M Y T H O S K A S T R A T I O N - gay-web.de
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M Y T H O S K A S T R A T I O N<br />
Eine Abhandlung über (Ab-) und (Be-)Handlungen<br />
von<br />
Johanna Kamermans, Berlin<br />
„Ein Kastrat heilt alle Wun<strong>de</strong>n“, so lautete die Überschrift eines Feuilleton-Artikels in<br />
<strong>de</strong>r Berliner Morgenpost vom 1.3.1998 über die Uraufführung <strong>de</strong>r Oper „Farinelli o<strong>de</strong>r<br />
die Macht <strong>de</strong>s Gesanges“ von Siegfried Matthus in Karlsruhe. Und an weiterer Stelle<br />
heißt es im Artikel:<br />
„Farinelli“ ist unterhaltend. Das ist das erste Plus. Er ö<strong>de</strong>t nirgends an durch<br />
Langatmigkeit, obwohl doch gera<strong>de</strong> darauf Farinellis Kunst grün<strong>de</strong>te. Der<br />
Mann war wahrscheinlich <strong>de</strong>r erfolgreichste Sänger aller Zeiten: ein Kastrat,<br />
<strong>de</strong>r es zum Wun<strong>de</strong>rheiler am spanischen Hofe brachte. König Philipp V., <strong>de</strong>m<br />
Melancholiker auf <strong>de</strong>m Thron, hauchte er tagaus, tagein mit immer <strong>de</strong>n gleichen<br />
vier Lie<strong>de</strong>rn Überlebensmut ein und sah sich dafür fürstlich belohnt, ausgezeichnet,<br />
in <strong>de</strong>n Ministerrang erhoben. Matthus folgt diesem abenteuerlichen<br />
Lebensweg in attraktiv vorbeiflitzen<strong>de</strong>n Bil<strong>de</strong>rn, zu <strong>de</strong>nen er sich die<br />
Texte selber geschrieben hat, beflügelt dabei durch Anregungen von Walter<br />
Jens usw.“<br />
Warum nun dieses Zitat zu Anfang <strong>de</strong>r Abhandlung – als Einführung in die Materie<br />
sozusagen? Die Antwort darauf mag sich eher ernüchternd anhören: weil sich aus<br />
Überschrift und Textstellen in unnachahmlicher Art und Weise ablesen läßt, weshalb<br />
das Phänomen Kastration noch immer als Faszinosum gehan<strong>de</strong>lt wird bzw. die<br />
Phantasie anzuregen vermag – „Ein Kastrat heilt alle Wun<strong>de</strong>n ...“. Offenbar steht bei<br />
<strong>de</strong>r aufgezeigten Sicht <strong>de</strong>r Dinge das Produkt - als die Kunst <strong>de</strong>r Künstlichkeit - im<br />
Vor<strong>de</strong>rgrund und nicht <strong>de</strong>r Mensch hinter dieser hehren Fassa<strong>de</strong>: in Farinelli wird nur<br />
hineinprojiziert – bereits damals, aber wohl noch mehr heute: es ist ein richtiges „Farinelli-Fieber“<br />
konstatierbar – und die tatsächlichen Begebenheiten seines realen Lebens<br />
bleiben außen vor bzw. wer<strong>de</strong>n nur verklärt ange<strong>de</strong>utet. Wer will in einem solch<br />
überhöhten Zusammenhang <strong>de</strong>r „Macht <strong>de</strong>s Gesanges“ schon wissen, was die kör-
perliche bzw. seelische Realität eines solchen Kastrationsvorganges für die betroffenen<br />
„castrati“ be<strong>de</strong>utet hat o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rs gesagt: wie <strong>de</strong>r Mensch dabei manipuliert<br />
wird? Keine Chance – es zählt hier – wie beim Doping – nur das Resultat, „die Macht<br />
<strong>de</strong>s Gesanges“ eben. O<strong>de</strong>r, wie wir später bei <strong>de</strong>r Geschlechtsumwandlungs-<br />
I<strong>de</strong>ologie sehen wer<strong>de</strong>n, die „Macht <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e“.<br />
Mit diesen kritischen Feststellungen sind wir bereits mitten in <strong>de</strong>r Materie, und es<br />
dürfte <strong>de</strong>shalb angebracht sein, für <strong>de</strong>n hier zu behan<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Kastrationskomplex<br />
gewisse Schwerpunktsetzungen vorzunehmen. Hierbei wer<strong>de</strong>n wir im vorwiegend<br />
geschichtlichen Sinne vorgehen, und zwar in einer losen Reihenfolge nach mythologischen,<br />
rituellen, religiösen, gesellschaftlichen, medizinischen und i<strong>de</strong>ellen Grün<strong>de</strong>n:<br />
letztere mit speziellem Bezug auf <strong>de</strong>n transsexuellen Sektor. Bezüglich <strong>de</strong>r Herkunft<br />
<strong>de</strong>s Wortes Kastration ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, daß sich jenes<br />
vom lateinischen „castrere“ bzw. „castro“ ableiten läßt, und zwar in <strong>de</strong>r dortigen,<br />
ursprünglichen Be<strong>de</strong>utung von „entmannen, abtrennen, schwächen“. Als entsprechen<strong>de</strong><br />
weitere Synonyme gelten die Begriffe Entmannung, Emaskulation und – in<br />
früheren Zeiten je<strong>de</strong>nfalls – Kapaunisierung. Gleichzeitig können wir feststellen, daß<br />
es sich bei diesen Wortschöpfungen um solche aus einem patriarchalischen Umfeld<br />
han<strong>de</strong>lt – mit einseitigem Bezug auf das männliche Geschlecht, auf die „Männlichkeit“<br />
somit. Die Weiblichkeit ist dabei außen vor geblieben: Die Ausweitung <strong>de</strong>s Kastrationsbegriffes<br />
auf das weibliche Geschlecht erfolgte erst, als im letzten Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />
die (patriarchalisch organisierte) Medizin sich auf die chirurgische Entfernung<br />
von Eierstöcken und Gebärmütter zu spezialisieren begann – von einer entsprechen<strong>de</strong>n<br />
„Entfrauung“ war jedoch niemals die Re<strong>de</strong> ..... An späterer Stelle wird auf<br />
diese spezielle, hochinteressante Problematik noch weiter eingegangen wer<strong>de</strong>n.<br />
Wenn wir uns nun näher mit <strong>de</strong>m Vorgang <strong>de</strong>r (männlichen) Kastration auseinan<strong>de</strong>rsetzen,<br />
dann muß noch wie<strong>de</strong>r unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n zwischen <strong>de</strong>r Entfernung <strong>de</strong>s<br />
gesamten Genitalapparats, also Glied und Ho<strong>de</strong>n, und <strong>de</strong>r Entfernung nur <strong>de</strong>r Ho<strong>de</strong>n.<br />
Aus <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n geschichtlichen Quellen ist sehr oft <strong>de</strong>r Begriff Kastration<br />
nur im allgemeinen, undifferenzierten bzw. abwerten<strong>de</strong>n Sinne überliefert, da <strong>de</strong>r<br />
Vorgang - aus patriarchalischer Sicht - nahezu immer als „unmännlich“ gegolten hat<br />
– sozusagen als „sine qua non“. Erst in späteren Zeiten – als Folge <strong>de</strong>r immer stärker<br />
fortschreiten<strong>de</strong>n Entwicklung <strong>de</strong>r Medizin - dürfte es dann, wie im Falle <strong>de</strong>r „castrati“,<br />
zu einer Differenzierung <strong>de</strong>s Begriffes Kastration gekommen sein. Im „Gesetz über<br />
2
die freiwillige Kastration und an<strong>de</strong>re Behandlungsmetho<strong>de</strong>n“ vom 15.8.1969 heißt es<br />
in §1 Begriffsbestimmung:<br />
„Kastration im Sinne dieses Gesetzes ist eine gegen die Auswirkungen eines<br />
abnormen Geschlechtstriebes gerichtete Behandlung (!), durch welche die<br />
Keimdrüsen eines Mannes (!) absichtlich entfernt o<strong>de</strong>r dauernd funktionsunfähig<br />
gemacht wer<strong>de</strong>n.“<br />
Im „Gesetz über die Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Vornamen und die Feststellung <strong>de</strong>r Geschlechtszugehörigkeit<br />
in beson<strong>de</strong>ren Fällen (Transsexuellengesetz - TSG)“ vom 10.9.1980<br />
heißt es in §8 Voraussetzungen u.a.:<br />
„3. dauernd fortpflanzungsfähig ist und 4. sich einem ihre äußeren Geschlechtsmerkmale<br />
verän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n operativen Eingriff unterzogen hat, durch <strong>de</strong>n<br />
eine <strong>de</strong>utliche Annäherung an das Erscheinungsbild <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren Geschlechts<br />
erreicht wor<strong>de</strong>n ist“.<br />
Obwohl für bei<strong>de</strong> Geschlechter ausgelegt, ist <strong>de</strong>nnoch nur die Re<strong>de</strong> vom „Antragsteller“<br />
in <strong>de</strong>n Paragraphen - eben doch wie<strong>de</strong>r ein eigentlich „männliches“ Gesetz,<br />
wie jenes aus <strong>de</strong>m Jahre 1969...<br />
Ebenso müssen wir uns bewußt sein, daß die Vorherrschaft <strong>de</strong>s männlichen Prinzips<br />
über das weibliche – so wie wir dies bis heute in <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Institutionalisierung<br />
<strong>de</strong>s Patriarchats erleben – nicht immer <strong>de</strong>rart ausgeprägt etabliert war. Es<br />
gab in <strong>de</strong>n langen, frühgeschichtlichen Zeiten davor durchaus eine Gleichwertigkeit<br />
bei<strong>de</strong>r Prinzipien („androgynische I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Lebens“), ja sogar davor noch wie<strong>de</strong>r<br />
eine Dominanz <strong>de</strong>s weiblichen Prinzips, institutionalisiert in <strong>de</strong>r archaischen Verehrung<br />
<strong>de</strong>r Großen Göttin, <strong>de</strong>r Magna Mater, als Urmutter aller Gottheiten, ob nun<br />
männlich, weiblich o<strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>s. Die bisherige Geschichtsschreibung <strong>de</strong>r Menschheit<br />
ist jedoch – nicht zuletzt unter Einfluß <strong>de</strong>s Christentums – in einer vorwiegend männlich-patriarchalischen<br />
Sicht <strong>de</strong>r Dinge massiv verfälscht wor<strong>de</strong>n, und so existieren<br />
davon nur größtenteils einseitige Vorstellungen und Erklärungsmuster – erst <strong>de</strong>r<br />
amerikanische Feminismus hat entschei<strong>de</strong>nd dazu beigetragen, daß <strong>de</strong>r Blick auf die<br />
uralte Menschheitsgeschichte sich allmählich <strong>de</strong>r wahren Realität nähert. Beson<strong>de</strong>rs<br />
solche feministische Autorinnen wie Camille Paglia (Die Masken <strong>de</strong>r Sex-ualität,<br />
3
1993) und Barbara G. Walker (Das geheime Wissen <strong>de</strong>r Frauen, 1983/1993) haben<br />
maßgeblich – und zwar überaus logisch-argumentativ – aufgezeigt, welche intensiven<br />
Anstrengungen das vor allem religiöse Patriarchat im Laufe seiner Entwicklung<br />
unternommen hat, um die allgegenwärtigen Spuren <strong>de</strong>s Matriarchats zu tilgen. Denn<br />
in jenen vorgeschichtlichen Zeiten waren Natur und Weiblichkeit eins: die Fruchtbarkeit<br />
<strong>de</strong>r Frau, <strong>de</strong>ren biologischen Grundlagen damals noch nicht durchschaut wur<strong>de</strong>n,<br />
rief Furcht und zugleich heilige Scheu hervor. Die Menschen <strong>de</strong>r Frühzeit spürten<br />
intuitiv das Geheimnis <strong>de</strong>s Lebens, das je<strong>de</strong> Frau ganz selbstverständlich in sich<br />
trägt: die Existenz <strong>de</strong>r „Gebärmutter“ eben. Und es gibt keinen Hinweis darauf, daß<br />
sich in jenen Urzeiten <strong>de</strong>r Menschheitsgeschichte das männliche Geschlecht auch<br />
nur entfernt seiner eigenen physischen „Samen“-Rolle im Fortpflanzungsprozeß bewußt<br />
war- diese Erkenntnis hat sich erst im Laufe <strong>de</strong>r menschlichen Domestizierung<br />
(Ackerbau und Viehzucht) ergeben.<br />
In ihrem Bemühen sich vom „Geheimnis <strong>de</strong>s Lebens“ und <strong>de</strong>r (sichtbaren!) Fruchtbarkeit<br />
<strong>de</strong>r Frau ein Bild zu machen, gestalteten die Menschen die Grundi<strong>de</strong>e von<br />
einem einzigen, weiblichen „Höchsten Wesen“, <strong>de</strong>r sogenannten „Großen Göttin“<br />
o<strong>de</strong>r „Magna Mater“. Sie schuf das Universum mit seinen Gesetzen, und sie gebot<br />
über Natur, Schicksal, Zeit, Wahrheit, Weisheit, Gerechtigkeit, Liebe, Geburt, Tod<br />
usw., d.h. eine weibliche Urgestalt, vorerst überaus mächtiger als das (spätere)<br />
männliche Pendant. Sie war nicht nur <strong>de</strong>ssen Mutter, son<strong>de</strong>rn auch die Gottheit, die<br />
die ganze Schöpfung mit <strong>de</strong>m kraftvollen „Blut <strong>de</strong>s Lebens“ (sprich Menstruationsblut<br />
im ursprünglichen Sinne) durchdrang. Und die männlichen Gottheiten konnten nur<br />
mächtig wer<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m sie an <strong>de</strong>r Weisheit und <strong>de</strong>r Kraft <strong>de</strong>r Großen Göttin teilhatten<br />
bzw. –nahmen, bis sie schließlich die äußerste Hybris, <strong>de</strong>n symbolischen Muttermord<br />
begingen, in<strong>de</strong>m sie eine ausschließlich männliche Theologie begrün<strong>de</strong>ten –<br />
unter <strong>de</strong>n gravierendsten und eklatantesten Um<strong>de</strong>utungen natürlicher, menschlicher<br />
und geschichtlicher Wahrheiten. Worauf die Heiligtümer <strong>de</strong>r Großen Göttin vor längerer<br />
Zeit von <strong>de</strong>n Menschen darauf nie<strong>de</strong>rgerissen wur<strong>de</strong>n, so wie es ihnen – im<br />
Rahmen <strong>de</strong>s Christentums – beson<strong>de</strong>rs die christlichen Evangelien befahlen (Apostel<br />
19, 27):<br />
„Aber es will nicht allein unserm Han<strong>de</strong>l dahin geraten, daß er nichts gelte,<br />
son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>r Tempel <strong>de</strong>r Großen Göttin Diana wird für nichts geachtet<br />
wer<strong>de</strong>n, und wird dazu ihre Majestät untergehen, welcher durch ganz Asien und<br />
<strong>de</strong>r Weltkreis Gottesdienst erzeigt.“<br />
4
Die Grundi<strong>de</strong>e lebte aber – im Untergrund sozusagen – weiter und in heutiger Zeit<br />
haben Genetik und Molekularbiologie klar aufgezeigt, daß – was die Menschen in<br />
ihrer I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Großen Göttin damals nur erahnten – die alleinige weibliche Urstruktur<br />
Ausgang allen (geschlechtlichen) Wer<strong>de</strong>ns ist: „Am Anfang war das Weib“, d.h. die<br />
Ausformung <strong>de</strong>r ungeheuer komplizierten Prozesse im bisherigen Evolutionsverlauf<br />
von Natur und Mensch geht ausschließlich vom weiblichen Ur-Element aus: das<br />
männliche Element ist imgrun<strong>de</strong> nur zusätzlich vorhan<strong>de</strong>n und vom weiblichen abgeleitet.<br />
Harte Wahrheiten für das Patriarchat und <strong>de</strong>m damit einhergehen<strong>de</strong>n, noch<br />
immer weitgehend uneinsichtigen, uralten „illusio virilis“ – Denkmo<strong>de</strong>ll. Es dürfte<br />
wirklich an <strong>de</strong>r Zeit sein für ein gesellschaftliches Um<strong>de</strong>nken, nicht zuletzt bezüglich<br />
<strong>de</strong>r offensichtlich allmählich zur Realität gewor<strong>de</strong>nen „Normalität“ <strong>de</strong>r Kastrationsvorgänge<br />
im Rahmen <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n letzten Jahrzehnten etablierten Geschlechtsumwandlungs-I<strong>de</strong>ologie<br />
