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FC15_IV_Kiesewetter

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AUSGABE 15 5. April 2024 € 5,20 DAS MAGAZIN /// HIER SIND DIE FAKTEN /// SEIT 1993<br />

Er fehlt uns<br />

allen sehr<br />

Peter Altmaier über<br />

Wolfgang Schäuble<br />

Energie von<br />

morgen<br />

Das Potenzial des<br />

grünen Wasserstoffs<br />

DER 6X6-<br />

T R A I N I N G S -<br />

PLAN<br />

FIT<br />

IN DEN FRÜHLING<br />

Für Frühaufsteher und Langschläfer: So gewinnen Sie<br />

neue Kraft für die vielleicht schönste Jahreszeit


POLITIK<br />

UKRAINE-KRIEG<br />

INTERVIEW VON JAN-PHILIPP HEIN UND<br />

ANDREAS GROSSE HALBUER<br />

FOTO VON JASPER WALTER BASTIAN<br />

Mit seinen vehementen<br />

Forderungen nach<br />

mehr und weiter reichenden<br />

Waffen für<br />

die Ukraine polarisiert<br />

der CDU-Abgeordnete<br />

Roderich <strong>Kiesewetter</strong>.<br />

Die einen werfen dem<br />

Außenpolitiker „Kriegstreiberei“ vor, andere<br />

betonen, dass der Oberst a. D. im<br />

Generalstabsdienst der Bundeswehr mit<br />

militärischen Erfahrungen im Ausland<br />

genau wisse, worauf es nun ankommt.<br />

Auch in seiner Partei gibt es Kritik an<br />

ihm. Gerade im Osten, wo drei Landtagswahlen<br />

anstehen, weisen die Kandidaten<br />

seine Positionen zurück – mit Blick auf<br />

die weit russlandfreundlichere Stimmung<br />

als im Westen. Im Gespräch mit FOCUS<br />

dreht Kiese wetter den Spieß um und fordert<br />

mehr „Weitsicht“ von seinen wahlkämpfenden<br />

Parteifreunden.<br />

Herr <strong>Kiesewetter</strong>, Sie sind für eine<br />

deutlich stärkere Unterstützung<br />

der Ukraine mit schwereren Waffen.<br />

Bringen die wirklich Frieden?<br />

Das überfallene Land muss bewaffnet<br />

sein, damit Frieden in Freiheit und Selbstbestimmung<br />

wirksam erreichbar sind. Erst<br />

die Bewaffnung lässt einen Aggressor zurückschrecken.<br />

Wie verträgt sich das mit dem christlichen<br />

Menschenbild der CDU?<br />

Sehr gut. Christ sein heißt nicht, das<br />

Opfer sich selbst zu überlassen, sondern<br />

Verantwortung zu übernehmen. Wenn<br />

der Einzelne sagt, ich bin bereit, in Pein<br />

und Tortur zu kämpfen, ist das die selbstständige<br />

Entscheidung des Individuums.<br />

Aber es ist nicht christlich, ein ganzes Land<br />

zu opfern und den russischen Kriegsverbrechen<br />

und dem Genozid zu überlassen.<br />

Christlich ist auch nicht, den Angegriffenen<br />

aufzufordern, die weiße Fahne zu<br />

hissen – aber der Papst ist ja zurückgerudert.<br />

Der christliche Glaube setzt auch darauf,<br />

dass der Einzelne gemäß dem christlichen<br />

Menschenbild in der Lage ist, seinen<br />

Nächsten zu verteidigen und zu schützen.<br />

„Wenn wir so<br />

weitermachen,<br />

zerfällt die Ukraine<br />

und Millionen<br />

werden zur Flucht<br />

gezwungen“<br />

