6 Schwerpunkt Zukunft ener.go 3 · 2012
Gute alte Zukunft u- Im 21. Jahrhundert kann der Mensch fast alles – aus dieser Überzeugung heraus wurden schon vor 100 Jahren Fernsehen, Flugreisen und Handy vorausgesagt. Mit <strong>man</strong>ch anderer Vision lagen frühe Zukunftsftsforscher hingegen völlig daneben. „Nirgends, wo <strong>man</strong> auch ist, ist <strong>man</strong> allein. Überall ist <strong>man</strong> in Verbindung mit allem und jedem. Jeder kann jeden sehen, den er will, sich mit jedem unterhalten …“ Ja, es ist schon ein Kreuz mit der ständigen Erreichbarkeit, möchte <strong>man</strong> zustimmen und die Schattenseiten moderner Kommunikation bedauern. Allerdings würde <strong>man</strong> dem Zitierten dabei hochgradig unrecht tun. Robert Sloss hatte nämlich genau das Gegenteil im Sinn, als er diese Sätze verfasste – vor mehr als 100 Jahren. Dem Autor ging es ausschließlich um die Vorzüge drahtloser Kommunikation. Natürlich war diese damals Zukunftsmusik; umso erstaunlicher ist es, <strong>wie</strong> treffend und detailreich er das „Telephon in der Westentasche“ vorhersagte: Im 21. Jahrhundert, so war Sloss überzeugt, „<strong>wir</strong>d jeder<strong>man</strong>n sein eigenes Taschentelephon haben, durch welches er sich, mit wem er will, <strong>wir</strong>d verbinden können, einerlei, wo er auch ist“. Selbst die Abdeckung mit „Sendestationen“, die in etwa den Sendemasten der heutigen Mobilfunkbetreiber entsprechen, war in diesem Szenario themati<strong>sie</strong>rt. Sloss war bei Weitem nicht der einzige, der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts Gedanken über die Möglichkeiten der nächsten Jahrzehnte machte. „Ungefähr 1890 setzte in Deutschland eine verstärkte Beschäftigung mit Zukunftsfragen ein“, erklärt Dr. Karlheinz Steinmüller, Wissenschaftlicher Direktor des Kölner Zukunftsforschungsunternehmens Z_punkt und Dozent im Master-Studiengang Zukunftsforschung an der FU Berlin. „Ausschlaggebend waren neben den technologischen auch die politischen Entwicklungen jener Zeit, nicht zuletzt das Weltmachtstreben Deutschlands.“ Die drahtlose Telegrafi e, für die Karl Ferdinand Braun 1909 den Physik-Nobelpreis bekam, der Dieselmotor, der 1910 erstmals in Fahrzeuge eingebaut wurde, und die im gleichen Jahr fertiggestellte Manhattan-Bridge, die sich über eine Distanz <strong>von</strong> 448 Metern Stützweite erstreckte, waren nur ein kleiner Teil der Errungenschaften, die eine euphorische Allmacht-Stimmung verbreiten halfen. „Es gibt kein unmöglich mehr, die Technik überwindet jede Sch<strong>wie</strong>rigkeit“, lautete ein Satz aus dem damals beliebten Jahrbuch „Das neue Universum“. Passend zu dieser Stimmung erlebte die Science Fiction in Literatur und Film <strong>ihr</strong>e erste Blütezeit. Die Vorstellungskraft der Autoren reichte dabei nicht nur über die technischen, sondern auch die physischen Grenzen der Erde hinaus: Der zur Jahrhundertwende sehr populäre deutsche Science-Fiction Pionier Kurd Laßwitz lässt in seinem Ro<strong>man</strong> „Auf zwei Planeten“ Außerirdische zur Erde und Menschen zum Mars reisen. Auch Jules Verne und H.G. Wells schickten <strong>ihr</strong>e Helden ins All, wobei vor allem Vernes Mond- Ro<strong>man</strong>e erstaunlich viele Parallelen zur tatsächlichen Apollo-13-Mission fast 100 Jahre später auf<strong>wie</strong>sen – vom Startplatz des Fluggeschosses in Florida über die detaillierte Beschreibung der Mondoberfl äche bis zur <strong>Was</strong>serung im Pazifi k. Die Raketenform späterer Raumschiffe nahm dann Ende der 1920er-Jahre Fritz Lang in seinem letzten Stummfi lm „Frau im Mond“ vorweg. Deutlich erdverbundener waren die meisten Zuukunftsvisionen jenseits der Literatur und Filmkunst. t. So waren auf den zur Jahrhundertwende weit ver- breiteten Post- und Sammelkarten kuriose Erwartunungen <strong>wie</strong> fahrbare Häuser oder fl iegende Polizisten zu sehen. Aber auch – zumindest im Rückblick – weniger Kurioses <strong>wie</strong> Brutmaschinen oder die mobile bile Videotelefonie à la Skype konnten sich Illustratoren n bereits vor vielen Jahrzehnten vorstellen. Fleißig spekuliert wurde auch in der Schule, <strong>wie</strong> aus Nachhlässen hervorgeht. „Im Jahr 2000 werden Fahrräder er für wenig Geld produziert“, schrieb 1913 der damals als 12-jährige Edgar Codling, der im gleichen Aufsatz z auch Urlaubsreisen mit Flugzeugen vorhersagte. 7