Familiengeschichte Johner OHG Kapitel 1: Auf und Ab ... - con-texte
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<strong>Familiengeschichte</strong> <strong>Johner</strong> <strong>OHG</strong><br />
<strong>Kapitel</strong> 1: <strong>Auf</strong> <strong>und</strong> <strong>Ab</strong> einer Unternehmer-Familie<br />
Die Reise durch 200 Jahre deutsche Wirtschaftsgeschichte<br />
ist in Bernhard <strong>Johner</strong>s mitternachtsfarbenem Mercedes in<br />
fünf Minuten zu machen. Sie führt durch ein ziemlich<br />
unscheinbares Dorf, das schwäbische Wiesbach. Das Haus<br />
des ersten »Mechanikus« in der Familie – dessen, der in<br />
Wiesbach mit der Metallverarbeitung anfing – steht nicht<br />
mehr, wohl aber das mächtige, kleinfenstrige Haus seines<br />
Sohnes, des Urgroßonkels Konrad <strong>Johner</strong>. Ein Anwesen,<br />
das heute noch imposant wirkt <strong>und</strong> vom damaligen<br />
Wohlstand zeugt. Hier war freilich Platz für eine große<br />
Werkstatt, hier wurden Uhrenbestandteile gedreht.<br />
Dann fährt der Seniorchef des heutigen Unternehmens an<br />
einem schlichten Wohnhaus vorbei, nahe am Ortskern<br />
gelegen. Kleiner als das vom Konrad <strong>Johner</strong>, <strong>und</strong> von<br />
einer Werkstatt oder gar Fabrik keine Spur. <strong>Ab</strong>er da<br />
waren die 40 Quadratmeter ebenerdig, auf denen in den<br />
50er Jahren des vergangenen Jahrh<strong>und</strong>erts die ersten<br />
Maschinen der <strong>Johner</strong> <strong>OHG</strong> ratterten, eingehüllt in den<br />
Dampf des Kühlöls, der den ganzen Raum vernebelte.<br />
Heute nimmt das Unternehmen den 50fachen Platz ein, in<br />
einem der Industriegebiete des Ortes <strong>und</strong> ist ein<br />
mittelgroßer Hersteller für Präzisions-Drehteile. Das<br />
Unternehmen hat sich unter den ganz neuen<br />
Gegebenheiten der Globalisierung bestens behauptet. Im<br />
Moment der Niederschrift seiner Geschichte wird es von<br />
der Bankenkrise geschüttelt. <strong>Ab</strong>er Krisen <strong>und</strong> Brüche
kennt die Familie seit 200 Jahren. Rückschritte,<br />
Fortschritte.<br />
Im Haus aus den 30er Jahren des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts, ganz<br />
in der Nähe der Kirche gelegen, wohnen jetzt zwei<br />
Familien mit ihren Kindern. <strong>Ab</strong>er vor 50 Jahren horchte<br />
Franziska <strong>Johner</strong>, die Großmutter der beiden heutigen<br />
Firmeninhaber, auf den gleichförmigen Rhythmus der<br />
laufenden Maschinen, während sie für den Betrieb ihres<br />
Nachbarn in Heimarbeit Kugelschreiberminen<br />
zusammenbaute oder für sich <strong>und</strong> ihre vier Kinder das<br />
Mittagessen kochte. Das Geräusch gehörte zu ihrem<br />
Alltag, es bedeutete Betrieb <strong>und</strong> Leben, das sich<br />
unermüdlich <strong>und</strong> konstant bewegte <strong>und</strong> drehte, so wie die<br />
Spindeln in den Maschinen, die die rohen Metallstangen<br />
drehten <strong>und</strong> halfen, sie in Muttern <strong>und</strong> Bolzen zu<br />
verwandeln. Bernhard <strong>Johner</strong> war ihr Ältester, 25, <strong>und</strong> ihr<br />
Mann schon tot.<br />
Franziska <strong>Johner</strong> war, wie viele Wiesbacherinnen zu der<br />
Zeit, Fabrikarbeiterin <strong>und</strong> nebenberuflich Landwirtin. Seit<br />
dem Tod ihres Mannes war sie auch Inhaberin des<br />
Familienunternehmens. Das Geräusch der Maschinen<br />
hörte man damals aus vielen Wiesbacher Kellern,<br />
Garagen oder Schuppen: Der Ort war <strong>und</strong> ist ein Zentrum<br />
der Drehteileindustrie. Unauffällig eingebettet in eine<br />
abwechslungsreiche Landschaft <strong>und</strong> angelehnt an den<br />
mächtigen Heuberg, sieht Wiesbach wirklich nicht aus wie<br />
der am höchsten industrialisierte Ort Deutschlands, der er<br />
ist: 95% der arbeitenden Bevölkerung ist in der Industrie
tätig, die Quote der Berufstätigen ist auch unter den<br />
Frauen hoch.<br />
An Wiesbach scheint erst einmal überhaupt nichts<br />
bemerkenswert zu sein. Ein mittelgroßer Ort, hübsch<br />
eingebettet in eine Mulde. Man muss, wie überall im Kreis<br />
Tuttlingen, schon sehr genau hinsehen, um auf die Idee<br />
zu kommen, dass man sich in einer hoch industrialisierten<br />
