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leben. Hinzu kommt, dass diese Planungsliebe, die wesentlicher<br />

Teil der Agenda-Setting-Welt ist, nicht freudlos und mit wachsender<br />

Frustration, sondern mit großer Hingabe betrieben wird.<br />

Immer wieder neu und fröhlich, immun gegen den Rückschlag.<br />

Wir Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter in der Kommunikationswelt<br />

ziehen von Baustelle zu Baustelle – es sind manchmal<br />

neue Jobs und Umgebungen, manchmal neue Kolleginnen<br />

und Kollegen, manchmal neue und spezielle sprachliche Codes<br />

– sicher ist lediglich der thematische Wechsel. Kein Jahr gleicht<br />

dem vorherigen. Die Akteure verändern sich, die Medien ticken<br />

anders, neue „Kanäle“ kommen dazu, alte verschwinden und<br />

was im letzten Jahr noch wichtig war, ist bald schon wieder nur<br />

Erinnerung. Manche werden diese Unübersichtlichkeit lieben,<br />

aber eigentlich mögen wir es schon kalkulierbarer.<br />

Wenn wir die Landschaft überblicken, können wir uns einstellen.<br />

Wir können Ziele genauer erkennen und uns auf Risiken vorbereiten.<br />

Wir sind präpariert. Wir brauchen die Suggestion, dass<br />

wir im Prinzip dazu in der Lage sind.<br />

Wir brauchen es so, wie unsere VorVorVor....fahren gerne auf dem<br />

Hügel saßen und ins Tal sahen, ob da wer kommt. Wir schlafen<br />

so besser.<br />

Die Komplexität macht aber aus „Hügelsicherheit“ eine Farce.<br />

Wir bewegen uns ja nicht in einer dualistischen Kommunikation<br />

von einem Sender/Empfänger zum anderen Sender/Empfänger.<br />

In der Regel bewegen wir uns in oder mit komplexen Organisationen,<br />

in denen unterschiedliche Interessen, Charaktere, Tempi<br />

unter einem Dach versammelt sind. Wir bewegen uns mit einem<br />

Bündel von Themen in einer temperamentvollen Landschaft.<br />

Wir wissen alle: Jede Kommunikation ist keine lineare Abfolge,<br />

in der Informationen ausgetauscht werden, sondern es ist eine<br />

sehr lebendige Interaktion. Viele Tools, die wir im Zusammenhang<br />

mit der Aufgabe des Agenda Settings nutzen, sind zu statisch,<br />

um dies auch nur annähernd abbilden zu können.<br />

Manche spüren die Lücke und verlangen dann mehr: Mehr<br />

Stakeholder-Mapping, mehr Data-Mining, mehr Social-Media-<br />

Analyse, mehr Orchestrierung, mehr 360Grad, mehr irgendwas.<br />

Nicht wenige leben davon ganz gut. Aber es ist natürlich ein<br />

ziemlich kurzatmiges Geschäftsmodell. Denn man wird auch<br />

so nicht – abgesehen von Zufallstreffern, die es immer mal gibt<br />

– zum Ziel kommen können.<br />

Wer bis hierhin gelesen hat, wird langsam eine Frage haben: Ja<br />

und? Was folgt daraus? Soll man es dann lassen?<br />

Mein langjähriger Chef war Franz Müntefering. Rund 14 Jahre<br />

habe ich für ihn und mit ihm arbeiten können. Ich habe in den<br />

Jahren eine Menge durch zuschauen lernen dürfen und manches<br />

erst später begriffen. Er ist ein Kenner und Liebhaber von Albert<br />

Camus und bemühte gerne den Mythos des Sisyphos, den man<br />

sich als glücklichen Menschen vorstellen sollte. Und das ist ja zuerst<br />

schwer zu verstehen, die Vergeblichkeit – und Monotonie in<br />

dem beharrlichen Rollen des Steines im Blick und dann Glück?<br />

„Darin besteht die verborgene Freude des Sisyphos. Sein Schicksal<br />

gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache.“ (Albert Camus, Der Mythos<br />

