Wenn die Zeit die Wunden nicht heilt
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IDIE BOTSCHAFT<br />
DIESES BUCHES<br />
«Wer aber vor der Vergangenheit <strong>die</strong> Augen verschließt,<br />
wird blind für <strong>die</strong> Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit<br />
<strong>nicht</strong> erinnern will, der wird anfällig für neue<br />
Ansteckungsgefahren.»<br />
Richard von Weizsäcker, Bundespräsident a. D., anlässlich der Gedenkstunde<br />
zu 40 Jahren Kriegsende im Plenarsaal des Deutschen Bundestages<br />
am 8. Mai 1985<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten viele Menschen in Europa<br />
mit unzähligen unverarbeiteten Traumata weiterleben. Wer hatte<br />
schon <strong>Zeit</strong> zum Zuhören? Als Folge <strong>die</strong>ses Dilemmas konnte eine<br />
Grundstimmung gedeihen, <strong>die</strong> einer neu aufbrechenden Gewaltbereitschaft<br />
wenig entgegenzusetzen hatte. Wie Waldbrände, <strong>die</strong> sich immer<br />
rascher ausbreiten, zeigen sich allerorts <strong>die</strong> Spätfolgen unzureichend<br />
aufgearbeiteter Vergangenheit.<br />
Politik und Diplomatie sind damit überfordert, den Ursachen und Kausalketten<br />
der zunehmend aufflammenden Brände nachzugehen. Sie<br />
begnügen sich mit Löscharbeiten. Die <strong>nicht</strong> aufgearbeiteten traumatischen<br />
Vorbelastungen erweisen sich aber als hartnäckige Glutherde,<br />
<strong>die</strong> unter der Oberfläche der kurzfristig gelöschten Brände weiterschwelen,<br />
um immer wieder erneut auszubrechen.<br />
Die nachgeborenen Generationen der Täter und der Opfer des Zweiten<br />
Weltkrieges ahnen, dass das vergangene Leben ihrer Eltern mit ihrer<br />
gegenwärtigen Befindlichkeit etwas zu tun hat. Sie wuchsen unter ihrem<br />
Schweigen auf. Sie ahnen, dass sie <strong>die</strong> Kenntnis über das ihnen vorenthaltene<br />
Puzzlestück der Vergangenheit dringend zur eigenen Orientierung<br />
brauchen, um ihre Herkunft, ihre Gefühlswelt, ihre eigene Identität<br />
deuten zu können.<br />
Dieses Buch reflektiert kritisch <strong>die</strong> unzureichende Aufarbeitung traumatischer<br />
Ereignisse und Erlebnisse. Es zeichnet <strong>die</strong> Konsequenzen<br />
<strong>die</strong>ses Defizits für <strong>die</strong> nächsten Generationen nach. Es zeigt Impulse<br />
auf, wie Aufarbeitung sowohl im persönlichen wie auch im gesellschaftlichen<br />
Umfeld konkret geschehen und umgesetzt werden kann. Es weist<br />
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