Reise nach Zypern - Eberhardt TRAVEL
Reise nach Zypern - Eberhardt TRAVEL
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<strong>Reise</strong> <strong>nach</strong> <strong>Zypern</strong><br />
…wo die Götter Urlaub machen – Erlebnis <strong>Zypern</strong><br />
vom 28. September – 12. Oktober 2006<br />
I. Prolog<br />
E<br />
s war eigentlich ein Zufall, und er kam von ungefähr, dass wir diese <strong>Reise</strong> bei<br />
<strong>Eberhardt</strong> Travel buchten. Angeregt durch eine erlebnisreiche Fahrt mit diesem<br />
Unternehmen <strong>nach</strong> Zentralfrankreich im Juni 2005 folgten Martina und ich einer<br />
Einladung zur „<strong>Reise</strong>messe“ in das World Trade Center in Dresden am 8. Oktober 2005.<br />
Unter der riesigen Glaskuppel waren, Messeständen ähnlich, am Rande zweier Gassen eine<br />
ganze Menge Holzbuden aufgebaut, jede ein <strong>Reise</strong>land vertretend, in das man reisen konnte.<br />
Kleine Näschereien, Weinproben, Prospekte aller Art wurden angeboten. Die Anbieter waren<br />
größtenteils Vertreter der <strong>Reise</strong>büros in diesen Ländern. In den Gängen tummelte sich eine<br />
bunte Welt des Tourismus, mit schreienden Farben, oberflächlichen Werbesprüchen und den<br />
üblichen Klischees, auf die hereinzufallen man vom breiten Publikum erwartete. Es war eine<br />
richtige Messe- nur die Produkte waren eben <strong>Reise</strong>n.<br />
Gleichzeitig lag der neue <strong>Eberhardt</strong>- Katalog für die Neue <strong>Reise</strong>saison 2005/2006 an allen<br />
Ecken aus. Wir wussten, dass am Saisonbeginn und -ende jeweils recht preisgünstige und<br />
interessante <strong>Reise</strong>n, vor allem für die treuen Kunden ausgelobt wurden.<br />
Der erste Blick fesselte mich: Korsika! Ich konnte Martina begeistern, und wir buchten sofort<br />
eine Busreise für das zeitige Frühjahr 2006. Endlich würden wir diese herrliche<br />
Mittelmeerinsel kennen lernen.<br />
Dann bummelten wir entspannt durch die Budenstraßen, die von einem fürchterlichen Lärm<br />
aus überzogenen Lautsprechern und von neugierigen Besuchern angefüllt waren. Es zog mich<br />
zum Stand von Frankreich, weil ich gerne noch eine Fahrt dorthin unternehmen wollte,<br />
obwohl ich gerade gebucht hatte. Ein Glas Rotwein beschwingte uns. Gedanklich befanden<br />
wir uns im Mittelmeer. Eine Elsaß- <strong>Reise</strong> wäre uns noch recht gewesen oder eine in die<br />
Normandie und Bretagne.<br />
Auch der warme Süden zog uns beide schon immer an. Die <strong>Reise</strong>n in die Adria <strong>nach</strong> Kroatien<br />
tauchten in der Erinnerung auf. Dann wollten wir schon lange <strong>nach</strong> Griechenland, ins Land<br />
der Antike. Spanien und Portugal war sehr lange schon ein Ziel. Auf meiner Warteliste ruhten<br />
weiter die Mittelmeerinseln Sizilien, Sardinien, Kreta, Rhodos, Malta, und plötzlich standen<br />
wir vor einem Stand, wo eine junge Frau mit viel Verve für ihr Heimatland <strong>Zypern</strong> warb und<br />
mein Interesse weckte. Sie zeigte auch gleich im Katalog eine große Rundreise durch <strong>Zypern</strong><br />
– ich wollte, wenn ich uns diesem weiten Flug aussetzte - schon so viel wie möglich von der<br />
Insel sehen. Wir traten näher. Frau Ismini, so hieß sie und vertrat hier ihr zyprisches<br />
<strong>Reise</strong>büro „ISMINI –<strong>TRAVEL</strong>“, versprach uns mit eifrigen Worten eine interessante und<br />
vielseitige <strong>Reise</strong>, sie verstand es, Martina und mich für diese Fahrt zu erwärmen. Der Haken<br />
war geworfen und saß im Fleisch. Der Entschluss für unsere gemeinsamen <strong>Reise</strong>n wurde<br />
immer spontan getroffen. Wir haben nie lange gezögert und waren noch nie enttäuscht.<br />
Wir nahmen so viel Prospekte, Karten und Informationsbroschüren mit, wie es zu diesem<br />
Lande gab. Wir waren beide von ihrem freundlichen Wesen sehr eingenommen, und als Frau<br />
Ismini uns versprach, zu dieser <strong>Reise</strong> unsere Führerin zu sein, hatte sie uns gewonnen.<br />
Zu Hause besprachen wir alles noch einmal, studierten die <strong>Reise</strong> genau, wogen die Finanzen<br />
und Martinas Urlaubsmöglichkeiten ab und legten uns fest.<br />
Fast ein Jahr dauerte es nun, bis der <strong>Reise</strong>- Termin heranrückte. Unterdessen besuchten wir<br />
im Frühjahr 2006 die herrliche französische Mittelmeerinsel Korsika. Im Juni verbrachten wir<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 1
10 Tage in Kärnten/Österreich, auf dem Reißeck in 2200 Meter Höhe. Schnee zur<br />
Sonnenwendfeier!<br />
Nun rückte das September- Ende heran. Martin nervte mich, doch im Internet <strong>nach</strong> dem<br />
Wetter auf <strong>Zypern</strong> zu fahnden. Ich fand im Netz Tagestemperaturen um die 30 Grad. Dann<br />
kam das Kofferpacken. Martina räumte die Schränke leer, probierte unsere Koffer aus- das<br />
übliche Zeremoniell. Also flogen die warmen Sachen wieder in den Schrank zurück. Das<br />
Bundsministerium für Auswärtige Angelegenheiten meldete keine <strong>Reise</strong>warnungen. Manch<br />
einer der Bekannten äußerte Bedenken: „Nee, <strong>nach</strong> <strong>Zypern</strong> würde ich nicht fahren!“ Warum,<br />
konnten sie mir nicht erklären. Abneigung, um nicht zu sagen Angst, hörte ich heraus wegen<br />
der unsicheren Verhältnisse in Nahost. Vorurteile.<br />
Wir aber wollten <strong>nach</strong> <strong>Zypern</strong>! Gehört es noch zu Vorderasien? Politisch gehört es seit dem 1.<br />
Mai 2004 zur Europäischen Union.<br />
Schon zu Hause beschäftigte mich die besondere Lage der Insel, und ich recherchierte einiges<br />
dazu.<br />
Welch strategische Brisanz diese Insel<br />
im Mittelmeer darstellt, mag man sich an<br />
den Entfernungen zu drei Kontinenten<br />
klar machen. Seine geografische Lage<br />
bildet die Schnittstelle zu Asien, Afrika<br />
und Europa. Seine Entfernung zur<br />
Südküste des türkischen Festlandes<br />
beträgt 75 km, zur Westküste Syriens<br />
zirka 95 km. Nach Ägypten sind es<br />
ungefähr 325 km. Es ist die östlichste<br />
Insel im gesamten Mittelmeer und ist<br />
politisch gespalten.<br />
Die Republik <strong>Zypern</strong>, in die wir reisten, bildet heute den südlichen, griechischen Teil, EU-<br />
Mitglied, mit Ambitionen und dem rechtlichen Anspruch auf die ganze Insel (5384 km 2 ).<br />
Abgetrennt davon und kontrolliert von den Vereinten Nationen ist die Türkische Republik<br />
Nordzypern (3355 km 2 ). Relikte aus der britischen Kolonialzeit sind die Selbständigen<br />
Militärbasen Akrotiri bei Limassol und Dhekelia bei Larnaca (255 km 2 ). Die neutrale UN-<br />
Pufferzone nimmt noch einmal etwa 4% des Landes ein.<br />
Zur wechselvollen und blutigen Geschichte <strong>Zypern</strong>s komme ich später.<br />
Zunächst verschaffte ich mir einen groben topografischen Überblick.<br />
Zwei Gebirgszüge durchziehen<br />
die Insel: Die zur Küste hin<br />
abfallende, sonst schroffe Kette<br />
des Pentadaktylos (Beşparmak)<br />
im Nordosten und das<br />
vulkanische, waldreiche<br />
Troodos-Gebirge im südlichen<br />
Landesinnern, mit dem<br />
Olympos (1.952 m) als höchster<br />
Erhebung. Die rund 700 km<br />
lange Küste bietet teils<br />
ausgedehnte Sand- und<br />
Kiesstrände sowie steil<br />
abfallende Felsküsten mit<br />
kleinen Buchten.<br />
<strong>Zypern</strong> besitzt ein mediterranes Klima mit deutlich kontinentaler Ausprägung. Die südliche<br />
Lage bedingt höhere Temperaturen als im nördlichen Mittelmeerraum, und von der<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 2
levantinischen Küste wehen oft heiße Wüstenwinde übers Meer. Das Mittelmeer um <strong>Zypern</strong><br />
hat die höchsten Wassertemperaturen im gesamten Raum. Im Februar werden etwa 17 °C, im<br />
August um 28 °C erreicht.<br />
Das Land leidet chronisch unter<br />
Wassermangel. Regen fällt vor allem von<br />
Dezember bis April. Von Mai bis<br />
November ist es trocken und vor allem im<br />
Landesinneren z. T. sehr heiß. Nikosia hat<br />
im Juli und August eine durchschnittliche<br />
Höchsttemperatur von 37 °C, was nur 2 °C<br />
unter der Temperatur in Dubai liegt, aber<br />
8 °C wärmer ist als auf Mallorca. In<br />
Extremfällen steigt das Thermometer im<br />
Zentrum der Insel im Hochsommer auf<br />
47 °C. An den Küsten ist es während des<br />
Die Insel <strong>Zypern</strong> vom Satelliten gesehen<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 3<br />
Sommers meist am Tag 30 bis 35 °C warm,<br />
in der Nacht kühlt es auf 20 bis 23 °C ab.<br />
Der Westen der Insel um die Stadt Paphos ist 2 bis 4 °C kühler als der Osten. Im Winter<br />
liegen die Temperaturen zwischen 15 °C und 20 °C am Tage, von Zeit zu Zeit auch darüber,<br />
selten darunter. Oberhalb von 1 500 m kann es Schnee geben.<br />
Ich las auch über Bevölkerung, Religion, Städte, Bodenschätze, Landwirtschaft, Kultur eine<br />
ganze Menge <strong>nach</strong>. Doch das will ich später einflechten, wenn es gerade passt.<br />
Mit derlei nützlichen Informationen ausgerüstet, mit wachem Sinn und offenen Augen machte<br />
ich mich also auf, während Martina verständlicherweise ihre Erwartungen auf den Komfort<br />
und die Erholungsmöglichkeiten in den Hotels gerichtet hatte.<br />
II. Flug <strong>nach</strong> Larnaca<br />
Donnerstag, 28. September 2006<br />
D<br />
er <strong>Reise</strong>veranstalter war spendabel und lud uns zu einem Frühstück um 10.15 Uhr in<br />
das Flughafenrestaurant ein. Wir waren vorher mit unserem Gepäck zur Straßenbahn<br />
Nr. 10 gerollert und zum Hauptbahnhof gefahren, in die S-Bahn umgestiegen und<br />
bequem im Untergeschoss des Flughafenterminals Dresden gelandet. Martina kostete das<br />
nichts- sie besaß eine Abo- Karte der Dresdener Verkehrsbetriebe, und ich bezahlte gerade<br />
mal 1,70 € für eine Stundenkarte. Dagegen kostet der Haustürtransfer von <strong>Eberhardt</strong> 40 € pro<br />
Person!<br />
Wir besorgten vorsichtshalber noch einen Adapter im Shop, weil auf <strong>Zypern</strong> noch englische<br />
Stromnormen gelten. Erstes Begrüßen und Guten-Tag-sagen. Bekanntschaft mit Frau Latta,<br />
unserer <strong>Reise</strong>begleiterin, die die Flugscheine ausgab. Kurzes Schlange-Stehen am<br />
Abfertigungsschalter. Einchecken ohne besondere Vorkommnisse. Warten in der Transitzone.<br />
Martina wollte ein Buch kaufen. Sie gab 10 € aus für Jonathan Franzen „Schweres Beben“.<br />
Das Flugzeug hatte Verspätung. Ein Grund wurde nicht genannt. Abflug sollte sein 12.15<br />
Uhr. 40 Minuten später stiegen wir über die Gateway an Bord einer Boeing 737-800 und<br />
hoben mit ECA 833 der zyprischen Fluggesellschaft Eurocypria Airlines ab. Wir hatten auf<br />
Nachfrage am Notausgang einen Sitz bekommen und daher Beinfreiheit fast wie in der<br />
Business- Klasse. Das zahlt sich auf dem viereinhalb- stündigen Flug aus. Bildhübsche<br />
Stewardessen mit kecken gelben Kappen bedienten uns.<br />
Neben mir als dritter in der Sitzreihe hatte ein Mann Platz genommen, der von seiner Frau<br />
durch den Gang getrennt wurde. Er sprach wenig während des Fluges und rätselte Kreuzwort.<br />
Ich schielte zu ihm hin und bewunderte seine eigenartigen Buchstaben, die er flink mit
affenartiger, designerschnellen Sicherheit in die Kästchen eintrug. Sie hatten die Schriftform<br />
von Russischbrot- wer das kennt, doppelwandig. Das hatte ich noch nie gesehen.<br />
Unterwegs teilte man uns verbindlich mit, dass wir in Paphos zwischenlanden werden, aber<br />
im Flugzeug verweilen dürfen, das heißt der Flieger setzt einen Teil der Passagiere in der<br />
westlichen Touristenzone der Insel ab, während wir unser erstes Quartier an der Südostspitze<br />
in Protaras beziehen werden.<br />
Nun hatte mich die ganze Zeit während der Vorbereitung auf diese <strong>Reise</strong> ein Problem<br />
beschäftigt, mit dem ich mich aus Prinzip bei <strong>Reise</strong>n in jedes Ausland vorher befasse, nämlich<br />
die Sprache des jeweiligen Landes, in diesem Falle die griechische Sprache. Es ist ja so, dass<br />
jeder der eine Fach- oder Hochschule absolviert hat, oder auch schon vorher beim Abitur, in<br />
Mathematik, technischen oder Logikfächern, fast alle Buchstaben des griechischen<br />
Alphabetes in irgendeiner Formel kennen lernt.<br />
Wer aber griechische Schrift lesen muss, in zusammengesetzten Wörtern oder Sätzen, steht<br />
vor ganz anderen Problemen- der Aussprache und dann, falls er lesen gelernt hat, natürlich<br />
den Vokabeln. Für mich galt es, die erste Hürde zu nehmen, die Buchstaben und ihre<br />
Aussprache zu studieren und dann die zweite, einige Wörter, stehende Floskeln und die<br />
Zahlen zu erlernen. Dabei half mir über die erste Hürde ein kleines „Kauderwelsch-<br />
Wörterbuch“ hinweg, das nur mit der lateinischen Lautumschrift operierte. Und damit auch<br />
gleich über die zweite. Ich brauchte mir das griechische Schriftbild nicht einzuprägen. Das<br />
war meinem Anliegen ungemein förderlich, so dass ich bald Bitte, Danke, Guten Tag, Seid<br />
gegrüßt, Wo finde ich…? Rechts, links und anderes sagen konnte. Die Aussprache musste ich<br />
noch lernen. Den ersten griechischen Satz fand ich an der Rückenlehne meines Vordersitzes:<br />
ΔΕΣΤΕ ΤΗ ΖΩΝΗ ΑΣΦΑΛΕΙΑΣ ΣΑΣ, was vielleicht gesprochen wird wie „deste ti zoni<br />
asfaleias sas“. Ich buchstabierte eine ganze Weile daran herum und wusste natürlich, dass es<br />
hieß: „Fasten your seatbelts while seated“ , weil es daneben stand oder in deutscher Sprache<br />
etwa „Bleibe im Sitzen angeschnallt“.<br />
Im Übrigen sahen wir nicht viel durch das kleine Bullauge. Wir flogen viel über Gebirge,<br />
später über Wasser. Kleine und größere Inseln schwammen in der blauen Wasserfläche.<br />
Einige Male ruckelte der Flugkörper, dann ging das Anschnallsignal an. Aber das war nicht<br />
groß beunruhigend. Man darf sich, wenn man einmal drinsitzt in so einem Technikvogel,<br />
keine Gedanken machen über Not- und Rettungsmaßnahmen. Wenn abgestürzt wird, ist<br />
sowieso Ultimo und die Überlebenschance Null. Wozu also solche Fiktionen.<br />
Es wurde schnell Nachmittag, zumal wir die<br />
Uhr um eine Stunde vorstellen mussten. Wer<br />
grob mitrechnet: Wir flogen gegen 13 Uhr<br />
los. Der Flug dauert etwas über vier<br />
Stunden. So um 17 Uhr Ortszeit kam am<br />
Horizont Land in Sicht, unsere Insel <strong>Zypern</strong>,<br />
die wir von Westen her anflogen. Schon<br />
begann die Dämmerung die große Laterne<br />
zu dimmen. Ich war überrascht von der<br />
Dimension der Stadt Paphos, über der wir<br />
zur Landung herabgingen. Ein riesiges<br />
Häusermeer überzog den Küstenstreifen. Es<br />
sah aus wie Kolonien von Riesen- Pusteln,<br />
die weißen Häuser, ohne die von uns<br />
gewohnten roten Dächer.<br />
Landeanflug auf Paphos<br />
Hier sind die Häuser flach gedeckt. Viele haben eine Betonterrasse oben. Die Sonne brach<br />
noch einmal aus den Wolken und beleuchtete das Land. Wir sahen durchs Fenster, wie sich die<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 4
Bremsklappen heraus schoben, das Flugzeug Geschwindigkeit und Höhe verlor, der Pilot es<br />
langsam auf die Landebahn zusteuerte, die wir nicht sahen.<br />
Die Boeing bumperte auf die Rollbahn. Wir spürten die gewaltigen Bremskräfte, die der Pilot<br />
auf die Räder brachte. Die Passagiere spendeten den üblichen Beifall. Zwischenlandung in<br />
Paphos 17.30 Uhr Ortszeit. Wir blieben sitzen, hoffend, dass es nicht so lange dauern würde.<br />
Eine halbe Stunde mussten wir auf unseren Sitzen ausharren, ehe die Motoren wieder<br />
angingen und unser Vogel sich wieder in die Luft schwang.<br />
Nun flogen wir in der zunehmenden Dunkelheit an der Südküste <strong>Zypern</strong>s entlang. Rechts war<br />
nichts als Meer, links immer dunkler werdende Landmasse. Vielleicht 25 Minuten dauerte<br />
dieser „Inlandflug“, bis wir um 18.30 Uhr in Larnaca erneut zu Boden gingen. Auch diese<br />
Landung glückte. Nun waren wir dran. Die Maschine war schon halb geleert. Schnell<br />
erreichten wir Transitraum, Passkontrolle und steuerten auf das Gepäckkarussell zu.<br />
Unterwegs tauschte ich 200 € in 108.20 CYP um.<br />
Die nationale Währung <strong>Zypern</strong>s ist das <strong>Zypern</strong>-Pfund (int.<br />
Kürzel CYP). Ein <strong>Zypern</strong>-Pfund ist (seit 1983) 100 Cent (Σεντ)<br />
(und war davor 1000 Mils).<br />
Am 29. April 2005 trat <strong>Zypern</strong> dem Euro-<br />
Wechselkursmechanismus II bei zu einem Leitkurs von 1 EUR =<br />
0,585274 CYP und darf um diesen Mittelkurs ±15 % schwanken.<br />
Der Euro könnte frühestens im Sommer 2007 eingeführt werden.<br />
Allerdings ist die Einführung für den 1. Januar 2008 geplant. Ob<br />
<strong>Zypern</strong> es schaffen wird, alle nötigen Umstellungen rechtzeitig<br />
vorzunehmen, ist noch fraglich. Mit Sicherheit wird man<br />
spätestens im Jahr 2009 die ersten <strong>Zypern</strong>-Euros zirkulieren<br />
sehen.<br />
Wenn ich den Kurs aus diesem Untausch errechne, lande ich bei<br />
0,541 CYP für 1 €.<br />
Wir rechneten künftig immer mit 1:2 und kamen gut<br />
hin damit.<br />
Am Gepäckstand sprach uns eine beflissene, scheinbar halbamtliche Frau in Englisch an, mit<br />
einer Frageliste in der Hand. Ich stellte mich ihr, wusste aber nicht so recht, was sie von uns<br />
wollte. Ich schielte mit einem Auge auf das Gepäckband, das einen Koffer <strong>nach</strong> dem anderen<br />
an uns vorbei transportierte, aufgeregt, während ich versuchte herauszufinden, was die Frau<br />
wissen wollte, <strong>Reise</strong>ziele auf der Insel, kulturelle Absichten…Als ich unsere Koffer sah,<br />
wandte ich mich abrupt von ihr ab. Ich liebe Befragungen nicht sehr.<br />
In der Nebenhalle sammelten wir uns vor den Schaltern der <strong>Reise</strong>büros und bekamen zum<br />
ersten Male einen Überblick über unsere <strong>Reise</strong>gruppe, die ich auf etwa 30 Personen schätzte.<br />
Wir erfuhren, dass vier Personen von Hellas- <strong>Reise</strong>n bei uns mitreisten.<br />
Und wir lernten Antonio kennen. Er stapfte<br />
in dem Dieselgestank vor dem<br />
Terminalgebäude vor uns her und lenkte uns<br />
zu dem Bus, der uns die restlichen 40 km<br />
vom Flughafen Lacarna in unser Hotel <strong>nach</strong><br />
Protaras brachte.<br />
Als wir ausstiegen, gerieten wir in eine<br />
feuchte Wärme, die noch am Abend<br />
vielleicht 28 Grad ausstrahlte. Aber gleich<br />
empfing uns die klimatisierte Atmosphäre<br />
der Hotel- Lobby des Beach- Hotels<br />
CAVO MARIS, in dem wir vier Nächte<br />
verbringen werden.<br />
Unser Zimmer besaß einen Balkon, von dem aus wir das Meer sehen konnten und den<br />
Widerschein der untergegangenen Sonne beobachten. Dann verlieren wir uns in der<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 5<br />
Motive aus Geschichte und<br />
Mythologie auf der 20-Pfund-Note<br />
Hotel CAVO MARIS, Protaras, Meerblick
unübersehbaren Menge im riesigen Speisesaal des Hotels, an dessen Buffets so etwas wie<br />
Schlaraffenland herrschte.<br />
Nach dem Abendessen wollen wir noch im Ort Wasser kaufen gehen. „Metallicó nero“.<br />
Mineralwasser. Antonio gab uns den Hinweis, wo der „Supermarkt“ zu finden sei, gleich<br />
über die Straße. Leider sahen wir gerade, wie der Besitzer in seinen kleinen Toyota stieg und<br />
vor unserer Nase <strong>nach</strong> Hause fuhr. Als wir über die Straße gingen, erlebten wir eindringlich<br />
die Umstellung auf den Linksverkehr, der hier vom ehemals englischen Kolonialherrn<br />
eingeführt wurde.<br />
Die Klimaanlage auf dem Zimmer ist so geräuschvoll, dass wir sie in der Nacht ausstellen<br />
müssen.<br />
Freitag, 29. September 2006<br />
III. Rote Dörfer – Dherinia - Pyla<br />
Am Morgen frühstückten wir erst einmal inmitten der vielen Gäste, die hier stationär ihren<br />
Badeurlaub im Hotel verbringen.<br />
Ich stellte fest, dass meine Befürchtungen,<br />
nicht genug Griechisch zu können,<br />
unbegründet sind. Ich hatte das Gefühl, ich bin<br />
in England. Neben einigen Russen sind die<br />
Mehrzahl der Gäste Engländer und Deutsche.<br />
Auch draußen spricht jeder Englisch. Also kein<br />
Sprachproblem. Das Frühstücks- Buffet ist<br />
demzufolge sehr britisch: Gekochte Bohnen,<br />
gedünstete Tomaten, Rührei und gebackener<br />
Speck und hot sausages, heiße Würstchen,<br />
Toast und klebrig-süße Baguettes. Doch als<br />
Protaras, Hotel CAVO MARIS, Swimming<br />
pool<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 6<br />
„continental breakfaster“ konnte man sich auch<br />
ernähren.<br />
Viel Freude machte uns der Sitz auf der überdachten Terrasse mit dem schönen Blick über die<br />
Palmen und den blühenden Oleander hinweg auf das blaue Wasser des Pools. Hungrige,<br />
freche Sperlinge umflatterten uns, um einige Brösel zu erhaschen. Die Luft jetzt um 8 Uhr ist<br />
herrlich, nicht zu kalt und nicht zu warm.<br />
8.40 Uhr sammelten wir uns im Bus. Der Kraftfahrer Michail wurde uns von Antonio<br />
vorgestellt, ein junger unverheirateter Mann mit der Leidenschaft fürs Essen. Wir fuhren<br />
nordwärts über Paralimni <strong>nach</strong> Dherinia (griech. Deryneia) direkt an die Demarkationslinie<br />
zum türkisch besetzten Teil.<br />
Das "Land der roten Erde" im Südosten, die Kokkinochoria, was etwa dasselbe heißt, gilt<br />
als Gemüsegarten <strong>Zypern</strong>s, mit Kartoffeln, Auberginen, Tomaten, Gurken, Zwiebeln und<br />
anderen Arten. Hier werden die meisten Kartoffeln der Insel geerntet, was ich bestätigt fand,<br />
denn als wir in Paralimni hielten, um Geld in einer Bank zu tauschen, beobachtete ich<br />
mehrere Kleinlaster, hoch beladen mit den rotbraunen Knollen. Und auch die roten Felder<br />
konnte ich im Vorbeifahren sehen, jetzt im beginnenden Herbst schon umgepflügt.<br />
Eisenmineralien mögen für die intensive rotbraune Farbe und vielleicht auch für die<br />
Fruchtbarkeit der Erde sorgen.<br />
Die kleine Stadt Paralimni wurde <strong>nach</strong> der überfallartigen türkischen Besetzung 1974 der<br />
Region Ammochostos, deren Hauptstadt Famagusta (türk. Gazimağusa) ist, zum vorläufigen<br />
Verwaltungsmittelpunkt des Regierungsbezirkes.<br />
Ich muss nun davon reden, dem giftigen Pfeil, der jedem rechtschaffenen zypriotischen<br />
Griechen im Herzen steckt. Man muss sich als Besucher dieser Insel darüber aufklären.<br />
1963 gab es Unstimmigkeiten zwischen dem "türkischen"/muslimischen (19 %) und "griechischen"/griechischorthodoxen<br />
(80 %) Teil der ethnisch vermischten Bevölkerung über Verfassung und Gesetze, Ausübung der<br />
Staatsgewalt usw. Dieser Streit, von Extremisten auf beiden Seiten systematisch eskaliert, machte ein weiteres<br />
gemeinsames Regieren unmöglich. Die türkisch-zyprischen Regierungsmitglieder zogen sich aus der Regierung<br />
zurück und strebten seitdem ein selbstverwaltetes Gebiet an, während viele griechischsprachige Zyprioten den
Anschluss an Griechenland (Enosis) anstrebten. Am 15. Juli 1974 kam es zum Putsch der griechisch-zyprischen<br />
Nationalgarde gegen Präsident Makarios.<br />
Nachdem Makarios von der Insel <strong>nach</strong> Malta geflohen war, führte die Türkei als Garantiemacht gemäß dem<br />
Londoner Garantievertrag unter dem Eindruck eines drohenden Anschlusses <strong>Zypern</strong>s an Griechenland eine<br />
Intervention auf dem Nordteil der Insel durch. Seitdem hat die Türkei in einem Gebiet, das ca. 37 % der Insel<br />
entspricht, Truppen stationiert.<br />
1977 starb Makarios, und Spyros Kyprianou folgte als Präsident. Dieser wurde von der Türkei und den<br />
türkischen Zyprern allerdings nicht anerkannt. Daraufhin veranlasste der griechische Süden<br />
Wirtschaftssanktionen gegen den Norden.<br />
Türkische Republik Nordzypern<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 7<br />
Der Norden seinerseits antwortete <strong>nach</strong> Verfolgungen und Tötungen<br />
türkischer Zyprer mit der Vertreibung von mehreren zehntausenden<br />
griechischen Zyprern und der Ansiedlung von mehreren zehntausend<br />
Türken aus der Türkei, wodurch das zahlenmäßige Gewicht des<br />
türkischen Bevölkerungsanteils gegenüber den griechischen Zyprern<br />
erhöht wurde. 1983 wurde auf dem Nordteil der Insel die Türkische<br />
Republik Nordzypern ausgerufen, die allerdings nur von der Türkei<br />
anerkannt wird.<br />
Verhandlungen unter Führung der UN sollten eine Annäherung beider Seiten bringen - eine Abstimmung über<br />
eine Wiedervereinigung scheiterte jedoch am Referendum 2004 in Südzypern, deren griechische Bevölkerung<br />
den Wiedervereinigungsversuch mit 3/4-Mehrheit ablehnte, während die türkische Bevölkerung in Nordzypern<br />
mit großer Mehrheit für die Vereinigung stimmte. Es war ein Konzept <strong>nach</strong> dem Vorbild der Schweiz<br />
vorgesehen. <strong>Zypern</strong> sollte ein Staatenbund aus zwei Teilstaaten werden, deren Einwohner sowohl die zyprische<br />
als auch die Staatsangehörigkeit des Landes, aus dem sie stammen, erhalten. Am 4. Juni 1990 wurde der<br />
Beitrittsantrag <strong>Zypern</strong>s zur Europäischen Union gestellt, der letztlich für die gesamte Insel gilt, da auch die EU<br />
die Türkische Republik Nordzypern nicht anerkennt. Seit Mai 2004 ist die Republik <strong>Zypern</strong> Mitglied der<br />
Europäischen Union.<br />
Republik <strong>Zypern</strong><br />
Antonio ließ uns <strong>nach</strong> der Durchfahrt<br />
durch das Landstädtchen Dherinia, die<br />
einige hübsche Kirchen aufwies,<br />
hindurch zu einer Anhöhe, die durch ein<br />
schönes weißes Gebäude gekrönt war.<br />
Es ist ein Aussichtspunkt, von dem wir<br />
über die Demarkationslinie und die tote<br />
Pufferzone hinüber sehen konnten <strong>nach</strong><br />
Famagusta. Antonio teilte uns mit, dass<br />
er dort noch ein Haus besitzt, das Haus<br />
seiner Eltern, aber Türken aus Anatolien<br />
darin wohnen, die von der türkischen<br />
Regierung <strong>nach</strong> der Vertreibung der<br />
griechischen Zyprioten dort angesiedelt<br />
wurden. Wird er sein Haus wieder<br />
zurückbekommen?<br />
Östlicher Teil <strong>Zypern</strong>s<br />
Green Line
Er zeigte uns voller Hochachtung eine zierliche Frau, die um ihr Haus in Famagusta kämpfte,<br />
die <strong>nach</strong> seiner Schilderung als Privatperson die Türkische Republik vor dem Internationalen<br />
Gerichtshof der EU in Den Haag auf Herausgabe und Entschädigung angeklagt hatte. Sie hätte<br />
schon mehr als eine Million Euro Kosten aufgewendet. „Morgen entscheidet sich ihr Prozess“,<br />
meinte er. Leider haben wir ihn nicht mehr da<strong>nach</strong> gefragt, wie es ausgegangen ist.<br />
Wie sehr die griechischen Zyprioten unter der Besetzung und Abschneidung des nördlichen<br />
Teils ihrer Insel leiden, ist in dem kleinen Museum dokumentiert, das wir in aller Kürze<br />
ansehen. Ein Diorama der Stadt Famagusta, unter Glas, zeigt mit vielen Lämpchen die<br />
Struktur, die munizipalen Gebäude und Sehenswürdigkeiten dieser Stadt. Oft wird von<br />
Geisterstadt gesprochen. Viele Hotels stehen leer und beherbergen notfalls Ratten, dennoch<br />
glaube ich, dass die Türken die Stadt wieder bevölkert haben, <strong>nach</strong>dem die Griechen verjagt<br />
und teilweise deportiert worden sind. Der Protest gegen diese völkerrechtswidrige Invasion<br />
1974 hält an. Die Texte und Fotos beweisen es. Und mit diesem Schandfleck, neben dem<br />
nicht eingestandenen Völkermord an den Armeniern 1915/16, will die Türkei<br />
gleichberechtigtes Mitglied der Europäischen Union werden!<br />
Wie sieht das die griechische Seite von <strong>Zypern</strong>? Ich zitiere ein Flugblatt, das ich im Museum<br />
entgegennahm. Die obigen Bilder und der folgende Text erklären die Sorgen und politischen<br />
Nöte der Inselbewohner, besonders der im griechischen Teil der rechtmäßigen Republik<br />
<strong>Zypern</strong>:<br />
Die türkische Militäraggression gegen <strong>Zypern</strong> dauerte die letzten 31 Jahre ungehindert an.<br />
Militärbesatzung, gewaltsame Teilung, Verletzung der Menschenrechte, massive Kolonialisierung,<br />
Kulturraub und Denkmalzerstörung, Eigentumsaneignung und ethnische Segregation sind die<br />
Hauptmerkmale des durch die Türkei aufgezwungenen Status quo. Die Türkei, ein EU- Bewerberland,<br />
ist heute für die internationale Aggression gegen ein EU-Mitgliedsland verantwortlich. Dies ist<br />
sicherlich völlig unakzeptabel, eine Herausforderung der internationalen Gesetzlichkeit und eine<br />
Gefahr für die Sicherheit und Stabilität in der Region, welche dringend aufgehoben werden muss.<br />
Im Juli 1974 marschierte die Türkei in Verletzung aller geltenden Prinzipien des Völkerrechts in die<br />
Republik <strong>Zypern</strong> ein.<br />
Die unheilvollen Folgen der Invasion und des darauf folgenden Militäreingriffs der Türkei in Verletzung<br />
der UN-Feuereinstellungsvereinbarungen sind für das Volk des neuen EU-Mitgliedstaates stets<br />
spürbar.<br />
� 36,7 % des Territoriums der Republik <strong>Zypern</strong> ist unter türkischer Besetzung.<br />
� 142 000 griechische Zyprer d.h. etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung wurden aus dem<br />
besetzten Norden vertrieben, wo sie 70 % der Einwohner darstellten; sie haben keinen Zugang zu<br />
ihren Häusern und Besitztümern.<br />
� Etwa 1 476 Personen (darunter einige Hunderte Zivilisten) gelten als vermisst, wobei die türkische<br />
Seite jede Zusammenarbeit zur Ermittlung ihres Schicksals verweigert.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 8
� Etwa 535 Eingeschlossene (aus einer Gesamtzahl von 20 000 im Jahre 1974) sind in ihren<br />
besetzten Dörfern verblieben und werden heute Unterdrückung, Einschüchterung und<br />
Belästigungen ausgesetzt.<br />
� Eine 43 000 Mann starke türkische Armee mit modernster Ausrüstung, von Luftwaffe und Marine<br />
unterstützt, ist im besetzten Gebiet stationiert, wodurch es zum am stärksten militarisierten Gebiet<br />
der Welt verwandelt wird.<br />
119 000 Festlandtürken aus Anatolien wurden im<br />
besetzten Gebiet mit dem Ziel der gewaltsamen<br />
Änderung der demographischen Struktur der Insel<br />
angesiedelt.<br />
57 000 türkische Zyprer (aus einer Gesamtzahl von<br />
116 000) sind seit 1974 vom besetzten Gebiet<br />
ausgewandert und zwar wegen der dort herrschenden<br />
wirtschaftlichen, sozialen und moralischen<br />
Verelendung, so dass die Zahl der türkischen Siedler<br />
und der Soldaten jene der türkischen Zyprer übertrifft.<br />
Die gesetzwidrige Bebauung griechisch-zyprischer<br />
Grundstücke und der illegale Verkauf griechischzyprischen<br />
Bodenbesitzes, aus dem die griechischen<br />
Zyprer durch die türkische Invasion gewaltsam<br />
vertrieben worden sind, wird fortgesetzt und<br />
intensiviert. Diese präzedenzlose Aneignung von<br />
Eigentum ist eine weitere Verletzung der<br />
Menschenrechte durch die türkische Seite.<br />
Das Okkupationsregime und die Türkei wenden methodisch einen langfristigen Plan zur Ausmerzung<br />
des griechischen und christlichen kulturellen und historischen Erbes an:<br />
� Mindestens 77 Kirchen wurden in Moscheen verwandelt.<br />
� Mehr als 133 Kirchen und Klöster wurden geschändet.<br />
� 18 Kirchen werden von den Besatzungstruppen als Munitionslager, Baracken und<br />
Militärhospitäler benutzt.<br />
� 13 Kirchen werden als Ställe und Scheunen benutzt. Die Friedhöfe von mindestens 25<br />
Dörfern wurden geschändet und zerstört.<br />
� Zahlreiche Ikonen, religiöse Weihgefässe und verschiedene archäologische Schätze wurden<br />
geraubt und ins Ausland geschmuggelt.<br />
� Illegale Ausgrabungen und ein unverhüllter Antiquitätenschmuggel finden massenweise im<br />
geheimen Einverständnis mit dem Besatzungsregime statt.<br />
� Die griechischen Ortsnamen werden willkürlich durch türkische ersetzt.<br />
In einer ganzen Reihe von Resolutionen der UN-Vollversammlung, des Weltsicherheitsrates sowie<br />
anderer internationaler Organisationen wurden die Invasion und die fortgesetzte türkische Besetzung<br />
verurteilt sowie die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimatorte unter Sicherheitsbedingungen, die<br />
Ermittlung des Schicksals der Vermissten und der Respekt der Menschenrechte aller Zyprioten sowie<br />
der Unabhängigkeit, Souveränität und territorialen Integrität <strong>Zypern</strong>s gefordert.<br />
Blick über die von der UN bewachte neutrale<br />
Pufferzone über die „Green line“ auf Famagusta<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 9<br />
Wandbild im Cultural Centre of Occupied<br />
Famagusta (Ammochostos)<br />
Selbst der Europäische Gerichtshof für<br />
Menschenrechte befand die Regierung der<br />
Türkei der groben und systematischen<br />
Verletzungen der Menschenrechte auf<br />
<strong>Zypern</strong> für schuldig.<br />
Wiederholte Gesprächsrunden zwischen der<br />
griechisch-zyprischen und der türkischzyprischen<br />
Seite haben seit 1975<br />
stattgefunden. Es wurde jedoch kein<br />
Fortschritt erzielt und dies aufgrund der<br />
Haltung der türkischen Seite, die diese<br />
untergraben hat und eine Lösung angestrebt<br />
hat, die <strong>Zypern</strong> zweigeteilt aufrechterhalten<br />
sollte, und die Insel zur Geisel fremder<br />
Interessen verwandelt hätte. Die griechischzyprische<br />
Seite bestand auf der wahren<br />
Wiedervereinigung der Insel und ihres<br />
Volkes.
