Praxisbegehungen durch das Gesundheitsamt - bei den Doxs
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DOXS eG lehnt<br />
Kodierrichtlinen ab!<br />
Migranten als Patienten<br />
in der Arztpraxis<br />
Magazin<br />
Besuch vom <strong>Gesundheitsamt</strong><br />
Winter 2010/11<br />
1
2<br />
Inhalt<br />
IMpressuM<br />
Herausgeber: DOXs eG, schenkendorfstraße 6-8, 34119 Kassel<br />
Tel.: 0561 766 207-12, Fax: 0561 766 207-20<br />
info@doxs.de, www.doxs.de<br />
Vorstand: priv.-Doz. Dr. erhard Lang, Dr. stefan pollmächer<br />
Vorsitzender des Aufsichtsrates: Dr. Detlef sommer<br />
redaktion: Gundula Zeitz, info@gundulazeitz.de<br />
redaktionsteam: Michael Frölich, Dr. stefan pollmächer<br />
Autoren dieser Ausgabe: Christine Becker, Irene Graefe, Detlef Müschen,<br />
Dr. stefan pollmächer, Dr. uwe popert, stefan rohpeter, Dr.<br />
Markus schimmelpfennig, Michael spacek, Gundula Zeitz<br />
Magazin Winter 2010/11<br />
editorial 3<br />
DOXs eG lehnt ambulante Kodierrichtlinien ab 4<br />
DOXs warnen: Kodierrichtlinien und neues prüfmodul nicht schon jetzt scharf schalten! 5<br />
Brief an Kasseler Kliniken und umfrage zur Zusammenar<strong>bei</strong>t<br />
auf dem Gebiet der Gastroenterologie 7<br />
Zehn Gründe Mitglied <strong>bei</strong> <strong>den</strong> DOXs zu wer<strong>den</strong> 8<br />
Migranten als patienten in der Arztpraxis 10<br />
Jeder Dritte in Kassel ist zugewandert 11<br />
Mittlerin zwischen <strong>den</strong> Welten 13<br />
MeDIKuM: Türkischsprachige expertinnen für Kindern 15<br />
Mein Nabel fällt – Andere Länder andere symptombeschreibungen 17<br />
Dolmetscherdienste: Bislang keine einheitliche Lösung 18<br />
pilotprojekt rheuma-Gymnastikgruppe für Migrantinnen 20<br />
Migrantenmedizin als Wahlfach im studium 22<br />
Hilfen für die Verständigung 23<br />
rechtliche Aspekte der Kommunikation zwischen Arzt und patient 24<br />
praxisbegehungen <strong>durch</strong> <strong>das</strong> <strong>Gesundheitsamt</strong> – erfahrungen und ergebnisse 27<br />
Medizintourismus in Hessen ein bislang kaum genutztes Marktpotenzial 30<br />
Das JobTicket: einla<strong>den</strong>der einstieg in die ÖpNV-Welt<br />
– für DOXs-Mitglieder und ihre Mitar<strong>bei</strong>ter 32<br />
Online-Abrechnung: Bis zuletzt widersprüchliche Aussagen der KV Hessen 33<br />
Kurz & bündig 34<br />
Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt<br />
die Meinung des Herausgebers wieder.<br />
Anzeigen: DOXs eG Geschäftsstelle, Tel. 0561 766 207-12<br />
Gestaltung: e-bildwerke, Agentur für Grafische Gestaltung<br />
Titel: reinhold Weber, herr-rick.de<br />
Druck: Grafische Werkstatt GmbH<br />
erscheinungsweise: 4-mal pro Jahr, Druckauflage: 1600 stück<br />
Herausgeber und redaktion haften nicht für Druck- und satzfehler,<br />
nicht für verspätete Auslieferung <strong>durch</strong> die Druckerei und<br />
nicht für unverlangt eingesandte Bilder und Manuskripte. Termin-<br />
und Adressangaben sind ohne Gewähr. Nachdruck nur mit<br />
schriftlicher Genehmigung der redaktion.
editorial<br />
Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />
die gravieren<strong>den</strong> Veränderungen im Gesundheitswesen bringen immer neue Zumutungen für<br />
uns Vertragsärzte mit sich, die unsere Ar<strong>bei</strong>t im kommen<strong>den</strong> Jahr weiter erschweren wer<strong>den</strong>.<br />
Wir sollen bereits ab Januar 2011 neue 160-seitige Kodierrichtlinien bekommen – wogegen<br />
wir eine resolution verabschiedet haben (vgl. s. 4). Wir sollen <strong>den</strong> stammdatenabgleich der<br />
Versicherten in der praxis ausführen und unsere Honorare nur noch per Online-Abrechnung<br />
der KV zur Verfügung stellen, was mit erheblichen Kosten für die praxisinhaber verbun<strong>den</strong> ist.<br />
Nicht zuletzt sollen wir unsere Hard- und software aufrüsten, um dann am ende des Jahres die<br />
elektronische Gesundheitskarte einzuführen.<br />
Keine dieser Maßnahmen trägt dazu <strong>bei</strong>, die Versorgung unserer patienten zu verbessern. Zu<br />
erwarten sind lediglich viel mehr Bürokratie, Mehraufwand und zusätzliche Kosten für uns<br />
Ärzte. Wegducken, aushalten, irgendwie damit zurechtkommen, wie es viele von uns in <strong>den</strong><br />
vergangenen Jahren versucht haben: Das geht nicht mehr! es ist Zeit, <strong>das</strong>s wir aktiv wer<strong>den</strong>!<br />
Wichtige entscheidungen im Gesundheitswesen sollten in Zukunft nicht mehr ohne uns Niedergelassene<br />
getroffen wer<strong>den</strong>.<br />
„Die Gesundheitsversorgung aktiv gestalten“, so lautete von Anfang an der slogan der DOXs.<br />
und inzwischen wird unsere Genossenschaft zunehmend als player und partner im Gesundheitswesen<br />
wahrgenommen. Das eröffnet uns die Chance mitzugestalten.<br />
Wenn wir uns nicht einmischen, wer<strong>den</strong> sich unsere Ar<strong>bei</strong>tsbedingungen so stark verändern,<br />
<strong>das</strong>s weder wir noch irgendwelche potenziellen Nachfolger Lust verspüren, in der niedergelassenen<br />
Medizin zu praktizieren.<br />
Wir wer<strong>den</strong> aktiv, nicht nur um unsere Ar<strong>bei</strong>t zufrie<strong>den</strong> verrichten zu können, sondern damit<br />
wir <strong>das</strong>, warum wir diesen Beruf ergriffen haben, ausführen können – nämlich <strong>den</strong> Menschen,<br />
die in Not und mit ihren Bedürfnissen zu uns kommen, adäquat zu helfen.<br />
und ich meine, damit kompetent helfen zu können – und nicht in einer Weise, wie es die<br />
politik, die ohne ärztliche Kompetenz die rahmenbedingungen vorgibt, es uns aufoktruiert.<br />
Wer hat <strong>den</strong>n <strong>das</strong> Vertrauen der patienten? Die politiker – oder wir?<br />
Wir müssen unseren Auftrag erfüllen und <strong>das</strong> können wir nur, wenn wir für unsere patienten<br />
die rahmenbedingungen mitgestalten. unsere patienten können nicht nach Marktmechanismen<br />
bedient wer<strong>den</strong>. sie kommen in Notsituationen zu uns – und sie sind in einer viel schwächeren<br />
position als ein Kunde, der frei wählen kann. Ich sehe uns nicht als austauschbare<br />
Dienstleister, die Bedürfnisse befriedigen – wir sind angetreten, Menschen <strong>bei</strong> Krankheit und<br />
in Krisen zu helfen und zu unterstützen.<br />
ein Arzt, der vor lauter Bürokratie, Kodierverpflichtungen, Dokumentationsverordnungen,<br />
Auskunftsbegehren, Ausfüllen von Anfragen und Verwaltungsar<strong>bei</strong>t nicht zur Ausübung der<br />
Heilkunst in der Lage ist, kann kein guter Arzt und ratgeber mehr sein.<br />
Ich möchte nicht patienten verwalten, sondern behandeln! In diesem sinne sehe ich uns Ärzte<br />
auch nicht als Leistungserbringer, die in Berufsausübungsgemeinschaften kodifizierungsfähige<br />
Beratungsthemen der Gesundheitswirtschaft abar<strong>bei</strong>ten – ich möchte mich weiterhin<br />
dem schicksal der mir anvertrauten Menschen widmen können, ohne <strong>das</strong>s mich der politische<br />
unsinn oder die betriebswirtschaftlichen Vorgaben verbiegen.<br />
Ich sehe unsere rolle weiterhin in einem Gesundheitswesen angesiedelt und nicht in einer<br />
Gesundheitswirtschaft mit Optimierung der Wertschöpfungskette.<br />
Die KV, die KBV, die Ärztekammern, die Berufsverbände, die ärztlichen Bünde, Hartmannbund<br />
und Virchowbund sind da<strong>bei</strong> alle keine unterstützung, wie wir in <strong>den</strong> letzten Monaten gesehen<br />
haben.<br />
Diese können wir nur selbst organisieren und dafür wer<strong>den</strong><br />
die DOXs weiterhin die Basis bieten.<br />
Ihr stefan pollmächer<br />
Dr. stefan pollmächer,<br />
Vorstand <strong>Doxs</strong> eG<br />
3
Von Dr. uwe popert<br />
4<br />
Die Mitglieder der nordhessischen Ärzte- und psychotherapeutengenossenschaft<br />
DOXs eG haben sich<br />
gegen die einführung der neuen Diagnoseverschlüsselung<br />
ausgesprochen. „Wir fordern, <strong>das</strong>s die Ambulanten<br />
Kodierrichtlinien (AKr) nicht in der jetzigen<br />
Form und nicht im geplanten umfang eingeführt<br />
wer<strong>den</strong>“, heißt es in einer resolution, die die außeror<strong>den</strong>tliche<br />
Generalversammlung am 24. November<br />
einstimmig verabschiedet hat. Die Kassenärztliche<br />
Bundesvereinigung (KBV) dürfe die Kodierrichtlinien<br />
nur dann herausgeben, wenn sie auch praxistauglich<br />
seien.<br />
In ihrer jetzigen Form könnten die AKr die Morbidität<br />
der patienten nicht besser abbil<strong>den</strong>, als dies unter<br />
Ich habe aus Neugier mein software-Modul (in DOCcomfort)<br />
für die ambulante Kodierrichtlinie schon in<br />
diesem Quartal scharf geschaltet und die Flüche meines<br />
Kollegen und unserer Mitar<strong>bei</strong>terinnen still ertragen<br />
(danke für die Geduld – rückgängig machen<br />
ging leider nicht mehr!).<br />
Hier meine – vorläufigen – Erfahrungen:<br />
1. Dauerdiagnosen müssen in mehreren schritten<br />
überar<strong>bei</strong>tet wer<strong>den</strong>. Je nach software wird aus dem<br />
pool der bisherigen Dauerdiagnosen eine quartalsweise<br />
Übernahme angeboten. es reicht eben nicht,<br />
einfach alle bisherigen Dauerdiagnosen „in einem<br />
rutsch“ zu übernehmen. sie müssen einzeln überprüft<br />
und ggf. korrigiert wer<strong>den</strong>. Das dauert je Altpatient<br />
im Durchschnitt etwa ein bis zwei Minuten.<br />
Über der probe-Quartalsabrechnung – mit entsprechender<br />
Überprüfungslogik – grübeln meine Mitar<strong>bei</strong>terinnen.<br />
2. Aber <strong>das</strong> ist ja nur der Anfang: Die Kassenärztliche<br />
Bundesvereinigung möchte für einige Diagnosen<br />
Facharztbehandlung zwingend einführen. Das ist<br />
vielleicht für Fachärzte eine nette Zusatzbeschäftigung,<br />
aber erklären sie mal einem patienten, <strong>das</strong>s er<br />
drei Wochen vor Quartalsende eben noch mal schnell<br />
zum Beispiel einen psychiater-Termin braucht, um<br />
die Diagnose zu bestätigen. Hat er die Diagnose<br />
lehnt ambulante<br />
Kodierrichtlinien ab<br />
Generalversammlung verabschiedet Resolution<br />
Verwendung des ICD-10 möglich sei, heißt es in der<br />
resolution. „Im Testlauf in Bayern hat sich gezeigt,<br />
<strong>das</strong>s die Kodierrichtlinien weder im Alltag der Haus-<br />
noch der Fachärzte praktikabel sind, sondern nur<br />
noch mehr Bürokratie verursachen“, sagt DOXs-Vorstand<br />
Dr. stefan pollmächer. Die praxen könnten <strong>den</strong><br />
Aufwand von bis zu fünf Minuten Zeit pro Kodierung<br />
nicht leisten, ohne <strong>das</strong>s er auf Kosten der patientenversorgung<br />
gehe. „Die Kodierrichtlinien umfassen<br />
160 seiten, allein für Diabetes gibt es 150 verschie<strong>den</strong>e<br />
Diagnosen“, kritisiert Dr. pollmächer.<br />
„Wir sen<strong>den</strong> die resolution an andere Ärztenetze,<br />
und Berufsverbände mit dem Appell, sich uns anzuschließen.“<br />
guz<br />
DOXS-Mitglied testet<br />
neue Diagnoseverschlüsselung<br />
Fazit: selbst in gut vorbereiteten praxen ist die umsetzung der<br />
ambulanten Kodierrichtlinie sehr schwierig und zeitaufwendig.<br />
nicht, können sie <strong>das</strong> nötige Medikament leider nicht<br />
verschreiben – stichwort regress!<br />
3. ursprünglich sollte ja nur ein „right-Coding“ für<br />
<strong>den</strong> rsA unterstützt wer<strong>den</strong>. Dafür reichen etwa 150 (!)<br />
Diagnosecodierungen völlig aus. Alles andere ist eine<br />
völlig unnötige und sinnentleerte Bürokratie. Die Zeit<br />
dafür fehlt dann <strong>bei</strong> der patientenbetreuung. Für<br />
etwa 90 % der endstellig verschlüsselten qualitätsgesicherten<br />
Diagnosen interessiert sich kein schwein,<br />
pardon, kein KBV-Mitar<strong>bei</strong>ter.<br />
4. Die „spezifität der Diagnosen“ ist eine Illusion.<br />
Mehrere Forschungsar<strong>bei</strong>ten haben gezeigt, <strong>das</strong>s die<br />
Übereinstimmung zwischen <strong>den</strong> praxen bzw. <strong>den</strong><br />
Versorgungsbereichen marginal ist. Je<strong>den</strong>falls so<br />
schlecht, <strong>das</strong>s statistiker Indexmedikamente zur Validierung<br />
verwen<strong>den</strong>. Oder lieber gleich zusätzliche<br />
erfassungsinstrumente verwen<strong>den</strong>.<br />
Nachtrag nach der Abrechnung:<br />
Wie gesagt, ich hatte ende Juli mal so zum Anschauen<br />
die Kodierrichtlinie in DOCcomfort „scharf“ geschaltet.<br />
Nach dem ersten Chaos wollten wir es rückgängig<br />
machen und wieder ausschalten – ging nicht.<br />
Tägliche Ar<strong>bei</strong>t in der patientenakte <strong>bei</strong>m erstmaligen<br />
Aufrufen eines patienten:<br />
1. Alte Dauerdiagnosen generell bestätigen oder<br />
rauswerfen.