des Sisyphos). in bisschen Demut kann also nicht schaden<br />

und tut dem Gewerbe und uns Wanderarbeiterinnen und<br />

–arbeitern ganz gut.<br />

Das ist leicht geschrieben aber im wahren Berufsleben schwer.<br />

Denn es bedeutet, in realismus-unfreundlichen Umgebungen zu<br />

sagen, was ist und was geht.<br />

Es bedeutet, über Voraussetzungen für erfolgreiche Kommunikation<br />

zu sprechen und darüber, warum sie so noch nicht vorliegen.<br />

Das ist keine kleine Aufgabe, denn in der Regel wird ein<br />

Agenda Setting von Führungsebenen „angefordert“. Also von<br />

„EIN MENSCH IST IMMER DAS<br />

OPFER SEINER WAHRHEITEN.“<br />

ALBERT CAMUS<br />

<strong>Tagung</strong> Agenda Setting | 11<br />

jenen Stellen, die mitunter in einer bizarren Sterilität und Distanz<br />

zur wirklichen Wirklichkeit agieren. Es kann sein, dass die<br />

Organisation, das Unternehmen eine gute „Widerspruchskultur“<br />

hat. Es kann aber auch sein, dass es kaum möglich ist, die wilden<br />

Ideen auf die Füße zu stellen. Dann muss man es ändern, aushalten<br />

oder gehen.<br />

Denn:“Ein Mensch ist immer das Opfer seiner Wahrheiten.“ (Albert<br />

Camus, Der Mythos des Sisyphos). Zur professionellen Demut<br />

gehört aber auch, dass man selber nicht zu viel verspricht.<br />

Dies ist ebenfalls nicht einfach. Wenn man Mitarbeiter oder Mitarbeiterin<br />

ist, kann dies als Mangel an Ambition interpretiert<br />

werden. Wenn man beratender Dienstleister ist, kann dies den<br />

Auftragsverlust zur Folge haben. Man sollte sich selber – unabhängig<br />

in welcher Rolle man in diesem Feld aktiv ist – darüber<br />

Gedanken machen und das ist wichtig, welche spezielle Qualität<br />

man zur Verfügung stellen kann und will. Themen stehen nicht<br />

isoliert, Interessen sind in einem komplizierten Geflecht gefangen,<br />

dass schon lange nicht mehr mit Kraft und Gegenkraft erklärt<br />

werden kann. Die guten alten Zeiten von Kapital und Arbeit<br />

sind passé, um es in ein Bild zu bringen. Hinzu kommt die<br />

Entgrenzung der Informationswelt und die, oft beschriebene,<br />

Beschleunigung des Medienzyklus.<br />

Wenn wir in dieser Umgebung Nachhaltiges und Werthaltige<br />

unternehmen wollen, können wir es nur in der Qualität finden.<br />

Es geht also nicht darum, alles zu lesen und zu sehen, sondern<br />

das Wesentliche als Wesentliches zu erkennen und zu verstehen.<br />

Es geht darum, genau zu wissen, was man ist und will. Wenn<br />

man dies aber leisten will, brauchen wir Wanderarbeiterinnen<br />

und Wanderarbeiter, neben den fachlichen Fertigkeiten und<br />

Erfahrungen, vor allem den gesunden Menschenverstand und<br />

Neugier im Sinne von „verstehen wollen“.<br />

Agenda-Setting, Surfing, Cutting oder was auch immer: Dies alles<br />

sind Mittel zum Zweck. Der Zweck ist die Herbeiführung von<br />

oder Verständigung auf Lösungen durch Kommunikation. Kommunikation<br />

im Sinne eines Gesprächs, eines Austauschs. Und<br />

dies ist weder klassische Propaganda noch Manipulation.

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