservativ zu sein.<br />
Konservative sind glücklicher als Linke.<br />
Sie sind optimistischer, was gut für die<br />
Gesundheit ist, und den besseren Sex haben<br />
sie auch. Kein Wunder, dass man links der<br />
Mitte so miesepetrig dreinschaut<br />
Die Welt der Ängste ist eine vielfältige<br />
Welt. Manche Menschen fürchten sich<br />
vor zu engen Räumen, andere vor<br />
zu großen. Es gibt Menschen, die<br />
eine Furcht vor Blumen (Antophobie),<br />
Schnee (Chionophobie) oder Wind<br />
(Anemophobie) entwickelt haben.<br />
Einige erleiden eine Angstattacke, wenn ihnen jemand<br />
die Hand entgegenstreckt.<br />
Eine Freundin von mir kann über keine Brücke fahren.<br />
Jedes Mal, wenn sie es versucht hat, bekam sie solches<br />
Herzklopfen, dass sie sofort anhalten musste. Das macht<br />
das Leben nicht einfacher. Versuchen Sie mal einen Weg<br />
von Hamburg nach München zu finden, der garantiert<br />
brückenlos ist, das ist eine echte Herausforderung.<br />
Bahnfahren scheidet bei ihr leider als Alternative aus,<br />
weil sie in Tunneln ebenfalls Beklemmungen bekommt.<br />
Außerdem führen auch viele Bahnstrecken über Brücken.<br />
Das Besteigen eines Flugzeugs wiederum<br />
scheitert daran, dass Flugzeuge<br />
so schnell den Bodenkontakt<br />
verlieren.<br />
Das Thema ist mir nicht fremd,<br />
wie Sie sehen. Aber selbst ich<br />
war überrascht, als ich über eine<br />
neue Form der Phobie las, die vor<br />
allem unter jungen Menschen<br />
grassiert und die als „Speisekartenangst“<br />
Einzug in die Liste kollektiver<br />
Zwangsvorstellungen gefunden hat.<br />
Viele Vertreter der Generation Z<br />
setzt es offenbar unter enormen<br />
Stress, wenn sie in einem Restaurant<br />
unter den angebotenen Speisen<br />
auswählen sollen.<br />
»<br />
Je weiter jemand<br />
nach links tendiert,<br />
desto höher die<br />
Wahrscheinlichkeit,<br />
dass er an<br />
Ängsten leidet<br />
«<br />
Es ist nicht ganz klar, was die Panikreaktion auslöst. Ist<br />
es der Druck, sich entscheiden zu müssen, während jemand<br />
neben einem steht und auf eine Antwort wartet? Manche<br />
spekulieren, dass die Gen Z so sehr daran gewöhnt ist, alles<br />
im Netz zu mustern und zu bewerten, dass es die jungen<br />
Menschen total überfordert, wenn sie plötzlich eine Wahl<br />
treffen sollen, die nicht mehr revidierbar ist.<br />
Eine weitere Vermutung lautet, dass sie mit der<br />
sozialen Situation an sich nicht zurechtkommen.<br />
Statt unbeobachtet eine Bestellung aufzugeben,<br />
sollen sie plötzlich einem Kellner von Angesicht<br />
zu Angesicht ihre bevorzugte Menüauswahl mitteilen:<br />
Wie furchtbar! Fürs Dating und spätere Familiengründungen<br />
lässt das nichts Gutes erahnen.<br />
Das Interessante an Phobien ist, dass es einen politischen<br />
Bezug gibt. Je weiter jemand nach links tendiert,<br />
desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass er oder sie an<br />
Ängsten leidet. Das habe ich mir nicht ausgedacht, das<br />
lässt sich belegen.<br />
Das Verhältnis zwischen allgemeinem Wohlbefinden<br />
und politischer Ausrichtung ist gut erforscht, und das<br />
Ergebnis ist eindeutig. Konservative sind glücklicher als<br />
Linke. Ich bin das erste Mal vor zehn Jahren in einem<br />
Artikel in der „New York Times“ auf diesen „Happiness<br />
Gap“ gestoßen. Der Autor, der Glücksforscher Arthur C.<br />
Brooks, ging darin der Frage nach, weshalb konservativ<br />
eingestellte Menschen in der Regel zufriedener mit ihrem<br />
Leben sind als Leute, die nach links tendieren.<br />
Die naheliegende Erklärung ist, dass sich Konservative<br />
leichter tun, weil sie der Zustand der Welt nicht so bekümmert<br />
wie Linke. Das wäre die „Selig sind die Unwissenden“-These.<br />
Wer sich nicht dafür interessiert, wie<br />
es anderen geht, schreitet unbesorgter durchs Leben.<br />
Die Forschung allerdings hat einige<br />
Löcher in diese These geschossen.<br />
Dass die Gesellschaft ungerecht<br />
eingerichtet sei, ist schließlich<br />
keine Tatsache, sondern selbst eine<br />
Annahme, die vor allem von Linken<br />
geteilt wird. Auch Konservative interessieren<br />
sich für den Zustand der<br />
Welt. Ihnen sind nur andere Dinge<br />
wichtig. Wäre ihnen alles egal, würden<br />
sie alles mit der Gelassenheit<br />
eines Buddha betrachten. Dem ist<br />
aber erkennbar nicht so.<br />
Eine andere Erklärung stellt auf<br />
die Lebensumstände ab. Konservative<br />
Menschen neigen eher zu dauerhaften<br />
Beziehungen. Wer verhei-<br />
Foto: Markus C. Hurek für <strong>FOCUS</strong>-Magazin<br />
6 <strong>FOCUS</strong> 3/<strong>2024</strong>
KOLUMNE<br />
Speisekartenangst<br />
als neue Phobie<br />
Illustration von Michael Szyszka<br />