Gegend bewegt. Keine rauchenden Schlote, keine<br />
Industriehalden, keine Ansammlungen garstiger, lieblos<br />
hingestellter Fabrikanlagen, keine einbetonierten, toten<br />
Gewässer. Es sieht eher nach ländlichem Idyll aus, die<br />
Landschaft ist w<strong>und</strong>erschön, das 20 Kilometer entfernte<br />
Donautal eine Attraktion für Wanderer <strong>und</strong> Kajakfahrer.<br />
Im Sommer wirkt Wiesbach idyllisch. Weckt die Lust, sich<br />
die Wäldchen, die Wiesen, das noch bescheidene Tal des<br />
Beera-Bachs zu erschließen. Es geht auf <strong>und</strong> ab, <strong>und</strong> über<br />
allem steht der 1015 Meter hohe Lemberg, höchste<br />
Erhebung der Schwäbischen Alb, mit einem eisernem<br />
Turm, auf dessen oberster Plattform sich dem Wanderer<br />
eine herrliche Aussicht bis hinüber zum Schwarzwald <strong>und</strong><br />
im Süden auf die Schweizer Alpen bietet. Wenn das<br />
Wetter jedoch schlecht ist, merkt man, wie hoch der Ort<br />
liegt <strong>und</strong> wie kalt es deswegen da ist. Der kälteste Ort<br />
Deutschlands – Stetten am kalten Markt – liegt nicht weit<br />
weg. Wiesbach liegt an der europäischen Wasserscheide,<br />
balancierend auf diesem Rücken, an dem entlang sich die<br />
europäischen Flüsse entscheiden, ob sie Richtung Osten<br />
ins Schwarze Meer oder Richtung Westen in den Atlantik<br />
fließen. Grenzland also, das in die eine wie die andere
Richtung blickt, sich aber stets mehr nach Westen <strong>und</strong><br />
Süden hin orientiert hat, nach Frankreich, in die Schweiz<br />
<strong>und</strong> nach Österreich natürlich, wovon das Örtchen bis<br />
1805 auch Teil war.<br />
Die Gegend ist, mit dem Stuttgarter Umland, einer der<br />
Konjunkturmotoren der B<strong>und</strong>esrepublik. Hier werden die<br />
Exportschlager hergestellt, auf die manche europäische<br />
Nachbarländer ziemlich neidisch sind. Der Landkreis<br />
Tuttlingen gehört zum »Musterländle«, das Theodor Heuss<br />
einst als »Muster deutscher Möglichkeiten« empfahl. Die<br />
Arbeitslosigkeit liegt in normalen Zeiten bei unter fünf<br />
Prozent, eine Traumzahl für den Rest der Republik. In den<br />
vergangenen Jahren wurden Arbeitsplätze geschaffen,<br />
nicht abgebaut – auch im Betrieb der <strong>Johner</strong>s, der vor<br />
allem Teile herstellt, die der Endverbraucher kaum zu<br />
Gesicht bekommt, weil sie wiederum in Maschinen<br />
eingebaut werden: Achsen, Wellen, Drehteile. Ein<br />
typischer Zulieferbetrieb.<br />
Moderne Maschinen stoßen solche Metallteile fast im<br />
Sek<strong>und</strong>entakt aus. Im heutigen Betrieb der <strong>Johner</strong> <strong>OHG</strong><br />
kommen sie von einem dünnen Film aus Öl umgeben auf<br />
die Welt, werden von Maschinen gereinigt <strong>und</strong> von<br />
anderen Maschinen ins turmhohe Palettenlager<br />
transportiert. Maschinen produzieren <strong>und</strong> verarbeiten<br />
Teile für Maschinen, dazwischen ein paar Menschen. Was<br />
manchem heutzutage als Alptraum erscheinen mag,<br />
ersehnte Bernhard <strong>Johner</strong>s Bruder Helmut, der später<br />
einen Betrieb in den USA aufbaute, sehr. Er hat von so<br />
einem Arbeiten ohne körperliche Mühen geträumt als<br />
kleiner Junge, während er zusah, wie sein Vater
schuftete. Wie der Mann immer wieder die gleichen,<br />
kraftaufwändigen Bewegungen ausführte, über die<br />
Zahnzangen gebeugt, die er fräsen, feilen <strong>und</strong> polieren<br />
musste, oft zwölf St<strong>und</strong>en am Tag oder mehr. Es gab<br />
Momente, in diesen vierziger Jahren des vergangenen<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts, da empfand der kleine Junge Mitleid mit<br />
dem Vater.<br />
Bernhard <strong>Johner</strong>, sein großer Bruder, hat die Schufterei<br />
auch gekannt. Die Not auch. Im Hungerwinter nach dem<br />
2. Weltkrieg musste er Kartoffeln betteln gehen für sich<br />
<strong>und</strong> die Seinen. Er erzählt das, im hellen, kobaltblau <strong>und</strong><br />
hellgrau gehaltenen Besprechungszimmer seines<br />
Unternehmens sitzend, so ruhig <strong>und</strong> selbstverständlich<br />
wie die anderen Erfahrungen seines Lebens – warum auch<br />
nicht übrigens, es war nichts Besonderes, so viele<br />