...!<br />
Aber noch sind wir nicht so weit, und wir wollen <strong>de</strong>shalb zurückkehren zu <strong>de</strong>n bereits<br />
zu Anfang <strong>de</strong>r Abhandlung vermerkten mythologischen bzw. rituellen Grundlagen <strong>de</strong>r<br />
Kastration. Hierbei möchten wir nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß es über<br />
die genannten jahrtausen<strong>de</strong>langen Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen zwischen <strong>de</strong>m (etablierten)<br />
männlichen Prinzip in <strong>de</strong>r Frühgeschichte <strong>de</strong>r Menschheit erst ein<strong>de</strong>utige Zeugnisse<br />
gibt seit etwa 3000 v. Chr., <strong>de</strong>m Beginn geschichtlicher Aufzeichnungen (sumerische<br />
Keilschrifttafeln). Erste Darstellungen <strong>de</strong>r „Ur-Mutter“, <strong>de</strong>r „Großen Göttin“, <strong>de</strong>r<br />
Magna Mater, <strong>de</strong>r Dea Syria wur<strong>de</strong>n allerdings bereits vor ca. 30‘000 Jahren gefertigt:<br />
die berühmteste ist die „Venus von Willendorf“ (Nie<strong>de</strong>rösterreich), eine ca.<br />
20'000 Jahre alte Steinfigur mit stark ausgeprägten weiblichen Geschlechtsmerkmalen<br />
(Brust und Becken). Und wie bereits ausgeführt, wur<strong>de</strong> die „Große Göttin“ in erster<br />
Linie als Erhalterin <strong>de</strong>s Lebens, aber nicht zuletzt auch als To<strong>de</strong>sgöttin dargestellt.<br />
Fruchtbar und furchtbar waren Begriffe, welche die ägyptische Isis, die sumerisch-babylonische<br />
Tiamat, die semitische Astarte, die syrische Anath, die griechische<br />
Hekate, die römische Diana, die keltische Andrata o<strong>de</strong>r die germanische Freya<br />
durchwegs gekennzeichnet haben.<br />
Die uralten Fruchtbarkeitsgöttinnen for<strong>de</strong>rten dabei beson<strong>de</strong>rs Blutopfer – nicht zuletzt<br />
Menschenopfer vorwiegend männlichen Geschlechts -, <strong>de</strong>nn in jenen Urzeiten<br />
<strong>de</strong>r Menschheitsgeschichte galt nur das Blut – und ganz beson<strong>de</strong>rs Menstruations-<br />
5
lut – als Medium <strong>de</strong>r Fortpflanzung <strong>de</strong>s Lebens von Sippe o<strong>de</strong>r Stamm („Blut <strong>de</strong>s<br />
Lebens“). Der Historiker Erich Neumann sagt hierzu:<br />
„Tötung, Opfer, Zerstückelung und Blutdarbringung sind magische Instrumente<br />
<strong>de</strong>r Fruchtbarkeit.“<br />
Auch in <strong>de</strong>n vielen weltweiten Schöpfungsmythen ist diese uralte Blut-Symbolik enthalten,<br />
u.a. in <strong>de</strong>r babylonischen Vorstellung <strong>de</strong>r Großen Göttin Ninhursag (Das Gegenstück<br />
zur ägyptischen Muttergöttin Hathor), die die Menschen aus Lehm gemacht<br />
habe und ihnen ihr „Blut <strong>de</strong>s Lebens“ eingeflößt. Auch <strong>de</strong>m (patri-archalischen) Namen<br />
Adam lag diese Art Magie zugrun<strong>de</strong>: das weibliche „adamah“ be<strong>de</strong>utet „blutiger<br />
Lehm“, in späteren Zeiten im euphemistischen Sinne mit „roter Er<strong>de</strong>“ übersetzt. Eine<br />
ähnliche, uralte Blut-Symbolik fin<strong>de</strong>n wir beispielsweise noch erhalten geblieben im<br />
Auslegen <strong>de</strong>s „roten Läufers“ für hohe Staatsgäste – lang, lang ist’s her....<br />
Zurückkommend auf die eigentliche Thematik dieser Abhandlung, kann somit – im<br />
stark vereinfachten Sinne allerdings – gesagt wer<strong>de</strong>n, daß für die alten Völker <strong>de</strong>s<br />
Orients – in ihrer alles umfassen<strong>de</strong>n Verehrung <strong>de</strong>r „Großen (Mutter-)Göttin“- die<br />
vorbeschriebene Blut-Symbolik einen überaus überragen<strong>de</strong>n Stellenwert in ihrem<br />
gesellschaftlichen Verständnis von Leben, Tod und Fortpflanzung gespielt hat. Und<br />
wie bereits ange<strong>de</strong>utet, versuchten die Männer an diesem Fruchtbarkeitskomplex <strong>de</strong>r<br />
Frauen teilzuhaben und dies ganz beson<strong>de</strong>rs über die rituelle Kastration. Die primitive<br />
Absicht war dabei zweifellos – im magischen Sinne und in Anlehnung an mythologischen<br />
Überlieferungen interpretiert – einen männlichen Körper in einen weiblichen<br />
zu verwan<strong>de</strong>ln, in<strong>de</strong>m die (überflüssigen ....) baumeln<strong>de</strong>n Genitalien durch ein bluten<strong>de</strong>n<br />
„Loch“ (Imitation Menstruationsvorgang) ersetzt wur<strong>de</strong>n. Sämtliche Mythologien<br />
legen in <strong>de</strong>r Folge auch <strong>de</strong>n Schluß nahe, daß die Männer, bevor sie ihre reproduktive<br />
Rolle verstan<strong>de</strong>n, versucht haben, sich selbst zu „Frauen zu machen“, in <strong>de</strong>r<br />
Hoffnung dadurch eine Fruchtbarkeit wie die Frauen zu erlangen. Diese Metho<strong>de</strong>n<br />
umfaßten – neben <strong>de</strong>r rituellen Kastration – noch die Couva<strong>de</strong>, also das Nachahmen<br />
<strong>de</strong>s Geburtsvorganges, <strong>de</strong>n vorgetäuschten Tod mit <strong>de</strong>r Auferstehung, die Wie<strong>de</strong>rgeburt<br />
durch künstliche, „männliche“ Mütter sowie die zeremonielle Verwendung roter<br />
Flüssigkeiten, um das Menstruationsblut zu imitieren – auch die frühgeschichtliche<br />
Existenz <strong>de</strong>s Transvestitismus gehört zu diesem Imitationskomplex <strong>de</strong>r weiblichen<br />
Fortpflanzungsmagie: die entsprechen<strong>de</strong>n mythologischen Vorstellungen und<br />
6
Überlieferungen sind legion und in sämtlichen alten Kulturen weltweit anzutreffen.<br />
Wir beschränken uns <strong>de</strong>shalb auf eine kleine Auswahl <strong>de</strong>rselben, angefangen beim<br />
ägyptischen Sonnengott Ra, <strong>de</strong>r sich selbst kastrierte, um das Geschlecht <strong>de</strong>r Ammiu<br />
aus seinem Blut hervorzubringen. Der Phallus <strong>de</strong>s hinduistischen „Großen Gottes“,<br />
Maha<strong>de</strong>ra, wur<strong>de</strong> von Priesterinnen <strong>de</strong>r Großen Göttin abgeschnitten und in<br />
Stücke gehauen. Die Teile kamen in die Er<strong>de</strong> und brachten eine neue Menschenrasse<br />
hervor, die Lingagas (Männer <strong>de</strong>s Lingam o<strong>de</strong>r Phallus). In einer indianischen<br />
Variante (Chukchee) errang <strong>de</strong>r Große Rabengott weibliche Geheimnisse <strong>de</strong>r Magie,<br />
in <strong>de</strong>m er das eigene Glied zu Brei zerstampfte und diesen <strong>de</strong>r Göttin Miti (Mutter) zu<br />
essen gab. Und in <strong>de</strong>r mexikanischen Mythologie schuf die Erlöser-Gottheit<br />
„Quetzalcoatl“ – um die Er<strong>de</strong> nach einer Flutkatastrophe neu zu bevölkern – neue<br />
Menschen, im <strong>de</strong>m er sein Glied abschnitt und das Blut <strong>de</strong>r „Herrin <strong>de</strong>s Schlangenschurzes“<br />
zu trinken gab. Die Gestalt dieser Göttin, <strong>de</strong>r zahlreiche abgeschnittene<br />
Glie<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>r Hüfte hingen, fin<strong>de</strong>n wir auch in vielen nahöstlichen Mythologien wie<strong>de</strong>r<br />
und zwar als Anath, <strong>de</strong>r Zwillingsschwester <strong>de</strong>r Göttin Mari als Herrscherin über<br />
Geburt und Tod, verehrt sowohl in Ägypten, Kanaan, Syrien, Phönikien als auch in<br />
Griechenland. Im Tempel zu Jerusalem wur<strong>de</strong> Anath über Jahrhun<strong>de</strong>rte - neben <strong>de</strong>m<br />
Gott EI - in <strong>de</strong>r Gestalt <strong>de</strong>r Himmelskönigin Aschera (verbun<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r Tempelprostitution<br />
<strong>de</strong>r weibmännlichen „Ke<strong>de</strong>shim“-Priester) verehrt. In <strong>de</strong>n Ugarit-Texten<br />
(1929 im syrischen Ras Schamra gefun<strong>de</strong>nen Keilschrifttafeln mit Bezug auf die dort<br />
gelegenen, antiken Hauptstadt Kanaans, Ugarit) wer<strong>de</strong>n u.a. die damaligen, primitiven<br />
Opferriten für die Göttin Anath beschrieben, wobei dieselbe durch das Blut von<br />
Männern befruchtet wird und nicht durch <strong>de</strong>ren Samen. Denn die kultische Verehrung<br />
<strong>de</strong>r Anath geht bis in die Jungsteinzeit zurück, als eine Vaterschaft noch unbekannt<br />
war und - wie wir inzwischen wissen - Blut als die einzige Substanz galt, die<br />
Leben übertragen konnte. In <strong>de</strong>n mythischen Überlieferungen heißt es u.a. (in freier<br />
Übersetzung):<br />
„Gewalttätig zerschmettert sie und wei<strong>de</strong>t sich daran, Anath tötet sie und starrt<br />
sie an - ihr Sinn jubelt in Freu<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn sie taucht ihre Knie in das Blut <strong>de</strong>r Soldaten,<br />
ihre Len<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Lebenssaft <strong>de</strong>r Krieger, bis ihr das Schlachten in <strong>de</strong>m<br />
Haus, das Zerhacken auf <strong>de</strong>n Tischen genügt“.<br />
Und wie bei <strong>de</strong>r bereits beschriebenen mexikanischen „Herrin <strong>de</strong>s Schlangengewan-<br />
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<strong>de</strong>s“, die aus <strong>de</strong>m Genitalblut Quetzalcoatls neues Leben wie<strong>de</strong>r erschuf, hing auch<br />
Anath die abgeschnittenen Glie<strong>de</strong>r ihrer Blutopfer an ihre Ziegenfellschürze, <strong>de</strong>r Aigis.<br />
Als die Göttin nach Griechenland kam, wur<strong>de</strong> sie zur Muttergöttin Athene, mit <strong>de</strong>r<br />
Aigis (Ägäisches Meer!) jetzt als Brustschild aus Ziegenfell, verziert mit Orakelschlangen<br />
- die Athener verehrten sie als heilige Jungfrau, Athene Parthenia im<br />
Parthenon, ihrem noch heute bestaunten „Jungfrauentempel“. Gleichzeitig sind wir<br />
mit diesen Überlieferungen jedoch auch im Labyrinth <strong>de</strong>r griechischen Mythologie<br />
angekommen, wo die jahrtausen<strong>de</strong>langen Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen zwischen <strong>de</strong>m<br />
weiblichen und <strong>de</strong>m männlichen Prinzip dargestellt wor<strong>de</strong>n sind und zwar in einer<br />
unglaublichen Vielfalt und Gestaltungsdichte - beson<strong>de</strong>rs auch bezüglich <strong>de</strong>s ewigwähren<strong>de</strong>n<br />
„Mythos Kastration“. Denn es gibt überaus viele Kastrationsmythen in<br />
<strong>de</strong>n griechischen und römischen Götterwelten - diesmal jedoch im Sinne eines Raubes<br />
<strong>de</strong>r Genitalien als Symbol <strong>de</strong>r sieghaften Männlichkeit: man (Mann!) war sich<br />
seiner (Samen-)Rolle in <strong>de</strong>r Reproduktion bewußt gewor<strong>de</strong>n. Denken wir nur an <strong>de</strong>n<br />
Mythos <strong>de</strong>r Uranos-Entmannung durch seinen Sohn Kronos, festgehalten in <strong>de</strong>r<br />
Theogenie <strong>de</strong>s antiken griechischen Chronisten Hesiod. Danach kastrierte Kronos,<br />
Sohn <strong>de</strong>s Himmels und <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, seinen Vater Uranos mit einem Messer und<br />
schleu<strong>de</strong>rte seine Ho<strong>de</strong>n ins Meer. Sie trieben im aufgewühlten Schaum ihres eigenen<br />
Samens davon und daraus wur<strong>de</strong> Aphrodite geboren, die Göttin <strong>de</strong>r sexuellen<br />
Liebe (Aphrodites Sohn Eros wur<strong>de</strong> zum Gott <strong>de</strong>r emotionalen Liebe). Später entstand<br />
aus ihrer Verbindung mit <strong>de</strong>m androgynen Gott Hermes die berühmte zweigeschlechtliche<br />
Gottheit Hermaphroditos sowie aus ihrer Verbindung mit <strong>de</strong>m Gott Dionysos<br />
die Gottheit Priapos, <strong>de</strong>ssen männlich-körperliche Merkmale unbestreitbar waren<br />
und sich in permanenter Erektion befan<strong>de</strong>n - sozusagen als die Personifizierung<br />
<strong>de</strong>s abgeschnittenen Glieds (Phallus-Kult <strong>de</strong>r Antike). Auch Aphrodites Geliebter<br />
Adonis (griechische Version <strong>de</strong>s semitischen Adonai bzw. <strong>de</strong>s kanaanitischen Tammuz)<br />
wur<strong>de</strong> kastriert - <strong>de</strong>rart wur<strong>de</strong> die „Jungfrau“ Aphrodite („Himmlische Aphrodite“)<br />
zur Herrscherin <strong>de</strong>r frühen griechischen Mythologien kastrierter Götter. Ebenfalls<br />
hinein paßt die Kastration <strong>de</strong>s ältesten Sohnes <strong>de</strong>s Uranos durch gleichfalls Kronos -<br />
im römischen Pantheon ist noch die Kastration <strong>de</strong>s Saturn durch Jupiter erwähnenswert.<br />
Ebenso die Tatsache, daß Blindheit und abgeschnittene Haare als mythologische<br />
Metaphern <strong>de</strong>r Entmannung gelten. Die Schreiber <strong>de</strong>r Bibel nannten <strong>de</strong>n Penis<br />
„eine geschrumpfte Sehne“, die „auf einer Höhlung <strong>de</strong>s Oberschenkels liegt“: Das<br />
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war die „Sehne“, die Jakob im Kampf mit „einem Mann, <strong>de</strong>r Gott war“, einbüßte<br />
(Seth-Mythos ägyptischen Ursprungs).<br />
Zurückkommend auf die in <strong>de</strong>r Bronzezeit über Jahrtausen<strong>de</strong> entstan<strong>de</strong>nen Fruchtbarkeitskulturen<br />
um die Große Göttin, darf auch <strong>de</strong>r im sumerischen Kleinasien, in<br />
Phrygien rund um Hierapolis angesie<strong>de</strong>lten Kult um Kybele, die Große Göttermutter<br />
vom Berg Ida (Magna Mater Deum Idae) nicht unerwähnt bleiben. Das damit zusammenhängen<strong>de</strong><br />
Fruchtbarkeitsbrauchtum, vergleichbar mit <strong>de</strong>m griechischen Artemis-Kult,<br />
verbreitete sich - beson<strong>de</strong>rs nach <strong>de</strong>r triumphalen Verbringung <strong>de</strong>r Kybele<br />
von Phrygien nach Rom im Jahre 204 v. Chr. - im gesamten römischen Weltreich<br />
jener Tage, nicht zuletzt durch das ungezügelte Zutun verschie<strong>de</strong>ner bizarrer Kaiser<br />
wie Nero, Caligula und Caracella. Caesars Nachfolger Augustus baute seinen Palast<br />
ihrem Tempel auf <strong>de</strong>m Vatikanhügel - dort wo sich heute <strong>de</strong>r Petersdom befin<strong>de</strong>t -<br />
gegenüber und betrachtete seine Gattin, die Kaiserin Livia Augusta, als irdische Inkarnation<br />
<strong>de</strong>r Kybele. Spätere Kaiser wie Heliogabal und Caligula wollten die Gestalt<br />
<strong>de</strong>r Großen Göttin dann selber darstellen.<br />
Der Kult selber geriet vor allem durch die in Frauenklei<strong>de</strong>rn auftreten<strong>de</strong>n, kastrierten<br />
Weibmann-Priester, Galli genannt, zu einem riesigen religiösen Spektakel und nicht<br />
