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Kunst und Moral - Udo Schaefer

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<strong>Kunst</strong> <strong>und</strong> <strong>Moral</strong> 27<br />

Das unaussprechlich Innige aller Musik, vermöge dessen sie als ein so ganz vertrautes<br />

<strong>und</strong> doch ewig fernes Paradies an uns vorüberzieht, so ganz verständlich <strong>und</strong> doch so<br />

unerklärlich ist, beruht darauf, dass sie alle Regungen unseres innersten Wesens wiedergibt,<br />

aber ganz ohne die Wirklichkeit <strong>und</strong> fern von ihrer Qual. 117<br />

Musik wirkt, wie man heute weiß, unmittelbar über das Stammhirn<br />

auf das vegetative Nervensystem. Das Ohr ist eng verb<strong>und</strong>en<br />

mit dem Thalamus, einer Hirnregion, die als Tor zum Bewusstsein<br />

<strong>und</strong> zum limbischen System gilt, in dem die Gefühlsreize verarbeitet<br />

werden. 118 Deshalb hat die Musik eine so mächtige Wirkung auf den<br />

Menschen. Obwohl sie eine physische Sache ist, hat sie einen mächtigen<br />

Einfluss auf die Seele. Die alten Ägypter <strong>und</strong> Griechen haben<br />

sie für therapeutische Zwecke verwandt119 , <strong>und</strong> heute geschieht dies<br />

wieder in der modernen Psychiatrie.<br />

Doch die Wirkung der Musik kann sehr verschieden sein. Wie alle<br />

<strong>Kunst</strong> ist auch sie ambivalent. Eine schöne Stimme oder eine Melodie<br />

kann die edelsten <strong>und</strong> erhabensten Gefühle hervorrufen, wie<br />

‘Abdu’l-Baha - ausführte:<br />

Wenngleich Töne nur Schwingungen der Luft, nur von der Luft transportierte Zufallserscheinungen<br />

sind, die auf den Gehörnerv wirken – sieh, wie sie das Herz bewegen! Eine<br />

w<strong>und</strong>ersame Melodie beflügelt den Geist <strong>und</strong> lässt die Seele vor Freude erschauern. 120<br />

Musik kann aber auch ganz andere, wie z. B. kriegerische Gefühle<br />

hervorrufen. Nach Plutarch wurde sie bei manchen Völkerschaften<br />

hoch geschätzt, weil sie im Falle des Krieges zur Tapferkeit aufmuntere.<br />

Die Spartaner galten als höchst musikalisch <strong>und</strong> als eminent<br />

kriegerisch zugleich. Die Musik der Janitscharen diente kriegerischen<br />

Zwecken: der Abschreckung des Feindes <strong>und</strong> der Erzeugung<br />

Orgasmus genial in Noten gesetzt, was schon deshalb keine Obszönität, kein Tabubruch<br />

war, weil diese Stelle nur von Eingeweihten verstanden wird.<br />

117 Die Welt als Wille <strong>und</strong> Vorstellung, Bd. I,1, 3. Buch, § 52 (S. 331)<br />

118 Siehe Karl R. Popper/John C. Eccles, Das Ich <strong>und</strong> sein Gehirn, Teil II, Kap. E 1,6, S. 308;<br />

Robert Jourdain, Das wohltemperierte Gehirn. Wie Musik im Kopf entsteht, Berlin 2001<br />

119 Auf ägyptischen Papyri ist festgehalten, wie Priester mit Hilfe beschwörender Töne die<br />

Fruchtbarkeit von Frauen zu steigern versuchten. Pythagoras galt die Musik wegen der<br />

ihr zugr<strong>und</strong>e liegenden Elemente, Harmonie <strong>und</strong> Zahl, als umfassendes therapeutisches<br />

Prinzip. Ihm soll es gelungen sein, einen tobenden Liebhaber zu besänftigen, indem er einfach<br />

die Tonart beim Leierspiel wechselte. Bekannt ist auch die schlaffördernde Wirkung<br />

der Musik. Eine Studie aus den 70er Jahren zeigte, dass die Wiegenlieder der<br />

verschiedenen Kulturen einander in der Struktur frappierend ähnlich sind: Meist auf<br />

fünf Tönen beruhend, ist allen ein langsames Tempo, niedrige Intervalle <strong>und</strong> ein regelmäßiger<br />

Rhythmus eigen.<br />

120 Briefe <strong>und</strong> Botschaften 129:4

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