Die jüngsten UN-Bemühungen resultierten in der Unterbreitung eines Plans durch den UN-<br />
Generalsekretär für eine umfassende Lösung des Problems.<br />
Am 24. April 2004 wurde das Volk <strong>Zypern</strong>s aufgefordert, den vom UN-Generalsekretär Kofi Annan<br />
vorgeschlagenen Plan für eine umfassende Lösung der <strong>Zypern</strong>frage (Annan Plan V) in separaten und<br />
gleichzeitigen Referenda anzunehmen oder abzulehnen. Eine klare Mehrheit von 75,8 % der<br />
griechischen Zyprer empfand, dass der endgültige Text, in den willkürlich viele in der letzten Minute<br />
durch die türkische Seite gestellten Forderungen aufgenommen wurden, nicht ausgeglichen war und<br />
ihren wichtigsten Besorgnissen in Bezug auf die Sicherheit, Funktionsfähigkeit und Lebensfähigkeit<br />
der Lösung nicht entgegenkam. Die negative Stimme der griechischen Zyprer war keine Verweigerung<br />
der Wiedervereinigung <strong>Zypern</strong>s, die ihr wichtigstes Ziel verbleibt. Sie haben einen konkreten Plan<br />
abgelehnt, der ihnen vorgebracht wurde. Sie haben ebenfalls ihren türkischen Landleuten nicht den<br />
Rücken gekehrt. Sie arbeiten für eine Lösung, welche den Erwartungen beider Gemeinschaften<br />
entsprechen wird.<br />
Die "Nein"- Stimme im Volksentscheid sollte als ein legitimer Ausdruck der realen Befürchtungen<br />
ausgelegt werden, welche zur Ablehnung eines mangelhaften Plans führten, in dem folgendes nicht<br />
vorgesehen wurde:<br />
� Der Rückzug der fremden Truppen aus <strong>Zypern</strong> und die Eliminierung des Rechtes der fremden<br />
Mächte, einseitig auf <strong>Zypern</strong> einzugreifen.<br />
� Angemessene Garantien zur Sicherung dessen, dass die durch die Parteien eingegangenen<br />
Verpflichtungen erfüllt werden.<br />
� Ein System der Wiederherstellung des Besitzes, das die Rechte und Interessen der<br />
griechischen Zyprer wahrt, welche 1974 gezwungen waren, ihre Heimatorte zu verlassen,<br />
sowie die Regelung der Besitzentschädigung, so dass die griechischen Zyprer nicht<br />
gezwungen werden, ihre eigene Rückerstattung zu finanzieren.<br />
� Das Recht aller Zyprer, dort Besitz zu erwerben und zu wohnen, wo sie es wünschen, ohne<br />
einschränkende Quoten.<br />
� Eine funktionsfähige Regierung ohne Sackgassensituationen oder Wahleinschränkungen<br />
aufgrund der ethnischen Herkunft.<br />
Die Regierung der Republik <strong>Zypern</strong> strebt die Fortsetzung der Bemühungen um eine Lösung an, bis<br />
durch beide Parteien ein Rahmen erzielt wird, der den Befürchtungen des ganzen zyprischen Volkes<br />
entgegenkommt. Damit eine Lösung lebensfähig sein kann und der Zeitprobe standhalten kann, muss<br />
diese gerecht sein und als solche von den Menschen empfunden werden, die damit leben müssen.<br />
Die Lösung muss folglich demokratisch, gerecht, funktionsfähig, finanziell lebensfähig sein und den<br />
EU-Prinzipien, dem Völkerrecht und den demokratischen Normen, der Menschenrechtskonvention<br />
und den UN-Schlüsselresolutionen entsprechen. <strong>Zypern</strong> muss ein einheitliches Land verbleiben und<br />
volle Souveränität, territoriale Integrität und Unabhängigkeit genießen. Ebenfalls darf keine fremde<br />
Einmischung in die inneren Angelegenheiten <strong>Zypern</strong>s gestattet werden.<br />
<strong>Zypern</strong> trat am 1. Mai 2004 der EU bei, ohne jedoch sein Ziel zu erreichen, sich als ein vereintes Land<br />
der Europäischen Familie anzuschließen. Die Zyprer streben jedoch weiterhin eine lebensfähige und<br />
dauerhafte Lösung an, die sowohl den griechischen als auch den türkischen Zyprern erlauben wird,<br />
friedlich zusammenzuleben, wie sie dies im Laufe von vielen Jahrhunderten getan haben, und die<br />
Vorteile der EU-Mitgliedschaft zusammen zu genießen. In einem vereinigten Land, EU-Mitglied, wird<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 10
das zyprische Volk imstande sein, das Potential seiner kulturellen Vielfalt voll auszunutzen und sich<br />
eines Lebens in Frieden und Prosperität zu erfreuen.<br />
Die Weltgemeinschaft soll dem zyprischen Volk helfen, eine wahre Wiedervereinigung zu erzielen<br />
unter den neuen durch den EU-Beitritt <strong>Zypern</strong>s entstandenen Gegebenheiten. Der Status quo der<br />
Militärbesatzung und Teilung eines unabhängigen, souveränen Staates, EU- und UN-Mitglieds, ist<br />
völlig UNAKZEPTABEL.<br />
Das sind die Worte, die mir ins Gedächtnis greifen. Ich denke dabei, dass unsere Deutsche<br />
Bundesrepublik über drei Millionen türkischen Wirtschaftsflüchtlingen eine Heimat gegeben<br />
hat, die ihrerseits mächtigen Druck machen, dass die zu 97% in Asien befindliche, voll<br />
islamisch orientierte Türkei in die EU aufgenommen wird, ein Staat, der die nationale<br />
Minderheit der Kurden unterdrückt, <strong>Zypern</strong> besetzt hält und seine Geschichte nicht<br />
aufgearbeitet hat.<br />
Aufmerksam hörten wir Antonio zu, der uns die Probleme seines zyprischen Volkes<br />
eindringlich nahe brachte. Dann lenken wir in Dherinia um und fahren nun entlang der<br />
Demarkationslinie durch die Felder mit der roten Erde. Wir passierter Frisoulles. Die<br />
Kartoffeln werden hier dreimal im Jahr geerntet, brauchen von Saat bis zur Reife<br />
durchschnittlich nur 105 Tage!<br />
Antonio bemüht sich um persönliche Randnotizen. Er beschwört die natürliche Lebensweise<br />
seiner Jugendzeit in den Dörfern und schwärmt von den Rezepten seiner Großmutter. So hätte<br />
sie sich damals die Zähne immer mit Zitronen und Salz geputzt und sich damit das Gebiss bis<br />
ins hohe Alter erhalten! Mancher Dentist würde erblassen, wenn man ihr <strong>nach</strong>ahmte. Unsere<br />
Leute im Bus schmunzelten. Davon angetrieben, steigerte er sich noch:<br />
Auch hätte sie immer Mittelchen gegen Durchfall und Verstopfung gewusst. Gegen Durchfall<br />
wären eine Zitrone mit einem Löffel Kaffeepulver sichere Abhilfe. Eselsmilch sei ein Mittel<br />
gegen Keuchhusten. Auch Kaktusfeigen würden gegen Durchfall hilfreich sein.<br />
In seiner Kindheit hätten 11 Personen in zwei Räumen gelebt. Heute würden diese nicht für<br />
zwei Personen reichen, beklagte er das schleichende Gift der Zivilisation, schloss sich aber<br />
auch nicht davon aus. Der moderne Zyprer wohnt durchaus komfortabel.<br />
Ein Dorf auf der Demarkationslinie. Hinter primitiven Holzhäuschen lugen türkische<br />
Wachsoldaten herüber. Wir kommen an Wassermelonenfeldern vorbei. Eukalyptusbäume<br />
rahmen sie ein. Bei dem von Türken besetzten Dorf Athna verließen wir die Green Line. Hier<br />
zeigte uns Antonio die Kirche, die als Ziegenstall missbraucht wird und die armseligen<br />
verfallenden Häuser. Wieder sahen wir türkische Soldaten.<br />
Bald aber fahren wir in das zweite Tagesziel ein, das<br />
Grenzdorf Pyla, in dem Türken und Griechen friedlich<br />
nebeneinander leben. Gleichzeitig befinden wir uns in der<br />
„Sovereign Military Base“, dem schon erwähnten<br />
selbständigen militärischen Hoheitsgebiet der Engländer.<br />
Wir steigen aus. Ich sehe einen UN- Stützpunkt mit der<br />
schwarzen Nummer 149, untergebracht in einem Haus am<br />
Rande eines kleinen Platzes, sicher des ehemaligen<br />
Dorfmittelpunktes. Am Balkon hängt schlaff in der<br />
Mittagshitze die blaue Fahne mit der Friedenstaube. Der<br />
Posten beobachtet unseren Bus und unser Aussteigen ein<br />
Weilchen, dann verschwindet er im Schatten des Inneren.<br />
Ein leichter Kribble beschleicht mich. Darf ich hier<br />
fotografieren? Wir warten drüben am griechischen Rathaus,<br />
wobei ich keine direkte Grenze erkennen kann.<br />
Wir laufen hinauf zum Museum des Dorfes, ein flaches Gebäude mit roten Dachziegeln. Drei<br />
Bögen ließen einen Vorraum offen: Museum für Volkskunde. Wir gingen hinein.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 11<br />
Türkische Wachstation über Pyla
Oben auf dem Berg wehen neben der<br />
Wachstation die türkische und die<br />
nordzyprischen Flagge. Ein echt<br />
wirkender Blech- oder Pappsoldat<br />
wirkt beunruhigend und bedrohlich,<br />
<strong>nach</strong>dem ich das alles über die<br />
Besetzung gerade verdaut habe. Ich<br />
bin mit Fotografieren vorsichtig.<br />
Sehr interessant und ablenkend von dieser Problematik fand ich den Besuch des kleinen<br />
Museums, das in drei oder vier Räumen Ausstattungsgegenstände aus bäuerlicher Zeit<br />
präsentierte. Aber auch eine „guten Stube“ mit Stilmöbeln, Lefkara- Stickereien und schönen<br />
Spiegeln war eingerichtet. Den Nebenraum erfüllten ein Webstuhl und manche der für die<br />
Wolleverarbeitung wichtigen Werkzeuge. Auch eine Küche mit einigen Kesseln und Töpfen<br />
regten die Phantasie an, wie die Altvorderen hier lebten.<br />
Der folgende Spaziergang durch das Dorf<br />
begeisterte mich allein schon durch die<br />
Blütenpracht, die in den Gärten über die<br />
Zäune wucherte. Freundlich grüßte ein alter<br />
Mann herüber, der im Schatten vor seinem<br />
Hause saß. Ich freute mich an rotem Oleander<br />
vor dem tropischen Hintergrund einer<br />
Fächerpalme, und immer wieder an den weiß<br />
und purpur- lila leuchtenden Blüten der<br />
Bougainvillea, die zur Familie der<br />
Wunderblumen und Art der Nelkengewächse<br />
gehört. Rund ums Mittelmeer ist sie heute<br />
„Gute Stube“ im Dorfmuseum Pyla<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 12<br />
heimisch, diese Wunderblume und bezaubert<br />
jedes Auge.<br />
Aber auch Limetten, Orangen und Grapefruits zieren die Gärten, Kürbisse und Paradiesäpfel.<br />
Nach dem Dorfrundgang lassen wir uns in dem Kafenío 1 neben dem UN- Stützpunkt nieder,<br />
bekommen eine Tasse zyprischen Kaffee, dick, bitter und gesüßt. Auf der Terrasse spielen vier<br />
Männer Backgammon, das allseits beliebte Brettspiel, bei dem mit zwei Würfeln und Dame-<br />
Steinen gearbeitet wird. Ich habe schon mehrfach zugeguckt, es aber nie verstanden. Mit<br />
Leidenschaft geht es hier zu. Einer ist Wortführer und der Energischste, die drei anderen halten<br />
dagegen. Die Würfel rollern, die Steine scheppern, werden mit absoluter Zielsicherheit<br />
fingerfertig gegen den hohen Rand dirigiert, vor und zurück, herüber und hinüber, wie die<br />
Würfel es vorgeben. Für mich eine undurchdringliche Wissenschaft. Also muss ich mich hinter<br />
den dunklen Vorhang begeben, der es mir verschleiert. Wer besser als das wunderbare Lexikon<br />
des Internets kann mir Antwort geben? Hier ist der gelehrte Überblick:<br />
Das älteste Backgammonbrett der Geschichte wurde in<br />
der „verbrannten Stadt“ gefunden, der archäologischen<br />
Fundstelle in der iranischen Provinz Sistan und<br />
Baluchestan. Dieses Spiel ist über 5000 Jahre alt. Es ist<br />
älter als ein Brett, das Mitte der 1920er Jahre in der Stadt<br />
Ur vom britischen Archäologen Sir Leonard Woolley<br />
entdeckt wurde.<br />
Weitere Spielbretter fand man im Grab von Tutenchamun<br />
im Nil-Delta, die etwa um 1500 vor Christus entstanden<br />
sind. Viele Grabmalereien zeugen von der Beliebtheit des<br />
Brettspieles, das sowohl von den Führern als auch vom<br />
gemeinen Volk gespielt wurde.<br />
1 Kafenío, griech. Kaffeehaus
Aus dem ägyptischen Spiel Senet entwickelten später die Römer das Spiel Duodecim Scripta,<br />
welches als erster naher Verwandter zum Backgammon angesehen werden kann. Man spielte mit drei<br />
Würfeln, und es gab drei verschiedene Bezeichnungen: Alea (Würfe), Tabulae (Brett, Tisch) und Ludus<br />
duodecim scriptorum (das 12-Linien-Spiel). Bei Pompeji wurde eine zweiteilige, riesige Wandmalerei<br />
entdeckt: im ersten Bild sieht man zwei diskutierende Römer beim Spielen, im zweiten Bild den<br />
Besitzer der Herberge, der die beiden gerade gewaltsam aus seinem Haus befördert.<br />
Die römische Version, Tabula, wurde in ganz Europa eingeführt. Zuerst war es ein beliebter Zeitvertreib<br />
der Adeligen, doch allmählich setzte es sich auch in der breiten Bevölkerung durch. Die Kirche<br />
versuchte jahrzehntelang vergeblich, das Glücksspiel zu verhindern.<br />
Trotz der Beliebtheit des 12-Linien-Spieles im großen römischen<br />
Reich dauerte es bis zu den Kreuzzügen, bis das Spiel auch im<br />
restlichen Europa richtig bekannt wurde. Im Mittelalter wurde es<br />
unter anderem als „Nard“ (Persisch), „Plakoto“, „Tric Trac“,<br />
„Puff“, „Tables“ etc. bezeichnet; man spielte nun mit zwei<br />
Würfeln. Im Mittelalter wurde eine Version namens Wurfzabel<br />
gespielt, die als direkter Vorgänger des heutigen Backgammons<br />
Wurfzabelspieler (13. Jahrhundert)<br />
gilt.<br />
Doch nirgendwo in der westlichen Welt wurde schon so früh und so intensiv Backgammon gespielt wie<br />
in England. Laut mündlichen Überlieferungen hatte König Löwenherz mit der Spielleidenschaft seiner<br />
Soldaten seine liebe Not. Es gab einen Erlass, dass niemand, der von geringerem Stand als ein Ritter<br />
war, um Geld würfeln durfte.<br />
Der Name Backgammon wurde im Jahr 1645 erstmals verzeichnet und bezeichnet das<br />
Wiedereinsetzen geschlagener Spielsteine in das Brett. Der englische Spielebeschreiber Edmond<br />
Hoyle kodifizierte die Regeln etwa im Jahre 1743.<br />
Die letzte entscheidende Veränderung war die Einführung des Verdoppelungswürfels. In den 1920er<br />
Jahren wurde in einem New Yorker Spielclub das Doppeln erfunden, was einerseits sehr die Erhöhung<br />
der Spannung und andererseits eine Einschränkung des Faktors Glück bewirkte.<br />
Die Regeln des modernen Backgammon stammen vom Card and Backgammon Committee des New<br />
Yorker Racquet and Tennis Club aus dem Jahre 1931…<br />
Mehr müssen wir nicht wissen. An den Regeln will ich mich jetzt nicht vergreifen. Nach<br />
welchen Regeln hier auf dieser Terrasse gespielt wurde, weiß nur der Eingeweihte.<br />
Leidenschaft war zu spüren. Die jetzt am Vormittag aufsteigende Hitze machte den rauchenden<br />
Männern mit den wettergegerbten Gesichtern scheinbar nichts aus. Ich schaute noch eine Weile<br />
fasziniert zu, begann mich aber zu langweilen, da ich nicht beurteilen konnte, wem das<br />
Spielglück sich gnädig neigte, oder ob einer der Spieler besonders gut war. Ich glaube, immer<br />
dort wo Würfel im Spiel sind, treten Fähigkeiten zurück, und das ist nichts für mich.<br />
Ich ging in den nahen Markt Wasser kaufen, versuchte meine zehn Worte Griechisch<br />
einzusetzen. Wortlos hätte auch genügt. Im Laden war nichts los, eine Frau nahm mir das Geld<br />
ab. Inzwischen hatten alle im Kafenío ihren Kaffee getrunken, mit oder ohne Zucker. Antonio<br />
blies zum Aufbruch. Weiter.<br />
IV. Larnaca<br />
ächste Station ist Larnaca, mit heute 80 000 Einwohnern die drittgrößte Stadt <strong>Zypern</strong>s.<br />
Sie liegt auf den Ruinen des antiken Stadtkönigreiches Kítion. Ihr Name deutet auf die<br />
vielen Sarkophage 2 N<br />
, die hier gefunden wurden und stammt aus dem 17. Jahrhundert.<br />
Nach der türkischen Invasion 1974 und dem Verlust des Hafens von Famagusta erlebte<br />
Larnaca mit dem Ausbau des Exporthafens neuen Aufschwung, obwohl die Stadt kein<br />
Hafenbecken für größere Seeschiffe besitzt. Larnaca wurde zur Drehscheibe im Nahostverkehr.<br />
Tausende von Bürgerkriegsflüchtlingen kamen aus dem Libanon, eine neue Welle schon<br />
wieder <strong>nach</strong> der israelischen Libanon- Invasion im Juli 2006. Neue Siedlungen entstanden. Die<br />
Wirtschaft boomte und prägte, besser verunzierte das Stadtbild mit modernen<br />
Geschäftshäusern und großflächiger Werbung für Tod und Teufel. Einzig eine mit Palmen<br />
bestandene Seepromenade gab der Stadt ein wenig touristisches Flair. Wir befuhren die<br />
2 Sarkophag = griech. Λάρναξ Lárnax<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 13
kilometerlange Uferstraße. Rechts diese Reihe überhoher Dattelpalmen, links dann immer der<br />
Blick übers blaue Meer, wo weit draußen eionige Schiffe auf Reede lagen.<br />
Im Fluge erhaschte ich einen Klick auf das Denkmal mit<br />
der goldglänzenden Büste von Kimon, dem Athener<br />
General, der 450 vor Christi eine Flotte mit 200<br />
Dreimastern anführte, um <strong>Zypern</strong> von den Persern zu<br />
befreien. Er starb während der Belagerung von Kítion.<br />
Diesen Befreiungsakt nahm Antonio zum Anlass, ein<br />
wenig in der Geschichte Larnacas zu blättern.<br />
Um ganz früh anzufangen: Schon im 1. Buch Moses, der<br />
Genesis, wird eine Stadt Kittim erwähnt, die von einem<br />
Enkel Noahs gegründet worden sein soll. Funde aus dem<br />
143. und 13. Jh. vor Chr. lassen darauf schließen, dass<br />
hier schon rege Kupfer verarbeitet und ebenso<br />
schwunghafter Handel betrieben wurde. Ende des 13. Jh.<br />
besiedelten die griechischen Achäer das Stadtgebiet. Im<br />
11. Jh. richtete ein Erdbeben großen Schaden an.<br />
Phönizische Siedler übernahmen um 800 v. Chr. die<br />
zerstörte Stadt. Sie bauten die Heiligtümer wieder auf und<br />
errichteten einen großen Astarte- Tempel 3 .<br />
Die Phönizier begründeten hier im 9. Jahrhundert vor Chr. ein mächtiges Königreich. In Kítion<br />
erblickte der berühmte Philosoph Zeno 4 das Licht der Welt. Er begründete die Schule der<br />
Stoiker.<br />
Hier <strong>nach</strong> Kítion kam der Heilige Lazarus <strong>nach</strong> seiner Wiedererweckung durch Christus.<br />
Dieser Märtyrer soll in seinem zweiten Leben von den Juden in einem Segelboot ausgesetzt<br />
und in Kítion an Land getrieben sein. Lazarus wurde erster Bischof der Stadt.<br />
12. Jahrhundert befestigte die Mykener die Stadt mit riesigen Mauern. Im Mittelalter war die<br />
Stadt ein bedeutender Einschiffungshafen für Kreuzritter und Pilger.<br />
Wir bogen rechts in die Altstadt ein und<br />
hielten an der Plateia Agiou Lazarou,<br />
verließen mitten durch den heftig fließenden<br />
Verkehr den Bus und hatten bald die schönste<br />
Ansicht von der Lazaruskirche. Der Agios<br />
Lazaros, wie der Heilige Lazarus auf<br />
Griechisch heißt, soll noch 30 Jahre in Kítion<br />
gelebt haben. Im 9. Jahrhundert wurde über<br />
seinem Grab von Kaiser Leo VI. eine Kirche<br />
in byzantinischer Architektur errichtet. Im 17.<br />
Jahrhundert wurde sie originalgetreu<br />
restauriert.<br />
Im 19. Jahrhundert erhielt sie einen Glockenturm im neoromanischen Stil und eine Loggia<br />
längs der Südseite. Wir treten in den Schatten der Loggia, die sicher die Funktion eines<br />
Kreuzganges wahrnahm, denn die Kirche wurde bis ins 20. Jahrhundert als Kloster genutzt.<br />
Eine prachtvolle Ikonostasis 5 aus dem 18. Jahrhundert lässt mich erstaunen.<br />
3<br />
Astarte, [griechisch], hebräisch Aschtoret, aramäisch Attar, westsemitische Göttin der Fruchtbarkeit und der<br />
Liebe.<br />
4<br />
Zenon, Zeno, Zenon der Jüngere, aus Kition (<strong>Zypern</strong>), griechischer Philosoph, * um 336 v. Chr., † 264 v. Chr.;<br />
Begründer der Stoa. Von seinen Schriften sind nur Bruchstücke erhalten; er soll sich das Leben genommen<br />
haben. Stoa [die; griechisch], ist eine um 300 v. Chr. von Zenon dem Jüngeren aus Kition gegründete<br />
philosophische Schulrichtung, benannt <strong>nach</strong> dem Lehrort, der Stoa poikile in Athen.<br />
5<br />
Ikonostase, [die; griechisch], in den Ostkirchen die Bilderwand, die Altarraum und Kirchenraum trennt; unter<br />
den Ikonen der Ikonostase, oft in mehreren Reihen übereinander, befinden sich immer eine Christus- und eine<br />
Marienikone.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 14<br />
Larnaca, Seepromenade, Büste von Kimon
Selten bin ich in griechisch- orthodoxen 6 Kirchen gewesen. Sie verehren neben Christus in<br />
einer besonderen Liturgie auch zahlreiche Heilige. Der Altarraum ist durch eben diese<br />
Ikonostase und eine Klapptür von dem übrigen Kircheraum getrennt und darf nur vom Priester<br />
betreten werden. Gleich im Mittelgang, zu dem einige Stufen hinab führten, steht hinter Glas<br />
die Ikone des heiligen Lazarus, dessen Bild einige Gläubige mit Kniefall und Bekreuzigung<br />
ehrfürchtig küssten. Ich versuche, auf einigen Ikonen, die auf einem Wandbord lehnen, die<br />
Buchstaben im alten Griechisch zu enträtseln, um hinter ihren Namen zu kommen. Sehr<br />
schwierig bis unmöglich.<br />
Rechts ist das Bildnis<br />
der Heiligen Katharina,<br />
die als Schutzpatronin<br />
des Klosters auf Sinai<br />
gilt. In der Mitte, das ist<br />
sicher die Gottesmutter<br />
und links eine der<br />
vielen Schutzheiligen.<br />
Wundervolle Leuchter<br />
schmückten den<br />
dreischiffigen<br />
Innenraum. Viel Gold<br />
ist aufgewendet.<br />
Rechts der Ikonostasis führt eine Treppe zur<br />
dunklen Grabkammer hinunter, wo mehrere<br />
Sarkophage zu sehen sind. Räucherkessel<br />
hängen von der niedrigen Decke herab. Ich<br />
muss gebückt stehen. Es ist eng, feuchtheiß<br />
und riecht muffig hier unten. Vor dem<br />
Sarkophag warten Gläubige, dass wir sie in<br />
ihrer Andacht allein lassen. Vielleicht hatten<br />
sie einen weiten Weg hierher. Nun müssen sie<br />
ihr Gebet von neugierigen und nicht allzu<br />
rücksichtsvollen Touristen stören lassen. Wir<br />
warten, dass sie uns Gelegenheit lassen zu<br />
fotografieren. Beiden ist es gleichermaßen<br />
unangenehm. Demjenigen Mitreisenden, den<br />
ich den „Menschenjäger“ nenne, reißt die<br />
Geduld. Er nimmt die andächtige Gruppe voll<br />
aufs Korn und schießt seine Bilder. Ich wende<br />
mich angewidert ab. „Das gehört in jedes<br />
Fotoalbum“, sagte er einmal. Ich beobachtete<br />
später, dass er ohne Zartgefühl oder Kenntnis<br />
der Traditionen sich an Frauen wandte- er<br />
konnte kein Wort dieser Sprache, ob englisch<br />
oder griechisch, quatschte sie an, stellte sie<br />
sich an einer Wand zurecht und knipste sie.<br />
Dann bedienerte er sich mehrmals, gab aber auch kein Geld, was das wenigste gewesen wäre,<br />
und schleimte sich rücklings davon. Kein Wunder, dass die Einheimischen im Orient die<br />
Touristen als Geschmeiß betrachten, noch dazu wenn sie „ungläubig“ sind.<br />
6 orthodoxe Kirchen, die aus der byzantinischen Kirche hervorgegangenen Kirchen, deren Bekenntnisgrundlage<br />
Bibel und Tradition sind. Die Tradition ist fixiert durch die Beschlüsse der ersten 7 ökumenischen Konzilien (1.<br />
Nicäa 325 bis 7. Nicäa 787); sie ist ferner durch die Lehren der Kirchenväter, die Aussagen im reichen<br />
liturgischen Gut und durch spätere wichtige Synoden bestimmt (1642 Jassy [Rumänien], 1670 Jerusalem). Die<br />
Feier der „göttlichen Liturgie“, die 7 Sakramente, der Vollzug von Sakramentalien (Weihehandlungen), die<br />
Verehrung der Ikonen, Gebete und Hymnen nehmen im Leben der orthodoxen Kirchen einen breiten Raum ein.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 15
Wir blickten uns in dem mit unverputzten groben Steinen überwölbten Kirchenraum um. Auf<br />
den Kirchenbänken fand ich die seltsame Aufschrift „ΘΕΣΕΙΣ ΑΝΔΡΩΝ“(theseis andron). Ich<br />
fragte Antonio. „Nur für Männer“, antwortete er lakonisch, wobei das griechische Wort θεσι<br />
(théssi) so viel wie Sitz oder Platz bedeutet. Die Frauen müssen also hinten oder in bestimmten<br />
Bereichen sitzen. An den Wänden hingen Heiligenbilder. Bekrönte verschnörkelte Baldachine,<br />
mit viel Gold überzogenes Zierwerk, überdachen die Opferstöcke für brennende Kerze,<br />
Reliquien oder Andachtsbilder für den Hausheiligen Lazarus. Seine Ikone wird acht Tage vor<br />
dem Osterfest, das <strong>nach</strong> dem alten Julianischen Kalender jeweils am ersten Sonntag <strong>nach</strong> dem<br />
ersten Vollmond <strong>nach</strong> dem Frühlingsanfang gefeiert wird, durch die Stadt getragen.<br />
Wir sammelten uns zu einem Gang durch die Altstadt in Richtung Meer. Wenn ich mir heute<br />
den Stadtplan von Larnaca hernehme, schäme ich mich ein wenig des <strong>Reise</strong>leiters, weil er uns<br />
von dieser Stadt so wenig gezeigt und von ihr nichts weiter erwähnt hat als die Kirche Agios<br />
Lazaros und den Strand.<br />
Dabei gibt es weiter hinten am Strand ein türkisches Kastell, in der Altstadt eine Markthalle,<br />
dann einen schönen Stadtpark, mehrere Museen, Ausgrabungen des antiken Kition, eine<br />
Marmorstatue des Zenon von Kition…<br />
Wir hatten eine halbe Stunde Freizeit, doch ohne Anleitung war das Risiko zu groß, weite<br />
Wege zu gehen, ohne Entfernungen zu kennen. Ich verschwand mit Martina in einem<br />
Andenkengeschäft. Sie suchte eine Kette für sich und konnte sich lange nicht entschließen, bis<br />
ich ihr wieder mit einem Machtwort helfen musste.<br />
Am breiten Strand beeindruckte mich das<br />
von den Wellen vielfach gebrochene Licht<br />
des Wassers. Am Himmel hingen hohe<br />
Schleierwolken, die Sonne brannte<br />
ungehindert. Lange Reihen Liegen mit<br />
blauen Bezügen und blau gestreifte<br />
Sonnenschirme und warben um<br />
Badepublikum, das jetzt in der Nachsaison<br />
nicht mehr so zahlreich war.<br />
