Kommunikation in Lehr-Lern-Prozessen mit Erwachsenen
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Der Fall der <strong>Erwachsenen</strong>bildung dürfte die komplizierteste Interventionsform<br />
darstellen. Sie hat es <strong>in</strong> ihrer Praxis <strong>mit</strong> allen drei Themenfeldern zu tun: Das<br />
Feld 7 wird ganz klar durch die politische Bildung abgedeckt, im Feld 8 s<strong>in</strong>d<br />
thematisch nicht ausgerichtete Selbsterfahrungsgruppen e<strong>in</strong>zuordnen und das<br />
Feld 9 ist Terra<strong>in</strong> aller qualifizierenden Bildungsprozesse. <strong>Erwachsenen</strong>bildung<br />
arbeitet außerdem im Unterschied zu Therapie und Beratung grundsätzlich nicht<br />
<strong>mit</strong> Zweier-Beziehungen zwischen Experten und Laien. An die Stelle solcher<br />
dyadischer Beziehungen tritt die Beziehung zwischen Dozent und Teilnehmergruppe.<br />
Das heißt, Interaktionsstrukturen werden jetzt auch durch die Qualität<br />
der Beziehungen zwischen den Teilnehmern als Gruppenprozessen geprägt.<br />
Die Teilnahme an <strong>Erwachsenen</strong>bildung wird durch das oben genannte Bildungs<strong>in</strong>teresse<br />
motiviert, also durch die Erwartung, Teile der objektiven Wirklichkeit<br />
<strong>mit</strong>tels e<strong>in</strong>es curricularisiert angebotenen Wissens für die subjektive<br />
Wahrnehmung zu erschließen. Das Bildungs<strong>in</strong>teresse des Teilnehmers ist e<strong>in</strong><br />
vergleichsweise schwaches Motiv, wenn man es dem Leidensdruck des Patienten<br />
gegenüberstellt, der im Extremfall total entscheidungsunfähig se<strong>in</strong> kann,<br />
oder wenn man das Bildungs<strong>in</strong>teresse <strong>mit</strong> der Dr<strong>in</strong>glichkeit des Klienten vergleicht,<br />
der angesichts e<strong>in</strong>er für ihn lebenswichtigen Entscheidung partiell<br />
entscheidungsunfähig ist. Die vergleichsweise Schwäche des Bildungs<strong>in</strong>teresses<br />
drückt sich dar<strong>in</strong> aus, daß sich se<strong>in</strong>e Realisierung (<strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er Teilnahme<br />
an <strong>Erwachsenen</strong>bildung) aufschieben oder ganz aufgeben läßt, ohne<br />
daß die Lebenspraxis un<strong>mit</strong>telbar Schaden erleidet.<br />
Die <strong>mit</strong> der Bildungsreform verbreiteten sozialen Deutungsmuster hatten <strong>in</strong><br />
ihrer Summe zur Folge, daß es den potentiellen Teilnehmern erschwert wurde,<br />
Bildungs<strong>in</strong>teressen <strong>in</strong> ihrer Verwirklichung aufzuschieben. Thesen wie die<br />
vom „Aufstieg durch Bildung“ oder von der „Zunahme der Qualifikationsanforderungen<br />
<strong>in</strong> allen Lebensbereichen“ haben e<strong>in</strong>e Glorifizierung systematischen<br />
Wissens betrieben, die die lebenspraktische Relevanz erwachsenenpädagogischer<br />
Wissensver<strong>mit</strong>tlung (Feld 9) deutlich erhöhte. Dadurch haben<br />
<strong>in</strong> der <strong>Erwachsenen</strong>bildung Interaktionsstrukturen nach dem Vorbild des Kurssystems<br />
Überhand gewonnen.<br />
Dieses Kurssystem zieht se<strong>in</strong>e Berechtigung aus der Erwartung der Teilnehmer,<br />
sie könnten zukünftige lebenspraktische Entscheidungen (zum Beispiel<br />
<strong>in</strong> ihrem Beruf) besser begründen, wenn sie sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em fachlich spezialisierten<br />
Kurs e<strong>in</strong> dort angebotenes Sonderwissen aneignen. Deshalb s<strong>in</strong>d Teilnehmer<br />
bereit, sich <strong>in</strong>nerhalb der Kursgruppe <strong>in</strong> die – für sie nicht-alltägliche<br />
– Rolle e<strong>in</strong>es nach curricularen Vorgaben <strong>Lern</strong>enden versetzen zu lassen. Diese<br />
Erwartungen machen dann auch e<strong>in</strong>e Reihe von organisatorischen Vorkehrungen<br />
möglich, wie die Rekrutierung der Teilnehmer durch e<strong>in</strong> eher zufälliges<br />
Anmeldeverfahren, die Vorgabe fester <strong>Lern</strong>schritte, die <strong>Lehr</strong>errolle des<br />
Dozenten, Prüfungsprozeduren und so weiter. Interaktionsstrukturen dieser<br />
Qualität tragen deutliche Züge von Sekundärgruppen und liefern die Voraussetzungen<br />
dafür, daß sich erwachsenenpädagogisches Handeln primär als<br />
fachdidaktisches verstehen kann.