mussten das damals tun. Für Bernhard <strong>Johner</strong> <strong>und</strong> die<br />
anderen Menschen seiner Generation in der Gegend ist<br />
Wohlstand noch nichts Selbstverständliches. Die Härten<br />
des Lebens sind ihm präsent, aber zugleich auch<br />
bewältigbar durch Einsatz, Intelligenz <strong>und</strong><br />
Zusammenstehen mit Familie <strong>und</strong> Kollegen.<br />
Er erzählt eigentlich alles so ziemlich gleich genau <strong>und</strong><br />
ruhig. Ob es um die Nöte seines Vaters während des Nazi-<br />
Regimes geht oder um sein Bangen, ob die Konjunktur<br />
rechtzeitig anzieht, um seinen Betrieb über die R<strong>und</strong>en zu<br />
bringen, damit all die Mühe nicht umsonst war. Als seien<br />
seine Neugier, sein Interesse am Erlebten <strong>und</strong> daran, es<br />
richtig wiederzugeben, noch größer als alle mit dem<br />
Erlebten verb<strong>und</strong>enen Gefühle. Vor fünfzehn Jahren hat<br />
Bernhard <strong>Johner</strong> einen Herzinfarkt gehabt; auch im
Frühjahr 2003 ist er dem Tod, knapp entronnen: Da<br />
waren schon alle Kinder ums Krankenhausbett<br />
versammelt, der Stift lag bereit, um die letzten Dinge zu<br />
sagen. Das hat ihm den Blick fürs Wesentliche geschärft<br />
<strong>und</strong> das Leben kostbarer gemacht, manche Probleme<br />
relativiert.<br />
Die immergleichen Bewegungen an der Maschine,<br />
st<strong>und</strong>enlang! Für den Senior nicht weiter erwähnenswert,<br />
aber sein Sohn Martin kann sich an die so verbrachten<br />
schulfreien Samstagvormittage gut erinnern. Bis in die<br />
70er Jahre gab es diese eintönige Tätigkeit an den so<br />
genannten Nachbearbeitungsmaschinen noch.<br />
Gewindestift rein in die Führung der Maschine, Hebel nach<br />
vorne drücken, damit die Maschine den Schlitz fräst, oder<br />
die Fläche poliert, Hebel zurückziehen, Stift raus. Neuer<br />
Gewindestift rein, Hebel vordrücken. . . drei Bewegungen,<br />
auszuführen im Sek<strong>und</strong>entakt, die dem Körper<br />
st<strong>und</strong>enlang ihren Rhythmus diktierten. So sah das<br />
Arbeitsleben mancher Arbeiter <strong>und</strong> insbesondere vieler<br />
Arbeiterinnen nicht nur in der Metallindustrie aus, bis die<br />
Rationalisierung so weit fortgeschritten war, dass die<br />
Maschinen solche Hilfen nicht mehr brauchten bei der<br />
Produktion.<br />
Wenn Bernhard <strong>Johner</strong> so an einer Maschine stand, was<br />
auch später, als der Betrieb gewachsen war, immer<br />
wieder vorkam, war es für ihn sicher anders. Denn er hat<br />
immer auch den kreativen Anteil an dieser<br />
Arbeitngekannt; das, was der Bedienung der<br />
Nachbearbeitungsmaschine vorangeht: Das Konzipieren
des Fertigungsablaufs eines Drehteils auf dem<br />
Drehautomaten, die Auswahl der geeigneten Werkzeuge<br />
<strong>und</strong> das Einrichten dieser Maschine, damit die<br />
Produktion schnell, reibungslos <strong>und</strong> automatisch<br />
funktionierte. Wenn Bernhard <strong>Johner</strong> an einer Maschine<br />
stand, musste er sich zwar auch einem Rhythmus<br />
anpassen, aber er war es gewesen, der diesen Rhythmus<br />
festgelegt hatte.<br />
Ihm als gelerntem Chirurgie-Mechaniker war diese Arbeit<br />
des Maschineneinrichters zwar nicht ganz fremd, doch sie<br />
forderte von ihm fortwährende berufliche Weiterbildung,<br />
den Austausch mit Kollegen über deren Erfahrung <strong>und</strong><br />
auch die Unterstützung durch Maschinen- <strong>und</strong><br />
Werkzeuglieferanten. »Das war Nichts für Einzelkämpfer«,<br />
erinnert sich Bernhard <strong>Johner</strong>.<br />
Er kann sich noch genau daran erinnern, wie man<br />
während <strong>und</strong> nach dem Krieg aus einer rohen<br />
Metallstange Muttern <strong>und</strong> Schrauben herstellte, <strong>und</strong> wie<br />
man die Maschinen dafür einrichtete, manchmal sogar<br />
umbauen musste. <strong>Ab</strong>er er weiß auch, wie man moderne,<br />
computergesteuerte Automaten programmiert, deren<br />
tägliche produzierte Massen nur Lastwagen bewältigen<br />
können. In den 50ern hat Bernhard <strong>Johner</strong> seine fertigen<br />
Teile noch selbst mit dem Fahrrad zur Post oder zur Bahn<br />
gebracht. Zwischen diesen beiden Zeitpunkten liegt die<br />