2. Bestätigte Dauerdiagnosen für <strong>das</strong> aktuelle Quartal<br />
noch mal bestätigen.<br />
3. Aktuelle Diagnosen wie bisher zusätzlich eingeben.<br />
4. Bei probeabrechnungen und zum Teil auch schon<br />
während der Diagnoseeingabe einblendung zahlreicher<br />
– vorrangig zu bear<strong>bei</strong>tender – Hinweisfenster auf regelverstöße,<br />
zum Beispiel<br />
• Akutdiagnosen dürfen nicht mit „Z. n.“ verschlüsselt<br />
wer<strong>den</strong> (dafür gibt ein eigenes Kapitel Z in der ICD-<br />
10, welches aber bisher nur dem stationären Bereich<br />
vorbehalten war).<br />
• Doppelcodierungen müssen bereinigt wer<strong>den</strong> (z. B.<br />
nicht Diabetes mit neurologischen Komplikationen +<br />
Diabetes mit nephrologischen Komplikationen, sondern<br />
=> Diabetes mit multiplen Komplikationen verschlüsseln).<br />
• Ein innerer Zusammenhang von Diagnosen muss<br />
dargestellt wer<strong>den</strong>; also nicht „Herzinsuffizienz“ neben<br />
„Hypertonus“, sondern => Herzinsuffizienz <strong>bei</strong><br />
Hypertonus verschlüsseln.<br />
• Codierung für Manifestationen bzw. *Codierungen<br />
dürfen nicht alleine stehen, sondern müssen um eine<br />
zweite Codierung mit Ätiologie ergänzt wer<strong>den</strong>.<br />
• Bindegewebserkrankungen/Rheuma müssen entgegen<br />
<strong>den</strong> Aussagen der allgemeinen ambulanten Kodierrichtlinie<br />
laut der höherwertigen speziellen AKr<br />
in jedem Fall und von allen Ärzten 5-stellig verschlüsselt<br />
wer<strong>den</strong>; d. h. es sind sämtliche befallene regionen<br />
zu verschlüsseln!<br />
• Bei Agranulozytose/Thrombozytopenie sind zusätzliche<br />
ICD-Codes zu verwen<strong>den</strong>.<br />
Das war nur eine kleine Auswahl der Dinge, die wir täglich<br />
beachtet und überprüft haben. Wir haben auch<br />
etwa alle drei Wochen eine probeabrechnung zur I<strong>den</strong>tifizierung<br />
und Bereinigung <strong>durch</strong>geführt. Vor der endgültigen<br />
Abrechnung hatten wir noch 14 seiten Fehlerausdrucke<br />
zu bear<strong>bei</strong>ten. prüfstatus des KBV-prüfmoduls:<br />
„Fehlerhaft. Die geprüfte Datei darf der KV nicht<br />
übergeben wer<strong>den</strong>“. Wir haben es <strong>den</strong>noch zeitgerecht<br />
geschafft. Anschließend habe ich <strong>das</strong> praxisteam zum<br />
essen eingela<strong>den</strong>, um es für die Zusatzar<strong>bei</strong>t und Verzweiflungsanfälle<br />
zu entschädigen. schätzung des Zusatzaufwandes<br />
(<strong>bei</strong> einer Großstadtpraxis mit 1.100<br />
scheinen): – für <strong>den</strong> Arzt je Akut-patient etwa eine Minute;<br />
<strong>bei</strong> Chronikern <strong>durch</strong>schnittlich zwei Minuten<br />
Mehraufwand für die Diagnosen trotz ausgefeilten Kürzelsystems.<br />
Zusätzlicher Aufwand für medizinische<br />
Fachangestellte (grob geschätzt): ebenfalls zusätzlich<br />
eine Minute je patient. Andere praxen, die in Bayern am<br />
pilotversuch teilnahmen, bestätigen die probleme und<br />
auch <strong>den</strong> zusätzlichen Zeitbedarf von etwa 30 Minuten<br />
je Arzt plus 30 Minuten je Mitar<strong>bei</strong>terin pro Ar<strong>bei</strong>tstag)<br />
Mein Fazit:<br />
• Selbst in gut vorbereiteten Praxen war die Umsetzung<br />
der ambulanten Kodierrichtlinie sehr schwierig<br />
und zeitaufwendig.<br />
• Die ambulante Kodierrichtlinie wird – wenn sie so<br />
wie derzeit geplant umgesetzt wer<strong>den</strong> soll – zu einer<br />
Blockierung der meisten praxen führen. praxisschlie-<br />
Kodierrichtlinien und neues Prüfmodul nicht<br />
schon jetzt scharf schalten! Freischaltung kann<br />
nicht mehr rückgängig gemacht wer<strong>den</strong>.<br />
proteste regen sich bundesweit, inzwischen sieht auch die Kassenärztliche<br />
Bundesvereinigung (KBV) <strong>bei</strong> <strong>den</strong> umstrittenen ambulanten<br />
Kodierrichtlinien (AKr) Nachbesserungsbedarf. Doch bislang bleibt<br />
es da<strong>bei</strong>, <strong>das</strong>s die heftig kritisierte neue Diagnoseverschlüsselung ab<br />
dem 1. Januar 2011 gelten soll – und <strong>das</strong>s es eine Übergangsfrist von<br />
sechs Monaten gibt: Nach derzeitigem stand ist die Anwendung der<br />
Kodierrichtlinien erst für die Abrechnung des 3. Quartals 2011 erforderlich.<br />
erst ab 1. Juli 2011 hat <strong>das</strong> Kodieren Wirkung auf die Abrechnung.<br />
„Wer jedoch in seiner praxissoftware schon jetzt die erforderlichen<br />
Funktionen freischaltet, kann diesen schritt nicht mehr rückgängig<br />
machen“, warnt Christoph Claus, Ärztlicher Leiter der DOXs-Akademie,<br />
die im November und Dezember drei gut besuchte Veranstaltungen<br />
zu <strong>den</strong> AKr angeboten hat. Claus rät dringend von einer Aktivierung<br />
der Diagnoseprüfung gemäß der neuen Kodierrichtlinien ab:<br />
„Allein die darin enthaltene Abschaffung der Dauerdiagnosen wird zu<br />
einem chaotischen Jahresanfang führen. Die praxen können aber, falls<br />
die proteste der DOXs eG und der vielen anderen, die sich gegen die<br />
AKr engagieren, erfolglos bleiben, die Aktivierung immer noch im<br />
sommer vornehmen“, so Claus.<br />
Neues Prüfmodul<br />
für die Abrechnung in der Praxis-EDV<br />
warnt:<br />
Der Arzt für Allgemeinmedizin aus Grebenstein weist darauf hin, <strong>das</strong>s<br />
im Quartalsupdate der praxis-eDV zum Jahresende <strong>das</strong> neue prüfmodul<br />
für die Abrechnung integriert ist. „Dieses prüfmodul müsste die<br />
Abrechnung erfolgreich überstehen, damit eine Abrechnungs-CD erstellt<br />
wer<strong>den</strong> kann. es enthält eine prüfung der Diagnoseverschlüsselung<br />
gemäß der neuen allgemeinen Kodierrichtlinien, die einen erheblichen<br />
bürokratischen Aufwand mit sich bringen und viel Zeit<br />
kosten wer<strong>den</strong>“, so Claus. es sei nicht auszuschließen, „<strong>das</strong>s die Installation<br />
des KBV-prüfmoduls auch ohne weitere Nachfrage <strong>bei</strong> der<br />
Installation aktiviert wird“, so Claus.<br />
Die DOXS eG empfiehlt daher folgendes Vorgehen:<br />
• Fragen Sie Ihren Software-Anbieter, ob und wie Sie eine Installation<br />
und/oder Aktivierung des neuen Prüfmoduls und damit der<br />
neuen Kodierrichtlinien verhindern können.<br />
• Lesen Sie <strong>das</strong> Begleitschreiben zum Quartalsupdate besonders<br />
aufmerksam und achten sie auf die schlüsselworte „Abrechnung“,<br />
„prüfmodul“, „Diagnosekodierung“, „AKr“,<br />
„Kodierrichtlinie(n)“.<br />
• Überwachen Sie die Installation des Quartalsupdates persönlich<br />
bzw. führen sie sie selbst <strong>durch</strong>. Lesen sie jedes aufklappende Fenster<br />
während der Installation sorgsam <strong>durch</strong>. guz<br />
5
ANZeIGe<br />
6<br />
ßungen gegen Quartalsende zum „Nachkodieren“<br />
sind unausweichlich.<br />
• Dass nicht nur die KBV-Führung, sondern auch<br />
die KBV-Vertreter mehrheitlich die katastrophalen<br />
ergebnisse des pilottests noch nicht einmal wissen<br />
wollen, ist ein skandal.<br />
• Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Bürokratie;<br />
Bürokratiezeit geht von der Zeit für die<br />
patientenversorgung ab.<br />
• Hausärzte brauchen zur Ar<strong>bei</strong>tserleichterung eine<br />
einfachere und sichere Kodierungsbasis – am<br />
besten ICpC-konform.<br />
Aktuelle Entwicklungen (13.12.2010):<br />
• Das Zentralinstitut (ZI) der KBV ar<strong>bei</strong>tet seit einem<br />
Jahr an genauen Definitionen für die ICD-<br />
10-Dia gnosen. Also z. B. ob eine Arthrose ohne<br />
röntgenbild überhaupt als Arthrose kodiert wer<strong>den</strong><br />
darf. Orientieren will man sich an Diagnostik-Definitionen<br />
aus <strong>den</strong> Leitlinien. Da<strong>bei</strong> wird<br />
allerdings übersehen, <strong>das</strong>s es für Diagnostik meist<br />
nur eine schlechte evi<strong>den</strong>zlage und entsprechend<br />
viel ermessensspielraum gibt – und <strong>das</strong>s die meisten<br />
Leitlinien von Klinikern verfasst wur<strong>den</strong>. Weil<br />
auch die ICD-10 ursprünglich für pathologen<br />
entwickelt wurde, wer<strong>den</strong> patienten in Zukunft<br />
vermutlich so „krankenhausreif“ kodiert.<br />
• Ebenfalls im ZI ar<strong>bei</strong>tet eine Abteilung an einer<br />
verkürzten und vereinfachten Kodierung für Hausärzte,<br />
<strong>den</strong> Notdienst und Fachärzte außerhalb ihres<br />
Kernbereiches. Der Vorsitzende der KBV, Herr<br />
Dr. Köhler, verkündete am 3.12. auf der Vertreterversammlung,<br />
<strong>das</strong>s diese hausärztliche ICD-10-<br />
Kodierung sich an der international erprobten<br />
ICpC-2 orientieren wird und bis zum 1.7. 2011 fertiggestellt<br />
sein soll.<br />
• Eine „Kasseler Kodiergruppe“ (A. Papke, C. Claus,<br />
K. Meyer und u. popert) hat eine solche hausärztliche<br />
Kodiertabelle namens CodA schon seit etwa<br />
zwei Jahren vorbereitet (siehe www.gesundinkassel.<br />
de). Damit lassen sich viele Tücken der AKr entschärfen.<br />
Das ZI ist von dieser Liste sehr angetan –<br />
derzeit aber noch unschlüssig bezüglich einer engeren<br />
Zusammenar<strong>bei</strong>t.<br />
• Die KV Hessen hat am 9.12. beschlossen, vor der<br />
einführung der korrigierten AKr eine praxisnahe<br />
studie zur praktischen umsetzbarkeit <strong>durch</strong> ein<br />
unabhängiges Forschungsinstitut auswerten zu lassen.<br />
Da<strong>bei</strong> soll insbesondere auch der zusätzliche<br />
Zeitbedarf untersucht wer<strong>den</strong> und welche Diagnosen<br />
geändert wur<strong>den</strong>. Diese studie soll voraussichtlich<br />
ab dem 2. Quartal 2011 starten – dazu wer<strong>den</strong><br />
noch teilnehmende praxen gesucht. Ansonsten gilt:<br />
Wer die AKr in der praxis vorher scharf schaltet, ist<br />
selber schuld.
„unangebrachte Konkurrenz<br />
der Krankenhäuser zu Leistungen<br />
der Niedergelassenen“<br />
Brief an Kasseler Kliniken und umfrage zur<br />
Zusammenar<strong>bei</strong>t auf dem Gebiet der Gastroenterologie<br />
Marco Schelle* leidet immer wieder unter Durchfällen. Im Krankenhaus wird unter anderem per Koloskopie<br />
eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung diagnostiziert und eine Therapie mit Cortison empfohlen. Der<br />
23-Jährige verlässt die Klinik und wird von seinem Hausarzt an eine gastroenterologische praxis in Kassel<br />
überwiesen.<br />
Der Facharzt für Innere Medizin berät seinen Kassenpatienten in drei längeren sprechstun<strong>den</strong>sitzungen, ultraschallaufnahmen<br />
des Darmes und Laboruntersuchungen inklusive. Marco schelles Therapie wird auf ein<br />
Immunsupressivum umgestellt. unterdessen erhält der junge Mann aus der Klinik eine einladung zu einer<br />
ambulanten Kontrollkoloskopie und folgt dieser.<br />
Doch der Befund der untersuchung geht lediglich an <strong>den</strong> Hausarzt, nicht an <strong>den</strong> behandeln<strong>den</strong> Fachkollegen.<br />
Auch der Hausarzt erfährt erst <strong>durch</strong> die Information seitens des Krankenhauses, <strong>das</strong>s sein patient dort<br />
zusätzlich untersucht wurde. sowohl er als auch sein Fachkollege halten die untersuchung zu diesem Zeitpunkt<br />
für überflüssig, da die Diagnose bereits gestellt wurde.<br />
Niedergelassene Facharztinternisten in Kassel und umgebung spüren schon seit sommer dieses Jahres eine<br />
zunehmende Ten<strong>den</strong>z, <strong>das</strong>s Krankenhäuser im rahmen des ambulanten Operierens ambulant koloskopieren.<br />
Darauf wies DOXs-Mitglied Dr. Thomas Krause bereits im Juli in <strong>den</strong> DOXs-akut-Newslettern 14 und 15 hin.<br />
Gemeinsam mit Dr. Gero Moog schrieb er im Oktober im Namen des Qualitätsnetzes Gastroenterologie/<br />
Hepatologie region Kassel einen Brief an die Chefärzte und Geschäftsführer der Diakonie-Kliniken, des Klinikums<br />
Kassel, des rotes Kreuz Krankenhauses, des elisabeth-Krankenhauses und des Marienkrankenhauses.<br />
Darin beschrieben sie stellvertretend für die endoskopisch tätigen Kollegen insgesamt die „unangebrachte<br />
Konkurrenz zu dem ambulant von uns erbrachten Angebot an gastroenterologischen Leistungen“ und baten<br />
die Häuser darum, „die bisherige politik zu über<strong>den</strong>ken“, in der Hoffnung auf eine „vernünftige entwicklung<br />
der Versorgungsstrukturen“.<br />
Inzwischen liegen die Antworten der Krankenhäuser vor, doch Moog und Krause sind mit dem echo nicht<br />
zufrie<strong>den</strong>: „Die Kliniken haben uns gesagt, <strong>das</strong>s ihnen die problemlage bewusst sei. Jedoch wür<strong>den</strong> sie nicht<br />
so viele ambulante Koloskopien vornehmen, <strong>das</strong>s es für die niedergelassenen Kollegen gefährlich wer<strong>den</strong><br />
könne“, fassen sie aus ihrer sicht <strong>den</strong> Tenor der Antwortschreiben zusammen. eigenen Beobachtungen zufolge<br />
sehe die realität nämlich anders aus. Die Krankenhäuser stiegen in großem rahmen ins ambulante<br />
Operieren ein, „doch sie bieten nur die technische Leistung“. Aufklärung der patienten, Befundung, Medikation,<br />
ultraschalluntersuchungen, gegebenenfalls sehr teure und komplexe Therapien kämen dann wiederum<br />
auf die niedergelassenen Fachärzte zu – alles im rahmen des regelleistungsvolumens. Die Querfinanzierung<br />
über die ambulante Koloskopie, die extrabudgetär vergütet wird, sei somit nicht möglich.<br />
um dem entgegenzuwirken, appellieren die betroffenen Fachärzte an die anderen DOXs-Mitglieder, besonders<br />
die Hausärzte, ihre patienten für ambulante Koloskopien an Niedergelassene zu überweisen. Wo<strong>bei</strong> es in<br />
Fällen wie dem oben geschilderten schwierig sei, in dem ja auch der Hausarzt nicht wusste, <strong>das</strong>s sein patient<br />
in die Klinik einbestellt wurde. Dennoch setzen Moog und Krause auf die Ar<strong>bei</strong>t Hand in Hand: „Das ist auch<br />
für die patienten besser, wenn man gemeinsam außerhalb der Klinik entscheidet, wie es weitergehen soll.“<br />
Das Qualitätsnetz Gastroenterologie will genau diese Zusammenar<strong>bei</strong>t verbessern. „Wir fragen uns selbstkritisch,<br />
warum patienten teilweise nicht an uns, sondern an Kliniken überwiesen wer<strong>den</strong>.“ Möglicherweise<br />
liege es zum Beispiel an langen Wartezeiten für die patienten. Deshalb soll eine umfrage unter <strong>den</strong> DOXs-<br />
Mitgliedern genau solche Fragen klären. Der Fragebogen liegt dieser Ausgabe <strong>bei</strong>. Ig<br />
* Name von der Redaktion geändert<br />
7
Zehn Gründe, Mitglied <strong>bei</strong><br />
Facharzt für Allgemeinmedizin<br />
in Nordhessen<br />
Einzelpraxis 1.200 Scheine<br />
Mitglieds<strong>bei</strong>trag<br />
12 x 75 € = 900 € pro Jahr<br />
Er möchte als stimmberechtigter Miteigentümer<br />
der DOXS eG die Weichen<br />
für die Ar<strong>bei</strong>t seiner Genossenschaft<br />
stellen. Deshalb nimmt er regelmäßig<br />
an Generalversammlungen teil.<br />
:: Pro or<strong>den</strong>tlicher GV erhält er 75 €<br />
Aufwandsentschädigung.<br />
Er bezieht <strong>bei</strong> der DOXS-Medizintechnik GmbH,<br />
Praxisbedarf im Wert von 150 € pro Monat.<br />
:: Pro Einkauf spart er gegenüber der<br />
etablierten Konkurrenz bis zu 15 %. (ca. 300 € pro Jahr).<br />
Gleichzeitig kommt der Gewinn der<br />
DOXS-Medizintechnik GmbH der DOXS eG zugute.<br />
Er bezieht Sprechstun<strong>den</strong>bedarf und Grippeimpfstoffe<br />
<strong>bei</strong> der DOXS Medizintechnik GmbH.<br />
:: damit generiert er einen nicht unerheblichen Betrag<br />
für die Finanzierung der DOXS eG<br />
Er hat acht medizinische Geräte, die nach dem Medizinproduktegesetz<br />
jährlich gewartet wer<strong>den</strong> müssen.<br />
:: Kosten <strong>bei</strong> der DOXS-Medizintechnik im Schnitt pro Gerät 20 €<br />
Ersparnis pro Gerät gegenüber der regionalen Konkurrenz 15 €.<br />
Er besucht pro Jahr 1 bis 2 zertifizierte Fortbildungen der DOXS-Akademie,<br />
z. B. Hygiene in der Arztpraxis unter fachlicher Leitung des <strong>Gesundheitsamt</strong>es.<br />
:: Die Fortbildungen wür<strong>den</strong> normalerweise mit bis zu 300 € zu Buche schlagen<br />
– für DOXS-Mitglieder und deren Angestellte sind sie kostenlos.