Der Sand ist schmutzig und wie hartgewalzt.<br />
Unser Bus kommt. Wir bleiben in der Nähe von Larnaca und fahren in der Nähe des<br />
Flughafens zu einer 3 km entfernten grünen Oase an dem so genannten „Großen Salzsee“, der<br />
jetzt seinem Namen nicht gerecht wird, ganz einfach weil er kein Wasser hat und im Laufe des<br />
langen Sommers ausgetrocknet ist. Unser Ziel ist eine Grabmoschee der Hala Sultan 7 Strand von Larnaca<br />
mit<br />
dem Zunamen Tekke, der im Türkischen so viel wie klösterliche Anlage bedeutet.<br />
Eine Moschee zu betreten war für uns beide nicht neu. Jedes islamische Gotteshaus hat jedoch<br />
etwas Besonderes, so auch diese Moschee. Man erzählt sich, besser es wird von den Gläubigen<br />
als Tatsache verehrt, dass hier die mutmaßliche Pflegemutter oder Tante des Propheten<br />
Mohammed oder mindestens die Tante eines engen Vertrauten Mohammeds begraben ist.<br />
Chala Sultan war die Frau des Statthalters von Palästina, kam während des Eroberungszuges<br />
647 n. Chr. im Gefolge des Sultans auf die Insel. Ein unglücklicher Zufall brachte sie ins<br />
Jenseits. Hier an dieser Stelle, wo die Moschee heute steht, stürzte sie vom Maultier zu Tode.<br />
Während der Türkenherrschaft mussten alle vorbeifahrenden türkischen Schiffe ihr zu Ehren<br />
die Flagge senken. Die heutige Moschee, die das Grab der Chala Sultan umschließt, stiftete<br />
1816 der damalige türkische Gouverneur Seyyit Emir Effendi. Soweit die Vergangenheit.<br />
Heute zählt diese Moschee neben Mekka und Medina zu den wichtigsten Pilgerstätten des<br />
Islam.<br />
7<br />
Hala Sultan, auf Griechisch Chala Sultan, auf Arabisch Umm Haram<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 16
Ein sonnenüberfluteter Innenhof wird von sorgfältig bewässertem Grün geziert. Eine Katze<br />
räkelt sich faul auf den warmen Fliesen im Schatten. Der Reinigungsbrunnen ist ein kleines<br />
Bauwerk für sich. Acht Säulen tragen ein im Grundriss achteckiges Dach, in seinem Schatten<br />
wartet ein geometrisch ebenso angelegter Brunnen mit acht Wasserhähnen auf die Gläubigen,<br />
dass sie sich zum Gebet reinigen.<br />
Nachdem wir die Schuhe ausgezogen<br />
haben, betreten wir das Innere. Es ist<br />
karg ausgestattet. Die Minbar, die<br />
Gebetskanzel, ragt von Osten her in<br />
den Raum, der voll mit bunt<br />
gewürfelten Teppichen ausgelegt ist.<br />
Wahrscheinlich sind sie von den<br />
Gläubigen gespendet und im Laufe der<br />
Zeit zusammengetragen worden. Das<br />
Mittagslicht wirft freundliches Licht<br />
herein. In der Ecke macht sich ein<br />
Aufpasser zu schaffen, der über den<br />
heiligen Ort wacht.<br />
Neben der <strong>nach</strong> Mekka ausgerichteten Gebetsnische führt ein Gang in die Grabkammer. Das<br />
im Dunkel fast verborgene Grab hinter einem Eisengitter wird von einem Monolithen, der auf<br />
zwei Stützen ruht, überwölbt. Auch hier sagt eine Legende, dass am Todestag der Umm Haram<br />
dieser Stein von Mekka <strong>nach</strong> <strong>Zypern</strong> flog und eine Zeit lang über dem Sarg schwebte. Um die<br />
Trauernden nicht zu gefährden, baute man diese Stützen unter.<br />
Eine andere Legende erzählt, dass sich<br />
drei Steine am Vorabend ihres Todes aus<br />
Jerusalem lösten und durch das Meer <strong>nach</strong><br />
<strong>Zypern</strong> schwammen. Nach einer anderen<br />
Sage soll ein Engel den Stein von Sinai<br />
hierher gebracht haben.<br />
In einem Nebenraum stehen Sarkophage<br />
islamischer Prominenter, unter anderem<br />
der der Urgroßmutter des Königs Abdullah<br />
von Jordanien. Die Stufe zu der etwas<br />
tiefer gelegenen Fläche ist mit einem sehr<br />
schönen grünen Teppich belegt.<br />
Sarkophage islamischer Prominenter<br />
Im griechisch- orthodoxen Süden <strong>Zypern</strong>s sind Moscheen eher selten.<br />
Später fanden wir eine Moschee in Paphos verwaist und unbenutzt. Ist es<br />
eine Trotzreaktion der Zyprer auf die türkische Besetzung? Ich erfahre es<br />
nicht.<br />
Schöne Motive suchend, bummle ich der <strong>Reise</strong>gesellschaft hinterher und<br />
steige als Letzter in den Bus, halt- <strong>nach</strong> mir kam der „Menschenjäger“, der<br />
immer ein wenig vor mir dastand, wenn ich mir einen guten Standort zum<br />
Fotografieren ausgesucht hatte und verbaute mir die Sicht. Ich gestehe ihm<br />
zu, dass er die Dinge mit „meinem Blick“ sah.<br />
Wir fuhren gar nicht lange, nur wenige Minuten und hielten an einem<br />
trockenen, staubigen Platz am Rande des jetzt völlig ausgetrockneten<br />
Salzsees, der als Picknick- Gelände sicher von vielen Einheimischen und<br />
Anderen <strong>Reise</strong>gruppen genutzt wird. Antonio und Carina Latta, unsere<br />
<strong>Reise</strong>begleiterin, packten jetzt Kisten aus, ich bekam einen Ballon Wein in<br />
die Hand. Sie schleppten Plastikbeutel mit Brot und Gemüsekisten und<br />
anderes, was eben an Werkzeug zum Essen im Freien benötigt wird.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 17
Die hölzernen Tische und Bänke standen nicht sehr günstig in einigem Abstand, so dass den<br />
besseren Platz fand, wer zuerst kam und die Gruppe recht verteilt saß. Nicht jeder fand<br />
Schatten. Außerdem blies ein heftiger böiger Wind, der laufend die Servietten, Pappteller und<br />
–becher in die Luft wirbelte. Ab und an stieg in unmittelbarer Nähe über der Fläche des<br />
Salzsees ein Flugzeug auf oder setzte zur Landung an. Antonio erklärte, dass <strong>nach</strong> der Invasion<br />
1974 der Flughafen Larnaca eingerichtet wurde, sehr zu ungunsten des Salzsees, der durch<br />
herabsinkende Kerosinrückstände derart verschmutzt wird, dass die Zugvögel, vor allen die<br />
Flamingos, die ihn im Winter auf ihrem Vogelzug <strong>nach</strong> Afrika als Zwischenstation aufsuchen,<br />
sehr darunter leiden.<br />
Was aber Antonio auftischte, was er<br />
unermüdlich aufschnitt, weiterreichte, anbot,<br />
das war enorm und wohlschmeckend. Er<br />
schälte die würzigen Gemüsezwiebeln,<br />
zerteilte grüne und rote Paprika, Tomaten,<br />
Zucchinis, Gurken. Er schenkte roten und<br />
weißen Wein aus. Er schnitt frisches<br />
schmackhaftes Brot auf. Dazu schälte er<br />
harte Würste aus der Pelle und verteilte die<br />
Scheiben freigebig. Der Wein stimmte alle<br />
lustig und froh. Wir fanden den windigen<br />
und staubigen Platz weniger windig und<br />
weniger staubig, obwohl manche in der<br />
knallen Sonne sitzen mussten.<br />
Picknick am Großen Salzsee bei Larnaca<br />
Dafür konnte Antonio aber nichts, und wir fanden die kleine Schlemmerei alle recht gelungen.<br />
Der Große Salzsee ist eine riesige öde Fläche. Gerade wurde ein Fußweg angelegt für die<br />
Pilger zur Moschee. Der Salzsee liegt bis zu 2 m unter dem Meeresspiegel. So sickert im<br />
Winterhalbjahr Meerwasser durch die Dünen in die Senke, das bis August verdunstet und eine<br />
bis zu 3 cm dicke Salzkruste bildet, die schon in der Antike geschürft wurde. Bis zu Beginn des<br />
20. Jahrhunderts war das Salz ein wichtiges Exportgut. Durch die zunehmende<br />
Luftverschmutzung durch den Flughafen wird seit 1992 kein Salz mehr abgebaut.<br />
Auf Wunsch einiger Passagiere, dem ich mich auch anschloss, wollten wir die nahe bei<br />
Larnaca gelegene Kirche in Kíti sehen. Wir intervenierten und überredeten Antonio. Kíti liegt<br />
nur 11 km südwestlich von Larnaca. Ein Katzensprung. Die Kirche Panagía Angelóktistos 8<br />
gehört zum Weltkulturerbe. Sie enthält in ihrer Apsis das bedeutendste frühchristliche Mosaik<br />
der Insel. Neben der Lage von Kíti sieht man auf der Karte deutlich die sumpfigen Gebiete und<br />
8<br />
Panagía Angelóktistos = …von den Engeln erbaut<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 18<br />
den Großen Salzsee.<br />
Als wir durch eine von blühenden<br />
Büschen gesäumte Mauer in eine Art<br />
Vorhof traten, machte die kleine<br />
Kirche von Kíti genau den Eindruck,<br />
den sie auch darstellte, den eine<br />
Dorfkirche. Wir dürfen drinnen nicht<br />
fotografieren, ermahnte uns Antonio.<br />
Schade. Ein alter Mann in weltlicher<br />
Kleidung passte auf uns auf, als wir<br />
in den dunklen dreischiffigen Raum<br />
hineingingen, der sehr nüchtern<br />
ausgestattet ist.<br />
Die Schiffe werden durch sechs mächtig wirkende rechteckig gemauerte Säulen getrennt, die<br />
vielleicht 1,70 m dick sind. Seitlich führen Türöffnungen in Seitenkapellen.
Wir wenden uns zum Chor, zu dem wieder eine Ikonostase den direkten Blick verstellt.<br />
Wir dürfen das Heiligste blicken, das<br />
Mosaik. Der linke Erzengel Michael ist<br />
übertüncht, die Mosaiksteine fehlen, der<br />
rechte dagegen, der Erzengel Gabriel zur<br />
Linken der Gottesmutter ist wunderbar<br />
erhalten.<br />
Kíti, Panagía Angelóktistos, Mosaik des Apsisgewölbes<br />
im Altarraum: Gottesmutter mit Christuskind und<br />
Erzengel<br />
Und nun muss ich mir aber klar machen, wie alt<br />
dieses Mosaikbild ist. Die Ikonografen und anderen<br />
Theologen sind sich heute weitgehend einig. Man<br />
muss versuchen, sein Alter in der Kirchengeschichte<br />
zu suchen. Immer ist die Suche <strong>nach</strong> der Herkunft mit<br />
Geschichte und Geschichten verbunden. Da ist<br />
zunächst der Ursprung der Siedlung Kíti. Ihre<br />
Gründung muss wohl eine Folge eines Erdbebens und<br />
einer langen Dürre im 4. Jh. gewesen sein, so dass die<br />
Bewohner der antiken Siedlung Kition einen neuen<br />
Erzengel Gabriel<br />
Platz gesucht haben und hier an dieser Stelle<br />
fruchtbaren Boden fanden.<br />
Wir machen einen großen Sprung, weil da die Geschehnisse besser bekannt sind. Im Jahre<br />
1191 eroberte Richard Löwenherz, der englische König, auf seinem Kreuzzug die Insel<br />
<strong>Zypern</strong>, die unter der Macht eines gewissen Isaak stand, der sich Kaiser nannte und mit Saladin<br />
sympathisierte. Kíti wird urkundlich 1196 das erste Mal erwähnt, in einer Liste von Dörfern,<br />
die dem lateinischen Bistum Nikosia den Zehnten abliefern mussten. Möglicherweise war Kíti<br />
einst der Sitz des Bistums von Kition für eine gewisse Zeit…<br />
Der zweite Aspekt der Umsiedlung von Kition <strong>nach</strong> Kíti ist die Sicherheit, die die Einwohner<br />
vor den Überfällen der Araber fürchteten. Die Legende berichtet nun, dass sie begannen eine<br />
Kirche zu bauen. Nach Beginn der Arbeiten stellte man fest, dass die Grundmauern der Kirche<br />
an anderer Stelle sich befanden. Als dort weiter gebaut wurde, sah man <strong>nach</strong>ts Scharen von<br />
Engeln die Kirche errichten. Daher rührt der Beiname „von Engeln erbaut“ (Angeloktisti).<br />
Die Kirche, die wir heute besuchen, ist ein Bau des 11. und 12. Jahrhunderts. Ursprünglich<br />
entstand ein Kreuzkuppelbau, wie wir ihn dann noch oft auf der Insel sahen. Die nördliche<br />
Kapelle für die heilkundigen Heiligen Kosmas und Damian wurde wahrscheinlich in Zeiten der<br />
Pest im 13. Jahrhundert angebaut. Vielleicht war sie einmal eine Totenkapelle. Ich konnte nur<br />
noch eine Darstellung des Heiligen Georg erkennen. Es gibt Übermalungen und Putzschäden.<br />
Und der südliche Vorbau, durch den wir hereinkamen, war eine gotische Kapelle, wie sie den<br />
religiösen Wünschen der neuen fränkischen Herrscher entsprach.<br />
Einem im Andenkenladen gekauften Heft entnahm ich letztendlich das erstaunliche Alter von<br />
etwa 1430 Jahren. Man nimmt an, dass die Herstellung dieses Mosaiks in das letzte Viertel des<br />
6. Jahrhunderts, das heißt <strong>nach</strong> der Ära Justinians, etwa in die Regierungszeit des<br />
byzantinischen Kaisers Maurikios (562 – 602 n. Chr.) fällt. Damit ist dieses Mosaik, da es ja<br />
mit der Bauhülle verbunden ist, das älteste bauliche Zeugnis der christlichen Kunst, das ich<br />
kenne. Nun wird mir auch die Bedeutung dieser Kirche als UNESCO- Weltkulturerbe klar.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 19
Ich umrunde die Kirche, finde einen Brunnen<br />
unter einem ganz alten Baum, der sicher schon<br />
hundert Jahre dort Schatten spendet. Der Brunnen<br />
scheint noch in Betrieb zu sein. Er ist sauber<br />
abgedeckt und mit einer sinnvollen Aufzugsspule<br />
versehen. Ein steinerner Waschtrog daneben<br />
ergänzt das Ensemble. Mein Auge freut sich an<br />
wundervollen Blüten an den Büschen ringsum.<br />
Wir sitzen noch ein Weilchen auf einer Bank und<br />
genießen die abgeschiedene Ruhe dieses Ortes.<br />
Ein Kirchenmann in langem schwarzem Gewand<br />
sitzt an einem viereckigen Tisch und spricht mit<br />
Antonio. Carina setzt sich dazu.<br />
Kíti, Brunnen an der Panagia Angeloktistos<br />
Er strahlt eine wunderbare Abgeklärtheit aus. Wer weiß, was ihm<br />
Antonio erzählt hat. Ich kaufe im Kirchenladen das bewusste<br />
Heft über die Kirche, weil ich ohne nähere Informationen über<br />
dieses Mosaik nicht hinweggehen wollte. Ich erfahre, dass die<br />
alten Bäume Terpentin- Pistazien und über 300 Jahre alt sind, aus<br />
deren Rinde man früher wohlriechendes Terpentin gewann.<br />
Außerdem seien ihre Früchte essbar. Weiter interessant ist, dass<br />
die gotische Kapelle am Anfang des 20. Jh. als Grundschule des<br />
Dorfes genutzt wurde. Das zeigt, wie eng verzahnt damals<br />
Kirche und Welt im kleinsten Siedlungsraum waren. Es gibt auch<br />
dort noch eine kleine Sammlung wertvoller weil alter Ikonen, die<br />
in einer Sakristei aufbewahrt werden. Sie wurde uns nicht<br />
gezeigt. Wusste es Antonio nicht oder hielt er uns für<br />
interesselos? Ich will ihm Zeitdruck unterstellen.<br />
Nun, dieser Besuch hier war kein offizieller Programmpunkt. Wenn ich mich recht besinne, ist<br />
die Begegnung mit solchen Bildern im Mittelpunkt ihres „Wirkens“, also in der Kirche, neu.<br />
Die Kunst der Ikonenmalerei ist primär eine theologisch- liturgische Kunst, die den Gläubigen<br />
zum Verständnis und Erleben der kirchlichen Sakramente der orthodoxen Kirche führen soll,<br />
ähnlich der Malerei, Bildhauerkunst und Plastik der katholischen Kirchen bei uns in Europa.<br />
Ein Beispiel mag eine der schönsten Ikonen dieser Kirche<br />
sein, die den Erzengel Michael darstellt. Es zeigt ihn in<br />
kaiserlichem Chiton 9 , mit Edelsteinen und Medaillons<br />
mit Kreuzen in Rot und Gold geschmückt; das Zepter<br />
deutet seine göttliche Herrschaft, das Medaillon mit dem<br />
Evangelium Christi in der Linken auf seine Botschaft für<br />
die Menschen. Das vergeistigte Antlitz ist vom<br />
Heiligenschein umstrahlt. Wie überirdisch muss das<br />
früher auf die einfachen Menschen gewirkt haben! Wenn<br />
ich mich im Nachhinein damit beschäftige, tut es mir<br />
aufrichtig leid, dass uns vor Ort kunsterfahrene Führer<br />
nicht mehr gezeigt haben. Diese Ikonen sind zwar Mittler<br />
des Glaubens. Sie geben andererseits auch Einblick in das<br />
Denken und Fühlen vergangener Generationen und sind<br />
Blickfenster in die Vergangenheit. Die meisten Leute<br />
gehen an diesen Fenstern vorbei. Es weist sie keiner<br />
darauf hin, und sie haben nicht sehen gelernt.<br />
9<br />
Chiton, [çi'to:n; der; griechisch], griechisches Kleidungsstück in Form eines knie- oder fußlangen<br />
Hemdgewands aus einem Stück, mit Naht an der rechten Seite und auf den Schultern durch eine Fibel<br />
zusammengehalten. Ursprünglich nur von Männern getragen.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 20
Ich werde an anderer Stelle noch auf Ikonen zurückkommen. Es sollte sogar noch am heutigen<br />
Tage sein.<br />
V. Agia Napa<br />
egen 15.30 Uhr fahren wir weiter. Letzte Station des Tages: Agia Napa. Dort wenden<br />
wir uns gleich <strong>nach</strong> dem Ausstieg zu dem Kloster, das dem heutigen Bade- und<br />
Erlebnisort seinen Namen gab. Es liegt 40 km östlich von Larnaca in einer Bucht im<br />
G<br />
äußersten Südosten <strong>Zypern</strong>s, unweit unseres ersten Unterkunftsortes Protaras.<br />
Agia Napa hat sich in den letzten Jahren von einem einsamen Fischerort zu einer<br />
Touristenhochburg im zyprischen Osten entwickelt. Jetzt in der Nachsaison ist alles<br />
vereinsamt. Nur noch spärlich sehen wir Touristen in den sich kreuzenden Hauptstraßen, wo<br />
wir halten. Viele Lokale haben geschlossen. Es lohnt nicht mehr so recht. Wir beschäftigen uns<br />
nicht mit diesem Sektor des Tourismus. Wir wandeln auf religiösen Pfaden.<br />
Das Kloster befindet sich im gleichnamigen Dorf im Bezirk Ammochostos. Der Name des<br />
Gebietes rührt von einer Ikone „Jungfrau Maria von Napa“, was „Heilige des Waldes“ oder<br />
kurz Agia Napa bedeutet.<br />
Das Kloster Agia Napa ist dieser „heiligen<br />
Mutter vom Walde“ geweiht Wieder muss eine<br />
traditionelle Legende den Namen deuten:<br />
Da<strong>nach</strong> wurde in der Höhle, die später zur<br />
Kirche umgebaut wurde, von einem Jäger diese<br />
Marien- Ikone gefunden. Es war der Hund des<br />
Jägers, der das gleißende Bildnis der Jungfrau<br />
zuerst zu sehen bekam und sofort beharrlich zu<br />
bellen anfing, um seinen Herrn zu rufen. Die<br />
Höhle, ein Versteck und gleichzeitig Lager<br />
zeugen von einer christlichen Gemeinde in der<br />
byzantinischen Zeit. Das Gebiet bekam den<br />
Namen jedenfalls noch vor dem Jahr 1366.<br />
Agia Napa, Höhlenkirche<br />
Im 14. Jahrhundert wurde ein Teil der Höhle aus- und zu einer Kirche umgebaut.<br />
Nichtsdestoweniger ist das Kloster ein Bau, laut einer Inschrift 1530, aus dem 16.<br />
Jahrhundert, als <strong>Zypern</strong> unter der venezianischen Herrschaft stand. Um diese Grotte herum ist<br />
das Kloster entstanden. Von der Gründung des Klosters sind keine genauen Daten bekannt. In<br />
dieser Grotte wurden die ersten Gottesdienste abgehalten. Nach Bekanntwerden dieses<br />
Ereignisses begannen sehr schnell Gläubige den heiligen Ort aufzusuchen. Die Ikone wurde<br />
sehr wahrscheinlich in der Höhle während des Bildersturmes im 7. und 8. Jahrhundert dort<br />
verborgen und somit vor der Zerstörung gerettet.<br />
Eine weitere Legende erzählt, dass die Tochter einer venezianischen Adelsfamilie hier gegen<br />
den Starrsinn ihrer Familie Unterschlupf suchte, weil diese die Heirat mit einem<br />
Nichtadeligen ablehnte. Es wird gesagt, dass diese wohl vermögende Venezianerin später die<br />
Kirche, die Klosterzellen und eine Getreidemühle auf eigene Kosten erbauen ließ. Die<br />
Getreidemühle wurde wahrscheinlich später während der Türkenherrschaft gebaut.<br />
Nach und <strong>nach</strong> wurden eine römische Kapelle und ein Nonnenkloster hinzugefügt. Das rechte<br />
Seitenschiff der Kirche, direkt hinter dem Eingang, hatte die Funktion der römischen Kapelle.<br />
Der Klosterbereich ist von einer hohen und dicken Mauer umstanden, vor der wir zunächst<br />
einen riesigen uralten Sykomorenbaum 10 bestaunten, der neben einem Teich sein schützendes<br />
Dach ausbreitete. Seine mächtigen Äste stützte eine starke Eisen- Konstruktion. Seinen Stamm<br />
konnten erst vier oder fünf kräftige Männer umspannen.<br />
10<br />
Sykomore, [die; griechisch] Maulbeerfeige, Ficus sycomorus, ein Maulbeergewächs; aus Äthiopien<br />
stammender, bis 16 m hoher, bereits tief am Stamm verzweigter Baum, dessen Fruchtstände (Eselsfeigen) essbar<br />
sind. Das Holz wurde für die Mumiensärge verwendet.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 21
Diese mächtige Sykomore (auch „Pharaonen- Feige“ genannt) des Klosters, die neben dem<br />
Wasserzentrum wächst, soll angeblich noch von der Venezianerin gepflanzt worden sein.<br />
Als die Zeit ihres Todes nahte, errichtete sie ein steinernes Gewölbemonument. Sie wünschte,<br />
in diesem Monument, in der Nähe des Wasserspeichers und „seiner taufrischen Kühle“<br />
begraben zu werden.<br />
An der nördlichen Seite des Innenhofes ist ein Brunnen mit der Gestalt eines Keilerkopfes.<br />
Darüber steht das zweistöckige Haus, in der die venezianische Tochter anfangs gelebt hat.<br />
Oben auf dem Hügel an der westlichen Seite der Kirche, befindet sich eine kleine antike<br />
Kirche, genau an der Stelle errichtet, wo die Jungfrau Maria <strong>nach</strong> der Legende eine Rast<br />
eingelegt haben soll.<br />
Als die Osmanen 1571 auf der Insel<br />
einbrachen, wurde das Kloster nicht zerstört.<br />
Man schließt dies daraus, dass die<br />
Beschreibung des Klosters von Pietro della<br />
Valle um 1625 sich präzise mit der heutigen<br />
Erscheinung deckt. Er berichtet ebenso dass<br />
dieses Kloster damals ein Nonnenkloster war<br />
Sykomore vor dem Kloster Agia Napa<br />
und große Ländereien besaß.<br />
Zu einem Mönchskloster wurde es 1668<br />
umgewandelt. Aus einem nicht mehr<br />
bekannten Grund wird es seit 1758 nicht mehr<br />
ständig von Mönchen bewohnt und<br />
bewirtschaftet.<br />
Das Kloster war ursprünglich in einem<br />
unbewohnten Gebiet angesiedelt. Erst ungefähr<br />
Mitte des 18. Jahrhunderts wurde das erste<br />
Haus des Dorfes gebaut. Die ersten Bewohner<br />
des Dorfes waren Leute aus Thessaloniki, die<br />
ihre alte Heimat wegen der Pest verlassen<br />
hatten.<br />
Jahrzehnte später, 1813, wurde das Kloster laut einer Inschrift restauriert und erneuert.. Da es<br />
keine klösterliche Einsiedelei mehr barg, vermietete man den Besitz an die Bauern in der<br />
Gegend. Die klösterlichen Einrichtungen wurden für die verschiedenen Bedürfnisse der<br />
Gemeinde genutzt.<br />
Nach 1878, unter britischer Kolonialherrschaft, gab es keine Mönche in Agia Napa mehr. Die<br />
Klosterkirche wurde nun zur Gemeindekirche des Dorfes.<br />
1950 wurden wieder umfassende Renovierungsarbeiten vorgenommen. Erzbischof Makarios<br />
III. wählte Agia Napa als ökumenisches Tagungszentrum aus. Die türkische Invasion<br />
zerschlug diese Pläne für die Einrichtung eines solchen Zentrums.<br />
Erst 1976, unter Mitwirkung der deutschen evangelischen Kirche, wurde ein neuer<br />
Gebäudekomplex geschaffen, der heute Versammlungsort für die christlichen Kirchen im<br />
Nahen Osten ist.<br />
Der Bevölkerungszuwachs im Dorf machte den Bau einer neuen Kirche notwendig, die im<br />
Südwesten des Klosters gebaut wurde und ebenfalls der Jungfrau Maria geweiht ist.<br />
Da sich die Sonne jetzt am Nachmittag schon neigte, blendete mich die idyllische Schönheit<br />
des Innenhofes im warmen Licht besonders, als ich durch einen Bogen über holprige, glatt<br />
geschliffene Kopfsteine das Innere betrat.<br />
Antonio steuerte auf den Eingang der Kirche zu, die im Innern sich als die Grotte entpuppte.<br />
Im Zugang standen rechts und links eine ganze Reihe Ikonen an die Wand gelehnt, die ich<br />
ablichtete. Einige Stufen führten in die eigentliche Grotte, heute durch ausgemauerte Gewölbe<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 22
aulich ausgeformt. Dann setzten wir uns in dem niedrigen Felsenhohlraum auf die Stühle, und<br />
Antonio erzählte uns aus der Kirchengeschichte. Sie soll aus dem 16. Jahrhundert stammen.<br />
Selbst ein weltlich denkender Mensch kommt nicht daran vorbei, falls er überhaupt ein Auge<br />
für die Kunst hat, zuzugestehen, dass diese Ikonen schön sind, vielleicht in dem Sinne, dass sie<br />
auf uns eine gewisse Wirkung ausstrahlen, dass sie ein Fenster sind, durch das man in eine für<br />
uns fremde religiöse Welt schaut. Es ist diese strenge Symbolik, die Augen, die an dir<br />
vorbeiblicken, das Gold, die königlichen Farben Rot und Blau der Gottesmutter oder die<br />
schlichten Farben der Gewänder der Heiligen, die Ruhe, die ihre Haltungen aussenden, die<br />
nicht immer leicht zu enträtselnde Gestik ihrer Hände…Ich war sehr gefangen von diesen<br />
Bildern, die ich immer wieder in den orthodoxen Kirchen vorfand und nicht müde wurde, sie<br />
anzuschauen.<br />
Ich will einmal die kurze Zeit, in der Richard Löwenherz auf <strong>Zypern</strong> saß,<br />
noch auslassen und nur an ihrem Ende anknüpfen, nämlich an das Jahr<br />
1192, in dem Löwenherz die Insel für hunderttausend Goldstücke an die<br />
Templer verkaufte. Diese können nur vierzigtausend anzahlen. Aber auch<br />
für den reichen Orden ist die Restsumme nicht leicht aufzubringen. Die<br />
Templer versuchen nun, das Geld aus der Bevölkerung zu pressen.<br />
Richard Löwenherz<br />
Sie ersticken in Nikosia einen Volksaufstand in einem Blutbad. Die geldgierigen Barone mit<br />
dem lateinischen Ritus bleiben für die meisten griechisch- orthodoxen Einheimischen fremde<br />
Herren. Als es zu weiteren Aufständen kommt, wollen die Templer die Insel wieder loswerden.<br />
Nach einer schwierigen Finanztransaktion vergibt Richard <strong>Zypern</strong> dann<br />
zum gleichen Preis weiter an Guy de Lusignan 11 , den abgesetzten König<br />
von Jerusalem: <strong>Zypern</strong> bleibt dreihundert Jahre im Besitz europäischer<br />
Feudalherren. In dieser Zeit wird <strong>Zypern</strong> feudalistisch regiert. Die<br />