stille, industrielle Revolution, wegen der wir heute ein<br />
völlig anderes, so viel komfortableres Leben führen als<br />
unsere Großeltern. Das, was im Nachhinein<br />
Wirtschaftsw<strong>und</strong>er genannt wurde. Sie hat auch Wiesbach<br />
<strong>und</strong> seine Bewohner verändert, aber nicht dramatisch. Die
Lebenseinstellung, die Kardinaltugenden Erfindungsgeist,<br />
Fleiß, Zuverlässigkeit sind geblieben. Die Wiesbacher<br />
haben die Entwicklung ja nicht passiv erduldet, sondern<br />
mit getragen <strong>und</strong> gestaltet.<br />
Der Großmutter Franziska hat es gar nicht gefallen, als<br />
ihrem Sohn Bernhard in den 60er Jahren der Betrieb aus<br />
allen Nähten platzte <strong>und</strong> er sehr erleichtert die 40<br />
Quadratmeter im Haus räumte, um samt Maschinen <strong>und</strong><br />
zwei Arbeiterinnen ein paar h<strong>und</strong>ert Meter weiter zu<br />
ziehen. Von der Lemberg- in die Hohenbergstraße in einen<br />
bescheidenes Flachbau, der aber immerhin dreimal so viel<br />
Platz bot wie die erste Werkstatt. Da war Franziskas Mann<br />
schon vierzehn Jahre tot, ihre Jüngste gerade volljährig,<br />
also flügge geworden. Die Maschinen nicht mehr zu hören,<br />
die <strong>Ab</strong>wesenheit, das hat sie unruhig gemacht, als habe<br />
man sie vom stetig klopfenden Herzen der Familie<br />
entfernt. Kein W<strong>und</strong>er, war der Umzug doch ein<br />
sozusagen historischer Schritt, den viele Wiesbacher<br />
Kleinbetriebe zu der Zeit schon gemacht hatten: Die<br />
Trennung von Alltags- <strong>und</strong> Arbeitsleben. Das Ende vom<br />
Leben mit der Drehbank, die bei etlichen Wiesbacher<br />
Familien buchstäblich in der Stube gestanden hatte;<br />
so war es seit h<strong>und</strong>ert Jahren im Ort üblich gewesen.<br />
Da ist es nur folgerichtig, dass die heute hinter einem<br />
Wohnhaus verborgene Werkstatt Bernhard <strong>Johner</strong>s auch<br />
bald ausgedient hatte <strong>und</strong> der Betrieb vom Wohn- ins<br />
Gewerbegebiet umzog, in die Weiherstraße. Dieser dritten<br />
Bleibe des <strong>Johner</strong>schen Betriebs sieht man schon die<br />
Fabrik an, mehrstöckig, mit Zufahrtsrampe. Es liegt an der<br />
Hauptstraße gleich beim Ortseingang, wo die Lastwagen
mit ihren schweren Metallladungen leichter rangieren<br />
können <strong>und</strong> keine Anwohner mit Lärm <strong>und</strong> <strong>Ab</strong>gasen<br />
belästigen. Um für diesen Umzug reif zu werden, hat der<br />
<strong>Johner</strong>sche Betrieb elf Jahre gebraucht, aber Franziska hat<br />
das nicht mehr erlebt. Sie ist drei Jahre nach dem Auszug<br />
des Familienbetriebs aus ihrem Haus gestorben –<br />
Herzversagen.<br />
<strong>Auf</strong> der kleinen Verkehrsinsel am Ortseingang von<br />
Wiesbach, um die ein Kreisverkehr organisiert ist,<br />
steht eine Skulptur aus Metall, eine Stange, um die sich<br />
mehrere Sphären drehen. Damit man gleich bei der<br />
Ankunft sieht, welche Bewegung es ist, die Wiesbach<br />
<strong>und</strong> seine Bewohner am Laufen hält. Eine ganz einfache<br />
Bewegung eigentlich, das Kreisen. <strong>Ab</strong>er unendlich<br />
variabel, je nachdem, welches Instrument in welchem<br />
Winkel wie lange <strong>und</strong> mit welcher Geschwindigkeit aufs<br />
Werkstück trifft – aber da wird es wieder sehr komplex.<br />
Die Wiesbacher hatten damit schon Erfahrung, als das<br />
Grimmsche Wörterbuch noch gar nichts wusste von<br />
drehender Metallverarbeitung. Die Gebrüder kannten,<br />
als ihr bahnbrechendes Werk 1860 erschien, nur das<br />
Drechseln – sozusagen das Gleiche in Holz. Im Weiler<br />
Harras, nahe Wiesbach, wird dagegen schon seit 1679<br />
Metall geschmolzen <strong>und</strong> verarbeitet – allerdings heiß<br />
geschmiedet <strong>und</strong> nicht kalt bearbeitet, wie das Bernhardin<br />
<strong>Johner</strong> <strong>und</strong> später auch seine Söhne <strong>und</strong> deren Kollegen<br />
praktizierten.<br />
Am Wiesbacher Kreisverkehr mit den Sphären geht’s<br />
geradeaus in den Ort, rechts <strong>und</strong> links in Gewerbegebiete<br />
<strong>und</strong> rechts zum derzeitigen Standort der heutigen <strong>Johner</strong>
<strong>OHG</strong>. Links steht noch das alte, zweistöckige Fabrik-<br />
