FC15_IV_Kiesewetter
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POLITIK<br />
UKRAINE-KRIEG<br />
INTERVIEW VON JAN-PHILIPP HEIN UND<br />
ANDREAS GROSSE HALBUER<br />
FOTO VON JASPER WALTER BASTIAN<br />
Mit seinen vehementen<br />
Forderungen nach<br />
mehr und weiter reichenden<br />
Waffen für<br />
die Ukraine polarisiert<br />
der CDU-Abgeordnete<br />
Roderich <strong>Kiesewetter</strong>.<br />
Die einen werfen dem<br />
Außenpolitiker „Kriegstreiberei“ vor, andere<br />
betonen, dass der Oberst a. D. im<br />
Generalstabsdienst der Bundeswehr mit<br />
militärischen Erfahrungen im Ausland<br />
genau wisse, worauf es nun ankommt.<br />
Auch in seiner Partei gibt es Kritik an<br />
ihm. Gerade im Osten, wo drei Landtagswahlen<br />
anstehen, weisen die Kandidaten<br />
seine Positionen zurück – mit Blick auf<br />
die weit russlandfreundlichere Stimmung<br />
als im Westen. Im Gespräch mit FOCUS<br />
dreht Kiese wetter den Spieß um und fordert<br />
mehr „Weitsicht“ von seinen wahlkämpfenden<br />
Parteifreunden.<br />
Herr <strong>Kiesewetter</strong>, Sie sind für eine<br />
deutlich stärkere Unterstützung<br />
der Ukraine mit schwereren Waffen.<br />
Bringen die wirklich Frieden?<br />
Das überfallene Land muss bewaffnet<br />
sein, damit Frieden in Freiheit und Selbstbestimmung<br />
wirksam erreichbar sind. Erst<br />
die Bewaffnung lässt einen Aggressor zurückschrecken.<br />
Wie verträgt sich das mit dem christlichen<br />
Menschenbild der CDU?<br />
Sehr gut. Christ sein heißt nicht, das<br />
Opfer sich selbst zu überlassen, sondern<br />
Verantwortung zu übernehmen. Wenn<br />
der Einzelne sagt, ich bin bereit, in Pein<br />
und Tortur zu kämpfen, ist das die selbstständige<br />
Entscheidung des Individuums.<br />
Aber es ist nicht christlich, ein ganzes Land<br />
zu opfern und den russischen Kriegsverbrechen<br />
und dem Genozid zu überlassen.<br />
Christlich ist auch nicht, den Angegriffenen<br />
aufzufordern, die weiße Fahne zu<br />
hissen – aber der Papst ist ja zurückgerudert.<br />
Der christliche Glaube setzt auch darauf,<br />
dass der Einzelne gemäß dem christlichen<br />
Menschenbild in der Lage ist, seinen<br />
Nächsten zu verteidigen und zu schützen.<br />
„Wenn wir so<br />
weitermachen,<br />
zerfällt die Ukraine<br />
und Millionen<br />
werden zur Flucht<br />
gezwungen“<br />
Er ist einer der profiliertesten Verteidigungspolitiker<br />
der CDU. Im Gespräch mit FOCUS<br />
benennt Roderich <strong>Kiesewetter</strong> auch Fehler<br />
der eigenen Partei und warnt davor, Putin<br />
zu unterschätzen<br />
Heimatbesuch<br />
Während der Ostertage<br />
war Roderich<br />
<strong>Kiesewetter</strong> in seinem<br />
Wahlkreis in<br />
Aalen-Heidenheim<br />
Wie sind die Reaktionen, wenn Sie<br />
im Wahlkreis unterwegs sind?<br />
Einige Ihrer Positionen sind auch unter<br />
Unionswählern umstritten – Taurus<br />
findet bei denen keine Mehrheit.<br />
Es sind nicht alle damit einverstanden,<br />
wenn ich sage, dass man die Ukraine befähigen<br />
muss, mehr gegen militärische Ziele<br />
auf russischem Boden zu tun, um auch Entlastung<br />
im eigenen Land zu haben, weil es<br />
Russland zwingt, Verteidigung nach hinten<br />
zu verlegen. Aber die Leute verstehen,<br />
dass über 80 Prozent der Versorgungswege<br />
über die Krim verlaufen und zahlreiche<br />
Angriffe von dort gefahren werden und<br />
dass man natürlich mit Taurus und anderen<br />
weitreichenden Mitteln die Versorgungswege<br />
abtrennen kann, damit die Kriegsverbrechen<br />
nicht mehr in diesem Umfang<br />
auf ukrainischem Boden stattfinden. Es war<br />
übrigens der Verteidigungsminister selbst,<br />
der bereits vor knapp einem Jahr sagte,<br />
es sei das „Normalste der Welt“, dass der<br />
Angegriffene auch Angriffe auf dem Territorium<br />
des Gegners vorträgt, um dort beispielsweise<br />
militärische Einrichtungen,<br />
Kommandostände, Logistik zu zerstören.<br />
Da bin ich ganz bei ihm.<br />
Hinter vorgehaltener Hand gibt es auch in<br />
Ihrer Fraktion Kritik an solchen Positionen,<br />
da wird ein Unwohlsein formuliert. Hat die<br />
Union die Zeitenwende wirklich geschafft?<br />
Wir hatten 20 Jahre Wischiwaschi und<br />
eine Russland zugewandte Energie-,<br />
Sicherheits- und in Teilen auch Rüstungspolitik<br />
– das lag auch in Mitverantwortung<br />
der Union. Das ist vorbei und das hat die<br />
überwiegende Mehrheit auch bei uns<br />
kapiert. Der Kanzler und die SPD tun sich<br />
da schwerer. Ich gestalte weiter mit und<br />
versuche ein anderes Klima in der Union<br />
zu schaffen. Wir machen deutlich, dass die<br />
Zukunft der Ukraine in der Nato und der<br />
EU ist und die Ukraine siegen muss und<br />
das in unserem ureigenen Sicherheitsinteresse<br />
liegt. Das hören wir nicht von Bundeskanzler<br />
Scholz.<br />
Sie tun ihm unrecht: Unter Scholz ist<br />
Deutschland der zweitwichtigste<br />
Unterstützer der Ukraine geworden.<br />
Stimmt so nicht. Wir sind nur Ankündigungsweltmeister.<br />
Nach Bruttoinlandsprodukt<br />
betrachtet sind Norwegen und<br />
die baltischen Staaten mit bis zu 2,6 Prozent<br />
weit vorn. Wir haben um 0,2 Prozent.<br />
Der Kanzler spricht dauernd von 28 Milliarden<br />
Euro Militärunterstützung. Es sind<br />
aber nur 6,6 Milliarden bislang tatsächlich<br />
geleistet worden, weitere 7 Milliarden sind<br />
angekündigt. Insgesamt haben wir die<br />
36 FOCUS 15/2024<br />
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