zuletzt beim Frühlingsfest geriet auch das Volk außer Rand und Band. Es wur<strong>de</strong>n<br />
ekstatische Zeremonien bis zum Exzeß durch- bzw. aufgeführt. Dabei wur<strong>de</strong> die Kastration<br />
mit wahrer Inbrunst betrieben, und die Priester - und mit ihnen viele Gefolgsleute<br />
- entmannten sich dabei selber, warfen ihre Genitalien auf <strong>de</strong>n Umzügen in<br />
die Häuser, <strong>de</strong>ren Besitzer sie daraufhin mit weiblicher Kleidung ausstatten mußten.<br />
Dieser Kastrationsmythos wur<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>n entmannten Hohepriester <strong>de</strong>r Großen Göttin<br />
Kybele, Attis genannt, zurückgeführt, <strong>de</strong>r wegen seiner Untreue zur Strafe „impotent“<br />
gemacht wer<strong>de</strong>n sollte. Der Attis-Kult begleitete <strong>de</strong>n Kybele-Kult, und bei<strong>de</strong> haben<br />
das frühe Christentum stark beeinflußt. Die Kirchenväter waren da jedoch ganz<br />
an<strong>de</strong>rer Meinung, und <strong>de</strong>r Heilige Augustinus (354-430 n. Chr.) nannte Kybele in<br />
seinem Standardwerk „Vom Gottesstaat“ sogar eine „Hurenmutter“, „die Mutter nicht<br />
<strong>de</strong>r Götter, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Dämonen“. Den Römern selbst war lange Zeit nur die syrische<br />
Ursprungsform - und diese eher als Kuriosität - bekannt, ähnlich <strong>de</strong>m Erscheinungsbild<br />
<strong>de</strong>r Hare Krishna-Jünger mit ihren bunten Gewän<strong>de</strong>rn im heutigen Straßenbild.<br />
Als <strong>de</strong>r Kult sich jedoch über das gesamte römische Reich ausbreitete, än<strong>de</strong>rte<br />
sich auch in Rom seine Ausgestaltung, speziell bezogen auf die Kastrationsze-<br />
9
emonien. Wur<strong>de</strong>n die Kastrationen bei lärmen<strong>de</strong>r, ekstatischer Musik und Gesang<br />
anfänglich mit <strong>de</strong>m Zeremonienschwert in einem gezielten Schnitt durchgeführt, so<br />
wur<strong>de</strong>n in späteren Zeiten die Techniken mit scharfkantigen Klemmen, zur alleinigen<br />
Entfernung von Ho<strong>de</strong>n und Ho<strong>de</strong>nsack ausgeführt. Diese Prozeduren verliefen immer<br />
sehr blutig, vor allem wenn auch das Glied mitentfernt wur<strong>de</strong>. Oft traten tödliche<br />
Infekte <strong>de</strong>r nun erheblich verkürzten Harnröhre auf bzw. war - wie von <strong>de</strong>n kastrierten<br />
Eunuchen-Priestern überliefert - eine dauern<strong>de</strong> Blasenschwäche die Folge. Nicht<br />
unerwähnt bleiben darf auch <strong>de</strong>r Umstand <strong>de</strong>s damals üblichen Sklavensystems,<br />
woraus - speziell im mediterranen Raum - viele I<strong>de</strong>en und Praktiken <strong>de</strong>r Entmannung<br />
entstan<strong>de</strong>n: vor allem Besiegte und Gefangenen, Tote wie Lebendige, wur<strong>de</strong>n ihrer<br />
Genitalien als Symbol <strong>de</strong>r sieghaften Männlichkeit beraubt. Aber auch in späterer<br />
Zeit war das Entmannen von Kriegsgefangenen (bis in dieses Jahrhun<strong>de</strong>rt hinein),<br />
von Sklaven, Sträflingen, Bergarbeitern, Dienern (speziell die alleinstehen<strong>de</strong>r Damen<br />
bzw. Kurtisanen), Sängern, Lustknaben, hohen Beamten, Lehrern und Erziehern üblicher<br />
Brauch und Sitte - <strong>de</strong>r rituelle Aspekt wich immer mehr <strong>de</strong>m „praktischen“. War<br />
das Blut <strong>de</strong>r Kastration früher das Symbol <strong>de</strong>r (männlichen) „Fruchtbarkeit“, so wur<strong>de</strong><br />
es im patriarchalischen Verständnis jetzt zur Besiegelung <strong>de</strong>r (männlichen) Unfruchtbarkeit<br />
- an<strong>de</strong>re Zeiten, an<strong>de</strong>re Sitten.....<br />
Zurückkommend auf <strong>de</strong>n Attis-Kult sei nochmals vermerkt, daß <strong>de</strong>rselbe das frühe<br />
Christentum überaus stark beeinflußt hat - es geht dies vor allem aus <strong>de</strong>r übereinstimmen<strong>de</strong>n<br />
Symbolik hervor. Hierbei nahmen die Römer Attis vor allem an, weil sie<br />
Kybele als nationale Göttin ansahen und dabei eine Tradition aus <strong>de</strong>r Frühzeit Roms<br />
aufrechterhielten. In diesem Verständnis war Attis ein Sohn <strong>de</strong>r irdischen Inkarnation<br />
<strong>de</strong>r Großen Göttin, <strong>de</strong>r Jungfrau Nana, die ihn auf <strong>de</strong>m Wege <strong>de</strong>r Parthenogenese<br />
(Jungfrauengeburt) empfangen hatten - als sie einen Granatapfel aß. Er war ein typischer<br />
„Gott ohne Vater“, <strong>de</strong>r Sohn <strong>de</strong>r Jungfrau, und wuchs auf, um Opfer und Retter<br />
zu wer<strong>de</strong>n, getötet für das „Heil <strong>de</strong>r Menschheit“: seine Körperlichkeit wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n<br />
ihn Anbeten<strong>de</strong>n in Form von Brot gegessen. Er wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n Toten erweckt als<br />
„<strong>de</strong>r Höchste Gott, <strong>de</strong>r das Universum zusammenhält“ und sein Erscheinen mit <strong>de</strong>n<br />
Worten „Heil, Bräutigam, Heil, neues Licht“ angekündigt. Und, wie vorher beschrieben<br />
seine Priester (man nannte sie „Herren, die halbe Frauen waren“), wur<strong>de</strong> auch er<br />
kastriert und an einer Pinie gekreuzigt, „damit sein (heiliges) Blut nie<strong>de</strong>rfloß, um die<br />
Er<strong>de</strong> zu erlösen“ - also wie<strong>de</strong>r die gleiche Blut-Symbolik aus <strong>de</strong>n frühen Zeiten <strong>de</strong>r<br />
Menschheit.<br />
10
Die Passion (Lei<strong>de</strong>nsgeschichte) <strong>de</strong>s Attis wur<strong>de</strong> am 25. März gefeiert, genau neun<br />
Monate vor <strong>de</strong>r Sonnenwendfeier am 25. Dezember: <strong>de</strong>r Zeitpunkt seines To<strong>de</strong>s war<br />
gleichzeitig <strong>de</strong>r Zeitpunkt seiner Empfängnis bzw. Wie<strong>de</strong>r-Empfängnis. Um <strong>de</strong>n Moment<br />
zu markieren, an <strong>de</strong>m Attis in seine Mutter eintrat, um seine Wie<strong>de</strong>rgeburt zu<br />
zeugen, wur<strong>de</strong> sein Baum-Phallus in die geheiligte Höhle getragen. Der Tag von Attis´<br />
Tod war <strong>de</strong>r Schwarze Freitag o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Tag <strong>de</strong>s Blutes - sein Bild wur<strong>de</strong> zum<br />
Tempel gebracht und an <strong>de</strong>n Phallusbaum gebun<strong>de</strong>n, begleitet von <strong>de</strong>n „Schilfträgern“<br />
(kannophori) mit Schilfzeptern, die wie<strong>de</strong>rhergestellte Phalli und damit neue<br />
Fruchtbarkeit symbolisierten. Während <strong>de</strong>r alljährlich zurückkehren<strong>de</strong>n Zeremonien<br />
kastrierten sich die Eingeweihten, in Nachahmung <strong>de</strong>s kastrierten Gottes, selbst und<br />
zeigten ihre abgeschnittenen Genitalien <strong>de</strong>r Göttin, gemeinsam mit <strong>de</strong>n <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>s<br />
gleichfalls kastrierten Stieres, <strong>de</strong>r im Ritual <strong>de</strong>s Tauroboliums geopfert wor<strong>de</strong>n war.<br />
Das Taurobolium war im Kybele-Kult <strong>de</strong>r Höhepunkt ihrer Verehrung: die Taufe mit<br />
<strong>de</strong>m Blut eines heiligen Stieres, <strong>de</strong>r ihren sterben<strong>de</strong>n Gott und Geliebten Attis repräsentierte.<br />
Demnach war die Mutter von Attis, die jungfräuliche Nana, in Wirklichkeit<br />
die Große Göttin selbst - so wie Ianna bei <strong>de</strong>n Sumerern, Mari-Ana bei <strong>de</strong>n Kanaanitern<br />
o<strong>de</strong>r Nanna, die Mutter <strong>de</strong>s sterben<strong>de</strong>n Gottes Baldur im Nor<strong>de</strong>n Europas usw.<br />
- die Mythologien wie<strong>de</strong>rholen sich weltweit.<br />
Während <strong>de</strong>r Passion wur<strong>de</strong>n all jene vorerwähnten männlichen Relikte in die heilige<br />
Höhle <strong>de</strong>r Großen Mutter, im Tempel <strong>de</strong>r Kybele und Attis, gebracht. Damit starb die<br />
Gottheit Attis, wur<strong>de</strong> beerdigt und stieg dann - immer im Verständnis seiner Anhänger<br />
- in die Unterwelt hinab, um am dritten Tag von <strong>de</strong>n Toten wie<strong>de</strong>raufzustehen.<br />
Seinen Anbetern wur<strong>de</strong> gesagt:<br />
“Der Gott ist errettet, und auch ihr wer<strong>de</strong>t von euren Mühen erlöst wer<strong>de</strong>n“.<br />
Dieser Tag <strong>de</strong>r Auferstehung war ein regelrechter Karnevalstag, Hilaria o<strong>de</strong>r Tag <strong>de</strong>r<br />
Freu<strong>de</strong>n genannt - die Menschen tanzten in <strong>de</strong>n Straßen, verklei<strong>de</strong>ten sich, alberten<br />
herum und vergnügten sich mit flüchtigen Liebesabenteuern - wie auch heute noch<br />
bei <strong>de</strong>n weltweiten Karnevalsveranstaltungen. Die Christen begingen auch später<br />
noch <strong>de</strong>n Ostersonntag mit einem Karnevalsumzug, <strong>de</strong>r sich nachgewissenermassen<br />
aus <strong>de</strong>m Mysterienkult <strong>de</strong>s Attis herleitete: wie Christus entstand somit Attis, wenn<br />
„die Sonne zum ersten Mal <strong>de</strong>n Tag länger macht als die Nacht“, als Sonnengott so-<br />
11
mit. Daß das Abschnei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Krawatte <strong>de</strong>r Männer am heutigenWeiberfastnacht auf<br />
die vorbeschriebene Kastration-Symbolik zurückzuführen ist, dürften sich jedoch die<br />
wenigsten Menschen realisieren....! Diese Stellvertretungs-Symbolik fin<strong>de</strong>t sein Äquivalent<br />
auch in <strong>de</strong>r Sorge bereits <strong>de</strong>r biblischen Patriarchen um die Verwundbarkeit<br />
<strong>de</strong>s Penis, und diese vermie<strong>de</strong>n <strong>de</strong>shalb je<strong>de</strong> direkte Erwähnung, um nicht böse<br />
Geister auf ihn zu ziehen: Das Alte Testament verrät eine beson<strong>de</strong>re Furcht vor <strong>de</strong>r<br />
Macht <strong>de</strong>r Frauen über <strong>de</strong>n Penis. Gottes Gebot befahl, sogar einer Frau, die die<br />
Genitalien eines Mannes ergriff, die Hand abzuhacken, selbst wenn sie es täte, um<br />
ihren Mann gegen einen Feind zu verteidigen. (Deuteronomium 25, 11-12)<br />
Wir haben hier bezüglich <strong>de</strong>s Attis-Kults <strong>de</strong>rart weit ausgeholt, um aufzuzeigen, wie<br />
sehr das frühe Christentum auf die alten Mysterienkulte <strong>de</strong>r Antike Bezug genommen<br />
hat - wie bereits vorgängig erwähnt, fand in <strong>de</strong>n späteren Zeiten <strong>de</strong>s Christentums -<br />
und zwar vorwiegend von <strong>de</strong>n Evangelisten ausgehend - eine Umschreibung, ja<br />
Verfälschung aller dieser jahrtausen<strong>de</strong>alten, mystischen Grundlagen statt. Gera<strong>de</strong> in<br />
heutiger Zeit ist die Natur-Kultur-Diskussion im religiös-geschichtlichen Sinne wie<strong>de</strong>r<br />
aufgeflammt, und es mel<strong>de</strong>n sich viele Dissi<strong>de</strong>nten zu Wort - <strong>de</strong>nken wir in <strong>de</strong>utschen<br />
Gefil<strong>de</strong>n beispielsweise nur an Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein mit seinem<br />
frühen Werk „Jesus Menschensohn“ (1972) sowie die kirchlichen Kritiker Eugen<br />
Drewermann, Jutta Heinemann und Hans König. Die bereits erwähnte amerikanische<br />
Feministin Camille Paglia sagt zu dieser Thematik:<br />
12
„Das Buch <strong>de</strong>r Genesis ist eine männliche Unabhängigkeitserklärung von <strong>de</strong>n<br />
uralten Mutterkulturen. Am Anfang war nicht das Wort, son<strong>de</strong>rn die Natur (d.h.<br />
das Weib). Deren unermeßlicher und unergründlicher Charakter wur<strong>de</strong> nicht<br />
von einem „Männer“-Gott verkörpert, son<strong>de</strong>rn durch die Fruchtbarkeit einer<br />
„Großen Mutter“.<br />
Es dürfte <strong>de</strong>shalb nicht verwun<strong>de</strong>rn, daß es eines <strong>de</strong>r am besten gehüteten Geheimnisse<br />
<strong>de</strong>r frühen Christenheit war - mittels einer Auffor<strong>de</strong>rung an <strong>de</strong>n speziellen inneren<br />
Kreis <strong>de</strong>r Eingeweihten - sich selbst zu entmannen, um durch diesen Beweis <strong>de</strong>r<br />
Keuschheit größere Gna<strong>de</strong> zu erlangen. So heißt es im biblischen Kontext (Matthäus<br />
19, 22):<br />
„Manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig..... manche haben sich selbst dazu gemacht<br />
- um <strong>de</strong>s Himmelreiches willen. Wer das erfassen kann, <strong>de</strong>r erfasse es“ (Hierzu<br />
auch Kolosserbrief 3,5 und Jesaia 56,3).<br />
Einer <strong>de</strong>r dies erfasste, war <strong>de</strong>r berühmte Kirchenvater Origenes von Alexandrien<br />
(185-245 n. Chr.), <strong>de</strong>r das Problem <strong>de</strong>r vom Christentum gepredigten Enthaltsamkeit<br />
ein für allemal durch Selbstkastration löste und damit nicht nur seinem Sexualleben<br />
ein En<strong>de</strong> setzt, son<strong>de</strong>rn, aufgrund einer orthodoxen biblischen Einstellung zu Männern<br />
mit verletzten Genitalien (wg. jüdischen Beschneidungspraktiken), auch je<strong>de</strong>r<br />
Möglichkeit einer späteren Heiligsprechung. Und in <strong>de</strong>r Apologie (Rechtfertigung) <strong>de</strong>s<br />
christlichen Philosophen Justinus (100-165 n. Chr.), bekannt durch seine Synthese<br />
von griechischer Philosophie und frühem Christentum, ist mehrmals festgehalten,<br />
daß die römischen Ärzte von gläubigen, christlichen Männern belagert wur<strong>de</strong>n, die<br />
nach <strong>de</strong>r Operation verlangten. Der lateinische Kirchenschriftsteller Tertullian (160-<br />
220 n. Chr.) riet dazu, Christenknaben vor <strong>de</strong>r Pubertät zu entmannen, damit ihre<br />
„Tugend“ dauerhaft geschützt sei („castrati“ - Thematik später). Interessant in diesem<br />
Zusammenhang dürfte <strong>de</strong>r Umstand sein, daß im gleichen geschichtlichen Zeitraum<br />
Roms (Zeitalter <strong>de</strong>s „Cäsarenwahns“) Kaiser Nero <strong>de</strong>n entmannten Sklaven Sporum<br />
heiratete. Und vom Kaiser Heliogabal (218-222 n. Chr.) wur<strong>de</strong> berichtet, daß er eine<br />
Autokastration (Selbstkastrierung) versucht hat und – wie etliche Kaiser vor bzw.<br />
nach ihm – befahl, daß ihm <strong>de</strong>r Respekt einer Kaiserin (sprich Große Mutter) zuteil<br />
wer<strong>de</strong>n sollte. Auch sein Nachfolger Caligula trat als Venus in Frauenklei<strong>de</strong>rn und mit<br />
