Was die erste Studie über Ausländer in Köln (1967 ... - Drehscheibe
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Seite18 Serie Dienstag,16.August2011<br />
Wenn<strong>die</strong>Fremde<br />
zurHeimatwird<br />
50Jahretürkische<br />
Gastarbeiter<strong>in</strong><strong>Köln</strong><br />
EXPRESS-Serie,Teil1<br />
Vor 50 Jahren schloss <strong>die</strong> Bundesrepublik<br />
Deutschland nach früheren Vere<strong>in</strong>barungen<br />
mit Italien, Griechenland<br />
und Portugal e<strong>in</strong> Abkommen zur Anwerbung<br />
von Gastarbeitern aus der Türkei –<br />
der 30. Oktober 1961 wurde zum historischen<br />
Datum. Die Türken wollten e<strong>in</strong>ige<br />
Jahre arbeiten, gutes Geld ver<strong>die</strong>nen und<br />
sich damit <strong>in</strong> der Heimat e<strong>in</strong> ordentliches<br />
Leben aufbauen. Deutschland war für sie<br />
„gurbet“, <strong>die</strong> Fremde. Doch <strong>die</strong> Fremde<br />
wurde für viele zur neuen Heimat, auf<br />
Dauer. Viele holten ihre Familien nach<br />
oder gründeten Familien <strong>in</strong> Deutschland.<br />
Der Traum von der Rückkehr erblasste.<br />
EXPRESS erzählt Lebensgeschichten von<br />
Deutsch-Türken der <strong>erste</strong>n, zweiten und<br />
dritten Generation. Geschichten von<br />
Sehnsucht, Träumen und Erfolg.<br />
ErwarGastarbeiter–undwurdeAufsichtsrat<br />
E<strong>in</strong>LebenfürFord<br />
VonMEHMETATA<br />
türkische Gastarbeiter. Ford war das <strong>erste</strong> Betriebsrat, kümmerte sich um <strong>die</strong> Neuan-<br />
Unternehmen, das nach dem Anwerbeabkömml<strong>in</strong>ge bei Ford. „Alle 14 Tage<br />
<strong>Köln</strong> – Als Salih Güldiken (74) Anfang des kommen zwischen Deutschland und der kam e<strong>in</strong>e Gruppe aus der Türkei, et-<br />
Jahres 1962 nach Deutschland kam, Türkei Gastarbeiter anforderte. Deswegen wa 50 Personen. Sie alle kamen zu<br />
wusste er nicht, was ihn hier erwarten war <strong>Köln</strong> von Anfang an ganz wichtig für mir.“ Güldiken wurde für <strong>die</strong> Tür-<br />
würde. Er kam als Gastarbeiter. Er g<strong>in</strong>g zu <strong>die</strong> türkische E<strong>in</strong>wanderungsgeschichte. ken zu „Papa Salih“. Ihm vertrauten<br />
Ford. Zehn Jahre später gehörte der Ford- Zeitweise arbeiteten 12 000 türkische Ar- sie ihre Sorgen an. Viele der stolzen<br />
ler Güldiken schon zum Betriebsrat, dann beiter <strong>in</strong> den Niehler Ford-Werken. Männer we<strong>in</strong>ten neben ihm, weil<br />
sogar zum Aufsichtsrat. Aber für <strong>die</strong> vie- Erste Station von Güldiken: Die Halle Y, sie ihr Heimweh nicht ertrugen. Sie<br />
len türkischen Kollegen war er e<strong>in</strong>fach Montagehalle. Schichtarbeit, Fließband. vermissten ihre Frauen, ihre K<strong>in</strong>-<br />
nur „Papa Salih“, der ihnen Trost spende- „Der Schichtführer stoppte immer <strong>die</strong> Zeit. der, ihre Eltern. Viele verfluchten<br />
te, wenn sie vor Heimweh we<strong>in</strong>ten. Und wir Türken wollten beweisen, dass wir Deutschland, das Leben <strong>in</strong> der<br />
Drei Tage war Güldiken im Zug aus Istanbul<br />
unterwegs, ehe er am 8. März 1962<br />
schnell und gut arbeiten können“, erzählt<br />
Güldiken. Viel Freizeit hatte er nicht. Denn<br />
obwohl er <strong>in</strong> <strong>Köln</strong> arbeitete, war er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Fremde. „Unsere Generation hatte<br />
es am schw<strong>erste</strong>n“, sagt Güldiken:<br />
„Wir waren e<strong>in</strong>sam hier.“<br />
<strong>in</strong> <strong>Köln</strong> ankam. Als e<strong>in</strong>er der aller<strong>erste</strong>n Gastarbeiter-Wohnheim <strong>in</strong> Wipperfürth<br />
Gastarbeiter aus der Türkei. In der Heimat<br />
hatte er e<strong>in</strong>e Ausbildung zum Elektriker ge-<br />
untergebracht. In <strong>Köln</strong> war schlichtweg<br />
nichts frei. „Wir mussten jeden Morgen um<br />
ErsterTürkeimAufsichtsrat<br />
macht. Nun wollte er e<strong>in</strong> paar Jahre <strong>in</strong> „Al- 5 Uhr aufstehen, wurden von e<strong>in</strong>em Shut- Für Güldiken selbst lief es gut.<br />
manya“ bleiben, hart arbeiten und gutes tle-Bus abgeholt und nach <strong>Köln</strong> gebracht.“ 1972 wurde er <strong>in</strong> den Betriebsrat gewählt,<br />
Geld ver<strong>die</strong>nen.<br />
Sehr bald wurde dem jungen Arbeiter als <strong>erste</strong>r Türke <strong>in</strong> Deutschland. Und 1978<br />
Güldiken f<strong>in</strong>g bei Ford an. Wie so viele klar: Ohne Deutschkenntnisse wird es auf schaffte er es sogar <strong>in</strong> den Aufsichtsrat,<br />
Dauer schwer. Also begann er e<strong>in</strong>en auch als <strong>erste</strong>r Türke <strong>in</strong> Deutschland. „E<strong>in</strong>es<br />
Deutsch-Kurs an der VHS am Neumarkt. habe ich <strong>in</strong> Deutschland gelernt: Wenn du<br />
Die beste Entscheidung se<strong>in</strong>es Lebens. gut arbeitest, wird das auch gewürdigt.“<br />
Denn schon bald wurde Güldiken als Güldiken heiratete 1970, wurde Vater von<br />
Dolmetscher am Band e<strong>in</strong>gesetzt. „Da- zwei K<strong>in</strong>dern. Se<strong>in</strong> Sohn Levent (39) hat<br />
für gab es 25 Pfennig extra <strong>in</strong> der Stun- Masch<strong>in</strong>enbau stu<strong>die</strong>rt und arbeitet für<br />
de“, erzählt Güldiken und lacht dabei. Ford. Tochter Özlem (37) ist Apotheker<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />
Inzwischen war er auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Heim den USA. Er selbst lebt alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Woh-<br />
<strong>in</strong> <strong>Köln</strong> untergekommen.<br />
nung <strong>in</strong> Riehl. Se<strong>in</strong>e Frau ist vor<br />
StolzeMännerwe<strong>in</strong>ten<br />
nebenihm<br />
drei Jahren verstorben. „Ich habe<br />
mich an <strong>die</strong> E<strong>in</strong>samkeit gewöhnt.“<br />
Güldiken könnte <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />
E<strong>in</strong> fleißiger junger Türke, der gut Türkei zurückkehren, se<strong>in</strong>en Le-<br />
Deutsch sprach: Güldiken fiel auf. bensabend dort verbr<strong>in</strong>gen.<br />
Der Betriebsrat wollte ihn verpflichten. Doch er will nicht. „Me<strong>in</strong>e Hei-<br />
GüldikensReisepassmitGrenzstempeln: „Aber me<strong>in</strong> Meister wollte mich nicht hermat ist <strong>Köln</strong>“, sagt er und blickt<br />
ÜberGriechenlandreisteernach<strong>Köln</strong>. geben.“ Letztlich arbeitete er doch für den vom Balkon auf den Rhe<strong>in</strong>.<br />
„FürunsistderDeutschealles“<br />
<strong>Was</strong> <strong>die</strong> <strong>erste</strong> Stu<strong>die</strong> <strong>über</strong> <strong>Ausländer</strong> <strong>in</strong> <strong>Köln</strong> (<strong>1967</strong>) so alles enthüllte<br />
!<br />
Dat<br />
jiddet<br />
janit<br />
<strong>Was</strong> hielten <strong>die</strong> Gastarbeiter<br />
von den Deutschen –<br />
und wie war es umgekehrt? E<strong>in</strong>e<br />
spannende Frage. Die <strong>erste</strong><br />
von der Stadt <strong>Köln</strong> <strong>in</strong> Auftrag<br />
gegebene Stu<strong>die</strong> zum Gastarbeiter-Thema<br />
aus dem Jahr<br />
