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NL_FOCUS_2024_10_Bayer

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AUSGABE <strong>10</strong> 1. März <strong>2024</strong> € 5,20 DAS MAGAZIN /// HIER SIND DIE FAKTEN /// SEIT 1993<br />

Der Merz ist da!<br />

Kann der CDU-Chef<br />

nicht nur entschlossen,<br />

sondern auch beliebt?<br />

Bye-Bye, <strong>Bayer</strong>?<br />

Kann ein Amerikaner den<br />

Dax-Konzern retten?<br />

DAS SPIEL DER MULLAHS<br />

Waffen, Terror, Unterdrückung<br />

Wie das iranische Regime die Welt bedroht


WIRTSCHAFT<br />

Bye-Bye <strong>Bayer</strong>?<br />

Einst war die <strong>Bayer</strong> AG der wertvollste deutsche Konzern. Nun muss<br />

der Amerikaner Bill Anderson den Dax-Konzern umbauen. Jobabbau und<br />

Verkäufe drohen. Wo soll das enden?


KONZERNE<br />

Bürokratie-<br />

Bezwinger<br />

<strong>Bayer</strong>-Chef<br />

Anderson organisiert<br />

den<br />

Chemieriesen<br />

vom Rhein neu<br />

Fotos: Jann Höfer, Rupert Oberhäuser/dpa<br />

<strong>FOCUS</strong> <strong>10</strong>/<strong>2024</strong><br />

53


WIRTSCHAFT<br />

Geschasst Ex-<strong>Bayer</strong>-Chef Werner Baumannn fädelte den folgenreichen Monsanto-Kauf ein<br />