<strong>den</strong> zu wer<strong>den</strong> !<br />
Er entwickelt mit DOXS-Kollegen einen<br />
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Von Irene Graefe<br />
Dr. med. uwe Nießner,<br />
DOXs-Aufsichtsratsmitglied<br />
Dr. med. Klaudia ress,<br />
DOXs-Aufsichtsratsmitglied<br />
10<br />
Migranten als<br />
in der A<br />
Verständigung<br />
mit Dolmetschen,<br />
Hän<strong>den</strong> und Füßen<br />
Ärzte in Kassel und der region<br />
lösen <strong>das</strong> problem unterschiedlich<br />
Von „mit Hän<strong>den</strong> und Füßen geht es schon,<br />
probleme mit der Verständigung gibt es nicht“,<br />
bis „die Betreffen<strong>den</strong> könnten doch wirklich<br />
mal Deutsch lernen, probleme gibt es immer<br />
wieder“, ist alles zu hören, wenn die unterhaltungen<br />
über patienten mit Migrationshintergrund<br />
privat bleiben. schwieriger wird es,<br />
wenn <strong>das</strong> Gesagte auch veröffentlicht wer<strong>den</strong><br />
soll. einige DOXs-Mitglieder gewährten einblick<br />
in ihren Ar<strong>bei</strong>tsalltag mit patienten, deren<br />
Muttersprache nicht Deutsch ist.<br />
Dr. med. uwe Nießner (48), DOXs-Aufsichtsratsmitglied, ist enttäuscht. Der hausärztlich tätige Internist<br />
hatte gehofft, die jüngsten Leitlinien zur endoskopie wür<strong>den</strong> auch darauf eingehen, wie die<br />
Aufklärung eines patienten sicherzustellen ist, wenn dieser nicht genügend Deutsch versteht, „doch<br />
es ist nichts erwähnt, <strong>das</strong> Thema findet nicht statt“. Tatsächlich sind <strong>bei</strong>spielsweise auf der Internetseite<br />
der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und stoffwechselkrankheiten eine ausführliche Abhandlung<br />
zur patientenaufklärung und eine einverständniserklärung zu fin<strong>den</strong>. Zu möglichen sprachlichen<br />
problemen ist dort jedoch nichts gesagt.<br />
Nießner und sein praxiskollege in Lohfel<strong>den</strong> behelfen sich wie die meisten: „Der patient bringt einen<br />
Dolmetscher aus der Familie oder dem Bekanntenkreis mit.“ Doch Nießner kann im regelfall nicht<br />
kontrollieren, ob alles richtig übersetzt wurde und er seiner Aufklärungspflicht damit nachkommen<br />
konnte (juristische Aspekte des Themas: siehe seite 24 ff. Tatsächlich sei es in seltenen Fällen vorgekommen,<br />
„<strong>das</strong>s wir einen eingriff nicht vorgenommen haben, weil wir nieman<strong>den</strong> zum Dolmetschen<br />
fin<strong>den</strong> konnten“. Gehe es um weniger schwerwiegende Gespräche, dann baue in vielen Fällen die<br />
türkischstämmige Arzthelferin die Brücke. Bei russisch oder polnisch sprechen<strong>den</strong> patienten gebe es<br />
meist jeman<strong>den</strong> in der Familie, der übersetzen könne. ein restunwohlsein bleibt <strong>bei</strong> Nießner, „<strong>den</strong>n<br />
manchmal kann es wirklich der Arzt am besten erklären“.<br />
Vor der Aufgabe, sich mit patienten aus vieler Herren Länder zu verständigen, steht auch Dr. med.<br />
Klaudia ress (53), DOXs-Aufsichtsratsmitglied, in ihrer Allgemeinarztpraxis in Hessisch Lichtenau.<br />
„Wenn wir selbst offen für unser Gegenüber sind, läuft es. Ich halte es für total übertrieben zu sagen,<br />
<strong>das</strong>s man nichtdeutsche Muttersprachler nicht verstehe, nicht verstehen könne.“ Noch immer habe<br />
es einen Weg gegeben, sich zu verständigen. sei es mit Hän<strong>den</strong> und Füßen, sei es im Falle polnischer<br />
Leihar<strong>bei</strong>ter über <strong>den</strong> Dolmetscher des Ar<strong>bei</strong>tgebers, sei es mithilfe von Familienangehörigen, Bekannten<br />
oder ihrer eriträischen Arzthelferin selam Tesfay (siehe „Mittlerin zwischen <strong>den</strong> Welten“, s. 13). Die
Patienten<br />
rztpraxis<br />
Foto: Allianz<br />
28-Jährige spricht mit manchen patienten schon vor der untersuchung<br />
über deren Beschwer<strong>den</strong> und berichtet der Ärztin, was sie<br />
erzählt bekam. Das erleichtert in vielen Fällen die Kommunikation.<br />
Die medizinische Fachkraft kann sich gut in die Menschen hineinversetzen,<br />
die sich zunächst fremd fühlen. Mit ihren Arabischkenntnissen<br />
und ihrem Wissen um die anders geartete Kultur<br />
kann Tesfay die ein oder andere Hürde umschiffen. „Manchmal<br />
reicht auch ein Lächeln“, sagt sie. sie selbst hat viel ehrgeiz daran<br />
gesetzt, Deutsch zu lernen, und spricht mit ihren Kindern bewusst<br />
Deutsch. „sprache und Bildung sind wichtig“, weiß sie<br />
und erinnert sich an eine patientin: Diese war aus der Türkei nach<br />
Deutschland verheiratet wor<strong>den</strong> und hatte bald darauf einen<br />
sohn geboren. Der ehemann dolmetschte in der Arztpraxis und<br />
die Frau schien sich zu ärgern. ress und Tesfay ermunterten sie,<br />
Deutsch zu lernen. Heute spricht sie auch zu Hause mit ihren<br />
Kindern Deutsch und wickelt Arztbesuche alleine ab.<br />
ress, die als Notärztin viel herumkommt, sieht es für sich als positiven<br />
Lernprozess, mit anderen Kulturen in Berührung zu kommen.<br />
„Ich erfahre viel über die türkische Kultur, werde eingela<strong>den</strong>,<br />
einfach toll.“ Mit dem Imam der Moschee, die von ihrer<br />
praxis aus gleich um die ecke liegt, hat sie schon über scheidung<br />
und anderes diskutiert. Im urlaub fährt sie gerne in die Türkei und<br />
Jeder Dritte in Kassel<br />
ist zugewandert<br />
Jeder fünfte einwohner in Deutschland hat ausländische<br />
Wurzeln. Das sind rund 15 Millionen Menschen, die auch<br />
die Angebote des Gesundheitswesens in Anspruch nehmen.<br />
seit 2005 ist der Begriff „Menschen mit Migrationshintergrund“<br />
in <strong>den</strong> hiesigen sprachgebrauch eingesickert.<br />
Das statistische Bundesamt richtete in seinem Mikrozensus<br />
(Befragungen von einem prozent der Gesamtbevölkerung)<br />
diese Kategorie ein. Gemeint sind damit<br />
neben in Deutschland leben<strong>den</strong> Ausländern eingebürgerte<br />
und deren Kinder, spätaussiedler und Kinder aus binationalen<br />
ehen. Wenn von Menschen mit Migrationshintergrund<br />
die rede ist, wer<strong>den</strong> darunter meist die Menschen,<br />
die selbst eingewandert sind, sowie deren Kinder<br />
und enkel – also die zweite und dritte Generation – gefasst.<br />
Die am stärksten vertretene Gruppe ausländischer staatsangehöriger<br />
in Deutschland sind 1,8 Millionen Menschen<br />
mit türkischem pass, gefolgt von 541.000 Italienern. Neben<br />
staatsangehörigen aus <strong>den</strong> klassischen Gastar<strong>bei</strong>ter-<br />
Anwerbeländern wie Griechenland, spanien, portugal<br />
und <strong>den</strong> Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien<br />
gehören Zuwanderer aus polen, der russischen Föderation<br />
und der ukraine zu <strong>den</strong> größten Gruppen. Aussiedler,<br />
die einen deutschen pass haben, sind hier nicht mitgezählt.<br />
Ähnlich spiegeln sich die Verhältnisse in der Kasseler Bevölkerung<br />
wider (stand Dezember 2009). Von <strong>den</strong> insgesamt<br />
192.241 einwohnern ist etwa jeder Dritte zugewandert.<br />
Knapp 13 prozent der einwohner haben einen ausländischen<br />
pass: 8.437 haben die türkische staatsangehörigkeit,<br />
2.996 Menschen kommen aus <strong>den</strong> staaten des<br />
ehemaligen Jugoslawien, 1.630 aus der ehemaligen sowjetunion,<br />
1.266 aus Italien, 1.185 aus polen. ig<br />
11
12<br />
sie erlebe dort ein Land, <strong>das</strong> moderner ist als <strong>das</strong>, was etliche Türken in Deutschland<br />
repräsentierten.<br />
Für ein modernes, westliches Menschenbild steht auch Dr. med. Hayal Kaygin, Kinderärztin<br />
im Medizinischen Versorgungszentrum MeDIKuM in Kassel (Mitglied <strong>bei</strong> DOXs).<br />
sie ist mit ihrer Zwillingsschwester und Ihrem Bruder in Tübingen aufgewachsen. „Ich<br />
wollte für mich möglichst viel selbstständigkeit und habe mir früh überlegt, wie ich<br />
dahin komme“, erzählt sie. Der Weg bis zur Zulassung zum Medizinstudium war langwierig.<br />
Kaygin machte während ihrer Wartezeit eine Ausbildung zur medizinisch-technischen<br />
Laborassistentin und studierte Chemie. Heute ist die 42-Jährige mit Leib und<br />
seele Kinderärztin. sie sieht sich ein wenig als Vorbild: „schulkinder und junge Kinder<br />
versuche ich zu motivieren und erkläre ihnen, <strong>das</strong>s schule und Berufsausbildung sehr,<br />
sehr wichtig sind“, und sie freut sich, „<strong>das</strong>s man <strong>bei</strong> ihnen noch etwas formen kann“.<br />
Grundsätzlich spricht Kaygin türkische patienten und ihre eltern auf Deutsch an, „doch<br />
wenn ich <strong>das</strong> Gefühl habe, die Mutter möchte Türkisch mit mir sprechen, mache ich<br />
<strong>das</strong>“. eigentlich müsse sie die Betreffen<strong>den</strong> anregen, Deutsch zu lernen. Doch es sei ihr<br />
eben auch wichtig, <strong>das</strong>s sich Kinder und eltern von ihr verstan<strong>den</strong> fühlen und <strong>das</strong>s sie<br />
verstan<strong>den</strong> wird, „da ist es für mich und für meine patienten von Vorteil, <strong>das</strong>s ich zweisprachig<br />
bin“.<br />
Das sieht auch Dr. päd. Menekse Gün so, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin im<br />
MeDIKuM. sie ist in Deutschland geboren und wuchs mit vier Geschwistern im ruhrgebiet<br />
auf. sie studierte und promovierte in erziehungswissenschaften in Dortmund,<br />
war ein Jahr für Feldforschung auf dem Gebiet der psychiatrie in Istanbul. „es erleichtert<br />
die Therapie, wenn ich mein Gegenüber verstehe“, sagt die 34-Jährige. selbst Menschen,<br />
die gut Deutsch könnten, seien froh, sich <strong>bei</strong> ihr in der Muttersprache aussprechen<br />
zu können. Den Anspruch, jeder und jede solle Deutsch lernen, wenn er in der<br />
Bundesrepublik lebe, hält sie nicht in jedem Fall für realistisch: „Man muss sich die situation<br />
vorstellen: Junge Frauen aus der Türkei, die hier schnell nach der Hochzeit, Mutter<br />
wer<strong>den</strong>, haben kaum Zeit Deutsch zu lernen. Möglicherweise besteht auch <strong>das</strong> Bedürfnis<br />
danach gar nicht so.“<br />
Kultur und religion des Herkunftslandes<br />
bil<strong>den</strong> in Güns Augen keine einschränkung,<br />
sondern geben Orientierung<br />
und richtlinien. Allerdings müsse<br />
in der Kindererziehung klar getrennt<br />
wer<strong>den</strong>: „entweder ganz deutsch aufziehen<br />
oder türkisch und dann die unterschiede<br />
deutlich machen“. ein<br />
Mischmasch der Kulturen könne gerade<br />
in der pubertät zu I<strong>den</strong>titätsproblemen<br />
führen. Mädchen oder Jungen<br />
grenzten sich eventuell bewusst mit der<br />
Haltung „ich bin Türke, ich bin Türkin<br />
in Deutschland“ ab. Türkische Heranwachsende<br />
in Nordhessen fan<strong>den</strong> keine<br />
türkischsprachige psychotherapeutin,<br />
bevor Gün im MeDIKuM zu ar<strong>bei</strong>ten<br />
begann. „Die jungen Menschen<br />
und ihre eltern sind froh, <strong>das</strong>s sie mir<br />
viele Dinge aus unserer Kultur nicht erklären müssen. Das sagen sie mir immer wieder“,<br />
berichtet die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin und sie vermutet, „deutsche Kollegen<br />
machen vielleicht aus unwissenheit hier manchmal Fehler“.
Mittlerin<br />
zwischen<br />
<strong>den</strong> Welten<br />
Die medizinische Fachangestellte<br />
selam Tesfay aus eritrea<br />
übersetzt für ihre deutsche Chefin<br />
Mit 15 Jahren kam sie allein aus eritrea zu ihren Cousins<br />
nach Kassel. Alles war fremd, <strong>den</strong>n bis dahin war<br />
sie <strong>bei</strong> der Großmutter in Nordostafrika aufgewachsen.<br />
Mit dem Tod der Oma änderte sich 1997 <strong>das</strong><br />
Leben für <strong>das</strong> junge Mädchen grundlegend, doch selam<br />
Tesfay biss sich <strong>durch</strong>. sie schaffte Haupt- und<br />
realschule, wurde früh Mutter. Heute ist die 28-Jährige<br />
stolz auf sich und ihre drei Töchter (11, 9 und 7).<br />
Da<strong>bei</strong> war es immer wieder sehr schwierig, etwa <strong>bei</strong><br />
der suche nach einem Ar<strong>bei</strong>tsplatz in Kassel: „Wenn<br />
ich erzählte, <strong>das</strong>s ich drei Kinder habe, dann war es<br />
vor<strong>bei</strong>“, erinnert sich Tesfay.<br />
Die junge Frau entschied sich, ins umland zu ziehen,<br />
und begann 2006 <strong>bei</strong> der Berufs- und Jugendhilfe<br />
(BJH) in eschwege eine kooperative Ausbildung. „Die<br />
schule half mir zunächst, ein für mich geeignetes Berufsziel<br />
zu fin<strong>den</strong>, und vermittelte mich dann hier in<br />
die Arztpraxis in Hessisch Lichtenau“, berichtet sie.<br />
Dr. med. Klaudia ress gibt zu: „ein bisschen mulmig<br />
war mir auch, als ich hörte, <strong>das</strong>s selam drei Kinder<br />
hat. Ohne die unterstützung des programms BJH<br />
und Zukunftplus hätte ich es nicht gewagt.“ Zum einen<br />
war über <strong>das</strong> programm geregelt, <strong>das</strong>s die <strong>bei</strong><strong>den</strong><br />
jederzeit wieder auseinandergehen konnten,<br />
wenn die Chemie nicht gestimmt hätte. Zum anderen<br />
zahlte die Agentur für Ar<strong>bei</strong>t die Ausbildungsvergütung.<br />
Die jüngste Tochter Tesfays wurde zu Ausbildungsbeginn<br />
von einer Tagesmutter versorgt, die <strong>bei</strong><strong>den</strong><br />
anderen Töchter gingen in <strong>den</strong> Kindergarten.<br />
schnell wurde klar, selam Tesfay ist ein Glücksfall für<br />
<strong>das</strong> siebenköpfige Team der Allgemeinarztpraxis in<br />
Hessisch Lichtenau. sie spricht etwas Arabisch und<br />
kann da<strong>durch</strong> gut zwischen der deutschen Ärztin und<br />
<strong>den</strong> arabischen oder auch türkischen patienten vermitteln.<br />
„Für mich ist es egal, welcher Nationalität<br />
oder welchen Glaubens andere Menschen sind, es<br />
kommt doch darauf an, wie ich ihnen gegenübertrete“,<br />
erklärt Tesfay. Die dunklen Augen funkeln selbstsicher<br />
in ihrem dunkelhäutigen Gesicht. War sie anfangs<br />
noch etwas schüchtern und traute sich nicht,<br />
ans Telefon zu gehen, so ist <strong>das</strong> inzwischen anders.<br />
Viele patienten vermissen sie geradezu, wenn die medizinische<br />
Fachangestellte mal nicht da ist.<br />
etwas steinig blieb der Weg bis zum erfolgreichen<br />
Ausbildungsabschluss <strong>den</strong>noch. „Tagsüber Ar<strong>bei</strong>t<br />
und Kinder, abends lernen. Manchmal dachte ich,<br />
ich schaffe es nicht“, erinnert sich selam Tesfay. Zwischen<strong>durch</strong><br />
war plötzlich die Betreuung für die inzwischen<br />
zur schule gehen<strong>den</strong> Kinder nach schulschluss<br />
nicht mehr sichergestellt. Daraufhin legte Klaudia<br />
ress an entschei<strong>den</strong>der stelle ein Wort für ihre Auszubil<strong>den</strong>de<br />
ein. Dann lief im November 2009 die finanzielle<br />
Förderung für die Ausbildung noch vor <strong>den</strong><br />
prüfungsterminen aus. Die „Chefin“, wie Tesfay ihre<br />
Ar<strong>bei</strong>tgeberin liebevoll anspricht, fand eine Lösung:<br />
sie beschäftigte die junge Frau als Hilfskraft. Im Januar<br />
und Februar 2010 schließlich machte Tesfay ihren Abschluss<br />
und hat seit März eine halbe stelle <strong>bei</strong> ress.<br />
Vormittags und dienstagnachmittags ar<strong>bei</strong>tet die<br />
dreifache Mutter in der praxis. „Das funktioniert sehr<br />
gut, meine Kinder sind sehr selbstständig“, freut sie<br />
sich. Die „Große“ geht inzwischen aufs Gymnasium.<br />
„Die Kinder sind hier geboren und wer<strong>den</strong> hier leben“,<br />
erzählt selam Tesfay weiter. Zunächst sprach<br />
sie mit <strong>den</strong> Kindern ausschließlich Deutsch, heute<br />
auch eriträisch, damit sie die Kultur ihrer Mutter kennenlernen.<br />
Klaudia ress bewundert <strong>den</strong> Durchhaltewillen<br />
und die Zuverlässigkeit ihrer Mitar<strong>bei</strong>terin.<br />
„Fehlzeiten gab und gibt es <strong>bei</strong> ihr so gut wie gar<br />
nicht“, lobt sie. Jederzeit würde sie wieder einem jungen<br />
Menschen mit fremdländischen Wurzeln eine<br />
Chance geben. „Das ist eine Bereicherung für die<br />
praxis. Ich kann Kollegen nur ermuntern, <strong>das</strong> zu wagen.“<br />
Neulich war ein 15-jähriger Türke als schulpraktikant<br />
in ress’ praxis. Vielleicht wird auch er hier<br />
später eine Ausbildung zum medizinischen Fachangestellten<br />
machen. selam Tesfay fände <strong>das</strong> klasse.<br />
Irene Graefe<br />
Foto: Graefe<br />
13
14<br />
Foto: Allianz
MeDIKuM: Türkischsprachige<br />
expertinnen für Kindern<br />
„Wir nehmen die fachübergreifende Versorgung unserer patienten sehr ernst“, sagt Claus<br />
eßmann, Verwaltungsleiter des Medizinischen Versorgungszentrums MeDIKuM in Kassel,<br />
als Ganzes Mitglied <strong>bei</strong> der DOXs eG. Das Team aus 20 Ärzten und 52 Mitar<strong>bei</strong>tern bietet<br />
eine Betreuung in zehn verschie<strong>den</strong>en medizinischen Fachbereichen an: Innere Medizin,<br />
pädiatrie, Kinder- und Jugendpsychotherapie, Gynäkologie, HNO- und Augenheilkunde,<br />
Dermatologie, Gastroenterologie, Orthopädie und psychotherapie.<br />
unter <strong>den</strong> patienten mit ausländischer Herkunft bil<strong>den</strong> im MeDIKuM türkisch- und russischsprachige<br />
die größten Gruppen. einige der medizinischen Fachangestellten sprechen Türkisch<br />
oder russisch, einer der HNO-Ärzte spricht Arabisch. seit Jüngstem wird <strong>das</strong> Team von<br />
zwei türkischstämmigen expertinnen verstärkt, einer Kinderärztin und einer Kinder- und<br />
Jugendpsychotherapeutin. „es passt gut, <strong>das</strong>s wir unseren patienten <strong>das</strong> anbieten können,<br />
aber wir gehen damit nicht offensiv an die Öffentlichkeit. es spricht sich ohnehin herum“,<br />
so eßmann. Die Zahl der jungen patienten <strong>bei</strong> Kinderärztin Dr. med. Hayal Kaygin und <strong>bei</strong><br />
der Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Dr. päd. Menekse Gün habe deutlich zugenommen.<br />