<strong>1967</strong> (Titel „Die Integration der<br />
ausländischen Arbeitnehmer<br />
<strong>in</strong> <strong>Köln</strong>“) gab erstaunliche<br />
Antworten.<br />
Untersucht wurden mittels<br />
Interviews und Fragebögen<br />
gegenseitige Akzeptanz und<br />
Erwartungen. Demnach hätten<br />
<strong>die</strong> meisten <strong>Ausländer</strong> „e<strong>in</strong>e<br />
hohe, von Tugendhaftigkeit<br />
SalihGüldikenalsjungerMann<strong>in</strong><br />
derTürkei<br />
undaufdem<br />
Balkonse<strong>in</strong>er<br />
Wohnung<strong>in</strong><br />
Riehl.<br />
Fotos/Repros:<br />
Gottschalk(3),<br />
Rakocy,privat<br />
geprägte Me<strong>in</strong>ung von<br />
Deutschland und den Deutschen<br />
(“Für uns ist der Deutsche<br />
schlechth<strong>in</strong> alles“). Der<br />
Gastarbeiter hoffe deshalb auf<br />
„Führung und Schutz“, erwarte<br />
weiterh<strong>in</strong> auch „freundschaftlichen<br />
Kontakt, Ansprache,<br />
Hilfe und Gastfreund-<br />
d-xkpt/lokal/XLO03A - 15.08.2011 17:03:23 - Verantwortlich:<br />
Cyan Magenta Gelb Schwarz<br />
PPaappaaSSaalliihh PapaSalih PPaappaaSSaalliihh PapaSalih<br />
schaft, also <strong>die</strong> Haltung e<strong>in</strong>es<br />
starken, <strong>in</strong>teressierten, wohlwollenden<br />
und gerechten Vaters“,<br />
wie es <strong>die</strong> Autoren der<br />
Stu<strong>die</strong> formulieren. In Wirklichkeit<br />
treffe der Gastarbeiter<br />
aber auf Zurückhaltung und<br />
Ablehnung.l<br />
Im Fazit der Stu<strong>die</strong> kommt es<br />
dann zu e<strong>in</strong>er skurril anmutenden<br />
Nationenwertung: „Die<br />
<strong>Köln</strong>er sympathisieren am<br />
meisten mit den Spaniern. Der<br />
stolze Spanier ist gastfreundlich<br />
und zuverlässig, se<strong>in</strong> heißes<br />
Blut macht ihn impulsiv.<br />
Der Grieche ist e<strong>in</strong> guter Lieb-<br />
haber. Die Griechen ersche<strong>in</strong>en<br />
als e<strong>in</strong> ruhiges,<br />
arbeitsames, wenn auch<br />
armes Volk. Italiener s<strong>in</strong>d<br />
<strong>in</strong> den Augen der <strong>Köln</strong>er<br />
weder ruhig, ernst, zuverlässig<br />
noch stolz und sauber.<br />
Das Bild des Türken<br />
ist für <strong>die</strong> <strong>Köln</strong>er ganz undifferenziert.<br />
Die Türken<br />
werden für bescheiden gehalten.<br />
Ihre Unbeholfenheit und<br />
Unhöflichkeit – beides Eigenschaften,<br />
<strong>die</strong> ihnen zugesprochen<br />
werden – dürften durch<br />
E<strong>in</strong>echtesPostkartenmotiv:<strong>Köln</strong>erGastarbeiterposiertenfürFotosamliebstenvordemDom.<br />
<strong>die</strong> extremen Sprachschwierigkeiten<br />
bee<strong>in</strong>flusst se<strong>in</strong>.“<br />
Entnommenaus:AyhanDemirci<br />
(2005): „E<strong>in</strong>e türkische Meile – Die<br />
Geschichte der <strong>Köln</strong>er Keupstraße.“<br />
MagisterarbeitanderFUBerl<strong>in</strong><br />
Morgen:„TürkeTas“,dasFC-As<br />
GüldikenwarBerater<br />
fürse<strong>in</strong>etürkischen<br />
Kollegen,spendete<br />
ihnenTrost,wennes<br />
malnichtlief.Sie<br />
nanntenihnliebevoll<br />
„PapaSalih“.<br />
ImBetriebsratsbüro:<br />
Güldikenarbeitete<br />
erstalsDolmetscher<br />
fürdenBetriebsrat,<br />
dannwurdeer1972<br />
selbst<strong>in</strong>denBetriebsratgewählt.<br />
Güldiken1980aufdemWeg<br />
<strong>in</strong><strong>die</strong>Türkei.Mitdabei:TochterÖzlem(r.),SohnLevent<br />
unde<strong>in</strong>Freund(l.)vonihm<br />
i<br />
SovielYilmaz<br />
imTelefonbuch<br />
Heutelebenknapp80000<br />
Menschenmittürkischer<br />
Herkunft<strong>in</strong><strong>Köln</strong>.Alle<strong>in</strong>86maltauchtderName„Yilmaz“im<strong>Köln</strong>erTelefonbuch<br />
auf.Insgesamtlebengut2,9<br />
Millionentürkischstämmige<br />
Bürger<strong>in</strong>Deutschland.<br />
Mehrals80Prozentvonihnens<strong>in</strong>dseitm<strong>in</strong>destens10<br />
Jahren<strong>in</strong>Deutschland.Und<br />
jedesJahrlassensichmehr<br />
als20000Türkene<strong>in</strong>bürgern(Tendenzleichts<strong>in</strong>kend).
Seite22 Serie Mittwoch,17.August2011<br />
Wenn<strong>die</strong>Fremde<br />
zurHeimatwird<br />
50Jahretürkische<br />
Gastarbeiter<strong>in</strong><strong>Köln</strong><br />
EXPRESS-Serie,Teil2<br />
Vor 50 Jahren, Ende 1961, kamen <strong>die</strong> <strong>erste</strong>n<br />
türkischen Gastarbeiter nach <strong>Köln</strong>.<br />
Sie wollten e<strong>in</strong> paar Jahre arbeiten, gutes Geld<br />
ver<strong>die</strong>nen. Deutschland war für sie „gurbet“, <strong>die</strong><br />
Fremde. Doch <strong>die</strong> Fremde wurde mehr und mehr<br />
zur neuen Heimat.<br />
EXPRESS erzählt Lebensgeschichten von<br />
Deutsch-Türken der <strong>erste</strong>n, zweiten und dritten<br />
Generation.<br />
CoskunTas(76)vorse<strong>in</strong>em<br />
Haus<strong>in</strong><strong>Köln</strong>.SiebenMonateimJahrlebter<br />
hier,fünfMonate<strong>in</strong>derTürkei.<br />
VonMEHMETATA<br />
undAYHANDEMIRCI<br />
<strong>Köln</strong> – Fester Wille im Blick,<br />
Leidenschaft im Herzen, der<br />
Geißbock auf der Brust. Das<br />
große Bild, das Sie sehen, ist<br />
das Bild zu e<strong>in</strong>er wundersamen<br />
Geschichte, der am Ende<br />
<strong>die</strong> Krönung fehlte. Warum<br />
das so war, dar<strong>über</strong> redet Coskun<br />
Tas, heute 76, nicht ohne<br />
Traurigkeit. Er, der <strong>erste</strong> Türke<br />
beim FC. Er, der nicht Meister<br />
werden durfte.<br />
Doch der Reihe nach. Herr<br />
Tas, was auf Deutsch Herr<br />
Ste<strong>in</strong> heißt, war ke<strong>in</strong> Gastarbeiter<br />
im herkömmlichen S<strong>in</strong>n.<br />
Niemand hatte ihn gerufen. Tas<br />
war Fußballer bei Besiktas Istanbul,<br />
und wollte nach dem<br />
Studium Deutsch lernen. Über<br />
e<strong>in</strong>en Journalisten des „kicker“,<br />
dessen Redaktion <strong>in</strong> <strong>Köln</strong> saß,<br />
nahm er Kontakt zum 1. FC<br />
<strong>Köln</strong> auf – und tatsächlich: Präsident<br />
Franz Kremer schickte<br />
e<strong>in</strong>en Brief an den Bosporus: Ja,<br />
man suche e<strong>in</strong>en L<strong>in</strong>ksaußen.<br />
Tas packte se<strong>in</strong>e Sachen:<br />
Schiff nach Venedig, Zug zum<br />
<strong>Köln</strong>er Hauptbahnhof, Ankunft<br />
am Abend. Der neue<br />
Mann ruft aus der Telefonzelle<br />
im Geißbockheim an, Kremer<br />
ist persönlich dran: „Hier Türke<br />
d-xkpt/lokal/XLO03A - 16.08.2011 16:59:36 - Verantwortlich:<br />
Cyan Magenta Gelb Schwarz<br />
Dietolle(undtraurige)StorydesFC-StarsCoskunTas<br />
Tas!“, meldet Herr Ste<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e<br />
Ankunft. Die paar Brocken<br />
Deutsch hat er von se<strong>in</strong>em Vater,<br />
der noch im Kaiserreich im<br />
Rahmen der guten wilhelm<strong>in</strong>isch-osmanischenBeziehungen<br />
e<strong>in</strong>ige Jahre als Bauzeichner<br />
<strong>in</strong> Leipzig arbeitete. Kremer<br />
sagt, Tas solle am Blumenladen<br />
warten. Er schickt Frau Kremer<br />
los, <strong>die</strong> ihn mit dem Auto abholen<br />
soll.<br />
Erspielteschongegen<br />
PuskásundDiStefano<br />
E<strong>in</strong>ige Tage später, nach dem<br />
