Presseheft von WHISKY MIT WODKA - Einsnull
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Interview mit Wolfgang Kohlhaase<br />
Wie kamen Sie auf die Geschichte?<br />
Frank Beyer hat sie mir erzählt. Er war in den<br />
50er Jahren Regieassistent bei einem Film <strong>von</strong><br />
Kurt Maetzig, und da gab es einen berühmten<br />
Hauptdarsteller, <strong>von</strong> dem man wusste, dass er<br />
wegen seiner Trunksucht gefährdet war bis an<br />
den Rand seiner gesundheitlichen Existenz.<br />
Um ihn in die Pflicht zu nehmen, hat man<br />
damals tatsächlich einen zweiten Schauspieler<br />
engagiert – für den Fall, dass der erste ausfällt.<br />
Zwei Wochen lang wurde jede Szene zur<br />
Sicherheit zwei Mal gedreht; dann wurde das<br />
Experiment abgebrochen, denn es stellte sich<br />
heraus: Der berühmte Schauspieler hält durch.<br />
Vor Jahren erzählte mir Frank Beyer diese<br />
Episode, und wir überlegten, ob man daraus<br />
nicht einen Film machen könnte. Es stellte sich<br />
aber bald heraus, dass man<br />
mit dem Interna-Protokoll<br />
dieser Konkurrenzsituation<br />
zwischen zwei Darstellern<br />
nicht weit kommt.<br />
Das kann ein Punkt in der<br />
Geschichte sein, aber nicht<br />
ihr Kern und ihr Lauf. Und<br />
so habe ich mir den Rest<br />
eben ausgedacht.<br />
Was ist für Sie der Kern des Films?<br />
Es ist eine Geschichte über das Älterwerden.<br />
Sie handelt da<strong>von</strong>, wie es ist, wenn man<br />
begreift: Die Zeit vergeht; die Rolle, die man<br />
bisher im Leben gespielt hat, wird<br />
man nicht ewig spielen; die<br />
Liebe, die es einmal<br />
gab, funktioniertmöglicherweise<br />
nicht<br />
ARZT<br />
Er hätte nicht trinken dürfen.<br />
Höchstens Tee, tropfenweise.<br />
Aber kein Bier.<br />
OTTO<br />
Er war Biertrinker.<br />
Kein Teetrinker.<br />
mehr. Was man versäumt hat, kann man nicht<br />
mehr einholen. Und wenn der Vater stirbt,<br />
wird man nach dem Lauf der Natur wahrscheinlich<br />
der Nächste sein, der an die Kante<br />
tritt. Jede Figur in der Geschichte ist auf<br />
diesem Weg an einer anderen Station, doch das<br />
Thema Älterwerden betrifft sie alle.<br />
Allen voran natürlich Otto Kullberg, Ihre<br />
Hauptfigur. Wie würden Sie ihn beschreiben?<br />
Ein Mann, den die Frauen lieben und die<br />
Männer mögen. Einer, der die Larve des Allerweltserfolgs<br />
durchs Leben trägt und an einen<br />
Punkt kommt, an dem er überlegt, ob das<br />
eigentlich sein Gesicht ist oder eine Maske,<br />
die er abnehmen muss. Ein permanenter Vorwärtsgeher,<br />
der mit Erfolg und großem Selbstbewusstsein<br />
gelebt hat und plötzlich bemerkt:<br />
Es ist überhaupt nicht<br />
sicher, dass er auf diese<br />
Weise tatsächlich bis ans<br />
Ziel kommt. Durchkommen<br />
oder nicht durchkommen<br />
– <strong>von</strong> diesen<br />
beiden Möglichkeiten<br />
handelt der Film auch.<br />
Gab es ein Element in der Geschichte, das<br />
Ihnen besonders am Herzen lag?<br />
Es war mir wichtig, <strong>von</strong> Ottos Vater zu erzählen,<br />
