Kunst und Moral - Udo Schaefer
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<strong>Kunst</strong> <strong>und</strong> <strong>Moral</strong> 19<br />
doch die Tonalität zugunsten der Dodekaphonie aufgegeben wurde<br />
<strong>und</strong> Schönheit kein zu erstrebendes Ideal mehr war, hat sich die Tonkunst<br />
in einem blutleeren Formalismus erschöpft. Die atonale Musik<br />
der Nachkriegszeit <strong>und</strong> die später aufgekommene elektronische Musik<br />
empfinde ich als uninspiriert, öde <strong>und</strong> steril. Die Popularisierung der<br />
<strong>Kunst</strong> hat auch in der Musik ihren Ausdruck gef<strong>und</strong>en: in der „Pop“-<br />
<strong>und</strong> „Rockmusik“. Auf sie werden wir noch zu sprechen kommen.<br />
III.<br />
Die <strong>Kunst</strong> ist ästhetische Vergegenwärtigung der Welt; sie ist sinnlicher<br />
Ausdruck der Schönheit. Die <strong>Kunst</strong> ist „schön“, wenn sie es vermag, die<br />
Herzen anzurühren <strong>und</strong> den Menschen in seinem Inneren zu ergreifen.<br />
Mit ihrer Sprache vermag sie eindringlicher <strong>und</strong> unmittelbarer zu wirken<br />
als das begriffliche Denken von Philosophie <strong>und</strong> Wissenschaft. Die<br />
Schau des wahren Künstlers kann in die Tiefen der Ideenwelt reichen<br />
<strong>und</strong> mit einer Eindringlichkeit sprechen, die diskursives Denken nie<br />
erreicht. Echte <strong>Kunst</strong> erreicht das Herz.<br />
Der Dichter Matthias Claudius50 hat mit seiner frommen, gemütstiefen<br />
Lyrik <strong>und</strong> seiner kunstvollen Sprache bewusster Naivität <strong>und</strong><br />
Schlichtheit, mit der er „an das Bessere <strong>und</strong> Unsichtbare erinnern“<br />
wollte, über alle Schranken von Stand <strong>und</strong> Bildung hinweg jedes<br />
Gemüt angesprochen, zumal in seinem Abendlied „Der Mond ist aufgegangen“.<br />
Man hat Johann Sebastian Bach den fünften Evangelisten<br />
genannt, weil in seinem Werk die letzten Geheimnisse der christlichen<br />
Offenbarung widerleuchten <strong>und</strong> der Lobpreis Gottes eine<br />
Dimension erreicht, die dem gesprochenen Wort unerreichbar bleibt.<br />
Ähnliches lässt sich von Mozarts Requiem sagen, das die erhabenen<br />
Texte der katholischen Totenmesse in einem Maße vergegenwärtigt,<br />
dass der Hörer, der über diese Dimension verfügt, in seinen tiefsten<br />
Empfindungen erfasst, aufgewühlt, erschüttert <strong>und</strong> zum Überirdischen<br />
hingerissen wird. Das Menschheitspathos von Schillers „Ode an<br />
49 Hans Pfitzner, Igor Strawinsky, Sergej Prokofieff, Dimitrij Schostakovitsch, Olivier<br />
Messiaen, Karl Orff, Benjamin Britton, Aaron Copland, Samuel Barber, Charles Yves, um<br />
nur diese zu nennen, haben in dieser finalen Phase noch bedeutsame Werke geschaffen.<br />
50 1740-1815