NR_FOCUS_10_2024_Kroos
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AUSGABE <strong>10</strong> 1. März <strong>2024</strong> € 5,20 DAS MAGAZIN /// HIER SIND DIE FAKTEN /// SEIT 1993<br />
Der Merz ist da!<br />
Kann der CDU-Chef<br />
nicht nur entschlossen,<br />
sondern auch beliebt?<br />
Bye-Bye, Bayer?<br />
Kann ein Amerikaner den<br />
Dax-Konzern retten?<br />
DAS SPIEL DER MULLAHS<br />
Waffen, Terror, Unterdrückung<br />
Wie das iranische Regime die Welt bedroht
LEBEN<br />
Präsent, auch<br />
wenn es mal<br />
unübersichtlich<br />
wird: <strong>Kroos</strong> beim<br />
Champions-<br />
League-Spiel in<br />
Leipzig, das Real<br />
unter seiner Anleitung<br />
1:0 gewann<br />
Die Szene war sinnbildlich:<br />
Toni <strong>Kroos</strong>, Real Madrids<br />
34-jähriger Stratege, legte<br />
sich im Achtelfinal-<br />
Hinspiel der Champions<br />
League gegen Leipzig<br />
den Ball zur Ecke zurecht.<br />
Dann eilte Mannschaftskollege<br />
Vini cius Jr. herbei, 23 Jahre<br />
jung und mit einem geschätzten Marktwert<br />
von 150 Millionen Euro einer der teuersten<br />
Fußballer der Welt. Einen Meter<br />
entfernt stand er, als <strong>Kroos</strong> den Ball in<br />
den Leipziger Strafraum schlug, als wolle<br />
er sich kein Detail des formvollendeten<br />
Bewegungsablaufs entgehen lassen.<br />
<strong>Kroos</strong>, Weltmeister und fünffacher<br />
Champions-League-Sieger, wird bei Real<br />
mehr und mehr zu einer Art Spielertrainer,<br />
zum König der Königlichen. Er ist derjenige,<br />
der den Jungen ihre Position zuweist<br />
und ihnen die Bälle so zielgenau zupasst,<br />
dass sie glänzen können. Der gebürtige<br />
Greifswalder, dem man nachsagt, sein<br />
Puls erreiche auch in den hektischsten<br />
Partien niemals einen dreistelligen Wert,<br />
denkt und lenkt das Spiel. Und zwar nicht<br />
nur seiner Mannschaft, sondern das der<br />
Gegner gleich mit. In Leipzig war er es,<br />
<strong>Kroos</strong>artig<br />
Bei Real Madrid regiert<br />
Toni <strong>Kroos</strong> uneingeschränkt.<br />
Jetzt soll er auch die<br />
DFB-Elf wieder anführen.<br />
Eine gute Idee?<br />
TEXT VON JOBST-ULRICH BRAND<br />
der ansagte, wann nach der Verletzung<br />
eines Akteurs weitergespielt werden könne<br />
und wann nicht. Erstaunlich fast, dass<br />
der vom Leipziger Champions-League-<br />
Allerlei überforderte Schiedsrichter ihm<br />
nicht irgendwann die Pfeife übergeben<br />
hat. Sinnvoll wäre das durchaus gewesen<br />
– <strong>Kroos</strong> hätte die peinliche Abseits-Fehlentscheidung,<br />
die den Leipzigern ein frühes<br />
1:0 nahm, jedenfalls nicht getroffen,<br />
wie er später im Interview sagte.<br />
Seit der andere große Taktgeber Madrids,<br />
der ehemalige Weltfußballer Luka<br />
Modric, 38, nur noch zu seltenen Aushilfsdiensten<br />
herangezogen wird, ist <strong>Kroos</strong>’<br />
Bedeutung fürs Team sogar noch gewachsen.<br />
„Toni ist unersetzlich, auch wenn er<br />
nicht spielt“, hatte sein Trainer Carlo Ancelotti<br />
zuletzt gerühmt. Wobei das kaum vorkommt:<br />
Ancelotti weiß, dass Reals Spiel<br />
zu entgleisen droht, wenn <strong>Kroos</strong> nicht die<br />
richtigen Signale setzt. Die Youngster um<br />
ihn herum, der Franzose Eduardo Camavinga,<br />
21, und der Uruguayer Fede Valverde,<br />
25, selbst der hochbegabte Brite Jude<br />
Bellingham, 20, brauchen Anleitung, gerade<br />
in der entscheidenden Phase der Saison.<br />
Allzu viele solcher fahrigen Momente wie<br />
beim vermeintlichen Leipziger Abseitstor<br />
Foto: Marvin Ibo Güngör/dpa<br />
