Blick Titel O.K. - OPUS - Universität Würzburg
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38 Forschungsschwerpunkt<br />
Ein Zentrum für Musikforschung<br />
entsteht<br />
Umfassende Forschung und Lehre wird angestrebt<br />
Ulrich Konrad, Institut für Musikwissenschaft<br />
Wie komponiert Mozart und welche<br />
stilistischen Eigenarten seiner Musik<br />
lassen sich bestimmen? Auf welche Weise<br />
verbinden sich Liturgie, Text und Gesang<br />
im mittelalterlichen Gottesdienst? Was<br />
haben die Tragödie im antiken Griechenland,<br />
die favola in musica um 1600 und das<br />
Musiktheater Richard Wagners gemein?<br />
„Musikalisches Hören“ – was heißt das?<br />
In welchen Traditionszusammenhängen<br />
steht der Osterbrauch des Ratschens in<br />
der Rhön?<br />
Welche Funktion erfüllt das Spiel von Holmxylophonen<br />
bei afrikanischen Völkern an der Elfenbeinküste,<br />
in Nordmoçambique, Malawi und im<br />
südwestlichen Tanzania? Warum hat es in der Geschichte<br />
mehr Komponisten als Komponistinnen<br />
gegeben? Was ist das besondere einer Stradivari-Geige?<br />
Welche Bedeutung hat das chinesische<br />
Orakelbuch Yì Jìng für die Kompositionsweise John<br />
Cages seit den 950er Jahren? Für welches Instrument<br />
hat Johann Sebastian Bach seine Kunst<br />
der Fuge geschrieben? Was ist Musik?<br />
Das Phänomen, mit dem sich die Musikwissenschaft<br />
auseinandersetzt, ist seit den Anfängen<br />
der menschlichen Zivilisation Bestandteil aller<br />
Kulturen und Gesellschaftsformen gewesen und<br />
bis heute geblieben. Musizieren gehört zu den<br />
anthropologischen Konstanten ebenso wie die<br />
Zuweisung von Bedeutungen an das, was der<br />
Mensch mit seiner Stimme oder mit Instrumenten<br />
hervorbringt. Das Anschauen und reflektierende<br />
Betrachten der vielfältigen Erscheinungen von<br />
Musik, also die im ursprünglichen Wortsinne zu<br />
verstehende „Musiktheorie“, ist dabei aber nicht<br />
irgendeine neuzeitliche Erfindung, sondern hat<br />
von Anfang an zum musikalischen Handeln des<br />
Menschen dazugehört.<br />
Erst vor wenigen Jahren ist es beispielsweise<br />
gelungen, Fragmente einer vor 27.000 Jahren aus<br />
einem Tierknochen gefertigten Flöte zu identifizieren.<br />
Das vor allem Faszinierende an diesem<br />
Fund ist die Tatsache, dass die Flöte Grifflöcher<br />
aufweist, der steinzeitliche Instrumentenbauer<br />
also aus einem potentiell unbegrenzten Tonvorrat<br />
eine Auswahl getroffen und das Rohmaterial des<br />
Knochens so zubereitet hat, dass er die von ihm<br />
festgelegten Töne schließlich „künstlich“ produzieren<br />
konnte. „Künstlich“, weil er vermöge seiner<br />
physiologischen Ausstattung wie jedes Subjekt<br />
der Gattung Homo sapiens sapiens ohnehin zu<br />
singen in der Lage war, also aus sich heraus Töne<br />
hervorzubringen vermochte.<br />
Mehr als das eigene Singen zu wollen und dafür<br />
geeignete Mittel zu finden, ging nicht ohne Reflexion.<br />
Das ist Menschen stets bewusst gewesen,<br />
und in allen alten Kulturen finden wir darüber<br />
aussagekräftige Zeugnisse. Der römische Gelehrte<br />
Boethius etwa, der zu Beginn des 6. Jahrhunderts<br />
nach Christus am Hofe Theoderichs in Ravenna<br />
gewirkt und an diesem prominenten Ort auch eine<br />
Wissenschaft von der Musik verfolgt hat, sah es<br />
als selbstverständlich an, „dass die Musik von<br />
Natur aus in uns liegt und dass wir derselben,<br />
auch wenn wir es wünschten, nicht entbehren<br />
können. Deswegen nun muss auch die Kraft des<br />
Geistes danach streben, durch die Wissenschaft<br />
das zu ordnen und zu befestigen, was uns von<br />
der Natur als Angebinde gegeben ist.“<br />
Was Boethius als gedankliches Erbe des Altertums<br />
festgehalten hat, wurde Ende des 9.<br />
Jahrhunderts zum Entwurf einer universalen<br />
Musikwissenschaft ausformuliert. Alle Erscheinungsformen<br />
des Klingenden, das Gesamtgebiet<br />
der Musik in Geschichte und Gegenwart sowohl<br />
in europäischen als auch in außereuropäischen<br />
Kulturen, die physiologischen Grundlagen und<br />
psychischen Bedingungen des Musizierens,<br />
Traditionen musikalischen Wissens und ihre<br />
Vermittlung – all das und manches mehr fand<br />
in einer beinahe unbegrenzten Vorstellung von