Wenn die Zeit die Wunden nicht heilt
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nach, dass <strong>die</strong> gründliche Aufarbeitung von traumatischen Ereignissen<br />
in der Vergangenheit der Erfolgsfaktor für <strong>die</strong> Bewältigung der Konflikte<br />
in der Gegenwart ist! Bei Friedensbestrebungen geht viel <strong>Zeit</strong> verloren,<br />
weil man sich <strong>nicht</strong> <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> nimmt, bis zu den Wurzeln der Konflikte<br />
zurückzugehen. In <strong>die</strong>sen Wurzeln allein finden wir das Spurenmaterial<br />
für deren Bewältigung. Um schneller voranzukommen, ist man geneigt,<br />
Wirklichkeiten auszublenden, deren Beachtung aber von grosser Bedeutung<br />
ist. Diese Wirklichkeiten ordnen sich <strong>nicht</strong> unseren Vorstellungen<br />
von Frieden unter, sondern wir müssen unsere Friedenskonzepte<br />
<strong>die</strong>sen Wirklichkeiten unterordnen. Der längste Weg kann sich als der<br />
kürzeste zur Lösung aktueller Konflikte erweisen. Es gibt keine Abkürzungen.<br />
Aller echter Fortschritt hängt von denen ab, <strong>die</strong> sich aufhalten<br />
lassen, um schneller voranzukommen.<br />
Im ersten Teil des Buches wird am Beispiel des wohl gravierendsten<br />
traumatischen Ereignisses des letzten Jahrhunderts beschrieben, welche<br />
langfristigen, generationsübergreifenden Folgen traumatische Ereignisse<br />
haben, deren Verarbeitung – aus welchen Gründen auch immer<br />
– <strong>nicht</strong> hinreichend erfolgen konnte. Da es uns um einen vertieften<br />
Einblick in <strong>die</strong> Mechanismen unseres psychohistorischen Erbes und<br />
dessen Kontinuitäten in der Gegenwart geht, lag <strong>die</strong> detaillierte Nahaufnahme<br />
eines Ereignisses auf der Hand. Ich habe <strong>die</strong> Shoah gewählt.<br />
Dem Leser wird anhand von anschaulichen Fallbeispielen transparent<br />
gemacht, wie eine bittere Wurzel, <strong>die</strong> <strong>nicht</strong> vollständig durch Aufarbeitung<br />
ausgerissen werden konnte, immer wieder neue Triebe hervorbringt,<br />
und sich so Elemente der Vergangenheit, <strong>die</strong> man loswerden<br />
kann, in veränderter Form wiederholen. Das <strong>nicht</strong> verarbeitete Erbe der<br />
vorangegangenen Generationen ist eine der Ursachen für das ständige<br />
Aufflammen neuer, wenn auch von ihrer Logik her wesensgleicher,<br />
Brandherde.<br />
Eine unserer Wirklichkeiten ist <strong>die</strong> Gegenwärtigkeit unverarbeiteter<br />
Vergangenheit. Dieser Wirklichkeit sich zu stellen kann zum Ausgangspunkt<br />
werden für eine neue Zuversicht, <strong>die</strong> uns persönlich und gesellschaftlich<br />
dem Frieden näherbringt.<br />
Das Buch zeichnet nach, dass <strong>die</strong> Geschichte anders verlaufen wäre,<br />
hätten vor allem <strong>die</strong> Täter sich <strong>nicht</strong> in Schweigen gehüllt, sondern den<br />
Mut aufgebracht, zu sprechen. Durch <strong>die</strong>ses Schweigen der Eltern hat<br />
<strong>die</strong> Neugierde, <strong>die</strong> in der ersten Generation noch weitgehend unterdrückt<br />
werden konnte, in der zweiten und dritten Generation umso mehr<br />
zugenommen. Das Schweigen hat einige der Kinder in Verzweiflung