katholische Kirche ersetzt offiziell die bis dahin griechisch- orthodoxe,<br />
welche jedoch trotz starker Unterdrückung überleben kann. Die Dynastie<br />
der Lusignans endet, als die letzte Königin, Caterina Cornaro 12 1489<br />
<strong>Zypern</strong> unter Zwang dem mächtigen Venedig überlässt.<br />
Caterina Cornaro<br />
Von genau 1489 bis 1571 <strong>nach</strong> Christus beherrschten dann die Venezianer die Insel und<br />
betrachteten sie als letzte Bastion gegen die mächtigen Osmanen und befestigten die großen<br />
Städte. Noch in dieser Zeit, und bevor die Osmanen die Insel 1571 in ihren Besitz brachten,<br />
11<br />
Lusignan, [lyzi'njã], französisches Adelsgeschlecht aus dem Poitou, stellte Könige von Jerusalem (1179-<br />
1291), von <strong>Zypern</strong> (1192-1489) und von Kleinarmenien (1342-1375).<br />
12<br />
Cornaro, Caterina, Königin von <strong>Zypern</strong> 1473-1489, * 1454 Venedig, † 10. 7. 1510 Venedig; verzichtete<br />
unter dem Zwang Venedigs auf ihr Königreich; das ihr zugewiesene Asolo (Provinz Treviso) gestaltete sie zu<br />
einem Musenhof.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 23
muss wohl noch diese Klosterkirche Agia Napa entstanden sein. Über den Einfall der Türken<br />
1571 werde ich noch berichten.<br />
Viel Zeit blieb uns <strong>nach</strong> Verlassen der Kirche nicht, uns umzuschauen. In typisch japanischer<br />
Manier wurden noch Fotos geschossen. Das wundervolle Licht unterstützte dieses Vorhaben.<br />
Dann marschierten wir zum Bus und fuhren die wenigen Kilometer <strong>nach</strong> Protaras.<br />
Im Hotel Cavo Maris kannten wir uns nun schon mit den Gepflogenheiten des reichhaltigen<br />
Buffets aus, verpflegten uns reichlich. Ein kleines Bier kostete 2,10 zyprische Pfund. Da es<br />
heute Abend <strong>nach</strong> dem Essen noch nicht 21 Uhr war, gingen wir über die Straße in den<br />
„Supermarkt“ und kauften Ansichtskarten und gleich noch Briefmarken dazu. Auf dem Balkon<br />
schrieb ich in der angenehmen Wärme des lauen Abends drei Karten und genoss die Aussicht<br />
auf die<br />
Lichter<br />
der<br />
Stadt.<br />
Vom<br />
Balkon<br />
genoss<br />
ich den<br />
Abend<br />
und den<br />
weiten<br />
Blick.<br />
VI. Nikosia- Geteilte Hauptstadt<br />
Samstag, 30. September 2006<br />
E<br />
in wunderschöner, strahlender Morgen brach an. Wir genossen ihn beim Frühstück auf<br />
der Terrasse neben dem Schwimmbecken. Freche, hungrige Sperlinge umzwitscherten<br />
uns, hüpften über die Fliesen und pickten die Brosamen auf, die zu Boden fielen oder<br />
die ihnen zugeworfen wurden. Ganze Schwärme von ihnen lauerten im lockeren Grün, das die<br />
Terrasse umgab und verliehen der grünen, blühenden Pflanzenzierde beinahe den Glanz<br />
belebter Natur. Heute stand ein Ausflug in die geteilte Hauptstadt <strong>Zypern</strong>s auf dem<br />
Programm.<br />
Antonio nutzte die Fahrt, um uns noch Einzelheiten zu schildern, die in den Zusammenhang<br />
der türkischen Besetzung des Nordteils der Insel gehören. Ich habe die Fakten bereits<br />
dargelegt. Er erinnerte vor allem an die Galionsfigur des zyprischen Widerstandes, den<br />
Erzbischof Makarios. Also schalte ich hier einige Lebensdaten dieses berühmten Mannes ein,<br />
an dessen Wirken, was die Reflexion in den Medien der DDR- Presse betraf, ich mich noch<br />
selbst entsinnen kann. Er hat wohl auch einmal die DDR besucht.<br />
Erzbischof Makarios III. (*13. August 1913 in Pano<br />
Panagia, <strong>Zypern</strong>; † 3. August 1977); eigentlich Michail<br />
Christodulos Muskos (Μιχαΐλ Χριστόδουλος Μουσκός);<br />
war ein zypriotischer Geistlicher und Politiker.<br />
Muskos wurde <strong>nach</strong> einem Theologie-Studium in<br />
Athen orthodoxer Priester und wurde 1948 zum<br />
Bischof von Kition und 1950 zum Erzbischof von<br />
<strong>Zypern</strong> berufen. Als Erzbischof wurde er als Makarios<br />
III. bezeichnet und bekam den Titel Ethnarch (auf<br />
deutsch Volksführer) von <strong>Zypern</strong>.<br />
Er schloss sich da<strong>nach</strong> dem Kampf zur Befreiung <strong>Zypern</strong>s von den britischen Kolonialtruppen<br />
an und ging ein Bündnis mit General Grivas ein. Fast 600 Menschen starben bei den<br />
Kämpfen, bis Makarios III. im Jahr 1960 das Präsidentenamt des nun unabhängigen <strong>Zypern</strong><br />
übernehmen konnte.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 24
14 Jahre später wurde er 1974 durch einen<br />
Militärputsch gestürzt, der von der damaligen Junta<br />
Griechenlands betrieben wurde. Andauernde<br />
innenpolitische Konflikte um die zyprische Verfassung -<br />
der Anschluss an Griechenland war verboten, und die<br />
Türken Nordzyperns hatten recht weit reichende<br />
Autonomierechte - waren der Vorwand dafür gewesen.<br />
Die Abspaltung Nordzyperns und die folgende Teilung<br />
der Insel resultierten aus diesem Putsch.<br />
Im Dezember 1974 kehrte er noch einmal in das Amt<br />
zurück, das er bis zu seinem Tode innehatte.<br />
Antonio nannte noch einmal die Zahlen der türkischen Invasion, damals 1974, während der<br />
instabilen politischen Situation: 17 000 Soldaten drangen am 20. Juli auf die Insel und<br />
vertrieben 160 000 griechische Zyprioten aus ihren angestammten Heimen. Zirka 1500 von<br />
ihnen werden bis heute vermisst. 5000 Soldaten und Zivilisten ließen dabei ihr Leben.<br />
Antonio erläuterte auch noch einmal den 1400 Seiten umfassenden Annan- Plan der Einigung<br />
<strong>Zypern</strong>s, den vor allem die griechischen Zyprer im Süden mit ihrem Nein bei der<br />
Volksabstimmung ablehnten, obwohl 65% der türkischen Zyprer im Norden zustimmten.<br />
Ein Punkt als Beispiel, wie dabei die griechischen Zyprer über den Tisch gezogen werden<br />
sollten: 1000 ha Kartoffelland wollten die Engländer gegen 50 km unfruchtbaren Meeres-<br />
Shelf bei Limassol eintauschen. 5000 türkische Soldaten sollten als Besatzungsmacht bleiben.<br />
Und so gab es noch viele Punkte, bei denen die im Süden erhebliche Nachteile eingetauscht<br />
hätten.<br />
Als wir so auf den gut ausgebauten Straßen durchs Land fuhren, der Blick aufs Meer zur<br />
Linken mit dem aufs Weichbild von Larnaca wechselte, fragte ich Antonio <strong>nach</strong> den<br />
Ressourcen, die den südlichen Zyprioten zur Verfügung stünden, als erstes <strong>nach</strong><br />
Trinkwasser, das ja die Lebensgrundlage bildet. Es ist tatsächlich ein ernstes Problem, das<br />
die Zyprer meistern müssen. Grundwasser ist nicht vorhanden. Die Insel bildet<br />
gewissermaßen einen vulkanischen Sporn auf der afrikanischen Kontinentalplatte. Den<br />
Sommer über regnet es überhaupt nicht, im Winterhalbjahr unregelmäßig. Die türkische<br />
Besetzung hat für den Süden große Gebiete der bewässerten Mesaoria- Ebene abgeschnitten,<br />
die ihr Wasser aus dem lang gezogenen Pentadaktylos- Gebirge im Norden erhält.<br />
Mich dünkt, die Reserven des Wassers, das aus dem Troodos- Gebirge abfließt, sind<br />
ausgereizt. Auf der Karte finde ich eine Reihe mittlerer und großer Speicherbecken, die den<br />
Abfluss der kleinen Flüsschen zurückhalten. In Südzypern gibt es über 90 Speicherbecken.<br />
Man hat begonnen, Meerwasser zu entsalzen. 1997 ging die erste in Betrieb. Es gibt heute<br />
eine zweite. Sie haben den Nachteil, dass die Sole ins Meer zurückfließt und dort das Wasser<br />
aufsalzt und den Rest an Fischen kaputtmacht, der jetzt noch auffindbar ist.<br />
Der zyprische Norden wurde 1998 erstmals vom<br />
türkischen Festland mit Wasser beliefert. In<br />
riesigen Plastiksäcken wurden 10 000 Tonnen<br />
Wasser aus dem türkischen Taurusgebirge über<br />
das Meer bis Kyrenia (Girne) geschleppt. Was<br />
wird aus dem wachsenden Tourismus?<br />
Dusche/Bad und Pool müssen sein! Die<br />
Touristen machen sich keinen Kopf, wo das<br />
Wasser herkommt. Sie verbrauchen es<br />
großzügig und gedankenlos.<br />
Überhaupt sind die Küsten abgefischt. So absurd es klingt: Fisch muss importiert werden.<br />
Die Stromgewinnung ist ein weiteres Problem. Sie stützt sich auf Erdölimporte, vorwiegend<br />
aus dem Iran und Russland. Noch werden die teuren Derivate, sprich Erzeugnisse der<br />
Erdölverarbeitung eingekauft, das heißt die Weiterverarbeitung und tiefere Spaltung des<br />
Erdöls ist im Lande noch nicht entwickelt. Ein Energiefaktor ist die Sonnenenergie, allerdings<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 25
nur im privaten Bereich. Fast auf jedem Haus steht ein Wasserboiler, der von<br />
Sonnenkollektoren aufgeheizt wird und das Warmwasser erzeugt.<br />
Bei diesen Erläuterungen nähern<br />
wir uns dem Weichbild der<br />
Hauptstadt <strong>Zypern</strong>s, der einzigen<br />
noch geteilten Hauptstadt Europas.<br />
Wir fahren natürlich zuerst in die<br />
Hauptstadt der Republik <strong>Zypern</strong>,<br />
ordentliches Mitglied der EU-<br />
Staaten. Erstaunlich viel Grün<br />
säumt hier die Straßen. Der<br />
Nikosia: Erzbischöflicher Palast, Makarios-Denkmal<br />
Linksverkehr wurde deutlicher, vor<br />
allem an Ampeln und Ringverkehr<br />
ist er seltsam ungewohnt.<br />
Die Leoforos Athinas, auf der wir in die historische Altstadt einfuhren, zog sich an der alten<br />
Stadtmauer entlang. Antonio zeigte links von uns auf das Famagusta- Tor, eines der drei Tore,<br />
die damals durch die festungsartige Wallmauer in die Stadt führten.<br />
Der Festungsring wurde <strong>nach</strong> den Plänen eines venezianischen Architekten in den Jahren<br />
1567/68 errichtet. Die Stadtmauer umschließt mit ihren elf Bastionen sternförmig die<br />
Innenstadt. Um freies Schussfeld zu haben, riss man damals alle Gebäude im Umfeld ab.<br />
Darunter auch die Grabstätte der Lusignans, den Königspalast und das Dominikanerkloster.<br />
Nikosia<br />
(griech. Lefkosia,<br />
türk. Lefkoşa)<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 26
Die Mauern sind sehr dick, schräg gestellt und von einem Wassergraben umzogen. Unter den<br />
fränkischen Kreuzrittern hieß das zyprische Lefkosia nun Nikosia. Trotz der starken Mauern<br />
erstürmte das Heer Mustafa Paschas <strong>nach</strong> siebenwöchiger Belagerung am 20. Juli 1570 die<br />
Stadt. 20 000 Bewohner verloren dabei ihr Leben. Nikosia blieb bis 1878 in türkischem<br />
Besitz, fast wieder dreihundert Jahre. Von da an nahmen die Briten von der Insel Besitz,<br />
machten es zur Kolonie und herrschten uneingeschränkt bis 1960.<br />
Das heiße Wetter sprang uns an, als wir dem Bus entstiegen. Vor uns prangte im gleißenden<br />
Sonnenlicht der erzbischöfliche Palast mit einem überlebensgroßen Denkmal von Makarios<br />
davor. Der Palast wurde zwischen 1956 und 1961 im neubyzantinischen Stile erbaut. Er ist<br />
heute Mittelpunkt der orthodoxen Kirche <strong>Zypern</strong>s. Makarios kam knapp mit dem Leben<br />
davon, als die Putschisten 1974 den Palast mit ihrer Artillerie beschossen.<br />
Da standen wir nun, mitten in Nikosia. Die Stadt sagte noch Sie zu mir und stellte mir ihre<br />
ersten Kostbarkeiten vor. Hinter den Säulenbögen des Palastes schimmerten kostbare<br />
marmorne Wandtäfelungen. Doch alles schien ohne Leben zu sein. Im ganzen Areal war<br />
niemand zu sehen. Eine Messing- Tafel wies auf ein kirchliches Ikonen- Museum im<br />
Nebentrakt des Palastes. Es beherbergt Tafelbilder, Freskenreste und Ikonen aus den Kirchen<br />
<strong>Zypern</strong>s.<br />
Das erste Ziel der Stadtführung war ein Denkmal des UNESCO- Weltkulturerbes- die Agios<br />
Ioannis, die Johanniskathedrale. Fotografieren verboten, wies uns Antonio an. Schade, aber<br />
einzusehen. Das Blitzlichtgewitter der Touristenapparate, die Ausdünstungen der<br />
Menschenkörper haben schon so manchem alten Kunstwerk zugesetzt und die Restauratoren<br />
zur Verzweiflung gebracht. Durch eine niedrige Tür traten wir in einen relativ kleinen<br />
einschiffigen Kirchenraum ein, der von einer über und über bemalten, tonnenförmigen Decke<br />
überwölbt ist.<br />
Die Ikonostase 13 strotzte von Gold<br />
und Silber und wies eine Vielzahl<br />
reich geschmückter Ikonen auf.<br />
Genau wie die römischen, so boten<br />
auch die Ostkirchen ihren<br />
Gläubigen Bilder an, um ihnen die<br />
Heilsgeschichte nahe zu bringen.<br />
So erzählten auch die Decken und<br />
Wandfresken viele und die<br />
wichtigsten Geschichten aus dem<br />
Alten und Neuen Testament. Ein<br />
trotz Verbot aus der Hüfte<br />
abgedrückter Schnappschuss mag<br />
verdeutlichen, dass eine<br />
Schilderung dieses für meine<br />
Begriffe mit Blattgold überladenen<br />
Nikosia, Johannis- Kathedrale, Ikonostasis<br />
und förmlich überquellenden Reichtums an Bildern und schmückenden Ornamenten schwer<br />
möglich ist. Sie spricht zu den Sinnen des religiösen Menschen, blendet ihn, nimmt ihn<br />
gefangen und entführt den Gläubigen in die Welt des Übersinnlichen.<br />
Die Johanniskathedrale stammt aus dem Jahre 1662 und wurde unter Erzbischof Nikiforos auf<br />
dem Grund einer ehemaligen Benediktinerkirche aus fränkischer Zeit errichtet. Ihre<br />
Ausmalung mit diesen herrlichen Fresken in post-byzantinischer Manier erfolgte aber erst <strong>nach</strong><br />
1730, als diese Kirche zur Kathedrale erhoben wurde. Sie wurden restauriert und begeistern<br />
heute jeden Kunstfreund und erbauen natürlich vorrangig die Gläubigen.<br />
13<br />
Ikonostase = Reich mit Ikonen geschmückte Trennwand zwischen Altar- und Gemeinderaum in orthodoxen<br />
Kirchen<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 27
Wir erfuhren, dass die christliche Kirche auf <strong>Zypern</strong> überhaupt zu den ältesten christlichen<br />
Ländern der Erde zählt. Die Apostel Paulus und Barnabas verkündeten hier bereits das<br />
Christentum im Jahre 45 <strong>nach</strong> Christus. Somit ist die zyprische Kirche apostolischen<br />
Ursprungs. Die Kirche <strong>Zypern</strong>s gehörte von Anfang an zur Ostkirche, als im 4. Jahrhundert die<br />
Kirchenspaltung (Schisma) in eine Ost- und Westkirche ihre Wurzel zu schlagen begannen.<br />
Die Herrschaft der Lusignans erhob zwar für ein paar Jahrhunderte den römisch- katholischen<br />
Glauben zur Staatsreligion. Doch unter der osmanischen Herrschaft erhielt die orthodoxe<br />
Kirche ihre alten Rechte zum Teil zurück: Ein Erzbischof wurde zum offiziellen Vertreter des<br />
zyprischen Volkes. Zwischen 1960 und 1974 war <strong>Zypern</strong> neben dem Vatikan der einzige Staat<br />
der Welt, der von einem Kirchenfürsten, Makarios III., regiert wurde.<br />
Die in dunklen Farben gehaltene Decke machte den Raum eng. Neben der Würdigung des<br />
Theologen Johannes wurde diese Kirche vor allem der Entdeckung des Grabes des Hl.<br />
Barnabas 14 in den Ruinen von Salamis 15 geweiht.<br />
Zwei prachtvolle Kristall- Lüster füllen den Luftraum des engen Kirchenraumes und erzeugen-<br />
wenn sie entzündet sind – feierliche und strahlende Helle. Als wir aus der Kirche heraustraten,<br />
vom Tageslicht geblendet und der jetzt noch Anfang Oktober unbarmherzig brennenden Sonne<br />
ausgeliefert, machte ich folgende Feststellung.<br />
Antonio strebte davon, unbeeindruckt der Dinge, die einen neugierigen Besucher noch fesseln<br />
können. Er latschte vorneweg, unbeirrt, ob nicht noch Dinge interessant und des Zeigens wert<br />
wären. Ich hegte deshalb oft einen kleinen Groll gegen ihn. Ihn interessierte nur sein Zeitplan.<br />
Wer mehr wissen und schauen wollte, musste sich sputen. So ging es mir oft, dass ich <strong>nach</strong><br />
Motiven spähte, stehen blieb, dies und das fotografierte. Dann hatte ich in der Hitze zu hasten,<br />
um den Zug wieder einzuholen.<br />
So steht neben der Johanniskathedrale ein schmucker<br />
Bau, des Betrachtens wert- das Volkskundemuseum<br />
und das Museum des Nationalen Kampfes. Davor steht<br />
eine weiße Büste des Erzbischofs Makarios- dachte ich!<br />
Aber zu Hause, beim Stöbern in meinen Prospekten und<br />
Unterlagen korrigiere ich mich.<br />
Es ist das Denkmal von Erzbischof Kyprianos, den<br />
die Türken 1821 hingerichtet haben. Seine Büste steht<br />
im Vorhof des kleinen Mausoleums, das ihm und<br />
einigen anderen Geistlichen gewidmet ist. Dem<br />
damaligen türkischen Gouverneur von <strong>Zypern</strong> wurde<br />
hinterbracht, dass sie geheime Kontakte mit den<br />
Festlandsgriechen hatten, die sich zu dieser Zeit zum<br />
Unabhängigkeitskampf gegen die osmanische<br />
Herrschaft erhoben. Daraufhin ließ er sie hinrichten.<br />
Das Mausoleum und die Büste sind dem Andenken an<br />
diese Bluttat gewidmet.<br />
Denkmal für Erzbischof Kyprianos<br />
Wir biegen um die Ecke, schlängeln uns durch Autos und Passanten in einer engen Gasse in<br />
Richtung des zentralen Gemüsemarktes der Altstadt Nikosias, vorbei an einem<br />
Ausgrabungsgelände, das mit einem Drahtgitterzaun umgeben ist. Immerhin hatte die Stadt in<br />
ihren Blütezeiten im Mittelalter beinahe 250 Kirchen.<br />
14<br />
Barnabas, zeitweise Mitarbeiter des Apostels Paulus, vertrat mit ihm die Belange der nichtjüdischen<br />
Christengemeinden auf dem sog. Apostelkonzil (Apostelgeschichte des Lukas 4,36 f., 15,1 ff.; Brief des Paulus<br />
an die Galather 2,1 ff.); Heiliger; Fest: 11. 6.<br />
15<br />
Salamis, antike Stadt an der Ostküste <strong>Zypern</strong>s in der Nähe Famagustas, der Sage <strong>nach</strong> von Teukros<br />
gegründet, 449 v. Chr. Sieg der Athener über die Perser; Ausgrabungen seit 1952.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 28
Nikosia (Süd): Gemüsemarkt vor der Markthalle<br />
Langsam zogen wir an den Gemüsekisten vorüber, stellten<br />
Übereinstimmung und Unterschiede zu unseren heimischen<br />
Gemüsern fest, beobachteten Käufer und Verkäufer, das bunte<br />
Treiben. Viele suchten nur wenige Früchte aus, die schwungvoll<br />
in den rosaroten Plastikbeuteln landen. Ich sah auch ganz alte<br />
Männer am Stock oder mit ihrem Rollader. Der Markt ist auch so<br />
etwas wie ein Treff mit Bekannten. Die Preise sind unseren<br />
ähnlich, eher noch teurer. Fast hätte ich wieder den Anschluss<br />
verloren. Antonio war schon weg und im Inneren der Markthalle<br />
verschwunden, deren Angebot mich nicht vom Stuhl riss. Am<br />
ehesten überzeugte mich die Offerte eines Gewürzhändlers,<br />
dessen Vorräte in prall gefüllten Säcken, oben offen, seinen<br />
Stand einrahmten. Da gab es Kümmel, Zimtstangen, Safran,<br />
Koriander, Fenchel, schwarzen und weißen Pfeffer, aber auch<br />
Honig, Marmeladen und vieles andere mehr, bekannte und<br />
unbekannte Spezereien.<br />
Wir biegen in eine Seitenstraße ein, immer<br />
auf dem Sprung vor den sich vorbei<br />
schiebenden Autos. Auf einmal befinden wir<br />
uns mitten im Municipal Market, dem<br />
engen, verwinkelten städtischen<br />
Gemüsemarkt, auf dessen Freifläche rings<br />
um die Markthalle sich zahlreiche Händler<br />
unter recht provisorischen Sonnensegeln um<br />
die Gunst der Käufer bemühten. Heute war<br />
Sonnabend. Viele, Frauen sowohl als<br />
Männer drängten sich durch die engen<br />
Gassen und wählten aus dem reichen<br />
Angebot, das mich nur mit seinen<br />
vielfältigen Farben begeisterte, ihren<br />
Wochenendbedarf aus.<br />
Antonio trieb uns weiter und steuerte uns zum Bus.<br />
Über die Ausgrabungen in dem Bereich hinter dem Ikonenmuseum, den erzbischöflichen<br />
Palast, dem Volkskundemuseum und der Markthalle, bei denen wir wieder vorbei kamen,<br />
konnte ich leider nichts in Erfahrung bringen. Es ist ein großes Areal und sicher fündig. Zu<br />
sehen sind Mauerführungen.<br />
Altstadt Nikosia, griechischer Teil, Ausgrabungen. Linkes Bild: Im Hintergrund die Omeriye- Moschee<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 29
Noch einmal kamen wir am<br />
Erzbischöflichen Palast vorüber.<br />
Gegenüber befindet sich ein stattliches<br />
Gebäude, das Panzyprische<br />
Gymnasium, das Elite- Gymnasium der<br />
Stadt, an dem auch Makarios studiert<br />
hat. Von hier wurde übrigens in den<br />
1950er Jahren der Gedanke der Enosis 16<br />
weiter getragen. Die Enosis- Idee kam<br />
mit der Staatsgründung Griechenlands<br />
1830 auf. Sie beinhaltet den Anschluss<br />
aller griechischsprachigen Gebiete, auch<br />
<strong>Zypern</strong>s, an Griechenland. Aber es kam<br />
anders.<br />
Panzyprisches Gymnasium in Nikosia (Süd)<br />
Kurzer Rückblick:<br />
1878 schloss das britische Empire einen Vertrag mit dem Osmanischen Reich, mit dem es der<br />
Türkei Schutz gegen das Vordringen des russischen Riesen auf dem Balkan versprach.<br />
Im Gegenzug traten die Türken <strong>Zypern</strong> ab. Die Insel wurde, <strong>nach</strong> dem Bau des Suezkanals ein<br />
wichtiger Stützpunkt auf dem Weg <strong>nach</strong> Indien geworden, im Jahre 1925 britische<br />
Kronkolonie. Die Inselbewohner spalteten sich in zwei Gruppen. Die einen wollten sich an ein<br />
Mutterland anschließen, das Griechenland heißt, die anderen sehnten sich <strong>nach</strong> einem<br />
unabhängigen Staat. Es gab aber auch noch eine türkische Volksgruppe. Kämpfe blieben<br />
unausweichlich...<br />
Wir liefen die Adamantiou Koral hinauf,<br />
Richtung Stadtmauer, vorbei an den stattlichen<br />
Resten eines Aquädukts, die kaum aus antiker<br />
Zeit stammen dürften, sondern aus der Zeit, als<br />
die Venezianer sich vor den Türken sicherten,<br />
nämlich aus den Jahren 1558 bis 1567. <strong>Zypern</strong><br />
war <strong>nach</strong> den Eroberungsfeldzügen der Türken<br />
neben Kreta der einzige christliche Standort im<br />
östlichen Mittelmeer geblieben. Nach den<br />
Erkenntnissen der damals neuesten<br />
Verteidigungstechnik riss man ganze<br />
Stadtviertel Lefkosias ab, um einen starken<br />
Mauerring mit weitem Schussfeld zu errichten.<br />
Nikosia (Süd), Aquädukt an der Stadtmauer<br />
Selbst das Dominikanerkloster mit den Gräbern der Lusignan- Könige vor dem Paphos- Tor<br />
musste weichen. Böschungen und breite Gräben, Erdwälle wurden gezogen, Vorwerke in den<br />
Wassergräben gebaut. Senkrechte Schächte in den Wällen sollten den Druck bei<br />
Geschosseinschlägen auffangen. Hierzu diente möglicherweise auch der von mir vermutete<br />
Aquädukt, um Wasser, das ja schon immer kostbar war, in die Gräben zu leiten.<br />
Wie die Geschichte beweist, nutzten alle diese Vorkehrungen nichts. Unter großen Opfern auf<br />
beiden Seiten wurden die zyprischen Städte erobert. 1571 begann die über dreihundertjährige<br />
osmanische Herrschaft auf der Insel. Die Türken setzten einen so genannten Diwan ein, eine<br />
Regionalregierung, dem ein Bey (Gouverneur) und vier Agas vorstanden. Als „Vermittler“<br />
zwischen der griechischen Bevölkerung und dem Bey dient ein christlicher Dragoman. Die<br />
neuen Herren schafften die Leibeigenschaft und den Frondienst ab, unter denen die Untertanen<br />
16<br />
Enosis, [griechisch, „Anschluss“], seit dem 19. Jahrhundert Losungswort einer Volksbewegung auf <strong>Zypern</strong>,<br />
die für den Anschluss der Insel an Griechenland eintritt. Die Enosis- Bewegung (seit 1950 geführt von<br />
Erzbischof Makarios) blieb auch <strong>nach</strong> Erlangung der staatlichen Unabhängigkeit (1960).<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 30
jahrhundertelang hatten leiden müssen. Die Türken senkten zunächst die Steuern, verboten den<br />
Katholizismus auf der Insel und bestärkten die orthodoxe Kirche, die ihre aus byzantinischer<br />
Zeit stammenden Rechte wiederbekam. 1754 wurde der Erzbischof zum Ethnarchen, zum<br />
Führer und Vertreter der griechisch- zyprischen Volksgruppe ernannt.<br />
1821 begann der griechische Freiheitskampf auf<br />
dem Festland. Als der Erzbischof <strong>Zypern</strong>s<br />
diesen mit Nahrungsmitteln und Geld<br />
unterstützte, erkannte der amtierende<br />
Gouverneur Küçük Mehmed darin einen Anlass,<br />
gegen den wachsenden griechischen Einfluss<br />
auf der Insel vorzugehen. Trotz Zurückhaltung<br />
der Hohen Pforte ließ Küçük Mehmed den<br />
Erzbischof Kyprianos und weitere neun Mönche<br />
hinrichten. Sein Denkmal hatten wir gesehen.<br />
Seitdem bekam das Verhältnis zwischen<br />
Griechen und Türken auf der Insel einen Riss,<br />
der bis heute nicht verheilt ist. Ich nehme hier<br />
vorweg, dass diese Exekution im<br />
Wachsfigurenmuseum in Lefkara mit einer<br />
Darstellung verewigt ist.<br />
Hinrichtung des Erzbischofs Kyprianos 1821<br />
durch die Türken, Fatsa- Wax- Museum Lefkara<br />
Unsere Gruppe, geführt von Antonio kam an die Ringstraße vor den Wällen. Mächtig ragt die<br />
Podocataro- Bastion aus der grünen Fläche empor. Sie ist gekrönt vom Freiheitsdenkmal,<br />
das an die Kämpfe gegen die britische Kolonialherrschaft 1960 erinnert. Es steht seit 1970<br />
hier und zeigt verschiedene Figuren, die den Auszug der Gefangenen aus den britischen<br />
Kerkern symbolisiert. Dass vier Jahre später erneut griechische Zyprer in türkischer<br />
