Matthias Röhrig Assunçao - bei Chamada de Mandinga
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In <strong>de</strong>r darauffolgen<strong>de</strong>n Perio<strong>de</strong> gibt es jedoch keine Hinweise auf eine spielerische<br />
Capoeira. Aufgrund <strong>de</strong>r größeren Quellendichte - wir verfügen nicht nur über sporadische<br />
Erwähnungen, son<strong>de</strong>rn über komplette Prozesse gegen capoeiras, sowie zahlreiche<br />
Beschreibungen in <strong>de</strong>r zeitgenössischen Presse und Literatur 33 - und einigen rezenten<br />
Forschungen - ist es möglich, ein viel präziseres Bild <strong>de</strong>r Capoeira in <strong>de</strong>r Zeit 1850-1930<br />
zu zeichnen. Die Praxis <strong>de</strong>r capoeiragem, <strong>de</strong>r in dieser Perio<strong>de</strong> gängige Begriff für die<br />
Kampfkunst, bestand zum einen in gymnastischen Übungen in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit durch<br />
einzelne Individuen o<strong>de</strong>r organisierte Ban<strong>de</strong>n, die sogenannten maltas. Die Bildung <strong>de</strong>r<br />
maltas, die zwischen fünf und hun<strong>de</strong>rt Mitglie<strong>de</strong>rn zählten, erfolgte gegen Mitte <strong>de</strong>s 19.<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rts in <strong>de</strong>n historisch gewachsenen Vierteln <strong>de</strong>r Hauptstadt, das heißt auf <strong>de</strong>r<br />
Basis eines Territoriums und eines zentralen Treffpunkts, oft <strong>de</strong>r Platz vor <strong>de</strong>r<br />
Gemein<strong>de</strong>kirche. Beson<strong>de</strong>re Aufmerksamkeit und offizielle Ärgernis erregten die<br />
capoeiras jedoch während <strong>de</strong>r Feste (Para<strong>de</strong>n, Karnaval und Prozessionen). Diese<br />
wur<strong>de</strong>n als Anlass genommen, um vor <strong>de</strong>m eigentlichem Aufmarsch Unruhe (distúrbios)<br />
zu stiften und Rennereien (correrias) zu veranstalten, in <strong>de</strong>nen - so die Polizeiquellen -<br />
oft unschuldige Dritte verletzt wur<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r Tat dienten diese öffentlichen Umzüge<br />
meist als Anlass für Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen zwischen <strong>de</strong>n maltas. Die Konflikte zwischen<br />
<strong>de</strong>n Ban<strong>de</strong>n und periodische Repression durch die Polizei führten in <strong>de</strong>r 2. Hälfte <strong>de</strong>s 19.<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rts zur Herausbildung von zwei verfein<strong>de</strong>ten Obergruppen, <strong>de</strong>n Guaiamus und<br />
<strong>de</strong>n Nagoas, die sich durch beson<strong>de</strong>re äußere Kennzeichen, wie etwa die Art <strong>de</strong>n<br />
Schlapphut aufzusetzen, unterschie<strong>de</strong>n. Soares hat die Hypothese aufgestellt, dass die<br />
Konstituierung dieser Obergruppen auch entlang ethnischer Solidarität erfolgt sei. 34 Die<br />
Nagoas (Abwandlung <strong>de</strong>s Terminus Nagôs, brasilianische Synonym für Yorubas)<br />
repräsentierten <strong>de</strong>mnach eine afrikanische Tradition, <strong>de</strong>ren territoriale Basis die<br />
peripheren Gemein<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Stadt darstellten. Die Guaiamus hingegen stän<strong>de</strong>n für eine<br />
eher brasilianische o<strong>de</strong>r mestizische Tradition, beson<strong>de</strong>rs stark in <strong>de</strong>n Gemein<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s<br />
Hafens und <strong>de</strong>s Stadtzentrums. Aus <strong>de</strong>n Beschreibungen <strong>de</strong>r capoeiragem geht ein<strong>de</strong>utig<br />
hervor, dass diese wenig mit <strong>de</strong>m gemein hat, was heute unter Capoeira verstan<strong>de</strong>n wird.<br />
Nirgends ist die Re<strong>de</strong> von einem “Spiel” zwischen zwei Kontrahenten in einem Kreis,<br />
mit musikalischer Begleitung. Im Gegenteil, es han<strong>de</strong>lt sich immer um<br />
Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen zwischen Gruppen, die alle möglichen Waffen einsetzten. Das<br />
Argument, auch hier handle es sich nur um die Wahrnehmung <strong>de</strong>r Polizei, greift nicht<br />
mehr, da auch an<strong>de</strong>re Darstellungen, inklusive von Praktikanten (etwa Abreu, Os<br />
capoeiras, 1886) keine abweichen<strong>de</strong>n Merkmale, son<strong>de</strong>rn nur eine größere Fülle von<br />
Details und Hintergrundinformationen liefern. Einzig die Existenz von bestimmten<br />
Techniken (Schläge, Kopfstöße) und die gelegentliche Erwähnung eines bestimmten<br />
Grundschritts (ginga) bil<strong>de</strong>n Kontinuität zu späteren Formen <strong>de</strong>r Capoeira.<br />
33 Die wichtigsten Darstellungen in dieser Perio<strong>de</strong> sind Plácido Abreu, Os capoeiras. Rio <strong>de</strong> Janeiro: Typ.<br />
da Escola <strong>de</strong> Serafim José Alves, 1886; Moraes Filho, ‘Capoeiragem e capoeiras célebres’ und Aluísio <strong>de</strong><br />
Azevedo, O Cortiço, Rio <strong>de</strong> Janeiro, F. Briguet & Cia, 1943, S. 155-60 (1. Aufl. 1890).<br />
34 Carlos Eugênio Líbano Soares, A negregada instituiçâo. Os capoeiras no Rio <strong>de</strong> Janeiro. Rio <strong>de</strong> Janeiro,<br />
Coleção Biblioteca Carioca, Prefeitura da Cida<strong>de</strong> do Rio <strong>de</strong> Janeiro, Depto. Geral <strong>de</strong> Documentaçâo e<br />
Informaçâo Cultural, 1994.<br />
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