Wieder Worte - Kliniken-Wied
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Reha im Wandel<br />
Ein Jubiläum ist immer ein guter Anlass einmal zurückzuschauen.<br />
20 Ausgaben der „<strong><strong>Wied</strong>er</strong> <strong>Worte</strong>“ sind in<br />
den letzten 10 Jahren erschienen. Eine Dekade, in der<br />
sich die Suchthilfe und ihre Institutionen stetig weiterentwickelt<br />
haben, in einem Anpassungsprozess an<br />
wissenschaftliche Erkenntnisse, veränderte gesellschaftliche<br />
Rahmenbedingungen und nicht zuletzt<br />
auch an die Folgen begrenzter finanzieller Ressourcen.<br />
Das Jahr 2001 ist vielen in Erinnerung geblieben als<br />
das Jahr mit den schrecklichen Ereignissen vom 11.<br />
September mit oft dramatischen Folgen für die betroffenen<br />
Menschen in New York und schließlich in der<br />
ganzen Welt. Für die Suchthilfe in Deutschland brachte<br />
dieses Jahr jedoch auch einen positiven Anschub zu<br />
weitreichenden Veränderungen in der Rehabilitation<br />
suchtkranker Menschen. Am 4. Mai 2001, kurz vor<br />
dem Inkrafttreten der Änderungen des Sozialgesetz-<br />
buches IX zur Neuregelung des Rehabilitationsrechts,<br />
trat auch die überarbeitete Version der „Vereinbarung<br />
Abhängigkeitserkrankungen“ zur Zusammenarbeit zwi-<br />
schen Krankenkassen und Rentenversicherungsträgern<br />
in Kraft. Beides hat bis heute weitreichende Auswirkungen<br />
auf die Einleitung und Durchführung der medizinischen<br />
Rehabilitation Sucht.<br />
• Teilhabe<br />
Im neuen Sozialgesetzbuch wurde der Begriff der Rehabilitation<br />
weitestgehend durch den Begriff Teilhabe<br />
ersetzt. Auf dem Hintergrund erweiterter und geänderter<br />
Diagnose- und Beschreibungskategorien soll in der<br />
medizinischen Reha ein individuell zugeschnittenes<br />
Behandlungsprogramm umgesetzt werden, das es erkrankten<br />
Menschen ermöglicht am gesellschaftlichen<br />
und sozialen Leben teilhaben zu können. Die Aufmerksamkeit<br />
richtet sich weniger auf Krankheitsdiagnosen<br />
und Defizite, sondern noch stärker auf Hindernisse der<br />
Teilhabe und notwendige Ressourcen. Daraus ergab<br />
sich die Forderung nach einer noch stärkeren Individualisierung<br />
und Flexibilität der Behandlungsprogramme.<br />
• Ambulant vs. Stationär<br />
Die Vereinbarung Abhängigkeitserkrankungen enthält<br />
klare Vorgaben für die Einleitung ambulanter bzw.<br />
stationärer Hilfen. Wenn eine ambulante Maßnahme<br />
nicht erfolgversprechend erscheint, soll eine stationäre<br />
Rehabilitation erfolgen. In der Folge entstanden eine<br />
Vielzahl ambulanter und inzwischen auch ganztägig<br />
ambulanter Rehabilitationseinrichtungen, meist an bereits<br />
bestehenden Suchtberatungsstellen. Kombinationsbehandlungsprogramme<br />
wurden entwickelt, mit<br />
stationären und ambulanten Behandlungsphasen. An<br />
vielen Orten entstanden und entstehen noch weiterhin<br />
Einrichtungen des Betreuten Wohnens für Suchtkranke.<br />
• Substitutionsgestützte Rehabilitation<br />
Ein Rehabilitationsprogramm unter ausschleichender<br />
Substitution erleichtert Opiatabhängigen den Übergang<br />
in die abstinenzorientierte Entwöhnungsbehandlung.<br />
unter strengen Auflagen, wie nachgewiesener<br />
Beikonsumfreiheit und bei einer festgelegten Höchstdosis<br />
des Substitutionsmittels bei Behandlungsbeginn,<br />
ist die Aufnahme in eine Entwöhnungsbehandlung<br />
möglich. Ziel ist die Abstinenz auch vom Substitut vor<br />
Behandlungsende.<br />
• Vernetzung<br />
Aus der Kooperation in der Therapiekette wurde und<br />
wird ein Netzwerk der verschiedenen Institutionen.<br />
Therapieverbünde sollen den Übergang von einer in<br />
eine andere Behandlungsphase erleichtern. Regionalisierung<br />
wird gefördert, neue Kooperationsformen<br />
zwischen Einrichtungen der Suchthilfe und anderen<br />
sozialen Institutionen werden auch in Zukunft immer<br />
wichtiger sein. Andererseits erfolgt Vernetzung aber<br />
auch bundesweit und sektorenübergreifend.<br />
• Leitlinien und Qualitätsmanagement<br />
Fachliche Standards entstanden auf dem Hintergrund<br />
der evidenzbasierten, d. h. wissenschaftlich als wirksam<br />
