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Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung 10. Auflage

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Arist von Schlippe / Jochen Schweitzer, <strong>Lehrbuch</strong> <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong> <strong>Therapie</strong> <strong>und</strong> <strong>Beratung</strong><br />

18 Geschichte <strong>und</strong> Überblick<br />

1.1. Einige Geschichten zur Familientherapie<br />

Die Liste möglicher Vorläufer <strong>der</strong> Familientherapie ist lang. Erste<br />

Ansätze familienorientierter Arbeit finden sich bereits in <strong>der</strong> Sozialarbeit<br />

des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts. Bereits 1890 kritisierte die amerikanische<br />

Sozialarbeiterin ZILPA SMITH ihre Kollegen: »Die meisten von euch<br />

behandeln arme o<strong>der</strong> kranke Einzelpersonen, ohne ihre Familienbeziehungen<br />

zu sehen. Wir behandeln die Familie als Ganzes, meist mit dem<br />

Ziel, sie zu erhalten, manchmal aber auch, um bei <strong>der</strong> Auflösung zu helfen«<br />

(BRODERICK U. SCHRADER 1981, S. 6, übers.von uns). Auch in<br />

Psychologie <strong>und</strong> Psychotherapie sind einige Namen zu nennen, die den<br />

Weg für eine systemorientierte Sichtweise bereiteten: z. B. KURT<br />

LEWtN mit seiner Feldtheorie (»Der Lebensraum einer Person als<br />

Feld«) o<strong>der</strong> JACOB MORENO, <strong>der</strong> Begrün<strong>der</strong> des Psychodramas, <strong>der</strong> den<br />

Menschen <strong>und</strong> sein soziales Netz als unauflösliche Einheit betrachtete.<br />

Als Vorläufer kann man auch ALFRED ADLER ansehen. Seine Theorie<br />

ist im wesentlichen eine Theorie <strong>der</strong> sozialen Determinierung menschlichen<br />

Verhaltens.<br />

Doch ist es wichtig, an dieser Stelle eine Unterscheidung zu treffen<br />

zwischen einer familienbezogenen Sichtweise von Problemen <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Entwicklung explizit systemischer Interventionsformen. Das wissenschaftliche<br />

Interesse ging noch für lange Zeit in die Richtung <strong>der</strong><br />

Suche nach Ursachen beziehungsweise <strong>der</strong> einen Ursache psychischer<br />

Störungen. Diesem Muster folgten lange auch die frühen Familienstudien<br />

etwa ab den 40er Jahren. Das Interesse daran stieg sprunghaft<br />

an, zunächst über die Entdeckung <strong>der</strong> »schizophrenogenen« o<strong>der</strong><br />

allgemeiner <strong>der</strong> »pathogenen« Mutter. In ausgesprochen maskulinistischer<br />

Tendenz wurde beispielsweise über das »gestörte sexuelle<br />

Leben <strong>der</strong> Mütter« gesprochen, die den Eindruck von »erotisch nicht<br />

ausgereiften Frauen« machten — <strong>und</strong> offensichtlich über erotisch ausgereifte<br />

Männer verfügten, <strong>der</strong>en Sexualleben völlig ungestört verlief.<br />

Wie die Männer das anstellten, entzog sich <strong>der</strong> Beobachtung, es<br />

wurde ja nach einer innerhalb einer Person liegenden Ursache<br />

gesucht. Familienbef<strong>und</strong>e in dieser Zeit wurden in Form linearer Verursachungsketten<br />

dargestellt — etwa über die Unterscheidung verschiedener<br />

»maternaler Mißbrauchsmodi«. Dennoch soll diese Periode<br />

nicht abqualifiziert werden. Sie zeigt, wie schwierig es war <strong>und</strong><br />

ist, sich aus vorgegebenen Denkschemata zu lösen. Sie macht deutlich,<br />

wie sehr die Prämissen, auf denen unser Denken beruht, die<br />

Kategorien, die wir vor unserer Wahrnehmung bereits entwickelt<br />

haben, diese in einer Weise beeinflussen, daß wir nur wenige Jahr-<br />

© 2007; 1996 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen<br />

ISBN Print: 978-3-525-45659-0

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