Gün sei die einzige türkischsprachige expertin ihres Faches in Nordhessen. Der Verwaltungsleiter<br />
hofft, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> MeDIKuM für sie eine sonderbedarfszulassung erreichen kann. Die<br />
Kinder- und Jugendpsychotherapeutin ar<strong>bei</strong>tet seit Mitte september im MeDIKuM „und<br />
der Bedarf ist eindeutig da“. Ohnehin ist eßmann unzufrie<strong>den</strong> über die Bedingungen, unter<br />
<strong>den</strong>en <strong>das</strong> MeDIKuM Ärzte und Ärztinnen einstellen kann. Das Verfahren über die Kassenärztliche<br />
Vereinigung ist ihm zu unflexibel: „Über die Zulassung wird nur quartalsweise<br />
entschie<strong>den</strong>. sechs Wochen vor der entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> sitzung müssen die unterlagen eingereicht<br />
wer<strong>den</strong>.“ Da kämen schnell viereinhalb Monate Wartezeit zusammen. In der praxis<br />
bedeute <strong>das</strong>, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> MeDIKuM die Mediziner einstelle, sie auch entlohne, ihre Leistungen<br />
jedoch nicht über die KV abrechnen könne.<br />
seit der Gründung des MeDIKuMs 2006 habe sich die Zusammenar<strong>bei</strong>t mit <strong>den</strong> niedergelassenen<br />
Kollegen und medizinischen einrichtungen in Kassel stetig entwickelt. „Wir sind<br />
daran interessiert, im sinne der patienten zusammenzuwirken“, betont eßmann, <strong>das</strong> gelte<br />
auch, wenn es sprachliche probleme zu lösen gebe. ig<br />
MeDIKuM MVZ GmbH<br />
Kurfürstenstraße 10-12, 34117 Kassel<br />
0561 766400, www.medikum-kassel.de<br />
Dr. päd. Menekse Gün, Kinder-<br />
und Jugendpsychotherapeutin (links),<br />
und Dr. med. Hayal Kaygin, Kinderärztin<br />
(rechts), ar<strong>bei</strong>ten im MeDIKuM Hand in<br />
Hand und nutzen ihre Zweisprachigkeit.<br />
Foto: Graefe<br />
15
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„Ich habe mir <strong>den</strong> Kopf erkältet“: Wenn ein<br />
türkischstämmiger patient <strong>das</strong> zu einem deutschen Arzt<br />
sagt, wird dieser vermutlich auf erkältung oder Ähnliches<br />
tippen. Doch sein Gegenüber meint etwas anderes: „Ich<br />
drehe <strong>durch</strong>“ oder „ich werde verrückt“. Andere Kulturen<br />
gehen mit Krankheit anders um, werten symptome anders,<br />
fin<strong>den</strong> andere Bilder für ihre Krankheit. Hinzu kommen<br />
Migrationserfahrungen wie entwurzelung, Ausgrenzung<br />
oder sehnsucht nach der Heimat. Das alles kann zu<br />
Missverständnissen, ja Fehldiagnosen führen.<br />
Grundsätzlich unterscheidet sich <strong>das</strong> Krankheitsspektrum<br />
von Menschen mit Migrationshintergrund kaum von dem<br />
der Mehrheitsbevölkerung. Die einwanderung als solche<br />
macht nicht krank. Vielmehr sind es die Lebens- und Ar<strong>bei</strong>tsbedingungen,<br />
die zu Krankheit führen. Insgesamt ist<br />
die sehr heterogene Gruppe der Migranten von <strong>den</strong> gleichen<br />
Krankheiten betroffen wie die vergleichbare deutsche<br />
Mein<br />
Nabel<br />
fällt<br />
Andere Länder<br />
andere<br />
symptombeschreibungen<br />
Bevölkerung: erkrankungen des Bewegungsapparates, des<br />
Herz-Kreislauf-systems, der Atemwege, Diabetes. erhöhte<br />
risiken bestehen laut Gesundheitsberichterstattung des<br />
Bundes für säuglingssterblichkeit, Tuberkulose und andere<br />
Infektionskrankheiten sowie psychosoziale Belastungen<br />
<strong>durch</strong> Trennung von der Familie, Frem<strong>den</strong>feindlichkeit<br />
oder politische Verfolgung und Folter.<br />
Türkische Vorstellung von Krankheit<br />
Kinderarzt- und Frauenarztpraxen, gefolgt von allgemeinärztlichen<br />
praxen sind die von ausländischen patienten<br />
am häufigsten aufgesuchten. Wenn es dann dort seitens<br />
türkischstämmiger Menschen heißt, „ich bin alles<br />
krank“ oder „mein Kind ist ganz krank“, hat <strong>das</strong> mit der<br />
Auffassung zu tun, <strong>das</strong>s Körper, symptome und Krankheit<br />
nicht voneinander zu trennen sind: Man ist entweder<br />
ganz krank oder ganz gesund. Deshalb wer<strong>den</strong> Vorsorgeuntersuchungen<br />
und Impfungen seltener in Anspruch genommen<br />
– man ist ja gesund.<br />
Wenn es etwa darum geht, schmerzen zu lokalisieren,<br />
dann fällt türkischstämmigen patienten dies außeror<strong>den</strong>tlich<br />
schwer oder ist ihnen überhaupt nicht möglich. Da<br />
Körper und seele nicht als etwas Getrenntes empfun<strong>den</strong><br />
wer<strong>den</strong>, wer<strong>den</strong> <strong>bei</strong>spielsweise Depressionen als chroni-<br />
sche schmerzen erlebt. Immer noch wer<strong>den</strong> Depressionen<br />
auch häufig mit „geisteskrank“ gleichgesetzt. Bis<br />
heute ist für türkische patienten die Vorstellung, <strong>das</strong>s Organe<br />
„fallen“ gängig: Weil ein Organ verrutscht ist, treten<br />
Beschwer<strong>den</strong> auf. Leber und Lunge sind zudem oft mit<br />
schmerzen, Krankheit oder Trauer konotiert. „Mein Nabel<br />
fällt“ bedeutet so viel wie „ich habe mein inneres Gleichgewicht<br />
verloren“.<br />
Der böse Blick spielt <strong>bei</strong> vielen noch immer eine rolle:<br />
säuglinge und Kleinkinder sollen davor geschützt wer<strong>den</strong>.<br />
Deshalb sollen sie kein sonnenlicht sehen oder wer<strong>den</strong><br />
nicht zu Vorsorgeuntersuchungen gebracht, <strong>den</strong>n<br />
dort wür<strong>den</strong> sie eventuell komplett entkleidet. Türkische<br />
Frauen trauen sich oft aus einem hohen schamgefühl<br />
nicht zum Arzt und besonders junge Frauen haben sorge,<br />
<strong>das</strong>s <strong>bei</strong> der vaginalen untersuchung <strong>bei</strong>m Frauenarzt ihr<br />
Hymen zerstört würde.<br />
Aussiedler suchen Respektsperson<br />
Ganz andere Missverständnisse kann es zwischen einheimischen<br />
Ärzten und Aussiedlern aus der ehemaligen sowjetunion<br />
geben. ein Arzt ist eine respektsperson, die<br />
gleichzeitig sehr persönlich auf ihre patienten zugeht. Da<br />
russische Ärzte häufig schlecht bezahlt wer<strong>den</strong>, wer<strong>den</strong><br />
ihnen Geschenke oder Geld zugesteckt. Lehnt ein deutscher<br />
Mediziner ein solches Geschenk ab, wird <strong>das</strong> als Ablehnung<br />
verstan<strong>den</strong>. Offene Aufklärungsgespräche sind<br />
eher unüblich, schwerstkranke wer<strong>den</strong>, um sie zu schonen,<br />
nicht umfassend über ihren Zustand in Kenntnis gesetzt.<br />
russische Aussiedler empfin<strong>den</strong> diese Offenheit als<br />
indiskret oder wenig menschlich. Die Benutzung technischer<br />
Geräte wird eher als Versagen der Ärzte <strong>den</strong>n als<br />
Fortschritt interpretiert.<br />
Wissen Ärzte hierzulande um mögliche kulturell bedingte<br />
Missverständnisse oder ahnen, <strong>das</strong>s sie in einer bestimmten<br />
situation die Aussage ihres patienten gerade fehlinterpretieren<br />
könnten, können sie anders reagieren. Nachfragen,<br />
Hilfe von bilingualen Kollegen oder personal einzuholen<br />
mindert möglicherweise die Gefahr, „sich <strong>den</strong> Kopf<br />
zu erkälten“. Irene Graefe<br />
17
18<br />
Dolmetscherdienste:<br />
Bislang keine einheitliche Lösung<br />
Für staatsministerin Maria Böhmer, Bundesbeauftragte<br />
für Migration, Flüchtlinge und Integration,<br />
gehört es zur Bringschuld des medizinischen Versorgungssystems,<br />
in Kliniken und Arztpraxen professionelle<br />
Dolmetscher einzusetzen. Das sagte sie im Mai<br />
dieses Jahres auf der zweiten Jahrestagung des Deutschen<br />
ethikrates zum Thema „Migration und Gesundheit“<br />
in Berlin. Böhmer spricht sich dafür aus, die<br />
Dolmetscherdienste in <strong>den</strong> Leistungskatalog der gesetzlichen<br />
Krankenkassen aufzunehmen. Dem schließt<br />
sich der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer<br />
an. er schlägt vor, sich am Modell für Gebär<strong>den</strong>sprachdolmetscher<br />
zu orientieren – deren Dienste<br />
wer<strong>den</strong> von <strong>den</strong> Krankenkassen übernommen.<br />
Doch noch ist eine flächendeckende umsetzung dieser<br />
Vorstellungen nicht in sicht. es gibt lediglich einzelne<br />
Modelle. Das ethnomedizinische Zentrum in<br />
Hannover bietet für Niedersachsen im Großraum<br />
Hannover Dolmetscherdienste in 50 sprachen an.<br />
Die stadt Hannover übernimmt für ihren Bereich seit<br />
2010 sogar die Kosten für diese Dienstleistung. Dr.<br />
med. ramazan salman, Gründer und Leiter des Zentrums,<br />
fordert staatlich finanzierte Dolmetscherzentren<br />
in ganz Deutschland. In Berlin gibt es einen gemeinnützigen<br />
Gemeindedolmetscherdienst, der sowohl<br />
im medizinischen Bereich als auch in anderen<br />
Bereichen wie schule und Kindererziehung seine<br />
Dienste anbietet.<br />
Zweiprachiges Personal ist kultursensibel<br />
Dr. med. Yasar Bilgin, Vorsitzender der Türkisch-Deutschen<br />
Gesundheitsstiftung in Gießen, engagiert sich<br />
hingegen für <strong>den</strong> einsatz bilingualer Ärzte und pflegekräfte.<br />
Dies sei zum einen aus Grün<strong>den</strong> des Datenschutzes<br />
und der schweigepflicht die bessere Lösung gegen-<br />
über dem einsatz von Gesundheitslotsen oder Dolmetschern.<br />
Zum anderen verstehen die muttersprachlichen<br />
Mediziner und pflegekräfte die kulturell bedingt unterschiedlichen<br />
symptombeschreibungen. Wenn ein türkischer<br />
patient sage, „mir ist <strong>das</strong> Blut eingefroren“, könne<br />
ein deutscher Kollege dieses Bild nicht übersetzen und<br />
auf die mögliche Diagnose Angina pectoris kommen<br />
(siehe Artikel „Mein Nabel fällt“).<br />
Nicht immer geht es darum, <strong>das</strong>s Migranten die<br />
sprache ihres einwanderungslandes nicht beherrschten.<br />
Dennoch sind emotional besetzte Themen oft in<br />
der Muttersprache besser an- und auszusprechen.<br />
Nicht zuletzt deshalb fordert auch der Berufsverband<br />
Deutscher psychologinnen und psychologen (BDG)<br />
mehr muttersprachliche, kultur- und gendersensible<br />
Behandlung. „psychotherapie ist ohne <strong>das</strong> Medium<br />
sprache nicht möglich“, sagte die BDG-Menschenrechtsbeauftragte,<br />
eva van Keuk, im Mai 2010 als reaktion<br />
auf ein urteil des Bundessozialgerichtes, <strong>das</strong><br />
<strong>den</strong> Anspruch auf muttersprachliche Therapie zurückwies.<br />
Sonderbedarf an<br />
muttersprachlichen Therapeuten<br />
Gleiches äußerte im Oktober dieses Jahres der präsi<strong>den</strong>t<br />
der Bundespsychotherapeutenkammer (BptK),<br />
prof. Dr. rainer richter: „es fehlt an spezifischen Informationen<br />
für Migranten, an interkultureller Kompetenz<br />
und auch an psychotherapie in der Muttersprache.“<br />
Aus sicht der BptK besteht ein lokaler sonderbedarf,<br />
wenn mehr als zehn prozent der Bevölkerung<br />
einer bestimmten Migrantengruppe angehören.<br />
Danach errechne sich <strong>bei</strong>spielsweise für Berlin ein<br />
sonderbedarf von sieben psychotherapeuten, die in<br />
türkischer sprache behandeln.
Dass solche Angebote intensiv angenommen wer<strong>den</strong>,<br />
beschreiben Michael Knipper und Bilgin in ihrer<br />
studie „Migartion und Gesundheit“: An der psychosomatischen<br />
universitätsklinik sei die Zahl türkischstämmiger<br />
patienten um <strong>das</strong> Zehnfache gestiegen,<br />
nachdem dort eine Ärztin mit türkischer Muttersprache<br />
angestellt wor<strong>den</strong> war: „Diese entwicklung basierte<br />
nicht etwa auf einer plötzlich angestiegenen<br />
Inzi<strong>den</strong>z der erkrankungen, sondern auf der Verfügbarkeit<br />
des therapeutischen Angebots.“<br />
In Gießen haben sich universitätsmediziner schon<br />
lange speziell mit der Behandlung von Migranten befasst.<br />
Mitte der 1980er-Jahre wurde dort eine Migrantenambulanz<br />
gegründet, die inzwischen eine eigene<br />
Abteilung der Medizinischen Klinik III und poliklinik<br />
(Leitung prof. Dr. med. Dr. h.c. reinhard G.<br />
Bretzel) ist. Zwischen 1.000 und 2.000 patienten<br />
kommen jährlich aus dem gesamten Bundesgebiet<br />
nach Mittelhessen, um sich dort behandeln zu lassen.<br />
Die Mitar<strong>bei</strong>ter sprechen über zehn sprachen, darunter<br />
Türkisch und Arabisch.<br />
Kassenzulassungen für<br />
zweisprachige Ärzte<br />
Im niedergelassenen Bereich lässt sich ein derart gezieltes<br />
Angebot kaum machen. Im Nachbarbundesland<br />
Nordrhein-Westfalen starteten niedergelassene<br />
Ärzte jedoch ein eigenes projekt. Die Qualitätsge-<br />
ANZeIGe<br />
RÜCKEN?<br />
meinschaft praxisnetz Gelsenkirchen sammelte <strong>das</strong><br />
Know-how innerhalb der Gemeinschaft und bietet<br />
seit 2004 patientenschulungen auf Türkisch, polnisch,<br />
russisch, spanisch und Italienisch an. schulungsmaterial<br />
in acht sprachen steht zur Verfügung. Gemeinsam<br />
mit der stadt besuchen die Ärzte des Netzes<br />
schulen, um dort über Impfungen und Vorsorge aufzuklären.<br />
In Hessen bil<strong>den</strong> rund 300.000 türkischstämmige<br />
Menschen die größte Gruppe ausländischer Herkunft.<br />
Ihnen stün<strong>den</strong> nur 36 niedergelassene türkische Ärzte<br />
gegenüber, heißt es in der studie „Migration und<br />
Gesundheit“. Die Autoren halten es für dringend notwendig,<br />
in Gebieten mit hohem Migrantenanteil zusätzliche<br />
Kassenzulassungen einzurichten. ig<br />
Ethnomedizinisches Zentrum Hannover<br />
Königstraße 6, 30175 Hannover<br />
Telefon 0511 16 84 10 20<br />
www.ethno-medizinisches-zentrum.de<br />
Migrantenambulanz<br />
Medizinische Klinik III,<br />
universitätsklinikum Gießen,<br />
rodthold 6, 35393 Gießen<br />
Telefon: 0461 99 42750<br />
e-Mail:<br />
reinhard.bretzel@innere.med.uni-giessen.de<br />
bewegt was.<br />
Diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (ergänzende bilanzierte Diät)<br />
• Keltican® forte zur diätetischen Behandlung<br />
von Wirbelsäulen-Syndromen, Neuralgien<br />
und Polyneuropathien<br />
• Keltican® forte enthält Uridinmonophosphat,<br />
Vitamin B12 und Folsäure, die zur Aktivierung<br />
körpereigener Reparaturvorgänge geschädigter<br />
Nerven <strong>bei</strong>tragen.<br />
• Verzehrsempfehlung: 1 Kapsel pro Tag mit<br />
etwas Flüssigkeit einnehmen.<br />
x täglich!<br />
Weitere Infos und Services<br />
www.rueckeninformation.de<br />
19
20<br />
pILOTprOJeKT Rheuma-<br />
Gymnastikgruppe<br />
für Migrantinnen<br />
Fröhliche Frauenstimmen schwirren <strong>durch</strong> <strong>den</strong> raum, der<br />
im Moment noch gar nicht nach Gymnastikhalle aussieht.<br />
Im ersten Obergeschoss der Türkisch-Islamischen Gemeinde<br />
in Kassel-Bettenhausen ist deshalb Tischerücken angesagt<br />
– alles an die seite, einen stuhlkreis in die Mitte. Krankengymnastin Moni Kainer begrüßt<br />
die zwölf Frauen im Alter zwischen 25 und 50 Jahren zum zweiten Treffen der neuen<br />
rheuma-Gymnastikgruppe.<br />
Zunächst geht es um die passende Kleidung. Zwei Frauen haben recht sportliche Hosen<br />
und shirts an, die Haare sind im Nacken zusammengebun<strong>den</strong>. Zwei Teilnehmerinnen mit<br />
Kopftüchern führen fast wie Mannequins ihre bequemen Hausanzüge vor. Alle lachen.<br />
Moni Kainer erklärt noch einmal <strong>den</strong> Ablauf der eineinhalb stun<strong>den</strong>. eine Frau darf ausführlicher<br />
von ihren Beschwer<strong>den</strong> erzählen, die anderen kommen stunde für stunde in<br />
<strong>den</strong> nächsten Wochen und Monaten dran.<br />
eine etwa 50-Jährige berichtet von einem zurückliegen<strong>den</strong> Bandscheibenvorfall und eingeklemmten<br />
Nerven. sie erzählt auf Türkisch, eine andere übersetzt. schöner fände es Moni<br />
Kainer, sie könnten sich alle auf Deutsch verständigen, aber so geht es auch einigermaßen.<br />
Dennoch macht sich die physiotherapeutin Gedanken, wie sie einzelne Aspekte so erklärt,<br />
<strong>das</strong>s alle begreifen, worum es geht: „Zu <strong>den</strong> entspannungsübungen muss ich mir noch<br />
etwas einfallen lassen.“ eine Herausforderung, der sie sich gewachsen fühlt.<br />
Auf die Krankengeschichte der Teilnehmerin hin macht Kainer <strong>den</strong> Frauen klar, <strong>das</strong>s sie<br />
nicht diejenige ist, die Krankheiten heilt, sondern „ich zeige Ihnen Übungen, die Ihnen <strong>den</strong><br />
umgang mit Ihren problemen leichter machen“. Los geht es mit einer Art Kniebeugen <strong>bei</strong><br />
gleichzeitig aufgerichtetem Becken. Für manche kaum ein problem. Bei anderen ist unschwer<br />
zu erkennen, <strong>das</strong>s ihnen sportlich-bewusste Bewegungen wenig geläufig sind.<br />
„Diese unterschiede gibt es in anderen Gruppen auch“, sagt Kainer. Auch die Art, wie sich<br />
Gruppendynamik entwickelt, sei ähnlich. Kainer verschafft sich mit ihrem souveränen, zugewandten<br />
Auftreten <strong>den</strong> nötigen respekt, um die Gruppe zum Mitmachen zu motivieren.<br />
Wichtig ist ihr, die Frauen dazu zu bringen, <strong>das</strong>s sie die Übungen auch zu Hause wiederholen.<br />
„Zwei-, dreimal die Woche genügt“, ermuntert sie ihre sportlerinnen.<br />
„es ist ein pionierprojekt“, beurteilt Kainer die Initiative der Deutsch-Türkischen Gesundheitsstiftung<br />
(TDG) in Gießen und der rheuma Liga Hessen, mit rheumatisch erkrankten<br />
türkischen Migrantinnen selbsthilfegruppen in Frankfurt, Gießen und Kassel aufzubauen.<br />
Die AOK Hessen fördert <strong>das</strong> Modell bis sommer 2012 mit 70 000 euro. „selbsthilfe als<br />
Gesprächsraum, um eine Krankheit besser zu verstehen, ist in der Türkei so unbekannt wie<br />
<strong>das</strong> Wort selbsthilfe“, erläuterte Dr. med. Yasar Bilgin, Vorsitzender der TDG, im september<br />
<strong>bei</strong>m start des projektes. es solle <strong>den</strong> Zugang zum deutschen, somit auch deutschsprachigen<br />
Gesundheitssystem eröffnen. Darüber hinaus sollen die Migrantinnen dafür sensibilisiert<br />
wer<strong>den</strong>, <strong>durch</strong> eigenes Handeln einfluss auf ihre Therapie und <strong>den</strong> Verlauf ihrer<br />
erkrankung zu nehmen.