gol<strong>de</strong>nem Bart öffentlich auf und zelebrierte zügellose, speziell gleichgeschlechtliche<br />
13
Exzesse. Die römischen Kaiser <strong>de</strong>s 3. und 4. Jahrhun<strong>de</strong>rt n. Chr. sodann hatten oft<br />
als Minister, Erzieher und auch Wissenschaftler kastrierte Männer, die gelegentlich<br />
so mächtig wur<strong>de</strong>n, daß sie ihre Herren stürzen konnten: so war beispielsweise Narses,<br />
<strong>de</strong>r Feldherr Kaiser Justinians (<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Sodom- und-Gomorrha-Mythe!) ein<br />
Eunuch. Und unter <strong>de</strong>n Perserkönigen <strong>de</strong>s 5. bis 3. Jahrhun<strong>de</strong>rts v. Chr. soll sich –<br />
so die Überlieferung – kaum einer fin<strong>de</strong>n lassen, <strong>de</strong>r nicht von einem Eunuchen umgebracht<br />
wor<strong>de</strong>n ist. Freuds Oedipus-Komplex läßt grüßen!<br />
Wir wollen schließlich noch darauf hinweisen, daß in jenen antiken Zeiten auch vielerlei<br />
unblutige Kastrationstechniken angewen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n, so beispielsweise die Ho<strong>de</strong>n<br />
mittels Schierlingsgift, Hyazinthenzwiebeln o<strong>de</strong>r Fle<strong>de</strong>rmausblut zu vertrocknen<br />
bzw. auch – speziell in römischen Zeiten – das mechanische Zerquetschen <strong>de</strong>r Ho<strong>de</strong>n<br />
männlicher Säuglinge (nach einem heißen Bad) zwischen <strong>de</strong>n Fingern. Ein Ausbund<br />
an Grausamkeit hinsichtlich <strong>de</strong>s Kastrationsvorganges in antiken Zeiten ist sodann<br />
überliefert von <strong>de</strong>n alten Ägyptern, welche Tausen<strong>de</strong> von Knaben, meist Kin<strong>de</strong>r<br />
Kriegsgefangener o<strong>de</strong>r armer Leute, von koptischen Mönchen (!) haben kastrieren<br />
lassen. In einem Bericht über die Tortur heißt es:<br />
„Der Operateur bin<strong>de</strong>t mit feinen festen Wollfä<strong>de</strong>n die Geschlechtsteile ab und<br />
schnei<strong>de</strong>t unter <strong>de</strong>r Ligatur durch. Die Blutung wird mit Asche, sie<strong>de</strong>n<strong>de</strong>m Öl,<br />
rotglühen<strong>de</strong>m Eisen gestillt. Dann wird in die Röhre eine grobe Metallson<strong>de</strong><br />
eingeführt, die durch einen Gürtel gehalten wird, und die Opfer wer<strong>de</strong>n bis zum<br />
Nabel in <strong>de</strong>n heißen Nilsand eingegraben, worin sie 5-6 Tage bleiben. Die eitern<strong>de</strong><br />
Wun<strong>de</strong> braucht bis zu ihrer Heilung mehrere Monate. Sehr häufig tritt<br />
dauern<strong>de</strong> Inkontinenz ein. Nach 3 Monaten wur<strong>de</strong>n die Operierten verkauft.“<br />
So grausam wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Kastrationsvorgang also auch ausgeführt – die Manipulation<br />
<strong>de</strong>r Ware Mensch für irgendwelche Zwecke ist im Mythos Kastration offenbar mehr<br />
als grenzenlos.<br />
Diesbezüglich wollen wir an dieser Stelle noch auf das indische Phänomen <strong>de</strong>r über<br />
ein Million „Hijras“ aufmerksam machen: eine Kaste von „Frauen, die keine sind“, wie<br />
<strong>de</strong>r Volksmund sagt. Die meisten von ihnen wur<strong>de</strong>n als Kin<strong>de</strong>r bzw. junge Männer<br />
innerhalb <strong>de</strong>r community gewaltsam kastriert – als Erbe eines archaischen Fruchtbarkeitsbrauchtums,<br />
das sich in die heutige Zeit hinübergerettet hat. Die „Hijras“ sind<br />
14
im körperlichen Sinne Eunuchen und wer<strong>de</strong>n gleichzeitig verachtet und wegen ihrer<br />
angeblich magischen Kräften gefürchtet. Sie gehen hauptsächlich <strong>de</strong>r Prostitution<br />
nach und treten auf Hochzeiten mit Musik und Gesang auf – um die Götter <strong>de</strong>r<br />
Fruchtbarkeit mil<strong>de</strong> zu stimmen. Die archaische „Hijras“-Thematik ist in <strong>de</strong>n westlichen<br />
Medien neuerdings auf unerwartet großes Interesse gestoßen (es gibt u.a. einen<br />
TV-Dokumentarfilm mit Selbstkastrierungsszenen!) – eine wegweisen<strong>de</strong>, für europäische<br />
Begriffe sensationell zu nennen<strong>de</strong> Reportage über die Hiyras erschien im<br />
Jahre 1983 im <strong>de</strong>utschen Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ (41/1983). Diese traditionelle<br />
Wochenzeitschrift hat sehr viel über die Transsexualitäts-Problematik publiziert<br />
– die bekannte TS-Rechtsanwältin Maria Sabine Augstein war bis En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 70er<br />
Jahre <strong>de</strong>r (erstgeborene) Sohn <strong>de</strong>s Spiegel-Herausgebers Rudolf Augustein.<br />
Zurückkommend auf die christliche Sicht <strong>de</strong>s Kastrationsvorganges in <strong>de</strong>n darauf<br />
folgen<strong>de</strong>n Jahrhun<strong>de</strong>rten <strong>de</strong>s „dunklen Mittelalters“, sei noch die Vergeistigung <strong>de</strong>sselben<br />
durch <strong>de</strong>n berühmten Mönch und Schriftgelehrten Pierre Abélard (1079-1142<br />
n. Chr.), <strong>de</strong>r vom Onkel seines Geliebten Heloise gewaltsam entmannt wur<strong>de</strong>, erwähnt.<br />
Es heißt in einem Brief an Heloise, zwölf Jahre danach<br />
„Denke daran, daß es Gottes Gna<strong>de</strong> für uns war .... die Weisheit, durch die er<br />
das Böse selbst benutzte und von unserer Gottlosigkeit (Geschlechtsverkehr!)<br />
gnädig absah, so daß er durch eine vollkommen gerechtfertigte Wun<strong>de</strong> in einem<br />
einzigen Teil meines Körpers zwei Seelen (!) heilen konnte .... Als mich<br />
daher die göttliche Gna<strong>de</strong> von jenen schändlichen Glie<strong>de</strong>rn eher reinigte (!) als<br />
beraubte, die wegen ihrer Unanständigkeit die „Schamteile“ genannt wer<strong>de</strong>n<br />
und keinen eigenen Namen besitzen, was tat sie daher an<strong>de</strong>res als eine<br />
schmutzige Unvollkommenheit entfernen (!), um vollkommene Reinheit zu bewahren?<br />
Stimme ein in meine Danksagung, Du, die sowohl in <strong>de</strong>r Schuld als<br />
auch in <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> zu meiner Partnerin wur<strong>de</strong>st.“<br />
Die christliche Gehirnwäsche <strong>de</strong>r Sexualität als Sün<strong>de</strong> ist hier – je<strong>de</strong>nfalls in jenen<br />
„dunklen“ Zeiten – mehr als offensichtlich.<br />
Aber auch in <strong>de</strong>n späteren Zeiten <strong>de</strong>r Renaissance und <strong>de</strong>r Aufklärung blieb hinsichtlich<br />
<strong>de</strong>s Kastrationsvorganges im kirchlichen Verständnis die Bigotterie aufrechterhalten<br />
– frei nach <strong>de</strong>m auch in an<strong>de</strong>ren christlichen Gefil<strong>de</strong>n üblichen Grund-<br />
15
satz: „Der Zweck heiligt die Mittel“. Denn obwohl im besagten Mittelalter die „Sün<strong>de</strong>“<br />
überall vermutet wur<strong>de</strong> (die Strafkataloge <strong>de</strong>r damaligen kirchlichen Bußbücher legen<br />
ein beredtes Zeugnis ab...), durfte sie <strong>de</strong>nnoch nicht sichtbar wer<strong>de</strong>n, vor allem nicht<br />
in <strong>de</strong>n Klöstern und Kirchen. Mönche und Nonnen durften nicht zusammenkommen<br />
und einen Blick aufeinan<strong>de</strong>r werfen: sie wur<strong>de</strong>n bei Prozessionen sogar durch aufgehängte<br />
Tücher von- einan<strong>de</strong>r getrennt und in <strong>de</strong>n Kirchen durften die Nonnen nicht<br />
singen (um die Klosterbrü<strong>de</strong>r nicht vom Gebet abzulenken....). Deswegen wur<strong>de</strong><br />
auch die Sitte eingeführt, kastrierte Knaben als Sänger bei kirchlichen Veranstaltungen<br />
einzusetzen – die Geburtsstun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r zahllosen „castrati“, welche in <strong>de</strong>n darauf<br />
folgen<strong>de</strong>n Jahrhun<strong>de</strong>rten – jedoch speziell im 18. Jahrhun<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>s Barocks – zu <strong>de</strong>n<br />
Superstars <strong>de</strong>r Opernbühnen Europas wur<strong>de</strong>n. Der Volksmund allerdings sprach<br />
verächtlich von Kapaunen.<br />
Zu dieser Thematik erschien im Spiegel 50/1990 ein überaus interessanter Beitrag<br />
mit <strong>de</strong>m bezeichnen<strong>de</strong>n Titel “Scheinheiliger Kunst-Griff“. Darin heißt es:<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rtelang waren Kastraten die Stars <strong>de</strong>r europäischen Kultur. Tausen<strong>de</strong><br />
von Knaben ließen sich für die Musik verstümmeln.<br />
Wenn <strong>de</strong>r ‘Engel von Rom‘ seine Stimme erhob, wur<strong>de</strong>n die Zuhörer in ‘seliges<br />
Entzücken‘ versetzt, und das ausgerechnet in <strong>de</strong>r Sixtinischen Kapelle im Vatikan.<br />
Urheber <strong>de</strong>r Befriedigung war ein gewisser Alessandro Moreschi. Der Engelhafte<br />
hatte nur einen winzigen Makel: Er war Kastrat. Der letzte – zugleich<br />
<strong>de</strong>r einzige, von <strong>de</strong>m Aufnahmen erhalten sind. Sie entstan<strong>de</strong>n 1902 und 1904<br />
im Vatikan. Eine <strong>de</strong>m einst berühmten Hochtöner gewidmete CD ist jetzt auf<br />
<strong>de</strong>m Markt.<br />
Als Moreschi, zuletzt Leiter <strong>de</strong>s päpstlichen Chores in <strong>de</strong>r Sixtina, 1922 63jährig<br />
starb, ging eine zweischneidige Epoche <strong>de</strong>r Musikgeschichte zu En<strong>de</strong>, ein finsteres<br />
Kapitel, in <strong>de</strong>m die katholische Kirche ungestraft ihre messerscharf kalkulierte<br />
Doppelmoral praktizieren durfte.<br />
Denn immer wie<strong>de</strong>r hatten Päpste seit 1587 zwar die Kastration mit Exkommunikation<br />
o<strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe belegt, gleichzeitig aber mit Wonne die Entmannten<br />
für ihre Chöre o<strong>de</strong>r als Solisten engagiert.<br />
Schuld an <strong>de</strong>r Doppelstrategie hatte kein an<strong>de</strong>rer als <strong>de</strong>r Apostel Paulus, nach<br />
<strong>de</strong>ssen biblischem Verdikt die Frauen in <strong>de</strong>r Kirche zu schweigen hatten.<br />
Die katholische Kirche, seit <strong>de</strong>r Erfindung <strong>de</strong>r unbefleckten Empfängnis mit be-<br />
16
son<strong>de</strong>rer Vorliebe allem Keuschem zugetan, wollte sich <strong>de</strong>n Wohlklang engelsgleicher,<br />
geschlechtsloser, dabei aber tragfähiger Stimmen nicht entgehen lassen.<br />
Kurzerhand griff man auf eine seit <strong>de</strong>r Spätantike geübte Praxis zurück:<br />
Das in klerikalen Ohren zu tief tönen<strong>de</strong> Übel wur<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Wurzel gepackt.<br />
Noch vor <strong>de</strong>r Pubertät büßten sangesstarke Knaben in schmerzhafter, dilettantisch<br />
ausgeübter Prozedur ihre Keimdrüsen ein, und die Ho<strong>de</strong>nlosen, durch<br />
keinen Hormon-Stoß je in <strong>de</strong>n Stimmbruch getrieben, behielten auf Lebenszeit<br />
ihre kindliche Sopran- o<strong>de</strong>r Altstimme. Alles zum ‘Lobe Gottes‘, wie Papst Clemens<br />
VIII 1592 <strong>de</strong>n barbarischen Eingriff in bewährter Scheinheiligkeit sanktionierte.<br />
Die außermusikalischen Nebenwirkungen <strong>de</strong>s einschnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Tuns waren<br />
enorm: geringe Körper-, aber beson<strong>de</strong>rs starke Kopfbehaarung, durch Hypertropie<br />
<strong>de</strong>r Brustdrüsen ungewöhnliche Aus<strong>de</strong>hnung <strong>de</strong>r Brustdrüsen, <strong>de</strong>utliche<br />
Neigung zu Verfettung, unnatürlich starkes Wachstum <strong>de</strong>r Extremitäten und<br />
schließlich in <strong>de</strong>n meisten Fällen Impotenz.<br />
Der New Yorker Musikkritiker Harold C. Schonberg faßt <strong>de</strong>n artistischen Effekt<br />
<strong>de</strong>r bilateralen Orchiektomie, wie <strong>de</strong>r entmannen<strong>de</strong> Kunstgriff medizinisch<br />
heißt, nüchtern zusammen: ‘Die Kastraten hatten Stimmen wie Frauen und<br />
Lungen wie Männer.‘<br />
Doch nicht nur im Kirchenchor war das Leid-Motiv <strong>de</strong>r Verstümmelten zu vernehmen,<br />
<strong>de</strong>r römische Klerus hatte auch in <strong>de</strong>r Oper radikal für frauenlose Verhältnisse<br />
gesorgt: ‘Keine Weibsperson bei hoher Strafe darf Musik aus Vorsatz<br />
lernen, um sich als Sängerin gebrauchen zu lassen‘, hatte Papst Clemens IX.<br />
noch Anfang <strong>de</strong>s 18. Jahrhun<strong>de</strong>rts kompromißlos verfügt.<br />
So schrieben <strong>de</strong>nn die Meister <strong>de</strong>r italienischen Barockoper munter für die ‘Evirati‘<br />
(die Entmannten) glamouröse Bravour-Arien. Mit mächtigen Lungenflügeln<br />
und knabenhaft kleinem Kehlkopf schwangen sich die Spitzenkräfte zu Koloraturen<br />
auf, bei <strong>de</strong>nen manche ihrer weiblichen Nachfolger heute ins Tru<strong>de</strong>ln<br />
kommen.<br />
Minutenlage kunstvolle Verzierungen, welche die Männer ohne Unterleib ihren<br />
ohnehin schweren Partien eigenmächtig zufügten, vermochten das verwöhnte<br />
Publikum noch weiter zu begeistern. Die größten Kastraten-Koryphäen Senesino,<br />
Farinelli o<strong>de</strong>r Cafferelli waren <strong>de</strong>nn auch zickig wie Diven und die hochbezahlten<br />
Gesangsstars ihrer Epoche.<br />
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Die Gagen und das unbestrittene Prestige <strong>de</strong>r Hochtöner setzte einen regelrechten<br />
Knabenhan<strong>de</strong>l in Gang. Denn viele Eltern konnten <strong>de</strong>r vatikanischen<br />
Versuchung nicht wi<strong>de</strong>rstehen und verkauften ihre Söhne an Kastraten-<br />
Konservatorien.<br />
In diesen Stimmen-Fabriken wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n kastrierten Jungs in einem min<strong>de</strong>stens<br />
siebenjährigen Studium mit soldatischer Disziplin die rechten, die hohen Töne<br />
eingedrillt.<br />
Doch war dieser Lei<strong>de</strong>nsweg nur im Ausnahmefall erfolgreich. Experten schätzen,<br />
daß von <strong>de</strong>n Tausen<strong>de</strong>n von Knaben, die im 16. Und 17. Jahrhun<strong>de</strong>rt alljährlich<br />
in Italien kastriert wur<strong>de</strong>n, mehr als 60 Prozent an <strong>de</strong>n Folgen <strong>de</strong>r mit<br />
primitivsten Instrumenten ausgeführten Operation starben. Wenn sie <strong>de</strong>n heiklen<br />
Eingriff überlebten, wur<strong>de</strong>n viele taub, blind o<strong>de</strong>r gelähmt: Die heftig bluten<strong>de</strong>n<br />
