Schiller - IDF
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Rösch: Tragödie vom 18. bis 20. Jh. Theorie und Beispiele – VL 6: <strong>Schiller</strong>s Tragödientheorie 2<br />
tisch. Reim als Technik der Abgrenzung. Dann kann Kunst ein Kommentar zur Wirklichkeit<br />
werden, Ansatz für die ästhetische Erziehung: Der Mensch kann erzogen<br />
werden, weder Barbar (Sinnlichkeit ist zerstört, nur Verstandeskultur) noch ein Wilder<br />
zu sein (Mensch ohne Zivilisation). Die Wildheit erklärt die Greueltaten der Französischen<br />
Revolution.<br />
Kunst ist dem Prinzip der Nützlichkeit entzogen, vgl. Kant: zweckmäßig ohne Zweck,<br />
d.h. sinnvoll strukturiert (=zweckmäßig), aber ohne Absicht der Verwertung und des<br />
Geldverdienstes.<br />
3. Über den Gebrauch des Chors in der Tragödie<br />
In der Vorrede zur Braut von Messina oder die feindlichen Brüder (1803) erklärte<br />
<strong>Schiller</strong>, warum er den Chor wieder eingeführt hatte, weil dies ein formal gewagter<br />
Schritt war:<br />
Die Einführung des Chors wäre der letzte, der entscheidende Schritt – und<br />
wenn derselbe auch nur dazu diente, dem Naturalism in der Kunst offen und<br />
ehrlich den Krieg zu erklären, so sollte er uns eine lebendige Mauer sein, die<br />
die Tragödie um sich herumzieht, um sich vor der wirklichen Welt rein abzuschließen,<br />
und sich ihren idealen Boden, ihre poetische Freiheit zu bewahren.<br />
<strong>Schiller</strong> an Goethe, 5. Januar 1798: das Reale zu idealisieren als Aufgabe.<br />
Das Stück korrespondiert mit anderen Bearbeitungen antiker Stoffe für das Weimarer<br />
Theater, z.B. Goethe, Iphigenie auf Tauris (1799/1802, wurde von <strong>Schiller</strong> für die<br />
Bühne bearbeitet), Friedrich Schlegel, Alarcos (1802). Es ist im Blankvers geschrieben<br />
und zeigt keine Einteilung in Akte.<br />
Die Rolle des Chors wird aus der Wirkung begründet: Er soll die von der Handlung<br />
ausgelösten Affekte brechen, dem Zuschauer die Freiheit der Reflexion zurückgeben,<br />
die ihm durch das Bühnengeschehen genommen wird. Intention wird im Drama<br />
aber nicht durchgehalten: Chor ist selten Zeuge und Richter der handelnden Personen<br />
oder äußert Vorausdeutungen, Skepsis, kritische Fragen; öfter tritt er als Gefolge<br />
auf, daher unfrei, affirmativ. – Zwiespalt der Dramentheorie (Pathos/ Erschütterung<br />
durch Leiden vs Reflexion) zeigt sich in der Rolle des Chors.<br />
Dank ihrer Handlung wird diese antikisch gedachte Tragödie ironischerweise ein Modell<br />
für das romantische Schicksalsdrama (Adolph Müllner, Die Schuld, 1816; Franz<br />
Grillparzer, Die Ahnfrau, 1817).<br />
II. Theoretische Positionen<br />
Über die tragische Kunst (entst. 1791)<br />
Erstlich muß der Gegenstand unsers Mitleids zu unsrer Gattung, im ganzen Sinn dieses<br />
Worts, gehören und die Handlung, an der wir Teil nehmen sollen, eine moralische,<br />
d.i. unter dem Gebiet der Freiheit begriffen sein. Zweitens muß uns das Leiden,<br />
seine Quellen und seine Grade, in einer Folge verknüpfter Begebenheiten vollständig<br />
mitgeteilt und zwar drittens sinnlich vergegenwärtigt, nicht mittelbar durch Beschreibung,<br />
sondern unmittelbar durch Handlung dargestellt werden. Alle diese Bedingungen<br />
vereinigt und erfüllt die Kunst in der Tragödie.