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Blumen pflücken während der Fahrt erlaubt! - Verlag C. H. Beck oHG

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Titel | Lerntechnik<br />

6<br />

Übereignung des Kaufgegenstands aus dem<br />

Kaufvertrag gegen B.<br />

Selbst bei geringen mathematischen Kenntnissen<br />

ist es eindeutig, dass die mathematische<br />

Aufgabe nicht gelöst werden kann, bevor nicht<br />

die beiden Klammern aufgelöst wurden. Ebenso<br />

eindeutig sollte es in dem auf das Juristische<br />

übertragenen Beispiel sein, dass die Frage<br />

nach dem Anspruch des A nur beantwortet,<br />

das Ergebnis also nur präsentiert werden kann,<br />

wenn zuvor Entstehen und möglicher Untergang<br />

des Anspruchs geprüft wurden – und dies<br />

nicht, weil die üblichen Fallschemata diesen<br />

Lösungsweg vorgeben. Es verhält sich im Gegenteil<br />

genau an<strong>der</strong>s herum: Die Fallschemata<br />

geben diesen Lösungsweg vor, weil entsprechende<br />

Aufgaben sich an<strong>der</strong>s nicht korrekt lösen<br />

lassen.<br />

Unterschiede zwischen Mathematik<br />

und Rechtswissenschaften<br />

Der vom Aufbau her so stimmige Vergleich<br />

mit Mathematikaufgaben darf natürlich nicht<br />

dazu verleiten anzunehmen, juristische Fragestellungen<br />

ließen sich wie mathematische Probleme<br />

allein unter Anwendung <strong>der</strong> Logik lösen.<br />

Innerhalb <strong>der</strong> „Klammern“ befinden sich<br />

in <strong>der</strong> Rechtswissenschaft nicht nur die einzelnen<br />

Prüfungspunkte, die es zu behandeln gilt,<br />

son<strong>der</strong>n selbstverständlich auch die jeweils zugehörigen<br />

Meinungsstreitstände, Auslegungsschwierigkeiten<br />

und Wertungsmöglichkeiten.<br />

An<strong>der</strong>s als in <strong>der</strong> Mathematik gelangt die<br />

Rechtswissenschaft nur in vergleichsweise wenigen<br />

Fällen zu eindeutigen Ergebnissen.<br />

Darüberhinaus enthalten juristische Aufgaben<br />

im Vergleich zu dem aufgeführten, sehr<br />

simplen mathematischen Beispiel die Schwierigkeit,<br />

dass nicht sämtliche Komponenten, die<br />

für die Lösung erfor<strong>der</strong>lich sind, vorgegeben<br />

sind, son<strong>der</strong>n häufig erst gefunden bzw. entwickelt<br />

werden müssen. Insofern gleicht die Fallprüfung<br />

tatsächlich am ehesten einer mathematischen<br />

Gleichung mit zum Teil zahlreichen<br />

Unbekannten auf beiden Seiten.<br />

Die ganz wesentliche Gemeinsamkeit zwischen<br />

beiden Disziplinen bleibt aber, dass ein<br />

stimmiges und schlüssiges Ergebnis zwangsläufig<br />

erst nach Durchführung <strong>der</strong> gesamten<br />

Prüfung erreicht werden kann. Macht man<br />

sich dies bewusst, so entgeht man dem inneren<br />

Druck, sofort das Ergebnis präsentieren zu<br />

wollen, und kann sich auf die gründliche<br />

Durchführung <strong>der</strong> Prüfung konzentrieren.<br />

Denn diese Prüfung an sich – <strong>der</strong> juristische<br />

Lösungsweg – ist es, die in Klausur, Hausarbeit<br />

und Examen für die Korrektoren eigentlich<br />

interessant ist und das Ergebnis schlüssig<br />

begründet.<br />

JUSMAGAZIN 2|09<br />

Argumentationskettentechnik<br />

Die Mechanik <strong>der</strong> Gutachtentechnik kann<br />

nur dann korrekt funktionieren, wenn einerseits<br />