Wun<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n nicht etwa <strong>de</strong>sinfiziert, son<strong>de</strong>rn ausgebrannt o<strong>de</strong>r mit<br />
Asche bestreut.<br />
Ein weiteres Viertel <strong>de</strong>r Castrati erfüllte nicht die hohen Ansprüche <strong>de</strong>r Opernhäuser<br />
o<strong>de</strong>r kirchlichen Musikmeister. Ihnen blieb dann nur übrig, für ein paar<br />
Pfennige durch Tavernen zu tingeln.<br />
Nur ein Zehntel <strong>de</strong>r Geschun<strong>de</strong>nen war gut genug, um in die renommierten Ensembles<br />
als Choristen aufgenommen zu wer<strong>de</strong>n. Ganze fünf von hun<strong>de</strong>rt Entmannten<br />
schafften <strong>de</strong>n Durchbruch zur effeminierten Elite.<br />
Ihnen huldigte die melomane Menge bisweilen mit <strong>de</strong>m enthusiastischen<br />
Schlacht-Ruf: ‘Evviva il coltello!‘ (Es lebe das Messer!) Doch <strong>de</strong>n wahren To<strong>de</strong>sstoß<br />
versetzten <strong>de</strong>n verschnittenen Primadonnen schließlich die Komponisten.<br />
Opernreformern wie Gluck und Mozart, die bei<strong>de</strong> noch für Kastraten geschrieben<br />
hatten, waren die Schemen <strong>de</strong>r Barockoper inzwischen zu saft- und kraftlos<br />
gewor<strong>de</strong>n. Zu sehr folgten die Libretti antikisieren<strong>de</strong>n, formelhaften Vorgaben.<br />
Die Musik war längst Selbstzweck gewor<strong>de</strong>n, die Sänger waren Selbstdarsteller.<br />
In italienischen Kirchenkreisen hielten sich die singen<strong>de</strong>n Vertreter <strong>de</strong>s Ancien<br />
régime weitaus länger. Zwar hatte Napoleon, seit 1805 selbsternannter König<br />
Italiens, auch in seinem neuen Reich die Entmannung bei To<strong>de</strong>sstrafe verboten,<br />
doch wur<strong>de</strong> erst mit <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s römischen Kirchenstaates 1870 auch in<br />
<strong>de</strong>r klerikalen Enklave das Skalpell endgültig beiseite gelegt.<br />
18
Alessandro Moreschi, <strong>de</strong>n letzten <strong>de</strong>r fürs Gotteslob Geopferten, hatte sein<br />
Schicksal da schon ereilt.<br />
In seinen letzten Lebensjahren pilgerten Musikliebhaber aus <strong>de</strong>r ganzen Welt in<br />
die Sixtinische Kapelle, um das letzte Exemplar seiner Art zu bestaunen. Ganz<br />
so, als habe sich hier ein Tyrannosaurus Rex über die Zeit erhalten und kün<strong>de</strong><br />
mit hoher, brüchiger Stimme vom Erdmittelalter <strong>de</strong>r Musik.“<br />
Wie bereits zu Anfang dieser Abhandlung vermerkt, ist vor allem die Vita <strong>de</strong>r berühmteste<br />
aller „castrati“ – Hel<strong>de</strong>nsoprane Farinelli (1705-1782), bürgerlich Carlo<br />
Maria Michelangelo Nicola Broschi, sowohl vor als nach seinem Tod zum regelrechten<br />
Faszinosum gewor<strong>de</strong>n – mit Opern, Theaterstücken, Biographien und Romanen<br />
in je<strong>de</strong>r Menge. Ein sehr gutes Buch diesbezüglich ist das Sachbuch „Engel wi<strong>de</strong>r<br />
Willen – die Welt <strong>de</strong>r Kastraten“ (1993) von Hubert Ortkemper, während die holländische<br />
Autorin Margriet <strong>de</strong> Moor, mit ihrem Roman „Der Virtuose“ (1994) über <strong>de</strong>n<br />
Belcanto-Kastraten Gasparo, das heutige, kulturelle Interesse maßgeblich angefacht<br />
hat. Aber auch die mo<strong>de</strong>rnen (<strong>de</strong>utschen) Countertenöre wie Jochen Kowalski bzw.<br />
Altisten wie Axel Köhler haben viel zum <strong>de</strong>rzeitigen Farinelli-Fieber beigetragen.<br />
Obwohl somit die „castrati“ Operation (nur <strong>de</strong>r Ho<strong>de</strong>n also) jahrhun<strong>de</strong>rtelang tausendfach<br />
ausgeführt wur<strong>de</strong>, sind bis heute darüber nahezu keine Beschreibungen<br />
überliefert wur<strong>de</strong>n – auch hier wie<strong>de</strong>r ein überaus männlich-patriarchalisches Verdrängungssyndrom.<br />
In einem 1707 erschienenen „Traité <strong>de</strong>s Eunuques - Abhandlung<br />
über die Eunuchen“ schreibt <strong>de</strong>r französische Autor Ancillon:<br />
„Der Knabe wur<strong>de</strong> mit Opium o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Narkotika betäubt und einige Zeit in<br />
ein sehr heißes Bad gesetzt, bis er in einem Stadium ziemlicher Gefühllosigkeit<br />
war. Dann wur<strong>de</strong>n die Kanäle, die zu <strong>de</strong>n Ho<strong>de</strong>n führen, durchgeschnitten, so<br />
daß die Ho<strong>de</strong>n im Laufe <strong>de</strong>r Zeit schrumpften und verschwan<strong>de</strong>n“.<br />
Und in <strong>de</strong>r 1841 in Leipzig erschienenen „Encyklopädie <strong>de</strong>r gesamten Medizin“ heisst<br />
es unter <strong>de</strong>m Stichwort Castration:<br />
„Entmannung, Ausrottung (sic!) <strong>de</strong>r Ho<strong>de</strong>n. Es soll hier nicht von <strong>de</strong>r in Italien<br />
zur Erhaltung <strong>de</strong>r Sopranstimme ehemals mehr als jetzt gebräuchlichen, das<br />
Menschengefühl verletzen<strong>de</strong>n Entmannung die Re<strong>de</strong> sein, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>rjenigen<br />
Operation, welche zur Erreichung eines Heilzweckes in <strong>de</strong>r Hinwegnah-<br />
19
me eines o<strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>r Ho<strong>de</strong>n besteht. Die große Wichtigkeit dieser Organe in<br />
geschlechtlicher Beziehung und in Beziehung zum übrigen Organismus und<br />
selbst zum Seelenleben, macht ihre Entfernung auf operativem Weg immer zu<br />
einer <strong>de</strong>r be<strong>de</strong>utendsten und folgenreichsten Operationen. Sie ist höchst<br />
schmerzhaft und hat bisweilen gefährliche Nervenzufälle zur Folge, die durch<br />
eine aufmerksame Nachbehandlung aber sehr vermin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n. Die durch<br />
die Operation gesetzte Verwundung ist auch an und für sich nicht so be<strong>de</strong>utend,<br />
daß sie gefürchtet wer<strong>de</strong>n könnte, und die mit ihr verbun<strong>de</strong>ne Blutung aus<br />
<strong>de</strong>n verletzten Gefäßen kann zwar sehr be<strong>de</strong>utend und gefährlich wer<strong>de</strong>n, ist<br />
aber meistens von <strong>de</strong>r Art, daß sie durch geeignete Mittel zum Stillstand gebracht<br />
wird usw.“<br />
Wir sehen hier bereits die medizinische Indikation durchkommen, welche nicht zuletzt<br />
auch bei <strong>de</strong>n für Männer geschlechtsspezifischen Tumorerkrankungen, wie <strong>de</strong>m Ho<strong>de</strong>n-<br />
und <strong>de</strong>m Prostatakarzinom, <strong>de</strong>n entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Aspekt darstellt. Während das<br />
Ho<strong>de</strong>nkarzinom das männliche Geschlecht im jugendlichen Alter treffen kann (u.a.<br />
beson<strong>de</strong>rs beim intersexuellen Phänomen <strong>de</strong>r Testikulären Feminisierung bzw. <strong>de</strong>s<br />
Ho<strong>de</strong>nhochstands) ist das Prostatakarzinom (Krebs <strong>de</strong>r Vorsteherdrüse) ganz vorwiegend<br />
eine Erkrankung im letzten Lebensabschnitt <strong>de</strong>s Mannes. In <strong>de</strong>r Folge ist für<br />
Männer im Alter zwischen 20 und 35 Jahren das Ho<strong>de</strong>nkarzinom die häufigste Krebsto<strong>de</strong>sursache,<br />
während das Prostatakarzinom (im generellen Sinne die zweithäuftigste<br />
Krebsart nach <strong>de</strong>m Lungenkarzinom) ab <strong>de</strong>m sechzigsten Lebensjahr zur häufigsten<br />
Krebsursache gewor<strong>de</strong>n ist. Beim Ho<strong>de</strong>nkarzinom wird durch die Entfernung<br />
<strong>de</strong>r erkrankten Ho<strong>de</strong>n sowie über ein intensive, mehrmonatige Chemotherapie eine<br />
hohe Heilungsrate (bis zu 95%) möglich. Für <strong>de</strong>n Prostatakrebs ist dagegen vor allem<br />
das Stadium <strong>de</strong>r Erkrankung von ausschlaggeben<strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung: <strong>de</strong>r Tumor darf<br />
die Kapsel <strong>de</strong>r befallenen Vorsteherdrüse noch nicht durchbrochen und dadurch eine<br />
Metastasierung hervorgerufen haben. Die dann erfor<strong>de</strong>rliche Hormontherapie zwecks<br />
Ausschaltung <strong>de</strong>r männlichen Hormone (mittels Östrogenen und Antiandrogenen)<br />
führt damit zu einer sogenannten chemischen Kastration (mit erheblichem Potenzverlust<br />
verbun<strong>de</strong>n). Wichtig für diese Art <strong>de</strong>r medizinischen Indikation dürfte allerdings<br />
immer <strong>de</strong>r Umstand bleiben, daß hier offenbar erkrankte Organe entfernt bzw.<br />
stillgelegt wer<strong>de</strong>n. Antiandrogene, speziell Androcur, wer<strong>de</strong>n heute auch beson<strong>de</strong>rs<br />
im sexualstrafrechtlichen Sinne eingesetzt. Der bekannte Sexualwissenschaftlicher<br />
Prof. Volkmar Sigusch sagt hierzu:<br />
20
„Cyproteronacetat (Wirkstoff-Bezeichnung) ist eine medizinische Waffe schwersten<br />
Kalibers“ sowie „Kastration und psychochirurgischer Hirneingriff sind <strong>de</strong>mgegenüber<br />
inhumane Torturen(!), die operativ die Integrität <strong>de</strong>r Person irreversibel<br />
verletzen“ (Sexualmedizin 1/1979).<br />
Dem ist nichts hinzuzufügen. Der Mythos Kastration lebt in <strong>de</strong>r Folge hauptsächlich<br />
von <strong>de</strong>r Tatsache, daß intakte Geschlechtsorgane entfernt bzw. stillgelegt wer<strong>de</strong>n –<br />
wie wir das bereits bei <strong>de</strong>n beschriebenen rituellen und religiösen Kastrationsvorgängen<br />
gesehen haben. Es sollte <strong>de</strong>shalb nochmals darauf hingewiesen wer<strong>de</strong>n,<br />
daß in früheren Zeiten, speziell im Mittelalter, die Entmannung nicht nur als Bestrafung<br />
bei Vergewaltigung, Homosexualität, Pädophilie, Sodomie und Ehebruch angewandt<br />
wur<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn vor allem auch gegen Lepra, Gicht, Hautkrankheiten, Epilepsie<br />
und Tobsucht. Angeblich soll bereits <strong>de</strong>r antike Arzt Hippokrates („hippokratischer<br />
Eid“ <strong>de</strong>r heutigen Ärzteschaft) angeregt haben, die Gicht durch Kastration zu kurieren.<br />
Zurückkommend auf die Kastrationsvorgänge im 18. und 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt sei noch<br />
verwiesen auf die Entmannungen aus religiösen Grün<strong>de</strong>n, welche beson<strong>de</strong>rs von <strong>de</strong>r<br />
im Jahre 1775 gegrün<strong>de</strong>ten russisch-rumänischen Sekte <strong>de</strong>r Skopzen bekannt gewor<strong>de</strong>n<br />
sind. In <strong>de</strong>r zweiten Hälfte <strong>de</strong>s letzten Jahrhun<strong>de</strong>rts ließ die russische Regierung<br />
sogar eine spezielle Studie erstellen (Pelikan, 1876), weil die Sekte sich in bedrohlicher<br />
Weise über das Land ausbreitete. Es han<strong>de</strong>lte sich dabei um eine Wie<strong>de</strong>rbelebung<br />
<strong>de</strong>r rituell-religiösen Kastration durch fanatische Anhänger <strong>de</strong>r vorgenannten<br />
Skopzen-Sekte (sie nannten sich selber Skoptsi, „Kastrierte“, aber auch „Volk<br />
Gottes“), wobei diese <strong>de</strong>r Meinung waren, daß die Entfernung ihrer Genitalien ihnen<br />
weitreichen<strong>de</strong> spirituelle Kräfte verleihen wür<strong>de</strong>. Der „verrückte Mönch“ Rasputin,<br />
Berater <strong>de</strong>r Zarenfamilie, war Mitglied <strong>de</strong>r Skopzen-Sekte, und da Rasputin wegen<br />
seiner Frauengeschichten vor allem Furore machte, wollten nur wenige Zeitgenossen<br />
glauben, daß er ein Eunuch war. Die Macht Rasputins über seine weiblichen Anhängerinnen<br />
und die Zarenfamilie war je<strong>de</strong>nfalls – wie bei Farinelli – eine seltsame Mischung<br />
aus spiritueller und sinnlicher Besessenheit. Es sei diesbezüglich abschließend<br />
noch festgehalten, daß die Skopzen, je<strong>de</strong>nfalls bis ins 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt hinein,<br />
massenhaft das „kleine heilige Siegel“ (Entfernung <strong>de</strong>r Ho<strong>de</strong>n) und noch mehr das<br />
„große heilige Siegel“ (Entfernung von Ho<strong>de</strong>n und Penis) praktizierten. Heute leben<br />
21
in Rußland die sogenannten „geistlichen“ Skopzen, die nur noch strenge Askese for<strong>de</strong>rn,<br />
ähnlich <strong>de</strong>r Mönchssekte auf <strong>de</strong>m griechischen Berg Athos. Ein interessanter,<br />
heutiger Aspekt hinsichtlich <strong>de</strong>s Kastrationsvorganges aus religiösen Grün<strong>de</strong>n hat<br />
sich übrigens gezeigt, als im Jahre 1997 am Osterhimmel <strong>de</strong>r Komet Hale-Bopp erschien.<br />
In Kalifornien folgten <strong>de</strong>m Sektenchef Marshall Applewhite auf seiner Reise<br />
zu einem „Höheren Ort“ – angeblich in einem UFO am Schweif <strong>de</strong>s Kometen – 21<br />
Frauen und 17 Männer in <strong>de</strong>n Tod: sie machten Selbstmord mit <strong>de</strong>m starken Betäubungsmittel<br />
Phenobarbital. Bei <strong>de</strong>r anschließen<strong>de</strong>n (irdischen!) Obduktion wur<strong>de</strong><br />
festgestellt, daß Applewhite und die meisten Männer <strong>de</strong>r Sekte kastriert waren. Sie<br />
„verließen lächelnd ihre Container“, wie sie ihre Körper nannten, um „mit einem UFO<br />
eine intergalaktische Reise zum Himmelstor“ anzutreten...!<br />
Es dürfte jetzt an <strong>de</strong>r Zeit sein, darauf hinzuweisen, daß – neben <strong>de</strong>r vorgängig geschil<strong>de</strong>rten<br />
Kastrations-Phänomene <strong>de</strong>s Mannes – es auch für die weibliche Geschlechtlichkeit<br />
uralte Vorstellungen, von <strong>de</strong>r Antike bis heute, speziell <strong>de</strong>r Gebärmutter<br />
gegeben hat. Diese galt als Wan<strong>de</strong>rorgan, das ruhelos im Körper umherziehen<br />
wür<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r gar als Lebewesen, das gefüttert und beschwichtigt wer<strong>de</strong>n mußte –<br />
sozusagen als „Quelle von tausend Übeln“ und die Phantasie <strong>de</strong>r Menschen, beson<strong>de</strong>rs<br />
<strong>de</strong>r Männer, schon immer beschäftigend. Im „finsteren Zeitalter <strong>de</strong>r Operationsfurore“,<br />
<strong>de</strong>m späten 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt, hielten die Ärzte Operationen an Gebärmutter<br />
und Eierstöcken sogar für eine geeignete Therapie zur „Heilung“ <strong>de</strong>r „weiblichen<br />
Hysterie“. Aber auch zur Bekämpfung von „Melancholie, Lie<strong>de</strong>rlichkeit o<strong>de</strong>r<br />
manischen Erregungen“ wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n vorerst männlichen Frauenärzten eine Kastration<br />
