Zivilrechtlicher Gewaltschutz - Anwaltsinstitut
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Strafrechtlicher Schutz in<br />
Stalking-Fällen<br />
Franziska Honnef<br />
Koordinierungsstelle gegen häusliche<br />
Gewalt<br />
Ministerium der Justiz<br />
Stand Oktober 2012<br />
1
� in Kraft seit dem 31.03.2007<br />
� Bedeutung:<br />
§ 238 StGB<br />
� Schutz des individuellen Lebensbereichs, Bekämpfung der in<br />
Nachstellungen enthaltenen Eskalationsgefahr (Tröndle/Fischer, 57. Auflage, § 238<br />
Rn. 2, BT-Drs. 16/575 S. 6)<br />
� Vor der Einführung des § 238 StGB konnte der Stalker strafrechtlich nur<br />
bezüglich einzelner Handlungen (z.B. Körperverletzung, Beleidigung,<br />
Hausfriedensbruch) belangt werden. Dabei waren manche Verhaltensweisen<br />
nur schwer oder unter keinen Straftatbestand zu fassen. Außerdem wurde<br />
der spezifische Unrechtsgehalt der beharrlichen Nachstellung, die zu einer<br />
Beeinträchtigung der Handlungs- und Entschließungsfreiheit des Opfers<br />
führt, vom vor dem 31.03.2007 geltenden Strafrecht, in dem das<br />
Hauptaugenmerk auf die isolierte Betrachtung einzelner Handlungen<br />
gerichtet war, nicht ausreichend erfasst (BT-Drs. 16/575 S. 6). § 238 StGB<br />
schließt somit eine Strafbarkeitslücke im Umfeld der Körperverletzungs-<br />
und Freiheitsdelikte.<br />
2
Grundtatbestand des § 238 Abs. 1 StGB<br />
� Tathandlung: Nachstellen<br />
� Tathandlung des Nachstellens auch in § 292 StGB (Jagdwilderei)<br />
� Mehrzahl einzelner Handlungen, die sich zu einem Gesamtverhalten<br />
zusammensetzen, das als Nachspüren, Heranpirschen, Auskundschaften,<br />
Auflauern, Verfolgen umschrieben wird; gewisses Maß an Dauerhaftigkeit;<br />
auf ungewollte Kommunikation abzielende und auf<br />
Rechtsgutbeeinträchtigung gerichtete Verhaltensweisen, die eine<br />
spezifische, allein vom Täter definierte persönliche Beziehung zwischen<br />
Täter und betroffener Person zur Grundlage oder zum Gegenstand haben.<br />
Gemeinsam sind den als Nachstellen bezeichneten Verhaltens-weisen die<br />
Einseitigkeit der Aktionen gegen den Willen der betroffenen Person, die<br />
Zielrichtung des Eindringens in den persönlichen Lebensbereich – durch<br />
unmittelbare oder mittelbare Annäherungen - sowie die zumindest als<br />
Belästigung, oft als Bedrohung empfundene Wirkung (Tröndle/Fischer § 238<br />
Rn. 9; BGH Az. 3 StR 244/09).<br />
3
� Handlungen im Einzelnen:<br />
� Nr. 1: Aufsuchen räumlicher Nähe<br />
� Nr. 2 : Versuch des Kontakt-Herstellens durch Telekommunikationsmittel<br />
/ sonstige Kommunikationsmittel / Dritte<br />
(erfasst aber ebenfalls das erfolgreiche Herstellen einer kommunikativen<br />
Verbindung, Tröndle/Fischer § 238 Rn. 14)<br />
� Nr. 3: Aufgeben von Bestellungen / Veranlassen Dritter zur<br />
Kontaktaufnahme unter missbräuchlicher Verwendung<br />
personenbezogener Daten<br />
� Nr. 4: Bedrohung mit Verletzung von Leben, körperlicher<br />
Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit der betroffenen oder einer ihr<br />
nahe stehenden Person<br />
� Nr. 5: andere vergleichbare Handlungen (Auffangtatbestand)<br />
� z.B. Zeitungsanzeigen, Strafanzeigen, Beschädigung von Sachen des Opfers<br />
.<br />
4
� Unbefugtheit ((-) z.B. bei Einverständnis<br />