Gefangenschaft verschwinden, ahnte damals sicher noch niemand. Sehr pathetisch verlassen<br />
die Gefangenen ihren Kerker, dessen an Ketten hängendes Gitter von den Befreiern<br />
hochgezogen wird, und steigen die Stufen zur Freiheit empor. Auf einem Postament stehend,<br />
reckt eine idealisierte Frauengestalt den Zeigefinger siegreich in die Höhe.<br />
Wir besteigen den Bus, die Insassen warten schon, bis wir Wenigen mit Fotografieren fertig<br />
werden. Man muss ja alles im „japanischen Stil“ erledigen. Hinschauen. Foto. Fertig.<br />
Wir fahren jetzt zur Green Line zum Paphos- Tor, die Grenzlinie zum türkischen Norden der<br />
Stadt. Das letzte Stück zum Checkpoint müssen wir laufen. Der Übergang befindet sich in der<br />
Nähe des Ledra Palace Hotels, in dem die UN- Soldaten untergebracht sind.<br />
Mit einiger Spannung laufen wir den letzten<br />
Kilometer. Ich lese ein riesiges Plakat:<br />
„NORD CYPRUS FOR EVER“ oder so<br />
ähnlich. Davor weht die nordzyprische<br />
Halbmond- Flagge. Wir passieren das Goethe-<br />
Institut, einigermaßen ordentliche Häuser, die<br />
als Unterkünfte der UN- Beobachter<br />
ausgewiesen sind, aber auch verwilderte und<br />
zerstörte Häuser, in deren leeren<br />
Fensterhöhlen noch die Sandsäcke von den<br />
erbitterten Straßenkämpfen zeugen, die hier<br />
stattgefunden haben. Stacheldrahtrollen<br />
winden sich durch wucherndes Gesträuch.<br />
Ein tragisches Bild der Verwüstung bietet sich, mit Beton gefüllte Blechtonnen, Nagelbretter<br />
an Türen, immer wieder rostiger Stacheldraht, verwilderter Pflanzenwuchs weisen auf die<br />
Unvernunft der Türken, die diese schon über dreißig Jahre währende Trennung Nikosias mit<br />
ihrer politischen Sturheit erzwingen wollen. Dann erreichen wir den Grenzposten.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 31
Am Checkpoint erfährt zuerst Antonio von den türkischen Grenzwächtern, dass die gestern<br />
erstellte Liste mit den Personalien der <strong>Reise</strong>gruppe, die er hierher geschickt hatte, nicht<br />
angekommen oder nicht ausreichend ist. Wir müssen nun - jeder einzeln - mit <strong>Reise</strong>pass oder<br />
Personalausweis unsere Legitimation am Schalter abholen- einen Papierwisch mit<br />
Tagesstempel. Dann dürfen wir immer noch nicht durch den Schlagbaum. Wir erfahren, dass<br />
wir nur als geschlossene Gruppe gehen dürfen und nur in Begleitung eines Aufpassers, der aber<br />
noch geholt werden muss. So stehen wir denn in der Sonne und warten auf den Supervisor.<br />
Endlich erlaubt man uns zu gehen. Hinter uns trottet ein junger Mann im gelben Hemd,<br />
schweigsam, wie ein Hütehund immer hinter dem Letzten von uns bleibend. Bleibt dieser<br />
stehen, bleibt auch er stehen. Die Stasi lässt grüßen.<br />
Das Straßenbild der ersten belebten Straße versetzt<br />
mich in eine andere Welt. Es gleicht dem vieler<br />
Straßen in Deutschlands Städten, die von Türken<br />
beherrscht werden wie München, Berlin, Köln und<br />
kommt mir fast vertraut vor. Wir sehen den<br />
Festungsring von innen. Die Bastionen haben von<br />
den Venezianern Namen bekommen. Manche<br />
wurden umbenannt, wie es mit Namen so ist bei<br />
politischen Wechseln. Dieses hier heißt Mula. Die<br />
Mauern ragen nicht mehr sehr hoch heraus. Im<br />
Laufe der Jahrhunderte wurde viel aufgeschüttet.<br />
Bastion Mula des Festungsringes<br />
Elende Behausungen fielen mir auf. Mir wurde bewusst, dass viele Festlandstürken aus<br />
Anatolien hierher gezogen sind oder ziehen mussten. Sie machen nichts an den Häusern. Sie<br />
gehören ihnen nicht. Im Unterbewusstsein fühlen sie sich bestimmt nur als Herren auf Zeit.<br />
Obwohl die Politiker kräftig die Ewigkeitstrompeten blasen.<br />
Die Straße erweitert sich hinter einem lang gezogenen Museumstrakt, ein erklärendes Schild<br />
kann ich nicht deuten- ich bin des Türkischen nicht mächtig. Der Atatürk Meydani, ein Platz,<br />
<strong>nach</strong> Atatürk 17 benannt, von Bank- und Bürohäusern umstanden, wird von einer mächtigen<br />
Säule beherrscht, einst von den Venezianern errichtet, als Triumphsäule mit dem<br />
Markuslöwen gekrönt. Sie wurde im 16. Jahrhundert aus den Ruinen der alten Stadt Salamis<br />
bei Famagusta hierher in die neue Hauptstadt gebracht.<br />
Wir kommen an dem berühmten Saray- Hotel<br />
vorbei, das zu seinen Füßen ein gut besuchtes<br />
Straßencafé unterhält, wo sich viele junge Leute<br />
zum Mittagessen versammeln.<br />
An einer Straßenverzweigung sehe ich eine<br />
mittelalterliche Ruine, die Mauerreste des Kleinen<br />
Han 18 aus dem 17. Jahrhundert, türkisch<br />
Kumarcılar Han, die Karawanserei der<br />
Ruinen des Kleinen Han<br />
Kumarcılar Han, die Karawanserei der<br />
Glücksspieler<br />
Glücksspieler. In seinen Räumen wurde dem<br />
Glücksspiel gefrönt, als es noch keine staatlich<br />
konzessionierten Kasinos gab. Ein Stückchen,<br />
etwa 100 Meter weiter, blicke ich durch einen<br />
Torbogen in einen altertümlichen Innenhof.<br />
17<br />
Atatürk, Kemal, bis 1934 Mustafa Kemal Pascha, türkischer Staatsmann und Feldherr, Schöpfer der<br />
modernen Türkei, * 19. 5. 1881 Saloniki, † 10. 11. 1938 Istanbul; vor dem 1. Weltkrieg in der Jungtürkischen<br />
Bewegung, Führer der Armeegruppe Yildirim („Blitz“) in Palästina im 1. Weltkrieg; stellte sich <strong>nach</strong> der<br />
Niederlage 1919 an die Spitze der nationalen Erhebung, berief im April 1920 die Nationalversammlung in<br />
Ankara ein; vertrieb 1921/22 die Griechen aus Kleinasien und erhielt den Ehrentitel Gazi („siegreicher<br />
Kämpfer“); beseitigte das Sultanat und das Kalifat; seit dem 29. 10. 1923 Präsident der Republik, führte<br />
Reformen durch (Übernahme westeuropäischer Rechtssysteme, Einehe, Lateinschrift, Hut statt Fes,<br />
Einschränkung der Religion). Seine Politik wurde von der Republikanischen Partei fortgeführt.<br />
18<br />
Han, [der; persisch] Karawanserei, Herberge und Lagerhaus in orientalischen Städten und an<br />
Karawanenstraßen.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 32
Steinerne Bögen tragen eine Galerie. Es ist Leben im Hof. Musik spielt. An Tischen unter<br />
Bierzeltbaldachinen sitzt Volk und trinkt Tee oder Kaffee. Das ist der Große Han, im<br />
Türkischen Büyük Han, eine alte Karawanserei.<br />
Antonio strebt weiter. Der Mann im gelben<br />
Hemd sieht sich misstrauisch <strong>nach</strong> mir um, der<br />
ich zum Fotografieren stehen geblieben war, um<br />
(menschen)freie Bahn zu haben. In Gänsereihe<br />
läuft unsere Gruppe nun durch die belebte<br />
Straße. Sie zieht sich weit auseinander. Schauen<br />
ist nur im Vorbeigehen möglich. Ein Stuhl mit<br />
defektem Rohrboden steht mitten auf der Straße.<br />
Vielleicht will man einen Parkplatz reservieren.<br />
Ich denke an ein Bild von van Gogh.<br />
Hier, in der ehemaligen Sophienkathedrale,<br />
befanden sich in der fränkischen Zeit das kirchliche<br />
und wohl auch das weltliche Zentrum der<br />
Residenzstadt. Die Kathedrale wurde zwischen<br />
1209 und der Mitte des 14. Jahrhunderts gebaut.<br />
Hier ließen sich die Lusignans zu Königen von<br />
<strong>Zypern</strong> krönen. Das Eingangsportal schmückt<br />
gotisches Maßwerk im französischen Stil: Dort wo<br />
die Türme aufragen sollten, ließen die osmanischen<br />
Beys zwei Minarette aufsetzen, zwischen denen<br />
heute der rote türkische Halbmond und die Flagge<br />
Nordzyperns wehen. So ist dieses Bauwerk ein<br />
architektonischer Zwitter, ein seltsames Gemisch<br />
von Christentum und Islam, ein Geschichtszeugnis,<br />
wie es vielleicht nur von der Hagia Sophia in<br />
Istanbul übertroffen wird. Das Tympanon über dem<br />
Eingang weist noch in drei Bogenreihen den Reigen<br />
der Heiligen auf, während die gotischen Maßfenster<br />
ihres Schmuckes beraubt wurden.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 33<br />
Einem Polsterer kann ich in seine bescheidene Werkstatt<br />
schauen. Sein Blick ist ob der ungewollten Ablichtung nicht<br />
gerade freundlich. Fertige Polstermöbel, den unsrigen nicht<br />
unähnlich, stehen vor dem Geschäft und werben für ihn;<br />
allerdings sind sie dem Staub der Straße ausgesetzt. Dann lese<br />
ich in der Irfan Bey Sokak - so heißt die Straße – ein Schild,<br />
das ein Türkisches Bad ankündigt, Büyük Hamam- Historical<br />
Turkish Bath, steht darauf, dazu noch der Name des<br />
wahrscheinlichen Betreibers. Sein Portalbogen mit den feinen<br />
Ornamenten wirkt wie ein Kirchentor und steht auf Kniehöhe,<br />
nämlich noch auf dem mittelalterlichen Straßenniveau. Man<br />
muss steile Stufen hinabsteigen, um hinein zu gelangen.<br />
Vielleicht war es einmal eine Kirche vor der osmanischen Zeit?<br />
Wir werden von den zwei Minaretten der Selimiye- Moschee<br />
angezogen.<br />
Eingang zur Selimiye- Moschee, der ehem.<br />
Sophienkathedrale (Nikosia Nord)<br />
Wir ziehen die Schuhe aus und treten ein. Groß und weit ist der Innenraum, bereit Tausende<br />
Gläubige aufzunehmen. Dreischiffig ist das Bauwerk. Mit Farbe, einheitlichem Teppichboden<br />
und geschickten Betonungen von Minbar und einem Podest ist ein einheitliches Raumensemble<br />
geschaffen worden. Die dicken Säulen sind unterhalb des Bogenlagers schwarz gestrichen und<br />
bilden eine optisch- psychologische Grenze, um <strong>nach</strong> oben zu blicken. Man kniet <strong>nach</strong> Osten.
Zum Inventar gehören ein Predigtstuhl (Kursi), Lesepulte (Rahle), Korankästen,<br />
Moscheeampeln und Gebetsteppiche (Sedschadea). Natürlich suche und finde ich innen auch<br />
christliches Steinwerk. Die Kapitelle der Säulen vor dem Chorumgang, die Maßwerksfenster,<br />
die nun in gelben Farben leuchten, die Rippenbögen der gotischen Deckengewölbe weisen auf<br />
die Ersterbauer und entlarven die Eroberer, die in großen runden Tafeln mit Kalligrafien die<br />
Sprüche des Korans preisen. Ich kann die in arabischer Schrift gehaltenen Jahreszahlen<br />
entziffern: 1290 und 1280 ( ١٢٩٠ und ١٢٨٠)<br />
Leider finde ich keine geschichtlichen<br />
Ereignisse, die hinter diesen Daten stehen. So können es nur Daten sein, die dieses Gotteshaus<br />
selbst betreffen.<br />
Vereinzelte Gläubige hocken oder knien in der Nähe der Säulen. Ich bemühe mich, ihre<br />
Andacht nicht dadurch zu stören, indem ich zwischen ihnen und der Kanzel durchlaufe.<br />
Manche von unserer Gruppe wissen das nicht. Wir Ungläubigen sind in einer Moschee nur<br />
geduldet. Allah ist groß. Vielleicht betet er unseretwegen die 109. Sure (Die Ungläubigen):<br />
Sprich: O ihr Ungläubigen,<br />
Ich diene nicht dem, dem ihr dienet,<br />
Und ihr seid nicht Diener dessen, dem ich diene.<br />
Und ich bin nicht Diener dessen, dem ihr dientet,<br />
Und ihr seid nicht Diener dessen, dem ich diene.<br />
Euch eure Religion und mir meine Religion.<br />
Wie tolerant! Ich mache einige Fotos und ziehe dann mühsam<br />
die Schuhe an die aufgequollenen Füße, als wir wieder unter die<br />
schattigen Rippengewölbe der Spitzbogenvorhalle heraustreten.<br />
Bald formiert sich die<br />
Gruppenschlange, von dem<br />
Mann in Gelb wieder zusammen<br />
gehalten. Gelassen und beinahe<br />
apathisch sitzen die<br />
„Tempelwächter“ auf einer Bank und warten darauf, dem<br />
Touristen etwas von dem Kram zu verkaufen, den die Händler<br />
zusammengetragen haben. Teile eines seltsamen Gotteshauses,<br />
des „Bedesten“ (türk. überdachter Markt) sind eingerüstet. Die<br />
verrosten Rüststangen zeugen von jahrelanger Standzeit und<br />
wenig Geld der Stadtverwaltung. Dieses gotische Bauwerk aus<br />
dem 12. Jh. vereinigt byzantinische, gotische und<br />
venezianische Stilelemente in sich und hat durch Erdbeben<br />
stark gelitten. Hinter der Kathedrale steht die Sultan-Mahmut-<br />
Bibliothek, heute genutzt von der „Assoziation of Friends of<br />
Museum“. Sicher war es früher der Sitz der Domherren. Es war nicht weit zur Markthalle.<br />
Vorher staunte ich über eine einsame Dattelpalme, die zum Abernten mit einer stationären<br />
Leiter versehen war. In einem Torgang staunte ich über die vorsintflutliche Elektrik an<br />
manchen Häusern. Die Markthalle von Nikosia Nord ist modern und voller Leben. Von Obst<br />
über Gemüse, verpackte Lebensmittel, Fleisch bis hin zu Süßigkeiten findet man hier alles.<br />
Auch Schmuck, Kleider, Schuhe und Unterhaltungselektronik werden angeboten.<br />
Wir schlendern durch die Hauptgasse, von<br />
neugierigen Blicken verfolgt. Die Einheimischen<br />
wissen, dass wieder einmal Touristen, an denen sie<br />
nichts verdienen, sie nur an ihrem Tagwerk hindern.<br />
Vereinzelte werbende Gesten, die mich näher an den<br />
Stand locken wollen oder Versuche, mit Anrufen<br />
mich zu ködern, Käufer zu werden, muss ich<br />
bedauernd ablehnen. Ich brauche nichts. So bleiben<br />
wir durchziehende Statisten in diesem lebendigen<br />
Bühnenwerk oder um es anders zu vergleichen-<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 34
in diesem zeitgenössischen türkischen Tempel des Konsums. Der Rundgang führt uns zurück.<br />
Ich erkenne den Kleinen Han wieder. Dann schwenkt Antonio von der Arasta Sokağı in den<br />
Torbogen des Büyük Han und verkündet eine halbe Stunde Pause.<br />
Einer türkisch- englischen Informationstafel entnahm ich folgende Beschreibung:<br />
Diese „Große Herberge“, eine alte Karawanserei, wurde 1571/72 von Mustafa Pascha errichtet,<br />
kurz <strong>nach</strong> der türkischen Eroberung, um reisenden Händlern aus Anatolien und anderen Teilen<br />
<strong>Zypern</strong>s Unterkunft zu bieten. Ursprünglich hieß diese Karawanserei „Alanyaliar Han“. Später<br />
dann, <strong>nach</strong>dem der Kumarcılar Han gebaut war, bezeichnete man ihn als Büyük Han. Er ist in<br />
seiner Anlage vergleichbar mit anderen Hans, die man in Anatolien findet. Esd ist das älteste<br />
türkische Bauwerk der Insel. Zum Beispiel gibt es eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit<br />
dem Koza Han in Bursa (Türkei).<br />
Das zweistöckige Bauwerk besteht aus 68<br />
Räumen, welche sich zu der großen<br />
umlaufenden Galerie öffnen, die sich um<br />
einen großflächigen Innenhof rahmt. Zehn<br />
Pacht- Läden öffnen sich <strong>nach</strong> außerhalb.<br />
In der Mitte des Hofes befindet sich das<br />
Ottoman Mesjid, das auf acht marmornen<br />
Säulen ruhende, mit einer Kuppel<br />
überdachte, zweistöckige Brunnenhaus,<br />
von außen mit einer steinernen<br />
Wendeltreppe versehen. Im Han gibt es<br />
zwei Eingänge (West und Ost), wobei das<br />
Osttor an der Asmaalti- Straße der<br />
Haupteingang ist. Ein Steinpaneel ohne<br />
Inschrift prangt über dem Torbogen.<br />
Zylindrische Säulen tragen die Spitzbögen beider<br />
Stockwerke und umgeben den Innenhof. Im<br />
Erdgeschoss geben sie damit schattige Arkaden<br />
frei.<br />
Die Räume im Erdgeschoss haben eine niedrige<br />
Bogentür, ein Bogenfenster und einen Kamin. An<br />
der Ostseite des Han, wo die Shops zur Asmaalti-<br />
Straße sind, links vom Eingang, findet man<br />
Kreuzrippengewölbe, rechts davon<br />
Tonnengewölbe.<br />
Zwei symmetrisch angeordnete Treppen in der<br />
NW- und SO- Ecke des Hofes führen vom Hof in<br />
das obere Stockwerk.<br />
Schichten von behauenen Steinen formen die<br />
äußeren und inneren Mauern des Hans. Auf den<br />
Mauern gibt es Wasserspeier aus Stein. Das<br />
Bauwerk wird unterstützt durch 2 Strebepfeiler in<br />
jeder der vier Ecken. An der Spitze des<br />
Tonnendaches gibt es zwei hexagonale<br />
Schornsteine mit konischer Bedeckung. Sie<br />
weisen auf die Kochherde hin.<br />
Wir setzten uns in den Schatten eines der breiten Schirmständer<br />
und warteten auf einen Kaffee- türkisch oder zyprisch war hier<br />
die Frage, die uns wieder auf die besonderen politischen<br />
Umstände stieß. Wir konnten zwar in zyprischen Pfund bezahlen.<br />
Ich stellte aber fest, dass die Währung hier im Norden die<br />
türkische Lira ist. Ich streifte noch ein wenig in den oberen<br />
Arkaden umher, entdeckte manchen Kunsthandwerker mit<br />
interessanten Schnitzereien, Malereien oder Verkäufer von<br />
Antiquitäten. Viel wird es den Händlern nicht einbringen. Es<br />
strömen täglich Hunderte von Touristen vorbei, doch diese<br />
werden immer ärmer und halten ihr Geld zusammen. Meine<br />
vorsichtige Einschätzung. Ich entdeckte an der Wand eine<br />
vorsintflutliche fahrbare Nähmaschine, die sicher noch nicht<br />
lange ausrangiert wurde. Sie gehört ins Technik- Museum.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 35
Aus einem Raum höre ich einen Mann Flöte spielen, mehr für sich als für andere.<br />
Wir brechen auf und laufen zurück zum Grenzposten.<br />
An zerfallenden, ungepflegten Häusern lese ich ab,<br />
dass die Menschen hier auf ungewisse Zeit leben, von<br />
der Politik verunsichert sind. Ich spüre: Sie sind aber<br />
Menschen, wollen in Frieden leben, eine Heimat<br />
haben. Auch die Türken auf <strong>Zypern</strong> besitzen<br />
angestammte Rechte! Dieser Konflikt kann nur<br />
international von außen gelöst werden. Keiner gibt<br />
freiwillig <strong>nach</strong>. Jeder Teil hat seine Argumente. Mag<br />
sein, dass der Schwerpunkt jetzt und seit dreißig<br />
Jahren sich auf den griechischen Teil verlagert hat.<br />
Wir passieren wieder den Atatürk Meydanı mit der<br />
dominierenden Venezianischen Säule. Als 1489 die<br />
letzte Königin der Lusignans, Caterina Cornaro, den<br />
Venezianern <strong>Zypern</strong> überlässt, betrachten diese die<br />
Insel als letzte Bastion gegen die Osmanen und<br />
befestigten sie. Ich habe es schon weiter vorn bei der<br />
Stadtmauer beschrieben. Hier auf dem zentralen Platz<br />
Venezianische Säule auf dem Atatürk<br />
Meydanı, Lefkoşa (Nikosia Nord)<br />
errichteten sie als Herrschaftszeichen diese 6m hohe<br />
Triumphsäule mit dem Markuslöwen, an deren Basis<br />
unter anderem venezianische Wappen zu sehen sind.<br />
Anstelle des später verloren gegangenen Löwen krönt seit der britischen Kolonialzeit eine<br />
Weltkugel das Monument. Spätestens hier muss man sich wieder einmal an die wechselvolle<br />
Geschichte der osmanischen Zeit auf dieser strategisch so wertvollen Mittelmeerinsel<br />
erinnern:<br />
1570 greifen türkische Truppen<br />
<strong>Zypern</strong> an, nehmen Lefkosia ein,<br />
richten dort ein Blutbad an, bei<br />
dem 20 000 Menschen starben und<br />
belagern Ammochostos (heute<br />
Famagusta) fast ein Jahr lang. Der<br />
venezianische Befehlshaber Marc<br />
Antonio Bragadino, ergibt sich<br />
<strong>nach</strong> tapferer Gegenwehr dem<br />
osmanischen Befehlshaber Lala<br />
Mustafa, der den Belagerten<br />
zunächst freien Abzug gewährt.<br />
Später jedoch befiehlt er,<br />
Bragadino zu peitschen und<br />
Atatürk Meydanı, Lefkoşa (Nikosia Nord)<br />
verurteilt die anderen zum Tode.<br />
Nach der türkischen Eroberung der Insel 1571 wurden auf <strong>Zypern</strong> etwa 30 000 Türken vom<br />
Festland hier zwangsweise angesiedelt. Im Gefolge der Einverleibung in das osmanische Reich<br />
wird die westliche Geistlichkeit vertrieben oder zum Islam zwangsbekehrt und die griechischorthodoxe<br />
Kirche wieder in ihre Rechte eingesetzt.<br />
Während der 300jährigen osmanischen Herrschaft gab es immer wieder Aufstände, die blutig<br />
niedergeschlagen wurden. Unter dieser Herrschaft stärkte sich die Macht der orthodoxen<br />
Kirche. Mit der Zeit wird der Erzbischof, Führer der Griechisch- Orthodoxen, deren<br />
Repräsentant beim Sultan. Der Erzbischof vertrat als Ethnarch die Belange der griechischen<br />
Volksgruppe, die vier Fünftel der Bevölkerung ausmachte.<br />
Als 1821 der griechische Unabhängigkeitskampf ausbricht, der Erzbischof und andere<br />
kirchliche Persönlichkeiten hingerichtet werden, spätestens dann entwickelt sich aus einer<br />
muslimischen Minderheit eine zypriotische Identität, die sich immer wieder gegen die<br />
Osmanen auflehnt.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 36
Von Antonio erfahren wir bei diesem Rundgang wenig bis nichts über die türkische Geschichte<br />
der Insel. Er ist unmittelbar von der Okkupation betroffen und mental nicht frei in der<br />
Beurteilung der Vergangenheit. Man kann es ihm, der mit Wehmut und Hass an die Invasoren<br />
und sein verlorenes Haus in Famagusta denken muss, nicht verübeln. Still geht er vor uns her.<br />
Wir trotten in der Mittagshitze hinterher, am Schluss der Aufpasser im gelben Hemd. Am<br />
Grenzposten heißt es wieder warten. Jeder muss sein Visum vorzeigen. Hundert Meter weiter<br />
nimmt uns der Bus auf und fährt uns das kleine Stück bis zur Bastion D’Avila, wo er parkt und<br />
in deren Nähe sich das beliebteste Altstadt- Viertel Laiki Gaitonia befindet, wo wir nun die<br />
heiße Mittagsstunde von eins bis zwei verbringen. Hier führt uns Antonio in ein bekanntes<br />
Lokal. Wir sitzen in einem byzantinisch verbrämten Restaurant „Byzantino Palati“ in der Solon<br />
Nr.6 bei ΕΙΔΙКΕΣ ΤΙКΙΕΣ ΛΙΑ ΔΕΙΞΙΣΕΙΣ; ich entschlüssele es mit Idikes Tikies Lia Dixisis,<br />
was immer das für Personen oder Dinge sind, die mit diesen griechischen Buchstaben lesbar<br />
gemacht werden. Wir sitzen unter einem herbstlich verdorrten aber noch Schatten spendenden<br />
Blätterdach im kleinen Hof des Restaurants. Martina bestellt einen Bauernsalat und ich<br />
schließe mich einer Sammelbestellung für ein Gericht an, die Antonio durch Umfrage ermittelt<br />
hat, <strong>nach</strong>dem er in der Küche war –was in Griechenland durchaus üblich ist – und geschnökert<br />
hat, was essbar ist und was nicht.<br />
Beim Gang auf die Toilette, die im ersten Stock zu finden<br />
ist, muss man über eine Holztreppe, an deren Wand einige<br />
schlecht und geschmacklos Bilder gehängt sind, an einem<br />
offenen Raum vorbei, in dem der Besitzer ein winziges<br />
Museum gestaltet hat. In dieser Kammer stehen ein<br />
eisernes Doppelbett mit linnenüberdachtem Himmel, eine<br />
Kommode, ein niedriges Sofa, ein raumhoher Schrank, ein<br />
Tisch mit Decke und Bügeleisen, unter einem Spiegel ein<br />
Polstersessel. An der Wand hängen unter Glas weitere<br />
Aquarelle. Vielleicht hat mal ein Künstler hier gewohnt.<br />
Ich kann es nicht ergründen.<br />
Unten in der Gaststube fotografiere ich einige Bilder, die<br />
ein wenig folkloristischen Charakter tragen und am ehesten<br />
etwas über frühere Zeiten berichten. Ein Bild, die<br />
Rückenansicht einer schönen Griechin, fesselt mich ganz<br />
besonders. Es ist ein seitliches Porträt von beinahe<br />
klassischer Schönheit.<br />
Da<strong>nach</strong> bummeln wir ein halbes Stündchen in den engen<br />
schattigen Gassen, sehen uns die Auslagen und Geschäfte an.<br />
Martina zieht mich in einen Laden mit unzähligen Köpfen<br />
aus Gips und prüft ausgiebig einige silberne Halsketten im<br />
Vorblick auf Weih<strong>nach</strong>ten oder Geburtstag Denises. Ich kann<br />
im Verkaufsgespräch mein Englisch anwenden. Martina<br />
entschließt sich <strong>nach</strong> langem gewohntem Zaudern. Kleine<br />
Bildergalerien haben es mir angetan. Die Motive sind meist<br />
auf die Spitzenattraktionen der Insel abgestimmt, auch einige<br />
Akte hängen darunter, darauf abzielend, dass Kunden aus<br />
dem Westen nicht so prüde wie es vielleicht noch die<br />
muslimischen Landsleute sind. Überall am Ende winziger<br />
Sackgassen finde ich einladende Sitzgruppen, die jetzt unter<br />
Mittag nur mäßig besetzt sind.<br />
Wie schön muss es sein, ohne Zeitdruck hier ein Gläschen Wein zu trinken, zu versuchen mit<br />
dem Wirt ein paar Worte zu radebrechen oder einfach dazusitzen und zu spüren, dass die Zeit<br />
für Augenblicke stehen bleibt. Mit begehrlichen Blicken werde ich von den umherstehenden<br />
Bedienkräften gemustert, manchmal angesprochen und mit devot einladender Geste<br />
aufgefordert Platz zu nehmen. Leider muss ich mich fast entschuldigen. Ich hebe die Schultern<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 37
und hebe die <strong>nach</strong> vorn gekehrten Handflächen hängenden Armes leicht an: Keine Zeit!<br />
Krima! Schade!<br />
Martina treffe ich jetzt, sie animiert mich unsicher, die Auslagen eines Händlers mit Nüssen,<br />
Mandeln, Nougat und anderen Süßigkeiten zu betrachten, dort wieder gibt es herrlich duftende<br />
Gewürze. Mit ihnen lebt die Erinnerung an all die orientalischen Basare wieder auf, die wir<br />
gesehen haben. Das hier ist nur ein müder, schwacher Abglanz.<br />
Ich erinnere mich an Hand eines Bildes, einem Schuster<br />
in seine armselige Werkstatt hineingeschaut zu haben.<br />
Solche Einblicke zeigen die wahren Verhältnisse derer,<br />
die nicht am Honigseim des Tourismus schlürfen,<br />
solcher armen Handwerker, die mit einfachsten<br />
Handwerkzeugen eine alte Tradition hoch halten, ihr<br />