Probetra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, entscheidet der<br />
FC: Tas bleibt! Der Junge ist e<strong>in</strong><br />
Glücksgriff, er kommt ablösefrei<br />
und hat schon <strong>in</strong>ternationale<br />
Erfahrung. Er hat mit Besiktas<br />
im Europapokal gegen<br />
Real Madrid (mit Puskás und Di<br />
Stefano) gespielt und mit der<br />
türkischen Nationalmannschaft<br />
bei der WM 1954 zweimal<br />
gegen das Herberger-Team<br />
und se<strong>in</strong>en jetzt neuen Mannschaftskollegen<br />
Hans Schäfer<br />
gekämpft (und verloren). Kremer<br />
besorgt Tas e<strong>in</strong>en alten Fiat<br />
und e<strong>in</strong> Praktikum bei Kaufhof,<br />
wo er mit Karl-He<strong>in</strong>z Schnell<strong>in</strong>ger<br />
zusammenarbeitet.<br />
Drei Jahre, von 1959 bis<br />
1961, wird Tas beim 1.FC <strong>Köln</strong><br />
spielen - se<strong>in</strong>e große Stunde<br />
schlägt <strong>in</strong> der Meisterschafts-<br />
Verliebt<strong>in</strong><strong>Köln</strong>:CoskunTasundse<strong>in</strong>eFrauGertrud<strong>in</strong>denfrühen60erJahren.<br />
400MuslimebetenimDom<br />
Vor mehr als 45 Jahren haben<br />
uns Christen und<br />
teppiche aus. Sie feierten das<br />
islamische Opferfest am Ende<br />
Kard<strong>in</strong>al Joseph Fr<strong>in</strong>gs hatte<br />
<strong>die</strong> Erlaubnis zur Aktion<br />
Muslime aus <strong>Köln</strong> gezeigt, wie des Fasten-Monats Ramadan. gegeben, er hatte dafür ge-<br />
e<strong>in</strong> gelungener „Dialog<br />
der Kulturen“<br />
aussieht.<br />
400 türkische Gastarbeiter<br />
rollten am 3.<br />
Februar 1965 im <strong>Köln</strong>er<br />
Dom ihre Gebets- !<br />
„Mohammedasorgt, dass <strong>die</strong> Muslime <strong>in</strong><br />
ner beten im den beiden nördlichen Sei-<br />
Dat<br />
Dom“, titelte der tenschiffen Platz erhielten.<br />
EXPRESS und Auch <strong>die</strong> Domprobstei<br />
jiddet zeigte e<strong>in</strong> groß- zeigte sich unaufgeregt:<br />
janit formatiges Foto. „Das ist durchaus nichts<br />
Der damalige Ungewöhnliches.“<br />
E<strong>in</strong>mol<br />
Meister<br />
s<strong>in</strong>...<br />
endrunde 1960. Der<br />
Flügelflitzer ist <strong>in</strong> allen<br />
sechs Spielen dabei,<br />
schießt selbst drei Tore,<br />
wird von der Presse gefeiert<br />
- und erreicht das<br />
F<strong>in</strong>ale! Der FC steht vor<br />
der <strong>erste</strong>n Deutschen<br />
Meisterschaft!<br />
Und so war jener<br />
25.Juni 1960 im Frankfurter<br />
Waldstadion e<strong>in</strong><br />
Tag, um Helden zu<br />
schaffen. Endspiel gegen<br />
den<br />
HSV. Es<br />
wird e<strong>in</strong><br />
Drama.<br />
Vier M<strong>in</strong>uten<br />
vor<br />
Schluss<br />
macht Uwe<br />
Seeler das<br />
3:2. Der FC<br />
verliert. Der<br />
türkische<br />
Star der<br />
Mannschaft<br />
ist am Boden<br />
zerstört.<br />
Schockiert.<br />
Er v<strong>erste</strong>ht<br />
<strong>die</strong> Welt nicht mehr. Denn: Er<br />
hat gar nicht mitgespielt.<br />
„Ich gehe davon aus, dass sie<br />
damals e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e deutsche<br />
Mannschaft haben wollten“,<br />
sagt Tas heute noch. E<strong>in</strong>e an-<br />
1.FC<strong>Köln</strong>,1960:CoskunTas(5.vonl<strong>in</strong>ks),Karl-He<strong>in</strong>z<br />
Schnell<strong>in</strong>ger(4.v.rechts)undHansSchäfer(rechts)<br />
dere Erklärung hat er<br />
nicht. „Sie haben sogar e<strong>in</strong>en<br />
Spieler e<strong>in</strong>gesetzt, der 10 Tage<br />
vorher am Bl<strong>in</strong>ddarm operiert<br />
worden war.“ Jener Georg Stollenwerk,<br />
dem <strong>in</strong> der letzten halben<br />
Stunde <strong>die</strong> Puste aus-<br />
CoskunTaswarals<br />
guterDribblerund<br />
Kämpferbekannt.<br />
InderEndrunde<br />
1960erzielteerdrei<br />
Treffer,unteranderemgegenFKPirmasens(oben).Fotos:dpa,Horstmüller,<br />
Gottschalk (2), Wand (1)<br />
gegangen war, sagte<br />
später zu ihm: „Cos-<br />
kun, es war e<strong>in</strong> Fehler, dass ich<br />
gespielt habe und du nicht.“<br />
Auch den Funktionären<br />
sche<strong>in</strong>t <strong>die</strong> Sache unangenehm<br />
gewesen zu se<strong>in</strong>: „Nach dem<br />
Spiel kam Franz Kremer etwas<br />
geknickt zu mir und sagte, ich<br />
DiesesFotoerschienam4.Februar1965imEXPRESS.400<br />
MuslimebetetendamalsimDom.<br />
i<br />
6.6.60:FC-L<strong>in</strong>ksaußenCoskun<br />
Tasstürmtgegen<br />
TasmaniaBerl<strong>in</strong>.<br />
Foto:Horstmüller<br />
Bekirvom<br />
Bosporus<br />
CoskunTasgiltals<strong>erste</strong>r<br />
TürkeimdeutschenFußball<strong>über</strong>haupt,erhatte<br />
abere<strong>in</strong>enVorgänger<br />
nochzuZeitenderWeimarerRepublik:BekirRefet(geb.1899<strong>in</strong>Istanbul,gest.1977<strong>in</strong>Karlsruhe)wechselte1921von<br />
GalatasarayzuPhönix<br />
Karlsruhe,späterzum<br />
1.FCPforzheim,dann<br />
zumKarlsruherFV.<br />
würde auch <strong>die</strong> laut Satzung<br />
zustehenden 500 DM bekommen.“<br />
Von der Endspiel-Enttäuschung<br />
hatte sich Tas nicht<br />
mehr erholt, er blieb nur noch<br />
e<strong>in</strong> weiteres Jahr beim FC,<br />
spielte dann noch <strong>in</strong> der Zweiten<br />
Liga beim Bonner FV. Tas<br />
arbeitete dann lange Jahre bei<br />
Ford <strong>in</strong> der Verkaufsplanung.<br />
Zu den Gastarbeitern, <strong>die</strong> nun<br />
Jahr für Jahr e<strong>in</strong>trafen, hatte<br />
Coskun Tas e<strong>in</strong>e Distanz, weil<br />
ihm, dem Großstädter, viele der<br />
Menschen aus dem tiefen Anatolien<br />
„e<strong>in</strong>fach fremd“ waren,<br />
wie er e<strong>in</strong>mal dem Magaz<strong>in</strong> „11<br />
Freunde“ erzählte.<br />
Tas lebt heute, verheiratet<br />
mit se<strong>in</strong>er Frau Gertrud und<br />
Vater e<strong>in</strong>es Sohnes, <strong>in</strong> <strong>Köln</strong>-<br />
Longerich. Ich b<strong>in</strong> heute vieles,<br />
hat er e<strong>in</strong>mal gesagt: „E<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d<br />
Atatürks, denn ich b<strong>in</strong> stolz auf<br />
das Land, aus dem ich komme,<br />
e<strong>in</strong> Fußballer, e<strong>in</strong> Mensch, der<br />
<strong>über</strong> 30 Jahre bei Ford gearbeitet<br />
hat, e<strong>in</strong> Familienvater, deutscher<br />
Staatsangehöriger und<br />
vor allem e<strong>in</strong> <strong>Köln</strong>er.“<br />
Morgen:Die<br />
nächsteGeneration
Seite22 Serie Donnerstag,18.August2011<br />
Wenn<strong>die</strong>Fremde<br />
zurHeimatwird<br />
50Jahretürkische<br />
GastarbeiterimRhe<strong>in</strong>land<br />
EXPRESS-Serie,Teil3<br />
Vor 50 Jahren, Ende 1961,<br />
kamen <strong>die</strong> <strong>erste</strong>n türkischen<br />
Gastarbeiter nach <strong>Köln</strong>.<br />
Sie wollten e<strong>in</strong> paar Jahre arbeiten,<br />
gutes Geld ver<strong>die</strong>nen.<br />
Deutschland war für sie „gurbet“,<br />
<strong>die</strong> Fremde. Doch <strong>die</strong><br />
Fremde wurde mehr und mehr<br />
zur neuen Heimat.<br />
EXPRESS erzählt Lebensgeschichten<br />
von Deutsch-Türken<br />
der <strong>erste</strong>n, zweiten und dritten<br />
Generation.<br />
Tülayanihrem<strong>erste</strong>n<br />