gebäude, in dem irgendwann auch wieder produziert<br />
werden wird, wenn das Unternehmen mehr Platz braucht.<br />
Für die <strong>Johner</strong>s sind die Wirtschaftskrisen bisher<br />
gekommen <strong>und</strong> wieder vergangen, ohne großen Schaden<br />
anzurichten. Die Stichworte Globalisierung <strong>und</strong><br />
internationale Konkurrenz bringen Bernd <strong>und</strong> Martin<br />
<strong>Johner</strong>, die jetzt Regie führen über den Familienbetrieb,<br />
nicht aus der Ruhe. Die <strong>Johner</strong> <strong>OHG</strong> ist für die meisten<br />
ihrer K<strong>und</strong>en ein so genannter A-Lieferant: Erste Wahl.<br />
Von ihren Büros aus haben die beiden Firmenchefs den<br />
rechten Überblick <strong>und</strong> die Gelassenheit, wenn nicht über<br />
den Dingen, so doch zumindest über dem Ort <strong>und</strong> seinen<br />
Wiesen <strong>und</strong> Hügeln zu stehen. Das hellgraue Gebäude<br />
des Betriebs sitzt an einem Hügel, hinten geschützt<br />
von einem Wäldchen <strong>und</strong> vorne mit einem Ausblick bis<br />
hinüber zum Schwarzwald. Hinüber zu den ganz alten<br />
Wurzeln des Unternehmens sozusagen, denn die Dreherei<br />
kam ursprünglich aus dem Schwarzwald nach Wiesbach,<br />
über die Schwarzwälder Uhrmachereien. Sie brachten im<br />
vorletzten Jahrh<strong>und</strong>ert viele Wiesbacher Familien dazu,<br />
sich irgendwie mit Metallverarbeitung zu befassen.<br />
Im Rücken hat der Betrieb die <strong>Ab</strong>hänge des Lembergs<br />
<strong>und</strong> des Hochbergs, vor sich die <strong>Ab</strong>hänge des Heubergs.<br />
<strong>Auf</strong> dem befindet sich eine weite stille Hochfläche mit<br />
ihrem lebendigen Wechsel zwischen Wald, Wiesen <strong>und</strong><br />
winzigen Ansammlungen schmucker Häuser. Das dort<br />
gewonnene Heu war <strong>und</strong> ist für seine Qualität berühmt,<br />
aber sonst wächst da nicht viel <strong>und</strong> bis vor ein paar
Jahrzehnten war die zugige, 1000 Meter hoch liegende<br />
Ebene gefährlich in der kalten Jahreszeit. Wanderer,<br />
die sich in Nebel <strong>und</strong> Kälte dort verirrten, konnten im<br />
handylosen Zeitalter leicht die Orientierung verlieren <strong>und</strong>,<br />
wenn es wirklich bitter kalt war, auch umkommen.<br />
Der Kargheit der Böden haben die Bewohner der Gegend<br />
letztlich <strong>und</strong> endlich – nach manchen Perioden schlimmen<br />
Hungerleidens – ihren heutigen Wohlstand zu verdanken.<br />
Hier hat man von der Landwirtschaft allein nie gut leben<br />
können, <strong>und</strong> schon gar nicht mehr, als um 1800 herum<br />
die Bevölkerung stark zu wachsen begann. Wiesbach hat<br />
mit 963 ha eine der geringsten Gemarkungsflächen von<br />
allen Heuberggemeinden. Man musste dazuverdienen<br />
durch ein Handwerk, <strong>und</strong> das ehemalige Zubrot hat sich<br />
zu einem Industriezweig der B<strong>und</strong>esrepublik entwickelt,<br />
dem es im Rhythmus der Konjunktur für die<br />
Automobilindustrie meist eher gut geht. Ein Landstrich,<br />
von dem der Wirtschaftshistoriker Willi Boelcke 1989<br />
schrieb: »Der deutsche Südwesten ist der dritten<br />
technisch-industriellen Revolution besser gewachsen als<br />
andere Wirtschaftsregionen«. Was mit damit zu tun habe,<br />
dass die Betriebe kontinuierlich modernisiert würden <strong>und</strong><br />
für derartige Investitionen auch vorgesorgt werde.<br />
<strong>Auf</strong> seine Art hat das der Seniorchef auch praktiziert, als<br />
er noch das Ruder seines Betriebs in den Händen hielt.<br />
Bloß , dass von gemütlichen Investitionspolstern nicht die<br />
Rede sein konnte. Wenn mal wieder erweitert <strong>und</strong><br />
modernisiert worden war, war das Geld schon auch mal<br />
Existenz gefährdend knapp. Dafür hat Bernhard <strong>Johner</strong><br />
den Traum eines jeden Elternteils verwirklicht, nämlich<br />
den, dass die Kinder es mal besser haben sollen als man
selbst. Seine beiden Ältesten wissen, was Feierabend ist,<br />
sie haben diverse Hobbys, denen sie nachgehen <strong>und</strong> sie<br />
müssen nicht mehr um ihre persönliche, wirtschaftliche<br />
Existenz bangen, wenn mal wieder eine Investition fällig<br />