anerkannten Behandlungsmethoden. Leitlinie der<br />
Fachgesellschaften geben den Rahmen für Behandlungsprogramme<br />
vor. Rentenversicherer prüfen durch<br />
eigene Qualitätssicherungsprogramme die Einhaltung<br />
von Vorgaben zu Institutionsstrukturen, Behandlungsdurchführung,<br />
Behandlungserfolg und Patientenzufriedenheit.<br />
Die Dokumentation von Behandlungsdaten<br />
wurde zunehmend standardisiert, im Sinne eines<br />
qualitativen und quantitativen Controllings, aber auch<br />
um weitere Versorgungsforschung zu ermöglichen. Die<br />
Einführung eines eigenen, zertifizierten Qualitätsma-<br />
nagementprogramms, mit regelmäßigen Überprüfungen<br />
durch externe Auditoren, erfolgte inzwischen auch<br />
in den allermeisten großen Suchthilfeeinrichtungen.<br />
Diese Aufzählung kann nur einen Ausschnitt aus den<br />
Entwicklungen der letzten Jahre abbilden. Die Auswirkungen<br />
im klinischen Alltag sind jedoch deutlich spürbar.<br />
Ein Patient, der nach mehr als 10 Jahren erneut in<br />
den <strong>Kliniken</strong> <strong>Wied</strong> aufgenommen wird, kann dies deutlich<br />
beschreiben.<br />
Jeder Patient erhält wöchentlich einen individuell zugeschnittenen<br />
Therapieplan. Er enthält eine Zusammenstellung<br />
aller vereinbarten Behandlungstermine mit<br />
den Namen der Therapeuten und den Therapieräumen.<br />
Zentrales Element ist weiterhin die Bezugsgruppentherapie<br />
mit begleitenden Einzelgesprächen mit dem Bezugstherapeuten.<br />
Alle anderen Therapieelemente sind<br />
individuell zugeordnet und werden nicht mehr bezugsgruppenweise<br />
durchgeführt. Ergo- und Arbeitstherapie<br />
sind differenzierte Förderangebote, die anhand eines<br />
persönlichen Bedarfsprofiles zugeschnitten werden.<br />
Die Arbeitstherapie ist ein von den Versorgungsabläufen<br />
der Klinik getrenntes Behandlungsmodul, mit der<br />
Möglichkeit in Übungsfirmen und arbeitsnahen Aufgabenfeldern<br />
neue Erfahrungen zu sammeln und verlo-<br />
rene Kompetenzen zu reaktivieren. Auch die Sport- und<br />
Bewegungstherapie erfolgt nach einer diagnostischen<br />
Einschätzung als persönliches Trainingsprogramm.<br />
Die Zahl der Patienten mit mehr als einer psychischen<br />
Störung und Suchtdiagnose hat in den letzten Jahren<br />
gravierend zugenommen. Je nach Ausprägung und<br />
Schweregrad der Störung sowie bewilligtem Behandlungsprogramm<br />
der Kosten- und Leistungsträger erfolgt<br />
die Behandlung in Bezugsgruppen mit besonderen<br />
Schwerpunkten, wie z. B. „Sucht und Psychosomatik“,<br />
„Handlungsorientierung“, „Kombinationsbehandlung“.<br />
Darüber hinaus bieten themenspezifische Indikationsgruppen,<br />
wie z. B. Stressbewältigung, soziale Kompetenz,<br />
umgang mit Angst und Depression Hilfe in besonderen<br />
Problemlagen.<br />
Die Zahl der Antragstellungen auf Entwöhnungsbehandlung<br />
bei den Rentenversicherern ist in den letzten<br />
Jahren stetig gestiegen. Die Behandlungszeiten<br />
wurden verkürzt. Insbesondere bei den Behandlungen<br />
von Drogenabhängigen. Gleichzeitig stiegen die Mög-<br />
lichkeiten zur Flexibilisierung der Behandlungsdauer<br />
durch Übergang in stationäre oder ambulante Weiter-<br />
behandlungs- oder Betreuungsformen. Die Gestal-<br />
tung dieser Übergänge wird auch zukünftig eine<br />
zentrale Entwicklungsaufgabe bleiben. Soviel Reha wie<br />
nötig, sowenig Reha wie möglich! Diese Überschrift<br />
wird (auch) weiterhin die Entwicklung der medizinischen<br />
Rehabilitation Sucht begleiten.<br />
“Was bleibt, ist die Veränderung;<br />
was sich verändert, bleibt.”<br />
Michael Richter (*1952), deutscher Zeithistoriker<br />
In diesem Sinne wird es auch beim nächsten Jubiläum<br />
der „<strong><strong>Wied</strong>er</strong> <strong>Worte</strong>“ wieder viel zu berichten geben. Ich<br />
freue mich schon drauf.<br />
WIEDERWORTE 2 I 2010 WIEDERWORTE 2 I 2010<br />
* Zeit, die wir uns nehmen, ist die Zeit, die uns<br />
etwas gibt. Richtig sieht man nur mit dem Herzen,<br />
das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar.<br />
Barbara Schickentanz<br />
10-11<br />
memephoto / pixelio.de