Schultagim<br />
September<br />
1986.<br />
ZweiMigrantenk<strong>in</strong>dererzählenihreGeschichte<br />
Kle<strong>in</strong>eTülaylehrt<br />
unsjetztDeutsch<br />
VonMEHMETATA<br />
als ihm. Er tat alles dafür, dass Tü- Tülay. „Sie sagen<br />
lay und ihre Brüder <strong>die</strong> Uni besu- mir, dass ich sie viel<br />
<strong>Köln</strong> – Tülay Altun (31) war e<strong>in</strong>e chen können. „Er verbot uns sogar, besser v<strong>erste</strong>he als<br />
schlechte Schüler<strong>in</strong>. Bis der Papa arbeiten zu gehen, damit wir nicht andere Lehrer.“<br />
ihr zwei Sätze auf den Weg gab: <strong>die</strong> Schule vernachlässigen“, er- Tülay nutzt ihren<br />
„Du musst selber wissen, ob du zählt Tülay.<br />
kulturellen H<strong>in</strong>ter-<br />
lernen willst. Du kannst ja e<strong>in</strong>es Sie stu<strong>die</strong>rte an der Uni Duisgrund, um auf El-<br />
Tages <strong>in</strong> der Firma de<strong>in</strong>es Bruders burg-Essen Lehramt, es folgte das tern e<strong>in</strong>zuwirken.<br />
Putzfrau werden.“ Heute ist Tülay Referendariat an e<strong>in</strong>er <strong>Köln</strong>er „In me<strong>in</strong>er Klasse<br />
Lehrer<strong>in</strong> und Vorbild für ihre tür- Hauptschule. Dann das <strong>erste</strong> Ge- durfte e<strong>in</strong> Mädchen<br />
kischen Schüler.<br />
spräch mit der Direktor<strong>in</strong>: „Nach 45 mit Kopftuch nicht<br />
Dass sie es so weit gebracht hat,<br />
hat sie vor allem ihrem Vater<br />
M<strong>in</strong>uten sagte sie zu mir, dass ich<br />
gut Deutsch spreche.“ Tülays Antwort:<br />
„Danke, Sie aber auch.“<br />
auf Klassenfahrt mit.<br />
Ich habe dann auf<br />
Türkisch mit den El-<br />
Haydar zu verdanken, der 1973 als Seit e<strong>in</strong>em Jahr lehrt Tülay an der tern gesprochen und<br />
Gastarbeiter <strong>in</strong> <strong>die</strong> Schwer<strong>in</strong>dustrie Willy-Brandt-Gesamtschule <strong>in</strong> Hö- gesagt, dass ich ihre<br />
nach Witten kam. Se<strong>in</strong>en Traum henhaus. Jeder zweite Schüler hier Ängste v<strong>erste</strong>he. Nach<br />
b<strong>in</strong> hier<br />
vom Masch<strong>in</strong>enbau-Studium hatte hat Migrationsh<strong>in</strong>tergrund. „Ich langem Zureden durfte das Mäd- nicht <strong>die</strong> Migrationsbeauftragte.<br />
er dafür begraben. Se<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>dern b<strong>in</strong> vor allem für <strong>die</strong> türkischen chen doch mit.“<br />
Ich b<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>erste</strong>r L<strong>in</strong>ie Deutsch- und<br />
sollte es e<strong>in</strong>es Tages besser gehen Schüler<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong> Vorbild“, erzählt Tülay Altun sagt aber auch: „Ich Geschichtslehrer<strong>in</strong>.“<br />
VaterwarTürkei-Soldat,Sohn<strong>die</strong>ntbeiBundeswehr<br />
I hreElternundGroßelternkamenalsFremdehierher.Doch<br />
für Caglar Ilhan (27) und Deniz<br />
Hüsey<strong>in</strong> Irtem (25) ist Deutschland<br />
zum neuen Vaterland geworden.<br />
Sie <strong>die</strong>nen <strong>in</strong> der Bundeswehr.<br />
Deniz sitzt im Cockpit des Eurofighters.<br />
Er führt noch <strong>die</strong><br />
letzten Checks durch, der Pilot<br />
will gleich losfliegen. Deniz ist<br />
Mechaniker bei der Bundeswehr<br />
<strong>in</strong> Nörvenich. Der 25-Jährige<br />
sorgt dafür, dass <strong>die</strong> Kampfflieger<br />
e<strong>in</strong>satzbereit s<strong>in</strong>d.<br />
Von se<strong>in</strong>en Kameraden wird<br />
er nur „Türke“ genannt. „Weil<br />
ich immer so viel Türkisch am<br />
Telefon rede“, lacht Deniz. Der<br />
Spitzname ist nicht böse geme<strong>in</strong>t,<br />
im Gegenteil: Die Kameraden<br />
gehen locker damit um,<br />
dass Deniz’ Eltern aus der Türkei<br />
DieSoldatenDeniz<br />
(l.)undCaglarvore<strong>in</strong>emEurofighterder<br />
Luftwaffe. Foto:Wand<br />
stammen. Der Enkel e<strong>in</strong>es Gastarbeiters<br />
ist seit fünf Jahren bei<br />
der Bundeswehr – und er will<br />
noch bis m<strong>in</strong>destens 2019 bleiben.<br />
Ist es komisch, als Migrant<br />
für Deutschland zu <strong>die</strong>nen?<br />
Deniz: „Ne<strong>in</strong>, schließlich habe<br />
ich <strong>die</strong>sem Land alles zu verdanken.“<br />
d-xkpt/lokal/XLO03A - 19.08.2011 09:31:50 - Verantwortlich:<br />
Cyan Magenta Gelb Schwarz<br />
Se<strong>in</strong> Kamerad Caglar „Charly“<br />
Ilhan arbeitet seit e<strong>in</strong>em Jahr <strong>in</strong><br />
der Verwaltung der Kaserne. Als<br />
das Unternehmen, bei dem er gearbeitet<br />
hat, nach Polen verlagert<br />
wurde, hatte Charly plötzlich<br />
ke<strong>in</strong>en Job mehr. Er bewarb<br />
sich bei der Bundeswehr. Dafür<br />
musste er erst mal se<strong>in</strong>e Verwei-<br />
1985:VaterHaydar,MutterFatma,Bruder<br />
KubilayundTülaybeie<strong>in</strong>erWeihnachtsfeier<br />
Deniz’VaterKazim<strong>die</strong>ntenoch<br />
für<strong>die</strong>Türkei(1992).<br />
gerung zurückziehen; er hatte<br />
auch schon Zivil<strong>die</strong>nst geleistet.<br />
Bereut hat er den Schritt nicht.<br />
Morgen:TürkischeUnternehmer<strong>in</strong>Zukunftsbranchen<br />
TülayAltun(31)istseit<br />
e<strong>in</strong>emJahrLehrer<strong>in</strong>an<br />
derWilly-Brandt-Gesamtschule<strong>in</strong>Höhenhaus.<br />
Fotos: Gottschalk, privat<br />
DasOrakelvon1486:<br />
Sultans-Tod<strong>in</strong>Cölln<br />
VonA.DEMIRCI<br />
Die Türken kommen<br />
– jahrhundertelang<br />
e<strong>in</strong> Schreckensruf.<br />
Trost<br />
spendete der AstrologeJohannesLichtenberger<br />
1486. Ja,<br />
bestätigte er zwar,<br />
der Türken-Sturm<br />
werde als Zuchtrute<br />
Gottes auch Deutschland<br />
heimsuchen,<br />
aber <strong>in</strong> <strong>Köln</strong> sei dann<br />
Schluss damit: Hier,<br />
„bey dem gülden apffel<br />
zu cölln“ werde der Sultan<br />
„umbkommen und<br />
erwürget“ werden, und<br />
das mit Hilfe von den<br />
Heiligen Drei Königen,<br />
deren Reliquien seit 1164<br />
<strong>in</strong> <strong>Köln</strong> ruhten. ●●● Die<br />
Türken kamen schließlich<br />
doch, aber legal. Das<br />
besang <strong>die</strong> Düsseldorfer<br />
Band„Fehlfarben“ 1980<br />
im grotesken Song „Militürk“<br />
aus dem Album<br />
„Monarchie & Alltag“<br />
! Datjiddet<br />
Datjiddet<br />
janit<br />
mit e<strong>in</strong>em eiskalten Gitarrenriff<br />
und der Textzeile:<br />
„Wir s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Türken<br />
von morgen.“ ●●●<br />
Von gestern, e<strong>in</strong>e sagenhafteE<strong>in</strong>wandererkarriere:<br />
Der 1827 <strong>in</strong> Brandenburg<br />
geborene Karl Detroit<br />
kam als Schiffsjunge<br />
<strong>in</strong> <strong>die</strong> Osmanenkapitale<br />
Istanbul, e<strong>in</strong> Großwesir<br />
holte ihn <strong>in</strong> <strong>die</strong> Armee,<br />
aus Karl wurde Offizier<br />
Mehmet Ali Pascha. Er<br />
war Oberbefehlshaber<br />
auf dem Balkan, vertrat<br />
<strong>die</strong> Türkei beim Berl<strong>in</strong>er<br />
Kongress 1878 -<br />
Karl/Mehmet fiel bei e<strong>in</strong>em<br />
Aufstand <strong>in</strong> Albanien<br />
.