tatsächlich alle relevanten Prüfungskomplexe<br />

aufgefunden und untersucht werden und an<strong>der</strong>erseits<br />

diese einzelnen Komplexe sinnvoll,<br />

d. h. folgerichtig und lückenlos miteinan<strong>der</strong><br />

verknüpft sind. Diese Schlüssigkeit und Lückenlosigkeit<br />

<strong>der</strong> Argumentationskette herzustellen<br />

ist das zweite große Problem vieler Studieren<strong>der</strong>;<br />

es ergibt sich teilweise bereits – wie<br />

oben angedeutet – aus den Schwierigkeiten mit<br />

<strong>der</strong> Gutachtentechnik an sich. Mit verschiedenen<br />

weiteren Gedankenbil<strong>der</strong>n lässt sich sowohl<br />

die Problematik, aus <strong>der</strong> heraus lückenhafte<br />

Argumentationsketten entstehen, als auch<br />

die eigentlich korrekte Vorgehensweise versinnbildlichen.<br />

Gemeinsamkeiten von<br />

Gedankenbil<strong>der</strong>n<br />

Welches Bild man wählt, um sich die wesentlichen<br />

Merkmale und Schwierigkeiten <strong>der</strong><br />

Argumentationskettentechnik deutlich zu machen,<br />

ist letztlich Geschmacksache. Ganz verschiedene<br />

Vorstellungen sind denkbar und<br />

hilfreich: aneinan<strong>der</strong>gereihte Dominosteine,<br />

die nur dann alle umfallen werden, wenn kein<br />

einziger in <strong>der</strong> Reihe stehen bleibt. O<strong>der</strong>, sozusagen<br />

umgekehrt gedacht, ein Kartenhaus,<br />

in dem jede Karte an <strong>der</strong> richtigen Stelle stehen<br />

muss.<br />

Entscheidend ist vor allem, dass das Bild<br />

folgende zwei Dinge zu vermitteln im Stande<br />

ist: Eine juristische Argumentationskette ist<br />

ein in sich geschlossenes System, wenn das<br />

gefundene En<strong>der</strong>gebnis genau zur eingangs<br />

gestellten Fallfrage – und nur zu dieser – passt.<br />

Außerdem müssen alle behandelten Einzelfragen<br />

in direktem Bezug zur Fallfrage stehen<br />

und nicht einfach „bei dieser Gelegenheit“<br />

erörtert werden.<br />

Ein korrektes, d. h. juristisch überzeugendes<br />

En<strong>der</strong>gebnis kann nur dann zu Stande<br />

kommen, wenn keine wesentlichen Prüfungsfragen<br />

ausgelassen o<strong>der</strong> übersehen werden.<br />

Die Einzelfragen in einer Fallprüfung dürfen<br />

dabei insbeson<strong>der</strong>e nicht als optionale Komponenten<br />

betrachtet werden, wie Körner, von<br />

denen man die aufpickt, die man gerade findet.<br />

Sie müssen vielmehr verstanden werden<br />

als notwendige, zwangsläufige Bausteine <strong>der</strong><br />

jeweiligen Fallprüfung.<br />

Diese beiden wesentlichen Elemente <strong>der</strong><br />

Argumentationskettentechnik sollen nachfolgend<br />

anhand von zwei Gedankenbil<strong>der</strong>n erläutert<br />

werden, die die Verfasserin in <strong>der</strong> Arbeit<br />

mit Studierenden als beson<strong>der</strong>s hilfreich empfunden<br />

hat.<br />

Die Edelstein-Halskette<br />

Das vielleicht naheliegendste Bild für eine<br />

gelungene juristische Prüfung ist das <strong>der</strong> Halskette.<br />

Sie beginnt mit <strong>der</strong> einen Hälfte <strong>der</strong><br />

Schließe – <strong>der</strong> Fallfrage –, und endet mit dem<br />

an<strong>der</strong>en Teil <strong>der</strong> Schließe – dem Ergebnis. Zunächst<br />