des Opfers, amtlichen oder privatautonom<br />
begründeten Befugnissen)<br />
� Beharrlichkeit<br />
� Ziel des TBM: Betonung der Deliktstypik<br />
des „Stalking“ (Abgrenzung von für sich<br />
genommen vom Gesetzgeber als<br />
sozialadäquat angesehenen Handlungen)<br />
.<br />
5
� Taterfolg: schwerwiegende Beeinträchtigung der<br />
Lebensgestaltung<br />
� Bsp.: Wechsel von Wohnung oder Arbeitsstelle, Umzug in andere<br />
Stadt, gravierende Veränderungen im Sozialverhalten,<br />
Namensänderung; nicht: Anrufbeantworter, Fangschaltung<br />
(Tröndle/Fischer § 238 Rn. 22ff.)<br />
� siehe hierzu auch BGH 3. Strafsenat, Beschluss vom 19.11.2009,<br />
Az. 3 StR 244/09 (Folien 8, 12)<br />
� Kausalität zwischen Tathandlung und Taterfolg<br />
(„dadurch“)<br />
.<br />
6
BGH 3. Strafsenat, Beschluss vom 19.11.2009,<br />
Az. 3 StR 244/09<br />
Sachverhalt<br />
� Vorgeschichte<br />
� 29.03.2008: Klingeln an der Tür, Ankündigung, bis zum<br />
nächsten Morgen vor dem Haus zu warten, Bedrohung,<br />
Beleidigung<br />
� 24.04.2008: mehrfache Anrufe, Erklärung, er werde sie<br />
nicht in Ruhe lassen, Abfangen auf dem Nachhauseweg,<br />
Beobachtung der Wohnung mit Fernglas, Anrufe + laute<br />
Rufe (Bedrohung, Beleidigung)<br />
� 13.05.2008: mehrfache Anrufe, Klingeln an der Tür,<br />
Bedrohung<br />
� 20.05.2008: Anruf (Bedrohung)<br />
� 03.07.2008: gegen 4.00 Uhr Anruf (Bedrohung)<br />
7
� „Die Zeugin nahm die Drohungen des Angeklagten ernst und<br />
hatte Angst um ihr Leben. Aufgrund des Verhaltens des<br />
Angeklagten gab sie erhebliche Teile ihrer Freizeitaktivitäten auf.<br />
So verließ sie etwa aus Angst vor diesem abends wenn möglich<br />
nicht mehr ihre Wohnung und öffnete aus Furcht die Haustür<br />
nicht mehr. In der Wohnung schaltete sie abends kein Licht mehr<br />
an, um dem Angeklagten vorzutäuschen, nicht zu Hause zu sein.<br />
Sie verließ auch tagsüber ihre Wohnung und ihre Arbeitsstätte nur<br />
nach besonderen Sicherheitsvorkehrungen und bemühte sich, sich<br />
nicht allein auf der Straße aufzuhalten. Aufgrund ihrer Angst und<br />
der damit verbundenen Einschränkungen verlor sie erheblich an<br />
Gewicht.“<br />
.<br />
8
Beharrlichkeit<br />
BGH 3. Strafsenat, Beschluss vom 19.11.2009, Az. 3 StR 244/09<br />
� „objektive Momente der Zeit sowie subjektive und<br />
normative Elemente der Uneinsichtigkeit und<br />
Rechtsfeindlichkeit“<br />
� Eine wiederholte Begehung ist zwingende Voraussetzung<br />
genügt aber für sich allein nicht, erforderlich ist darüber<br />
hinaus „eine in der Tatbegehung zum Ausdruck kommende<br />
besondere Hartnäckigkeit und eine gesteigerte Gleichgültigkeit<br />
des Täters gegenüber dem gesetzlichen Verbot,<br />
die zugleich die Gefahr weiterer Begehung indiziert“.<br />
Erforderlich ist, „dass aus Missachtung des entgegenstehenden<br />
Willens oder aus Gleichgültigkeit gegenüber den<br />
Wünschen des Opfers mit der Absicht gehandelt wird, sich<br />
auch in Zukunft immer wieder entsprechend zu verhalten.“<br />
9
� Eine (Mindest-)Anzahl von notwendigen Angriffen kann<br />
nicht festgelegt werden, da die Beurteilung der<br />
Beharrlichkeit nur auf der Grundlage einer<br />
Gesamtwürdigung aller Elemente des TBM (z.B. Intensität<br />