98 <strong>FOCUS</strong> <strong>10</strong>/<strong>2024</strong>
Toni <strong>Kroos</strong>, 34<br />
Zwar ist er nicht schneller geworden in<br />
den vergangenen Monaten, aber kämpferischer.<br />
So oft wie zuletzt hat man ihn<br />
selten grätschen sehen. Er kommt in der<br />
spanischen Liga in dieser Saison auf zwei<br />
erfolgreiche Tacklings pro Partie, besser<br />
sind nur Eduardo Camavinga und Daniel<br />
Carvajal.<br />
Ob das schon reicht für den Titel eines<br />
„Workers“? Das sei der Spielertyp, der<br />
dem deutschen Team derzeit am meisten<br />
fehle, hatte Nagelsmann nach den<br />
Niederlagen im November erkannt. Ein<br />
Malocher, der sich bedingungslos in jede<br />
Bresche wirft, ist aber aus <strong>Kroos</strong> nun auch<br />
nicht geworden. Eher ein abgeklärter<br />
Vorarbeiter, der zur richtigen Zeit an der<br />
richtigen Stelle das Nötigste tut.<br />
Was dem kommunikationsbegabten<br />
Julian Nagelsmann gleich eine ganze Reihe<br />
von Kommunikationsproblemen bereiten<br />
dürfte. Denn zum einen ist die<br />
Stelle des echten Drecksarbeiters damit<br />
weiterhin vakant und dürfte in Ermangelung<br />
deutscher Weltstars auf dieser<br />
Position an Kandidaten wie Pascal Groß<br />
(vier Länderspiele) oder Robert Andrich<br />
(ein Länderspiel) gehen. Zum anderen,<br />
und womöglich schwieriger, muss er seinem<br />
angestammten Mittelfeld die Personalie<br />
erklären. Vor allem Joshua Kimmich,<br />
der sich nach <strong>Kroos</strong>’ Rücktritt als<br />
legitimer Erbe sah. Er wird nun wieder auf<br />
die – nur bedingt geschätzte – Rechtsversollten<br />
sie sich im Rückspiel am kommenden<br />
Mittwoch nicht erlauben. Sonst gibt es<br />
Stress mit dem Chef auf dem Platz.<br />
Und jetzt grätscht er auch noch<br />
Dass der x-te Frühling des Toni <strong>Kroos</strong><br />
Sehnsüchte geweckt hat, auch bei Julian<br />
Nagelsmann, ist also nicht weiter verwunderlich.<br />
Vor Monaten schon nahm<br />
der kaum drei Jahre ältere Bundestrainer<br />
Kontakt zum Nationalaltvorderen auf<br />
und versuchte, ihn vom Comeback für die<br />
anstehende Heim-EM zu überzeugen.<br />
Nach dem Achtelfinal-Aus gegen England<br />
beim vorigen EM-Turnier 2021 hatte<br />
<strong>Kroos</strong> seinen Rücktritt erklärt, nach <strong>10</strong>6<br />
A-Länderspielen.<br />
Wirklich entsetzt war damals kaum jemand,<br />
denn <strong>Kroos</strong> war nie unumstritten,<br />
schon gar nicht in den letzten Jahren der<br />
Löw-Ära. Er verschleppe das Tempo, hieß<br />
es. Zwar spiele er enorm viele Pässe, die<br />
auch fast alle den auserkorenen Adressaten<br />
erreichten, aber wirklich zielführend<br />
sei das nicht. „Querpass-Toni“ ätzten die<br />
Verächter seiner Kunst.<br />
Tatsächlich hat es Toni <strong>Kroos</strong>, der Hochveranlagte,<br />
hierzulande immer schwer<br />
gehabt. Die anderen aktiven Weltmeister<br />
von 2014, Manuel Neuer, Thomas<br />
Müller, Mats Hummels, werden verehrt<br />
– <strong>Kroos</strong> war lange verpönt. Dabei gewann<br />
nie ein deutscher Fußballer mehr Champions-League-Titel<br />
als er. Und die Reise<br />
ist längst noch nicht zu Ende. Real bemüht<br />
sich um die Verlängerung seines Vertrages<br />
um ein weiteres Jahr, wohl wissend,<br />
dass der stürmenden Bande ein wenig<br />
Halt guttut, selbst oder gerade, wenn<br />
ein gewisser Kylian Mbappé demnächst<br />
dazustoßen sollte.<br />
Diesen Halt wünscht sich auch Nagelsmann.<br />
Zuletzt, bei den Niederlagen gegen<br />
die Türkei und Österreich, haben der<br />