Er ist einer der profiliertesten Verteidigungspolitiker<br />

der CDU. Im Gespräch mit FOCUS<br />

benennt Roderich <strong>Kiesewetter</strong> auch Fehler<br />

der eigenen Partei und warnt davor, Putin<br />

zu unterschätzen<br />

Heimatbesuch<br />

Während der Ostertage<br />

war Roderich<br />

<strong>Kiesewetter</strong> in seinem<br />

Wahlkreis in<br />

Aalen-Heidenheim<br />

Wie sind die Reaktionen, wenn Sie<br />

im Wahlkreis unterwegs sind?<br />

Einige Ihrer Positionen sind auch unter<br />

Unionswählern umstritten – Taurus<br />

findet bei denen keine Mehrheit.<br />

Es sind nicht alle damit einverstanden,<br />

wenn ich sage, dass man die Ukraine befähigen<br />

muss, mehr gegen militärische Ziele<br />

auf russischem Boden zu tun, um auch Entlastung<br />

im eigenen Land zu haben, weil es<br />

Russland zwingt, Verteidigung nach hinten<br />

zu verlegen. Aber die Leute verstehen,<br />

dass über 80 Prozent der Versorgungswege<br />

über die Krim verlaufen und zahlreiche<br />

Angriffe von dort gefahren werden und<br />

dass man natürlich mit Taurus und anderen<br />

weitreichenden Mitteln die Versorgungswege<br />

abtrennen kann, damit die Kriegsverbrechen<br />

nicht mehr in diesem Umfang<br />

auf ukrainischem Boden stattfinden. Es war<br />

übrigens der Verteidigungsminister selbst,<br />

der bereits vor knapp einem Jahr sagte,<br />

es sei das „Normalste der Welt“, dass der<br />

Angegriffene auch Angriffe auf dem Territorium<br />

des Gegners vorträgt, um dort beispielsweise<br />

militärische Einrichtungen,<br />

Kommandostände, Logistik zu zerstören.<br />

Da bin ich ganz bei ihm.<br />

Hinter vorgehaltener Hand gibt es auch in<br />

Ihrer Fraktion Kritik an solchen Positionen,<br />

da wird ein Unwohlsein formuliert. Hat die<br />

Union die Zeitenwende wirklich geschafft?<br />

Wir hatten 20 Jahre Wischiwaschi und<br />

eine Russland zugewandte Energie-,<br />

Sicherheits- und in Teilen auch Rüstungspolitik<br />

– das lag auch in Mitverantwortung<br />

der Union. Das ist vorbei und das hat die<br />

überwiegende Mehrheit auch bei uns<br />

kapiert. Der Kanzler und die SPD tun sich<br />

da schwerer. Ich gestalte weiter mit und<br />

versuche ein anderes Klima in der Union<br />

zu schaffen. Wir machen deutlich, dass die<br />

Zukunft der Ukraine in der Nato und der<br />

EU ist und die Ukraine siegen muss und<br />

das in unserem ureigenen Sicherheitsinteresse<br />

liegt. Das hören wir nicht von Bundeskanzler<br />

Scholz.<br />

Sie tun ihm unrecht: Unter Scholz ist<br />

Deutschland der zweitwichtigste<br />

Unterstützer der Ukraine geworden.<br />

Stimmt so nicht. Wir sind nur Ankündigungsweltmeister.<br />

Nach Bruttoinlandsprodukt<br />

betrachtet sind Norwegen und<br />

die baltischen Staaten mit bis zu 2,6 Prozent<br />

weit vorn. Wir haben um 0,2 Prozent.<br />

Der Kanzler spricht dauernd von 28 Milliarden<br />

Euro Militärunterstützung. Es sind<br />

