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Licht- und Schattenspiele WISSEN<br />

Doch Schwarzweiß hat auch unabhängig von einem künstlerisch-politischen<br />

Credo seine ganz eigene Wirkung.<br />

„Grundsätzlich kann man alles, was man in Schwarzweiß<br />

drehen kann, auch in Farbe drehen“, sagt Medienwissenschaftler<br />

Professor Dr. Knut Hickethier von der Universität<br />

Hamburg. „Aber Schwarzweiß wirkt grafischer und flächiger.<br />

Die Bildkomposition tritt stärker hervor.“ In der Schwarzweißfotografie<br />

und dem Schwarzweißfilm gibt es im<br />

Wesentlichen drei Arten, mit Licht umzugehen: Im Normalstil<br />

wird die Szene so ausgeleuchtet, dass alle Details gut zu<br />

sehen sind. Bei der Low-Key-Beleuchtung bleiben große<br />

Teile des Bildes dunkel, und es entstehen schroffe Hell-<br />

Dunkel-Kontraste. Bei der High-Key-Beleuchtung schließlich<br />

erscheint die ganze Szene gleichmäßig und fast ohne<br />

Schatten (siehe <strong>explore</strong>: 4/2005, „Schwarz auf Weiß –<br />

Faszination Fotografie“).<br />

Licht- und Schatteneffekte betonen das Zwielichtige<br />

Bei der Low-Key-Beleuchtung wird das Unheimliche meist<br />

noch unheimlicher und das Trostlose noch trostloser. So<br />

beschreibt Professor Hickethier in seinem Buch „Film- und<br />

Fernsehanalyse“ Licht und Schatten in dem Film Die freudlose<br />

Gasse von Georg Wilhelm Pabst (1925): „Die Straße ist<br />

in Dunkelheit getaucht. Das Licht ist spärlich, schemenhaft<br />

ist eine Häuserecke zu erkennen. Im Vordergrund Leute, die<br />

auf der Straße gehen. Die Häuser machen zudem einen<br />

altertümlichen, verwahrlosten Eindruck. Die Architektur charakterisiert<br />

das Milieu und die Elendssituation. Eine<br />

Straßenlampe gibt ein schwaches Licht, beleuchtet ein<br />

Plakat, das darunter hängt.“<br />

„Auch der Kriminalfilm neigt vom Genre her zu Schwarzweiß“,<br />

sagt Professor Hickethier. Man denke nur an die Spur<br />

des Falken (1941) von John Huston, der manchen als<br />

Inbegriff des Film Noir gilt. In diesem Film, nach dem Buch<br />

Der Malteser Falke von Dashiell Hammett, wird nach allen<br />

Regeln der Kunst mit Licht und Schatten gespielt. Viele<br />

Szenen sind so ausgeleuchtet, dass hinter den Figuren<br />

überdimensionale Schatten auftauchen, die das Geschehen<br />

unter eine zusätzliche ständige Bedrohung stellen. Mit den<br />

Schatten der Jalousie, die sich auf der Figur der rätselhaften<br />

Brigid O'Shaughnessy abzeichnen, wird ihr zwielichtiger<br />

Charakter unterstrichen.<br />

Licht- und Schatteneffekte, die im Schwarzweißfilm so gut<br />

zur Geltung kommen, machen Schwarzweiß auch beim<br />

Thriller zur ersten Wahl, etwa in dem Film Die Wendeltreppe<br />

(1945) von Robert Siodmak. In diesem Film geht ein Mörder<br />

um, der es auf Frauen abgesehen hat, die irgendein körperliches<br />

Gebrechen haben. Der Mittelpunkt der Geschichte ist<br />

das Haus der Misses Warren, der die stumme Helen Chapel<br />

als Gesellschafterin dient. Neben typischen Horrorelementen<br />

wie Gewitter, klappernden Fensterläden und schlagenden<br />

Gattern entsteht das Grauen auch aus Licht- und<br />

Schatteneffekten. „Bei diesem Film“, so Professor<br />