Seite22 Serie Freitag,19.August2011<br />
Als KemalCakir<br />
(40) vor<br />
20 Jahren<br />
se<strong>in</strong>e Ausbildung<br />
zum<br />
Krankenpflegerbegann,runzelten<br />
sie <strong>in</strong> der Familie<br />
<strong>die</strong> Stirn. Denn der Pflegerberuf<br />
ist <strong>in</strong> türkischen<br />
Familien nicht sehr angesehen.<br />
Heute ist Cakir der<br />
E<strong>in</strong>zige aus der Familie,<br />
der se<strong>in</strong> eigenes Unternehmen<br />
führt. „Dabei haben<br />
alle me<strong>in</strong>e Geschwister<br />
stu<strong>die</strong>rt“, lacht der 40-<br />
Jährige.<br />
Vor zwölf Jahren hat<br />
Cakir <strong>in</strong> Bönen (Westfalen)<br />
e<strong>in</strong>es der <strong>erste</strong>n türkischen<br />
Pflegezentren <strong>in</strong> Deutschland<br />
eröffnet. „Der Bedarf<br />
war riesig“, erzählt er.<br />
„Wenn Menschen krank<br />
s<strong>in</strong>d, werden sie konservativer,<br />
emotionaler, religiöser.<br />
Türken wollen dann<br />
oft von Türken gepflegt<br />
werden.“ Heute bietet Cakir<br />
häusliche und stationäre<br />
Pflege für Deutsche<br />
und Migranten an. 182<br />
Mitarbeiter hat er <strong>in</strong>zwischen,<br />
alle<strong>in</strong> 30 im Raum<br />
<strong>Köln</strong>/Aachen. Das Rhe<strong>in</strong>land<br />
wird immer wichtiger<br />
für den Geschäftsmann. In<br />
Kürze will er <strong>in</strong> Porz e<strong>in</strong><br />
Büro eröffnen.<br />
Computer–Solarenergie–Altenpflege<br />
TürkischeUnternehmer:Die<br />
MacherderZukunft<br />
VonMEHMETATA<br />
<strong>Köln</strong> – Türkische Unternehmer? Da denkt man an den<br />
Döner-Verkäufer um <strong>die</strong> Ecke – vielleicht noch an e<strong>in</strong>en<br />
Juwelier. Und tatsächlich: Der Großteil der türkischen<br />
Unternehmer <strong>in</strong> Deutschland ist im Gastgewerbe und<br />
Handel tätig. Doch mehr und mehr Geschäftsleute trauen<br />
sich <strong>in</strong>zwischen<br />
<strong>in</strong><br />
neue Geschäftszweige.<br />
„Die rund<br />
70 000 türkischenUnter-<br />
nehmer s<strong>in</strong>d<br />
heute <strong>in</strong> fast<br />
allen Branchenvertreten“,<br />
sagt Bilgehan<br />
Yildiz<br />
von der Türkisch-DeutschenIndustrie-<br />
und Han-<br />
Wenn<strong>die</strong>Fremde<br />
zurHeimatwird<br />
50Jahretürkische<br />
Gastarbeiter<strong>in</strong><strong>Köln</strong><br />
EXPRESS-Serie,Teil4<br />
delskammer <strong>in</strong> <strong>Köln</strong>. Dabei schaffen sie schätzungsweise<br />
260 000 Arbeitsplätze.<br />
Inzwischen gibt es sogar viele Unternehmer, <strong>die</strong> <strong>in</strong> sogenannten<br />
Zukunftsbranchen ganz vorne mitmischen.<br />
Sie gründen Hightech-Unternehmen oder engagieren<br />
sich <strong>in</strong> der immer wichtiger werdenden Altenpflege.<br />
EXPRESS stellt vier solcher Geschäftsleute vor, <strong>die</strong> im<br />
Rhe<strong>in</strong>land aktiv s<strong>in</strong>d.<br />
KemalCakir,<br />
Pflegezentrum<br />
Cakir<br />
Pionierfür<br />
Senioren<br />
d-xkpt/lokal/XLO03A - 19.08.2011 09:33:09 - Verantwortlich: gerd.kuehnemuth<br />
Cyan Magenta Gelb Schwarz<br />
IlkerAyd<strong>in</strong>(28),<br />
KaiserGamesGmbH<br />
KönigderSpiele<br />
Ilker Ayd<strong>in</strong> gehört<br />
mit nur 28<br />
Inzwischen betreibt<br />
Ilker, dessen<br />
Jahren zu den er-<br />
Großeltern <strong>in</strong> den<br />
folgreichstenIn- 60er Jahren nach<br />
ternet-Unterneh<br />
Deutschland e<strong>in</strong>mern<br />
<strong>in</strong> Deutschgewandert<br />
s<strong>in</strong>d,<br />
land. Se<strong>in</strong>e Inter-<br />
mit se<strong>in</strong>en acht<br />
netseiten haben<br />
Mitarbeitern <strong>die</strong><br />
bis zu zwei Mil-<br />
Internetseite<br />
lionen Besucher<br />
spieleaffe.de. K<strong>in</strong>-<br />
jeden Tag. Ilker<br />
der können dort<br />
bleibt aber <strong>die</strong><br />
kostenlos 6000<br />
Bescheidenheit <strong>in</strong><br />
M<strong>in</strong>i-Spiele spie-<br />
Person, zurücklen.<br />
Spieleaffe gehaltend,<br />
höflich. FürIlker(28)ist hört zu den 35<br />
Aufgewachsen ist <strong>die</strong>Chefrollenoch meistbesuchten<br />
er <strong>in</strong> <strong>Köln</strong>-Porz, <strong>in</strong> ungewohnt. Seiten im deut-<br />
e<strong>in</strong>er schwierigen<br />
schen Netz. Die<br />
Gegend. „Ich habe aufge- türkische Version der Seite<br />
passt, dass ich nicht auf <strong>die</strong> (kraloyun.com) ist genauso<br />
schiefe Bahn gerate“, sagt Il- beliebt.<br />
ker. Nach dem Abitur hat er Für se<strong>in</strong> zukünftiges Leben<br />
e<strong>in</strong>e Ausbildung zum Fremd- kann sich Ilker viel vorstelsprachenkorrespondentenlen.<br />
Nur e<strong>in</strong>es will er nicht:<br />
gemacht. Danach folgte das wegziehen. „<strong>Köln</strong> ist e<strong>in</strong>fach<br />
Studium der „Arts and Media me<strong>in</strong>e Heimat, e<strong>in</strong>e wunder-<br />
Bus<strong>in</strong>ess Adm<strong>in</strong>istration“. volle Stadt.“<br />
MorgenlesenSie:Nazan,Fatih,Ozan–wasPromisdenken<br />
Ibrahimhatschonmit18<br />
Jahrense<strong>in</strong><strong>erste</strong>sUnternehmengegründet.Mit19hatteerschon200Mitarbeiter.<br />
Fotos:<br />
Schwaiger, Borm, Solitem, Cakir<br />
IbrahimEvsan(35),<br />
UnitedPrototype VomHauptschüler<br />
zumInternet-Unternehmer<br />
Ibrahim Evsan (35) kennt<br />
sich aus mit Internet-Unternehmen.<br />
Schon mit 19 Jahren<br />
führte er e<strong>in</strong>e IT-Firma mit<br />
200 Mitarbeitern. Später war<br />
er Mitbegründer von sevenload.de,<br />
e<strong>in</strong>er Art deutschem<br />
Youtube.<br />
Inzwischen leitet er „United<br />
Prototype“. Das 30 Mann starke<br />
Unternehmen hat das Onl<strong>in</strong>e-Spiel<br />
„Fliplife“ entwickelt.<br />
User können im Internet<br />
Karrieren nachspielen, zum<br />
Beispiel bei der Bayer AG. „Innerhalb<br />
von sechs Monaten<br />
haben sich 280 000 Spieler<br />
angemeldet. Wir s<strong>in</strong>d schon<br />
jetzt <strong>in</strong> den schwarzen Zahlen“,<br />
sagt „Ibo“.<br />
Der gebürtige Warendorfer<br />
hat e<strong>in</strong>e Bilderbuchkarriere<br />
h<strong>in</strong>gelegt, hat den Sprung von<br />
der Hauptschule <strong>in</strong> <strong>die</strong> Chefetage<br />
geschafft. Abitur hat er<br />
nicht machen können; se<strong>in</strong>e<br />
Eltern waren dagegen. Nicht<br />
AhmetLokurlu(47),SolartechnikSolitem<br />
18Preisefürse<strong>in</strong>eSonnensysteme<br />
Spätestens seit dem Atomunglück<br />
von Fukushima ist<br />
Öko-Strom e<strong>in</strong> großes Thema.<br />
Für Ahmet Lokurlu s<strong>in</strong>d solche<br />
Diskussionen aber nicht<br />
neu, er gehört zu den Pionieren<br />
auf dem Gebiet der nachhaltigen<br />
Stromerzeugung. Mit<br />
se<strong>in</strong>er Aachener Firma „Solitem“<br />
arbeitet er schon seit<br />
1999 an solarbetriebenen Klimaanlagen.<br />
Die Grundidee ist<br />
e<strong>in</strong>fach: Klimaanlagen werden<br />
dann gebraucht, wenn es<br />
sehr warm ist. Dann sche<strong>in</strong>t<br />
aber auch <strong>die</strong> Sonne am<br />
stärksten. Warum also nicht<br />
Sonnenenergie für Klimaanla-<br />
aus Bösargkeit, sondern weil<br />
sie, <strong>die</strong> ehemaligen Gastarbeiter,<br />
<strong>die</strong> akademische Welt<br />
nicht e<strong>in</strong>schätzen konnten.<br />
Heute setzt sich Ibo für <strong>die</strong><br />
Schwächeren <strong>in</strong> der Gesellschaft<br />
e<strong>in</strong>. Er sitzt im Vorstand<br />
der Deutschlandstiftung<br />
Integration und ist Ko-<br />
gen nutzen? Lokurlus Kälteanlagen<br />
s<strong>in</strong>d dreimal so effektiv<br />
wie herkömmliche Systeme.<br />
Se<strong>in</strong>e Kunden hat der promovierte<br />
Ingenieur vor allem<br />
<strong>in</strong> mediterranen Ländern. 15<br />
Mitarbeiter arbeiten bei Solitem<br />
<strong>in</strong> Aachen, etwa 25 im<br />
türkischen Ankara.<br />
Lokurlu ist 1988 zum Stu<strong>die</strong>ren<br />
nach Deutschland gekommen.<br />
Se<strong>in</strong>e türkische Herkunft<br />
empf<strong>in</strong>det Lokurlu<br />
nicht als Belastung. Im Gegenteil:<br />
„Mehrere Kulturen<br />
kennenzulernen war e<strong>in</strong> großer<br />
Reichtum für mich. So war<br />
ich immer offen für Neues.“<br />
Hatmitse<strong>in</strong>er<strong>in</strong>novativen<br />
Technologieweltweitschon<br />
18Preisegewonnen:<br />
Dr.AhmetLokurlu<br />
Warum<strong>die</strong>Bosporusbrückeauch„Made<strong>in</strong>Mülheim“ist<br />
Die Verb<strong>in</strong>dungen zwischen<br />
Deutschland und<br />
v<strong>in</strong>z Rize. Er kam 1963 nach<br />
Deutschland, wurde Arbeiter<br />
der Türkei, <strong>Köln</strong> und Istanbul beim Mülheimer Kabelher-<br />
(Städtepartner) s<strong>in</strong>d vielfältig.<br />
!<br />
steller Felten & Guilleaume,<br />
Beispielhaft ist da<br />
damals e<strong>in</strong> Welt-<br />
der Gastarbeiter<br />
konzern.<br />
Abid<strong>in</strong> Aygün, geb. Dat<br />
F & G stellte <strong>die</strong><br />
1939 <strong>in</strong> der jiddet Stahlseile für <strong>die</strong><br />
Schwarzmeerpro-<br />
Istanbuler Bospo-<br />
janit<br />
mitee-Mitglied bei UNICEF.<br />
„E<strong>in</strong> Drittel me<strong>in</strong>er Arbeitszeit<br />
wende ich für me<strong>in</strong> Engagement<br />
auf“, erzählt er. <strong>Was</strong><br />
hat so e<strong>in</strong> Mann <strong>in</strong> fünf Jahren<br />
vor? „Dann will ich erst<br />
mal nicht mehr arbeiten. Für<br />
mich beg<strong>in</strong>nt dann <strong>die</strong> Zeit<br />
der Erdung.“<br />
rusbrücke her, <strong>die</strong> bei ihrer<br />
E<strong>in</strong>weihung 1973 e<strong>in</strong>e Sensation<br />
war - und Herr Aygün<br />
aus der Keupstraße war es, der<br />
als Drahtprüfer kontrollierte,<br />
ob <strong>die</strong> Stahlseile für das 1500<br />
Meter lange Wahrzeichen, das<br />
fortan Asien und Europa verband,<br />
<strong>die</strong> Last auch trägt.