Leben damit fristen, Schuhe reparieren, kleben, flicken,<br />
wo für ein paar lumpige Pfund der Markt nagelneue<br />
Importe anbietet. Es ist wie bei uns auch: Wer lässt<br />
noch Schuhe reparieren? Eine verschwindende<br />
aussterbende .Minderheit. Handwerk stirbt.<br />
Wir sammeln uns vor der Tachodromío, der Post. Der<br />
parkähnliche Platz am Rathaus, den die Bastion<br />
D’Avila freigibt, wird von uralten Bäumen bestanden,<br />
die mit ihren weit ausladenden Ästen tiefen erholsamen<br />
Schatten spenden. Beete mit Tausenden quittegelben<br />
Studentenblumen säumen die Wiesen, die sicher jeden<br />
Tag fleißig von Stadtgärtnern gesprengt werden.<br />
Schuhmacher- Werkstatt<br />
Altstadt Nikosia (Laiki Gaitonia)<br />
Ein mannshohes Spalier rot blühender Bougainvillea begrenzt einen Parkplatz. Es ist schön<br />
hier. Doch Antonio sammelt uns wieder, winkt uns zum Bus auf die vom müden Körper<br />
willkommenen Sitzplätze zum Nachmittagsprogramm. Kultur pur ist nun angesagt.<br />
Die Fahrt ist wieder nicht lang. Wir halten links in der<br />
Leoforos Mouseiou, einer breiten Straße vor dem<br />
Stadttheater. Der moderne Bau mit einem<br />
klassizistischen Portikus auf der Schauseite wird für<br />
Konzerte, Theatervorstellungen und verschiedene<br />
festliche Anlässe benutzt. Über den ionischen Säulen<br />
prangen die griechischen Buchstaben ΔΗΜΟΤΙКΟ<br />
ΘΕΑΤΡΟ ΛΕΥКΩΣΕΙΑ“. Was etwa heißt Dimotius-<br />
Theater Nikosia. Ich fand heraus, dass es gleichfalls die<br />
Hauptbühne für die „Theaterorganisation <strong>Zypern</strong>s“ ist.<br />
Schräg gegenüber befindet sich das <strong>Zypern</strong>- Museum,<br />
geringer die Zahl der Säulen am Eingang, doch<br />
bedeutender was den Inhalt und den Wert der darin<br />
enthaltenen Schätze angeht. Es birgt eine faszinierende<br />
Sammlung zyprischer Altertümer und Kunstschätze von<br />
der Jungsteinzeit bis zur frühen byzantinischen Periode.<br />
Dieses Archäologie- Museum, 1882 begründet, vermittelt ein geschlossenes Bild der<br />
Kulturgeschichte der Insel. Erst 1909 bezog das Museum diesen klassizistischen Bau, den der<br />
britische Gouverneur zum Gedenken an Königin Viktoria errichten ließ.<br />
Hier in einem ersten Raum, Saal 1, mit den frühesten Funden auf der Insel, wird Antonio<br />
sehr gesprächig und brilliert auch bei der weiteren Führung mit gutem Wissen.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 38
Er zeigt uns Symbolfiguren eines steinzeitlichen Fruchtbarkeitskultes,<br />
von dem ich eine Nachbildung mitbrachte. Am Original kann man<br />
Phallus- und Vagina- Symbol erkennen, die Verbindung von Mann<br />
und Frau. Ihre Entstehungszeit datiert bis 3000 Jahre vor Christus.<br />
Weibliche Tonidole mit Geburtsloch zeugen von einem der frühest<br />
bekannten Kulte.<br />
Im Ecksaal 2 fanden wir ganz außergewöhnliche Terrakottamodelle<br />
aus der frühen Bronzezeit, etwa um 2000 v. Chr. Das berühmteste<br />
stellt eine Schale dar, in der Menschen und Tiere versammelt sind, das<br />
berühmte Vounous- Modell. Von draußen, neben einer torähnlichen<br />
Öffnung, lugt ein Mann über die Mauer, ein Ausgestoßener, ein<br />
Neugieriger? Ein Rundheiligtum ist es, mutmaßt man. Tiere spielen<br />
eine große Rolle. Heilige Haustiere oder Opfer?<br />
Chalkolithisches kreuzförmiges<br />
Idol aus Speckstein<br />
Voll Interesse, ob es wissenschaftlich fundiertere Deutungen gibt als Antonios Erzählungen,<br />
holte ich mir im Internet dazu folgende Informationen:<br />
Das Vounous Modell (Zeichnung, Bild von Juergen E. Walkowitz ):<br />
Zu den bronzezeitlichen Attraktionen <strong>Zypern</strong>s gehört das<br />
Vounous- Modell. Es wurde als szenische Komposition<br />
von Ritualen in einem runden Temenos 19 verstanden. Als<br />
einziger Beleg für eine runde Sakralarchitektur in dieser<br />
Zeit, wurde es zum Ausgangspunkt extensiver<br />
Deutung<br />
religionshistorischer Spekulationen.<br />
Fundgeschichte<br />
Vounous ist zugleich der Name eines niedrigen Hügels an<br />
der Nordküste <strong>Zypern</strong>s, 1 km östlich der Abtei von<br />
Bellapais, die eine der Touristenattraktionen der Insel ist.<br />
Die im nördlichen Vorgebirge von Kyrenia liegende Stelle<br />
ist ein großer Friedhof aus der Bronzezeit. Viele seine<br />
Grüfte wurden in den frühen 1930ern geplündert. 1931<br />
und 1932 unternahm man Rettungsausgrabungen bei<br />
Vounous. Im Juni 1933 grub Claude F. A. Schaeffer die<br />
Grüfte 49-79 aus. Eine Expedition der britischen Schule<br />
von Athen setzte die Ausgrabungen 1937-1938 fort.<br />
P. Dikaios legte 1940 eine detaillierte Interpretation vor:<br />
Da<strong>nach</strong> handelt es sich um einen Temenos, das von einer<br />
niedrigen Mauer umgeben ist. Die Figuren verkörpern die<br />
Teilnehmer einer religiösen Zeremonie. Die drei vertikalen<br />
Balken der Bukranienwand 20 sind die Idole chthonischer<br />
Gottheiten, die Schlangen sind deren Attribute.<br />
Gleichzeitig repräsentieren die Balken wegen der (abgebrochenen) Tierschädel auch Bukranien und<br />
damit Aspekte einer Stiergottheit und deren Fruchtbarkeitsriten. Neuere Interpretationen stellen den<br />
Realismus des Modells in Frage. Eine schlüssige Erklärung wäre eine fremde Herkunft.<br />
Im Zentrum des Interesses befinden sich die - größer dargestellten (dunkelgrünen) - beiden Personen<br />
(bei 10.30 Uhr) und die rechts der Bukranienwand (bei 13 Uhr) separierte Sitzfigur. Die drei etwas<br />
abseits (bei 2 Uhr) platziert Sitzenden komplettieren ein sechsköpfiges Pantheon 21 . Diese Zahl<br />
entspricht den in Gruppen zu sechs aufteilbaren 12 Titanen und den sechs Kroniden der Theogonie<br />
des Hesiod 22 , die vermutlich um 700 v. Chr. entstand. Hesiod gilt als der Autor der „Zeusbibel“, dessen<br />
Glaube sich <strong>nach</strong> schweren Kämpfen, vermutlich in den „dunklen Jahrhunderten“, jedenfalls noch vor<br />
dem Jahre 800 v. Chr. (ggf. auch nur lokal) durchsetzt.<br />
Die Gruppe der ebenfalls sechs (im Kreis stehenden - hellgrünen) Personen stellt keine aktuellen<br />
Götter dar, könnte aber die (in der Tradition dieser Religion liegenden) „Altgötter“ meinen. Die vor der<br />
Bukranienwand sitzende Figur, (im Bild unten) erkennbar an der Kopfbedeckung, muss entweder der<br />
19<br />
Temenos, [das; griechisch], umgrenzter heiliger Bezirk; Heiligtum, meist mit Asylrecht.<br />
20<br />
Bukranion [das; griechisch], Stierschädel, mit Girlanden ein beliebtes Schmuckmotiv der Antike.<br />
21<br />
Pantheon [das; griechisch, „Tempel aller Götter“]<br />
22<br />
Theogonie [griechisch], Mythos und Lehre über Ursprung und Herkunft der Götter. Besonders bekannt ist die<br />
Theogonie des Hesiod.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 39
Herrscher oder der Oberpriester sein. Im letzteren Fall fiele dem Herrscher – nicht etwa einem<br />
beliebigen Gläubigen – die Position des vor der Bukranienwand Knienden zu.<br />
Unklar bleibt die Funktion der Personen (bei 9 Uhr) nur, wenn man von einer helladischen 23 Position<br />
ausgeht. Begreift man die Schale aber als eine anatolisch-orientalische Schöpfung so ergibt sich: Der<br />
Mann ist El, die Frau ist Aschera und das Kleinkind auf ihrem Arm ist Baal. Sie stellen die "Bethlehem-<br />
Version" des levantinischen Kultes, die Geburt Baals dar, die auch als zentrale Feier dieses Kultes und<br />
als das Ergebnis der Hierogamie 24 gilt. Auf die Levante bzw. Anatolien als Ursprungsgegend verweist<br />
die Tatsache, dass es sich nicht um ein mediterranes Pantheon handelt, das stets aus drei Männern<br />
und drei Frauen besteht.<br />
Der Zuschauer (bei 5 Uhr) repräsentiert den ausgesperrten Gläubigen oder den interessierten<br />
Fremden, den der Wächter (bei 6 Uhr) am Betreten des Kultplatzes hindert. Alles spricht also für eine<br />
von orientalischen Emigranten eingeführte Darstellung, die auch die runde Form der Schale erklärt, die<br />
der zyprischen Kultplatzform in der beginnenden Bronzezeit nicht entspricht. Zu dieser Zeit kam jedoch<br />
eindeutig anatolische Bronzetechnik auf die Insel, die vermutlich Migranten mitbrachten, die auch ihren<br />
anderen Glauben pflegten.<br />
Es ist rotpolierte Keramik, die noch andere mystische Motive verkörpert. Stierköpfige<br />
Menschen sind zu sehen. Mir ist bewusst, dass ich die Einmaligkeit der Funde als Laie nicht<br />
beurteilen kann.<br />
Im Saal 3 finden sich Vasen, Vasen, Vasen. Aber sie erzählen<br />
Geschichten. Hier sind es hauptsächlich bronzezeitliche Rot-auf-<br />
Schwarz-Malerei, die auf den Handel in ägäischen Gefilden schließen<br />
lässt, und die schwarz bzw. weiß überzogene helle Keramik, die mit<br />
vielerlei Symbolik versehen ist. Ich erkenne sogar deutlich ein<br />
Hakenkreuz, eines unter vielen runenähnlichen Malen. Antonio<br />
erklärte nur wenige der vielen Hundert Ausstellungsstücke. Eine Vase<br />
liebt er besonders, ein roter Stier auf gelbem Grund mit gesenktem<br />
Kopf in Angriffsstellung, darüber eine Sonne, unter dem Kopf eine<br />
stilisierte Lotus- Blume. Es gibt Motive mit Fischen und Vögeln, dann<br />
wieder abstrakte Symbole…<br />
Im kleinen Ecksaal 4 gibt es eine ganze<br />
„Terrakotta- Armee“ zu bewundern. Es sind<br />
Krieger, die wenn man genau hinsieht, teilweise<br />
verwundet dargestellt sind, so als würde man die<br />
Leiden des Krieges geißeln. Die meisten<br />
Figuren, Krieger, Kentauren, löwenköpfige<br />
Menschengestalten sind bewaffnet. Einige<br />
thronen auf Wagen, die von Stieren gezogen<br />
werden. Die insgesamt über 2000 Stücke<br />
stammen von einer Grabung, die von<br />
schwedischen Archäologen geleitet wurde, aus<br />
einem Fund von Agía Iríni im Nordwesten der<br />
Insel.<br />
„Terrakotta- Armee“, Fund von Agía Iríni<br />
23<br />
helladische Kultur, bronzezeitliche Kultur des griechischen Festlands; gegliedert in eine frühhelladische<br />
(2500—1900 v. Chr.), eine mittelhelladische (1900—1600 v. Chr.) und eine späthelladische (1600—1100<br />
v. Chr.) Periode. In der frühhelladischen Zeit bildete das griechische Festland mit den Kykladen, dem<br />
frühminoischen Kreta, Makedonien und Anatolien eine Kultureinheit (ägäische Kultur), getragen von einer<br />
einheitlichen nichtindogermanischen Bevölkerung. Die Siedlungen hatten städtischen Charakter.<br />
Monumentalbauten in Lerna und Tiryns deuten auf das Bestehen von Herrensitzen. Neben Kupfer und Bronze<br />
verwandte man noch Stein (u. a. Obsidian) und Knochen; in den Töpfereien überwog die glasierte, Metallglanz<br />
imitierende Urfirniskeramik. Am Anfang des 2. Jahrtausends v. Chr. wurden die frühhelladischen Siedlungen<br />
von einwandernden Indogermanen (den als Achäer, Ionier bezeichneten Frühgriechen) zerstört. In der<br />
folgenden mittelhelladischen Periode bildete sich eine Mischkultur aus traditionell ägäischen und<br />
indogermanischen Elementen. Durch Einflüsse von Kreta entstand um 1600 v. Chr. die mykenische Kultur, die<br />
der späthelladischen Periode Griechenlands entspricht.<br />
24<br />
Hierogamie = heilig…, Priester…; Priesterverehrung<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 40
In der Spätbronzezeit waren diese Figuren zu Kultzwecken vor einem Altar aufgestellt.<br />
Der Saal 5 überraschte mit großen monumentalen Steinplastiken aus Kalkstein. Marmor war<br />
knapp oder auf der Insel nicht vorhanden. Die Aphrodite von Sóloi aus dem 1. Jh. ragt hier<br />
heraus und ist auf allen Prospekten des Museums zu sehen, ein weiblicher Torso. Sie ist zur<br />
Symbolfigur der Insel <strong>Zypern</strong> aufgestiegen, obwohl es von Aphrodite schönere Plastiken gibt.<br />
Aphrodite von Sóloi<br />
1. Jahrhundert v. Chr.<br />
Von der Größe her, aber auch durch seine heldenhafte Pose beherrscht die überlebensgroße<br />
selbstverherrlichende Bronzegestalt des Kaisers Septimius Severus 25 den kleinen Ecksaal 6.<br />
Über den Bezug dieses römischen Imperators zur Insel <strong>Zypern</strong> konnte ich nichts erfahren. Nur<br />
der Fundort bei Kythrea am südlichen Hange des Petadaktylos- Gebirges, das etwa 20 km<br />
nördlich von Nikosia und nicht weit von der Küstenstadt Kyrenia/Girne entfernt liegt, lässt<br />
Zusammenhänge vermuten. Natürlich war die Insel Zwischenstation auf den Feldzügen des<br />
Kaisers ins Zweistromland, um dort das mächtige Reich der Parther 26 im Schach zu halten, das<br />
im Osten Roms Eroberungen bedrohte.<br />
Es gilt als gesichert, dass die Insel seit dem Jahre 58 v. Chr. bis 330 n. Chr. fest in römischer<br />
Hand war. <strong>Zypern</strong> fällt in dieser Zeit unter die Herrschaft des Römischen Reiches. Auf den<br />
Missionsreisen des Heiligen Paulus und Barnabas wird der Prokonsul Sergius Paulus zum<br />
Christentum bekehrt: <strong>Zypern</strong> wird das erste christlich regierte Land. Tektonische<br />
Erschütterungen und mehrere Erdbeben ereignen sich im ersten vorchristlichen und<br />
<strong>nach</strong>christlichen Jahrhundert. Ganze Städte werden wieder aufgebaut. 313 n. Chr. gewährt das<br />
Mailänder Edikt den Christen Religionsfreiheit. Zyprische Bischöfe nehmen 325 am Konzil<br />
von Nikäa teil.<br />
25<br />
Septimius Severus, geb. 146 in Leptis Magna, Afrika, entstammte einer Familie aus dem Ritterstand, wuchs<br />
in Afrika auf und wurde dann in Rom von Marc Aurel in den Senat aufgenommen. Er durchlief die<br />
Ämterlaugbahn, wurde 170 Duästor, 178 Prätor, heiratete 185 in zweiter E´he die Iulia Domna aus Syrien, war<br />
186 – 189 Statthalter in Gallia Lugdunensis (Lyon), versah 191 – 193 die Statthalterschaft Oberpannoniens,<br />
wurde 193 in Carnuntum bei Wien zum römischen Kaiser ausgerufen. Er zog 197 gegen die Parther und eroberte<br />
Ktesiphon, Seleukia und Babylon. 202 ließ er den <strong>nach</strong> ihm benannten Triumphbogen auf dem Forum romanum<br />
bauen. Während eines Feldzuges in Britannien starb er 211 in Eburacum (York). Seine Söhne Caracalla und<br />
Geta übernahmen seine Herrschaft.<br />
26<br />
Parther, iranischer Stamm an der Südostecke des Kaspischen Meeres. Zwischen 250 und rund 238 v. Chr.<br />
eroberten die Parner, ein ostiranischer Stamm, unter ihrem Anführer Arsakes die seleukidische Satrapie<br />
Parthava. Die eingedrungenen Parner erhielten aufgrund ihrer Niederlassung in Parthava den Namen Parther.<br />
Vermutlich um 247 v. Chr. wurde Arsakes zum König gekrönt und begründete die Dynastie der Arsakiden; die<br />
erste Hauptstadt wurde Nisa. Unter Mithradates I. wurde das Partherreich die Großmacht des Ostens, mit der die<br />
Römer in Armenien und Mesopotamien rund 300 Jahre lang zu kämpfen hatten. Vermutlich 141 v. Chr. wurde<br />
die Hauptstadt <strong>nach</strong> Ktesiphon am Tigris verlegt. Die Parther knüpften an das Vorbild der Achämeniden an,<br />
kulturell stand das Reich unter griechischem Einfluss. Im 1. u. 2. Jahrhundert n. Chr. wurde das Partherreich<br />
durch Bürgerkriege und mehrere römische Feldzüge (siehe oben) erschüttert.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 41
Weiter führte der Rundgang in den Saal 7. Es überwogen<br />
Bronzefiguren und –kunstwerke. Waffen, viele Münzen, Siegel, die<br />
von Verwaltungs- und Hoheitsmacht zeugen, kleine Statuetten<br />
überfordern selbst den aufmerksamen Besucher, wenn er alles das<br />
genau studieren will. Die Bezüge zur Geschichte fehlen dem Laien.<br />
Ich habe oben nur versucht, an einem Beispiel, eine Verbindung<br />
herzustellen. Interessanteste Stücke sind eine Bronzekuh aus Vouní (5.<br />
Jh. v. Chr.) und der Gehörnte Gott aus Énkomi (12. Jh. v. Chr.).Das<br />
ist ein Blick in die Kunst der Bronzezeit, fast 15000 Jahre zurück!<br />
Über eine kleine Treppe gelangen wir in das Untergeschoss, wo<br />
rekonstruierte Gräber in dem Zustand zu sehen waren, wie sie von<br />
Einheimischen gefunden (und ausgebeutet) wurden. Fotografien<br />
belegen das zeitnah und geben Einblicke in die Beziehungen der<br />
Einwohner zu ihrer Historie.<br />
Bald sind wir gesättigt und fußmüde, nehmen die weiteren Säle nur<br />
noch oberflächlich wahr, erfahren im Saal 9 etwas über<br />
Begräbnisrituale, sehen Sarkophage, Grabmäler, Stelen der Antike in<br />
verschiedenen Epochen. Weiter.<br />
Im Saal 10 finden wir Artefakte und Tafeln mit Schriftzeichen aus<br />
ganz unterschiedlichen Epochen. Diese zeugen von ausgezeichneter<br />
Schriftkunde der antiken Völker.<br />
Hervorzuheben ist eine Tafel mit einer bis heute noch nicht entzifferbaren kypro- minoischen<br />
Silbenschrift, die ins 16. Jahrhundert vor Christus datiert wird. Ein Double des kleinen<br />
sensationellen Keilschriftfundes von Ugarit 27 , dem Ursprung unseres Alphabetes, weist auf<br />
Verbindungen zum mächtigen Hethiterreich hin. Später im Bus zeigt uns Antonio eine Tafel,<br />
die die Entwicklung und Ähnlichkeiten verschiedener Schriften deutlich macht:<br />
27<br />
Ugarit, im Altertum Stadt an der nordsyrischen Küste, heute Ruinenhügel Ras Schamra (mit Hafen Minet el-<br />
Beida). Ausgrabungen seit 1929 brachten älteste Funde aus dem 7. u. 6. Jahrtausend v. Chr. Seit dem 2.<br />
Jahrtausend v. Chr. Stadtstaat unter Königen; lange unter minoischem und ägyptischem Einfluss, später auf<br />
Seiten der Hethiter; um 1200 v. Chr. wurde Ugarit von den Seevölkern zerstört.<br />
Ugaritische Sprache, aus dem 14. bis 13. Jahrhundert v. Chr. überlieferte semitische Sprache; Texte mit<br />
mythologischen Gedichten in Keilschrift wurden seit 1929 in Ugarit gefunden.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 42
Die indoeuropäische Sprache der<br />
Hethiter wurde mit akkadischer<br />
Keilschrift auf Tontafeln<br />
geschrieben; daneben gab es eine<br />
von den Hethitern erfundene<br />
Bilderschrift (hethitische<br />
Hieroglyphen), die vor allem für<br />
monumentale Inschriften auf<br />
Stein verwendet wurde.<br />
Ich gestehe, dass die Exponate<br />
der <strong>nach</strong>folgenden Säle, in denen<br />
Funde aus den Königsgräbern<br />
von Salamis (Nordzypern)<br />
gezeigt werden, meine<br />
Aufmerksamkeit nicht mehr<br />
fesseln konnten.<br />
Es war einfach zu viel, in einer Stunde das alles aufzunehmen.<br />
Ein Saal dokumentierte die Gewinnung von Kupfer und die Herstellung von Bronze in der<br />
Antike bis in die Neuzeit. Interessant ist sie neben anderen Aspekten als Quelle der antiken<br />
Bezeichnung der Insel “<strong>Zypern</strong>“ (lat. Cuprum, Kypris). Nun bin ich wieder bei der<br />
unverzichtbaren Kenntnis der frühen Geschichte <strong>Zypern</strong>s gelandet:<br />
In der Bronzezeit, etwa von 2300 – 1050 v. Chr. war <strong>Zypern</strong> der wichtigste Kupfer- Exporteur<br />
des Altertums. In den Gebieten des Kupferabbaues war die Insel dicht besiedelt. Der Handel<br />
erstreckte sich bis in den Nahen Osten, Ägypten und in den Raum der Ägäis.<br />
In der späten Bronzezeit, etwa um 1450 v.u.Z. errichteten die Mykener 28 Handelsstützpunkte<br />
auf der Insel. Die vom griechischen Peloponnes stammenden Einwanderer, die Achäer 29 ,<br />
übernahmen während des 11. und 12. Jahrhunderts v.u.Z. die Herrschaft auf <strong>Zypern</strong> und<br />
verbreiteten auf der Insel die griechische Sprache, ihre Religion und Bräuche. Sie gründeten<br />
die ersten Stadtkönigreiche: Paphos, Salamis, Kition (heute Larnaca), Kourion (bei Limassol).<br />
Bald ist <strong>Zypern</strong> eine Insel mit zehn Stadtkönigreichen.<br />
Es folgt die Zeit von 1050 – 750 v. Chr., die so genannte Geometrische Zeit oder die Eisenzeit.<br />
Um 800 v.u.Z. siedeln sich Phönizier an der Südküste bei Kition und Amathous an. Die Insel<br />
wird wohlhabend, fällt aber in der Folgezeit, die man die Archaische oder klassische Zeit<br />
nennt, mehreren Eroberern zum Opfer. Die zyprischen Königreiche werden aufeinander<br />
folgend Tributpflichtige Assyriens, Ägyptens und Persiens.<br />
Unter persischer Herrschaft genossen die Zyprer lokale Autonomie und konnten eigene<br />
Herrscher ernennen. Salamis war damals das mächtigste unter den Königreichen <strong>Zypern</strong>s. Mit<br />
dem König Onisilos an der Spitze rebellierte es 499 v. Chr. gegen die persische Herrschaft. Die<br />
Rebellion wurde niedergeschlagen, ebenso die darauf folgenden griechischen Versuche,<br />
<strong>Zypern</strong> zu befreien.<br />
Vergeblich versuchte der athenische Feldherr Kimon, 449 v.u.Z. die griechische Kolonie<br />
Kition (Larnaca) aus der Gewalt des persischen Bündnisses zu lösen.<br />
Ebenso wenig gelingt es König Evagoras von Salamis (411 – 374 v. Chr.) im Jahre 411 mit<br />
einer Revolte, <strong>Zypern</strong> von der persischen Macht zu befreien. Dennoch macht er die Insel zu<br />
einem führenden politischen und kulturellen Zentrum der griechischen Welt.<br />
28<br />
Mykenische Kultur, die von den mykenischen Griechen getragene spätbronzezeitliche Kultur des griechischen<br />
Festlands, 1600—1200 v. Chr., Endstufe der helladischen Kultur, Teil der kretisch-mykenischen Kultur.<br />
29<br />
Achäer, Achaier, Achaioi, Achiver, frühgriechischer Volksstamm, bei Homer und im lateinischen<br />
Sprachgebrauch die Gesamtheit der Griechen; wohl aus Achaia Phthiotis (Thessalien) in die nördliche<br />
Küstenlandschaft des Peloponnes eingewandert; Träger der mykenischen Kultur.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 43
Erst 332 befreit Alexander der Große <strong>Zypern</strong> von den Persern. Die zyprische Flotte half ihm,<br />
Phönizien zu erobern.<br />
Von 333 – 325 v.u.Z. heißen die Stadtkönigreiche den König Alexander von Makedonien<br />
willkommen und lassen sich in dessen Reich eingliedern. <strong>Zypern</strong> wird Teil des Reiches von<br />
Alexander dem Großen.<br />
Nach dessen Tod streiten sich die Generäle Alexanders in rivalisierenden Kämpfen um dessen<br />
Erbe. <strong>Zypern</strong> fällt dem hellenistischen Staat der Ptolemäer in Ägypten zu. Die Ptolemäer heben<br />
die Stadtkönigreiche auf und vereinigen <strong>Zypern</strong>, dessen Hauptstadt Paphos wird.<br />
Diese so genannte Hellenistische Zeit dauert von 325 – 58 v.u.Z. Dann kommen die Römer,<br />
von denen schon die Rede war. Ade erst mal, Historie!<br />
Mit wirrem Kopf bestiegen wir den Bus und traten am Spät<strong>nach</strong>mittag die Heimfahrt <strong>nach</strong><br />
Protaras an. Der Tag war so voller Eindrücke. Jetzt wollten wir uns nur noch entspannen. In<br />
der Hotelhalle lud uns Antonio zu einem kühlen Getränk ein: Brandy sour. Dazu gab es eine<br />
Anekdote, die er zum Besten gab. Ein arabischer oder ägyptischer König, den Namen merkte<br />
ich mir nicht, war zu Besuch auf <strong>Zypern</strong>. Man wollte ihm einen erfrischenden Drink anbieten.<br />
Alkohol durfte er ja als Moslem nicht trinken. Da mixte man ihm eben diesen Drink mit<br />
Zitrusgeschmack. Er war begeistert und trank fortan nur noch brandy sour.<br />
Es schmeckte <strong>nach</strong> mehr. Ich trank auf ausdrücklichen Wunsch Martinas Glas noch leer und<br />
fühlte mich da<strong>nach</strong> ausnehmend gut. Wir saßen kurz beisammen und genossen <strong>nach</strong> dem<br />
Abendessen den Balkon und die Ruhe.<br />
Sonntag, 1. Oktober 2006<br />
VII. Cap Grekko<br />
H<br />
eute war der erste Tag zur „freien Verfügung“. Ich war wohl ein wenig lässig und<br />
leichtsinnig beim Buchen gewesen und hätte das <strong>Reise</strong>programm genauer anschauen<br />
müssen. Diese ganze <strong>Reise</strong> hätten wir zum halben Preis haben können, wenn wir nur<br />
eine Woche Rundreise gebucht hätten. Insgesamt sechs freie Tage sind es nun, an denen wir<br />
uns selbst überlassen sind, ohne Führer, ohne Beratung. Das sollte ich noch unangenehm<br />
spüren. Ich wollte so viel wie möglich von diesem Land sehen- und nun sollen wir in den<br />
Badehotels rumhängen- ein Zwangsvorstellung! Ich hatte eine Kulturreise erwartet. Doch das<br />
<strong>Reise</strong>programm war unantastbar und korrekt ausgeschrieben. Ich musste mich fügen.<br />
Da ich ein wissbegieriger<br />
Mensch bin, und auch<br />
preiswertere, weniger weite<br />
Badehotels in Europa ansteuern<br />
kann – wenn ich das will – war<br />
ich mit den eingeflochtenen<br />
„Tagen zur freien Verfügung“<br />
total unzufrieden und fühlte<br />
mich auch ein wenig überlistet,<br />
da die <strong>Reise</strong> im Katalog<br />
durchaus nicht als kombinierte<br />
Kultur- und Badereise<br />
ausgeschrieben war, sondern<br />
als Busrundreise.<br />
Überdies hatte uns Frau Ismini<br />
Karapanou Kyriacou zum<br />
<strong>Eberhardt</strong>- <strong>Reise</strong>fest im WTC<br />
Dresden bei Buchung am<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 44<br />
Protaras, Beach Hotel „Cavo Maris“, Badelandschaft<br />
8. Oktober 2005 in überschwänglichen Tönen versprochen, uns für die freien Tage<br />
Programmvorschläge zu machen. Sie wollte uns „an die Hand“ nehmen und Vieles zeigen.