aber nur 6,6 Milliarden bislang tatsächlich<br />

geleistet worden, weitere 7 Milliarden sind<br />

angekündigt. Insgesamt haben wir die<br />

36 FOCUS 15/2024<br />

37


POLITIK<br />

UKRAINE-KRIEG<br />

Ukraine mit 32 Milliarden Euro unterstützt.<br />

Davon sind aber 22 Milliarden Euro Hilfen<br />

für Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland<br />

– unter anderem Bürgergeld. Mehr<br />

als zwei Drittel unserer Unterstützung sind<br />

also nicht militärisch. Man kann es auch<br />

zynisch formulieren: Je mehr Flüchtlinge<br />

wir mangels militärischer Unterstützung<br />

mitverursachen, desto stärker werden wir<br />

als Unterstützer.<br />

Schon diese – aus Ihrer Sicht – geringe<br />

Unterstützung der Ukraine macht Ihren<br />

wahlkämpfenden Parteifreunden im<br />

Osten Probleme. Mit Ministerpräsident<br />

Michael Kretschmer haben Sie deshalb<br />

Streit. Auch Brandenburgs Spitzenkandidat<br />

Jan Redmann mahnt mehr „Besonnenheit“<br />

an. Ihre Linie dürfte wegen<br />

der Wahlen aufgeweicht werden, oder?<br />

Besonnenheit bedeutet zu sehen, dass in<br />

der Ukraine bis zu 18 Millionen Menschen<br />

aus Angst vor den russischen Kriegsverbrechen<br />

auf gepackten Koffern sitzen. Es<br />

droht eine Massenflucht, wenn Russland<br />

weiter vorrückt und das Land durch Bombenterror<br />

unbewohnbar macht, weil wir<br />

bestimmte effiziente Systeme nicht liefern<br />

und von allem viel zu wenig und zu spät.<br />

Ganz grundsätzlich geht es darum, dass<br />

nicht das Recht des Stärkeren, sondern die<br />

Stärke des Rechts siegt. Das zu erkennen,<br />

wünsche ich mir auch von Ministerpräsidenten<br />

und Ministerpräsidentenanwärtern,<br />

die ein christliches Menschenbild<br />

haben. Ich erwarte auch und gerade von<br />

Michael Kretschmer, der ein außergewöhnlich<br />

erfolgreicher Ministerpräsident<br />

ist, mehr Weitsicht in der Russlandfrage.<br />

Wir dürfen der Ukraine keinen Scheinfrieden,<br />

kein Diktat aufzwingen, der letztlich<br />

Putin in die Hände spielt. Der würde sich<br />

etwas später dann die Rumpf-Ukraine einverleiben<br />

und den Krieg gegen Moldau<br />

und das Baltikum fortsetzen. Appeasement<br />

ist eine Einladung. Russland führt einen<br />

Vernichtungskrieg gegen die Ukraine, das<br />

sollte man nicht ausblenden.<br />

Befürchten Sie nicht, sich in der Union so<br />

zu isolieren wie Michael Roth in der SPD,<br />

der nun ganz mit der Politik aufhören wird?<br />

Ich bedauere, dass Michael Roth dem<br />

Druck letztlich nachgab. Ich werde das<br />

nicht tun. Ich gestalte weiter mit und sehe<br />

im Gegensatz zur SPD eine Mehrheit und<br />

insbesondere den Partei- und Fraktionsvorsitzenden<br />

hinter diesem Ansatz. Wir haben<br />

ein anderes Klima in der Union.<br />

Sie glauben, davon Ihre Parteifreunde im<br />

Osten überzeugen zu können? Falls nicht,<br />

wird die Union einen schweren Konflikt<br />

