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<strong>04</strong>‘24 Kultur<br />
DAS MAGAZIN FÜR DIE REGION<br />
Exklusives<br />
Interview<br />
mit Schriftsteller Rafik Schami<br />
Wir haben anlässlich seiner Lesung im Rahmen der Koblenzer Literaturtage ganzOhr im März die Möglichkeit<br />
genutzt ein Interview mit dem syrisch-deutschen Schriftsteller Rafik Schami, einer der erfolgreichsten Schriftsteller<br />
der interkulturellen deutschen Literatur, zu führen. Eines in dem er sich bewusst kurz hielt. Seine Anmerkung:<br />
Liebe Katharina Göbel-Backendorf. Jede Ihrer Frage könnte ein Thema für eine Masterarbeit geben, da<br />
ich aber nicht so viel Zeit habe, muss ich mich kurzfassen. Das ist auch gut für die Leserinnen und Leser.<br />
Sind Märchen noch zeitgemäß –<br />
und wo liegt Ihrer Ansicht nach ihr<br />
Zauber?<br />
Märchen sind meiner Meinung nach<br />
keine Modeerscheinung, die auffällig<br />
kommen und unauffällig verschwinden,<br />
sondern ein Erzeugnis der Bedürfnisse<br />
des Menschen, seitdem er<br />
sprechen kann. Die Sehnsucht nach<br />
Gerechtigkeit, das Traumhafte und Magische<br />
übten und üben eine unwiderstehliche<br />
Faszination auf uns alle aus.<br />
Wo liegt für Sie der größte Unterschied<br />
zwischen orientalischen<br />
Märchen und deutschen?<br />
Es gibt gar keinen Unterschied, das<br />
kommt daher, dass die Märchen<br />
nomadenhaft wandern und immer<br />
Spuren von der besuchten Kultur mit<br />
und in sich tragen. Doch bei deren<br />
schriftlichen Fixierung traten, je nach<br />
Epoche und Herrschaftssystem, Veränderung<br />
Richtung Zensur, Religiosität<br />
oder Pädagogik à la:… und die<br />
Moral der Geschichte.<br />
Ihr neues Buch „Wenn du erzählst,<br />
erblüht die Wüste“ beweist wieder<br />
einmal, welch hervorragender Geschichtenerzähler<br />
in Ihnen steckt.<br />
Ist das ein Talent oder kann man<br />
sich dieses durch handwerkliche<br />
Übung auch aneignen?<br />
Ich denke, es muss schon etwas in<br />
jemandem stecken, das ihn dazu<br />
bewegt, zu erzählen – manchmal<br />
sogar unter Lebensgefahr, aber dazu<br />
muss man viel üben. Es gehört beim<br />
Schreiben dazu, selbstkritisch zu<br />
sein und nie einen Text nach einer<br />
einzigen Formulierung abzugeben,<br />
sondern ihn liegenzulassen und<br />
nach einem zeitlichen Abstand noch<br />
einmal, oder auch mehrmals, kritisch<br />
zu lesen. Beim mündlichen Erzählen<br />
braucht man ein sehr gutes Gedächtnis,<br />
eine gute Stimme und – vor allem<br />
– Respekt vor dem Publikum.<br />
Wie sah Ihr Zugang zur Literatur aus?<br />
Ich las mich quer durch die Bibliothek<br />
meines Vaters und lernte auf der<br />
Gasse das freie Erzählen. Mein Publikum<br />
war gnadenlos, daher lernte ich<br />
mich sehr gut vorzubereiten.<br />
Hat sich Ihr Schreiben in deutscher<br />
Sprache zu dem in Ihrer Muttersprache<br />
verändert? Wenn ja, inwiefern?<br />
Oberflächlich betrachtet ändert sich die<br />
Form, da die deutsche Sprache anders<br />
als die arabische Sprache ist, doch der<br />
Inhalt, die Dramaturgie des Textes ändert<br />
sich mit, denn die Sprache ist nicht<br />
nur die Hülle des Inhalts, sondern auch<br />
eines seiner wichtigen Bestandteile.<br />
Welche Art der Literatur lesen Sie<br />
heute und wann?<br />
Wenn ich nicht für meinen nächsten<br />
Roman recherchiere (was ich z.Z. auf<br />
den langen Zugfahrten tue), lese ich<br />
relativ breit gefächert, nicht selten<br />
drei Bücher parallel und zu jeder Zeit.<br />
Mein einziger Anspruch ist, sei es bei<br />
einem Sachbuch oder Roman, dass<br />
das Buch mich nicht langweilen darf.<br />
Ich gebe jedem Buch die Frist von<br />
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