des Eingriffs, zeitlicher Abstand zwischen den Angriffen<br />
und deren innerer Zusammenhang), zwischen denen<br />
Wechselwirkungen bestehen, erfolgen kann.<br />
� „…die potentiell bedrohlichen Handlungen sind in ihrer<br />
Gesamtheit zu berücksichtigen, ohne dass es erforderlich ist,<br />
dass dieselbe Handlung wiederholt vorgenommen wird.“<br />
.<br />
10
Erwägungen des BGH zur Beharrlichkeit<br />
im konkreten Fall<br />
� Beharrlichkeit bejaht:<br />
� Vorfälle an insgesamt 5 Tagen, an einzelnen Tagen<br />
mehrere gesonderte Nachstellungshandlungen<br />
� teilweise zwar größere zeitliche Abschnitte, aber<br />
Belästigung über langen Zeitraum (mehr als 3 Monate),<br />
an manchen Tagen mit besonderer Nachdrücklichkeit<br />
� Bewusstsein, dass das Opfer keinen Kontakt wollte<br />
� fortwährendes, hartnäckiges Bestreben, das Opfer zu<br />
drangsalieren<br />
� erhebliche Intensität der Beeinträchtigungen (zur<br />
Nachtzeit, Verwirklichung weiterer Straftatbestände)<br />
11
Schwerwiegende Beeinträchtigung<br />
BGH 3. Strafsenat, Beschluss vom 19.11.2009, Az. 3 StR 244/09<br />
� „Der Begriff der Lebensgestaltung umfasst ganz allgemein die<br />
Freiheit der menschlichen Entschlüsse und Handlungen. Sie wird<br />
beeinträchtigt, wenn das Opfer durch die Handlung des Täters<br />
veranlasst wird, ein Verhalten an den Tag zu legen, das es ohne<br />
Zutun des Täters nicht gezeigt hätte; stets festzustellen ist<br />
demnach eine erzwungene Veränderung der Lebensumstände.“<br />
� Schwerwiegend ist die Beeinträchtigung bei „im konkreten<br />
Kontext ins Gewicht fallenden, gravierenden und ernst zu<br />
nehmenden Folgen, die über durchschnittliche, regelmäßige<br />
hinzunehmende und zumutbare Modifikationen der<br />
Lebensgestaltung erheblich und objektivierbar hinausgehen. …<br />
Danach schützt der Tatbestand weder Überängstliche noch<br />
besonders Hartgesottene…“<br />
12
Tatbestandliche Handlungseinheit<br />
BGH 3. Strafsenat, Beschluss vom 19.11.2009, Az. 3 StR 244/09<br />
� kein Dauerdelikt<br />
� aber:<br />
� durchaus Elemente, die denen eines<br />
Dauerdelikts ähnlich sind: typischerweise<br />
ein über den Einzelfall hinausreichendes,<br />
auf gleichartige Wiederholung gerichtetes<br />
Verhalten; ganze Handlungskomplexe<br />
13
� → „Es liegt deshalb auf der Hand, in Fallgestaltungen wie der<br />
vorliegenden von einer sukzessiven Tatbegehung auszugehen, die eine<br />
ununterbrochene deliktische Tätigkeit oder einen in deliktischer Weise<br />
geschaffenen Zustand nicht voraussetzt. Die sukzessive Tatbegehung ist<br />
vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass sich der Täter dem<br />
tatbestandlichen Erfolg nach und nach nähert; dabei werden diejenigen<br />
einzelnen Handlungen des Täters, die erst in ihrer Gesamtheit zu der<br />
erforderlichen Beeinträchtigung des Opfers führen, unter rechtlichen<br />
Gesichtspunkten im Wege einer tatbestandlichen Handlungseinheit zu<br />
einer Tat im materiellen Sinne zusammengefasst, wenn sie einen<br />
ausreichenden räumlichen und zeitlichen Zusammenhang aufweisen und<br />
von einem fortbestehenden einheitlichen Willen des Täters getragen<br />
sind.“<br />
� kein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang des strafbaren<br />