hat. Sondern wo sinnvoll und verhältnismäßig<br />

möglich, auch militärische Ziele auf<br />

russischem Boden angreifen kann.<br />

Dürfen vom Westen gelieferte Waffen<br />

auch auf russischem Territorium eingesetzt<br />

werden?<br />

Das ist Sache der liefernden Staaten,<br />

Finnland zum Beispiel stimmt dem zu.<br />

Mit anderen Staaten wie den USA macht<br />

die Ukraine konkrete Verträge zum Einsatzgebiet.<br />

Nach der Übergabe der Waffen<br />

sind es ukrainische Waffen. Die Ukrainer<br />

arbeiten übrigens sehr intensiv an der Entwicklung<br />

eigener Systeme, um unabhängiger<br />

zu werden.<br />

Wird Russland die Nato angreifen?<br />

Hat es bereits. Es greift im Rahmen<br />

hybrider Kriegsführung unseren gesellschaftlichen<br />

Zusammenhalt an. Russland<br />

zerstört mit Sabotagetrupps kritische Infrastruktur.<br />

Russland organisiert Cyberangriffe.<br />

Und es werden Menschen auf Natodurch<br />

das Wahljahr schleppen? Spielt<br />

Ihr Kurs nicht der AfD in die Karten?<br />

Die meisten denken so wie Friedrich<br />

Merz und ich. Ich wünsche mir etwas mehr<br />

Mut und nicht ein Schielen auf die AfD.<br />

Wir dämmen die nicht ein, wenn wir denen<br />

nach dem Munde reden, sondern wenn<br />

wir gerade in dieser Frage massiv widersprechen.<br />

Die Menschen wählen sowieso<br />

das Original. Unser Anspruch und Aufgabe<br />

muss sein, den Menschen mit klarer<br />

Haltung und deutlichen Positionen eine<br />

Orientierung zu geben.<br />

Was macht Sie sicher, dass die Union<br />

in Regierungsverantwortung nicht<br />

genauso zögerlich wie die SPD wäre?<br />

Erst einmal müssen wir mit Demut<br />

sagen: Wir tragen große Mitverantwortung<br />

für das, was in den 16 Jahren bis 2021 passiert<br />

ist, etwa die Aushöhlung der Bundeswehr.<br />

Friedrich Merz hat aber sehr klar<br />

gesagt, dass es um Frieden und Freiheit in<br />

Selbstbestimmung geht. Wir tragen dazu<br />

bei, dass Liberale und Grüne sich in der<br />

Koalition emanzipieren, weil sie in uns eine<br />

Alternative sehen. Wir könnten in einem<br />

Zweckbündnis die europäischen Sicherheitsfragen<br />

anpacken.<br />

Merz hat die Grünen als „Hauptgegner“<br />

bezeichnet.<br />

Das ist vorbei. Die Grünen sind ein starker<br />

demokratischer Konkurrent. Merz hat<br />

nun deutlich gemacht, dass die Grünen ein<br />

guter Partner wären, insbesondere in der<br />

Sicherheitspolitik. Es gibt keinen Kulturkampf<br />

mehr zwischen Schwarz und Grün –<br />

darüber bin ich sehr froh. Das wäre auch<br />

der Bedrohungslage in Europa nicht angemessen.<br />

Kann der Dissens in der Ukraine-Frage<br />

die Koalition zerstören?<br />

Die Einzigen, die jetzt besser dastehen<br />

als zu Beginn, sind die Grünen. Sie könnten<br />

aussteigen, werden das aber vermutlich<br />

nicht tun, weil sie sich nicht dem Vorwurf<br />

aussetzen wollen, sie seien nicht staatstragend.<br />