durch Entfernung <strong>de</strong>r Eierstöcke und/o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Gebärmutter, bzw. <strong>de</strong>ren operativer<br />
Verlagerung, herbeigeführt. Hierbei kamen jahrhun<strong>de</strong>rtealte Mythen und Vorurteile<br />
über <strong>de</strong>n Charakter <strong>de</strong>r Gebärmutter zutage, die bei <strong>de</strong>r späteren Entwicklung<br />
<strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Gynäkologie immer mitschwangen, sozusagen als „Ausgeburt“ <strong>de</strong>s<br />
„siegreichen“ männlichen Prinzips.<br />
Bereits <strong>de</strong>r vorerwähnte, altgriechische Arzt Hippokrates nannte die Gebärmutter<br />
„hystera“ und sah die Hysterie als einen Seelenzustand, <strong>de</strong>n man (Mann!) ausschließlich<br />
Frauen zuschrieb und auf ihren Uterus zurückführte. Auch <strong>de</strong>r griechische<br />
Philosoph Platon entwarf in seinem Werk „Timaios“ eine Hysterie-Theorie, nach welcher<br />
Frau-Sein eine Strafe <strong>de</strong>r Götter sei. Diejenigen Männer, die<br />
„furchtsam waren und ihr Leben unrichtig verbrachten, wur<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>r zweiten<br />
22
Entstehung in ‚Weiber‘ umgestaltet.“<br />
Sie besaßen daraufhin eine Gebärmutter, ein<br />
„Lebewesen mit <strong>de</strong>r innewohnen<strong>de</strong>n Begier<strong>de</strong> nach Gebären eines Kin<strong>de</strong>s“,<br />
so schrieb er. Und weiter<br />
„Wenn nun in <strong>de</strong>r Blüte ihres Lebens lange Zeit vergeht, ohne daß sie eine<br />
Frucht bringen, so führt dies zu einem Zustand schwer zu ertragen<strong>de</strong>r Unzufrie<strong>de</strong>nheit,<br />
er (<strong>de</strong>r Uterus!) zieht überall im ganzen Körper umher, versperrt die<br />
Durchgänge <strong>de</strong>r Luft und läßt keine Luft aufnehmen. Dieser Zustand führt die<br />
Weiber in die äußerste Ausweglosigkeit und mannigfache Krankheiten“<br />
(damit meinte er Herzschmerzen, Angstzustän<strong>de</strong>, Kopfschmerzen, Schwin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />
Sinne o<strong>de</strong>r auch Krämpfe). Für die alten Griechen war Frau-Sein somit sozusagen<br />
Strafe (<strong>de</strong>r Götter) und Schicksal, nicht zuletzt nach <strong>de</strong>n jetzt entstan<strong>de</strong>nen männlich-patriarchalische<br />
Vorstellungen <strong>de</strong>r Fortpflanzung. Denn bereits <strong>de</strong>r Samen allein,<br />
so wur<strong>de</strong> damals verkün<strong>de</strong>t (u.a. vom Philosophen Aristoteles), trage schon das fix<br />
und fertig angelegte, winzige Kind in sich, das bei <strong>de</strong>r Zeugung lediglich in die Gebärmutter<br />
„abgelegt“ wer<strong>de</strong>. Die Gebärmutter war (wie<strong>de</strong>r nach Hippokrates) das Organ<br />
<strong>de</strong>r „Einbildung“, da er das Bild <strong>de</strong>s Mannes empfangen wür<strong>de</strong>, und wenn unpassen<strong>de</strong><br />
Bil<strong>de</strong>r in die Gebärmutter hineingerieten, konnte es zu hysterischen „Einbildungs“-Lei<strong>de</strong>n<br />
kommen.....<br />
In großen Teilen <strong>de</strong>r europäischen Volkskultur blieb – wie in <strong>de</strong>r griechischen Auffassung<br />
<strong>de</strong>s „Wesen im Wesen“ – die tabuisierte Gebärmutter lange lebendig – nicht nur<br />
als Teil eines Körpers, son<strong>de</strong>rn als eigenständiges, „lebendiges“ Geschöpf, das (nur)<br />
vom Körper <strong>de</strong>r Frau beherbergt wur<strong>de</strong>. Und es gab ausgeklügelte Vorschriften zur<br />
Fütterung o<strong>de</strong>r Beschwichtigung dieses „Tieres“, wenn es im erregten Zustand Koliken<br />
o<strong>de</strong>r Anfälle hervorrief. Hinzu kam die sprichwörtliche (männliche) Abscheu hinsichtlich<br />
<strong>de</strong>s Menstruationsbluts – dieses jetzt nicht mehr als Zeichen <strong>de</strong>r Fruchtbarkeit,<br />
son<strong>de</strong>rn als beson<strong>de</strong>rs schreckliches Produkt jener ominösen Gebärmutter, teils<br />
mit jahrtausen<strong>de</strong>alten Tabus behaftet. So waren bereits im Alten Testament genaue<br />
Regeln aufgeführt, wie sich menstruieren<strong>de</strong> Frauen – meistens bei <strong>de</strong>r Zubereitung<br />
23
von Speisen – zu verhalten hatten. Auch bei vielen Naturvölkern gelten ähnliche<br />
Verhaltensvorschriften mit teilweise völligem Ausschluß aus <strong>de</strong>m gesellschaftlichen<br />
Leben.<br />
Noch schlimmer wur<strong>de</strong> es im Mittelalter, als – nach <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>r (ausgeuferten)<br />
Theologie – die körperlich-seelische Min<strong>de</strong>rwertigkeit und Schwäche <strong>de</strong>r Frau noch<br />
mit <strong>de</strong>r moralischen Min<strong>de</strong>rwertigkeit ergänzt wur<strong>de</strong>. Die Kirche lehrte hierbei: Weil<br />
Eva <strong>de</strong>n Mann vom Pfad <strong>de</strong>r Tugend abgebracht hatte, mußte sie dafür mit Geburtsschmerz<br />
und Menstruation büßen. Hierzu sei vermerkt, daß es in <strong>de</strong>r gesamten Geschichte<br />
<strong>de</strong>s Christentums immer Kirchenväter bzw. Strömungen gegeben hat, welche<br />
<strong>de</strong>n Mißbrauch von Frauen verteidigten und ihre Abscheu gegenüber <strong>de</strong>r weiblichen<br />
Sexualität zum Ausdruck brachten, ja sogar die Überzeugung äußerten, daß<br />
alle Frauen für die Ur-Sün<strong>de</strong>, die Tod und Verdammnis über die Menschheit brachte,<br />
Bestrafung verdienten. Der Apostel Paulus sah Eva, als das Urbild aller Frauen, sogar<br />
als die allein Schuldige an (1. Timotheus 2,14). Als darauf in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r Hexenverfolgung<br />
(„Hexenhammer“, 1484) dieses „Schuld-Prinzip“ seinen perversen Höhepunkt<br />
erreichte und Millionen von Frauen – darunter viele Hebammen und „weise<br />
Frauen“ – auf <strong>de</strong>m Scheiterhaufen verbrannt wur<strong>de</strong>n, geriet das alte (weibliche)<br />
Heilwissen in Vergessenheit. Dies nicht zuletzt als nach <strong>de</strong>n gewaltigen religiösen<br />
und sozialen Umwälzungen <strong>de</strong>r europäischen Renaissance, im Laufe <strong>de</strong>s 17. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />
– im Zeitalter <strong>de</strong>r Aufklärung – das eigentliche Geheimnis <strong>de</strong>r Fortpflanzung,<br />
d.h. die Verschmelzung von Samen- und Eizelle, über die Erfindung <strong>de</strong>s Mikroskops<br />
(u.a. durch <strong>de</strong>n Hollän<strong>de</strong>r Anthonie von Leeuwenhoeck) ent<strong>de</strong>ckt wur<strong>de</strong>.<br />
Das weibliche (neue!) Ei und <strong>de</strong>r Eierstock stan<strong>de</strong>n fortan im Mittelpunkt <strong>de</strong>s (männlichen)<br />
Interesses und verdrängten allmählich die Gebärmutter aus seiner zentralen<br />
Stellung. Noch im Jahre 1848 verkün<strong>de</strong>te <strong>de</strong>r berühmte Berliner Pathologe Rudolf<br />
Virchow: „Das Weib ist eben Weib durch seine Generationsdrüse“ (!) und die Menstruation<br />
wur<strong>de</strong> zur krankhaften Erscheinung, d.h. die Gebärmutter funktionierte nach<br />
diesen neuen (männlichen) Vorstellungen nur in <strong>de</strong>r Schwangerschaft und in <strong>de</strong>r<br />
Stillzeit „normal“.<br />
Nach<strong>de</strong>m die Operationen an Eierstöcken (noch lange - im Rahmen <strong>de</strong>s Homologie-<br />
Mo<strong>de</strong>lls <strong>de</strong>r Geschlechter - als „weibliche testiculi“ bezeichnet) und Gebärmutter<br />
technisch beherrschbar gewor<strong>de</strong>n waren, weiteten sich ihre Anwendungsgebiete<br />
24
asch aus. Die (chirurgische) Entfernung <strong>de</strong>r Eierstöcke und diverse Eingriffe zur<br />
Verlagerung o<strong>de</strong>r Befestigung <strong>de</strong>r Gebärmutter im Bauchraum wur<strong>de</strong>n bald als Allheilmittel<br />
gegen zahlreiche, vor allem nervöse Lei<strong>de</strong>n gepriesen. Dazu gehörte auch<br />
die (weibliche) Hysterie, an <strong>de</strong>r ein enormes, gesellschaftliches Interesse aufgekommen<br />
war (wohl wg. „Suffragetten“ – Frauenbewegung): Nur das unreife, unentwikkelte<br />
Nervensystem <strong>de</strong>r Frau – so hieß es je<strong>de</strong>nfalls aus männlicher Sicht – wür<strong>de</strong> zu<br />
hysterischen Reaktionen neigen. Der Arzt und Wissenschaftler Emil Kraeplin (1856-<br />
1926) beschrieb Hysterikerinnen als „gleichgültig gegen frem<strong>de</strong>s Leid, rücksichtslos<br />
gegen ihre Umgebung“ und als „Virtuosen <strong>de</strong>s Egoismus, die nicht selten in unglaublicher<br />
Weise ihre Umgebung tyrannisieren und ausbeuten“. So manche Frau, die zu<br />
jenen Zeiten gegen die überaus beengen<strong>de</strong>n Rollenvorschriften <strong>de</strong>r großbürgerlichen<br />
Gesellschaft – es war das puritanische „viktorianische Zeitalter“ – rebellierte, mag auf<br />
diese Weise für „krank“ erklärt wor<strong>de</strong>n sein - TS-Analogien sind unverkennbar.<br />
Es dürfte <strong>de</strong>shalb nicht verwun<strong>de</strong>rn, daß in <strong>de</strong>r zweiten Hälfte <strong>de</strong>s vorigen Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />
Millionen von „hysterischen“ Frauen ohne viel Fe<strong>de</strong>rlesens kastriert wur<strong>de</strong>n –<br />
<strong>de</strong>r hippokratische Eid wur<strong>de</strong> gera<strong>de</strong>zu ins Gegenteil verkehrt. Beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r französische<br />
Arzt und Gynäkologe Charcot war für die Entfernung gesun<strong>de</strong>r Eierstöcke,<br />
zwecks Behandlung hysterischer Symptome, berüchtigt. Aber auch in <strong>de</strong>n USA<br />
uferte die Entwicklung aus, nicht zuletzt bezüglich vieler Insassinnen von Irrenanstalten<br />
– noch 1906 klagte <strong>de</strong>r amerikanische Arzt Ely van <strong>de</strong> Warker über die vielen<br />
Ärzte, die die Eierstockentfernung als „Operation von <strong>de</strong>r Stange“ praktizierten:<br />
„Einige dieser Ärzte haben sich, als <strong>de</strong>r Wahnsinn seinen Höhepunkt erreicht<br />
hatte, öffentlich damit gebrüstet, daß sie in ihren Praxen bis zu zweitausend Eierstöcke<br />
entfernt hatten“.<br />
Doch auch er hatte mit dieser Kritik nicht unbedingt das Wohl <strong>de</strong>r Frauen im Auge,<br />
son<strong>de</strong>rn ihre „Pflicht zum Gebären“:<br />
„Die Eierstöcke einer Frau gehören <strong>de</strong>m Volke - sie - hat sie lediglich in Treuhandschaft.<br />
Ohne sie ist ihr Leben nutzlos“.<br />
Wir sehen: „Lebensborn“-I<strong>de</strong>ologie, „Mein Bauch gehört mir“ - Kampfparole und ewig<br />
§218 - Diskussion - alles nichts Neues unter <strong>de</strong>r Sonne!<br />
25
In <strong>de</strong>n heutigen Blickpunkt <strong>de</strong>r Aufmerksamkeit geraten – wir leben im Medienzeitalter<br />
– sind neuerdings auch die jahrtausendalten Rituale <strong>de</strong>r Beschneidung junger<br />
Mädchen in vorwiegend islamischen Län<strong>de</strong>rn. Nach Schätzung <strong>de</strong>r UNO wer<strong>de</strong>n<br />
jährlich in über 28 Staaten auf dieser Welt mehr als zwei Millionen Frauen beschnitten,<br />
speziell in West- und Ostafrika, im Sudan und in Ägypten. Viele Frauen wer<strong>de</strong>n<br />
bei diesen teilweise barbarischen Ritualen nicht nur verstümmelt, son<strong>de</strong>rn auch unfruchtbar<br />
bzw. sterben an <strong>de</strong>n Folgen. Oft kommt es zu schweren Blutungen, Wundstarrkrampf<br />
und – vielfach als Spätfolgen – Blasen- und Niereninfektionen. Die Beschneidungsvorgänge<br />
umfassen dabei normalerweise die Amputation <strong>de</strong>r Klitoris<br />
sowie <strong>de</strong>r kleinen und großen Schamlippen – bei <strong>de</strong>r sogenannten pharaonischen<br />
Beschneidung (auch Infibulation genannt) geht die Verstümmelung, oft durch Laien<br />
ausgeführt, jedoch noch be<strong>de</strong>utend weiter: Von <strong>de</strong>n äußeren Genitalien bleibt praktisch<br />
nichts übrig. Nach <strong>de</strong>r Ausschneidung <strong>de</strong>r Klitoris und <strong>de</strong>r kleinen Schamlippen<br />
bzw. die Entfernung <strong>de</strong>r inneren Schichten <strong>de</strong>r großen Schamlippen wer<strong>de</strong>n die verbleiben<strong>de</strong>n<br />
äußeren Rän<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r großen Schamlippen so zusammengenäht (u.a. mit<br />
Akaziendornen), daß nur eine wenige Millimeter große Öffnung verbleibt. Die Macht<br />
dieser Jahrtausend alten patriarchalischen Traditionen fusst auf teilweise wirren Vorstellungen<br />
<strong>de</strong>r weiblichen Sexualität, nicht zuletzt seitens <strong>de</strong>r Clans <strong>de</strong>r alten „weisen<br />
Frauen“ und <strong>de</strong>r Hebammen. Einer unbeschnittenen Frau, mit intakten Genitalien<br />
somit, wird in diesem gesellschaftlichen Verständnis unersättliche sexuelle Gier<br />
nachgesagt, die unweigerlich zur Prostitution führe. In Westafrika glauben viele Menschen,<br />
daß die Klitoris die Männer impotent mache, giftig sei und sogar einen Mann<br />
töten könne. In vielen ländlichen Gebieten speziell Ägyptens und <strong>de</strong>s Sudans ist<br />
man/frau davon überzeugt, die weiblichen Genitalien müßten auch <strong>de</strong>shalb entfernt<br />
wer<strong>de</strong>n, damit sie <strong>de</strong>r Frau nicht später zwischen <strong>de</strong>n Beinen baumeln wür<strong>de</strong>n.<br />
Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle noch auf das Wirken <strong>de</strong>s Wiener<br />
Psychiaters Sigmund Freud (1856-1939) hingewiesen, welcher für die Entwicklung<br />
<strong>de</strong>r Sexualwissenschaft bzw. <strong>de</strong>r Psychotherapie dieses Jahrhun<strong>de</strong>rts entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />
Weichenstellungen eingeleitet hat. Zum innersten Kern <strong>de</strong>r Freudschen Lehre gehören<br />
die 1905 erschienenen „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“, in welchen er das<br />
sogenannte „Ödipale Dreieck“ und damit zusammenhängend die Theorien <strong>de</strong>s Oedipus-Komplexes<br />
bzw. <strong>de</strong>r Kastrationsängste kleiner Jungen bzw. <strong>de</strong>s Penisneids kleiner<br />
Mädchen entwickelt hatte. In diesem Verständnis <strong>de</strong>r sexuellen Entwicklung <strong>de</strong>s<br />
Kin<strong>de</strong>s sieht Freud für das männliche Geschlecht nun - im Rahmen <strong>de</strong>r von ihm so<br />
26
enannten „phallischen Phase“ - die nachfolgen<strong>de</strong> Konstellation: Mit 3-4 Jahren verlagert<br />