Foto: Allianz<br />
Hava Dasdemir je<strong>den</strong>falls ist froh über <strong>das</strong> Kasseler Angebot,<br />
„ich liebe es, sport zu machen. Ich hatte schon einmal für eine<br />
begrenzte Zeit Krankengymnastik, aber jetzt kann ich immer<br />
üben.“ Die 45-Jährige ist in der Gruppe schnell zur Übersetzerin<br />
gewor<strong>den</strong> und findet <strong>das</strong> ganz normal, so ähnlich wie <strong>bei</strong><br />
einem Arztbesuch auch: „Wir helfen uns alle gegenseitig.<br />
selbstverständlich gehe ich mit meinen Nachbarn zum Arzt<br />
und helfe <strong>bei</strong>m Übersetzen.“ sie selbst ist seit 20 Jahren <strong>bei</strong><br />
derselben Hausärztin und „ich komme gut klar“. Türkische<br />
Frauen wünschten sich eher eine Ärztin als einen Arzt. „Wenn<br />
dort eine türkische Arzthelferin ar<strong>bei</strong>tet, ist <strong>das</strong> wirklich gut“,<br />
meint sie.<br />
Ihre Mitsportlerin Tezel Cetin (40) sieht die Dinge ähnlich.<br />
„Viele haben schmerzen, fin<strong>den</strong> aber keinen Krankengymnasten,<br />
der Türkisch kann“, berichtet sie. Daher hätten sie mit<br />
der Gemeinde sofort gebeten, am Modellprojekt teilnehmen<br />
zu können, als sie davon hörten. Genau wie die anderen Frauen<br />
möchte sie die Gruppe wöchentlich besuchen können.<br />
Montags Frauenfrühstück, dienstags Gymnastikgruppe, donnerstags<br />
Wandergruppe: so könnte <strong>das</strong> regelmäßige Angebot<br />
der Gemeinde zukünftig für Frauen aussehen. Aus <strong>den</strong><br />
Lautsprechern an der Wand ruft der Muezzin aber erst einmal<br />
zum Gebet. Irene Graefe<br />
Türkisch Deutsche<br />
Gesundheitsstiftung<br />
Die Türkisch Deutsche Gesundheitsstiftung (TDG)<br />
wurde 1988 in Gießen von deutschen und türkischen<br />
Ärzten gegründet. Ziel ist es, die spezifischen gesundheitlichen<br />
probleme türkischstämmiger Migranten zu<br />
erforschen und ihre situation zu verbessern. Die stiftung<br />
entwickelt in <strong>den</strong> Bereichen Gesundheit und Bildung<br />
projekte wie zum Beispiel elternar<strong>bei</strong>t, Diabetesberatung<br />
auf Türkisch oder Gesundheit von Frauen<br />
mit Migrationshintergrund; dazu gehört auch die<br />
schaffung der rheuma-selbsthilfegruppen.<br />
„Immer, wenn es um Migranten – auch anderer Nationalitäten<br />
– geht, sind wir Ansprechpartner“, sagt<br />
Ayla Gediz, Geschäftsführerin der stiftung. Vor allem<br />
auch spätaussiedler wen<strong>den</strong> sich an die Gießener stiftung.<br />
Grundsätzlich versteht die einrichtung sich als<br />
Mittler für Migranten, Ärzte und Institutionen. Die Anfragen<br />
kämen aus der ganzen Bundesrepublik.<br />
Dr. med. Yasar Bilgin, Vorsitzender der TDG und Oberarzt<br />
am Medizinischen Zentrum III der Gießener universitätsklinik,<br />
plädiert dafür, <strong>das</strong>s die Anbieter im Gesundheitssystem<br />
bilinguale Ärzte und Fachkräfte anstellen.<br />
„es ist nicht sache des patienten, sondern des<br />
Arztes, die Kommunikation sicherzustellen“, sagt er.<br />
so wünschenswert es auch sei, <strong>das</strong>s alle seine Landsleute<br />
Deutsch lernen, dies werde Generationen dauern.<br />
und selbst auf Deutsch seien nicht automatisch<br />
alle möglichen Missverständnisse ausgeräumt. Andere<br />
symptombeschreibungen, als im Deutschen üblich<br />
(siehe Artikel „Mein Nabel fällt“), könnten zu Fehlin-<br />
terpretationen und -diagnosen<br />
führen. Deshalb<br />
sei bilinguales, medizinisch<br />
geschultes personal<br />
geeigneter zur Vermittlung<br />
als etwa Dolmetscher<br />
mit geringen<br />
fachlichen und kulturellen<br />
Kenntnissen.<br />
Türkisch-Deutsche<br />
Gesundheitsstiftung<br />
Friedrichstraße 13,<br />
35396 Gießen<br />
Telefon 06 41-966 11 60<br />
www.tdgstiftung.de<br />
Michael Knipper, Yasar Bilgin<br />
Migration und Gesundheit<br />
Türkisch-Deutsche<br />
Gesundheitsstiftung Gießen<br />
und Konrad A<strong>den</strong>auer stiftung,<br />
Sankt Augustin/Berlin 2009<br />
IsBN 978-3-940955-55-5<br />
www.kas.de<br />
21
MIGrANTeNMeDIZIN<br />
als Wahlfach im studium<br />
Vielfältige Modelle zum gegenseitigen Verstehen<br />
Mehrsprachigkeit von Medizinern und medizinischem personal kann in der Versorgung<br />
von patienten mit Migrationshintergrund von Vorteil sein, um sprachliche, aber auch<br />
kulturelle und religiöse unterschiede nicht zu Hür<strong>den</strong> in der Kommunikation wer<strong>den</strong> zu<br />
lassen. rund 284.000 Ärztinnen und Ärzte verzeichnete <strong>das</strong> statistische Bundesamt im<br />
Jahr 2006 in Deutschland. Im Bundesarztregister waren am 31. Dezember 2006 19.513<br />
ausländische Ärztinnen und Ärzte verzeichnet. sie sind sehr viel häufiger an Krankenhäusern<br />
tätig als in der ambulanten Versorgung.<br />
Die meisten der ausländischen Mediziner kamen laut Bundesarztregister aus Ländern der<br />
europäischen union, gefolgt von Medizinern aus der ehemaligen sowjetunion und ihren<br />
teilweise zur eu gehören<strong>den</strong> Nachfolgestaaten. An dritter stelle folgt die Gruppe der<br />
früheren Anwerbeländer Griechenland, portugal, Italien und spanien.<br />
An sechster stelle stehen Ärzte aus polen, gefolgt von Kollegen mit türkischer staatsangehörigkeit.<br />
Im gesamten Bundesgebiet waren vor vier Jahren 919 türkische Ärztinnen<br />
und Ärzte gemeldet. eine unbekannte Zahl, die inzwischen die deutsche staatsbürgerschaft<br />
angenommen hat, dürfte hinzukommen. unter <strong>den</strong> studieren<strong>den</strong> im Fach Humanmedizin<br />
waren im Wintersemester 1999/2000 1.600 türkische Kommilitonen.<br />
Türkische und andere Mediziner aus Nicht-eu-staaten müssen zahlreiche Vorbedingungen<br />
erfüllen, um in Deutschland ihren Beruf ausüben zu können. Zur erlangung ihrer<br />
Approbation müssen sie die Gleichwertigkeit ihrer Ausbildung im Herkunftsland mit der<br />
Ausbildung in Deutschland nachweisen. und sie müssen die deutsche oder eine eustaatsbürgerschaft<br />
besitzen. Letzteres gilt auch für ausländische Mediziner, die ihr Medizinstudium<br />
erfolgreich in Deutschland absolviert haben.<br />
Zwar steht zu vermuten, <strong>das</strong>s Ärztinnen und Ärzte mit ausländischen Wurzeln ihre Mehrsprachigkeit<br />
und ihre kulturelle prägung im Beruf nutzen, wissenschaftlich belegt ist dies<br />
jedoch nicht. „Ob sie sich als Kulturvermittler verstehen wollen und wie der Transfer von<br />
der deutschen Fachsprache in die Alltagssprache ihres Herkunftslandes gelingt“, sei bislang<br />
nicht belegt, heißt es in der studie „Migration und Gesundheit“ (2008) des robert<br />
Koch-Institutes.<br />
Der Blick darauf, <strong>das</strong>s die Behandlung von Migranten zunehmend an Bedeutung gewinnt,<br />
hat an der universität Gießen zur erweiterung des Angebots im Medizinstudium<br />
geführt. Im sommersemester 2004 führte sie die bundesweit erste Lehrveranstaltung<br />
zum Thema „Medizin und ethnisch-kulturelle Vielfalt“ als interdisziplinär angelegtes, klinisches<br />
Wahlfach ein. eingebun<strong>den</strong> ist <strong>bei</strong>spielsweise ein türkischer Internist, der Grundkenntnisse<br />
über <strong>den</strong> Islam vermittelt und Beispiele aus dem Alltag vorstellt – etwa <strong>den</strong><br />
islamischen Typ-I-Diabetiker, der im ramadan fasten möchte. Oder <strong>den</strong> studieren<strong>den</strong><br />
wird <strong>bei</strong> einem Besuch <strong>bei</strong>m Migrationsdienst der Caritas vermittelt, wie Menschen mit<br />
anderem Hintergrund <strong>das</strong> deutsche Gesundheitssystem erleben. 50 bis 70 prozent der<br />
teilnehmen<strong>den</strong> studieren<strong>den</strong> haben einen Migrationshintergrund. ig<br />
22<br />
Oliver razum et al<br />
Migration und Gesundheit,<br />
schwerpunktbericht der Gesundheitsberichterstattung<br />
des Bundes,<br />
robert Koch Institut, Berlin 2008,<br />
IsBN 978-3-89606-184-3<br />
Michael Knipper und Ahmet Akinci<br />
Migrantenmedizin – Interdisziplinäre<br />
Aspekte der medizinischen<br />
Versorgung von patienten mit<br />
Migrationshintergrund<br />
GMs Zeitschrift für<br />
medizinische Ausbildung<br />
2005-22
Hilfen für die<br />
Verständigung<br />
Über die verschie<strong>den</strong>sten Medien verstreut gibt es eine Vielzahl<br />
von Hilfestellungen, damit Ärzte und Ärztinnen sich mit patienten<br />
und patientinnen mit nichtdeutschen Wurzeln verständigen<br />
können. Hier eine kleine Auswahl:<br />
<strong>Gesundheitsamt</strong>: Kasseler Internetseite<br />
Das <strong>Gesundheitsamt</strong> region Kassel bietet im Internet <strong>den</strong> „Kasseler Gesundheitswegweiser<br />
für Zugewanderte“ an. Hier können patienten Arztpraxen fin<strong>den</strong>,<br />
in <strong>den</strong>en der Arzt oder <strong>das</strong> personal ihre Muttersprache sprechen.<br />
Deutschsprachige Ärzte können <strong>den</strong> Wegweiser nutzen, um Fachleute ausfindig<br />
zu machen, die die gerade benötigte sprache beherrschen. sowohl die<br />
jeweilige sprache als auch die Fachrichtung sind suchkriterien. „Die seite wird<br />
derzeit aktualisiert“, berichtet Dr. Gabriele Oefner, Leiterin der Abteilung Allgemeine<br />
prävention. Die Internetseite selbst ist ausschließlich auf Deutsch gehalten.<br />
Doch können Flyer im pDF-Format auf Deutsch, Türkisch, russisch und<br />
persisch heruntergela<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>. Diese Broschüren erklären <strong>das</strong> deutsche Gesundheitssystem,<br />
weisen auf Vorsorgemöglichkeiten hin, veranschaulichen Details<br />
wie <strong>den</strong> Krankenschein oder <strong>den</strong> Mutterpass. „Wenn Ärzte ihren patienten<br />
diese Informationen zukommen lassen wollen, können sie sie auf die Internetseite<br />
verweisen oder die Flyer ausdrucken“, schlägt Oefner vor.<br />
www.gesundheitsamt.stadt-kassel.de/miniwebs/gesund/05073/index.html<br />
Dolmetscher im Kitteltaschen-Buchformat<br />
In 16 sprachen, darunter Arabisch, russisch und Türkisch, will der „Taschendolmetscher“<br />
des Deutschen Ärzte-Verlages Übersetzungshilfe geben. In <strong>den</strong><br />
rubriken „personalien und Abrechnungsdaten“, „Beschwer<strong>den</strong> und Diagnosen“<br />
und „Was soll der patient (nicht) tun“ sind stichworte oder Begriffe auf<br />
Deutsch und in der jeweiligen Landessprache und -schrift angegeben. Die<br />
Aussprache wird in einer Kauderwelsch-umschrift angegeben, jedoch fehlen<br />
die Akzente, wo die einzelnen Worte richtig betont wer<strong>den</strong>. Der Taschendolmetscher<br />
hilft vermutlich dann weiter, wenn es <strong>bei</strong> der Verständigung an<br />
einzelnen punkten hakt. um eventuell doch einen Dolmetscher suchen zu<br />
können, ist ein Telefonverzeichnis mit <strong>den</strong> Nummern der Botschaften von<br />
fast 150 staaten angefügt.<br />
Taschendolmetscher für Ärzte, 16 Sprachen mit Lautschrift:<br />
Deutscher Ärzte- Verlag, Köln, 2. Auflage 2009, ISBN 978-3-7691-1266-5<br />
Sprachführer im Netz<br />
Im Internet stellt die AOK Hessen einen „sprachführer Gesundheit“ in 23<br />
sprachen bereit. er ist in erster Linie aus sicht des patienten zusammengestellt,<br />
enthält aber auch mögliche Fragen eines Arztes an <strong>den</strong> patienten. er ist<br />
je sprache auf etwa sechs DIN-A-4-seiten in rubriken wie Familienvorgeschichte,<br />
Krankengeschichte, symptome, Fragen und Antworten des Arztes<br />
eingeteilt und bildet mögliche situationen und Fragen realitätsnah ab. Die<br />
sprachführer können in <strong>den</strong> verschie<strong>den</strong>en sprachen einzeln als pDF heruntergela<strong>den</strong><br />
wer<strong>den</strong>.<br />
www.aok.de/hessen/gesundheit/95630.php<br />
Fragebögen für die Verständigung<br />
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung<br />
empfiehlt <strong>das</strong> sprachführersystem<br />
Medilang in 30 sprachen. Gemeinsam mit<br />
Ärzten und pflegekräften wur<strong>den</strong> zweisprachige<br />
Interviewbögen für die patientenbefragung<br />
entwickelt. In auf Deutsch und gleichzeitig<br />
in der Fremdsprache vorgegebenen<br />
phrasen oder im Multiple Choice-Verfahren<br />
können patienten auf <strong>den</strong> Bögen Angaben<br />
machen und der Arzt bekommt die Übersetzung<br />
ins Deutsche gleich mitgeliefert. Für die<br />
Benutzung der Fragebögen fällt eine einmalige<br />
Gebühr an, dafür dürfen sie dann beliebig<br />
oft eingesetzt wer<strong>den</strong>. Information und Testversion<br />
sind im Internet abrufbar.<br />
www.medilang.info<br />
Bilderbuch zu Diabetes<br />
ein anderes Krankheitsverständnis, andere<br />
essgewohnheiten: solche Aspekte berücksichtigt<br />
ein patientenbuch in türkischer sprache.<br />
sekerlimisiniz? (wortwörtlich übersetzt: sind<br />
sie zuckerig?) fragt der Titel. In Bildergeschichten<br />
schildert <strong>das</strong> Buch <strong>den</strong> Alltag der<br />
patienten und <strong>den</strong> Besuch <strong>bei</strong>m Arzt. Die Informationen<br />
für die patienten sind auf Türkisch<br />
in sprechblasen zu lesen, am rand ist<br />
der Inhalt für <strong>den</strong> Arzt auf Deutsch vermerkt.<br />
Das Buch wendet sich an patienten ohne Insulinbehandlung,<br />
die wenig Deutsch können<br />
und auch nicht sehr schriftgewandt sind. Mithilfe<br />
des Buches sollen deutsche Ärzte ihren<br />
türkischen Diabetespatienten erklären können,<br />
was Diabetes ist und wie man damit umgeht.<br />
Sekerlimisiniz? Für Diabetiker ohne Insulinbehandlung:<br />
Andrea Demirtas und Didem Yildirim,<br />
Kirchheim Verlag, Mainz 2004,<br />
ISBN 978-3-87409-394-1<br />
Servicetelefon für türkische Eltern<br />
„Alo! saglik“ – „Hallo, Gesundheit!“ heißt<br />
ein Angebot speziell an türkische eltern. unter<br />
der Telefonnummer 0180-2 28 23 23 (6 Cent<br />
aus dem deutschen Festnetz) beantworten<br />
türkischsprechende Ärzte und Gesundheitsexperten<br />
Fragen zu Vorsorgeuntersuchungen,<br />
Impfprogrammen und allgemein zur<br />
medizinischen Versorgung von Neugeborenen,<br />
Kleinkindern und Kindern. Ziel ist es,<br />
<strong>das</strong> Wissen und die Akzeptanz von prävention<br />
<strong>bei</strong> türkischen eltern zu erhöhen. Das Beratungsprogramm<br />
wird getragen von der Türkisch<br />
Deutschen Gesundheitsstiftung (TDG),<br />
der Krankenkasse City BKK und dem Medizin-Dienstleister<br />
MD Medicus.<br />
www.alosaglik.de<br />
23
echtliche Aspekte der<br />
Kommunikation zwischen<br />
Arzt und patient<br />
Von stefan rohpeter<br />
Wenn neben <strong>das</strong> medizinische Wissensungleichgewicht zwischen patient<br />
und Arzt kulturelle oder sprachliche schwierigkeiten hinzutreten, entstehen<br />
in der praxis häufig Befürchtungen, <strong>das</strong>s die Behandlung von Ausländern<br />
oder Migranten für <strong>den</strong> Arzt zu rechtlichen problemen führen könnte. Jede<br />
Form der Ausübung ärztlicher Heilkunst setzt voraus, <strong>das</strong>s eine Kommunikation<br />
zwischen patient und Therapeut erfolgt. Diese erfordert weitaus mehr<br />
als die bloße sprachliche Verständigung.<br />
stefan rohpeter<br />
ist Fachanwalt für Medizintechnik<br />
in Kassel. 2007 hat er die Weiterbildung<br />
zum Health Care Manager<br />
abgeschlossen. unter anderem vertritt<br />
er Vertragsärzte <strong>bei</strong> der Durchsetzung<br />
von Honoraransprüchen<br />
und der Abwehr von regressansprüchen<br />
im rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen.<br />
Überdies<br />
berät er <strong>bei</strong>m Abschluss von Versorgungsverträgen<br />
sowie <strong>bei</strong> Direktverträgen<br />
mit Krankenkassen.<br />
24<br />
Letztendlich muss erreicht wer<strong>den</strong>, <strong>das</strong>s der patient in der Behandlungssituation Vertrauen zu<br />
seinem Arzt fasst und ihm die notwendigen Informationen gibt, damit dieser zu <strong>den</strong> richtigen<br />
medizinischen schlüssen gelangen kann. umgekehrt muss der Arzt <strong>bei</strong> seiner Therapie darauf<br />
vertrauen dürfen, <strong>das</strong>s die empfohlenen Maßnahmen auch entsprechend umgesetzt wer<strong>den</strong>.<br />
Ablehnung einer Behandlung<br />
aus kulturellen Grün<strong>den</strong> ist rechtswidrig<br />
„In dieser Arztpraxis gilt ein striktes Verbot von Kopftüchern <strong>bei</strong> islamistischen Frauen und<br />
Mädchen!“ Mit dieser und weiteren regeln machte ein niedergelassener Allgemeinmediziner<br />
aus Wächtersbach im september bundesweit schlagzeilen in <strong>den</strong> Medien. Der Arzt verlangte<br />
von seinen patienten Grundkenntnisse der deutschen sprache und schloss die Behandlung<br />
von Großfamilien aus. Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen sprach daraufhin im November<br />
in einem Disziplinarverfahren gegen <strong>den</strong> Arzt einen Verweis aus. ein Vertragsarzt ist verpflichtet,<br />
alle gesetzlich versicherten patienten zu behandeln, wo<strong>bei</strong> selbstverständlich religiöse,<br />
kulturelle oder sonstige Gesichtspunkte zu keiner Differenzierung oder gar der Ablehnung einer<br />
Behandlung führen dürfen. Zweifelsohne ist aufgrund des religiösen Hintergrunds und der<br />
damit einhergehen<strong>den</strong> besonderen Bedeutung des Kopftuchs ein entsprechendes „Verbot“<br />
nicht nur inhaltlich fragwürdig, sondern schlichtweg rechtswidrig.<br />
Ob man <strong>das</strong> indes auch auf <strong>das</strong> Gebot beziehen kann, zum Arzttermin nicht mit mehreren<br />
Begleitern zu erscheinen, muss <strong>durch</strong>aus differenziert betrachtet wer<strong>den</strong>. Ist die Begleitung<br />
erforderlich, um eine Kommunikation mit dem Behandler zu ermöglichen oder <strong>das</strong> Krankheitsbild<br />
ausreichend präzise zu umschreiben, ist ein solcher Ausschluss nicht haltbar. Letztlich<br />
liefe dieser darauf hinaus, <strong>das</strong>s man sich der Verpflichtung zur Behandlung aller GKV-Versicherten<br />
entzöge. Liegt keine sachliche Notwendigkeit für eine Begleitung des patienten vor, gibt<br />
es keine rechtlichen Verpflichtung, in einer Arztpraxis räumlichkeiten und sitzgelegenheiten<br />
für Nichtpatienten vorzuhalten. Wird allerdings die Behandlung von kinderreichen islamistischen<br />
Familien mit mehr als x Kindern abgelehnt, dürften ernsthafte Zweifel an der rechtswidrigkeit<br />
nicht bestehen. Dies hat per se noch keine Auswirkungen auf die Organisation in der<br />
praxis, sondern dokumentiert eine Haltung gegenüber bestimmten personenkreisen.<br />
Bei der Behandlung von Ausländern stellt sich darüber hinaus <strong>das</strong> problem, <strong>das</strong>s diese möglicherweise<br />
keinen ausreichen<strong>den</strong> Versicherungsschutz haben. eu-Bürger, die sich kurzfristig in<br />
Deutschland aufhalten, können eine entsprechende europäische Krankenversicherungskarte<br />
vorlegen. Die Abrechnung erfolgt dann gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung <strong>bei</strong> ambulanten<br />
Leistungen. Bei anderer Herkunft ist davon auszugehen, <strong>das</strong>s eine Behandlung nur<br />
als privatpatient möglich ist.