„Ich erwarte auch<br />

und gerade von<br />

Michael Kretschmer<br />

mehr Weitsicht in<br />

der Russlandfrage“<br />

Und die Liberalen?<br />

Ich spüre auch bei der FDP deutlich mehr<br />

Gemeinsamkeiten mit uns als der SPD, die<br />

zunehmend amerikakritisch wird und in<br />

der die Russland näheren Kräfte wie Fraktionschef<br />

Rolf Mützenich dominieren.<br />

Das ist ein harter Vorwurf gegen<br />

Herrn Mützenich …<br />

… das muss er sich vorwerfen lassen.<br />

Man muss aber auch sagen: Er hat keine<br />

verwerflichen Motive. Er will Frieden. Aber<br />

mit Vorschlägen wie „Einfrieren“ stärkt<br />

er eher Russland als zu einer Position der<br />

Stärke für die Ukraine beizutragen. Ich<br />

vermisse bei der SPD die transatlantische<br />

Perspektive. Anders formuliert: Den Sozialdemokraten<br />

sind die Transatlantiker ausgegangen.<br />

Da würde der Kanzler Ihnen nun sagen, dass<br />

er sich sehr eng mit dem amerikanischen<br />

Präsidenten abstimmt. Und wir hören aus<br />

Washington auch keine Kritik an Scholz.<br />

Im Gegenteil! Durch die Art und Weise,<br />

wie der Kanzler seine Entscheidungen an<br />

die USA bindet, höhlt er den Artikel 5 der<br />

Nato aus. Er behauptet, weil Frankreich<br />

und Großbritannien Nuklearmächte seien,<br />

dürfe Deutschland bestimmte Dinge nicht<br />

tun und müsse das in ganz enger Abstimmung<br />

mit den USA leisten. Das entsetzt<br />

Länder wie Polen, die baltischen Staaten<br />

oder insbesondere Schweden und Finnland,<br />

die bewusst wegen des nuklearen<br />

Schutzschirms in die Nato gekommen<br />

sind. Scholz nutzt Biden als Alibi, um nicht<br />

zu führen. Ich sehe eher in Scholz denjenigen,<br />

der die Koalition spaltet. Seine<br />

Politik wirkt viel opportunistischer. Er zieht<br />

ja dauernd rote Linien und schürt Angst<br />

bis zum Atomkrieg, den er dann ja angeblich<br />

mit seinem Besuch in China verhindert<br />

haben will.<br />

Glauben Sie nicht?<br />

Er will im nächsten Jahr als „Friedenskanzler“<br />

auftreten und sagen, dass er die<br />

Ukraine vor einem Atomschlag bewahrt<br />

habe, um sie gleichzeitig subtil zu Gebietsabtretungen<br />

zu bringen.<br />

Kann es nicht sein, dass der Kanzler<br />

im Verborgenen mehr leistet als Sie und<br />

wir sehen?<br />

Ich wünsche es ihm, glaube es aber<br />

nicht. Stattdessen tritt er mit einer Hybris<br />

gegenüber unseren Nachbarstaaten auf,<br />

die weitaus mehr im Verhältnis zu ihrer<br />

Wirtschaftskraft als wir leisten. Es waren Xi<br />

und Biden, die einen Einsatz von Atomwaffen<br />

der Russen verhindert haben, indem sie<br />

Putin ein klares Preisschild aufzeigten, das<br />

Prinzip jeder Abschreckung.<br />

Fo t o N i e l s S t a r n i c k / B I L D Fo t o s e r v i c e<br />

Ukraine-Besuch Gemeinsam mit dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz besucht Roderich <strong>Kiesewetter</strong><br />

