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Wenn die Zeit die Wunden nicht heilt

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jahr 1943 nach «arischen» Eltern für ihren zweiten Sohn gesucht. Ihren<br />

ältesten Sohn Samuel hatte sie zwar zeitweilig bei einer litauischen Familie<br />

unterbringen können, doch nachdem sie kein Geld mehr hatte, um<br />

deren Forderungen zu erfüllen, war er in <strong>die</strong> Familie zurückgekehrt.<br />

Nichts als ein Samowar und eine Waage waren der jüdischen Mutter<br />

noch geblieben. Seine spätere polnische Mutter hatte <strong>die</strong>se beiden<br />

einzigen Erinnerungsstücke von Romulads leiblichen Eltern unbeirrt verteidigt<br />

und heute ist er ihr dafür dankbar. Seit zwanzig Jahren stehen<br />

der Samowar und <strong>die</strong> Waage oben auf dem Wohnzimmerschrank.<br />

Die junge Polin Emilia Waszkinel hatte sich sehr ein Kind gewünscht.<br />

Aber sie fürchtete sich, den jüdischen Säugling als Pflegekind aufzunehmen.<br />

Sie waren neu in Święciany, geflüchtet aus einem Nachbarort,<br />

in dem ihr Mann Piotr wegen illegalem Brennen von Branntwein denunziert<br />

worden war und wohnten nun auf engstem Raum. Wie sollte das<br />

Paar den Nachbarn ein Kind ohne Schwangerschaft erklären? Überall<br />

waren missgünstige Spitzel, und <strong>die</strong> Deutschen bestraften Polen, <strong>die</strong><br />

Juden Hilfe leisteten, mit dem Tode. Emilia Waszkinel befand sich in<br />

einem tiefen Gewissenskonflikt. «Sie sind doch eine gläubige Christin»,<br />

hatte <strong>die</strong> fremde Jüdin sie angefleht. «Retten Sie das jüdische Kind im<br />

Namen von Jesus und Sie werden sehen: <strong>Wenn</strong> der kleine Junge gross<br />

wird, dann wird er ein Priester.» Frau Waszkinel nahm das Kind als ihr<br />

eigenes an und liess es auf den Namen Romuald katholisch taufen.<br />

Dass sich <strong>die</strong>se Prophezeiung tatsächlich erfüllt hat, hat Romualds<br />

Ziehvater Piotr Waszkinel kurz vor dessen Tod tief erschüttert und an<br />

den Rand des Wahnsinns getrieben. Vielleicht fühlte er sich auch schuldig,<br />

weil er den Sohn <strong>die</strong>sen Weg hatte einschlagen lassen, ohne ihn<br />

über den tatsächlichen Ursprung seiner Biografie aufgeklärt zu haben.<br />

Vielleicht erahnte er <strong>die</strong> Zerreissprobe, <strong>die</strong> auf Romuald zukommen<br />

würde, falls er im späten Alter <strong>die</strong> Wahrheit erführe. Denn <strong>die</strong>ser hatte<br />

sich ja <strong>nicht</strong> im Bewusstsein seiner jüdischen Herkunft für <strong>die</strong> Priesterweihe<br />

entschieden. Vielmehr war seine Berufswahl wohl mit dem<br />

Wunsch verbunden gewesen, seiner Biografie eine eindeutige Interpretation<br />

zugrunde zu legen, <strong>die</strong> jeden Zweifel an seiner polnischkatholischen<br />

Identität ein für alle Mal ausräumen sollte.<br />

Von seinem ursprünglichen jüdischen Namen erfuhr Romulad erst<br />

nach der Wende 1989, als es ihm möglich wurde, nach Israel zu reisen.<br />

Von der mitreisenden Schwester Klara, <strong>die</strong> im Krieg Jüdinnen aus<br />

Święciany gerettet hatte, erfuhr er, dass es sich bei dem Schneider mit<br />

einem Sohn namens Samuel um Jankel Weksler handelte. Seine Frau

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