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Die im Dunkeln sieht man nicht ... FORSCHUNG<br />

Jedes Kind weiß, dass Drachen seit uralten Zeiten in Höhlen<br />

wohnen. Dort speien sie Feuer, bewachen den einen oder<br />

anderen Schatz und verlassen ihre Wohnstatt nur, wenn es<br />

gilt, eine Jungfrau zu holen. Und es gab greifbare Beweise,<br />

jahrhundertelang, dass Drachen tatsächlich existieren: Die<br />

Bewohner des slowenisch-kroatischen Karstgebirges fanden<br />

immer wieder lebendige Drachenbabys. Bergbäche<br />

spülten sie bei Hochwasser in die Flüsse: fußlange, echsenartige,<br />

hässliche nackte Getiere mit langem Schwanz,<br />

schmalem Drachenkopf, augenlos und mit seltsam roten<br />

Büscheln hinter den Ohren. Wegen ihrer dünnen, bleichrosigen<br />

Haut auch „Menschenfischlein“ genannt, blieben sie<br />

lange rätselhaft und Kern zahlloser Mythen und Gerüchte.<br />

Proteus anguinus (Grottenolm) ist wohl der spektakulärste<br />

Bewohner unterirdischer Dunkelheit in Europa, und hütet<br />

auch heute noch einige Geheimnisse. Das Tier bleibt sein<br />

Leben lang im Larvenstadium, selbst nach der<br />

Geschlechtsreife. So verzichtet es auch nie auf die<br />

Kiemenbüschel, obwohl es wie verwandte Molche und<br />

Salamander eine Lunge entwickelt. Grottenolme können<br />

erstaunliche 80 bis 100 Jahre alt werden, weil ihr<br />

Stoffwechsel extrem langsam arbeitet. Deshalb kommen sie<br />

sogar mehrere Jahre ganz ohne Nahrung aus, wenn<br />

Flohkrebse und Wasserwürmer mal ausbleiben. Und<br />

obwohl die Weibchen normalerweise einige Hundert Eier<br />

ablegen, kann es auch geschehen, dass sie ein oder zwei<br />

voll entwickelte Jungtiere gebären.<br />

Am auffälligsten ist aber, wie schnell die Natur hier nutzlose<br />

Körperfunktionen „abwirft“: Während frisch geschlüpfte<br />

Grottenolme noch dunkle Pigmentflecken und gut entwickelte<br />

Augen samt Sehnerven haben, sind sie anderthalb<br />

Jahre später, in einer lichtlosen Höhle aufgewachsen, komplett<br />

farblos und blind. Die Augen sind verkümmert und<br />

unter einer Hautschicht verschwunden. Damit spart der<br />

Olm Energie, er verlässt sich auf seine umso besser ausgeprägten<br />

Tast- und Geruchssinne. Zudem kann er wie Fische<br />

mit einem so genannten Seitenlinienorgan ferne Wasserbewegungen<br />

erspüren.<br />

Der bleiche, blinde „Menschenfisch“ ist vielleicht das bekannteste<br />

Beispiel für ein Anpassen an unterirdische Umgebungen.<br />

Doch auch anderen Höhlentieren sieht man die<br />

ständig lichtlose Umgebung an: Fehlende Färbung ist<br />

typisch, ob bei Fisch oder Schlange, Krebs oder Insekt, und<br />

manche Tastorgane wie Fühler und Antennen sind sichtbar<br />

vergrößert.<br />

Systematisch erfasst hat solche Merkmale im vorigen<br />

Jahrhundert erstmals der rumänische Biologe Emil<br />

Racovi,tă: Der „Vater der Biospeläologie“, der Wissenschaft<br />

vom Leben in unterirdischen Hohlräumen, lieferte 1907 das<br />

erste wissenschaftliche Werk zum Thema und begründete<br />

die neue Forschungsrichtung. Einige Jahre zuvor war ihm in<br />

einer mallorquinischen Höhle ein bleicher, blinder Krebs<br />

über den Weg gelaufen.<br />

Biospeläologen unterscheiden grob drei Gruppen tierischer<br />

Höhlenbewohner: Die so genannten Trogloxenen sind<br />

eigentlich fremd in der Unterwelt, sie sind nur zufällig in die<br />

Höhle geraten und versuchen, schnell wieder herauszukommen.<br />

Die Troglophilen hingegen finden vorübergehend<br />

Gefallen an der Höhle, vor allem in ihren vorderen<br />

Bereichen, als Schutz vor Wetter und Fressfeinden. Sie<br />

kommen gezielt in die Grotten, zum Beispiel Bären oder<br />

manche Schmetterlingsarten zum Überwintern, oder auch<br />

Fledermäuse. Auch der einzige Höhlen bewohnende Vogel,<br />

der nachtaktive südamerikanische Fettschwalm, nistet und<br />

ruht tagsüber in dunklen Höhlen, wo er sich wie die<br />

Fledermäuse mit Echosignalen orientiert (siehe auch<br />

„Unterscheiden wie Tag und Nacht“ in dieser Ausgabe).<br />

Fledermäuse gehören zu den Trogophilen. Grotten und Höhlen bieten<br />

den nachtaktiven Säugern Schutz vor Wetter und Fressfeinden, denen<br />

sie in ihrer hängenden Ruheposition ausgeliefert wären.<br />

Ihr Futter finden die vorübergehenden Besucher außerhalb<br />

der Höhlen. Doch ihre Hinterlassenschaften im Inneren,<br />

vom Kot bis zu Kadavern, finden ihren Weg als Nahrung zu<br />

den troglobionten Höhlentieren. Diese „echten“ Grottenbewohner<br />

leben tief in weitgehend unzugänglichen Höhlenbereichen<br />

und könnten außerhalb nicht überleben. Sie profitieren<br />

von der gleich bleibenden Dunkelheit, der niedrigen,<br />

aber konstanten Temperatur, von der hohen Luftfeuchtigkeit<br />

und auch davon, dass sich keine Fressfeinde<br />

hierher verirren. Ohnehin leben die meisten Troglobionten<br />

im Wasser, in Mitteleuropa reicht das Spektrum von<br />

Fischen und Vielborstern, Muscheln und Strudelwürmern<br />

bis zu den Wassermilben, Flohkrebsen und dem<br />

Grottenolm. Im Trockenen sind vor allem Käfer, Spinnen<br />

oder Springschwänze ans unterirdische Biotop angepasst.<br />

Pilze und Bakterien brauchen keine Photosynthese, sie ziehen<br />

ihre Nährstoffe aus abgestorbenen organischen<br />

Substanzen. Algen, Farne, Moose und Flechten hingegen<br />

brauchen Licht, können aber noch mit sehr wenig auskommen.<br />

Sie finden sich vor allem in den Eingangsbereichen<br />

von Höhlen. Oder rund um die Leuchten in Schauhöhlen:<br />

als so genannte Lampenflora. So auch in der slowenischen<br />

Höhle von Postojna, früher „Adelsberger Grotten“ genannt,<br />

die schon seit 1883 elektrisch beleuchtet ist. Postojna ist<br />

die angestammte Heimat des Grottenolms. Bei Licht<br />

betrachtet, sagen die Höhlenführer, wirkt er wie eine kleine<br />

Weißwurst-Eidechse...<br />

<strong>explore</strong>: 4/2006 - 11

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