Gefährlich? In den USA sieht sich <strong>Bayer</strong> noch mit vielen<br />

TEXT VON PETER STEINKIRCHNER<br />

Mitunter kommt die Revolution<br />

in einem schlichten<br />

grauen T-Shirt daher. Bill<br />

Anderson trägt eins unter<br />

seinem lockeren Sakko,<br />

und das mitten im Februar.<br />

In diesem Outfit sitzt<br />

der Vorstandschef der <strong>Bayer</strong> AG in der<br />

Konzernzentrale auf einem hölzernen Barhocker.<br />

Die Füße auf die Trittleiste gestellt,<br />

vagabundieren seine Arme beim Sprechen<br />

durch die Luft.<br />

Dynamik will der Texaner demonstrieren,<br />

den Aufbruch personifizieren, den<br />

er <strong>Bayer</strong> verordnet hat. So gibt er seine<br />

Paraderolle: Bill, der Bürokratie-Zerstörer,<br />

Bill, der Befreier der geknechteten<br />

<strong>Bayer</strong>-Beschäftigten.<br />

Um sie zu erlösen von der Fron vermeintlich<br />

sinnfreier Tätigkeit will der 57-Jährige<br />

gleich zwölf Hierarchieebenen zertrümmern,<br />

die sich in über 160 Konzernjahren<br />

angesammelt haben. Er verkündet darum<br />

den „radikalen Wandel“, ein „fundamentales<br />

Redesign – vom Management zur<br />

Mission, von Anpassung zur Aktion, vom<br />

Konzernchef zu Kunden.“ Wer ihn zum<br />

ersten Mal erlebt, denkt „Wow“. Beim<br />

zweiten Mal dann schon eher: Was für ein<br />

Wortgeklingel und Alliterations-Gewitter!<br />

Glaubt man Anderson, arbeiten bereits<br />

jetzt, wenige Monate nach seinem Start<br />

im Juni, zig Teams in Asien und den USA<br />

an diesen neuen Ideen. Das sorge längst<br />

für Erlöse, in „Lichtgeschwindigkeit“<br />

entstehe gerade „New <strong>Bayer</strong>“.<br />

Schüttelt man sich dann kurz und schaut<br />

auf die nackten Zahlen, sieht New <strong>Bayer</strong><br />

indes noch ziemlich alt aus. Und nach<br />

Rückschlägen bei neuen Medikamenten,<br />

die dem Konzern Milliarden bescheren<br />

sollten, sowie aktuellen Gerichtsurteilen<br />

im Zusammenhang mit dem Unkrautvernichter<br />

Glyphosat, steht das Vorzeige-<br />

Unternehmen sogar weit schlechter da<br />

als zu Andersons Start.<br />

Wenn der amerikanische Chemie-Ingenieur<br />

am 5. März die Geschäftszahlen für<br />

2023 präsentiert, wartet weiteres Ungemach:<br />

Der Umsatz ist wohl unter den des<br />

Vorjahres gefallen. „Wir sind mit unserer<br />

Performance nicht zufrieden“, warnte<br />

Anderson bereits im Vorfeld. „Fast 50<br />

Milliarden Euro Umsatz, aber null Cashflow<br />

– das ist einfach nicht akzeptabel.“<br />

Eine Konsequenz: <strong>Bayer</strong> will nur noch<br />

eine Mindestdividende zahlen: elf Cent.<br />

Im Vorjahr waren es noch 2,40 Euro. Ein<br />

Investor stöhnt: „<strong>Bayer</strong> ist die einzige<br />

Position, mit der wir vergangenes Jahr<br />

Geld verloren haben.“<br />

Wie unter diesen Voraussetzungen zu<br />

den frustrierten Anteilseignern – Kleinanlegern<br />

wie Fondsmanagern – die Botschaft<br />

durchdringen soll, das neue <strong>Bayer</strong><br />

sei bereits im Werden und entsteige<br />

schon bald Reagenzgläsern und Laboren?<br />

Anderson weiß selbst, dass Investoren<br />

jetzt deutlich mehr von ihm erwarten<br />

als verbale Girlanden.<br />

Sie wollen Greifbares: Was bringt der<br />

interne Umbau der Organisation konkret?<br />

Wie viele Mitarbeiter müssen gehen?<br />

Was schaffen die neuformierten Teams<br />

an zusätzlichen Erträgen? Vor allem<br />

aber warten sie auf klare Ansagen zum<br />

Gesamtbild: Bleiben die drei Sparten –<br />

Pharma, rezeptfreie Medikamente und<br />

Agrarchemie – im Konzern? Wird Anderson,<br />

was viele fordern, eine oder gleich<br />

zwei von ihnen verkaufen, um <strong>Bayer</strong>s horrenden<br />

Schuldenberg zu verringern? Und<br />

wie will er den schwindsüchtigen Aktienkurs<br />

wiederbeleben?<br />

<strong>Bayer</strong> trifft es nicht allein<br />

Zur Wahrheit gehört: <strong>Bayer</strong> leidet nicht<br />

allein. Nahezu die gesamte Chemie- und<br />

Pharma-Branche steckt in der Krise, wie<br />

ein großer Teil der gesamten deutschen<br />

Wirtschaft. So kündigten der Chemiekonzern<br />

BASF, die drei Autozulieferer Bosch,<br />

ZF Friedrichshafen und Continental, aber<br />

auch Volkswagen wie <strong>Bayer</strong> Stellenabbau<br />

an. Die heimische Wirtschaft hängt<br />

massiv vom Export ab. Eine Belebung der<br />

Weltmärkte steht angesichts diverser Krisenherde<br />

nicht an, die Nachfrage leidet.<br />

Dazu kommen hohe Zinsen sowie<br />

Energie- und Rohstoffpreise. „Die Autoindustrie<br />

und der Bau als die wichtigsten<br />

Abnehmer für chemische Produkte<br />

stehen selbst unter erheblichem Druck“,<br />

sagt Marcus Morawietz, Experte beim<br />

Beratungsunternehmen Boston Consulting<br />

Group. „Chemie und Pharma gehören<br />

zu den führenden deutschen Exportprodukten<br />

– wenn sie leiden, dann spürt<br />

es das ganze Land.“<br />

Und dennoch ist dieses <strong>Bayer</strong> ein ganz<br />

eigener Fall. Jahrzehntelang galt der Konzern,<br />

dessen Keimzelle, das Chemiewerk,<br />

54 <strong>FOCUS</strong> <strong>10</strong>/<strong>2024</strong>


KONZERNE<br />

Klagen wegen des Pflanzengifts Glyphosat konfrontiert<br />

Gefloppt Nach dem Forschungs-Aus für ein Schlaganfallmittel sucht <strong>Bayer</strong>s Pharma-Sparte nach neuen Hoffnungsträgern<br />