Nichts dergleichen passierte. Antonio blieb an diesen Tagen unsichtbar und unsere<br />
<strong>Reise</strong>begleiterin Carina Latta ebenfalls.<br />
Ich erkundigte mich an der Rezeption des Hotels <strong>nach</strong> Fahrrädern. Achselzucken. Leider nein.<br />
Wie weit ist es <strong>nach</strong> Paralimni? Zu weit. Wir wollten laufen. Natürlich hätten wir für Dollars<br />
ein Mietfahrzeug nehmen können, aber wir wollten die Natur und das Land kennen lernen.<br />
Wir hätten auch baden können. Das Wetter spielte mit. Es war heiß. Doch Martina wollte aus<br />
Gesundheitsgründen nicht. Es gab zwei Alternativen: Einen Stadtgang zur Eliaskirche in<br />
Protaras oder eine Wanderung zum Kap Grekko. Die Entfernung war bei beiden etwa fünf<br />
Kilometer. Schließlich entschieden wir uns für das Kap, die südlichste Spitze –nicht <strong>Zypern</strong>s,<br />
das ist bei Limassol eine militärisch genutzte Halbinsel mit dem Cap Gáta. Es ist auch nicht<br />
das östlichste, das ist die spitz <strong>nach</strong> NO auslaufende Halbinsel Karpasia im türkisch besetzten<br />
Teil, aber Kap Grekko ist ein wichtiges vorspringendes Horn, das in früheren Zeiten bei<br />
Stürmen die Schiffe umsegeln mussten, um in die Bucht von Famagusta einzulaufen.<br />
Auf der Karte sieht es wie ein Katzensprung aus, aber es sind zu Fuß doch mehrere Stunden.<br />
Wir liefen bei großer Hitze los, mit Hut und Tuch vor der Sonne geschützt. Sonntagsstille<br />
überall, relativ leere Straßen.<br />
Ein Katzenliebhaber warb um<br />
Spenden für seine sieben Katzen, die<br />
alle an der Betonmauer seines<br />
Hauses wuselten. Bis außerhalb des<br />
Ortes Protaras mussten wir auf der<br />
Straße laufen. Viele Baustellen für<br />
Ferienhäuser wiesen auf die<br />
wachsende Prosperität des Ortes und<br />
Zuwachs an Ferienhäusern hin.<br />
Knatternd dröhnten Touristen auf<br />
geleasten Minicars vorüber, zu dem<br />
Gestank und dem Lärm aus dem<br />
Auspuff noch hupend und schreiend<br />
vor Lust: Schaut her, wir sind die<br />
Größten!<br />
Bald sind wir am letzten Hotel vorbei. In den Anwesen, in denen wir vorbeikommen, blühen<br />
natürlich alle die herrlichen Gewächse, die im Mittelmeerraum die Augen verführen wie<br />
Malven, Oleander, Bougainvillea in allen Farben. Die Straße steigt jetzt an. Dann bietet sich<br />
ein Seitenweg an, der laut griechischer Beschriftung einen Naturpfad ist. Zuerst waren wir<br />
unsicher, ob er uns vom Ziel weg- und an die Küste hinunter hinführt, doch bald merkten wir,<br />
dass er parallel zur Straße durch das trockene Unterholz mit den verkrüppelten Zirbelkiefern<br />
verlief. Der Boden bestand aus karger roter Erde, die oft zutage trat, denn die dürre Macchia 30<br />
zeugte nicht viel Humus, und nur in den wenigen Wintermonaten regnet es ein wenig.<br />
Der Wanderweg war asphaltiert. Die Sonne<br />
brannte. In der Ferne erblickten wir nun den<br />
Felsen, der als militärischer Sperrbezirk nicht<br />
zugänglich ist. Wieder galt es ein Schild in<br />
griechischer Sprache zu entziffern. Gott sei Dank,<br />
es stand auch in englischer Sprache einiges dabei.<br />
Ein „Aphrodite- Weg“, ein so genannter Nature<br />
Trail, führt um den „Mount 100“ herum. Über<br />
brüchige Karstfelsen, teilweise geebnetem Pfad,<br />
an einer Bank vorüber, stiegen wir langsam hinab.<br />
30<br />
Macchie, ['makkie; die; lateinisch] italienisch Macchia, (Fleck, Buschwald), durch Abholzung und<br />
Beweidung aus Hartlaubwäldern (Hartlaubvegetation) hervorgegangenes immergrünes Gebüsch des<br />
Mittelmeerraums; enthält u. a. Erdbeerstrauch, Lorbeer, Wacholder, Zistrose, Myrte, Pistacia- und Ericaarten.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 45
Der weitere Weg nahm unsere ganze Aufmerksamkeit in<br />
Anspruch. Am Ufer angekommen, belohnte uns der Blick<br />
aufs blaue Meer und die Felsklippen, an denen schon so viele<br />
Schiffe zerschellt sind. Taucher hatten die einzige Bank mit<br />
ihren Sachen belegt, die wir für eine kleine Rast brauchten.<br />
Ich fing ein Gespräch an, als ich merkte, dass es Russen<br />
waren. Auf meine naive Frage, was es da unten zu sehen<br />
gäbe, bekam ich die lakonische Antwort, ich solle selber<br />
<strong>nach</strong>sehen. Ich überlegte mir neben der Möglichkeit, dass sie<br />
Sporttaucher seien auch die Deutung, dass sie <strong>nach</strong> alten<br />
Wracks suchten. Dann waren mir ihre schroffen Antworten<br />
verständlich. Dabei kann man keine Gaffer gebrauchen.<br />
An die eigentliche Spitze des Kaps, eine flache Halbinsel und<br />
Südostspitze <strong>Zypern</strong>s, auf der einige Sendemasten stehen,<br />
darf man als Zivilist nicht gehen. Hier standen wir nun an<br />
dem Kreuz, das vielleicht an untergegangene Seeleute<br />
erinnern sollte. Ein frischer Wind fächelte uns Kühlung.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 46<br />
In einen Überhang hinein hatten Schäfer oder<br />
andere Leute eine ehemals vorn weit offene Höhle<br />
so mit Steinen zugesetzt, dass nun fast eine<br />
regensichere Unterkunft daraus geworden ist. Von<br />
der Militärstation wurden wir mit dem Fernglas<br />
beobachtet. Ich zog mein Fernglas aus der Hülle<br />
und blickte hinauf. Wir taten nichts Verbotenes. Die<br />
Höhlen ergaben nichts Besonderes. Alte Lumpen<br />
lagen da, es gab keinen Hinweis auf<br />
Geschichtliches.<br />
Am Kap Grekko, Südostspitze<br />
<strong>Zypern</strong>s. Im Hintergrund die<br />
Sendemasten des eigentlichen Kaps<br />
Wir aßen einen Apfel, tranken einen Schluck Wasser und stapften auf den durchlöcherten<br />
Kalkfelsen weiter, links um den als Mount 100 bezeichneten Felsen herum. Sein Name hat er<br />
von seiner Höhe, die genau 100 m über dem Meer liegt. Ein paar Wanderer begegneten uns, sie<br />
führten ihre Mountainbikes an der Hand, Leute aus Chemnitz. Sachsen trifft man in der ganzen<br />
Welt! Die nächsten Leute, die wir trafen, sind aus Agia Napa hierher gekommen. Sie<br />
berichteten, dass ein Weg hinauf auf den Berg führen würde. So kletterten wir denn, <strong>nach</strong>dem<br />
der Berg umrundet war, steil hinauf, genossen dabei eine beinahe unwirkliche Fernsicht auf das<br />
weite blaue Meer- irgendwo da draußen in der Weite liegt Afrika! – und landwärts am<br />
Horizont, in etwa 8 km Entfernung, das Touristen- Eldorado Agia Napa, einer der beliebtesten<br />
Badeorte <strong>Zypern</strong>s, wie der Baedeker vermutet. Ich halte mich solchen Orten, vor allem den so<br />
angepriesenen Nachtleben fern. Ein wenig orientierungslos stiegen wir aufwärts, der Schweiß<br />
rann schon, das Hemd war nass. Ein italienisches Ehepaar versicherte uns, dass bald ein Weg<br />
käme und siehe da, wir erreichten ein Plateau, wo Autos parkten: Noch 300 m zum<br />
Aussichtspunkt, dem View Point. Das war auch noch zu schaffen.<br />
Dann genossen wir die beglückende Sicht unter<br />
dem wohltuenden Schatten eines kleinen<br />
Pavillons, schälten eine Apfelsine, schluckten<br />
etwas Wasser und konnten nun, <strong>nach</strong> einer<br />
Ruhepause, den Gipfel auskosten und <strong>nach</strong> allen<br />
Seiten Ausschau halten. Von hier oben sah man<br />
deutlich das eigentliche Kap, eine flache<br />
Landzunge, mit den Sendemasten, es ist<br />
strategischer Militärstützpunkt. Auf dem Plateau<br />
tummelten sich eine Menge Italiener,<br />
Ausflügler, die mit Leih- Autos hierher kamen.
Sie waren nicht so erschöpft wie wir, aber auch nicht so<br />
stolz auf ihre Wanderleistung. An einem Denkmal, das<br />
den Platz beherrschte und acht auffliegende Kraniche in<br />
Bronze festhielt, lichteten wir uns beide wie richtige<br />
Ausflügler gegenseitig ab. Hier sind wir gewesen- guckt<br />
alle her! Den Rückweg mussten wir suchen. Er führte<br />
jetzt links am Militärcamp vorbei. Wir teilten den<br />
staubigen und welligen Pfad mit den heimkehrenden<br />
Autofahrern. Dann sahen wir die Landstraße <strong>nach</strong> Agia<br />
Napa, schlugen die Gegenrichtung ein und konnten bald<br />
wieder unseren Naturpfad erkennen. Unterwegs kehrten<br />
wir ein, tranken Schweppes und Kaffee. Der Weg durch<br />
Protaras zog sich in die Länge. Baustellen von neuen<br />
Hotels und schmucken Ferienhäusern säumten die Straße.<br />
Außer einigen Minicars war es sonntäglich still und<br />
drückend heiß. Eine gelbe zyprische Postsäule reizte<br />
mich zu näherer Untersuchung und einer Aufnahme.<br />
Dieses runde Ding heißt auf Griechisch ΓΡΑΜΜΑΤΟКΙΒΩΤΙΟ,<br />
Betonung auf dem Omega, auf Englisch Letter Box, zu Deutsch<br />
Briefkasten.<br />
Bald sahen wir die Bebauung<br />
unserer Hotelanlage, die am<br />
Anfang der Feigenbucht, der<br />
Fige Tree Bay, wie sie hier heißt,<br />
eine Menge Küste in Beschlag<br />
nimmt. Jetzt spendete die<br />
Blütenpracht an den Häusern und<br />
Zaunanlagen die letzten<br />
erquickenden Augenblicke, ehe<br />
die klimatisierte Kühle der<br />
Hotelhalle uns das Glück des<br />
gelungenen Ausfluges empfinden ließ und wir erschöpft <strong>nach</strong><br />
einer Dusche zu einem traumlosen Schlummer auf die Betten<br />
fielen. Etwa 15 Marschkilometer lagen hinter uns.<br />
Am späten Nachmittag bin ich ans Meer, tappte vorsichtig hinein, schluckte etwas Salzwasser,<br />
schwamm zwischen den zahlreichen Klippen und Felsbrocken umher, die strandnah aus dem<br />
Wasser ragen. Ich genoss das Bad wie eine zusätzliche Beigabe zum <strong>Reise</strong>programm,<br />
betrachtete die hier lagernden Menschen aus der Position des Außenseiters, traf Tante und<br />
Nichte aus unserer <strong>Reise</strong>gruppe, schwatzte mit ihnen ein Weilchen. Dann, halb auf dem<br />
Rückweg, sprang ich auch noch in das Schwimmbecken innerhalb der Hotelanlage, schwamm<br />
ein paar Bahnen, um überhaupt einmal diese wässrigen Angebote zu nutzen. Nach dem<br />
reichhaltigen Abendessen, das von mir immer mit einem kühlen prickelnden Bier eröffnet und<br />
mit einem Becher Eis abgeschlossen wurde – köstlich! – packte ich meinen Koffer, während<br />
Martina bereits ihre „Schularbeiten“ gemacht hatte. Letzter Blick vom Balkon übers Meer und<br />
das abendliche Protaras. Lärmende Klimaanlage ausschalten. Traumloser Schlaf.<br />
Montag, 2. Oktober 2006<br />
VIII. Chirokitia<br />
P<br />
ünktlich 9.00 Uhr saßen wir im Bus, die Koffer waren verstaut. Abschied vom Cavo<br />
Maris, von Protaras und der Ostküste <strong>Zypern</strong>s. Heute sollte es über Larnaca, Limassol<br />
zum abendlichen Quartier in den Bergen <strong>nach</strong> Agros gehen.<br />
Auf halbem Wege zwischen den großen Städten Larnaca und Limassol hielten wir in<br />
Choirokoitía (griech. Χοιροκοιτία, sprich: Chirokitía, ich werde es weiter so benennen) an.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 47
Diese steinzeitliche Fundstätte wurde 1998 von der UNESCO in die Liste des Weltkulturerbes<br />
aufgenommen. Chirokitia liegt 48 km südlich von Nikosia an der Autobahn A1 Nikosia-<br />
Limassol oder wie die Einheimischen sagen Lefkosia – Lemesos. Von Larnaca liegt es 32 km<br />
entfernt, zur Südküste sind es etwa 7 km. Dieser Platz ist eine Siedlung aus dem Neolithikum,<br />
der Neusteinzeit, ist also schätzungsweise siebentausend Jahre vor der Zeitenwende bewohnt<br />
gewesen. Dieser Ort gehört zu den ältesten gefundenen Siedlungen des Mittelmeerraumes, ja<br />
der ganzen Welt. Nach der Periode als Jäger und Sammler wurden die Menschen allmählich<br />
sesshaft und ernährten sich von Schafen, Ziegen und Tauben, wie hiesige Knochenfunde<br />
beweisen. Die ersten Siedler kamen aus Syrien und Kilikien 31 . Sehr wichtig ist, dass sich mit<br />
den in aufeinanderfolgenden Zeiträumen entstandenen Bauten die Ausbreitung der<br />
Jungsteinzeit- Kultur verfolgen lässt.<br />
Wir wurden zuerst an ein wieder aufgebautes Modell dieser neolithischen Steinhütten geführt,<br />
das im Tal nahe einem jetzt versiegten Bachbett errichtet wurde. Sehr eindrucksvoll führte uns<br />
Antonio vor, mit welchen baulichen Mitteln sich diese Siedler mit Schutzmauern vor Feinden<br />
zu verteidigen wussten. In den niedrigen runden Hütten werden die Kopien einiger<br />
Gegenstände, zum Beispiel Werkzeuge gezeigt. Diese Steinhäuser wurden an Hand von<br />
Ausgrabungen mit demselben Material und mit den gleichen Methoden <strong>nach</strong>gebaut, so dass der<br />
heutige Mensch eine Ahnung davon bekommt, wie hier die Menschen im Altertum lebten.<br />
Chirokitia war von 7000 v.u.Z. und <strong>nach</strong> einer Pause von 1500 Jahren ab 4000 v.u.Z.bewohnt.<br />
Wir stiegen über Treppen den Berg hinauf und bekamen erst einmal eine Vorstellung, wie<br />
groß diese Siedlung gewesen war. Am ganzen Hang ziehen sich die kreisförmigen<br />
Fundamente solcher Häuser hinauf, eng aneinander gebaut, miteinander verbunden, fast<br />
festungsmäßig angeordnet. Zusätzlich pflanzten die Bewohner um die Hütten Büsche, Bäume<br />
und Pflanzen, die man damals kultivierte, sowie einheimische Gewächse, die seit der<br />
Jungsteinzeit auf <strong>Zypern</strong> wachsen, um Schatten und Nahrung für Mensch und Tier zu haben.<br />
31<br />
Kilikien, lateinisch Cilicia; heute türkisch Çukurova, Landschaft im östlichen Kleinasien um das heutige<br />
Adana. Im Altertum als Zentrum der Seeräuber berüchtigt, seit 84 v. Chr. römische Provinz. Die Kilikische<br />
Pforte war Einfallstor <strong>nach</strong> Syrien. Wichtige Städte: Tarsos (Heimatstadt des Apostels Paulus), Mallos, Soloi.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 48
Viele geologische Epochen gingen also<br />
im Paläolithikum der jüngeren Steinzeit<br />
voraus. Die Siedler auf dieser Insel<br />
hatten wohl auch gar nicht viel<br />
Spielraum, um sich als jagende und<br />
sammelnde Nomaden zu bewegen. Von<br />
daher kann auch der Drang <strong>nach</strong><br />
Sesshaftigkeit gekommen sein. Die<br />
Steinhäuser hatten einen niedrigen<br />
Eingang und ein Fenster. Das Dach ruhte<br />
auf dünnen Balken und war mit flachen<br />
Steinen eingedeckt. Am Hang fanden<br />
wir dann nur noch die freigelegten<br />
Mauerreste. Weiter oben erkennen wir<br />
die immense Arbeit der Ausgräber, die<br />
Chirokitίa, neolithische Siedlungsreste, 7. Jahrtausend v.u.Z.<br />
noch längst nicht abgeschlossen ist.<br />
Um noch einmal auf die rekonstruierten Häuser am Bach<br />
zurückzukommen: Die Schutz- Mauer zum Fluss war im<br />
Gebrauch, bis die Siedlung jenseits über den Hang gewachsen,<br />
eine Grenzbefestigung ins Land <strong>nach</strong> Westen geschaffen und<br />
uneinnehmbar geworden war. Ein 2m breites und 3 m hohes<br />
Mauerband schlängelt sich vom Fluss den Hügel hinauf und auf<br />
der anderen Seite wieder zum Fluss hinab. Der Eingang zur<br />
Siedlung war ein komplexes architektonisches System, dafür<br />
entwickelt, die Höhendifferenz von 2 Metern zu überwinden,<br />
zwischen dem Niveau, auf dem die Siedlung begann und dem<br />
tiefer liegenden Außenbereich.<br />
Diese Struktur, zu finden in <strong>Zypern</strong> und im Nahen Osten, besteht aus einer Reihe von<br />
Einrichtungen, die der Eingangskontrolle von Personen in die Siedlung dienten.<br />
Sie umschloss eine in die Außenmauer integrierte Treppe in rechtwinklig abgeknickter<br />
Bauweise von Steinen mit sorgfältig gepflasterten Stufen. Die Treppe besteht aus drei<br />
rechtwinklig zueinander angelegten Fluchten. Der Zugang ist versperrt durch eine zweite<br />
Einrichtung, die noch in der Erforschung ist.<br />
Passierte jemand den ersten Kontrollpunkt, ein Besucher, der Zugang zur Siedlung suchte,<br />
hatte die erste Stufenflucht zu erklimmen, sich dann <strong>nach</strong> links zu wenden, um die zweite zu<br />
nehmen und sich noch einmal zu wenden, um die dritte Stufenreihe zu ersteigen. Dann oben<br />
angelangt, musste er sich wieder <strong>nach</strong> rechts drehen und zwei Meter gehen, bevor er<br />
schließlich den Eingang, das Tor der Siedlung erreichen konnte. Möglicherweise musste er<br />
sogar im Inneren noch einige Stufen herabsteigen, die aber nicht erhalten sind.<br />
Antonio erläuterte an Hand dieser für uns Heutigen unscheinbare Treppe als wirksame<br />
Schutzmaßnahme. Er zeigte uns die Handhabung von Schild und Schwert oder Lanze im<br />
Zusammenwirken mit dem Eingangskonstrukt.<br />
Auf etwa 1,5 ha lebten hier zirka 300 Menschen.<br />
Wir turnten bis an die Absperrung zum tätigen<br />
Ausgrabungsfeld, sahen erst oben, wie weit sich<br />
diese Siedlung über den ganzen Hang erstreckt<br />
und dass noch längst nicht alles erschlossen und<br />
bestimmt ist. Es gibt hier sicher noch viel zu<br />
entdecken und vor allem zu rekonstruieren.<br />
Mit einem weiten Blick <strong>nach</strong> Westen nahm ich<br />
Abschied von diesem interessanten Platz. Im Tal,<br />
jenseits des Bachbettes, an der Straße warteten<br />
schon andere Busse und eine Erfrischung, dann<br />
ging die Fahrt weiter in Richtung Westen.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 49
IX. Limassol – Lemesos und Johannisbrot<br />
Es ging auf die Mittagszeit zu, las wir <strong>nach</strong> kurzer Fahrt auf der Küstenautobahn die Vororte<br />
und wenig später die ersten Hochhäuser von Limassol erreichen. Die Zyprioten nennen diese<br />
Stadt Lemesos (Λεμεσοσ). Sie ist Nachfolgerin zweier Stadtkönigreiche und Schauplatz einer<br />
königlichen Hochzeit im Mittelalter. Sie erstreckt sich entlang der Südküste <strong>Zypern</strong>s und liegt<br />
am westlichen Saum der durch eine hervorspringende Halbinsel gebildeten Bucht von Akrotiri.<br />
Die Halbinsel ist militärisches Sperrgebiet der Briten. Seit Zerfall der sozialistischen<br />
Sowjetunion 1989 haben die Russen diese Stadt für sich entdeckt. Antonio, der hier zu Hause<br />
ist, bemerkte spöttisch, Limassol sei die zweite und heimliche Hauptstadt Russlands. Limassol<br />
ist mit knapp 160 000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt <strong>Zypern</strong>s <strong>nach</strong> Nikosia und besitzt<br />
<strong>nach</strong> der türkischen Besetzung von Famagusta heute den größten Hafen <strong>Zypern</strong>s.<br />
Wir fahren in die Stadt ein und bemerken<br />
<strong>nach</strong> den ersten kleineren Vorortbauten auf<br />
der Seeseite bald eine Kette von<br />
bemerkenswert luxuriösen Hotels, die sich<br />
in Strandnähe kilometerweit hinziehen. Ein<br />
Hotel am anderen, alles deutet auf den stetig<br />
wachsenden Touristenstrom. An<br />
Ampelkreuzungen zieht mich der immer<br />
noch ungewohnte Linksverkehr in seinen<br />
Bann, bis links hinter einem nüchternen<br />
Hotel- Betonklotz eine Baulücke zum<br />
Halten einladet. Antonio gewährte uns eine<br />
Stunde Mittagsrast. Rast im Restaurant „Armonia“, Limassol<br />
Wir scharten uns um einfache Tische im Grünen und im Schatten hoher Palmen. Zwei Katzen<br />
spielten zwischen den Stuhlbeinen. Wir aßen einen Bauernsalat, einen choriatkí ssaláta, um es<br />
mit lateinischen Buchstaben zu umschreiben, tranken eisgekühlte Cola und Schweppes.<br />
Das Restaurant „Armonia“ ist in die hintere Fassade eines<br />
schlecht gearbeiteten und schon abgewohnten<br />
Sechsgeschossers eingearbeitet. Eine mit Rostfarbe<br />
gestrichene Treppe führt in einem kleinen Vorbau zur<br />
Gaststube und den versifften Toiletten hinauf. Das<br />
schattige, ruhige Rasenstück am Meeresufer, die frische<br />
Brise vom Wasser aber sind wohltuend und laden uns ein.<br />
Die Katzen balgen sich immer noch unter dem freien<br />
Plastikstuhl.<br />
Ich will sie fotografieren, aber sie sind schneller, auch scheu,<br />
und wenn ich nahe herzu gehe, erstarren sie, blicken mich<br />
ängstlich an und hören mit ihrer kindlichen Balgerei sofort<br />
auf. Als alle ihren Imbiss verzehrt und bezahlt hatten, fuhren<br />
wir die lange Uferstraße weiter. Draußen lagen große Schiffe<br />
auf Reede. Parkanlagen und Promenaden mit schönen<br />
Strandabschnitten, viel Grün. Wir befuhren die in ganz<br />
<strong>Zypern</strong> berühmte Strandstraße Spyrou Araouzou fast bis zum<br />
Alten Hafen. Dort verließen wir den Bus. Antonio führte uns<br />
zuerst in ein Geschäft für allerlei Meereserzeugnisse und<br />
Naturprodukte, das Exhibition Center Sea Sponges 32<br />
Antonio schwang sich in einen Haufen Schwämme und hielt<br />
einen Vortrag, wie die vor den Küsten <strong>Zypern</strong>s und<br />
Griechenlands geernteten Schwämme chemisch gereinigt und<br />
32<br />
Ausstellungszentrum für See- Schwämme<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 50
konserviert werden. Riesenexemplare und verschiedene selten Abarten befanden sich<br />
darunter. Am Eingang warben Großbuchstaben für Sea Shells, Corals und Sharks 33<br />
An der Decke hingen Teufelsfische, aufgeblasen, ausgestopft<br />
und für die Ewigkeit präpariert. Seesterne, Muscheln aller Art<br />
und jeder Form waren zu haben, warteten auf Andenkenjäger,<br />
die wir ja nicht waren und aus Zollgründen auch nicht sein<br />
dürfen. Weiter bot dieses Geschäft Olivenseife in allen Farben<br />
an. Die Luft roch auch angenehm da<strong>nach</strong>. Am Eingang zu<br />
einem Nebenraum, in dem die üblichen Souvenirs der Insel<br />
feilgeboten wurden, stand ein lebensecht modellierter Seemann<br />
und machte auf seemännische Produkte aufmerksam. Riesige<br />
Schalen von Mördermuscheln lagen zu seinen Füßen,<br />
Taucherhelme, Ketten…In Aquarien schwammen Fische. Im<br />
Nebenraum tummelten sich auf den Regalen ungezählte Götter<br />
und Aphroditen in Gips und imitierter Bronze, ganze<br />
Heerscharen von griechischen Philosophen, streitbaren<br />
Amazonen Und anderen mythologischen Gestalten in allen denkbaren Posen und Größen. Im<br />
hintersten Raum dann konnte man Konfitüren, Feigen, Mandel- und Nusserzeugnisse kaufen<br />
usw.<br />
Bald standen wir wieder auf der Straße und strebten nun in die Altstadt. Am Kastell, dem<br />
einzigen erhaltenen historisch bedeutsamen Bauwerk von Limassol, zog Antonio vorbei und<br />
tauchte mit uns in den Schatten einer alten Mühle für Johannisbrot. Alte Maschinen standen<br />
in einer dunklen Halle. Mir fehlte jede Vorstellung, was uns da nahe gebracht wurde. Ich<br />
konnte mir nur helfen, indem ich die Tafeln abfotografierte, um sie zu Hause in aller Ruhe zu<br />
übersetzen. Es muss ein zypernweit bedeutsames Unternehmen gewesen sein, noch bis in die<br />
Kriegsjahre des zweiten Weltkrieges hinein, die Johannisbrotmühle von Laniti (engl.<br />
Lanitis Carob Mill, griech. Χαροιπομ λος Λανίτη). Was ist Johannisbrot?<br />
Johannisbrot hat viele Namen: Karoben, Bockshorn,<br />
Soodbrot. Es ist eine getrocknete, süß schmeckende Frucht<br />
des Johannisbrotbaums. Die braunen, 10-25 cm langen,<br />
flachen Schoten werden unreif geerntet und an der Sonne<br />
getrocknet. Sie enthalten ca. 65% Traubenzucker, 6%<br />
Eiweiß und 1% Fett. Johannisbrot dient in den<br />
Produktionsländern als Nahrungsmittel, außerdem wird es<br />
geröstet als Kaffee-Ersatz, zur Herstellung von Brusttee<br />
und gemahlen als Geliermittel verwendet; es ist auch<br />
wichtiges Viehfutter. Die Samen wurden früher zum<br />
Wiegen von Edelsteinen benutzt (daher der Name „Karat“).<br />
Der Johannisbrotbaum ist der einzige Hülsenfrüchtler, der<br />
aus der Kreidezeit (144- 65 Millionen Jahre) stammt und<br />
die Eiszeit überdauert hat.<br />
Johannisbrotbaum; zypr. Teratsia,<br />
arab. Kharrub, wissenschaftlicher Name:<br />
Ceratonia Siliqua Leguminosae<br />
In der mediterranen Region wächst er oft in Gemeinschaft mit Olivenbäumen. Systematisch<br />
kultiviert, findet man ihn heutzutage in Amerika und Australien. Beides, der Baum und seine<br />
Früchte waren schon in antiker Zeit bekannt. Theophrastus 34 bezieht sich darauf als „keronia“<br />
darauf, Dioskurides 35 als keratea mit der Frucht keration. Seit den Lateinern ist das<br />
Johannisbrot unter seinem botanischen Namen Ceratonia Siliqua Leguminosae bekannt.<br />
33<br />
Seemuscheln, Korallen und Haie<br />
34<br />
Theophrast von Eresos, griechischer Philosoph, * 372 v. Chr., † 287 v. Chr.; Peripatetiker (Schulhaupt seit<br />
322), Schüler und Nachfolger des Aristoteles; schrieb über Botanik und Mineralogie, verfasste eine Sammlung<br />
von Charakterstudien und eine für die antike Philosophiegeschichtsschreibung einflussreiche Geschichte der<br />
Naturphilosophie.<br />
35<br />
Dioskurides, Pedanios, griechischer Arzt im 1. Jahrhundert n. Chr.; verfasste eine fünfbändige<br />
Arzneimittellehre „De materia medica“, die für mehr als anderthalb Jahrtausende das grundlegende Arzneibuch<br />
blieb<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 51
Die alten Römer bezeichneten ihn als Siliqua Graeca, damit<br />
andeutend, dass er vielleicht aus Griechenland stamme. Der<br />
Johannisbrotbaum war auch weithin bekannt im syro-<br />
palästinensischen Raum. Zu urteilen <strong>nach</strong> der „Parabel vom<br />
