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Matthias Röhrig Assunçao - bei Chamada de Mandinga

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wur<strong>de</strong>n lange Zeit als Zeichen von Unterwerfung und Anpassung interpretiert, da sie<br />

letztendlich <strong>de</strong>r Kontrolle <strong>de</strong>r Kirche und einer weißen Direktion unterlagen. Trotz<strong>de</strong>m<br />

ermöglichten die Bru<strong>de</strong>rschaften nicht nur die Knüpfung von Solidaritätsban<strong>de</strong>n<br />

zwischen Sklaven, son<strong>de</strong>rn auch die Rekonstituierung von ethnischer I<strong>de</strong>ntität 11 und<br />

dienten manchmal sogar als Deckmantel für subversivere Aktivitäten. 12 Die Auswertung<br />

zahlreicher Prozessakten belegte, dass Sklaven im urbanen Kontext <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

durchaus Möglichkeiten fan<strong>de</strong>n, die Justiz zur Verteidigung ihrer beschränkten Rechte<br />

aufzurufen. 13 Dadurch wur<strong>de</strong> die volle Bandbreite <strong>de</strong>r Möglichkeiten von gewaltlosem<br />

Sklavenwi<strong>de</strong>rstand aufge<strong>de</strong>ckt und die Handlungskompetenz <strong>de</strong>s Sklaven (slave agency)<br />

wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>nkbar. Wie es Reis und Silva schreiben, zwischen Onkel Tom und Zumbi gab<br />

es <strong>de</strong>n Sklaven, <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rstand im Alltag ausübte, und <strong>de</strong>r im Rahmen seiner zweifellos<br />

begrenzten Möglichkeiten verhan<strong>de</strong>lte. 14 Die Ausweitung <strong>de</strong>s Begriffes Wi<strong>de</strong>rstand<br />

führte jedoch auch zur Aufweichung <strong>de</strong>s Konzeptes. Letztendlich kann fast je<strong>de</strong><br />

subalterne Handlung zum Wi<strong>de</strong>rstand uminterpretiert wer<strong>de</strong>n. In diesem Zusammenhang<br />

erscheint es mir wichtig, die allgemeine Diskussion um Wi<strong>de</strong>rstand an realhistorischen<br />

Kontexten festzumachen.<br />

Wie bereits ange<strong>de</strong>utet, ist Capoeira seit jeher als Ausdruck von Wi<strong>de</strong>rstand ge<strong>de</strong>utet<br />

wor<strong>de</strong>n - von <strong>de</strong>nen die Capoeira spielten, wie von <strong>de</strong>nen, die sie unterdrückten. Die<br />

Verbindung mit Wi<strong>de</strong>rstand im engen Sinne von offener, gewalttätiger Konfrontation<br />

durch Autoren wie Praktikanten in <strong>de</strong>r zweiten Hälfte <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts führte jedoch<br />

auch zu einer verengten Wahrnehmung <strong>de</strong>s realhistorischen Charakters <strong>de</strong>r Kunst.<br />

Obwohl die Anwendung von Gewalt Teil ihrer Praxis war, zeichnet sich Capoeira in<br />

vielen historischen Kontexten dadurch aus, dass offene Konfrontation bewusst vermie<strong>de</strong>n<br />

wur<strong>de</strong>. Capoeira-Techniken wie Praxis legen Wert auf Hinterlist und Täuschung. Keine<br />

offene Kriegserklärung an die Herrschen<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn eine Form von verstecktem, o<strong>de</strong>r<br />

sogenanntem “nicht-politischen” Wi<strong>de</strong>rstand, <strong>de</strong>r genau in die Definition von Scott’s<br />

“Infrapolitik” passt. 15 Capoeira konnte, je nach historischem Kontext, ein Instrument <strong>de</strong>r<br />

Selbstbehauptung <strong>de</strong>r Sklaven, freien Schwarzen o<strong>de</strong>r Unterschichten im allgemeinen<br />

sein. Mit Capoeira konnte erfolgreich gegen die Obrigkeit angegangen o<strong>de</strong>r Übergriffe<br />

auf die weiße Elite durchgeführt wer<strong>de</strong>n. Die Hegemonie <strong>de</strong>r weißen Eliten (je nach<br />

Zeitraum Zuckerplantagen- und Sklavenbesitzer, Kaffeebarone o<strong>de</strong>r Unternehmer) wur<strong>de</strong><br />

nie offen in Frage gestellt, aber die Herrschaft und Werte dieser Eliten konnten in<br />

Capoeira-Lie<strong>de</strong>rn hinterfragt wer<strong>de</strong>n. Je<strong>de</strong> Praxis von Capoeira in <strong>de</strong>r Roda (Kreis)<br />

steckte auch einen “schwarzen Raum” ab, innerhalb <strong>de</strong>ssen ein abweichen<strong>de</strong>s<br />

11<br />

Julita Scarano, “Black Brotherhoods: Integration or Contradiction?”, Luso-Brazilian Review, XVI, 1<br />

(1979), S. 13; A.J.R. Russel-Wood, The Black Man in Slavery and Freedom in Colonial Brazil, Oxford,<br />

Macmillan, S. 128-167; João José Reis, “Différences et résistances: les Noirs à Bahia sous l’esclavage”.<br />

Cahiers d’Étu<strong>de</strong>s Africaines, XXXII, 1 (1992), S. 22.<br />

12<br />

Die Bru<strong>de</strong>rschaft Nossa Senhora do Rosário in São Paulo etwa engagierte sich in <strong>de</strong>r<br />

Abolitionsbewegung in <strong>de</strong>n 1880er Jahren. Vgl. Michael R. Trochim, “The Brazilian Black Guard. Racial<br />

Conflict in Post-Abolition Brazil”. The Americas, XLIV (1988), 3, S. 288.<br />

13<br />

Sidney Chalhoub, Visões da Liberda<strong>de</strong>. Uma história das últmas décadas da escravidão na Corte. São<br />

Paulo, Companhia das Letras, 1990.<br />

14 João José Reis & Eduardo Silva, Negociação e conflito: a resistência negra no Brasil escravista. São<br />

Paulo, Companhia das Letras, 1989.<br />

15<br />

Für eine Definition <strong>de</strong>s Begriffs und weitere Ausführungen, vgl. Scott, Domination, S. 198-201.<br />

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