sich das Interesse vom Anus („anale Phase“) auf die Genitalien, und <strong>de</strong>r kleine<br />
Junge ent<strong>de</strong>ckt seinen Penis - und daß Mädchen keinen haben. Dieses (homosexuelle)<br />
Interesse am eigenen Glied schwingt jedoch im Normalfall wie<strong>de</strong>r in die heterosexuelle<br />
Richtung zurück, um sich auf <strong>de</strong>n wichtigsten Nicht-Penis-Besitzer in seinem<br />
Leben, nämlich die Mutter, zu konzentrieren. Nun allerdings muß sich <strong>de</strong>r Knabe<br />
mit <strong>de</strong>r vorgenannten Freudschen Schöpfung <strong>de</strong>s Oedipus-Komplexes herumschlagen.<br />
Dieser bezieht sich auf <strong>de</strong>n tragischen Hel<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r griechischen Mythologie,<br />
<strong>de</strong>r seinen Vater tötete, unwissentlich seine eigene Mutter heiratete und diesen<br />
Irrtum später bitter bereute. Und ganz analog realisiert <strong>de</strong>r Knabe<br />
- spätestens in <strong>de</strong>r Pubertät -, daß an seiner Zuneigung für die Mutter etwas falsch ist<br />
- er kann seiner sexuellen Begier<strong>de</strong>n wegen <strong>de</strong>s „Inzest-Tabus“ nicht freien Lauf lassen.<br />
Gleichzeitig kommt die Kastrationsangst hinzu, d.h. die Angst vor <strong>de</strong>m (phallischen)<br />
Vater, <strong>de</strong>r als Rivale in <strong>de</strong>r Gunst <strong>de</strong>r Mutter gesehen wird - er fürchtet (weil<br />
er in seinen weiblichen Spielgefährten kastrierte Jungen sieht .....) vom als übermächtig<br />
empfun<strong>de</strong>nen (heterosexuellen) Vaters gleichfalls kastriert zu wer<strong>de</strong>n. Es<br />
bleibt - immer nach Freud - nur ein sicherer Ausweg: Er beginnt, Männer zu lieben.<br />
Denn letzteres Verhalten (also keine Veranlagung!) verletzt we<strong>de</strong>r das Inzest-Tabu,<br />
noch muß er weiterhin Kastration befürchten, da sein Vater (als heterosexueller<br />
Mann) jetzt auch kein Rivale mehr ist. Hierbei meinte Freud, daß alle Menschen - da<br />
von Natur aus bisexuell veranlagt - mehr o<strong>de</strong>r weniger latent homosexuell seien. Bei<br />
vielen (männlichen !) Menschen ruht das Begehren tief im Unbewußten, bei an<strong>de</strong>ren<br />
dienen Träume als Ventile o<strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>r Alkohol als Auslöser homosexueller Praktiken<br />
(siehe „Entfernung <strong>de</strong>r Tatwerkzeuge“ als TSG-Begründung im letzten Abschnitt<br />
dieser Abhandlung) bzw. die Empfindung von Homosexualität als eine Bedrohung,<br />
da starke Ablehnung (Homophobie !) immer als Zeichen eines unbewußt starken<br />
Verlangens zu sehen ist. (TS-Komponente unübersehbar) usw., usw.. Der Mann<br />
steht bei Freud im Mittelpunkt, um ihn dreht sich alles.<br />
Die Bewertung <strong>de</strong>r für die damalige Zeit revolutionären Freudschen Gedankengebäu<strong>de</strong><br />
in heutiger Zeit ist überaus kontrovers: die Kritik daran hat je<strong>de</strong>nfalls massiv<br />
zugenommen. Dies nicht zuletzt, da Freud die Homosexualität als etwas im Grun<strong>de</strong><br />
Krankhaftes (eine Art Perversion) einordnet und - ganz im Stile eines<br />
„sexistischen Wiener Chauvinisten <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts“ (Zitat) - in Frauen<br />
27
„neidische“, „verstümmelte“ Wesen sieht, die „einer anatomischen Tragödie“<br />
anheimgefallen sind, mit <strong>de</strong>r Klitoris als einem „min<strong>de</strong>rwertigen Organ“, mit einem<br />
Genital, das einer „Narbe“ gleicht und „beim Weibe tiefe Min<strong>de</strong>rwertigkeitsgefühle<br />
weckt“ (alle Zitate Originalton Freud!).<br />
Ebenso halten viele Kritiker Freuds Denken - nicht zuletzt aus wissenschaftlichen<br />
Grün<strong>de</strong>n - für einen aussergewöhnlich erfolgreichen Mythos auf <strong>de</strong>m Niveau von<br />
Pseudowissenschaften wie Astrologie o<strong>de</strong>r Wun<strong>de</strong>rheilung (beson<strong>de</strong>rs wg. seiner<br />
Libido-Theorie). Das Ganze wür<strong>de</strong> im Rahmen dieser Abhandlung jedoch zu weit<br />
führen - Analogien zwischen Freudschem Denken und islamischen Beschneidungsdogmen<br />
sind jedoch festzuhalten. Vor allem <strong>de</strong>r britische Philosoph Karl Popper hält<br />
Freuds Ansätze für grundsätzlich nicht falsifizierbar und damit für unwissenschaftlich,<br />
<strong>de</strong>nn wirkliche Wissenschaft zeichnet sich - Popper zufolge - gera<strong>de</strong> durch das Kriterium<br />
<strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rlegbarkeit aus: die jeweils zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong> Theorie müsse erlauben<br />
aus ihr testbare Hypothesen abzuleiten, die gegebenfalls wi<strong>de</strong>rlegt wer<strong>de</strong>n können.<br />
Dies treffe insbeson<strong>de</strong>re für die von Freud installierten psychosexuellen „Entwicklungsmechanismen“<br />
<strong>de</strong>r (männlichen) Kastrationsangst bzw. <strong>de</strong>s (weiblichen) Penisneids<br />
zu. Von <strong>de</strong>n inzwischen feststehen<strong>de</strong>n genetischen Aspekten <strong>de</strong>r (männlichen)<br />
Homosexualität ganz zu schweigen - es waren zu Anfang <strong>de</strong>r neunziger Jahre vor<br />
allem die amerikanischen Wissenschaftler Simon LeVay, Robert Gorsky und Dean<br />
Hamer welche die biologischen Grundlagen <strong>de</strong>r (männlichen) Homosexualität zum<br />
Durchbruch brachten: sozusagen eine neue Revolution in <strong>de</strong>r Sexualwissenschaft<br />
inszenieten.<br />
Mit <strong>de</strong>n vorgehen<strong>de</strong>n Ausführungen kommen wir nun zu sprechen auf die zu Anfang<br />
dieser Abhandlung vermerkten (westlich-)i<strong>de</strong>ellen Kastrationsgrün<strong>de</strong> im Rahmen <strong>de</strong>r<br />
in diesem Jahrhun<strong>de</strong>rt aufgekommenen, inzwischen fest verankerten Geschlechtsumwandlungs-I<strong>de</strong>ologie<br />
<strong>de</strong>r (angeblichen) Auswechselbarkeit bei<strong>de</strong>r Geschlechter.<br />
Hier hatte das Ganze angefangen mit <strong>de</strong>n intensiven Geschlechtswan<strong>de</strong>lvorkommnissen<br />
rund um das Wirken <strong>de</strong>s Berliner Arztes und Sexualforschers<br />
Magnus Hirschfeld (1868-1935), <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Mitbegrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r ersten <strong>de</strong>utschen, öffentlichen<br />
Homosexuellenbewegung (Gründung <strong>de</strong>s Wissenschaftlich humanitären Komitees<br />
(WhK) im Jahre 1897) und verschie<strong>de</strong>ner sexualwissenschaftlicher Organisationen<br />
war. Hirschfeld eröffnete 1919 das weltweit erste Institut für Sexualwissen-<br />
28
schaft und prägte die (<strong>de</strong>utsche) Sexualforschung jener Zeit überaus entschei<strong>de</strong>nd.<br />
Nicht zuletzt ist er jedoch bekannt gewor<strong>de</strong>n durch die <strong>de</strong>taillierte Ausarbeitung seiner<br />
sogenannten Zwischenstufen-Theorie – auf seine Maxime „Der Mensch ist<br />
nicht Mann o<strong>de</strong>r Frau son<strong>de</strong>rn Mann ùnd Frau“ basierend und für jene martialischen<br />
„Grün<strong>de</strong>rjahre“ überaus revolutionär. Eine Aussage jedoch, welche sich durch<br />
die heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse <strong>de</strong>r Genetik und <strong>de</strong>r Molekularbiologie<br />
mehr als bestätigt hat – auch wenn das Patriarchat sich auch heute noch immer<br />
mehr o<strong>de</strong>r weniger erfolgreich (Freud-Einfluss!) dagegen wehrt. Denn, wie vorgehend<br />
ausführlich dargelegt, war <strong>de</strong>n Menschen in <strong>de</strong>n vorchristlichen Zeiten diese<br />
Erkenntnis bereits geläufig: „Am Anfang war das Weib“ – die Ur-Weiblichkeit als die<br />
Ausgangslage allen (geschlechtlichen) Wer<strong>de</strong>ns, d.h. Adam entstand aus Eva und<br />
nicht Eva aus Adam!<br />
Wie gesagt, hatte Hirschfeld dieses natürliche „Gesetz <strong>de</strong>s Lebens“ bereits damals –<br />
vor hun<strong>de</strong>rt Jahren also – als richtig erkannt und dieses in seiner 2000 Seiten umfassen<strong>de</strong>n<br />
sexualwissenschaftlichen Abhandlung <strong>de</strong>r „Geschlechtskun<strong>de</strong>“ verarbeitet.<br />
Denn in diesem einmaligen Standardwerk verschwan<strong>de</strong>n die Homosexuellen in <strong>de</strong>r<br />
Vielzahl <strong>de</strong>r Zwischenstufen, die sich – <strong>de</strong>r besseren Übersicht halber – in vier<br />
Hauptgruppen einteilen ließen und zwar in die Zwischenstufen <strong>de</strong>r Geschlechtsorgane<br />
(Hermaphroditismus), <strong>de</strong>r gegengeschlechtlichen, sekundären Geschlechtsmerkmale<br />
(Androgyn-Status), <strong>de</strong>s Geschlechtstriebes (Homosexualität) und <strong>de</strong>r sonstigen,<br />
abweichen<strong>de</strong>n seelischen Eigenschaften (Transvestitismus). In diesem Hirschfeldschen<br />
Verständnis bil<strong>de</strong>ten jene vier Hauptgruppen die biologisch begrün<strong>de</strong>ten<br />
„Zwischenstufen“ zwischen „Vollmann“ und „Vollweib“. Weiter hatte er dabei – auf<br />
Druck <strong>de</strong>s maskulinen Berliner Homosexuellen–Flügels (u.a. Bund <strong>de</strong>r Eigenen) die<br />
Gruppe <strong>de</strong>r „Umkleidungstäter“ von <strong>de</strong>n Homosexuellen gelöst und für sie die Bezeichnung<br />
„Transvestiten“ vorgeschlagen – im Jahre 1923 benutzte er dann erstmals<br />
<strong>de</strong>n Begriff „Transsexualismus“, allerdings in Verbindung mit Transvestitismus als<br />
<strong>de</strong>ssen extremster Form. Die (sexual-)wissenschaftliche Ausarbeitung dieses aufsehenerregen<strong>de</strong>n,<br />
geschlechtlichen Phänomens fand dann 1966 in <strong>de</strong>n USA durch <strong>de</strong>n<br />
mit Hirschfeld befreun<strong>de</strong>ten, amerikanischen Sexualforscher Harry Benjamin in seinem<br />
Standardwerk <strong>de</strong>s Transsexualismus „The transsexual phenomenon“ statt: die<br />
Geburtsstun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r USA-Geschlechtsumwandlungs-Euphorie in <strong>de</strong>n sechziger und<br />
siebziger Jahren hatte geschlagen.<br />
29
Zu Anfang <strong>de</strong>r zwanziger Jahre wur<strong>de</strong>n die im Hirschfeldschen Sinne als „extreme<br />
Transvestiten“ bezeichneten Personen zunächst auf eigenen Wunsch und unter Belehrung<br />
<strong>de</strong>r Folgen einseitig bzw. zweiseitig kastriert – geübt in <strong>de</strong>rartigen Eingriffen<br />
waren die Chirurgen bereits durch Genitaloperationen an (männlichen) Verletzten<br />
<strong>de</strong>s Ersten Weltkrieges (wie wir beim Phänomen <strong>de</strong>r (weiblichen) Hysterie gesehen<br />
haben, war man (Mann!) bei (weiblichen) „Kranken“ wesentlich weniger glimpflich).<br />
Der damalige Kapazität auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Genitalchirurgie, Richard Mühsam, berichtete<br />
1926 über einen von Hirschfeld an ihn überwiesenen Patienten, an <strong>de</strong>m ein<br />
erster Versuch einer plastischen Operation durchgeführt wur<strong>de</strong>: dies nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r<br />
„Transvestit“ zuerst 1920 kastriert und dann 1921 ein (hysterisches?) Ovarium eingepflanzt<br />
wor<strong>de</strong>n war – <strong>de</strong>r Anfang <strong>de</strong>r ersten „Menschenversuche“ <strong>de</strong>r Geschlechtumwandlungs-Apologeten....!<br />
Denn zu Anfang tat man (Mann!) sich doch recht<br />
schwer bei <strong>de</strong>r chirurgischen Ausarbeitung <strong>de</strong>r transsexuellen I<strong>de</strong>e.<br />
Im Jahre 1931 fand dann in Dres<strong>de</strong>n die allererste „richtige“ Geschlechtsumwandlung<br />
<strong>de</strong>s dänischen Dichters Einar Wegener zu Lili Elbe (wg. Dres<strong>de</strong>n) statt. Im gleichen<br />
Jahr erschien ihre Biographie „Ein Mensch wechselt sein Geschlecht: eine Lebensbeichte“,<br />
ein Jahr später war sie tot. Nach<strong>de</strong>m dann im Jahre 1952 die breit<br />
vermarktete Geschlechtsumwandlung <strong>de</strong>r (gleichfalls) Dänin Christine Jörgensen,<br />
vormals <strong>de</strong>r GI George Jörgensen, Furore gemacht hatte (Harry Benjamin war maßgeblich<br />
beteiligt), bemächtigte sich die ärztliche Kunst <strong>de</strong>s Geschlechtswan<strong>de</strong>ls: sie<br />
verhalf <strong>de</strong>n Betroffenen zu chirurgischen und hormonellen Möglichkeiten, die bis dahin<br />
nicht für möglich gehalten wor<strong>de</strong>n waren – „künstliche Geschlechter“, gleichwertig<br />
mit natürlichen.....! Die darauf in <strong>de</strong>n USA einsetzen<strong>de</strong>, sprunghafte Entwicklung <strong>de</strong>r<br />
transsexuellen I<strong>de</strong>e nach <strong>de</strong>r schrankenlosen „anything goes“–Devise führte zu einer<br />
überaus florieren<strong>de</strong>n ärztlichen Umwandlungsindustrie – aus Männern wur<strong>de</strong>n (wie<strong>de</strong>r)<br />
Frauen gemacht, wie einst in antiken Zeiten. Diesmal wur<strong>de</strong> jedoch nicht nur<br />
kastriert, son<strong>de</strong>rn auch über eine mehr o<strong>de</strong>r weniger tiefe Schei<strong>de</strong> (sogenannte<br />
„Neovagina“) mit Klitorisan<strong>de</strong>utung, <strong>de</strong>r weibliche Genitalapparat „nachgebaut“, je<strong>de</strong>nfalls<br />
das was man (Mann!) davon erwartete.... Denn es ist kein Geheimnis, daß in<br />
jenen Jahren viele „umgebaute“ Männer anschließend als nunmehr „weibliche“ Prostituierte<br />
arbeiteten: es wur<strong>de</strong> operiert nach <strong>de</strong>m simplen Motto: „Hauptsache die<br />
Kasse stimmt!“ Jan Morris sorgte dann mit ihrem schönfärberischen Biographie-<br />
Report „Conundrum“ (1974) für das Aufkommen <strong>de</strong>r marokkanischen Stadt Casablanca<br />
als transsexuelles Pilger-Dorado zum fleißigen (arabischen) Transsexer-<br />
30
Chirurgen Charles Burou. Auch die Popsängerin Amanda Lear (1978 mit <strong>de</strong>m Popsong<br />
„Follow me“) sorgte für großes mediales Aufsehen – <strong>de</strong>r „american dream“ in<br />
<strong>de</strong>r „Welt <strong>de</strong>r unbegrenzten (Geschlechtswan<strong>de</strong>l-)Möglichkeiten“ schien endlich wahr<br />
zu wer<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r Kastrationsvorgang (für bei<strong>de</strong> Geschlechter) nun auch vor allem<br />
im ethisch-i<strong>de</strong>ellen Sinne legitimiert. Ärzte maßten sich an „Gott zu spielen“, und wie<br />
im Falle <strong>de</strong>r „castrati“ heiligte auch hier <strong>de</strong>r (ärztliche) Zweck die Mittel: das (uralte)<br />