Fotos: Getty Images, action press, dpa, Ralf Krieger<br />

»<br />

Manche<br />

Mit arbeiter<br />

feiern ihn und<br />

machen Selfies<br />

mit Anderson<br />

«<br />

Nina Melches,<br />

Chemie-Gewerkschafterin<br />

sich einst kilometerlang zwischen Köln<br />

und Düsseldorf am Rhein entlangzog, als<br />

sichere Bank – abgesehen von gelegentlichen<br />

Krisen wie den um den Cholesterinsenker<br />

Lipobay, der das Unternehmen<br />

2001 empfindlich traf. Vor nicht einmal<br />

zehn Jahren, 2015, war <strong>Bayer</strong> an der<br />

Börse 120 Milliarden Euro wert, und damit<br />

mehr wert als Größen wie Volkswagen,<br />

SAP oder Siemens.<br />

Dann allerdings folgte der Deal, der<br />

die <strong>Bayer</strong>-Welt auf den Kopf stellte. Im<br />

Frühjahr 2016 wurde Werner Baumann<br />

Konzernchef, ein Eigengewächs.<br />

Sagte der stets korrekt<br />

im Anzug gewandete Finanzexperte<br />

noch kurz vor Amtsantritt,<br />

mit ihm werde es „eher<br />

Evolution als Revolution“<br />

geben, kündigte er wenige<br />

Wochen später an, Monsanto<br />

in den USA zu übernehmen.<br />

Am Ende einer Übernahmeschlacht<br />

zahlte man 60 Milliarden<br />

Euro für den umstrittenen<br />

Saatguthersteller.<br />

Die Übernahme machte<br />

die Leverkusener zwar zum<br />

größten Agrochemie-Konzern<br />

der Welt. Allerdings zu<br />

einem hohen Preis: Aktuell<br />

liegen die <strong>Bayer</strong>-Schulden<br />

bei 36 Milliarden Euro<br />

– mehr, als der Konzern an<br />

der Börse noch wert ist. Mit<br />

der Übernahme provozierte<br />

der Konzern zudem endlose<br />

Gerichtsverfahren, die zusammenhängen<br />

mit dem Monsanto-Unkrautvernichtungsmittel<br />

Roundup und dessen<br />

Wirkstoff Glyphosat. An dem auch<br />

in Deutschland eingesetzten Pflanzengift<br />

scheiden sich die Geister. Während<br />

die Internationale Agentur für Krebsforschung<br />

Glyphosat als „wahrscheinlich“<br />

krebserregend einstufte, verlängerte die<br />

EU erst im vergangenen November dessen<br />

Zulassung für weitere zehn Jahre.<br />

Komplizierter ist die Lage in den USA.<br />

Dort erkannte zwar die zentrale Environmental<br />

Protection Agency keine Krebsgefahr.<br />

Doch einzelne Bundesstaaten<br />

bewerten die<br />

Sache anders. Und zuletzt<br />

verlor <strong>Bayer</strong> nach neun in<br />

Folge gewonnenen Verfahren<br />

in kurzer Taktung aufsehenerregende<br />

Prozesse und<br />

wurde teils von Laienjurys zu<br />

Rekordstrafen von bis zu 2,25<br />

Milliarden Dollar verurteilt.<br />

Zwar sind 113 000 Verfahren<br />

inzwischen beigelegt. Doch<br />

noch sind fast 50 000 Klagen<br />

offen – und nach den jüngsten<br />

Urteilen wittern Klägeranwälte<br />

neue Chancen.<br />

Die Unsicherheit über den<br />

Fortgang belastet den Konzern.<br />

„Wenn <strong>Bayer</strong> erneut<br />

Vergleiche erzielt, wird das<br />

künftige Prozesse nicht verhindern,<br />

und in ein, zwei<br />

Jahren kann es dann eine<br />

neue Welle von Verfahren<br />

geben”, sagt Markus Manns,<br />

Fonds-Manager und Pharma-Experte<br />

bei Union Investment. Zehn Milliarden<br />

Euro hat das Unternehmen für Vergleiche<br />

bereits gezahlt. Weitere sechs Milliarden<br />

Euro Rückstellungen haben die Rheinländer<br />

vorgenommen. Ob das reicht, ist<br />

ungewiss.<br />

Dahinter verblassen viele Erfolge der<br />

Sparte wie die Fortschritte bei Gentechnik<br />

und Pflanzenzucht. Dazu kommt: Noch<br />

2022 konnte <strong>Bayer</strong> dank hoher Preise<br />

für Glyphosat Umsatz und Gewinn kräftig<br />

steigern. Im vergangenen Jahr dagegen<br />

brach der Gewinn stark ein, weil die<br />

Konkurrenz aufholte und die Verkaufspreise<br />

sanken.<br />

Strafzahlungen und Rückstellungen in<br />

Verbindung mit schrumpfenden Erträgen<br />

führen dazu, dass an anderen Stellen<br />

Geld fehlt für überfällige Investitionen.<br />

Etwa im Pharmageschäft. Für Fondsmanager<br />

Manns steht fest: „Die Pipeline der<br />

Pharma-Sparte ist sicher eines der größten<br />

Probleme, die <strong>Bayer</strong> derzeit plagen.“<br />

Unterm Strich stehe der Konzern heute<br />

„wesentlich schlechter da als vor dem<br />

Monsanto-Kauf“.<br />

Daher schmerzt es besonders, wenn<br />

selbst fest eingeplante Hoffnungsträger<br />

patzen. Asundexian, ein Mittel gegen<br />

Schlaganfall, wird es nicht wie geplant<br />

zur Marktreife bringen. Das Medikament<br />

verhieß Blockbuster-Qualitäten und sollte<br />

im Idealfall vier bis fünf Milliarden Euro<br />

einspielen – jedes Jahr.<br />

Doch die werden nun nicht fließen.<br />

Nachdem <strong>Bayer</strong> Mitte November mitteilte,<br />

der Konzern stoppe nach dem<br />

<strong>FOCUS</strong> <strong>10</strong>/<strong>2024</strong><br />

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