wird, um den Betrieb technisch auf den neuesten Stand<br />
zu bringen.<br />
Es ist kein Zufall, dass man sich gleich wohl fühlt, wenn<br />
man die hellen, hohen Räume des Betriebs betritt.<br />
Ein kompetenter Chef überlässt so etwas heutzutage nicht<br />
mehr seinen persönlichen Vorlieben. Kein Mensch kannte<br />
vor 50 Jahren auch nur den Begriff »Image«. Die Söhne<br />
Martin <strong>und</strong> Bernd <strong>Johner</strong> schon, beide haben auch studiert<br />
– wieder etwas, was für ihren Vater ein Traum bleiben<br />
musste – <strong>und</strong> sie haben mit dem Architekten zusammen<br />
das Raumkonzept <strong>und</strong> die Ausgestaltung festgelegt.<br />
Ihnen war also völlig klar, dass es sich lohnte, in eine<br />
Werbe-Agentur zu investieren, die sich was überlegt zum<br />
»<strong>Auf</strong>tritt« der Firma. Die haben auch den Maler vermittelt,<br />
der die modernen <strong>und</strong> dezent dekorativen Gemälde<br />
gemacht hat.<br />
In den Geschäftsräumen ist der einzige Hinweis darauf,<br />
dass hier Metall zerspant, in Form gebracht, poliert wird<br />
mit ungeheuren Kräften, der eigentümliche Geruch. Ganz<br />
leicht nach Fisch oder Meer, aber das liegt vielleicht daran,<br />
dass man den Geruch von Industrie-Öl fast nur noch kennt<br />
von Schiffen, den Fähren beispielsweise, die nach Korsika<br />
oder Dänemark übersetzen. Dazu das Surren der 250<br />
Maschinen – <strong>und</strong> doch geht es angesichts der hier<br />
produzierten Mengen geradezu still <strong>und</strong> unhektisch zu.
50000 Liter Öl sind hier im Umlauf, sie kühlen die<br />
Werkstücke <strong>und</strong> Maschinen, in denen Metall auf Metall<br />
reibt <strong>und</strong> sich erhitzt. 25 Tonnen Stahl gehen täglich durch<br />
die Maschinen, die 350000 Drehteile ausspucken, matt<br />
schimmernd in ihrer Ölschicht, glatt <strong>und</strong> gewichtig in der<br />
Hand liegend in ihrer vollkommenen Symmetrie.<br />
Die Tendenz, was Ausstoß <strong>und</strong> Beschäftigtenzahl angeht,<br />
war bis zur Bankenkrise steigend. Die <strong>Johner</strong> <strong>OHG</strong> ist<br />
heute einer der modernsten Betriebe der Gegend.<br />
Das hätte man vor vierzig Jahren von Bernhard <strong>Johner</strong>s<br />
kleiner Fabrik nicht sagen können. Wobei auch der damals<br />
etwas von Maschinen verstand (verpasstes Studium<br />
hin oder her) <strong>und</strong> darauf achtete, nur das jeweils<br />
Bestgeeignete für seinen Betrieb zu bekommen.<br />
<strong>Ab</strong>er auf dem großen Rad des Lebens <strong>und</strong> der Geschichte,<br />
das nach oftmals <strong>und</strong>urchsichtigen Gesetzen mal die<br />
einen, mal die anderen nach oben dreht <strong>und</strong> wieder<br />
zurückwirft, war die Familie <strong>Johner</strong> seit mindestens 200<br />
Jahren immer mal wieder oben oder sogar – ein wenig –<br />
an der Radachse mitdrehend. Die Geschichte der Familie<br />
<strong>Johner</strong> spiegelt die wirtschaftliche Entwicklung der Gegend<br />
wider, mit allem <strong>Auf</strong> <strong>und</strong> <strong>Ab</strong>. Die <strong>Johner</strong>s haben im 19.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert die technischen, wirtschaftlichen, <strong>und</strong> auch<br />
politischen Entwicklungen in Wiesbach beeinflusst – der<br />
erste Mechanikus von Wiesbach wird in der Ortschronik<br />
erwähnt als einer der 1848 zum ersten Mal frei <strong>und</strong><br />
geheim gewählten Gemeinderäte.<br />
<strong>Ab</strong>er dann vernichteten Krieg <strong>und</strong> Inflation den Reichtum<br />
der Familie. Als der heutige Bernhard <strong>Johner</strong> dran war,<br />
war wieder einmal das mühselige <strong>Auf</strong>wärtsdrehen
angesagt. Das war auch seines Vaters Schicksal, der eines<br />
schwierigen Tages seufzend zu seinem Sohn Bernhard<br />
sagte: »Weißt du, du musst nicht glauben, dass wir immer<br />
so schuften mussten, wir waren mal ein wohlhabendes<br />
Geschlecht!« Es gibt Zeiten in dieser <strong>Familiengeschichte</strong>,<br />
in denen nur ein dünner Faden aus Stolz <strong>und</strong> Eigensinn<br />
die Verbindung mit einer besseren Vergangenheit aufrecht<br />
erhielt <strong>und</strong> Richtung bessere Zukunft führte.<br />