Ausreichende Aufklärung absichern<br />
Der Arzt trägt die hohe Verantwortung, <strong>den</strong> patienten aufzuklären, damit<br />
sich dieser von der Behandlung und <strong>den</strong> damit verbun<strong>den</strong>en risiken<br />
oder <strong>den</strong> wirtschaftlichen Auswirkungen der Behandlung eine Vorstellung<br />
machen kann. Wird ein eingriff vorgenommen, ist dies darüber hinaus<br />
auch Voraussetzung für eine wirksame einwilligung des patienten<br />
in die Operation. Diese Verpflichtung ist in der Vergangenheit <strong>durch</strong> die<br />
rechtsprechung stetig weiterentwickelt wor<strong>den</strong>. Mittlerweile ist gesicherte<br />
rechtsprechung, <strong>das</strong>s der Arzt sich zu vergewissern hat, ob sein<br />
patient imstande ist, seine Ausführungen zu verstehen und sich eventuell<br />
<strong>durch</strong> Nachfragen ausreichend Informationen zu beschaffen.<br />
Die Frage ist sodann, wie man zu einer ausreichen<strong>den</strong> Vergewisserung<br />
kommen kann. Was ist <strong>bei</strong>spielsweise, wenn der patient auf Nachfragen<br />
mit einem Kopfnicken reagiert, <strong>das</strong> man als Zustimmung interpretieren<br />
könnte, sich aber nicht sicher ist? problematisch ist dies regelmäßig<br />
vor Operationen, wenn der Operateur im Aufklärungsgespräch<br />
Ausführungen zum eingriff, <strong>den</strong> Folgewirkungen und möglichen Alter-<br />
AOK-Mediendienst<br />
nativen macht. Da<strong>bei</strong> ist es keineswegs ungewöhnlich, <strong>das</strong>s auch der<br />
sprachkundige patient keine rückfragen stellt, sondern ebenfalls nur bestätigend dreinblickt. Auf<br />
diese Geste allein kann sich der Arzt nicht verlassen. Die Aufklärung soll in einem Gespräch stattfin<strong>den</strong>,<br />
<strong>das</strong> gegenseitige Kommunikation voraussetzt. Deshalb muss er sich <strong>durch</strong> etwaige Nachfragen rückversichern,<br />
<strong>das</strong>s der patient in der Lage ist, seinen Ausführungen zu <strong>den</strong> medizinischen sachverhalten zu<br />
folgen. Gelangt der Arzt im Gespräch zu der erkenntnis, <strong>das</strong>s dies nicht gewährleistet ist, muss er eventuell<br />
die Aufklärung oder Behandlung abbrechen und <strong>den</strong> patienten bitten, eine sprachkundige Mittelsperson<br />
einzuschalten.<br />
Der Arzt ist da<strong>bei</strong> nicht verpflichtet, selbst einen Dolmetscher einzusetzen. Allerdings muss er sich<br />
bezüglich der Mittelsperson ebenfalls über deren Fähigkeiten ins Bild setzen, <strong>den</strong> ärztlichen Ausführungen<br />
zu folgen und dies auch an <strong>den</strong> patienten adäquat weiterzugeben. Vor diesem Hintergrund<br />
ist die Hinzunahme eines Familienangehörigen, <strong>den</strong> der Arzt möglicherweise selbst nicht kennt und<br />
über dessen sprachfähigkeit er sich allenfalls ein rudimentäres Bild machen kann, problematisch.<br />
Angestellte Mitar<strong>bei</strong>terinnen und Mitar<strong>bei</strong>ter in der praxis bieten insofern <strong>den</strong> faktischen Vorteil, <strong>das</strong>s<br />
man deren sprachfähigkeit kennt und diese offen kommunizieren, wenn eine direkte ausreichende<br />
Verständigung mit dem patienten nicht möglich ist. Bei Angehörigen können <strong>durch</strong>aus auch profane<br />
Gründe verhindern, <strong>das</strong>s Verständnisschwierigkeiten unverzüglich geäußert wer<strong>den</strong>: <strong>bei</strong>spielsweise<br />
weil der Angehörige gegenüber dem patienten, der <strong>den</strong> Angehörigen wegen dessen guter sprachkenntnisse<br />
mitbrachte, nicht einräumen möchte, <strong>das</strong>s man die erläuterungen ebenfalls nicht versteht.<br />
Darüber hinaus kostet es Zeit, sich wiederum über die sprachfähigkeit des Dolmetschers einen<br />
eigenen eindruck zu verschaffen.<br />
Gerichtsurteile zu Aufklärungsgesprächen<br />
Bezüglich der Aufklärung hat <strong>das</strong> Oberlandesgericht Hamm entschie<strong>den</strong> (11. september 2000, Aktenzeichen<br />
3 U 109/99), <strong>das</strong>s es ausreicht, wenn der Patient <strong>den</strong> Eindruck erweckt, der deutschen<br />
sprache hinreichend mächtig zu sein. Dies setzt jedoch voraus, <strong>das</strong>s ein Gespräch stattgefun<strong>den</strong> hat.<br />
Das Oberlandesgericht Karlsruhe entschied (19. März 1997, Aktenzeichen 13 U 42/96), <strong>das</strong>s die dem<br />
stationsarzt überlassene Aufklärung unzureichend sein kann und zu einer Haftung des Operateurs<br />
führt, wenn diesem bekannt sein musste, <strong>das</strong>s <strong>bei</strong> türkischen, nicht deutsch sprechen<strong>den</strong> patienten<br />
die ärztliche Aufklärung nicht immer ausreichend erfolgte. Die gleiche Verantwortung trifft demgemäß<br />
<strong>den</strong> Oberarzt, der <strong>bei</strong> der vom Assistenzarzt <strong>durch</strong>geführten Operation assistiert.<br />
Früher fand sich in der rechtsprechung die einschätzung wieder, <strong>das</strong>s <strong>bei</strong> der Anamnese der Arzt nicht<br />
verpflichtet ist, einen Übersetzer einzubeziehen (Kammergerichtsurteil vom 15. Januar 1998, Aktenzeichen<br />
20 U 3654/96). Mittlerweile geht die Rechtsprechung jedoch davon aus, <strong>das</strong>s auch im Rahmen<br />
der Behandlung <strong>das</strong> gegenseitige Verstehen ausreichend gewährleistet sein muss und der Arzt unter<br />
umstän<strong>den</strong> verpflichtet ist, einen Übersetzer hinzuzuziehen. Der Arzt kann <strong>den</strong> Nachweis eines ausrei-<br />
25
ANZeIGe<br />
26<br />
Klinik für Allgemein- und<br />
Viszeralchirurgie<br />
Chefarzt Professor<br />
Dr. Rudolf Hesterberg<br />
Medizinische Klinik<br />
Chefarzt Professor<br />
Dr. Christian Löser<br />
Klinik für Orthopädie,<br />
Unfallchirurgie und<br />
Rehabilitative Medizin<br />
Chefarzt Professor<br />
Dr. Werner Konermann<br />
Klinik für Schmerztherapie<br />
Chefarzt<br />
Dr. Andreas Böger<br />
chen<strong>den</strong> Verständnisses auch da<strong>durch</strong> führen, <strong>das</strong>s er <strong>den</strong> patienten Ausführungen zu der Art und dem<br />
umfang der erkrankung und Vorerkrankung machen lässt. sofern der patient da<strong>durch</strong> dokumentiert,<br />
<strong>das</strong>s er über hinreichende sprachkenntnisse verfügt, genügt der Arzt seinen pflichten.<br />
Unterschrift auf dem Aufklärungsbogen ist keine Garantie<br />
Die Behandlung von Ausländern und Migranten weicht rechtlich keineswegs von <strong>den</strong> allgemeinen<br />
Grundsätzen der Beurteilung des Behandlungsgeschehens ab. Grundsätzlich ist für eine ausreichende<br />
Aufklärung maßgeblich, ob der Arzt aus dem Beratungsgespräch <strong>den</strong> eindruck gewonnen hat, <strong>das</strong>s<br />
seinem patienten im Großen und Ganzen die Auswirkungen der Behandlung auf sein Leben klar gewor<strong>den</strong><br />
sind und er sich eine Meinung zur vorgeschlagenen Behandlung bil<strong>den</strong> konnte.<br />
Dies ist kaum gegeben, wenn die Kommunikation mit dem patienten allenfalls rudimentär erfolgt ist<br />
oder der Arzt sich auf die unterschrift unter Aufklärungsbögen beschränkt und verlassen hat. stellt<br />
sich <strong>bei</strong>spielsweise erst in einer mündlichen Verhandlung vor Gericht heraus, <strong>das</strong>s der patient zwar<br />
seine unterschrift unter einen Aufklärungsbogen setzte, diesen jedoch noch nicht einmal in Grundzügen<br />
verstehen konnte, da er der deutschen sprache nicht ausreichend mächtig ist, kann der Behandler<br />
keine ausreichende Aufklärung nachweisen.<br />
Hat jedoch umgekehrt der patient in dem Gespräch mit dem Arzt sogar Nachfragen gestellt oder<br />
zumindest ausdrücklich erklärt, <strong>das</strong>s ihm <strong>das</strong> Geschehen verständlich ist, dürfte der Nachweis ohne<br />
weitere schwierigkeiten gelingen. Da<strong>bei</strong> ist zu berücksichtigen, <strong>das</strong>s der Dokumentation des Arztes<br />
ein hoher stellenwert in derartigen Verfahren zukommt. entschei<strong>den</strong>d ist, <strong>das</strong>s der Aufklärungsbogen<br />
erkennen lässt, <strong>das</strong>s eine Kommunikation mit dem patienten stattfand und dieser nicht mit dem<br />
Aufklärungsbogen allein gelassen wurde.<br />
Koloproktologie<br />
Tumorbehandlung des Magen-<br />
Darmtraktes<br />
Minimal Invasive Chirurgie<br />
Schilddrüsenchirurgie<br />
Gastroenterologie<br />
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Diabetes-Schwerpunkt<br />
Ernährungsmedizin<br />
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Palliativmedizin<br />
Unfallchirurgie<br />
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Minimal Invasive Chirurgie<br />
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Dr. Ulrich Fauth<br />
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Chefarzt Professor<br />
Dr. Dr. Hendrik Terhey<strong>den</strong><br />
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Rekonstruktive und<br />
Ästhetische Chirurgie<br />
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Dr. Ernst Magnus Noah<br />
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Anästhesie<br />
Notfallmedizin<br />
Interdisziplinäre Intensivstation<br />
Rettungshubschrauber Christoph 7<br />
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Gesichts- und Kieferverletzungen<br />
Implantatchirurgie<br />
Kieferorthopädische Chirurgie<br />
Gesichtschirurgie<br />
Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten<br />
Wiederherstellungschirurgie<br />
Handchirurgie<br />
Verbrennungschirurgie<br />
Ästhetische Chirurgie
<strong>Praxisbegehungen</strong><br />
<strong>durch</strong> <strong>das</strong> <strong>Gesundheitsamt</strong><br />
erfahrungen und ergebnisse<br />
Hygienemängel in Arztpraxen nehmen ab, sind aber immer noch so zahlreich, <strong>das</strong>s<br />
eine beratende Begehung <strong>durch</strong> <strong>das</strong> <strong>Gesundheitsamt</strong> sinnvoll und notwendig ist.<br />
Diese Zwischenbilanz zieht jetzt der stellvertretende Leiter des <strong>Gesundheitsamt</strong>es<br />
region Kassel, Dr. Markus schimmelpfennig, nachdem die Behörde seit fast fünf<br />
Jahren alle praxen in stadt und Kreis Kassel systematisch überprüft. „Das <strong>Gesundheitsamt</strong><br />
ist kein behördliches Überfallkommando, sondern berät die niedergelassenen<br />
Ärztinnen und Ärzte im Hinblick auf Möglichkeiten zur Verbesserung der<br />
Hygiene im praxisalltag“, betont Dr. schimmelpfennig in seinem Artikel für <strong>das</strong><br />
DOXs-Magazin.<br />
seit dem Jahre 2006 erfolgen in der region Kassel die Begehungen von Arztpraxen <strong>durch</strong> <strong>das</strong> <strong>Gesundheitsamt</strong><br />
nicht mehr nur sporadisch anlassbezogen, sondern systematisch. rechtliche Grundlage<br />
hierfür ist <strong>das</strong> Infektionsschutzgesetz (IfsG) und <strong>das</strong> Hessische Gesetz über <strong>den</strong> Öffentlichen Gesundheitsdienst<br />
(HGÖGD).<br />
Ziel der Begehungen<br />
sinn und Zweck der systematischen Begehungen aller Fachrichtungen ist es, Hygienemängel in <strong>den</strong><br />
praxen zu erkennen und im einvernehmen mit <strong>den</strong> praxisinhabern Wege zu deren Beseitigung zu<br />
erar<strong>bei</strong>ten. Da<strong>bei</strong> legt <strong>das</strong> <strong>Gesundheitsamt</strong> Wert auf ein kollegiales Miteinander und eine vertrauensvolle<br />
Zusammenar<strong>bei</strong>t. Weil dies so ist, wer<strong>den</strong> die praxen mit mehrwöchiger Frist vor der Begehung<br />
angeschrieben und erhalten vorab <strong>das</strong> Begehungsprotokoll, damit sie wissen, worauf <strong>das</strong> <strong>Gesundheitsamt</strong><br />
achtet und sie sich auf die Begehung vorbereiten können.<br />
Das <strong>Gesundheitsamt</strong> ist kein behördliches Überfallkommando, sondern berät die niedergelassenen<br />
Ärztinnen und Ärzte im Hinblick auf Möglichkeiten zur Verbesserung der Hygiene im praxisalltag.<br />
Wir können verstehen, <strong>das</strong>s es <strong>den</strong> praxisinhabern angesichts der schweren ökonomischen Lage der<br />
Niedergelassenen keine Freude bereitet, <strong>das</strong>s die Begehung gemäß der Allgemeinen Verwaltungskostenordnung<br />
des Landes Hessen gebührenpflichtig ist und daher mit Gebühren zwischen rund 200 bis<br />
250 euro (<strong>bei</strong> großen praxen mit sehr aufwendiger Begehung auch einmal darüber) belastet ist, aber<br />
dies schreibt die Gebührenordnung nun einmal vor. Wenn sich der praxisinhaber darüber hinaus zu<br />
der Haltung <strong>durch</strong>ringen kann, <strong>das</strong>s eine solche Begehung im prinzip nichts anderes ist als eine externe<br />
Qualitätssicherung, mutet die preisgestaltung gemessen an privaten QM-Anbietern ohne Bindung<br />
zu Hygieneprodukteherstellern eher moderat an.<br />
Ablauf der Begehungen<br />
von<br />
Dr. Markus schimmelpfennig<br />
Michael spacek<br />
Detlef Müschen<br />
Dr. Markus schimmelpfennig<br />
ist stellvertretender Leiter des<br />
<strong>Gesundheitsamt</strong>es region<br />
Kassel,<br />
Michael spacek und Detlef<br />
Müschen ar<strong>bei</strong>ten als Gesundheitsaufseher<br />
in der Hygieneabteilung,<br />
die schwerpunktmäßig<br />
mit praxisbegehungen<br />
befasst ist.<br />
Die praxisbegehung erfolgt im einvernehmen mit dem praxisinhaber zu einem<br />
mit diesem abgestimmten Termin. seitens des <strong>Gesundheitsamt</strong>es sind<br />
entweder zwei Gesundheitsaufseher oder ein Arzt und ein Gesundheitsaufseher<br />
mit der Durchführung der Begehung betraut. In der regel nimmt der<br />
praxisinhaber mit einem Teil seiner Belegschaft an der Begehung teil. Nur am<br />
rande sei vermerkt, <strong>das</strong>s es hier<strong>bei</strong> gelegentliche Ausreißer gibt, etwa wenn<br />
ein Arzt sich demonstrativ zu Begehungsbeginn in die Mittagspause verabschiedet<br />
und die praxisbegehung seiner Helferin allein überlässt oder ein praxisinhaber<br />
in Demonstration seiner skepsis und Befürchtungen sich von einem<br />
rechtsanwalt <strong>bei</strong> der Begehung begleiten lässt.<br />
eine Begehung dauert in der regel zwischen ein und zwei stun<strong>den</strong> und versucht,<br />
<strong>den</strong> Durchgang eines patienten von der Anmeldung bis zum Verlassen<br />
der praxis zu erfassen, indem sein Weg in der praxis quasi nachvollzogen wird. so sollte ein Handwaschplatz nicht aussehen.<br />
27
eine prüfplakette von 1995 überzeugt<br />
15 Jahre später nieman<strong>den</strong> mehr.<br />
schon aufgrund der Ablagerungen<br />
auf der Oberfläche gelten diese<br />
Instrumente nicht als<br />
ordnungsgemäß aufbreitet.<br />
28<br />
Worauf achten wir besonders?<br />
Besonders achten wir auf <strong>das</strong> Vorhan<strong>den</strong>sein eines auf die praxis abgestimmten<br />
Hygieneplans, <strong>das</strong> Vorhan<strong>den</strong>sein einer Hygieneausstattung in allen Behandlungsbereichen,<br />
bestehend aus einarmhebelwandspender für Händedesinfektionsmittel,<br />
für Flüssigseife, einmalpapierhandtuchspender am Handwaschbecken<br />
mit fließend kaltem und warmem Wasser sowie Treteimer mit<br />
selbstschließendem Deckel zur entsorgung von praxismüll. Darüber hinaus<br />
interessieren wir uns besonders für die Aufbereitung von Medizinprodukten,<br />
da hierüber in <strong>den</strong> praxen zum Teil noch eine recht große unsicherheit besteht,<br />
insbesondere bezüglich der Klassifizierung der verwendeten Medizinprodukte<br />
in die Kategorien „unkritisch, semikritisch, kritisch“ und die Aufbereitungsstufen<br />
„A, B oder C“. unsicherheit besteht insbesondere auch im<br />
Hinblick auf die Notwendigkeit der Validierung von Aufbereitungsprozessen,<br />
wie diese bereits seit 2001 vom robert Koch-Institut (rKI) für notwendig erachtet wer<strong>den</strong>. (Vgl.<br />
richtlinie des rKI zur Aufbereitung von Medizinprodukten von 2001.)<br />
Wir interessieren uns insbesondere für Medizinprodukte mit therapeutischer und diagnostischer<br />
Funktion, also zum Beispiel elektrogeräte in der physikalischen Therapie, ultraschall, eKG, Blutdruckmanschette<br />
u. Ä., weil diese natürlich nur mit <strong>den</strong> erforderlichen messtechnischen Kontrollen versehen<br />
ihre Ar<strong>bei</strong>t zuverlässig und quasi „geeicht“ verrichten können.<br />
Ergebnisse<br />
Auf der Beziehungsebene ist festzustellen, <strong>das</strong>s die Mehrzahl der Begehungen in einem freundlichen,<br />
kollegial-achtungsvollen Dialog verläuft.<br />
Von 2006 bis Oktober 2010 wur<strong>den</strong> 468 praxisbesichtigungen in stadt und Landkreis Kassel ausgeführt,<br />
davon 455 erstbesichtigungen, neun Nachbesichtigungen und vier anlassbezogene Besichtigungen,<br />
wo<strong>bei</strong> alle Fachrichtungen Berücksichtigung fan<strong>den</strong>.<br />
Wichtigste Mängel<br />
Hygienepläne:<br />
Während in 2006 nur die Hälfte aller besichtigten praxen vollständige, auf die Belange der praxis<br />
abgestimmte Hygienepläne vorzuweisen hatten, waren dies in 2008 immerhin drei Viertel.<br />
Hygieneausstattung:<br />
probleme bereitet nach wie vor die vollständige, oben beschriebene Hygieneausstattung<br />
für die Handwaschplätze. Hier verfügen nach wie vor nur 40 bis<br />
50 % der besichtigten praxen über eine vollständige, nicht zu beanstan<strong>den</strong>de<br />
Ausstattung.<br />
Medizinprodukteaufbereitung:<br />
Bezüglich der Aufbereitung von Instrumenten zeigte sich anfangs, <strong>das</strong>s ungefähr<br />
die Hälfte aufbereitender praxen mit einem Heißluftsterilisator, die Hälfte<br />
der praxen mit einem Autoklaven ar<strong>bei</strong>tete. Die Zahl der praxen, die einmalinstrumentarien<br />
verwendeten, war klar in der Minderheit. Zwischenzeitlich<br />
hat sich dies verschoben und der Anteil der praxen, die einmalinstrumente<br />
benutzt, ist stetig gestiegen. Leider gibt es noch unter <strong>den</strong> selbstaufbereitern<br />
fast ebenso viele Heißluftnutzer wie Autoklavierer, was nicht mehr dem anerkannten<br />
standard der Hygiene entspricht, da Heißluftsterilisatoren im Aufbereitungsprozess nicht<br />
validierbar sind und überdies eine zehnfach höhere Beanstandungsquote haben als Autoklaven. Die<br />
Möglichkeit der Drittaufbereitung wird mit steigender Ten<strong>den</strong>z, aber noch relativ selten genutzt.<br />
Qualitätssicherung der Medizinprodukteaufbereitung:<br />
44 % der geprüften sterilisatoren konnten keine periodische Überprüfung mit Bioindikatoren nach<br />
400 Chargen bzw. einem halben Jahr aufweisen, was bedeutet, <strong>das</strong>s fast die Hälfte der Arztpraxen<br />
mit sterilisatoren ar<strong>bei</strong>tet, von <strong>den</strong>en nicht bekannt ist, ob sie einwandfrei funktionieren.