Seite28 Serie Samstag,20.August2011<br />
Wenn<strong>die</strong>Fremde<br />
zurHeimatwird<br />
50Jahretürkische<br />
GastarbeiterimRhe<strong>in</strong>land<br />
Vor e<strong>in</strong>em halben Jahrhundert<br />
kamen <strong>die</strong> <strong>erste</strong>n Gastarbeiter<br />
aus der Türkei <strong>in</strong>s<br />
Rhe<strong>in</strong>land. Heute s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der<br />
der <strong>erste</strong>n Migrantengeneration<br />
<strong>in</strong> allen Branchen vertreten<br />
– auch im Showbus<strong>in</strong>ess.<br />
Wir kennen sie aus Film und<br />
Fernsehen.<br />
Der EXPRESS hat mit<br />
deutsch-türkischen Promis aus<br />
dem Rhe<strong>in</strong>land gesprochen.<br />
Der Kabarettist Fatih Cevikkollu<br />
(„Alles Atze“, „Fatihland“),<br />
<strong>die</strong> Moderator<strong>in</strong> Nazan Eckes<br />
(„Let’s Dance“) und der „Stunker“<br />
Ozan Akhan erzählen <strong>über</strong><br />
Deutschland, <strong>die</strong> Türkei und<br />
<strong>über</strong> ihre Familiengeschichten.<br />
Und <strong>über</strong> <strong>die</strong> Zukunft der Integration.<br />
WirDeutsche<br />
müssenmehr<strong>über</strong><br />
unsTürkenlernen<br />
Comedian Fatih Cevikkollu <strong>über</strong> <strong>Köln</strong> und <strong>die</strong> Integration mit „Oma Büttner“<br />
VonMEHMETATA<br />
EXPRESS-Serie,Teil5<br />
HerrCevikkollu,Sies<strong>in</strong>dgebürtiger<strong>Köln</strong>er,leben<strong>in</strong>Nippes.<strong>Was</strong>warfürIhreIntegrationentscheidend?<br />
Bei uns im Haus lebte e<strong>in</strong>e alte<br />
Dame, Frau Büttner. Sie war<br />
Jahrgang 1900. Frau Büttner<br />
war me<strong>in</strong>e <strong>erste</strong> Freund<strong>in</strong>, ich<br />
habe sie immer „Oma“ genannt.<br />
Sie hat mir erzählt, wie <strong>Köln</strong><br />
früher aussah und sie hat mir<br />
Kölsch beigebracht. Es war <strong>die</strong><br />
ModerationNazanEckes(35)willsich<br />
<strong>in</strong>Integrationsthemene<strong>in</strong>mischen<br />
Freundschaft e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>samen,<br />
alten Dame mit e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>samen,<br />
kle<strong>in</strong>en Jungen. Außerdem<br />
hat me<strong>in</strong>e Mutter sehr darauf<br />
geachtet, dass ich früh<br />
Deutsch lerne.<br />
Warums<strong>in</strong>dIhreElternnach<br />
Deutschlande<strong>in</strong>gewandert?<br />
Me<strong>in</strong> Vater kam Mitte der<br />
60er Jahre als Gastarbeiter<br />
nach <strong>Köln</strong>, er war Werkzeugmacher<br />
bei Ford. Me<strong>in</strong>e Mutter<br />
kam erst im Jahr 1968 nach.<br />
Seit zehn Jahren leben sie nun<br />
d-xkpt/lokal/XLO05A - 19.08.2011 16:48:21 - Verantwortlich: claudia.streich<br />
Cyan Magenta Gelb Schwarz<br />
schon wieder <strong>in</strong> der Türkei.<br />
FühlenSiesicheherdeutsch<br />
odertürkisch?<br />
Ich will mich nicht entscheiden.<br />
Ich b<strong>in</strong> Deutschland se<strong>in</strong>e<br />
Zukunft (lacht). Man muss<br />
selbstbewusst mit se<strong>in</strong>er Identität<br />
umgehen. Und wir Deutsche<br />
müssen mehr <strong>über</strong> uns Türken<br />
lernen.<br />
Siehabene<strong>in</strong>evierjährige<br />
Tochter.IstesIhnenwichtig,<br />
dasssiedenKontaktzurTürkei<br />
nichtverliert?<br />
Morgen:Ata&Demirci-derDeutschland-Türkei-Talk<br />
FatihCevikkollu<br />
fühltsichdeutsch<br />
undtürkischzugleich.„Ichwillmichnichtentscheiden.“<br />
Fotos:Borm,PR<br />
Ne<strong>in</strong>. Es gibt genug Probleme<br />
im Leben, da braucht sie nicht<br />
auch das Identitäts-Problem.<br />
Deutschland ist unser Lebensmittelpunkt,<br />
nicht <strong>die</strong> Türkei.<br />
Es ist mir aber wichtig, dass<br />
me<strong>in</strong>e Tochter Türkisch lernt.<br />
Istesleicht,sich<strong>in</strong><strong>Köln</strong>heimischzufühlen?<br />
Jeder sagt, dass se<strong>in</strong>e Stadt<br />
<strong>die</strong> schönste ist. Aber bei <strong>Köln</strong><br />
stimmt das wirklich (lacht).<br />
Wenn ich <strong>über</strong> <strong>die</strong> Zoobrücke<br />
fahre, schlägt me<strong>in</strong> Herz höher.<br />
NazanEckes:Me<strong>in</strong>eMutter<br />
hatteAngstundwartraurig<br />
FrauEckes,<strong>in</strong>IhremBuch„GutenMorgenAbendland“erzählenSieIhreFamiliengeschichte.WarumhabenSieke<strong>in</strong>enAutobiografiegeschrieben?<br />
Me<strong>in</strong>e Eltern haben spannendere Geschichten<br />
zu erzählen als ich. Me<strong>in</strong>e Generation<br />
ist <strong>in</strong> <strong>die</strong>se Gesellschaft h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geboren;<br />
für me<strong>in</strong>e Eltern war alles neu.<br />
IhrVaterist1966alsGastarbeitergekommen.Wiehatersichgefühlt?<br />
E<strong>in</strong>erseits war es sehr schwierig für ihn.<br />
Andererseits hat ihn <strong>die</strong> große Welt<br />
schon als K<strong>in</strong>d fasz<strong>in</strong>iert. Mit 16 Jahren<br />
ist er von zu Hause ausgebüxt und nach<br />
Istanbul gefahren, um se<strong>in</strong>en Onkel zu<br />
suchen. Das war schon filmreif.<br />
AuchIhreMutterkommtimBuchzu<br />
Wort.ÄrgertSie,dassnie<strong>über</strong><strong>die</strong>FrauenderGastarbeitergesprochenwird?<br />
Sehr sogar. Als ich für me<strong>in</strong> Buch recherchiert<br />
habe, hat mir me<strong>in</strong>e Mutter e<strong>in</strong>en<br />
Brief geschrieben. Ich war erstaunt,<br />
wie wortgewandt sie ist, wie sensibel und<br />
tiefgründig sie schreiben kann. Als ich<br />
ihre Worte las, habe ich mich geschämt –<br />
dafür, dass ich sie unterschätzt habe.<br />
Wieg<strong>in</strong>gesihrerMutterdamals?<br />
Anfangs ist sie nicht ohne me<strong>in</strong>en Vater<br />
aus dem Haus gegangen. Sie hatte<br />
Angst, weil sie <strong>die</strong> deutsche Sprache<br />
nicht beherrschte. Und sie war oft traurig,<br />
weil ihre Geschwister und Eltern weit<br />
entfernt <strong>in</strong> der Türkei<br />
waren.<br />
Sieengagierensich<br />
imIntegrationsbeiratderBundesregierung.Warum?<br />
Früher habe ich<br />
mich aus Integrations-Themenherausgehalten,<br />
weil<br />
ich ke<strong>in</strong>e Quotentürk<strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong> wollte.<br />
Aber ich will nicht<br />
mehr nur zuschauen,<br />
sondern mich<br />
e<strong>in</strong>mischen. Ich will<br />
e<strong>in</strong>e Stimme für türkische<br />
Frauen se<strong>in</strong>,<br />
auch für Frauen wie<br />
me<strong>in</strong>e Mutter.<br />
OzanAkhan:Viele<br />
Top-Leutegehen<br />
leider<strong>in</strong><strong>die</strong>Türkei<br />
HerrAkhan,Sielebenseit<br />
1995<strong>in</strong>Deutschland,kennenalso<strong>die</strong>Türkeiund<br />
Deutschlandsehrgut.Wie<br />
unterscheidensichTürken<br />
dortvondenTürkenhier?<br />
Viele Türken <strong>in</strong> Deutschland<br />
leben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Konserve.<br />
Sie haben Angst, ihre Kultur<br />
zu verlieren. In der Türkei<br />
s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Menschen entspannter,<br />
offener. Ich f<strong>in</strong>de,<br />
man darf ke<strong>in</strong>e Angst vor<br />
Veränderungen haben.<br />
WiehatDeutschlandSieverändert?<br />
Zum Positiven. Ich b<strong>in</strong> diszipl<strong>in</strong>ierter<br />
und fleißiger geworden.<br />
Ich kann leichter<br />
Kritik äußern als früher. Die<br />
Deutschen s<strong>in</strong>d ruhiger. Aber<br />
manchmal fehlt mir <strong>die</strong> türkische<br />
Spontanität doch.<br />
FielesIhnenschwer,sich<strong>in</strong><br />
Deutschlande<strong>in</strong>zugewöhnen?<br />
Als ich hierh<strong>in</strong> kam,<br />
sprach ich ke<strong>in</strong> Wort<br />
Deutsch. Das war nicht e<strong>in</strong>fach.<br />
Aber <strong>in</strong> <strong>Köln</strong> ist es rela-<br />
Schauspieler<br />
OzanAkhan<br />
(45)hatam<br />
türkischen<br />
Staatstheater<br />