Der Ur-Großvater <strong>und</strong> die Ur-Großonkel Bernhard <strong>Johner</strong>s<br />
gehörten im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert nicht nur zu den<br />
erfolgreichsten Unternehmern Wiesbachs, sondern waren<br />
auch selbstbewusst genug, diesen Reichtum zur Schau zu<br />
tragen. Von seinem Urgroßvater wird Robert <strong>Johner</strong> nicht<br />
mehr so viel gewusst haben – Bernhardin war in Wiesbach<br />
ein geachteter Mann, sonst wäre er nicht Gemeinderat<br />
geworden. Er brachte die erste industrielle Revolution<br />
nach Wiesbach. Seine technischen Fertigkeiten, die er<br />
an seine Söhne <strong>und</strong> Schüler weitergab, haben mit dazu<br />
beigetragen, dass der legendäre Fleiß <strong>und</strong> die Sparsamkeit<br />
der Heuberger auch in Wiesbach Früchte tragen konnten.<br />
Nicht dass er revolutionäre Erfindungen gemacht hätte.<br />
Darin waren die Deutschen Anfang des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
gar nicht gut. Das Land war zu sehr mit seiner<br />
Kleinstaaterei beschäftigt, um ein guter Nährboden für<br />
spektakuläre, wirtschaftliche Entwicklungen zu sein.<br />
In Deutschland fand die Industrialisierung wegen<br />
fehlender Rohstoffe <strong>und</strong> Bodenschätze ja spät statt,<br />
Vorreiter war England. <strong>Ab</strong>er in Wiesbach <strong>und</strong> dem<br />
Landstrich drum herum wurden alle neuen Entwicklungen<br />
begierig aufgenommen. Die Messerschmiede in Tuttlingen
eisten nach Paris, um sich weiter zu bilden <strong>und</strong> dort das<br />
Herstellen chirurgischer Instrumente zu lernen.<br />
Die Uhrmacher im Schwarzwald fertigten auf einfachen,<br />
fußbetriebenen Drehbänken die Teile für ihre berühmten<br />
Uhren. Die Metallverarbeitung hat eine lange Tradition im<br />
Landkreis Tuttlingen – schon Ende des 17. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
gab es auch in Tuttlingen-Ludwigstal ein Hüttenwerk.<br />
Auch nach Bernhardin <strong>Johner</strong> bleibt die Geschichte der<br />
Familie <strong>Johner</strong> eng verknüpft mit der der wirtschaftlichen<br />
Entwicklung Wiesbachs. Schüler der Schüler von<br />
Bernhardin werden wiederum seine Urenkel ausbilden.<br />
Die Männer, die Bernhardins Lehrling Quirin Weiß<br />
ausgebildet hat, werden die Betriebe aufbauen, die heute<br />
das Wiesbacher Wirtschaftsleben bestimmen. Quirins Weiß<br />
Sohn Johannes hat eine Seifenfabrik aufgebaut, die es<br />
heute noch gibt.<br />
Der Sohn von Quirins Lehrling Wenzel, der auffallender<br />
Weise genau so heißt wie Quirins Sohn, nämlich<br />
Johannes Weiß: Der gründete eine Drehteileherstellung,<br />
die inzwischen von einem seiner Urenkel weiter betrieben<br />
wird. Der Kompagnon von Quirin Weiß Sohn in der<br />
Seifenfabrik, Franz Hermle, hat eine Uhrenfabrik<br />
gegründet, die es heute noch gibt <strong>und</strong> die bis in die<br />
neunziger Jahre hinein der größte Arbeitgeber am Ort war.<br />
Die rasante wirtschaftliche Entwicklung eines Ortes, der so<br />
weit weg liegt von den großen Zentren, hat sogar<br />
Wirtschaftswissenschaftler in Neuseeland interessiert.<br />
Ein Professor Franklin hat sich in den 70er Jahren in<br />
Wiesbach aufgehalten, um heraus zu finden, wie der Ort
das bloß geschafft hat. Auch ein Fernsehfilm hat sich in<br />
den 80er Jahren mit dieser Frage auseinander gesetzt.<br />
Er hat freilich die Wiesbacher <strong>und</strong> die Heuberger gewaltig<br />
geärgert, weil er ausgiebig mit folkloristischen Elementen<br />
arbeitete – wortkarge Männer mit Stoppelbärten zeigte<br />
<strong>und</strong> Frauen mit schwarzen Kopftüchern, die man heute am<br />
Heuberg wohl lange suchen müsste. Da war das Klischee<br />
vom lustfeindlichen, verschrobenen <strong>und</strong> sich selbst<br />
ausbeutenden Schwaben nicht weit, der als Autodidakt<br />
in seiner Klitsche schuftet <strong>und</strong> dann reich stirbt, ohne je<br />
richtig gelebt zu haben.<br />
Der Wiesbacher Wohlstand ist nicht bloß entstanden durch<br />
Geiz <strong>und</strong> Schufterei – so einfach geht das nicht. Not allein<br />
bringt noch keine Perspektiven hervor. Sogar ein<br />
Neuseeländer Wirtschaftswissenschaftler, der Professor<br />
Franklin, hat sich die Frage gestellt, wie »the Mercedes<br />