ist darauf zu achten, dass die beiden<br />

Hälften <strong>der</strong> Schließe zueinan<strong>der</strong> passen, wenn<br />

die Kette sich nicht ungewollt öffnen soll. Dies<br />

klingt einfacher, als es umzusetzen ist: Gerade<br />

bei komplizierten, langwierigen, ineinan<strong>der</strong><br />

verschachtelten Fallprüfungen verliert sich<br />

leicht <strong>der</strong> Blick auf die eigentliche Fragestellung.<br />

Es kann deshalb sinnvoll sein, sich diese<br />

geson<strong>der</strong>t und möglichst groß und auffällig zu<br />

notieren, damit am Ende das Ergebnis zur ursprünglich<br />

aufgeworfenen Frage passt.<br />

So sollte beispielsweise im Strafrecht <strong>der</strong><br />

Obersatz: „A könnte sich durch das Erschlagen<br />

des B mit einem Knüppel wegen Totschlags<br />

gemäß § 212 I StGB strafbar gemacht haben.“<br />

am Ende <strong>der</strong> Prüfung eindeutig mit dem Satz:<br />

„Folglich hat (o<strong>der</strong> hat nicht) sich A durch das<br />

Erschlagen des B mit einem Knüppel wegen<br />

Totschlags gemäß § 212 I StGB strafbar gemacht.“<br />

beantwortet werden, selbst wenn dies<br />

dem Studierenden repetitiv erscheint. Und insbeson<strong>der</strong>e<br />

sollte eine Prüfung, die als Untersuchung<br />

eines Totschlags beginnt, nicht etwa mit<br />

<strong>der</strong> Feststellung einer Strafbarkeit wegen Mordes<br />

enden.<br />

Neben <strong>der</strong> „Schließe“ besteht die juristische<br />

„Halskette“ auch aus auffälligen „Edelsteinen“.<br />

Das sind Prüfungskomplexe, die quasi aus dem<br />

Sachverhalt „hervorleuchten“, also beson<strong>der</strong>s<br />

augenfällig sind, entwe<strong>der</strong> weil <strong>der</strong> Sachverhalt<br />

entsprechend angelegt ist o<strong>der</strong> weil bei verschiedenen<br />

Fragestellungen bestimmte Prüfungskomplexe<br />

zum allgemein bekannten Standard<br />

gehören. Viele Studierende neigen dazu,<br />

sich sofort auf die „Edelsteine“ zu stürzen, eben<br />

weil sie so auffällig bzw. vertraut sind.<br />

Dabei passieren häufig drei Dinge: Zum einen<br />

wird leicht übersehen, dass – in Abwandlung<br />

des bekannten Sprichworts, dass nicht alles<br />

Gold ist, was glänzt – Studierende sozusagen<br />

auf „Glassteine“ o<strong>der</strong> „Rheinkiesel“ hereinfallen<br />

und seitenlang Probleme, die sich<br />

bei näherer Betrachtung als überflüssig o<strong>der</strong><br />

gar nicht zu <strong>der</strong> speziellen Fragestellung gehörig<br />

herausstellen, prüfen. Wird dies noch<br />

rechtzeitig vor Abgabe <strong>der</strong> Arbeit bemerkt, so<br />

ist in jedem Fall wertvolle Zeit vertan; fällt es<br />

nicht auf, so läuft im schlimmsten Fall die<br />

komplette Prüfung in eine falsche Richtung.<br />

Klassisches Beispiel sind seitenlange Ausführungen<br />

zu Meinungsstreitigkeiten, bei denen<br />

im betreffenden Fall sämtliche Meinungen<br />

zum gleichen Ergebnis führen.

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