Kunst und Moral - Udo Schaefer
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<strong>Kunst</strong> <strong>und</strong> <strong>Moral</strong> 17<br />
geoise Beschränktheit der „Ewig-Gestrigen“ abgetan. Sie beharren<br />
darauf, dass die <strong>Kunst</strong> sich weder irgendwelchen moralischen Normen<br />
beugen dürfe noch einer Selbstzensur, dass die <strong>Kunst</strong>, wenn sie<br />
gesellschaftliche Tabuthemen aufgreife <strong>und</strong> sie „mutig’ 43 auf „vermeintlich<br />
[!] obszöne Weise“ zum Gegenstand ihrer Betrachtungen<br />
mache, den traditionellen Auftrag erfülle, Spiegel der Gesellschaft<br />
<strong>und</strong> ihrer latenten Krankheitssymptome zu sein.<br />
Nun ist die <strong>Kunst</strong> durchaus ein Seismograph für den Zustand <strong>und</strong><br />
die Entwicklung einer Gesellschaft. Doch seit man die Kategorie des<br />
<strong>Moral</strong>ischen für den Bereich der <strong>Kunst</strong> als irrelevant erklärt hat, verzichtet<br />
diese auf ihre moralische Bestimmung, auf den pädagogischen<br />
Zweck, die Menschen aus den Niederungen des Gemeinen,<br />
Hässlichen <strong>und</strong> Bösen zum Schönen <strong>und</strong> Erhabenen zu führen. Das<br />
Fehlen der moralischen Kategorie in diesem Bereich ist Ausdruck des<br />
vorherrschenden Nihilismus <strong>und</strong> der hier beschriebenen Dekadenz<br />
unserer Zeit. Eine Gesellschaft, die sich vornehmlich an den Darstellungen<br />
von Krankheitssymptomen delektiert, hat alle Scham verloren.<br />
Unsere Zeit ist denn auch eine Zeit kollektiver Schamlosigkeit. 44<br />
Die <strong>Kunst</strong> ist – wie auch die Religion – doppelgesichtig wie der<br />
römische Gott Janus, ambivalent: Einer Schönheit verpflichtet, „unangesteckt<br />
von der Verderbnis der Geschlechter <strong>und</strong> Zeiten, welche<br />
tief unter ihr in trüben Strudeln sich wälzen“ 45 , kann sie die<br />
Menschheit zu höchsten Höhen erheben. <strong>Kunst</strong> kann aber auch, zu-<br />
deutscher Impressionisten <strong>und</strong> Expressionisten, darunter Werke von Max Liebermann,<br />
Emil Nolde, Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluf, Erich Heckel, Max Beckmann<br />
u. a., mit diesem Verdikt gebrandmarkt <strong>und</strong> aus dem Verkehr gezogen wurden.<br />
Wenn ein pornographisches Machwerk, die Abbildung eines nackten Weibes mit inkorporiertem<br />
Vibrator, dreist als „<strong>Kunst</strong>werk“ ausgestellt wird – so geschehen auf<br />
einer Ausstellung der Tate Gallery 2003 –, scheue ich mich nicht, diesen Begriff zu<br />
gebrauchen. Eine <strong>Kunst</strong>, die alles daransetzt, das Publikum zu provozieren <strong>und</strong> zu<br />
schockieren, darf sich nicht beklagen, wenn sie durch ein provokatives Vokabular als<br />
ein Zeugnis des Verlustes von Anstand <strong>und</strong> Würde, als Erzeugnis aus der Kloake<br />
menschlicher Abgründe, als eine Pervertierung ihrer selbst entlarvt wird.<br />
43 Wer gegen die Regeln des Anstands <strong>und</strong> der <strong>Moral</strong> verstößt, wird als „mutig“ gelobt.<br />
44 Proteste des Theaterpublikums gegen die Fäkalsprache, gegen Vulgarität <strong>und</strong> Obszönität<br />
auf der Bühne, die es in den 50er <strong>und</strong> 60er Jahren noch gab, sind längst verstummt,<br />
weil solche Usancen zur Normalität geworden sind. Der österreichischen Schriftstellerin<br />
<strong>und</strong> Literatur-Nobelpreisträgerin 2004, Elfriede Jellinek, gingen bei einem vom<br />
deutschen Fernsehen im November 2004 ausgestrahlten Interview die Worte<br />
„Schwänze <strong>und</strong> Mösen“ ohne jede Scheu über die Lippen.<br />
45 Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen, Neunter Brief, S. 298