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Bericht | Text und Fotos: Annalena Koch<br />

„Wie ich Brasilien sehe“<br />

Ein etwas anderer Blick auf den Zuckerhut<br />

Nach ihrem siebenmonatigen Brasilienaufenthalt<br />

als Missionarin auf Zeit, hat<br />

Annalena Koch in einer der letzten<br />

~-Ausgaben berichtet, wie sie<br />

seitdem über Deutschland denkt. Nun<br />

möchte sie davon erzählen, wie sie Brasilien<br />

- das fünftgrößte und ethnienreichste<br />

Land der Welt - erlebt hat, und<br />

zeigen, dass Brasilien eben nicht nur<br />

aus Fußball, Samba, Karneval und nackten<br />

Frauen besteht.<br />

_Wenn ich an Brasilien denke, fallen mir<br />

zuerst die Disparitäten zwischen Arm und<br />

Reich, Stadt und Land, Nord und Süd,<br />

Weiß und Schwarz auf. In keinem Land<br />

der Welt sind diese Unterschiede so krass<br />

wie dort. Was historisch gesehen auch mit<br />

dem Sklavenhandel zusammenhängt. Dadurch<br />

gibt es kaum einen Mittelstand. Soziale<br />

Einrichtungen und Hilfe vom Staat<br />

sind rar. Es gibt zwar die „bolsa familia“,<br />

eine finanzielle Unterstützung des Staates,<br />

die der amtierende Präsident Lula<br />

da Silva eingeführt hat und sich damit<br />

brüstet. Doch den wirklich Armen hilft<br />

selbst das nicht, weil es nicht bis zu ihnen<br />

durchsickert.<br />

_Mit dem Thema Spenden und Hilfe aus<br />

Deutschland gehe ich sehr kritisch um.<br />

Zum einen wegen der Bürokratie, zum<br />

anderen darf bei Schwellenländern wie<br />

Brasilien nicht der Eindruck entstehen,<br />

Entwicklungshilfe bestünde darin, passiv<br />

zu sein und sich aus dem Sumpf ziehen<br />

zu lassen. Um das bilaterale Element zu<br />

betonen, spricht man heutzutage politisch<br />

korrekt von Entwicklungszusammenarbeit.<br />

Kürzlich hatte ich im Wohnheim<br />

mit den Mädels von meinem Flur<br />

eine heiße Diskussion. Es ging um Spenden<br />

vor Weihnachten. Clara und ich<br />

meinten beide, dass dies reiner Eigennutz<br />

sei, um sein allzu schlechtes soziales Gewissen<br />

vor Weihnachten zu befriedigen<br />

und das Gefühl zu haben mit Gott und<br />

der Welt im Reinen zu sein. Die anderen<br />

fragten, ob es ein Fehler sei, etwas Gutes<br />

zu tun und sich dabei gut zu fühlen? Eine<br />

schwierige Frage, mit der der Philosoph<br />

Kant sich bereits beschäftigt hat. Das beste<br />

Beispiel ist für mich Bruna, eine brasilianische<br />

Freundin, die aus der Mittelschicht<br />

kommt. <strong>Sie</strong> ist mit mir nach Deutschland<br />

gekommen und arbeitet als Au-pair in der<br />

Nähe von Stuttgart. Ihre Schwester bat sie,<br />

ihr von ihrem Au-pair-Gehalt in Deutschland<br />

einen Laptop und einen iPod zu kaufen.<br />

Bruna antwortete: „Liegt in Deutschland<br />

das Geld etwa auf der Straße? Ich<br />

muss es mir hart verdienen“. Das ist genau<br />

der Eindruck, den die Menschen auf<br />

der Südhalbkugel bekommen, wenn man<br />

sie mit Spenden und Geschenken über-<br />

häuft. Besser ist immer noch Hilfe zur<br />

Selbsthilfe.<br />

_Das Gesundheitssystem ist ebenso eine<br />

Katastrophe, da es zwar eine kostenlose<br />

Grundversorgung gibt, aber Krankenhausaufenthalte<br />

oder ähnliches muss der Patient<br />

privat bezahlen. Vor einigen Tagen<br />

erreichte mich eine Hilfe-E-Mail von einem<br />

der Brüder, mit denen ich in Alagoinhas<br />

zusammengearbeitet habe. Er berichtete<br />

von einer 23-jährigen Mutter mit<br />

5 Kindern. Die Mutter und einige der Kinder<br />

sind auf Grund eines genetischen Defektes<br />

blind. Zwei der Kinder kurz davor<br />

zu erblinden. Die Ärztin im Krankenhaus<br />

von Salvador meinte, es grenze an ein<br />

Wunder, wie diese Mutter unter all den<br />

prekären Umständen in der Lage sei, den<br />

Alltag zu meistern. In Deutschland hätte<br />

die Krankenversicherung ohne weiteres<br />

eine so dringend nötige Augenoperation<br />

bezahlt. Wer aber dort kein Geld hat, hat<br />

verloren. Wenn ich so etwas höre, betrifft<br />

mich das immer sehr. Auf den ersten Blick<br />

wird schon bei der Beantragung des Visums<br />

deutlich, dass in Brasilien mindestens<br />

genauso viel Bürokratie herrscht,<br />

diese aber wesentlich chaotischer ist.<br />

_Ein weit verbreitetes Vorurteil ist, dass<br />

alle Brasilianerinnen so wie an Karneval<br />

in Rio halb nackt auf der Straße herumlaufen.<br />

Erstens ist auch hier Karneval<br />

nicht gleich Karneval. Ähnlich wie hierzulande<br />

beim Kölner Karneval und der<br />

alemannischen Fasnet gibt es auch dort<br />

deutlich regionale Unterschiede. Zweitens<br />

laufen Brasilianerinnen höchstens am<br />

Strand in sehr knappen Bikinis herum,<br />

aber FKK wäre undenkbar und man<br />

macht sich damit als Tourist auch nicht<br />

gerade beliebt.<br />

_90% der Brasilianer sind Katholiken.<br />

Brasilien wird manchmal auch das katholischste<br />

Land der Welt bezeichnet,<br />

aber man muss dazu sagen, dass viele<br />

Brasilianer mittlerweile auch keine praktizierenden<br />

Christen mehr sind. Außerdem<br />

ist die Zahl der evangelikalen und<br />

Pfingstkirchen erschreckend gestiegen,<br />

gerade in den Favelas geht man gerne

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