Phänomen <strong>de</strong>s transsexuellen (gegengeschlechtlichen) Empfin<strong>de</strong>ns wur<strong>de</strong> kurzerhand<br />
zur „Krankheit“ erklärt. Künftig bekam die „Im falschen Körper“–Suggestion die<br />
Oberhand (geht zurück auf Karl-Heinrich Ulrichs Metapher für die (männliche) Homosexualität<br />
im Sinne einer „weiblichen Seele in einem männlichen Körper“!) und es<br />
wur<strong>de</strong> – je<strong>de</strong>nfalls seitens Ärzten und Betroffenen – kein Halt gemacht, bis aus einem<br />
(angeblich) „falschen“ Körper ein „richtiger“ Körper gewor<strong>de</strong>n war. Dies sozusagen<br />
nach <strong>de</strong>m Motto, wie es <strong>de</strong>r Berliner Sozialwissenschaftler Rainer Herrn in einem<br />
trefflichen Bonmot mal auf <strong>de</strong>n Punkt brachte: „Vom Geschlechtsverwandlungswahn<br />
zur Geschlechtsumwandlung“. O<strong>de</strong>r auch: „Wie sage ich es <strong>de</strong>m (TS-)<br />
Volke“, nicht zuletzt seitens <strong>de</strong>r sich später massiv einmischen<strong>de</strong>n TS-Selbsthilfe-<br />
Gruppen und <strong>de</strong>ren profil- bzw. profitsüchtigen Guru-Figuren. Daß es keine transsexuellen<br />
Körper gibt, son<strong>de</strong>rn nur falsche Denkmo<strong>de</strong>lle, ist erst allmählich klar gewor<strong>de</strong>n:<br />
die ausufern<strong>de</strong> Geschlechtsumwandlungs-Euphorie scheint damit allmählich<br />
vorbei zu sein: die entsprechen<strong>de</strong>n (feministischen initiierten) Impulse kommen (wie<strong>de</strong>r)<br />
aus <strong>de</strong>n USA (Transgen<strong>de</strong>r-Denken).<br />
Die körperlichen und seelischen (Spät-)Folgen <strong>de</strong>s einhergehen<strong>de</strong>n Kastrationsvorganges<br />
jedoch bleiben – die Skala <strong>de</strong>r gravieren<strong>de</strong>n gesundheitlich Beeinträchtigungen<br />
ist – individuell gelagert – unendlich lang: die entsprechen<strong>de</strong> Fachliteratur gibt<br />
darüber – je nach Zielrichtung – mehr o<strong>de</strong>r weniger erschöpfend Auskunft. Allerdings<br />
gab es in <strong>de</strong>n 70er und 80er Jahren zuerst noch - im rechtlich-gesellschaftlichen Sinne<br />
- die Etablierung <strong>de</strong>r transsexuellen Gesetzgebungen in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nsten<br />
Län<strong>de</strong>rn (u.a. Schwe<strong>de</strong>n 1972, DDR 1974, BRD 1981, Italien 1982, Holland 1984,<br />
Luxemburg 1989 usw.) sowie die Gründungen zahlreicher, globaler Transsexuellen-<br />
Selbsthilfe-Organisationen (u.a. AEGIS – community in <strong>de</strong>n USA bzw. Transi<strong>de</strong>ntitas<br />
in Deutschland). Letztere haben allerdings eher zu einem Imageverlust <strong>de</strong>r transse-<br />
xuellen I<strong>de</strong>e in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit geführt, ja man/frau kann sagen, dass dieselben<br />
absolut nicht die Lösung <strong>de</strong>s Problems sind, son<strong>de</strong>rn vielmehr das Problem selbst<br />
(Fixierung auf die Ein<strong>de</strong>utigkeit sprich Operation sprich Kastration). Ein gleichfalls<br />
31
interessantes, aufschlussreiches Phänomen in diesem Zusammenhang dürfte das<br />
nahezu Gleichziehen <strong>de</strong>r Frau-zu-Mann-Geschlechtsumwandlung mit <strong>de</strong>r zuerst<br />
überaus dominieren<strong>de</strong>n Mann-zu-Frau-Geschlechtsumwandlung darstellen. Es sei<br />
<strong>de</strong>shalb gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>swegen – <strong>de</strong>r Vollständigkeit halber – festgehalten, dass in vielen<br />
Publikationen auch von „Geschlechtsangleichungen“ die Re<strong>de</strong> ist: Tatsache ist und<br />
bleibt jedoch, daß <strong>de</strong>r (transsexuelle) Mensch im überaus erheblichen Masse manipuliert<br />
und geschädigt wird!<br />
Der Sozialwissenschaftler Stefan Hirschauer („Die soziale Konstruktion <strong>de</strong>r Transsexualität“<br />
(1993) sagt zu <strong>de</strong>n zur „Normalität“ gewor<strong>de</strong>nen Verstümmelungsauflagen<br />
im inzwischen fest etablierten, medizinisch-gesetzlichen Umwandlungs-Ritual:<br />
„In dieser Argumentation wird mit <strong>de</strong>m Gemeinplatz <strong>de</strong>r „Therapiegesellschaft“<br />
das Problem zuge<strong>de</strong>ckt, wie im Fall von Transsexuellen Therapie und Leben<br />
verwechselt wer<strong>de</strong>n, wie nämlich die medizinische Anerkennung als „Transsexueller“<br />
und das Angebot von Behandlungsmöglichkeiten gleichbe<strong>de</strong>utend mit<br />
<strong>de</strong>r sozialen Anerkennung einer an<strong>de</strong>ren Geschlechtszugehörigkeit wer<strong>de</strong>n<br />
kann. Nicht nur sind die von Sigusch genannten „letztlich“ ausschlaggeben<strong>de</strong>n<br />
Therapieleistungen („Empathie, Aufmerksamkeit, Anerkennung“) im Prinzip<br />
nicht-professionelle Qualitäten sozialen Lebens, vor allem wer<strong>de</strong>n die Genitaloperationen<br />
nicht allein durch Transsexuelle, son<strong>de</strong>rn auch durch die Sexualwissenschaft<br />
mit einer Phantasmagorie („Mythos Kastration“!) umgeben, die die<br />
chirugischen Behandlungen überhaupt erst für die soziale Behandlung als<br />
Mann o<strong>de</strong>r Frau stehen lassen kann: <strong>de</strong>r Suggestion, dass jene Eingriffe „Geschlechtsumwandlungen“<br />
seien. Nicht die „wirksame Realität imagierter Behandlungen“,<br />
son<strong>de</strong>rn die symbolischen Wirkungen tatsächlicher chirurgischer<br />
Behandlungen sind das beim Geschlechtswechsel <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts relevante<br />
Phänomen im Verhältnis von „Therapie“ und „Leben“. Siguschs (Prof.<br />
Volkmar Sigusch, TS-“Papst“ Deutschlands) nachlässige Gleichsetzung <strong>de</strong>r<br />
Genitaloperationen mit „Geschlechtsumwandlungen“ hat zwei Folgen. Die erste<br />
ist, dass <strong>de</strong>r Aufsatz auf je<strong>de</strong>n kritischen Kommentar dazu verzichtet, dass das<br />
<strong>de</strong>utsche Transsexuellengesetz (TSG), im Gegensatz zu an<strong>de</strong>ren (vgl. Will<br />
1982), auf eine gera<strong>de</strong> blutrünstig explizite Weise eine Genitaloperation zur<br />
Anerkennung einer neuen Geschlechtszugehörigkeit vorschreibt usw. Und <strong>de</strong>r<br />
BGH formuliert in einen Grundsatzurteil (S. 333) im Jahre 1971:“...keinesfalls<br />
32
dürfte eine Geschlechtsumwandlung angenommen wer<strong>de</strong>n, solange die Person<br />
noch über einigermassen funktionstüchtige äußere Geschlechtsorgane <strong>de</strong>s<br />
Ausgangsgeschlechts verfügt, solange etwa <strong>de</strong>r männliche Transsexuelle in <strong>de</strong>r<br />
Lage wäre, mittels ihrer die Strafbestän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s §175 StGB zu verwirklichen;<br />
auch wür<strong>de</strong> es nicht angehen, ihm, solange er sich auf <strong>de</strong>m geschlechtlichen<br />
Gebiet noch als Mann betätigen kann, die Eheschliessung mit einer an<strong>de</strong>ren<br />
Person männlichen Geschlechts zu ermöglichen“. Hirschauer bemerkte zu dieser<br />
BGH-Passage:“Die Genitaloperation schien <strong>de</strong>m BGH also zum einen geboten,<br />
um <strong>de</strong>r „Gefahr“ einer homosexuellen Ehe vorzubeugen, die das „Wesen“<br />
<strong>de</strong>r Ehe (als gegengeschlechtlicher Gemeinschaft) verletzen wür<strong>de</strong>, zum<br />
an<strong>de</strong>ren assoziierten die Richter mit <strong>de</strong>r Genitaloperation die Gewähr einer<br />
Durchsetzung <strong>de</strong>r Strafverfolgung zum §175. Mit dieser Assoziation offenbarte<br />
die aufgeklärte bun<strong>de</strong>s<strong>de</strong>utsche Rechtsprechung gegenüber <strong>de</strong>n „Tatwerkzeugen“<br />
einen Zerstörungswillen, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Blutrünstigkeit islamischer Rechtsprechung<br />
(Talionsprinzip!) in nichts nachsteht.<br />
Dem ist hinsichtlich <strong>de</strong>s „Mythos Kastration“ wirklich nichts mehr hinzuzufügen:<br />
Aus <strong>de</strong>n „Herren, die halbe Frauen sind“ (Galli-Priester und Anhänger <strong>de</strong>s Attis-<br />
Kybele-Kults) wer<strong>de</strong>n im Paragraphenland Deutschland, nur unter <strong>de</strong>r Verleugnung<br />
und Verrenkung elementarster menschlicher Grundrechte (d.h. das Anrecht auf die<br />
körperliche und seelische Unversehrtheit), „Herren, die ganze Frauen sind“ - je<strong>de</strong>nfalls<br />
auf <strong>de</strong>m Papier (<strong>de</strong>r Personenstandsän<strong>de</strong>rung...). Und wie entrückt o<strong>de</strong>r auch<br />
ver-rückt die Ansprüche einer solchen fanatischen Geschlechtsumwandlungs-<br />
I<strong>de</strong>ologie, speziell in <strong>de</strong>utschen Gefil<strong>de</strong>n, eigentlich (gewor<strong>de</strong>n) sind, machen uns die<br />
nachfolgen<strong>de</strong>n Sätze aus einem Stern-Artikel (Stern 7/98) über <strong>de</strong>n Maler Paul Gauguin<br />
und sein „Traum“-Paradies Tahiti klar:<br />
„Eigentlich leben sie dort in drei Geschlechtern, es gibt Männer und Frauen,<br />
und es gibt Männerfrauen, Männer also, die Frau sein wollen, „Schönheiten mit<br />
Eiern“ nennen sie das. Urprimitive (!) Transvestiten sozusagen. Dort glaubt man<br />
allerdings, daß solche Menschen von Gott geküßt wur<strong>de</strong>n und er ihnen bei<strong>de</strong><br />
Geschlechter mit zum Leben gegeben hat (!). Sie sind hoch angesehen“.<br />
Und hier? Das Transsexuellen-Image in <strong>de</strong>n Medien wird immer mehr in Richtung<br />
Krankheit, Perversion und Elend verschoben -“koste es, was es wolle“, sogar<br />
33
manchmal die eigene Glaubwürdigkeit . Hauptsache : Kasse, (TV-)Quote und Lügengebäu<strong>de</strong><br />
stimmen...!<br />
Wir wollen diese Abhandlung über <strong>de</strong>n Mythos Kastration abschließen mit einem<br />
Schmunzeln über einen gängigen Clinton-Witz aufgrund seiner Fallatio-Eskapa<strong>de</strong>n<br />
im „Oral Office“ <strong>de</strong>s Weissen Hauses. Als die Ex-Filmschauspielerin Doris Day <strong>de</strong>n<br />
US-Präsi<strong>de</strong>nt veranlassen wollte, seinen Hund „Buddy“ kastrieren zu lassen, hieß es:<br />
Clinton geht zu seinem Tierarzt und sagt: „Ich komme wegen <strong>de</strong>r Kastration“. Darauf<br />
<strong>de</strong>r (Tier-)Arzt: „Gut, aber <strong>de</strong>r Hund muß draußen warten“...! Typisch amerikanisch -<br />
im Sinne <strong>de</strong>r „political correctness“ zwischen <strong>de</strong>n Geschlechtern - dürfte auch die<br />
Tatsache sein, dass die Navy angefangen hat, die dort beson<strong>de</strong>rs vorhan<strong>de</strong>nen Traditionen<br />
und Symbole militärischer Potenz zu amputieren. Hierzu gehörte beispielsweise,<br />
dass - in einem Akt vorauseilen<strong>de</strong>r Beschneidung - das Abzeichen <strong>de</strong>s Elitegeschwa<strong>de</strong>rs<br />
VFA - 37, ein überaus viriler Bulle, seine Ho<strong>de</strong>n eingebüsst hat: Frauen,<br />
d.h. <strong>de</strong>n (neuen) Pilotinnen sei ein <strong>de</strong>rart maskuliner Anblick nicht zuzumuten.<br />
Jetzt prangt auf <strong>de</strong>n Heckflossen <strong>de</strong>r silbernen Hochleistungsbomber ein harmloser<br />
Ochse...! Und obwohl die Geschlechtertrennung in <strong>de</strong>n amerikanischen Streitkräften<br />
bereits 1973 aufgehoben wur<strong>de</strong> (<strong>de</strong>rzeitiger Anteil weiblicher Soldaten etwa 13%),<br />
lernten die Elitesoldaten <strong>de</strong>r „marines“ noch bis vor kurzem solche Schlachtrufe<br />
wie:“Vergewaltige, töte, verstümmele (!)“. Diese Gesänge sind zwar inzwischen verbannt,<br />
aber noch immer predigen die Ausbil<strong>de</strong>r solche Aggressionen, offensichtlich<br />
auch gegen die eigenen Kolleginnen gerichtet: die sexuelle Belästigung weiblicher<br />
Soldaten erschüttert die US-Army zur Zeit in einem ungekannten Ausmass. Auch hier<br />
wie<strong>de</strong>r die typische „illusio virilis“- Hybris eines einbetonierten Patriarchats - wie bei<br />
<strong>de</strong>r Geschlechtsumwandlungs-I<strong>de</strong>ologie.<br />
„Ein Kastrat heilt alle Wun<strong>de</strong>n“. So haben wir unsere Betrachtungen über eines <strong>de</strong>r<br />
interessantesten Faszinosa <strong>de</strong>r Menschheitsgeschichte angefangen. Wir been<strong>de</strong>n<br />
sie mit <strong>de</strong>r Feststellung, daß <strong>de</strong>m wohl nicht so ist...! Im Gegenteil: Immer neue<br />
Wun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n aufgerissen, je mehr <strong>de</strong>r Mensch in die Natur eingreift - je<strong>de</strong>nfalls im<br />
human-geschlechtlichen Sinne. Denn dass im Tierreich die Kastration schon seit<br />
Jahrtausen<strong>de</strong>n - und in neueren Zeiten entsprechend perfektioniert bzw. nutzbringend<br />
gesteigert - zur Normalität gehört, sei hier nur nebenher erwähnt: wir wollten<br />
uns in dieser Abhandlung ja auf die Spezies Mensch beschränken. Mit <strong>de</strong>r (schleichen<strong>de</strong>n)<br />
Manipulation <strong>de</strong>s Menschen über <strong>de</strong>n Kastrationsvorgang (aus <strong>de</strong>n letzt-<br />
34
erwähnten, i<strong>de</strong>ellen Grün<strong>de</strong>n) und mit <strong>de</strong>r Etablierung <strong>de</strong>r damit einhergehen<strong>de</strong>n<br />
(vorgetäuschten) „Normalität“ wer<strong>de</strong>n die Übergänge zwischen Mensch und Tier jedoch<br />
immer fließen<strong>de</strong>r - Orwell und Huxley lassen grüßen...!<br />
Es ist an <strong>de</strong>r Zeit, auf diesen Sachverhalt hinzuweisen, <strong>de</strong>nn mit an Sicherheit grenzen<strong>de</strong>r<br />
Wahrscheinlichkeit han<strong>de</strong>lt es sich bei <strong>de</strong>r vorbeschriebenen Geschlechtsumwandlungs-I<strong>de</strong>ologie<br />
um die doch allmählich überholte Ausuferung einer<br />
nicht mehr zeitgemässen „illusio virilis“- Hybris - <strong>de</strong>m ist entschie<strong>de</strong>n entgegenzuwirken.<br />
Was hiermit geschieht, <strong>de</strong>nn Transsexualität ist wahrhaftig keine Krankheit<br />
und braucht als solche we<strong>de</strong>r manipulierte (Be-) noch schädigen<strong>de</strong> (Ab-) Handlungen,<br />
von welcher Seite auch gefor<strong>de</strong>rt und wie dann auch institutionalisiert. Die Zeit<br />
<strong>de</strong>r grenzenlosen „illusio virilis“ - Machbarkeitsträume ist vorüber: „Neues Denken“ ist<br />
gefor<strong>de</strong>rt.<br />
Berlin, <strong>de</strong>n 15.03.1998<br />
35<br />
Johanna Kamermans<br />
Postfach 19 11 22<br />
D-14001 Berlin-Charlottenburg