das zerstörte Kulturzentrum im ukrainischen Irpin<br />

Wie soll der Krieg enden?<br />

Es gibt zwei Szenarien. Wenn wir so weitermachen,<br />

zerfällt die Ukraine und Millionen<br />

werden zur Flucht gezwungen. Das<br />

Positiv-Szenario ist: Durch Europa geht ein<br />

Ruck. Deutschland wird überzeugt, Taurus<br />

zu liefern und die Rüstungsproduktion<br />

anzukurbeln. Wir fangen an, die Ukraine<br />

mit allem zu unterstützen, das möglich und<br />

völkerrechtlich geboten ist, Quantität und<br />

Qualität. Dann hat die Ukraine die Chance,<br />

ihre Grenzen wiederherzustellen und Teil<br />

der EU und der Nato zu werden.<br />

Ist es richtig, dass Emmanuel Macron westliche<br />

Bodentruppen nicht ausschließt?<br />

Dazu muss man den Kontext sehen und<br />

nicht in Überschriften denken. Macron<br />

möchte, dass wir aufhören, ständig rote<br />

Linien zu ziehen. Dies macht in der Dynamik<br />

des Krieges auch keinen Sinn. Wir<br />

sollten gegenüber Russland gar nichts<br />

ausschließen und unvorhersehbarer sein,<br />

strategische Ambiguität anwenden.<br />

Bereuen Sie, gesagt zu haben, dass der<br />

Krieg nach Russland getragen werden<br />

müsse, auch in die Ministerien in Moskau?<br />

Das macht vielen Angst.<br />

Warum sollte ich das bereuen? Ich habe<br />

gesagt, wir müssen die Ukraine befähigen,<br />

den Krieg auch nach Russland zu tragen –<br />

wie Pistorius bereits vor Monaten. Und das<br />

Kriegs- und Geheimdienstministerium sind<br />

legitime völkerrechtliche Ziele.<br />

Da dürfte es viele Kollateralschäden geben.<br />

LESERDEBATTE<br />

Wie finden Sie<br />

<strong>Kiesewetter</strong>s<br />

Haltung?<br />

Schreiben Sie<br />

uns an<br />

leserbriefe@<br />

focus-magazin.de<br />

Nicht bei den Präzisionswaffen,<br />

die es<br />

heutzutage gibt. Das<br />

Entscheidende: Es<br />

muss deutlich werden,<br />

völkerrechtlich ist es<br />

zulässig, dass die<br />

Ukraine sich nicht nur<br />

auf ihrem eigenen<br />

Territorium verteidigen<br />

darf und damit<br />

Tausende zivile Opfer<br />

Gebiet gezielt ermordet – denken Sie an<br />

den Tiergartenmord, das ist Staatsterrorismus.<br />

Deshalb müssen wir begreifen, dass<br />

das Kriegsbild, das wir im Kopf haben,<br />

nicht Putins Kriegsbild ist. Er definiert<br />

Krieg ganz breit, auch mit nicht-militärischen<br />

Mitteln. Wir sind bereits sein Kriegsziel.<br />

Auch deshalb müssen wir der Ukraine<br />

helfen. Wenn Russland in der Ukraine<br />

Erfolg hat, werden wir früher oder später<br />

Kriegspartei.<br />

Zählen Sie zu dieser Kriegsführung auch<br />

die tschechischen Enthüllungen, nach<br />

denen westliche Politiker – auch der AfD –<br />

aus Moskau bezahlt werden, um russische<br />

Propaganda zu machen?<br />

Ja, das ist aber nichts Neues. Wir erleben<br />

das bei der AfD schon lange.<br />

Wann arbeitet die Union eigentlich die<br />

Russlandpolitik der Ära Merkel auf?<br />

Norbert Röttgen und ich stehen als<br />

einige von sehr wenigen dafür, dass wir<br />

bereits 2014 und 2015 den damaligen Kurs<br />

für falsch gehalten haben. Mittlerweile<br />

haben viele das verstanden und Friedrich<br />

Merz hat eine umfassende Aufarbeitung<br />

zugesagt.<br />

War Angela Merkel naiv?<br />

Nein, Sie war Russland zugewandt und<br />

Pazifistin. Sie hat Putin wohl nie unterschätzt,<br />

aber die falschen oder keine Handlungsschlüsse<br />

gezogen. Sie hat aus innerer<br />

Überzeugung so gehandelt, Beschwichtigung<br />

und Wandel durch Handel waren die<br />

Leitsätze. Letztlich war es politisch falsch<br />

und sicherheitspolitisch dramatisch.<br />

Welche Rolle spielte die deutsche<br />

Wirtschaft, deren Chefs das vermeintlich<br />

billige Gas aus Russland sehr<br />

verführerisch fanden? Das sind ja<br />

Milieus, die Ihrer Partei nahestehen.<br />

Das hat die Union damals sehr gespalten.<br />

Die Außen- und Sicherheitspolitiker<br />

haben das immer kritisiert. Wir hatten<br />

mal ein Gespräch 2017 mit Nord-Stream-<br />

Chef Matthias Warnig. Und da haben wir<br />

gesehen, wie geschickt der frühere Stasi-<br />

Offizier und Vertraute Putins uns Parlamentarier<br />

in Wirtschaftspolitiker und<br />

Sicherheitspolitiker gespalten hat. Die<br />

deutsche Wirtschaft spielte schon eine<br />

wichtige Rolle bei der Russlandpolitik,<br />

auch hier wollte man billiges Gas und verpackte<br />

das fein säuberlich in das Narrativ<br />

Wandel durch Handel.<br />

Wie ist Ihr Draht zu Boris Pistorius?<br />

Ich schätze ihn sehr. Warum fragen Sie?<br />

Es gibt offenbar Meinungsverschiedenheiten<br />

zwischen ihm und dem Kanzler.<br />

Das spricht Bände. 7<br />

38 FOCUS 15/2024 FOCUS 15/2024<br />

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