Sachkunde:<br />
Auf Initiative vieler ärztlicher Qualitätszirkel niedergelassener Kolleginnen und Kollegen hatten die<br />
Mitar<strong>bei</strong>ter des <strong>Gesundheitsamt</strong>es häufig Gelegenheit, in <strong>den</strong> Qualitätszirkeln die Begehungspraxis<br />
und die hier<strong>bei</strong> gestellten Anforderungen zu erläutern und sich auch <strong>den</strong> Fragen der Kolleginnen und<br />
Kollegen zu stellen. ein erlass des Hessischen sozialministeriums aus dem Jahre 2008, der vorschreibt,<br />
<strong>das</strong>s jede praxis mit Medizinprodukteaufbereitung eine medizinische Fachangestellte <strong>durch</strong> einen<br />
sachkundelehrgang zu qualifizieren hat, ist noch nicht <strong>durch</strong>gängig umgesetzt. Mit einer Fristverlängerung<br />
seitens des Ministeriums und der Landesärztekammer ist zu rechnen. Auf Initiative von niedergelassenen<br />
Kolleginnen und Kollegen in Kassel hat sich <strong>das</strong> <strong>Gesundheitsamt</strong> dafür eingesetzt, <strong>das</strong>s<br />
diese Fortbildungen der Carl-Oelemann-schule auch dezentral in Kassel im Marienkrankenhaus angeboten<br />
wer<strong>den</strong>, um <strong>den</strong> Mitar<strong>bei</strong>terinnen der praxen und <strong>den</strong> praxen selbst unnötige Wege und<br />
Wegekosten zu ersparen.<br />
Erkennbare Ten<strong>den</strong>zen<br />
im fünften Jahr der <strong>Praxisbegehungen</strong><br />
• Der Sachkun<strong>den</strong>achweis „Instrumentenaufbereitung“ fehlt noch in relativ<br />
vielen praxen.<br />
• Viele Praxen entschei<strong>den</strong> sich mehr und mehr für die Verwendung von Einmalinstrumentarium,<br />
<strong>das</strong> es heute in zunehmend besserer Qualität zu günstigen<br />
preisen gibt. eine Vergleichsberechnung der Aufbereitung in der eigenen<br />
praxis mit validiertem Aufbereitungsprozess ist sicher lohnend, aus unserer<br />
sicht rechnet sich eine eigene Aufbereitung nur <strong>bei</strong> großen stückzahlen.<br />
• Ein Hygieneplan ist inzwischen in fast allen Arztpraxen vorhan<strong>den</strong>, in manchen<br />
allerdings wird er immer noch mit dem sog. reinigungs- und Desinfektionsplan<br />
verwechselt, der lediglich ein unterkapitel des Hygieneplans darstellt.<br />
• Zahlreiche in <strong>den</strong> Praxen vorhan<strong>den</strong>e Sterilisatoren erfahren keine regelmäßige Wartung und<br />
wer<strong>den</strong> nicht regelmäßig auf ihre Wirksamkeit mit Bioindikatoren und Chargenkontrolle überprüft.<br />
Validierte Aufbereitungsprozesse in praxen sind die Ausnahme.<br />
• Händedesinfektionsmittel fehlt leider immer noch des Öfteren,<br />
zum Teil leider auch <strong>bei</strong> der Zweitbesichtigung!<br />
• Ein separater Raum für die Instrumentenaufbereitung ist nur selten vorhan<strong>den</strong>, in der Regel wird<br />
im Labor oder anderen „Mehrzweckräumen“ aufbereitet.<br />
• Viele Behandlungsräume sind immer noch mit Teppichbo<strong>den</strong> ausgelegt, statt über einen feucht<br />
wisch- und desinfizierbaren Bo<strong>den</strong> zu verfügen.<br />
• In der Ten<strong>den</strong>z erscheinen die Praxen im ländlichen Raum in der Gesamtwertung eher etwas<br />
weniger mängelbehaftet als in der stadt.<br />
Fazit<br />
Die ergebnisse der bisher rund 470 besichtigten praxen zeigen, <strong>das</strong>s vom Begehungsbeginn<br />
in 2006 bis heute die Mängelquote abnimmt, aber immer<br />
noch so hoch ist, <strong>das</strong>s weiterhin eine beratende Begehung <strong>durch</strong> <strong>das</strong> <strong>Gesundheitsamt</strong><br />
sinnvoll und notwendig ist. erfreulicherweise verlaufen die meisten<br />
Begehungen in einer kollegialen und konsensuellen Atmosphäre, so<strong>das</strong>s letztlich<br />
alle Beteiligten davon profitieren:<br />
– die praxisinhaber nicht zuletzt im Hinblick auf eine größere<br />
haftungsrechtliche sicherheit,<br />
– die patienten von verbesserten Hygienestandards und<br />
– die Bevölkerungsgesundheit, vertreten <strong>durch</strong> <strong>das</strong> <strong>Gesundheitsamt</strong>.<br />
<strong>Gesundheitsamt</strong> Region Kassel<br />
Wilhelmshöher Allee 19-21<br />
34117 Kassel<br />
Telefon: 0561 1003-1972<br />
Telefon: 0561 1003-1975<br />
Telefax: 0561 1003-910<br />
www.gesundheitsamt.stadt-kassel.de<br />
Von sachgerechter Aufbewahrung<br />
kann hier nicht die rede sein.<br />
Wür<strong>den</strong> sie so etwas als hygienisch einwandfrei bezeichen?<br />
29
30<br />
MeDIZINTOurIsMus<br />
in Hessen ein bislang kaum genutztes Marktpotenzial<br />
stellen wir uns vor, es gibt zahlungswillige patienten – und keiner macht ihnen ein<br />
Angebot ...<br />
Von Christine Becker<br />
Medizintourismus ist ein Teilbereich des Gesundheitstourismus,<br />
für <strong>bei</strong>de gibt es verbindliche<br />
Definitionen, hohe standards und mittlerweile auch<br />
zahlreiche Vorbilder im In- und Ausland. Immer mehr<br />
Menschen sind auf der suche nach besseren medizinischen<br />
Behandlungsangeboten und sie sind bereit,<br />
mit ihrem eigenen Geld besondere ärztliche und andere<br />
therapeutische Leistungen zu kaufen. Dafür<br />
nehmen sie auch weitere entfernungen in Kauf. Voraussetzung<br />
dafür ist, <strong>das</strong>s sie wissen, was sie erwartet<br />
– und <strong>das</strong>s die Qualität stimmt.<br />
Auch ausländische Medizintouristen und internationale<br />
Vermittlungsagenturen für ausländische patienten<br />
suchen in Hessen nach solchen Qualitätsangeboten<br />
von Fachärzten und Kliniken. Die Nachfrage ist<br />
also vorhan<strong>den</strong>. Woran mag es also gelegen haben,<br />
<strong>das</strong>s auf der hessischen Zukunftskonferenz „Innovativer<br />
Gesundheitstourismus in Deutschland“ am 21.<br />
september in Wiesba<strong>den</strong>, die sich genau diesem<br />
Marktsegment widmete, unter <strong>den</strong> mehr als 50 Teilnehmern<br />
keine Ärzte oder Klinikvertreter waren? Die<br />
Autorin dieses Beitrags hat als eine von wenigen Teilnehmerinnen<br />
aus Nordhessen an der Konferenz teilgenommen.<br />
Hier ihr Bericht.<br />
eine erkenntnis gleich vorangestellt: es ist nicht mehr<br />
die Frage, ob es <strong>den</strong> sogenannten „Zweiten Gesundheitsmarkt“<br />
gibt oder ob man ihn gut findet. Die Frage<br />
ist vielmehr, wer ihn gestaltet und mit welchen<br />
Angeboten. Aufgrund des demografischen und psychografischen<br />
Wandels und der sich damit verändern<strong>den</strong><br />
rahmenbedingungen verändern sich auch<br />
die Anforderungen und Wünsche der Menschen an<br />
ihre medizinische Versorgung. Dies ergab unter anderem<br />
eine studie der Beratungsfirma roland Berger<br />
aus 2008.<br />
Die Ausgangssituation ist eigentlich sehr gut: Weltweit<br />
wer<strong>den</strong> für <strong>den</strong> Medizintourismus in <strong>den</strong> nächsten<br />
zehn Jahren umsatzsteigerungen von 50 Mrd. auf 80<br />
Mrd. us-Dollar prognostiziert und die deutschen Ärzte<br />
und Kliniken haben international einen sehr guten ruf.<br />
Vertreter von gewerblichen Vermittlungsagenturen für<br />
Medizintourismus bestätigen zudem, <strong>das</strong>s in Deutschland<br />
ein deutlich besseres preis-Leistungs-Verhältnis für<br />
hochwertige Medizin inkl. der rund um die Behandlung<br />
anfallen<strong>den</strong> Dienstleistungen besteht als z. B. in<br />
<strong>den</strong> usA. (Weitere Informationen zur Marktentwicklung<br />
im Gesundheitstourismus im Internet unter www.<br />
lohas.de; www.lohasguide.de; „LOHA“ = „Lifestyles of<br />
Health and sustainability“.)<br />
Warum sollten nicht auch niedergelassene Fachärzte<br />
und Kliniken in Hessen vom zunehmen<strong>den</strong> Medizintourismus<br />
und vom Gesundheitstourismus profitieren?<br />
Die Frage ist, wie man die entsprechen<strong>den</strong> Angebote<br />
entwickelt und wer <strong>den</strong> Vertrieb und die gesamte<br />
damit zusammenhängende Organisation<br />
übernimmt. Fragt man Fachärzte aus Nordhessen<br />
nach ihrem Interesse und ihren einschlägigen erfahrungen,<br />
so erhält man zur Antwort, <strong>das</strong> sei doch<br />
schon vor Jahren mit <strong>den</strong> arabischen patienten versucht<br />
wor<strong>den</strong>, die Araber seien aber leider nie bis<br />
Nordhessen gekommen. Aus diesen und ähnlichen<br />
erfahrungen andernorts hat man jedoch gelernt. um<br />
Foto: DAK / Wigger
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in Deutschland wirkliche gesundheitstouristische<br />
produkte zu machen, wurde daher die Initiative<br />
„Innovativer Gesundheitstourismus“ gegründet.<br />
Gefördert <strong>durch</strong> <strong>das</strong> Bundesministerium für Wirtschaft<br />
und Technologie und unter dem Dach des<br />
Deutschen Tourismusverbandes, wissenschaftlich begleitet<br />
<strong>durch</strong> <strong>das</strong> Institut für Tourismusforschung in<br />
Nordeuropa und <strong>das</strong> europäische Tourismusinstitut<br />
sammeln die Beratungsfirmen projekt M (Berlin) und<br />
Keck Medical (Hamburg) bundesweit vorbildhafte<br />
Angebote, dies vor allem im rahmen der neun regionalen,<br />
<strong>das</strong> heißt landesweiten Zukunftskonferenzen,<br />
die in diesem Jahr stattgefun<strong>den</strong> haben, aber auch<br />
über <strong>das</strong> Internetportal www.innovativer-gesundheitstourismus.de.<br />
Bei der zentralen Abschlussveranstaltung<br />
im April 2011 wer<strong>den</strong> dann sämtliche ergebnisse<br />
gebündelt und einer breiten Fachöffentlichkeit<br />
vorgestellt. Noch immer können dort innovative Angebote<br />
angemeldet wer<strong>den</strong>.<br />
Bei der Zukunftskonferenz in Hessen präsentierte Dr.<br />
Andreas Keck, Facharzt für Innere Medizin, Kardiologe<br />
und strategieberater von Keck Medicals, <strong>den</strong> Bereich,<br />
für <strong>den</strong> er besonders verantwortlich zeichnet:<br />
Lösungen und Angebote für Menschen, die mit und<br />
wegen einer erkrankung Bedarf an qualitätsgesicher-<br />
T +49 (0) 40 87 97 44 0<br />
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haben. Dazu zählen präventionsangebote,<br />
Check-up-programme, technologieunterstützte Trainings-<br />
und Monitoringprogramme, Vor- und Nachbetreuung<br />
nach Operationen u. Ä.; aber auch neue<br />
einsatzmöglichkeiten der Telemedizin. „Innovativ“<br />
können aber auch neue medizinische schulungs- und<br />
Fortbildungsangebote sein oder Marketingplattformen<br />
und neue Kooperationen in der sicherstellung<br />
der Gesundheitsversorgung einer region. Zu Letzterem:<br />
eine lückenlose Versorgungskette in einer Gesundheitsregion<br />
<strong>durch</strong> die professionell organisierte<br />
Kooperation medizinischer Leistungserbringer ist<br />
auch nach außen, für patienten aus anderen regionen<br />
und Ländern und für gewerbliche Vermittlungsagenturen,<br />
ein interessantes produkt.<br />
Die im projekt „Innovativer Gesundheitstourismus“<br />
beauftragten Beraterfirmen und die beteiligten Tourismusverbände<br />
sowie ausgewählte Teilnehmer der<br />
Konferenzen (darunter zum Beispiel die TuI) bil<strong>den</strong><br />
mittlerweile ein bundesweites Netzwerk, um neuen<br />
gesundheitstouristischen Angeboten und Anbietern<br />
<strong>den</strong> Markteintritt zu erleichtern. Hinzu kommen die<br />
bereits erwähnten Agenturen, die zum Beispiel für<br />
patienten aus Lateinamerika oder russland Komplettpakete<br />
von der Übernahme der reiseformalitäten,<br />
Übersetzungsdiensten sowie Begleit- und Betreuungsdienste<br />
anbieten. Ob TuI oder die anderen<br />
Agenturen: sie alle suchen Ärzte, Kliniken und Nachsorgeeinrichtungen,<br />
um sie in ihr Angebotspaket aufzunehmen.<br />
Dr. Keck und einige der Dienstleister aus dem Netzwerk<br />
stehen als referenten und Berater zur Verfügung<br />
und können zu Gesprächen und Informationsveranstaltungen<br />
zum „Innovativen Gesundheitstourismus“<br />
eingela<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>.<br />
Kontakt über Christine Becker,<br />
Christine Becker Agentur für Kommunikations- und<br />
projektberatung,<br />
Trottstraße 15<br />
34119 Kassel<br />
Mobil: 0160 97 59 52 11<br />
Tel.: 0561 63 05 147<br />
Fax: 0561/63 05 043.<br />
Hier können sie auch die präsentationen und die Dokumentation<br />
der „Hessischen Zukunftskonferenz“<br />
am 21.09.2010 in Wiesba<strong>den</strong> erhalten.<br />
Weitere Informationen unter:<br />
www.innovativer-gesundheitstourismus.de<br />
31
32<br />
Das JobTicket:<br />
einla<strong>den</strong>der einstieg in die<br />
ÖpNV-Welt – für DOXs-Mitglieder<br />
und ihre Mitar<strong>bei</strong>ter<br />
eine stressfreie Fahrt zur Ar<strong>bei</strong>t ohne stau und parkplatzsuche und<br />
<strong>das</strong> meist auch noch deutlich kostengünstiger als mit dem eigenen<br />
Auto: Wie geht <strong>das</strong>? Das JobTicket macht’s möglich. Dieses<br />
spezielle Jahresticket für Busse, Trams, regioTrams und Nahverkehrszüge<br />
bietet nun auch DOXs-Mitgliedern zahlreiche Vorteile.<br />
Auch praxispersonal kann die vergünstigten Jahreskarten nutzen.<br />
Das JobTicket bietet sich als passgenauer Dauerfahrschein an,<br />
<strong>den</strong>n diese um 7 % vergünstigte Jahreskarte kann mehr, als Berufstätige<br />
zur Ar<strong>bei</strong>t bringen:<br />
• Zweifach mit Freizeitwert: Das JobTicket gilt im gesamten<br />
Wohnort sowie im gesamten Ar<strong>bei</strong>tsort. Wer also zum Beispiel im<br />
umland lebt und in Kassel ar<strong>bei</strong>tet, kann damit kostenlos auch im<br />
Kasseler stadtgebiet unterwegs sein. und <strong>das</strong> nicht nur während<br />
der üblichen Ar<strong>bei</strong>tszeiten, sondern ohne einschränkung auch in<br />
<strong>den</strong> übrigen Zeiten (ausgenommen <strong>das</strong> Neun-uhr-Jobticket).<br />
• Übertragbarkeit: Das JobTicket kann nicht nur von dem Inhaber<br />
selbst genutzt wer<strong>den</strong>, sondern eine beliebige andere person<br />
kann ebenfalls damit fahren.<br />
• Begleitung willkommen: Von Montag bis Freitag ab 19 Uhr<br />
und am Wochenende sowie an <strong>den</strong> Feiertagen ganztags hat die<br />
gesamte Familie freie Fahrt. Der JobTicket-Inhaber kann einen<br />
weiteren erwachsenen und alle zum Haushalt gehören<strong>den</strong> Kinder<br />
ebenfalls kostenlos mitnehmen.<br />
• Noch mehr Extras: JobTicket-Inhaber profitieren auch von ermäßigten<br />
eintrittspreisen in Kasseler Bädern, Kinos, Museen und<br />
vielen anderen einrichtungen. Die KVG kooperiert bereits seit<br />
2005 mit einem Carsharing-Anbieter. Da<strong>durch</strong> erhält jeder Abonnent<br />
einer Jahreskarte auch hier günstige Konditionen. und wenn<br />
die stadt Kassel ab dem Frühsommer 2011 an 50 stationen im<br />
stadtgebiet Fahrräder zum Ausleihen bereitstellt, erhalten Besitzer<br />
einer ÖpNV-Zeitkarte für die Ausleihe ebenfalls einen deutlichen<br />
preisnachlass. Busse, Bahnen, Carsharing-pkw und Fahrrad:<br />
so lässt sich zeitgemäße Mobilität günstig kombinieren!<br />
Ihr persönliches JobTicket bestellen sie ganz einfach <strong>bei</strong> Katrin<br />
Kröner, Mitar<strong>bei</strong>terin in der Geschäftsstelle der DOXs eG,<br />
Tel.: 0561 76 62 07 13. Bei Fragen zum JobTicket wen<strong>den</strong> sie sich<br />
bitte direkt an: Constance Bimber, Tel. 0561 30 89 144<br />
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Omega-3-Säuren ethylester 90, bestehend aus 840 mg Doconexent-Ethyl (380 mg)<br />
und Icosapent-Ethyl (460 mg). Sonstige Bestandteile: alpha-Toco pherol (Ph.Eur.),<br />
Gelatine, Glycerol, gereinigtes Wasser, mittelkettige Triglyceride, (3-sn-<br />
Phosphatidyl)cholin aus Sojabohnen. An wen dungs ge biete: Als zusätzliche Be -<br />
handlung zur Vorbeugung nach Herzinfarkt, zusammen mit einer anderen Standard-<br />
Be handlung (z.B. Statine, Thrombozyten aggre gationshemmer, Beta blo cker, ACE-<br />
Hemmer); zur Behandlung be stim mter Formen von erhöhten Blutfettwerten (endogene<br />
Hyper tri gly ceridämie), wenn diätetische Maßnahmen allein nicht ausreichen. Gegen -<br />
an zeigen: Überempfindlichkeit gegen <strong>den</strong> Wirkstoff, gegen Soja oder gegen einen der<br />
sonstigen Bestandteile. Neben wirkungen: Häufig: Dyspepsie, Übelkeit. Gelegentlich:<br />
Gastro en teri tis, Hy per sen sitivi tät, Schwindel, Störung des Geschmacks emp fin <strong>den</strong>s,<br />
Bauch schmer zen, Magen-Darmstörungen, Gastritis, Ober bauch schmerzen. Selten:<br />
Hyper gly kämie, Kopf schmer zen, Schmerzen im Magen-Darm-Bereich, Leberer -<br />
krankungen, Akne, juckender Hautausschlag, nicht klar definierte Erkrankungen. Sehr<br />
selten: Hypotonie, Trockenheit der Nasen schleimhäute, untere Magen-Darm-Blutung,<br />
Urtikaria, Zahl der weißen Blut kör per chen und Lactatdehydrogenase erhöht, mäßige<br />
Erhöhung der Trans aminasen (<strong>bei</strong> Patienten mit Hyper triglyceri dämie). Vorsichts -<br />
maßnahmen/Warnhin weise: Enthält (3-sn-Phosphat idyl)cholin aus Sojabohnen.<br />