<strong>in</strong>Izmirgearbeitet;1995<br />
isternach<br />
<strong>Köln</strong>gekommen.Seit<br />
2000gehört<br />
erzumfesten<br />
Ensembleder<br />
Stunksitzung<br />
–alse<strong>in</strong>ziger<br />
Türke.E<strong>in</strong>e<br />
Rückkehr<strong>in</strong><br />
<strong>die</strong>Türkei<br />
kannsichAkhannichtvorstellen.<br />
BelgischesDorffeiertjedes<br />
JahrKarneval„rut-wieß“<br />
Dasistke<strong>in</strong>anatolisches<br />
Dorf,sondernFaymonville<br />
<strong>in</strong>Belgien.<br />
tiv leicht, sich e<strong>in</strong>zugewöhnen.<br />
An der Keupstraße oder<br />
Weidengasse kann man sehr<br />
gut Türkisch essen gehen.<br />
Das ist gut gegen Heimweh<br />
(lacht).<br />
<strong>Was</strong>müsstefür<strong>die</strong>IntegrationderDeutsch-Türkengetanwerden?<br />
Das Hauptproblem ist <strong>in</strong>zwischen,<br />
dass viele hoch qualifizierte<br />
Türken Deutschland<br />
verlassen, weil sie ke<strong>in</strong>e Perspektive<br />
sehen oder diskrim<strong>in</strong>iert<br />
werden. Migrantenk<strong>in</strong>der<br />
müssen schon ganz<br />
früh Deutsch lernen. Und<br />
Deutschland muss offener<br />
für Migranten werden.<br />
Siegehörenseit2000zum<br />
festenEnsemblederStunksitzung...<br />
Ja, <strong>die</strong> Stunksitzung ist<br />
e<strong>in</strong>fach Kult. Jeden Abend<br />
kommen mehr als 1000 Menschen,<br />
feiern e<strong>in</strong> Volksfest.<br />
Die Leute s<strong>in</strong>d entspannt,<br />
plaudern viel. An Karneval<br />
zeigt sich: Die Rhe<strong>in</strong>länder<br />
s<strong>in</strong>d wie Türken.<br />
In <strong>die</strong>sem Dorf ist alles getürkt:<br />
Im belgischen Örtchen<br />
Faymonville (Prov<strong>in</strong>z<br />
Lüttich) hat noch nie e<strong>in</strong> Türke<br />
gelebt, trotzdem werden<br />
<strong>die</strong> Bewohner nur „<strong>die</strong> Türken“<br />
genannt. Den Faymonvillern<br />
gefällt’s, sie feiern jedes<br />
Jahr e<strong>in</strong>en großen Türkenkarneval.<br />
Immer am 23. Februar verkleiden<br />
sich Kle<strong>in</strong> und Groß<br />
und ziehen mit der türkischen<br />
Nationalflagge durch<br />
<strong>die</strong> Stadt.<br />
Inzwischen ist das Fest so<br />
bekannt, dass sogar türkische<br />
Diplomaten anreisen, um<br />
sich das Treiben der Belgier<br />
anzuschauen.<br />
Wie das Dorf Faymonville<br />
zu dem Türken-Spitznamen<br />
kam, ist nicht ganz klar.<br />
! Datjiddet<br />
Datjiddet<br />
janit<br />
Wahrsche<strong>in</strong>lichste Theorie:<br />
Das Dorf weigerte sich im 16.<br />
Jahrhundert, Steuern für den<br />
Kampf gegen <strong>die</strong> Osmanen zu<br />
zahlen. Deshalb dachten <strong>die</strong><br />
Nachbardörfer, Faymonville<br />
würde <strong>die</strong> Türken unterstützen.
Sonntag,21.August2011 Serie/<strong>Köln</strong> Seite43<br />
SCHNELLSCHNELLEREXPRESS<br />
Schadstoffsammlung<strong>in</strong>Meschenich<br />
<strong>Köln</strong> – Das Schadstoffmobil der AWB fährt<br />
nun auch den Stadtteil Meschenich direkt an.<br />
Der neue Standort ist auf dem Aldi-Parkplatz,<br />
Brühler Landstraße 401.<br />
VollsperrungderAusfahrtLövenich<br />
<strong>Köln</strong> – Die Arbeiten an der Anschlussstelle<br />
<strong>Köln</strong>-Lövenich gehen weiter: Am morgigen<br />
Montag sperrt <strong>die</strong> Straßenbauverwaltung<br />
NRW ab 6 Uhr morgens an der Anschlussstelle<br />
Lövenich <strong>die</strong> Ausfahrt von Dortmund kommend.<br />
Die Vollsperrung wird etwa zwei Wochen<br />
dauern.<br />
WoderPfefferwächst...<br />
<strong>Köln</strong> – Heute f<strong>in</strong>det im Botanischen Garten e<strong>in</strong>e<br />
Führung rund um das Thema „Pfeffer"<br />
statt. Ab 11 Uhr erläutert Silvia Vermeulen,<br />
was <strong>die</strong> Schärfe des Gewürzes ausmacht, wie<br />
<strong>die</strong> Aromen am besten zur Geltung kommen<br />
und viele andere <strong>in</strong>teressante Aspekte.<br />
RechteRhe<strong>in</strong>seitesuchtEhrenamtliche<br />
<strong>Köln</strong> – Ehrenamtliche Unterstützung wird<br />
von verschiedenen rechtsrhe<strong>in</strong>ischen Institutionen<br />
für <strong>die</strong> Bereiche Hausaufgaben und<br />
Sprachförderung gesucht. Am 9. September<br />
wird <strong>in</strong> der VHS Mülheim e<strong>in</strong> kostenfreies<br />
Vorbereitungssem<strong>in</strong>ar durchgeführt.<br />
Eigelste<strong>in</strong>:Täterschlägtmit<br />
Baustellenpfostenzu<br />
<strong>Köln</strong> – Gestern um 16.09 Uhr kam es am Eigelste<strong>in</strong><br />
zu e<strong>in</strong>er tatkräftigen Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
zwischen zwei Männern. Im Laufe<br />
des lautstarken Streits verlor e<strong>in</strong>er der beiden<br />
Beteiligten dann <strong>die</strong> Fassung. Er nahm<br />
e<strong>in</strong>en Baustellenabsperrpfosten e<strong>in</strong>er naheliegenden<br />
Baustelle und schlug damit<br />
auf se<strong>in</strong> Opfer e<strong>in</strong>. Nachdem der Geschädigte<br />
mit Kopfverletzungen blut<strong>über</strong>strömt<br />
zu Boden g<strong>in</strong>g, floh der Täter. Mehrere Zeugen<br />
verständigten unmittelbar nach der<br />
Gewalttat <strong>die</strong> Polizei. Diese konnte im Nahbereich<br />
e<strong>in</strong>en Tatverdächtigen verhaften.<br />
Das Opfer wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong> nahe gelegenes<br />
Krankenhaus gebracht. Lebensgefahr besteht<br />
nicht. Über den Streitauslöser ist der<br />
Polizei derzeit noch nichts bekannt.<br />
IMPRESSUM<br />
Herausgeber:AlfredNevenDuMont<br />
ChristianDuMontSchütte<br />
Chefredakteur: Rudolf Kreitz; Stellvertreter: Berndt Thiel, Uwe Hoffmann,<br />
ThomasKemmerer(Onl<strong>in</strong>e);ChefvomDienst:ChristianHautop;Politik:Maternus<br />
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Boecker (Stellvertreter); Art Director: Florian Summerer (Stellvertreter); Produktion<br />
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d-so-pt/so_ex/XLO02AXS - 20.08.2011 21:19:24 - Verantwortlich: florian.summerer<br />
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DieEXPRESS-AutorenAtaundDemirci<br />
Ichb<strong>in</strong>Deutschland-Fan:<br />
Duetwanicht?<br />
Reden<strong>über</strong><br />
Deutschlandund<strong>die</strong><br />
Türken:DieEX-<br />
PRESS-Autoren<br />
MehmetAta(l<strong>in</strong>ks)<br />
undAyhanDemirci<br />
vorderKulissedes<br />
Hauptbahnhofs.<br />
Fotos:<br />
Udo Gottschalk, dpa<br />
Wenn<strong>die</strong>Fremde<br />
zurHeimatwird<br />
50Jahretürkische<br />
Gastarbeiter<strong>in</strong><strong>Köln</strong><br />
EXPRESS-Serie,Teil6<br />
Fußball-Gegner<br />
Ayhan: Mehmet, du hast den<br />
deutschen Pass. Bist du im Fußball<br />
auch Deutschland-Fan?<br />
Mehmet: Ja, ganz klar. Im EM-<br />
Halbf<strong>in</strong>ale gegen <strong>die</strong> Türkei gab das<br />
aber Ärger mit me<strong>in</strong>er türkischen<br />
Freund<strong>in</strong>. Sie hat nach dem 3:2 gewe<strong>in</strong>t.<br />
Es folgte e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Beziehungskrise.<br />
Ich musste sie dann<br />
trösten.<br />
Ayhan: Ich b<strong>in</strong> Türkei-Fan, war<br />
aber letztlich zufrieden mit dem Ergebnis.<br />
Deutschland aus dem Halbf<strong>in</strong>ale<br />
zu schießen, wäre schon gewagt<br />
gewesen. Aber fühlst du denn<br />
gar nichts, wenn <strong>die</strong> Türkei spielt?<br />
Immerh<strong>in</strong> ist es das Land de<strong>in</strong>er Eltern.<br />
Mehmet: Aber ich habe fast ke<strong>in</strong>en<br />
Bezug zur Türkei. Me<strong>in</strong>e Verwandten<br />
leben alle <strong>in</strong> NRW. <strong>Was</strong><br />
noch für Deutschland spricht: Wir<br />
haben so gute Spieler wie Mesut<br />
Özil...<br />
E<strong>in</strong>bürgerungs-Scheu<br />
Ayhan: Ich habe noch immer den<br />
türkischen Pass. Vor drei Jahren habe<br />
ich <strong>die</strong> E<strong>in</strong>bürgerung beantragt,<br />
von den deutschen Behörden <strong>die</strong><br />
