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Schiller - IDF

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Rösch: Tragödie vom 18. bis 20. Jh. Theorie und Beispiele – VL 6: <strong>Schiller</strong>s Tragödientheorie 3<br />

Die Tragödie wäre demnach dichterische Nachahmung einer zusammenhängenden<br />

Reihe von Begebenheiten (einer vollständigen Handlung), welche uns Menschen in<br />

einem Zustand des Leidens zeigt und zur Absicht hat, unser Mitleid zu erregen. (269)<br />

Wirkungsabsicht und Kennzeichen der Tragödie<br />

(1) Poetische Nachahmung einer Handlung<br />

Die Komposition und Interpretation des Stoffes stehen dem Dichter frei, die Richtigkeit<br />

historischer Fakten bindet ihn nicht.<br />

Aber die Tragödie hat einen poetischen Zweck, d.i. sie stellt eine Handlung dar, um<br />

zu rühren und durch Rührung zu ergötzen. Behandelt sie also einen gegebenen Stoff<br />

nach diesem ihrem Zwecke, so wird sie eben dadurch in der Nachahmung frei; sie<br />

erhält Macht, ja Verbindlichkeit, die historische Wahrheit den Gesetzen der Dichtkunst<br />

unter zu ordnen und den gegebenen Stoff nach ihrem Bedürfnisse zu bearbeiten.<br />

(272)<br />

(2) Vollständigkeit und Wahrheit<br />

Diese Vollständigkeit der Schilderung ist nur durch Verknüpfung mehrerer einzelnen<br />

Vorstellungen und Empfindungen möglich, die sich gegen einander als Ursache und<br />

Wirkung verhalten, und in ihrem Zusammenhang ein Ganzes für unsre Erkenntnis<br />

ausmachen. (267)<br />

Mehrere als Ursache und Wirkung ineinander gegründete Begebenheiten müssen<br />

sich miteinander zweckmäßig zu einem Ganzen verbinden, [... ] (270)<br />

(3) Lebhaftigkeit<br />

Unmittelbare lebendige Gegenwart und Versinnlichung sind also nötig, unsern Vorstellungen<br />

vom Leiden diejenige Stärke zu geben, die zu einem hohen Grade von<br />

Rührung erfodert wird. (264)<br />

(4) Darstellung sinnlich-moralischer Wesen<br />

Verlangt wird der gemischte Charakter; die Bühnenfiguren müssen sich als sinnlichmoralische<br />

Wesen ausweisen:<br />

Die Möglichkeit des Mitleids beruht nehmlich auf der Wahrnehmung oder Voraussetzung<br />

einer Ähnlichkeit zwischen uns und dem leidenden Subjekt. [...] Wir müssen,<br />

ohne uns Zwang anzutun, die Person mit ihm zu wechseln, unser eigenes Ich seinem<br />

Zustande augenblicklich unterzuschieben fähig sein. (264f.)<br />

Die Tragödie ist [...] Nachahmung einer Handlung, welche uns Menschen im Zustand<br />

des Leidens zeigt.[...] Nur das Leiden sinnlichmoralischer Wesen, dergleichen<br />

wir selbst sind, kann unser Mitleid erwecken. [...] Der tragische Dichter gibt also mit<br />

Recht den gemischten Charakteren den Vorzug, und das Ideal seines Helden liegt in<br />

gleicher Entfernung zwischen dem ganz verwerflichen und dem vollkommenen. (273)<br />

(5) Dosierter Affekteinsatz<br />

Ein gezielter Affekteinsatz soll die Aufmerksamkeit gespannt halten; die Intensität<br />

des Leidens ist abzuwägen; die Täuschung/Illusion muß durch Sentenzen und Reflexionselemente<br />

durchbrochen werden.<br />

Wenn also das Gemüt, seiner widerstrebenden Selbsttätigkeit ungeachtet, an die<br />

Empfindungen des Leidens geheftet bleiben soll, so müssen diese periodenweise<br />

geschickt unterbrochen, ja von entgegengesetzten Empfindungen abgelöst werden –<br />

um alsdann mit zunehmender Stärke zurück zu kehren und die Lebhaftigkeit des ersten<br />

Eindrucks desto öfter zu erneuern. (268)

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