Darreichungsformen und Packungs größen: OP mit 28 Weich kapseln N1, OP mit 100<br />
Weichkapseln N3, Klinik packung. Verschreibungs pflichtig. Trommsdorff GmbH &<br />
Co. KG Arzneimittel, 52475 Alsdorf, Stand: April 2010<br />
* Harris et al., J. Cardiovascular Risk, 1997
Online-<br />
Abrechnung Bis zuletzt<br />
widersprüchliche Aussagen der KV Hessen<br />
DOXs holen stellungnahmen ihres<br />
Justiziars und des Hessischen Datenschutzbeauftragten<br />
ein<br />
seit dem 1. Januar 2011 gilt für alle Vertragsärzte<br />
und -psychotherapeuten die gesetzliche pflicht zur<br />
Online-Abrechnung. Das heißt: seit diesem Zeitpunkt<br />
muss die Übermittlung der Abrechnungsdaten „leitungsgebun<strong>den</strong><br />
elektronisch“ erfolgen, so hat es der<br />
Vorstand der KBV im Juli 2009 beschlossen. „Grundsätzlich<br />
ist über <strong>das</strong> Quartal 4/2010 hinaus weder eine<br />
papierabrechnung noch eine Datenträgerabrechung<br />
mög lich“, heißt es in einem schreiben der referentin<br />
des stellvertreten<strong>den</strong> Vorstands der KV Hessen, Dr.<br />
Gerd W. Zimmermann, vom 9.12.2010 an DOXs-<br />
Aufsichtsrat Dr. Klaus Meyer. „Nur in sehr wenigen,<br />
gut begründeten Ausnahmefällen wird von o. g. regelung<br />
abgewichen. Hierzu müssen sie aber so schnell<br />
wie möglich einen schriftlichen Antrag mit Begründung<br />
stellen und <strong>bei</strong> uns im Haus einreichen“, heißt<br />
es darin weiter.<br />
Das schreiben ist die Antwort auf eine Mail von DOXs-<br />
Aufsichtsrat Dr. Klaus Meyer an Dr. W. Zimmermann.<br />
Darin bittet Dr. Meyer um Klärung widersprüchlicher<br />
Aussagen: Auf der Deligierten-Versammlung in Marburg<br />
habe Dr. Zimmermann geäußert, <strong>das</strong>s die KV<br />
Hessen auch weiterhin Diskettenabrechnungen akzeptieren<br />
würde. „Das alles irritiert“, so Dr. Meyer.<br />
Ohnehin ist der KBV-Beschluss zur Online-Abrechnung<br />
umstritten: „es ist nicht einzusehen“, so DOXs-Vorstand<br />
Dr. stefan pollmächer und sein praxiskollege Dr. Ingo<br />
Niemetz, Mitglied im Aufsichtsrat der DOXs eG, „<strong>das</strong>s<br />
die Kosten für die erforderliche Hard- und software auf<br />
die Niedergelassenen abgewälzt wer<strong>den</strong> sollen“.<br />
„Wir wer<strong>den</strong> unsere Abrechnungen<br />
weiterhin auf Diskette einreichen“<br />
Mit Blick darauf haben die <strong>bei</strong><strong>den</strong> sowohl <strong>den</strong> Hessischen<br />
Datenschutzbeauftragten, prof. Dr. Michael ronellenfitsch,<br />
als auch <strong>den</strong> Justiziar der DOXs eG,<br />
rechtsanwalt stefan rohpeter, um stellungnahmen<br />
gebeten. Das ergebnis dokumentieren wir im Folgen<strong>den</strong><br />
– vorab <strong>das</strong> Fazit von Dr. pollmächer und Dr. Niemetz:<br />
„Wir wer<strong>den</strong> unsere Abrechnungen weiterhin<br />
per Diskette <strong>bei</strong> der KV einreichen!“<br />
ein Mitar<strong>bei</strong>ter des Hessischen Datenschutzbeauftragten<br />
schreibt am 29.11.2010 auf Anfrage der DOXs eG,<br />
<strong>das</strong>s aus Datenschutzsicht verschie<strong>den</strong>e punkte zu beachten<br />
seien. so müsse es zunächst einmal eine rechtsgrundlage<br />
für die Übermittlung der Abrechnungsdaten<br />
geben. Die Daten müssten sowohl <strong>bei</strong>m empfänger<br />
als auch in der Arztpraxis sicher verar<strong>bei</strong>tet wer<strong>den</strong><br />
– und <strong>bei</strong> der Übertragung gegen eine „unbefugte<br />
Kenntnisnahme“ geschützt sein. Dies geschieht üblicherweise<br />
<strong>durch</strong> Verschlüsselung. Wörtlich heißt es<br />
überdies: „eine Versendung von Abrechnungsdaten<br />
wäre als ausreichend sicher verschlüsselter e-Mail-Anhang<br />
datenschutzrechtlich möglich, wie es auch <strong>bei</strong><br />
der Übertragung von DMp-Daten geschieht. Die Ärzte<br />
müssen sich vor der Versendung aber davon überzeugen,<br />
<strong>das</strong>s die Daten tatsächlich verschlüsselt sind.“<br />
stefan rohpeter, Fachanwalt für Medizinrecht, schreibt<br />
in seiner stellungnahme vom 24.11.: „Fraglich ist, ob<br />
die Vorgaben der KBV, eine Onlineabrechnung vornehmen<br />
zu müssen, überhaupt rechtmäßig sind. Der<br />
Gesetzgeber schreibt in § 295 Abs. 4 sGB V: ‚Die an<br />
der vertragsärztliche Versorgung teilnehmen<strong>den</strong> Ärzte<br />
[...] haben die für die Abrechnung der Leistungen notwendigen<br />
Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung<br />
im Wege elektronischer Datenübertragung oder maschinell<br />
verwertbar auf Datenträgern zu übermitteln.<br />
Das Nähere regelt die Kassenärztliche Bundesvereinigung.‘<br />
Daraus kann man <strong>durch</strong>aus ableiten, <strong>das</strong>s der Gesetzgeber<br />
<strong>bei</strong>de Wege vorgesehen hat, eben auch die<br />
Übermittlung auf Datenträgern. Da die KBV „nur“<br />
<strong>das</strong> Nähere regelt, kann sie nach meiner einschätzung<br />
nicht diese gesetzliche Vorgabe der <strong>bei</strong><strong>den</strong> zulässigen<br />
Wege in Abrede stellen, sondern nur die Modalitäten<br />
regeln. selbst wenn man unterstellt, <strong>das</strong>s<br />
die KBV zu einer entsprechen<strong>den</strong> regelung befugt<br />
war, sieht die richtlinie der KBV vor, <strong>das</strong>s die Abrechnung<br />
per elektronischer Datenübertragung erfolgen<br />
soll. Dies bedeutet, <strong>das</strong>s nur in bestimmten Ausnahmesituationen<br />
davon abgewichen wer<strong>den</strong> kann. Dies<br />
führt jedoch gleichzeitig dazu, <strong>das</strong>s nicht regelhaft<br />
ein Antrag mit gleicher Begründung erfolgreich sein<br />
kann. Vielmehr müssten besondere umstände vorliegen,<br />
die sicherlich nicht massenhaft vorgetragen<br />
wer<strong>den</strong> können.<br />
Das kann man versuchen; die erfolgsaussichten <strong>bei</strong><br />
Ablehnung <strong>durch</strong> die KV bezüglich einer klageweisen<strong>den</strong><br />
Durchsetzung sind jedoch gering, wenn man<br />
nicht mit der obigen Begründung von der unzulässigkeit<br />
ohnehin ausgeht.<br />
33
KurZ<br />
34<br />
rund 800 Ärztinnen, Ärzte und praxismitar<strong>bei</strong>tende<br />
haben im vergangenen Jahr die Veranstaltungen der<br />
DOXs-Akademie besucht. 31 mit bis zu neun punkten<br />
zertifizierte Fortbildungen bot der Zweig der<br />
DOXs eG in nur neun Monaten an: erst im April 2010<br />
war die Akademie unter der ärztlichen Leitung von<br />
Christoph Claus noch einmal richtig <strong>durch</strong>gestartet.<br />
Der 43-jährige Aufsichtsrat der DOXs eG zieht so<br />
auch eine positive Zwischenbilanz: „Im schnitt haben<br />
22 personen unsere Fortbildungen genutzt – <strong>das</strong><br />
spornt uns an für 2011“, sagt der Facharzt für Allgemeinmedizin<br />
aus Grebenstein. „schließlich wollen<br />
wir auch über ein umfassendes und nutzbringendes<br />
Fortbildungsangebot <strong>den</strong> Mehrwert der Mitgliedschaft<br />
in der DOXs eG verdeutlichen“. Das Verhältnis<br />
zwischen reinen DOXs-Veranstaltungen und Veranstaltungen<br />
in Zusammenar<strong>bei</strong>t mit der pharma-Industrie<br />
habe 10 : 1 betragen, so Claus.<br />
„Wir wer<strong>den</strong> 2011 noch mehr betriebswirtschaftlich<br />
sinnvolle Fortbildungsveranstaltungen für Ärzte, psychotherapeuten<br />
und medizinisches Fachpersonal anbieten<br />
– und <strong>das</strong> nicht nur in Kassel, sondern auch in<br />
<strong>den</strong> anderen nordhessischen Landkreisen, aus <strong>den</strong>en<br />
unsere Mitglieder stammen“, betont der ärztliche<br />
Leiter der Akademie. Neu im programm seien Veranstaltungen<br />
für Vertragsarzt-Anfänger sowie zu Themen<br />
wie Verordnungen von Medizinischer reha, psy-<br />
erste Hilfe in jedem Klassenraum<br />
DOXs eG spendet 14 Verbandskästen<br />
an Fridtjof-Nansen-schule<br />
sie sind knallorange, enthalten Verbandszeug, pflaster,<br />
eisbeutel – und sind ab sofort in jedem der 14<br />
Klassenräume der Fridtjof-Nansen-schule zu fin<strong>den</strong>:<br />
Die 14 Verbandskästen sind eine spende der Ärzte-<br />
und psychotherapeutengenossenschaft DOXs eG an<br />
die Grundschule im Kasseler stadtteil Helleböhn.<br />
eine platzwunde am Kopf war der Auslöser für die<br />
spende: einer der 270 schüler war im Klassenraum<br />
gestürzt und hatte sich verletzt. ein Verbandskasten<br />
musste her, um die blutende Wunde zu versorgen –<br />
doch der befand sich, wie es die regel ist, im meist<br />
verschlossenen sanitätsraum auf dem nächsten Flur.<br />
Das muss anders wer<strong>den</strong>, beschloss die Lehrerin, die<br />
<strong>den</strong> unfall mitbekommen und <strong>den</strong> schüler versorgt<br />
hatte: Jeder Klassenraum sollte mit einem eigenen<br />
Verbandskasten ausgestattet sein – doch die Kosten<br />
dafür hätte die schule nicht ohne weiteres tragen<br />
können.<br />
Die Lehrerin wandte sich an DOXs-Aufsichtsratsmitglied<br />
Dr. Ingo Niemetz. Dieser schaltete <strong>das</strong> Tochterunternehmen<br />
der Genossenschaft ein – und die<br />
DOXs-AKADeMIe: rund 800 Teilnehmer<br />
2011 neu: Kurse für Vertragsarzt-Anfänger, zu psychosomatik<br />
und Instrumentenkunde<br />
chosomatik und Instrumentenkunde. „Wir planen<br />
darüber hinaus Fortbildungen, die vermitteln, wie<br />
eine Betriebswirtschaftliche Auswertung gelesen<br />
wird, wie man Abrechnungen zu verstehen hat und<br />
statistiken in der praxis-eDV auswerten kann“, so<br />
Claus. ebenfalls neu: Kurse für Ärzte, die die betriebsmedizinische<br />
Betreuung ihrer praxis selbstverantwortlich<br />
organisieren wollen. „Alternative bedarfsorientierte<br />
Betreuung von Arztpraxen“ (AbBA) heißt die schulung,<br />
die die DOXs eG in Zusammenar<strong>bei</strong>t mit der Landesärztekammer<br />
anbietet. „Jeder Mitar<strong>bei</strong>ter hat Anspruch<br />
auf einen gesun<strong>den</strong> und sicheren Ar<strong>bei</strong>tsplatz. Zur Verantwortung<br />
des Ar<strong>bei</strong>tgebers gehört es, Gefährdungen<br />
am Ar<strong>bei</strong>tsplatz, also auch in der Arztpraxis, zu beurteilen<br />
und angemessen zu reagieren“, erklärt Claus. Geplant<br />
seien überdies wieder Workshops zur GOÄ, zu<br />
IGeL, zu rechtsvorschriften, Qualitätsmanagement, zu<br />
Möglichkeiten der Ar<strong>bei</strong>tserleichterung sowie zu<br />
Grundlagen für IV-Verträge. Überdies werde erneut<br />
eine Veranstaltung angeboten, mit der die Teilnehmer<br />
ihrer Fortbildungspflicht für die DMp Asthma, COpD,<br />
Diabetes mellitus Typ 2 und KHK an einem Abend<br />
nachkommen können. guz<br />
Die Angebote der DOXs-Akademie sind für DOXs-<br />
Mitglieder in der regel kostenlos, jedoch auch offen<br />
für Nichtmitglieder. Weitere Informationen: simone<br />
predak, Tel.: 0561 – 766 207-11.<br />
schulleiter Dieter Herrmann (li.) und DOXs-Aufsichtsrat<br />
Dr. Ingo Niemetz <strong>bei</strong> der Übergabe der Verbandskästen.<br />
DOXs-Medizintechnik GmbH organisierte die 14 Verbandskästen<br />
im Wert von rund 500 euro. „Wir freuen<br />
uns sehr, <strong>das</strong>s wir nun im ernstfall schneller erste Hilfe<br />
leisten können“, sagt schulleiter Dieter Herrmann.<br />
guz
DOXs nutzt Dienstleistungen der medmedias GmbH<br />
Die DOXs eG will in diesem Jahr verstärkt auf die<br />
Krankenkassen zugehen, um IV-Verträge auszuhandeln.<br />
„Leichter wer<strong>den</strong> die Verhandlungen für uns,<br />
wenn wir da<strong>bei</strong> auf anonymisierte Versorgungsdaten<br />
aus unserer Genossenschaft zurückgreifen können“,<br />
so die DOXs-Vorstände pD Dr. erhard Lang und Dr.<br />
stefan pollmächer. Welche Altersstruktur haben die<br />
patienten, <strong>bei</strong> welchen Krankenkassen sind sie versichert?<br />
Gibt es Krankheiten, die eine besonders große<br />
rolle spielen? Wie gut funktioniert in Nordhessen<br />
zum Beispiel die medizinische Versorgung chronisch<br />
Kranker, welchen einfluss haben gesundheitspolitische<br />
entwicklungen darauf? Versorgungsforschung<br />
heißt <strong>das</strong> stichwort: Fundierte Aussagen etwa über<br />
die Qualität des deutschen Gesundheitswesens lassen<br />
sich nur auf der Basis wissenschaftlicher untersuchungen<br />
treffen. Das Ziel: Die Qualität und sicherheit der<br />
Medizin zu verbessern und Innovationen auf Nutzen<br />
und Wirksamkeit zu überprüfen.<br />
Beim Datenmanagement greift die DOXs eG auf die<br />
Dienstleistungen der medmedias GmbH zurück. Diese<br />
Gesellschaft hat sich unter Leitung des Arztes Dr.<br />
Jörg Blettenberg vor sieben Jahren auf <strong>das</strong> Datenmanagement<br />
von Netzwerken und erar<strong>bei</strong>tung neuer<br />
Kooperationsformen spezialisiert. Medmedias generiert<br />
– zum Nutzen der Ärztenetze – <strong>durch</strong> eine computergestützte<br />
Auswertung aus der praxissoftware<br />
Daten für pharmakooperationen, IV-Vertragsgestal-<br />
DOXs eG kooperiert mit Q-pharm AG<br />
Die große Zahl chronischer Krankheiten belastet die<br />
Gesundheitsausgaben mehr als <strong>das</strong> ärztliche Honorar.<br />
Aus diesem Honorar muss aber die Verantwortung<br />
für eine eventuelle Überschreitung des Arzneimittelbudgets<br />
getragen wer<strong>den</strong>. Daher ist ein aktives<br />
und erfolgreiches Arzneimittelmanagement für die<br />
Mitglieder der Ärztegenossenschaften ein wesentlicher<br />
Bestandteil sinnvoller Ar<strong>bei</strong>t.<br />
Mit Blick darauf ist die DOXs eG eine partnerschaft<br />
mit der ärztegenossenschaftlichen Q-pharm AG eingegangen.<br />
Vor zehn Jahren als Tochterunternehmen<br />
der Ärztegenossenschaft schleswig-Holstein gegründet,<br />
hat sich die AG auf dem Arzneimittelmarkt mit<br />
einer im Vergleich zum Marktgeschehen transparenten<br />
preispolitik und in der aktiven Verantwortung im<br />
rahmen der Arzneimittel-Budgetierung positioniert.<br />
„Die Q-pharm AG verfolgt mit ausgesuchten generischen<br />
Arzneimitteln <strong>den</strong> richtigen Ansatz: Die bewusste<br />
entscheidung für ein Kernsortiment entlastet<br />
die verordnen<strong>den</strong> Ärzte in dem Bereich, wo tagtäglich<br />
rund 80 % der Arzneimittelkosten anfallen“, erklärt<br />
Tilman von Broen, Netzwerkkoordinator der Qpharm<br />
AG, „so schafft man sich genügend Freiraum,<br />
tungen und Versorgungsforschungsprojekte.<br />
Daraus resultiert<br />
ein Vorteil für die Genossenschaft<br />
– und somit für die<br />
Gesamtheit aller Mitglieder.<br />
Kurzfristig erhält aber auch der<br />
einzelne Arzt für die erfassung<br />
der Daten in seiner praxis eine<br />
Aufwandsentschädigung. Der<br />
Vorgang ist ähnlich wie <strong>bei</strong> der<br />
ers tellung einer Abrechungsdiskette für die KV. In<br />
neue Technik muss nicht investiert wer<strong>den</strong>. Denn <strong>das</strong><br />
medmedias-IT-system ermöglicht die sammlung der<br />
Verordnungs- und Behandlungsdaten aus <strong>den</strong> praxissoftwaresystemen<br />
heraus – ohne zusätzlichen Zeitaufwand.<br />
ein aufwendiger Anonymisierungs vorgang<br />
sorgt dafür, <strong>das</strong>s sämtliche relevanten Datenschutzbestimmungen<br />
eingehalten wer<strong>den</strong>. Anschließend<br />
wer<strong>den</strong> die Daten über eine personalisierte und sichere<br />
Verbindung (VpN-Tunnelung) übertragen und<br />
weiterverar<strong>bei</strong>tet. „Die Daten können vorbereitend<br />
für alle neuen Verträge verar<strong>bei</strong>tet wer<strong>den</strong> und stehen<br />
für alle neuen projekte sofort mittels einer einmaligen<br />
Datenextraktion im Quartal zur Verfügung“,<br />
erklärt Dr. Blettenberg, „ein Verkauf dieser Daten an<br />
Dritte findet nicht statt“. guz<br />
Weitere Informationen: DOXs-Geschäftsstelle,<br />
Telefon: 0561 766 207-12.<br />
um auch in besonderen Fällen teure Originalpräparate<br />
ohne regressangst verordnen zu können“.<br />
entschei<strong>den</strong>d für erhalt der so erlangten Verordnungsfreiheit<br />
sei allerdings <strong>das</strong> rezeptieren von Qpharm-<br />
Arzneimitteln mit dem Aut idem-Kreuz.<br />
Gleichzeitig werde die <strong>durch</strong> rabattverträge leichtfertig<br />
aufs spiel gesetzte Verordnungssicherheit wieder<br />
hergestellt. „Denn für die Wirkung und die Nebenwirkung<br />
einer Verordnung haftet nun mal der Arzt<br />
und niemand sonst“, so von Broen. Das Q-pharmprinzip<br />
bewirke nachhaltig erfolg, genieße auch <strong>bei</strong><br />
<strong>den</strong> Krankenkassen hohe Anerkennung und sei deshalb<br />
wesentlicher Bestandteil zahlreicher projekte<br />
und Verträge. ein Beispiel sei aktuell <strong>das</strong> bundesweit<br />
beachtete projekt „strukturierte Arzneimitteltherapie<br />
multimorbider senioren“ (sams). guz<br />
Netzwerkkoordinator Tilman von Broen stellt <strong>das</strong><br />
Q-Pharm-Arzneimittelmanagement der Q-Pharm-<br />
AG regelmäßig in <strong>den</strong> Räumen der DOXS-Geschäftsstelle<br />
vor und besucht auf Wunsch auch<br />
Praxen vor Ort.<br />
Weitere Informationen: Telefon: 0561 766 207-11.<br />
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