E<strong>in</strong>bürgerungs-Zusicherung auch<br />
längst erhalten. Aber das ganze<br />
liegt auf Eis. Nach der Moschee-Debatte<br />
<strong>in</strong> <strong>Köln</strong> wollte ich den türkischen<br />
Pass nicht mehr abgeben.<br />
Man hängt schon dran.<br />
Mehmet: Me<strong>in</strong> Vater hat se<strong>in</strong>erzeit<br />
für unsere ganze Familie den<br />
50 Jahre Gastarbeiter aus der Türkei – das ist für<br />
den EXPRESS-Volontär Mehmet Ata (29, geb. <strong>in</strong><br />
Bochum) und den stellvertretenden Lokalchef<br />
AyhanDemirci(43,geb.<strong>in</strong><strong>Köln</strong>)Anlass,um<strong>über</strong><br />
das Zusammenleben von Deutschen und Türken,<br />
deutschen Pass beantragt. Seit dem<br />
13. September 1994 b<strong>in</strong> ich Deutscher.<br />
Ich b<strong>in</strong> auch sehr froh dar<strong>über</strong>.<br />
Ich kann visumfrei <strong>in</strong> viele<br />
Länder reisen, an Wahlen teilnehmen...<br />
Ayhan: Mich stört es, dass me<strong>in</strong>e<br />
griechischen und italienischen<br />
Freunde als EU-Bürger zwei Pässe<br />
haben können. Und selbst wenn sie<br />
den deutschen Pass nicht haben<br />
wollen, können sie an Kommunalwahlen<br />
teilnehmen. Den Türken ist<br />
das nicht möglich.<br />
Gastarbeiter-Sehnsucht<br />
Mehmet: Als ich den ehemaligen<br />
Ford-Mitarbeiter Salih Güldiken<br />
(75) <strong>in</strong>terviewt habe, ist mir e<strong>in</strong>es<br />
ganz deutlich geworden: Diese<br />
Menschen haben Angst, dass ihre<br />
Geschichten vergessen werden.<br />
Güldiken hat e<strong>in</strong> Leben lang Dokumente<br />
und Fotos gesammelt, um<br />
se<strong>in</strong>e Erlebnisse erzählen zu können.<br />
Jemand wie er ist e<strong>in</strong> Teil<br />
Nachkriegs-Deutschlands, er ist ja<br />
ke<strong>in</strong> Fremder mehr.<br />
Ayhan: Me<strong>in</strong>e Mutter kam 1964<br />
alle<strong>in</strong>e am <strong>Köln</strong>er Hauptbahnhof<br />
an. Alles war fremd für sie: Die Religion,<br />
<strong>die</strong> Sprache. Deutschland war<br />
noch e<strong>in</strong> kriegsversehrtes Land.<br />
Auf sich alle<strong>in</strong> gestellt hat sie sich<br />
als Fließband-Arbeiter<strong>in</strong> bei Stollwerck<br />
e<strong>in</strong>e Existenz aufgebaut.<br />
Me<strong>in</strong> Vater, der später auf dem Bau<br />
gearbeitet hat, und <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der kamen<br />
nach. Es ist schade, dass <strong>die</strong><br />
Gastarbeiter-Geschichten nie er-<br />
DieStadtdertürkischenSuperstars<br />
Gewollt oder ungewollt: E<strong>in</strong>ige<br />
der bedeutendsten türkischen<br />
Künstler lebten oder leben <strong>in</strong> <strong>Köln</strong>.<br />
Cem Karaca, e<strong>in</strong>er<br />
der wichtigsten Vertreter<br />
des „Anadolu Dat<br />
Rock“, lebte von jiddet<br />
1979 bis 1987 im<br />
<strong>Köln</strong>er Exil. 1984<br />
! janit<br />
janit<br />
nahm er hier das deutschsprachige<br />
Album „Die Kanaken“ auf. “ Neset<br />
Ertas, der bedeutendste lebende<br />
Volksmusiker der Türkei,<br />
lebt viele Monate im Jahr <strong>in</strong><br />
<strong>Köln</strong>. Hier schreibt er viele<br />
se<strong>in</strong>er legendären Lieder.<br />
So ist <strong>Köln</strong> auch e<strong>in</strong>e türkische<br />
Kulturmetropole.<br />
zählt werden: Eigentlich müsste<br />
<strong>die</strong>sen Menschen e<strong>in</strong> Denkmal gesetzt<br />
werden, und wenn es e<strong>in</strong> erzählerisches<br />
ist. E<strong>in</strong>en Film gibt es,<br />
„Zeit der Wünsche“. Me<strong>in</strong> Bruder<br />
hat gewe<strong>in</strong>t, als er den Film sah.<br />
<strong>Ausländer</strong>bild<strong>in</strong>denMe<strong>die</strong>n<br />
Ayhan: 1973 hieß es auf dem<br />
Spiegel-Titelbild: „1 Million Türken<br />
– Gettos <strong>in</strong> Deutschland“. Erster<br />
Satz im Text: Rette sich wer kann –<br />
DieZentralmoschee<strong>in</strong>Ehrenfeld<br />
sollEnde2011fertiggestelltse<strong>in</strong>.<br />
<strong>die</strong> Türken kommen. 2006 schreibt<br />
der Zeit-Chefredakteur Giovanni Di<br />
Lorenzo <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Leitartikel s<strong>in</strong>ngemäß,<br />
<strong>die</strong> Türken im Land würden<br />
nichts taugen, wären „erschreckend<br />
erfolglos“. Wie kann man so etwas<br />
behaupten? Ich hatte noch e<strong>in</strong> anderes<br />
Schlüsselerlebnis: Der oscarprämierte<br />
Film „Midnight Express“,<br />
<strong>die</strong> Geschichte e<strong>in</strong>es amerikanischen<br />
Drogenschmugglers, der <strong>in</strong><br />
türkischen Gefängnissen e<strong>in</strong> Martyrium<br />
erlebt. Jeder Türke im Film,<br />
Richter, Anwälte, selbst <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der,<br />
s<strong>in</strong>d böse. Die ganze Welt hat den<br />
Film gesehen. Ich dachte : So kann<br />
man doch e<strong>in</strong> ganzes Volk nicht<br />
darstellen. Für <strong>die</strong> Türkei war das<br />
e<strong>in</strong> Trauma. Der Drehbuchautor<br />
Oliver Stone hat sich später für <strong>die</strong><br />
den Moscheebau <strong>in</strong> <strong>Köln</strong> und <strong>die</strong> besondere Rolle<br />
der Me<strong>die</strong>n zu diskutieren. Dabei zeigt sich: Die<br />
beiden s<strong>in</strong>d sich oft nicht e<strong>in</strong>ig. Der e<strong>in</strong>e fiebert<br />
beim Fußball mit Deutschland mit, der andere jubelt<br />
nur, wenn <strong>die</strong> Türkei gew<strong>in</strong>nt.<br />
Darstellungen entschuldigt.<br />
Mehmet: Das Türken-Bild <strong>in</strong> den<br />
Me<strong>die</strong>n hat sich <strong>in</strong> den vergangenen<br />
zehn Jahren weiter verschlechtert.<br />
Dabei klappt das Zusammenleben<br />
doch gar nicht so schlecht.<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzungen wie <strong>in</strong><br />
Frankreich oder England kann ich<br />
mir hier <strong>in</strong> Deutschland nicht vorstellen.<br />
Ayhan: Alles, was <strong>die</strong> Kritiker anführen,<br />
Ehrenmord, Verwandten-<br />
Ehen, Extremismus, Ignoranz, natürlich<br />
gibt es das, <strong>in</strong> nächster Nähe<br />
habe ich es erlebt. Aber <strong>die</strong> absolute<br />
Mehrheit der Menschen will damit<br />
nichts zu tun haben.<br />
Moschee-Bau<br />
Ayhan: Mich stören unförmige<br />
Moscheen im Landschaftsbild.<br />
Manchmal liegt es daran, dass <strong>die</strong><br />
M<strong>in</strong>arette nicht so hoch gebaut<br />
werden dürfen, untenrum aber der<br />
Platz voll ausgenutzt werden soll,<br />
so dass <strong>die</strong> Proportionen nicht stimmen.<br />
Am Moscheebau <strong>in</strong> <strong>Köln</strong> kann<br />
man sich e<strong>in</strong> architektonisches Beispiel<br />
nehmen. Moscheen <strong>in</strong><br />
Deutschland sollten modern se<strong>in</strong>.<br />
Mehmet: Die Zentralmoschee <strong>in</strong><br />
Ehrenfeld will e<strong>in</strong> <strong>Köln</strong>er Wahrzeichen<br />
werden und Touristen anlocken.<br />
Ich b<strong>in</strong> gespannt, ob das gel<strong>in</strong>gt.<br />
Deutsch-türkischeZukunft<br />
Ayhan: Ich kann v<strong>erste</strong>hen, wenn<br />
alte<strong>in</strong>gesessene Deutsche Angst haben.<br />
Mit der Migration machen wir<br />
e<strong>in</strong>en epochalen Wandel durch.<br />
Aber <strong>die</strong> E<strong>in</strong>wanderung ist letztlich<br />
e<strong>in</strong> Glücksfall für das Land, alle<strong>in</strong><br />
wegen des demografischen Wandels.<br />
Für <strong>die</strong> Zukunft glaube ich daran,<br />
dass Deutschland und <strong>die</strong> Türkei<br />
starke Partner se<strong>in</strong> können.<br />
Mehmet: Ich hoffe, dass es e<strong>in</strong>es<br />
Tages gar ke<strong>in</strong>en Unterschied mehr<br />
macht, ob <strong>die</strong> Eltern aus Deutschland<br />
oder dem Ausland stammen.<br />
Das hier ist auch me<strong>in</strong> Land.<br />
Ende