Nationalmanschaft Sicherheit und Ruhe<br />
gefehlt. Und genau dafür steht <strong>Kroos</strong>.<br />
Jetzt in Leipzig hat er eine Art Libero<br />
gegeben wie zu besten Kaiser-Franz-<br />
Zeiten und das Spiel nach vorne initiiert.<br />
Die alleinige Chef-Rolle auf dem Platz<br />
hat ihn womöglich noch stärker gemacht.<br />
SPORT<br />
„Es ist eine zweite Nationalmannschaftskarriere,<br />
die sich an dieser EM misst“<br />
TONI KROOS<br />
<strong>FOCUS</strong> <strong>10</strong>/<strong>2024</strong><br />
International erfolgreichster<br />
deutscher Spieler –<br />
und doch nie geliebt<br />
Der gebürtige Greifswalder<br />
wurde 2014 in Brasilien Weltmeister<br />
und gewann mit den<br />
Bayern und Real Madrid<br />
insgesamt fünf Mal die<br />
Champions League. Kritiker<br />
schmähten ihn dennoch immer<br />
wieder als „Querpass-Toni“<br />
teidiger-Position weichen müssen. Ilkay<br />
Gündogan wiederum, in einer der ersten<br />
Amtshandlungen Nagelsmanns als Kapitän<br />
bestätigt, ist ein ähnlich seelenruhiger<br />
Ballverteiler wie <strong>Kroos</strong> und ebenso wenig<br />
ein „Worker“.<br />
Dass beide, der Rückkehrer und der<br />
Kapitän, den Anspruch haben, in der<br />
Startelf zu stehen, ist naheliegend: <strong>Kroos</strong><br />
vermutlich eher weiter hinten, Gündogan<br />
als torgefährliche Nummer zehn in der<br />
gegnerischen Hälfte. Sie beide gemeinsam<br />
im defensiven Mittelfeld auflaufen<br />
zu lassen, ist nur bedingt zu empfehlen.<br />
Mit der Lösung kassierte Deutschland<br />
die gemeinste Niederlage der jüngeren<br />
Geschichte, das 0:6 gegen Spanien in der<br />
Nations League.<br />
Nur: Was wird mit einem offensiveren<br />
Ilkay Gündogan aus den Hochbegabten<br />
im DFB-Team, die <strong>Kroos</strong> analog zu Real<br />
Madrid anleiten und in Szene setzen soll:<br />
Jamal Musiala, Florian Wirtz, Kai Havertz,<br />
Leroy Sané? Und was aus Thomas Müller,<br />
dem nächsten Elder Statesman im Team?<br />
Und was aus den emporstrebenden Stuttgartern,<br />
etwa Chris Führich, die gerade<br />
eine fulminante Saison spielen und die<br />
gerne dabei sein sollten, wie Sportdirektor<br />
Rudi Völler jüngst in Aussicht stellte?<br />
Neuanfang auf den letzten Drücker<br />
Die Blockbildungsidee früherer Zeiten, die<br />
im Grunde darin bestand, möglichst viele<br />
Bayern-Akteure aufzustellen, schließlich<br />
seien die erfolgsverwöhnt, entsprechend<br />
selbstbewusst und bestens aufeinander<br />
eingespielt, sie gibt der ehemalige Bayern-<br />
Coach Nagelsmann jedenfalls auf. Leon<br />
Goretzka, Thomas Müller, Serge Gnabry<br />
stehen arg auf der Kippe, Leroy Sané hat<br />
sich durch seine Rote Karte gegen Österreich<br />
erst mal selbst ausgewechselt.<br />
Nagelsmann und der ehemalige Leverkusener<br />
Völler scheinen eher versucht<br />
zu sein, das so erfolgreiche Leverkusener<br />
Modell nachzuahmen: mit Toni<br />
<strong>Kroos</strong> in der Rolle des Ballverteilers<br />
Granit Xhaka und – zuletzt – Kai Havertz<br />
als sogenanntem „Schienenspieler“<br />
nach dem Vorbild des Spaniers Alejandro<br />
Grimaldo. Dabei, so war eigentlich<br />
Nagelsmanns Auftrag, komme es vor der<br />
EM darauf an, alle Experimente zurückzustellen<br />
und schnell eine Stammformation<br />
zu finden. Nun ja, bei den letzten<br />
Tests gegen Frankreich und die Niederlande<br />
wird aller Voraussicht nach ein<br />
Team mit einer komplett neuen Hierarchie<br />
auflaufen. Aber besser eine neue<br />
Hierarchie als gar keine Ordnung. 7<br />
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