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Die „soziale Immunabwehr“ - VolkswagenStiftung

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<strong>Die</strong> Seenadel, Sygnathus typhle, ist der<br />

Modellorganismus von Olivia Roth. <strong>Die</strong> kleinen<br />

schlanken Knochenfische hält sie am<br />

Leibniz-Institut für Meereswissenschaften in<br />

Kiel. Ihr Forschungsthema: die Evolution des<br />

Immunsystems. Um eine Immunantwort zu<br />

induzieren, werden einer Seenadel gerade<br />

hitzegetötete Vibrio-Bakterien injiziert<br />

(mittleres Bild). Anschließend extrahiert die<br />

Wissenschaftlerin im Labor DNA (unten).<br />

Ziel ist die Genotypisierung der Seenadeln<br />

anhand verschiedener genetischer Marker.<br />

Roth etwas ganz anderes. Sie sucht nach Informationen, die jenseits der über<br />

Gene vererbten von Generation zu Generation weitergereicht werden und<br />

die gleichermaßen eine wichtige Rolle bei evolutionären Prozessen spielen –<br />

mütterliche Antikörper sind dafür ein Beispiel. Es geht ihr um nicht weniger<br />

als die Evolution des Immunsystems. Am Leibniz-Institut für Meereswissenschaften<br />

an der Universität Kiel, dem IFM-GEOMAR, stellt sie dafür „Batemans<br />

Prinzip“ auf den Prüfstand. <strong>Die</strong>ses Prinzip besagt, dass weibliche Tiere – da sie<br />

mehr in den Nachwuchs investieren – länger leben und dass die elterliche<br />

Investition in den Nachwuchs an das Geschlecht gebunden ist.<br />

„Es gibt viele evolutionsbiologische Prinzipien, die mit dem Geschlecht zu<br />

tun haben“, sagt die Evolutionsbiologin. „Bei den Seenadeln ist besonders<br />

spannend, dass das Geschlechterprinzip vertauscht ist!“ Vertauscht? Ja, vertauscht!<br />

<strong>Die</strong> weiblichen Seenadeln legen nicht wie andere Fische die befruchteten<br />

Eier irgendwo im Wasser ab, sondern deponieren die unbefruchteten in<br />

einer Bruthöhle der männlichen Fische. Dort werden sie von deren Spermien<br />

befruchtet, und die männlichen Seenadeln brüten die Eier in einer plazentaähnlichen<br />

Struktur in ihrem Bauch aus. Nach einem Monat schlüpfen etwa<br />

hundert kleine Seenadeln aus dem gewölbten Bauch des Männchens. Olivia<br />

Roth will nun wissen, welchen Einfluss dieser Rollentausch auf die Evolution<br />

des Immunsystems jener Fische hat – schließlich ist die Investition der Eltern<br />

in den Nachwuchs eindeutig vom Geschlecht entkoppelt. <strong>Die</strong> junge Forscherin<br />

kann daher Theorien in Bezug auf geschlechtsgebundene Stereotypen<br />

testen, die besagen, dass ein Weibchen oder Männchen immer dies oder<br />

jenes tut oder hat – einfach weil es ein Weibchen oder ein Männchen ist.<br />

Man weiß, dass das Immunsystem eines Gegenübers Auswirkungen darauf<br />

hat, ob man diesen gegebenenfalls zum Partner wählt. Bei den Seenadeln<br />

wählt hauptsächlich das Männchen, und so nimmt Olivia Roth deren „Major<br />

Histocompatibility Complex“ (MHC) ins Visier. Der MHC ist ein sehr variabler,<br />

individueller Abschnitt der Gene; er steuert im Prinzip die Bildung unseres<br />

adaptiven – angelernten – Immunsystems. Je stärker dieses adaptive Immunsystem<br />

ist, desto höher sind die Überlebenschancen des Nachwuchses, denn<br />

dann können sich die Nachkommen gut gegen Krankheitserreger jeder Art<br />

zur Wehr setzen. Wenn zwei Partner, Mensch oder Tier, sich zueinander hingezogen<br />

fühlen und sich – im eigentlichen Wortsinne – gut riechen können,<br />

ergänzen sich deren MHC besonders gut. <strong>Die</strong> Nachkommen sind folglich aller<br />

Wahrscheinlichkeit nach mit einem starken Immunsystem ausgestattet.<br />

Natürlich ist das nicht die einzige Komponente, die über die Partnerwahl entscheidet,<br />

aber eine gut über die Gene kontrollierbare. „Wir untersuchen nun<br />

derzeit, ob diese ‚MHC-Wahl’ auch bei den Seenadeln stattfindet“, erläutert<br />

die Evolutionsbiologin. „Da die Männchen wählen, würden wir erwarten,<br />

dass sie Weibchen aussuchen, die einen komplementären MHC aufweisen.“<br />

Um die Reaktionen auf das Immunsystem zu testen, arbeitet Olivia Roth mit<br />

Infektionserregern. Für ihre Forschung ist sie auf Schnorchelgänge in der

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