ratet ist oder in einer eheähnlichen Beziehung lebt, ist<br />
nachweislich zufriedener als Menschen, die oft wechselnde<br />
Partnerschaften haben. Ähnliches gilt übrigens für den<br />
Bezug zur Religion. Bei Umfragen geben Menschen, die<br />
an Gott glauben, fast doppelt so häufig an, dass sie mit<br />
ihrem Leben zufrieden seien, wie Befragte, denen Religion<br />
nichts bedeutet.<br />
Die Ergebnisse der Glücksforschung mögen einige<br />
überraschen. Rechte gelten schließlich als unsicher, komplexbeladen<br />
und engstirnig, weshalb sie ja auch auf alles,<br />
was nur irgendwie anders ist, mit Abwehr und Aggression<br />
reagieren, so heißt es doch immer. Wie aber kann<br />
jemand, der autoritär, verbohrt und ängstlich ist, sehr viel<br />
positiver gestimmt sein als sein politischer Nachbar, der<br />
als liberal, offen und progressiv gilt? Das passt nicht wirklich<br />
zusammen.<br />
Ich weiß, ich begebe mich hier auf dünnes Eis. Aber<br />
konservativ zu sein, scheint auch in anderer Hinsicht von<br />
Vorteil zu sein. Konservative sehen deutlich optimistischer<br />
in die Zukunft, was erwiesenermaßen gut für die Gesundheit<br />
ist. Und, nicht ganz unwichtig, sie haben auch mehr<br />
und besseren Sex.<br />
Dass Sozialdemokraten am seltensten Sex<br />
haben, ist seit Längerem bekannt (1,5-mal<br />
pro Woche versus 1,8-mal bei Unionswählern<br />
und, Spitzenwert, 2,1-mal bei FDP-Anhängern).<br />
Eine von der amerikanischen Datingseite match.com in<br />
Auftrag gegebene Umfrage hat darüber hinaus ergeben,<br />
dass Rechte dabei auch mehr Freude empfinden, und<br />
zwar geschlechtsunabhängig. Während unter den Anhängern<br />
der Demokraten nur 40 Prozent angeben konnten,<br />
bei Sex regelmäßig zum Höhepunkt zu kommen,<br />
berichteten dies mehr als die Hälfte der Sympathisanten<br />
der Republikaner.<br />
Eine Sache hat mich wirklich verblüfft: Die glücklichsten<br />
Menschen finden sich am politischen Rand. Ich hatte<br />
immer gedacht, es sei für das Wohlbefinden am besten,<br />
wenn man sich nicht zu sehr aufrege. Aber auch das<br />
lässt sich wissenschaftlich nicht halten. Der Glücksexperte<br />
Brooks verweist auf Studien aus den USA, wonach die<br />
glücklichsten Amerikaner diejenigen sind, die sich entweder<br />
als „extrem konservativ“ oder „extrem liberal“<br />
bezeichnen. Der Anteil derjenigen, die sagen, dass sie<br />
sehr glücklich seien, liegt hier bei 48 respektive 35 Prozent.<br />
Bei Menschen, die sich zu den Moderaten zählen,<br />
kann das nur ein Viertel von sich behaupten.<br />
Offenbar wirkt es sich positiv aus, wenn man die Umgebung<br />
klar in Freund und Feind unterteilen kann. Wer keinen<br />
Zweifel daran hat, auf der richtigen Seite zu stehen,<br />
muss sich auch nicht mit Selbstzweifeln herumschlagen.<br />
Ich persönlich finde kaum etwas grauenhafter als die Vorstellung<br />
einer Welt, in der es keine Überraschungen mehr<br />
gibt. Aber auf viele Menschen hat Übersichtlichkeit nicht<br />
nur im Privaten, sondern auch im Politischen einen heilsamen<br />
Effekt, wie man daraus schließen muss.<br />
Bleibt die Frage, wer der Klügere ist. Linke trösten<br />
sich damit, dass sie vielleicht nicht glücklicher,<br />
aber dafür intelligenter seien. Der Kronzeuge<br />
für diese Annahme ist Satoshi Kanazawa<br />
von der London School of Economics. „Why Liberals and<br />
Atheists Are More Intelligent“ heißt ein Aufsatz, der 2010<br />
in der Fachzeitschrift „Social Psychology Quartely“ erschien<br />
und seitdem in immer neuen Varianten recycelt<br />
wurde. Als Grundlage dienten Kanazawa Daten einer<br />
Studie, wonach junge Leute, die sich als sehr konservativ<br />
einschätzen, im Schnitt einen IQ von 95 Punkten hatten.<br />
Ihre sehr progressiven Altersgenossen kamen hingegen<br />
auf 106 Punkte.<br />
Ein Jahr nach dem Intelligenz-Aufsatz veröffentlichte<br />
Kanazawa einen Text mit dem Titel „Why Are Black<br />
Women Less Physically Attractive Than Other Women?“,<br />
worauf ihn seine Hochschule mit einem vorübergehenden<br />
Publikationsverbot belegte. Nun ja, nobody is perfect, wie<br />
es so schön heißt.<br />
Wenn ich die Wahl zwischen ein paar Intelligenzpunkten<br />
mehr oder Glück und besserem Sex hätte, würde ich<br />
mich für Letzteres entscheiden. Ich höre schon, wie jetzt<br />
der eine oder andere ruft: typisch konservativ. Stimmt,<br />
deshalb geht’s mir ja auch ganz gut. 7<br />
Jan <strong>Fleischhauer</strong> ist Kolumnist und Buchautor. Er sieht sich als Stimme<br />
der Vernunft - was links der Mitte naturgemäß Protest hervorruft<br />
<strong>FOCUS</strong> 3/<strong>2024</strong><br />
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