Verhaltens erforderlich, zwischen den einzelnen tatbestandsausfüllenden<br />
Teilakten können erhebliche Zeiträume liegen<br />
.<br />
14
Konkurrenzen<br />
� Im dargestellten Fall nahm der BGH nur eine Nachstellung nach § 238<br />
Abs. 1 StGB an in Tateinheit mit Bedrohung in fünf und Beleidigung in<br />
zwei jeweils rechtlich zusammentreffenden Fällen. Die Nachstellung<br />
verklammert nach Urteil des BGH die an sich rechtlich selbständigen<br />
Delikte der Bedrohung und Beleidigung zu einer insgesamt einheitlichen<br />
Tat im materiellrechtlichen Sinn (BGH, Az. 3 StR 244/09).<br />
§ 238 StGB kann aber nicht selbständige schwerere Taten zur Tateinheit<br />
verklammern (Tröndle/Fischer § 238 Rn. 39).<br />
� Gleichzeitige Nachstellungen gegen mehrere Personen stehen in<br />
gleichartiger Idealkonkurrenz (Tröndle/Fischer § 238 Rn. 39).<br />
� Mit zum Zweck des Nachstellens begangenen anderen Straftaten (z.B.<br />
§§ 123, 177, 185ff., 223ff., 240, 241, 263, 267 StGB) ist Tateinheit<br />
möglich (Tröndle/Fischer § 238 Rn. 39).<br />
15
Qualifikationen.<br />
� Qualifikation des § 238 Abs. 2 StGB: Gefahr des Todes<br />
oder einer schweren Gesundheitsschädigung für Opfer<br />
bzw. seine Angehörigen oder ihm nahe stehende Personen<br />
� konkrete Gefahr, Vorsatz bzgl. Gefährdung erforderlich<br />
� „Wird einem Angeklagten zur Last gelegt, er habe ein Tatopfer durch<br />
Nachstellung in die Gefahr einer schweren Gesundheitsbeschädigung<br />
gebracht, bedarf es tatrichterlicher Feststellungen zum tatsächlichen<br />
Eintritt einer solchen Tatfolge. Behauptete Gesundheitsbeeinträchtigungen<br />
wie psychosomatische Zusammenbrüche mit intensiven schweren<br />
Magenkrämpfen sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung mit<br />
starkem Gewichtsverlust bei einer Nebenklägerin mit deren Unfähigkeit<br />
zur Ausübung ihrer freiberuflichen Tätigkeit als Folgen massiver<br />
Beschimpfungen und Bedrohungen müssen tatsächlich feststellt werden.<br />
Dies gilt umso mehr, wenn sich das Tatgericht bei der Feststellung der<br />
Tatfolgen nicht erkennbar hat sachverständig beraten lassen.“ (BGH 5.<br />
Strafsenat, Beschluss vom 22.07.2010, Az. 5 StR 256/10)<br />
16
� Erfolgsqualifikation des § 238 Abs. 3 StGB:<br />
Tod des Opfers bzw. eines Angehörigen oder<br />
einer dem Opfer nahe stehenden Person<br />
� Verbrechen → Versuchsstrafbarkeit!<br />
� bzgl. Eintritt der schweren Folge genügt<br />
Fahrlässigkeit, § 18 StGB<br />
.<br />
17
Verfahrensrechtliche Aspekte<br />
� Grundtatbestand ist<br />
� relatives Antragsdelikt (§ 238 Abs. 4 StGB)<br />
� In Fällen von Ex-Partner-Stalking (häusliche Gewalt) wird das<br />
besondere öffentliche Interesse regelmäßig bejaht (vgl. Nr.234 RiStBV).<br />
� Privatklagedelikt (§ 374 Abs. 1 Nr. 5 StPO) (siehe aber Nr. 86 RiStBV)<br />
� Möglichkeit zur Nebenklage (§ 395 Abs. 1 Nr. 4 StPO), unter<br />
Umständen Bestellung eines Rechtsanwalts möglich (§ 397a Abs.<br />
1 Nr. 3 und Nr. 4 StPO)<br />
� dringender Tatverdacht hinsichtlich § 238 Abs. 2, Abs. 3 StGB<br />
und Gefahr weiterer erheblicher Straftaten vor rechtskräftiger<br />
Aburteilung � Anordnung von Sicherungshaft, § 112a Abs. 1 S.<br />
1 Nr. 1 StPO (sog. Deeskalationshaft)<br />
18
Ende<br />
Vielen Dank für Ihre<br />
Aufmerksamkeit!<br />
19