Hickethier, „wäre es wirklich schwierig, diese unheimliche<br />

Atmosphäre in Farbe rüberzubringen.“<br />

Schwarzweiß-Szenen als Zitat<br />

Schwarzweiß kann auch gleichsam ein Zitat oder ein erzählerisches<br />

Mittel sein. So gibt es Filme, die eigentlich in Farbe sind,<br />

aber bei Rückblenden auf Schwarzweiß zurückgreifen. Gern<br />

wird heute Schwarzweiß auch in Farbfilmen eingesetzt, wenn<br />

an ein nicht-fiktives historisches Ereignis erinnert werden soll.<br />

Der Regisseur Edgar Reitz beispielsweise nutzte dieses<br />

Verfahren in seiner Heimat-Trilogie. Schwarzweiß wird also<br />

auch heute noch manchmal bewusst eingesetzt, um<br />

Authentizität zu vermitteln.<br />

Als typischer Fall von Schwarzweiß als Zitat kann wohl George<br />

Clooneys Film Good Night and Good Luck (2005) gelten, dessen<br />

Held, der Fernsehjournalist Edward A. Murrow, gegen<br />

Senator McCarthy kämpft, der in jedem kritischen Geist gleich<br />

einen Kommunisten wittert. Der Film spielt 1953, als das<br />

Fernsehen nur Schwarzweiß kannte. Der Fernsehjournalist<br />

Edward Murrow konnte von seinen Zeitgenossen nur in<br />

Schwarzweiß gesehen werden, also wird seine Geschichte<br />

eben so präsentiert.<br />

TV-Serien in Schwarzweiß sind heute nicht mehr möglich<br />

„Wenn man Gute Zeiten, schlechte Zeiten den Zuschauern in<br />

Schwarzweiß präsentieren würde, gäbe es wahrscheinlich<br />

Zuschauerproteste“, vermutet Professor Hickethier. Schwarzweiß<br />

als Norm ist tot. Einfach so einen Film oder gar eine<br />

Fernsehserie in Schwarzweiß zu drehen, ist praktisch nicht<br />

mehr möglich. Dennoch: Als Kunstgriff, als künstlerisches<br />

Credo, als Hommage oder als Zitat lebt der Schwarzweißfilm<br />

weiter. Und so lange es ein cineastisch interessiertes Publikum<br />

gibt, wird dies auch so bleiben.<br />

<strong>explore</strong>: INFOBOX<br />

Einige Schwarzweißfilme der jüngsten Zeit:<br />

Schindlers Liste (USA 1993), Regie: Steven Spielberg,<br />

DVD im Handel erhältlich<br />

Kubanisch Rauchen (A / D 1998), Regie: Stephan Wagner<br />

Der vermutlich letzte Schwarzweißfilm weltweit, der auf Orwo-Material<br />

(DDR-Filmmaterial „Original Wolfen“) gedreht wurde.<br />

Coffee and Cigarettes (USA 2003), Regie: Jim Jarmusch,<br />

DVD im Handel erhältlich<br />

Sin City (USA 2005), Regie: Frank Miller / Robert Rodriguez<br />

Von einigen Szenen abgesehen, ist der Film in hochauflösendem<br />

Schwarzweiß gedreht und erinnert so an die gleichnamige Comic-Serie.<br />

Sehr brutal. DVD im Handel erhältlich<br />

Good Night, and Good Luck (USA 2005), Regie: George Clooney,<br />

DVD ab dem 17. November erhältlich<br />

Einige Schwarzweiß-Klassiker:<br />

Die freudlose Gasse (D 1925), Regie: Georg Wilhelm Pabst, Stummfilm<br />

Die Spur des Falken (USA 1941), Regie: John Huston<br />

Film Noir; DVD im Handel erhältlich<br />

Die Wendeltreppe (USA 1946), Regie: Robert Siodmak<br />

Thriller; nur die DVD der englischen Originalfassung<br />

The Spiral Staircase erhältlich<br />

Außer Atem (F 1959), Regie: Jean-Luc Godard<br />

Film der Nouvelle Vague, DVD im Handel erhältlich<br />

<strong>explore</strong>: 4/2006 - 15

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