dem Briefträger am Görlitzer Bahnhof.<br />
Durch die Erweiterung des Schauplatzes wollte<br />
ich zeigen, dass es außerhalb des Kinos noch<br />
die reale Welt gibt – und dass<br />
sie früher oder später<br />
unweigerlich auftaucht.<br />
Es gibt<br />
eine Frage,<br />
die den<br />
Film<br />
leitmotivisch begleitet: Wie viel Leben steckt<br />
im Kino? Und wie viel Kino steckt im Leben?<br />
Bestimmte Lebensmuster gehen ins Kino ein;<br />
das Kino vereinfacht sie und macht daraus<br />
etwas Verfügbares. Und dank seiner großen<br />
Verbreitung trägt das Kino wiederum zur<br />
Bildung – oder Verbildung – der Gefühle bei.<br />
Bei der Lektüre des Drehbuchs fällt die für<br />
Sie typische Knappheit der Dialoge auf.<br />
Ja, ich versuche, lakonisch zu erzählen. Von<br />
Otto Bram, einem berühmten Berliner Theatermann<br />
zur Zeit der Naturalisten, stammt der<br />
Satz: „Was gestrichen ist, kann nicht durchfallen.“<br />
Das ist ein Gedanke, der mir lieb ist. Ich<br />
finde, wenn man etwas in drei Sätzen erzählen<br />
kann statt in fünf, und wenn man damit<br />
zum selben Ergebnis kommt, dann hat man die<br />
edlere Erfindung. Außerdem glaube ich, dass<br />
Schauspieler Zwischenräume brauchen, in denen<br />
sie etwas anderes ausdrücken können als das,<br />
was im Dialog behauptet wird. Es ist ziemlich<br />
uninteressant, die Darsteller per Text die ganze<br />
Geschichte transportieren zu lassen. Die größere<br />
Wahrheit lässt sich entdecken, wenn das, was<br />
die Figuren sagen, nicht genau mit dem übereinstimmt,<br />
was sie fühlen. Das aktiviert das<br />
Hirn des Zuschauers.<br />
16 17 <br />
<strong>WHISKY</strong> <strong>MIT</strong> <strong>WODKA</strong> ist – ähnlich wie<br />
SOLO SUNNY oder SOMMMER VORM<br />
BALKON – wieder gespickt mit kultverdächtigen<br />
Sprüchen. Woher kommen die? Sind<br />
sie dem Leben abgelauscht? Schreiben Sie<br />
rechtzeitig mit, wenn jemand in geselliger<br />
Runde loslegt?<br />
Nein, das ist alles ausgedacht. Ich versuche<br />
immer, jeder Filmfigur wenigstens einen guten<br />
Moment zu geben. Gerade bei Nebenrollen<br />
ist das wichtig. Hauptfiguren bekommen<br />
sowieso eine bestimmte Art zu reden – wenn<br />
man deren Ton gefunden hat, produzieren sie<br />
sich quasi selbst. Doch je kleiner die Rolle,<br />
desto mehr braucht sie einen großen Moment.<br />
Sonst wird sie gar nicht wahrgenommen.<br />
Nach SOMMMER VORM BALKON haben<br />
Sie nun zum zweiten Mal mit Andreas<br />
Dresen zusammengearbeitet. Wie geht er mit<br />
Ihren Texten um?<br />
Sehr sorgfältig, mit großer Treue zum Detail.<br />
Das ist alles wunderbar gearbeitet: Andreas<br />
Dresen inszeniert nicht nur Texte, sondern<br />
auch Subtexte. Und er weiß, dass man Pointen<br />
nicht extra betonen darf – wenn sie eine<br />
gewisse Beiläufigkeit bekommen, dann machen<br />
sie sich schon <strong>von</strong> selbst bemerkbar. Er hat<br />
sowohl ein Gespür für Schauspieler als auch<br />
ein Gefühl für Sprache.