Village« es schaffte <strong>und</strong> hat eine kleine Studie erstellt.<br />
Er meint, die Sozialstruktur sei wesentlich gewesen:<br />
Allen ging es gleich schlecht, es gab keine wohlhabende<br />
Schicht, die die Initiative der anderen dämpfen konnte.<br />
Ganz wichtig ist auch, dass es bei aller geographischen<br />
<strong>Ab</strong>gelegenheit viel Kontakt nach außen gab – nicht nur<br />
nach Tuttlingen <strong>und</strong> Rottweil, sondern auch nach<br />
Frankreich <strong>und</strong> in die Schweiz. Dafür sorgten die<br />
Wanderarbeiter, die sich im Sommer auswärts verdingten,<br />
<strong>und</strong> das wohl schon vor dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />
Bernhardin <strong>Johner</strong> ist auch so zu seinen Kenntnissen der<br />
Uhrmacherei gekommen. Ihn verschlug es Anfang des 19.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts mit seiner Familie ins 40 Kilometer entfernte<br />
Königsfeld, eine Hutterer-Gemeinde, die hochadlige <strong>und</strong>
vermögende Gönner hatte. Dort wehte ein fortschrittlicher<br />
Geist. Für unternehmerischen Erfolg brauchte es schon<br />
damals Weltoffenheit, Flexibilität <strong>und</strong> Mut – die Offenheit,<br />
sich immer wieder auf den neuesten Stand der Technik zu<br />
bringen, den Mut, die Risiken des Unternehmerseins zu<br />
tragen, die Flexibilität, sich immer wieder auf die neuen<br />
Gegebenheiten des Marktes einzustellen.<br />
Die <strong>Johner</strong>s brauchten dazu noch eine gehörige Portion<br />
Durchhaltevermögen in allen Zeiten.<br />
Das Selbstbewusstsein der reichen <strong>Johner</strong>brüder im 19.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert; den dickköpfigen, mutigen Individualismus<br />
des Robert <strong>Johner</strong>, der sich auch vom<br />
nationalsozialistischen Regime nicht verbiegen ließ, <strong>und</strong><br />
die Kreativität <strong>und</strong> das politische Engagement der<br />
Nachkriegsgeneration.<br />
Zum Bestehen des Betriebs in seiner heutigen Form haben<br />
mehrere Generationen vorher beigetragen, jede auf ihre<br />
Art. Die <strong>Johner</strong>s haben in harten Zeiten Kraft <strong>und</strong><br />
Selbstbewusstsein aus ihrer Geschichte geschöpft, die es<br />
ihnen erlaubt haben, ihren Ehrgeiz <strong>und</strong> das<br />
Selbstwertgefühl intakt zu halten. Die Umwege, die sie<br />
manchmal machen mussten, haben sich oft als nützlich<br />
erwiesen für spätere Generationen.<br />
Die Herausforderungen sind freilich heute ganz Neue.<br />
Ums nackte Überleben, wie für die <strong>Johner</strong>s beispielsweise<br />
vor 150 Jahren, geht es nicht mehr. Wohl aber, weiterhin,<br />
ums Überleben des Betriebs in der verschärften<br />
Konkurrenz, die die Globalisierung mit sich gebracht hat.<br />
Die Rationalisierungen, die das heute erfordert, spielen<br />
sich noch auf anderen Ebenen ab als der Technischen,
die ja eigentlich einen alten Menschheitstraum wahr<br />
gemacht hat, den der Befreiung von schweren<br />
körperlichen Mühen.<br />
Heute muss das Gesamtsystem der industriellen<br />
Produktion rationalisiert werden, es geht um »Lean<br />
Production«, das Mithalten in der internationalen<br />
Konkurrenz. Mag sein, dass die Geschichte da nicht viel<br />
Hilfe bieten kann. Die Dreher am Heuberg waren schon<br />
früh in der Moderne angekommen, weil sie von Anfang an<br />
– mangels anderer Möglichkeiten – eine arbeitsintensive,<br />
später hoch technisierte Verarbeitungsindustrie betrieben,<br />
wie sie heute die modernen Industrieländer bestimmt.<br />
Wer weiß, welcher Aspekt ihrer Geschichte morgen im<br />
Licht der heutigen Herausforderungen als modern<br />
erscheinen wird: Heute sind es das Qualitätsbewusstsein,<br />
das schon Bernhardin <strong>Johner</strong> hatte <strong>und</strong> die Flexibilität<br />
bei der Wahl der herzustellenden Produkte, die die<br />
verschiedenen Generationen bewiesen. Vielleicht auch<br />
der sparsame Umgang mit Ressourcen, der in Zeiten<br />
der Armut praktiziert wurde oder das Zusammenarbeiten<br />
mit Kollegen, der Austausch <strong>und</strong> die gegenseitige<br />
Unterstützung, die in der Geschichte der <strong>Johner</strong>s oftmals<br />
überlebenswichtig waren.