verlorenen Sohn“: Es tauchte darin als Schweinefutter auf.<br />
An die europäischen Küsten des Mittelmeerraumes ist es<br />
möglicherweise von den Arabern eingeführt worden, worauf<br />
die vorherrschend arabische Wurzel des Wortes hinweist. Der<br />
deutsche Name <strong>nach</strong> dem Propheten Johannes lässt auch die<br />
Herkunft Palästina anklingen.<br />
Der Johannisbrotbaum ist ein hoher, langlebiger, immergrüner Baum, der bis zu 5 – 10 m<br />
hoch werden kann. In seinem natürlichen Habitat begegnet man ihm an niedrigen Hängen ab<br />
Meereshöhe bis etwa 800 m Höhe. Oft findet man ihn inmitten kultivierter Felder als typisch<br />
zyprisches Wahrzeichen.<br />
Während des Mittelalters waren „Kharrubs“ bekannt als Johannisbrot. Seither glaubte man,<br />
dass dieses und nicht Heuschrecken die Hauptnahrung von Johannes dem Täufer in der<br />
Wüste gewesen ist. Der Kharrub war auch bekannt als keration oder teratsi, weil seine Form<br />
einem Ziegenhorn (keraton) ähnelte.<br />
Die Frucht wird hart, wenn sie reif ist, hat etwa 8 – 10 Samenkörner und einen süßen<br />
Geschmack. Wir haben das ausprobiert.<br />
Beides, während der Antike und heute wird es dem Tierfutter beigemischt. Johannisbrot wird<br />
heute verwendet bei der Vorbereitung von Süßigkeiten und Sirups genauso wie in der<br />
pharmazeutischen und chemischen Industrie. Die Borke des Baumes, seine Blätter und<br />
unreifen Früchte werden zur Produktion von Tannin verwendet, das sowohl in der<br />
industriellen Behandlung von Tierfellen als auch zum Färben von Schiffssegeln gebraucht<br />
wird.<br />
Wir standen um die Maschinen herum, die 25 Leute der <strong>Reise</strong>gruppe umstanden ihn. Seine<br />
Worte, mit denen er das alles erläuterte verhallten. Ich bekam da nichts mit.<br />
Dann machte er sich auf den Weg, uns ein<br />
wenig „seine“ Stadt zu zeigen. An dem<br />
Kastell lief er einfach vorbei. Ich<br />
protestierte heftig. Er ließ sich darauf ein,<br />
in den Garten einzubiegen und dort mit der<br />
Gruppe zu warten, während ich als einzig<br />
Interessierter schnell hinein sollte, um zu<br />
fotografieren. Es war ein Irrwitz. Dieses<br />
alte Kastell atmet so viel Geschichte, dass<br />
es wirklich wert wäre, es in das<br />
Besichtigungsprogramm einzubeziehen.<br />
Ich spurtete also mit gezückter Kamera<br />
hinein, blind an der Kasse vorbei, denn es<br />
war ein richtiges Museum (wahrscheinlich<br />
Limassol. Blick vom Kastell in Richtung Meer<br />
wollte das <strong>Reise</strong>unternehmen die Eintrittsgelder sparen), eilte durch einige<br />
Erdgeschossräume, klickte paar Mal und stieg geschwind auf die Dachterrasse, sah auch von<br />
oben unsere Leute, holte mit schnell einen Rundblick, über die Stadt und hinüber aufs Meer.<br />
Im hastigen Rückwärtsgang stürzte ich, der Fotoapparat knallte mit ausgefahrener Optik auf<br />
den Boden und der Tubus verkantete- nichts ging mehr. Ich hatte mir auch wehgetan und<br />
eine Stinkwut auf Antonio und die <strong>Reise</strong>leitung. Ich ließ mir nichts anmerken, nur Martina<br />
fauchte mich an, als ich ihr beichtete, dass der Apparat kaputt sei. Ich hatte ja noch die<br />
andere Kamera mit, doch dieser war ja ihr Apparat!<br />
Dabei ist es einfach zwingend, sich genau in diesem Kastell an Richard Löwenherz zu<br />
erinnern. Er hat auf <strong>Zypern</strong> Spuren hinterlassen. Dabei ist es vielleicht interessant, etwas<br />
weiter auszuholen. Wer nicht will, mag das Folgende überlesen:<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 52
X. Richard Löwenherz – Kreuzfahrer des 3. Kreuzzuges<br />
s soll ja von der Hochzeit Richard Löwenherz’ mit Berengaria in Limassol die Rede<br />
sein. Ich habe also ein Buch 36 über die Kreuzzüge hergenommen und hier seine<br />
abenteuerliche Geschichte zusammengetragen:<br />
E Richard wird in England geboren, ist aber eher Franzose.<br />
Zur Welt kam Richard in England, vermutlich im Schloss Beaumont in Oxford, am 8. September<br />
1157. Das Schloss ist verschwunden, aber an Richards ersten Auftritt erinnert eine Tafel am<br />
Straßenrand. In Richards Ahnentafel stammt nur Großmutter Matilde, die Tochter König Heinrichs I.,<br />
aus England. Großvater Gottfried Plantagenet, der Ehemann Matildes, war ein Graf von Anjou. Aus<br />
dieser Ehe stammt Richards Vater, Heinrich von Anjou. Richards Mutter, Eleonore von Aquitanien,<br />
heiratete Heinrich von Anjou im Mai 1152. Ihre Ehe mit König Ludwig VII. war erst einige Wochen<br />
vorher von vier französischen Bischöfen annulliert worden. Eleonore heiratet keinen armen Mann.<br />
Heinrich Plantagenet ist mit zweiundzwanzig Jahren schon Graf von Anjou und Herzog der<br />
Normandie. Eleonore bringt das reiche Herzogtum Aquitanien mit in die Ehe. Doch dabei bleibt es<br />
nicht. Als König Stephan von England stirbt, erkennt er Heinrich als Erben an. Im Dezember 1154 wird<br />
der junge Plantagenet als Heinrich II. zum König von England gekrönt. König Ludwig muss sich von<br />
dieser Machtzusammenballung bedroht fühlen. Um den Konflikt zu entschärfen, erkennt Heinrich den<br />
französischen König als Oberherren über die Normandie, Anjou und Aquitanien an. Aber diese<br />
Unterwerfung bleibt ein formaler Akt. Der Streit um den kontinentalen Besitz der Plantagenets wird<br />
sich über Jahrzehnte hinziehen und das Leben Richards überschatten.<br />
Im Jahr 1168 herrschte Krieg zwischen Heinrich und Ludwig. Die Söldnertrupps standen sich bei<br />
diesen Kriegen selten in Schlachtformation gegenüber. Adlige kamen gelegentlich auf Turnieren um,<br />
aber im realen Gefecht hielten sie meist den gebotenen Abstand. Die häufigste Kriegshandlung war<br />
die Belagerung von Burgen. Gefangene waren viel zu wertvoll, um sie zu töten. Adlige wurden gegen<br />
Lösegeld freigelassen, und die Söldner schonten sich gegenseitig, weil sie dem gleichen Stand<br />
angehörten und oft miteinander befreundet waren. Eroberte Burgen wurden geschleift oder von<br />
Gefolgsleuten des Siegers übernommen. Wenn eine Burg den Belagerungsmaschinen standhielt,<br />
wurden die Bauern und Handwerker des Gegners ausgeplündert. Wer finanziell soweit geschwächt<br />
war, dass er keine Söldner mehr anmieten konnte, hatte den Krieg verloren. Da Heinrich reicher war<br />
als Ludwig, behielt er in der Regel die Oberhand. Im Friedensvertrag des Jahres 1169 wird Richards<br />
Verlobung mit Alice, einer Tochter Ludwigs, bestätigt. Das Mädchen wird der Obhut der englischen<br />
Krone übergeben.<br />
Richard wird 1172 in Poitiers der Titel eines Herzogs von Aquitanien verliehen, er tritt also das Erbe<br />
seiner Mutter an. Wenn Eleonore in Poitiers Hof hielt, herrschte sicher Weltoffenheit. In Aquitanien<br />
blühte die Kunst der Troubadoure, und Eleonore soll den Minnesang geschätzt haben. Über ihren<br />
realen Liebesaffären liegen die Nebel des Tratsches und der Legende. Der Chronist Wilhelm von<br />
Newburgh merkt an, Eleonore habe in ihrer ersten Ehe unter der Keuschheit ihres Gatten gelitten:<br />
„Eleonore nahm am meisten an der Lebensweise Ludwigs Anstoß und klagte, sie habe einen Mönch<br />
und keinen König geheiratet. Man sagt auch, dass sie noch während der Ehe... einer Heirat mit dem<br />
normannischen Herzog (Heinrich) zuneigte.”<br />
Heinrich war alles andere als ein Mönch: Eleonore hat acht Kinder zur Welt gebracht. Richard muss<br />
allein mit drei männlichen Erben als Mitbewerbern rechnen: Mit dem jungen Heinrich, der vor ihm<br />
geboren wurde, mit Gottfried und Johann. Heinrich sollte England und Anjou erben, Richard<br />
Aquitanien, die anderen den Rest. Der Plan enthält Zündstoff. Als König Heinrich dem erst<br />
fünfjährigen Johann drei bedeutende Festungen übereignet, ist alles klar: Der alte Heinrich will die<br />
Burgen selbst verwalten und so dem Zugriff des jungen Heinrich entziehen. Als Richard in Poitiers die<br />
Insignien der Herzöge von Aquitanien empfängt, wird er nur dem Namen <strong>nach</strong> Herzog. König Heinrich<br />
setzt seine Söhne nämlich nur symbolisch ein. Die reale Macht und das Steueraufkommen behält er<br />
für sich. Der junge Heinrich besteht darauf, einen Teil seines Erbes sofort zu übernehmen, aber Vater<br />
Heinrich winkt ab. Die Beziehungen zwischen König Heinrich und Eleonore waren <strong>nach</strong> der Geburt<br />
des achten Kindes (Johann) merklich abgekühlt. Ob die beiden sich je im heutigen Sinn »geliebt«<br />
haben, ist zweifelhaft. Was der König bei Frauen suchte, fand er offensichtlich bei seiner Konkubine<br />
Rosamunde...<br />
Da Heinrich die Übergabe ihres Erbes an Richard verweigert, rebelliert Eleonore gegen ihren Gatten.<br />
Sie wirbt Söldner in ihrer Heimat an und schickt im Frühjahr 1173 Richard und Gottfried <strong>nach</strong> Paris.<br />
Auch den jungen Heinrich hält es nicht länger beim Vater. Der Chronist Robert von Torignei:<br />
36<br />
Peter Milger „Die Kreuzzüge- Krieg im Namen Gottes“, Orbis Verlag, Sonderausgabe 2000<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 53
„Erzürnt zog sich Heinrich von seinem Vater zurück und gelangte <strong>nach</strong> Argenton. Von dort floh er zum<br />
König von Frankreich, ohne dass seine Diener, die der König für ihn abgestellt hatte, davon wussten.”<br />
Der Chronist zählt die Adligen auf, die die Partei des jungen Heinrich ergriffen hatten und fährt fort:<br />
„Der König zerstörte bei all diesen die Häuser, Setzlinge und Wälder. Ebenso entfremdeten sich<br />
Königin Eleonore und ihre Söhne, Graf Richard von Aquitanien und Gottfried von der Bretagne.”<br />
Der französische König Ludwig ist über die Anwesenheit von drei Königssöhnen entzückt und hält<br />
erfreut einen Hoftag ab. Der Streit im englischen Königshaus stärkt seine Position. Feierlich schlägt er<br />
Richard zum Ritter.<br />
Vater Heinrich lässt sich durch das Bündnis seiner Söhne mit König Ludwig nicht beeindrucken. Im<br />
November 1173 stößt er mit einem Söldnerheer bis Chinon vor und bedroht Aquitanien. Heinrich ist<br />
wesentlich reicher als seine Gegner, er kann mehr Söldner einstellen. Solche Fehden, auch unter<br />
Verwandten, waren nicht unüblich. Als Heinrich in Aquitanien eindringt, gelingt es ihm, Eleonore<br />
gefangen zu nehmen. Richard, kaum sechzehn, versucht einen Gegenangriff auf La Rochelle. Die<br />
Verhaftung seiner Mutter Eleonore kann für Richard den Verlust Aquitaniens bedeuten. Die Bürger<br />
von La Rochelle zeigen indessen wenig Neigung zum Risiko: Sie schlagen sich auf die Seite des<br />
mächtigen Heinrich. Die Stadt lebt vom Weinexport <strong>nach</strong> England. Richard muss abziehen, der Krieg<br />
geht weiter.<br />
Auf einigen Miniaturen tragen Heinrich und Richard Kirchen in der Hand: Sie zeigen die Könige als<br />
Schutzherren der Kirche. Als besonders fromm galten sie den Zeitgenossen nicht. Richard hat die<br />
Messe gerne besucht, weil er den Gesang liebte.<br />
Im Frühjahr 1174 demonstrieren Vater und Sohn in Saintes eine sachliche Beziehung zur Kirche.<br />
Heinrichs Söldner kämpfen gegen die Gefolgsleute Richards, die in der Kirche Zuflucht gesucht<br />
hatten. Richard kann fliehen, hat aber keine Truppen mehr. Da König Ludwig und seine Brüder die<br />
Fronten gewechselt haben, muss Richard aufgeben. Im September 1174 unterwirft sich der Sohn<br />
dem Vater und bittet tränenreich um Vergebung. Heinrich verzeiht ihm, weil es die Staatsraison<br />
erfordert. Der Staat braucht Erben, und keine Gefangenen im Verlies. Heinrich beauftragt seinen<br />
Sohn, gegen rebellierende Barone vorzugehen.<br />
Im Jahr 1177 befindet sich Alice, die Tochter Ludwigs, fast acht Jahre lang im Gewahrsam des<br />
englischen Königs. Die Ehe zwischen Alice und Richard kommt nicht zustande, weil Heinrich große<br />
Gebiete um die Stadt Bourges als Mitgift fordert. Schließlich erreicht Ludwig, dass Papst Alexander III.<br />
König Heinrich mit dem Bann droht, falls die Heirat weiter verzögert würde. Im September 1177 halten<br />
die beiden Könige eine Friedenskonferenz in Nonancourt ab. Sie verhandeln erneut über strittige<br />
Besitzrechte, bekräftigen den Heiratsplan und schließen einen Waffenstillstand.<br />
In Paris stirbt im Herbst 1180 Ludwig VII. Als Nachfolger wird Ludwigs Sohn als Philipp II. zum König<br />
von Frankreich gekrönt. Richards Geschick wird von nun an mit diesem Mann verbunden sein -<br />
gelegentlich als Freund, meistens aber als Feind.<br />
Bei einer Konferenz im Jahr 1182 in Grandmont beklagen sich aquitanische Adlige bei Heinrich über<br />
die Grausamkeit, mit der Richard bei der Niederwerfung von Rebellionen vorgeht. Einige Chronisten<br />
werfen ihm vor, er habe seine Untertanen unterdrückt und ungerechte Forderungen an sie gestellt.<br />
Der englische Chronist Roger von Hoveden zeichnet das düsterste Bild:<br />
„Er entführte die Frauen, Töchter und Mägde seiner Untertanen mit Gewalt und machte sie zu seinen<br />
Konkubinen. Wenn er seine Lust mit ihnen gehabt hatte, gab er sie an seine Soldaten zur Erfreuung<br />
weiter.<br />
Vater Heinrich scheint die Beschwerden über seinen Sohn nicht ernst genommen zu haben.<br />
Gemeinsam bekämpfen der König, Richard und der junge Heinrich eine Rebellion im Limousin. Aber<br />
die Einigkeit hält nicht an. Der junge Heinrich ist zwar formal der Haupterbe, verfügt aber immer noch<br />
nicht über eigene Territorien und Steuereinnahmen. Er erwägt eine Wallfahrt <strong>nach</strong> Jerusalem,<br />
versucht aber dann, seine irdischen Ziele durch ein Bündnis mit den Rebellen im Limousin zu<br />
erreichen. Bei Aix an der Vienne führt Richard seine Truppen 1183 gegen die Verbündeten seines<br />
Bruders Heinrich und behält die Oberhand. Die gefangenen Söldner lässt er in der Vienne ertränken.<br />
Das grausame Vorgehen sollte wohl als Warnung verstanden werden. Richards Sinn für symbolische<br />
Akte entwickelt sich. Das Gefecht an der Vienne ist Richards einzige Begegnung in Frankreich, die<br />
einer Schlacht nahe kommt.<br />
König Heinrich eilt mit Verstärkungen herbei, um die Rebellion seines Sohnes Heinrich zu beenden.<br />
Auf der anderen Seite entsendet König Philipp Truppen zur Unterstützung der Rebellen. Damit ist der<br />
Waffenstillstand gebrochen und von der Kreuzfahrt gegen Saladin ist keine Rede mehr. Der junge<br />
Heinrich, der sich durch Kirchenplünderungen mit Geld versorgt hatte, beginnt gerade die Oberhand<br />
über Vater und Bruder zu gewinnen, als er im Juni 1184 plötzlich stirbt. Die Rebellion bricht<br />
zusammen und die Erbfolge hat sich für Richard scheinbar vereinfacht. König Heinrich ist bereit,<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 54
Richard zum Haupterben zu erklären, verlangt aber dafür Aquitanien für Bruder Johann. Empört<br />
begibt sich Richard <strong>nach</strong> Aquitanien, das ihm wichtiger ist als die Anwartschaft auf die englische<br />
Krone. Johann und Gottfried hausen daraufhin mit ihren Söldnern im Süden, und Richard fällt im<br />
Gegenzug in die Bretagne ein. König Heinrich ruft erschrocken seine Söhne <strong>nach</strong> England, um den<br />
Streit zu beenden. Er entlässt Eleonore aus der Haft und zwingt Richard, Aquitanien an Eleonore<br />
zurückzugeben. Heinrich erneuert im Frühjahr 1186 bei einem Treffen mit König Philipp die<br />
Abmachungen, die er mit König Ludwig im Jahr 1183 getroffen hatte. Richards Position als Erbe ist<br />
gestärkt, der Verlierer Gottfried begibt sich <strong>nach</strong> Paris. Bei einem Turnier im August 1186 gerät er<br />
unter die Hufe eines Streitrosses und stirbt an den Folgen.<br />
Im Frühjahr 1187 fordert König Philipp die Herausgabe nordfranzösischer Territorien und die<br />
Erfüllung des Heiratsversprechens. Philipps Schwester Alice befindet sich seit fast zwanzig Jahren in<br />
Heinrichs Obhut. Gerüchte besagen, der König hätte sie entjungfert. Im Juni 1187 stehen sich vor<br />
Châteauroux zwei große Armeen gegenüber. Heinrich und Richard auf der einen Seite, König Philipp<br />
auf der anderen. Es geht nicht um Alice, sondern wie immer um Burgen und Äcker. Auch die Schlacht<br />
von Châteauroux findet nicht statt. Das Risiko ist beiden Seiten zu hoch, man verhandelt und schließt,<br />
wie schon so oft, einen Waffenstillstand.<br />
Ein päpstlicher Legat ist auch dabei und erinnert Heinrich an sein altes Versprechen, einen Kreuzzug<br />
zu unternehmen. Saladin bedränge die Christen in Palästina, lässt der Papst ausrichten, und die<br />
Feudalherren sollten lieber Heiden bekämpfen, statt in Europa Ländereien zu verwüsten.<br />
Nach der Konferenz begibt sich Richard mit Philipp <strong>nach</strong> Paris. Warum, bleibt ein Rätsel.<br />
Richard benutzt das Geld, um seine Burgen in Aquitanien zu befestigen. Aber plötzlich unterwirft sich<br />
Richard aus ebenfalls nicht erkennbaren Gründen wieder seinem Vater.<br />
Etwa zur gleichen Zeit wird das Heer des Königreichs Jerusalem bei Hattin vernichtet. Als die<br />
Nachrichten im Herbst 1187 eintreffen, gelobt Richard in der Kathedrale von Tours die Kreuzfahrt.<br />
Sein Sinn für Symbolik zeigt sich erneut: Er ist von den großen Fürsten der erste, der das Kreuz<br />
nimmt. Ende 1188 bricht Philipp den Waffenstillstand und belagert die Festung Gisors, die als Mitgift<br />
für Alice gedacht war. Philipp sieht <strong>nach</strong> Richards Kreuznahme keine Chance mehr für die Ehe und<br />
fordert Gisors zurück. Wieder kommt es nicht zum Kampf.<br />
Bei den Verhandlungen zwischen Heinrich und Philipp steht plötzlich Jerusalem im Vordergrund. Der<br />
Bischof von Tyrus war angereist und hält eine bewegende Predigt. Beide Könige nehmen das Kreuz.<br />
Sie handeln unter dem Druck der öffentlichen Meinung. Der Fall Jerusalems hatte die<br />
Kreuzzugspropaganda wiederbelebt.<br />
Die Könige denken noch nicht an den Aufbruch. Im Herbst 1188 marschieren Heinrich und Richard in<br />
Richtung Paris gegen Philipp. Wieder herrscht Krieg wegen strittiger Besitzrechte. Bei Pacy-sur-Eure<br />
kreuzt Richard mit dem besten Ritter Philipps die Waffen. Niemand kommt zu Schaden und beide<br />
bezichtigen sich hinterher gegenseitig, beim Kampf gemogelt zu haben. Rittergeschichten dieser Art<br />
liebten die Leute. Der Krieg wird aber nicht <strong>nach</strong> ritterlichen Regeln geführt. Heinrichs Söldner<br />
plündern auf dem Gebiet des französischen Königs.<br />
Im Oktober 1188 verhandeln Heinrich, Richard und Philipp in Châtillon-sur-Indre erneut über einen<br />
Frieden. Es kommt zum Streit zwischen Vater und Sohn. Heinrich weigert sich, Richard als Erben<br />
einzusetzen. Im Gegenzug huldigt Richard dem französischen König und erkennt dessen<br />
Oberherrschaft über den kontinentalen Besitz der Familie an. Der Krieg geht weiter. Richard kämpft<br />
nun an der Seite Philipps gegen seinen Vater. Mehrfach treffen sich die Kontrahenten zu<br />
Verhandlungen, aber selbst ein eigens angereister Legat des Papstes vermag keinen Frieden zu<br />
stiften.<br />
Im Juni 1189 befindet sich Heinrich auf der Flucht vor Richards Söldnern und gerät beinahe in<br />
Gefangenschaft. Im Juli ist es dann soweit. Bei den Verhandlungen Anfang Juli 1189 in Ballon muss<br />
Heinrich <strong>nach</strong>geben. Richard soll die englische Krone erben und <strong>nach</strong> dem Kreuzzug doch noch Alice,<br />
die Schwester Philipps, heiraten. Der Beginn des Kreuzzuges von Richard und Philipp wird auf das<br />
Frühjahr 1190 festgelegt.<br />
Heinrich II. ist krank und stirbt im Juli 1189, ohne sich mit Richard versöhnt zu haben. Seine Leiche<br />
wird in der Abteikirche von Fontevrault beigesetzt. Richard besucht kurz darauf die Grabstätte ohne<br />
Anzeichen einer Bewegung. England verdankt Heinrich die Ursprünge der modernen<br />
Finanzverwaltung. Aber das ist kein Stoff für Legenden.<br />
Am 13. September 1189 wird Richard in Westminster Abbey zum englischen König gekrönt und<br />
gesalbt.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 55
Die Londoner sind freudig erregt, die Kreuzzugsstimmung tut das Übrige. Während der Feier entsteht<br />
ein Tumult vor dem Palast, der in heftige Angriffe auf das jüdische Viertel mündet. Der Chronist<br />
Richard von Devizes:<br />
Die Besatzung des Towers, für Ruhe und Ordnung verantwortlich, greift nicht ein. Die Juden standen<br />
eigentlich unter dem Schutz des Königs. Richard ist empört, weil die Juden treue Steuerzahler sind.<br />
Warum er das Pogrom nicht verhindern konnte, ist nicht bekannt.<br />
Zur Finanzierung des Kreuzzuges verkauft Richard alles, was sich zu Geld machen lässt. Richard von<br />
Devizes:<br />
Richard braucht das Geld vor allem für Schiffe, die er in allen Häfen requirieren lässt. Er zahlt einen<br />
Teil der Kaufsumme, den Rest muss ein reicher Beamter, Bürger oder Feudalherr aufbringen. Richard<br />
von Devizes schildert die Flotte:<br />
Die Verwaltung des Landes übergibt Richard dem Kanzler William Longchamp. Viele Engländer<br />
dürften aufgeatmet haben, als er schließlich abreiste. Immerhin hatte Richard in kurzer Zeit das<br />
Steueraufkommen mehrerer Jahre eingezogen. Philipp und Richard treffen sich im März 1190 in<br />
Nonancourt. Es ist klar, dass keiner ohne den anderen reisen würde. Man weiß, was man<br />
voneinander zu erwarten hat. Philipp und Richard beeiden mit ihren Baronen ausdrücklich, das Gebiet<br />
des anderen während der Kreuzfahrt nicht anzutasten sondern zu schützen. In den nächsten Monaten<br />
regelt Richard die Verwaltung des kontinentalen Familienbesitzes Um die Südflanke zu sichern, wird<br />
eine Ehe mit Berengaria, der Tochter des Königs von Navarra ins Auge gefasst. Richards Bruder<br />
Johann muss schwören, drei Jahre lang nicht <strong>nach</strong> England zu reisen. Im Sommer 1190 sind<br />
Richards Vorbereitungen für die Kreuzfahrt abgeschlossen. Am 2 Juli versammeln sich beide Heere<br />
vor Vézelay. Der Augenzeuge und Chronist Ambroise reimt:<br />
Vor Vézelay, zwischen Bergen zwar,<br />
Beherbergt Gott die eigene Schar.<br />
Im Weinberg und im Felde offen,<br />
Schläft mancher Mutter Sohn und Hoffen.<br />
Und jeder legt in Gottes Hand,<br />
Frau und Kinder und sein Land.<br />
Versetzten auch die ganze Habe<br />
Und kauften dafür Gottes Gnade.”<br />
Von Vézelay war ein halbes Jahrhundert früher Philipps Vater, Ludwig VII., zum zweiten Kreuzzug<br />
aufgebrochen. Diesmal haben sich wenig Kreuzfahrer eingefunden, dafür ist der Anteil der<br />
Bewaffneten größer. Wie Friedrich Barbarossa planen auch Richard und Philipp eine Militärexpedition.<br />
Bernhard von Clairvaux hatte rund vierzig Jahre vorher ideelle Ziele gepredigt und himmlischen Lohn<br />
versprochen. Diesmal wirken viele Söldner mit, weil sie von den Königen bezahlt werden und Richard<br />
und Philipp bewegt nicht die Vorstellung, die „Welt“ von Heiden zu befreien. Sie sind in Vézelay damit<br />
beschäftigt, alle Eroberungen und die erwartete Beute zu teilen.<br />
Beide Heere brechen getrennt <strong>nach</strong> Süden auf.<br />
Richards Aufgebot kommt Ende Juli 1190 in Marseille an. Seine Flotte, <strong>nach</strong> Robert von Devizes<br />
mehr als hundert Schiffe, ist noch nicht eingetroffen. Die Kreuzfahrer waren in Lissabon aufgehalten<br />
worden. Mehrere hundert Mann hatten in der Stadt geplündert und Frauen geschändet, so dass sich<br />
der König von Portugal gezwungen sah, sie zu verhaften. Richard hat keine Lust, in Marseille zu<br />
warten und bricht in gemieteten Schiffen <strong>nach</strong> Messina auf. Er geht mehrfach an Land, da er<br />
Seereisen nicht mag.<br />
Im September 1190 erreicht Richard Messina auf Sizilien. Philipp, der sich in Genua einige Schiffe<br />
gemietet hatte, ist schon da und wohnt in einem Stadtpalast. Auch Richards Flotte ist inzwischen<br />
eingetroffen.<br />
Richard herrscht über Sizilien, kümmert sich um seine Verwandtschaft und um die Aufbesserung<br />
seiner Kasse. Im November 1189 war König Wilhelm II. von Sizilien gestorben. Die Witwe, die er<br />
hinterlassen hatte, ist Richards Schwester Johanna. Die Ehe zwischen Wilhelm und Johanna war<br />
kinderlos geblieben. Daher steht Konstanze, die Tante Willhelms, in der Erbfolge vorn. Dieser<br />
Umstand ist von einiger Tragweite, da Konstanze mit Heinrich, dem ältesten Sohn Kaiser Friedrichs,<br />
verehelicht ist. Die Sizilianer waren von der Idee einer Staufischen Fremdherrschaft wenig begeistert<br />
und hatten gemeinsam mit Papst Clemens III. einen entfernten Verwandten namens Tankred zum<br />
König erhoben.<br />
Richard verlangt von Tankred die Herausgabe von Wertsachen, die Wilhelm Heinrich II. vermacht<br />
hatte. Es handelte sich um einen vier Meter langen goldenen Tisch, ein großes Zelt aus Seide,<br />
goldene Becher und Platten und mehrere Schiffsladungen Getreide und Wein.<br />
Richard bleibt nicht untätig. Er erobert ein Kloster auf einer Insel vor Messina.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 56
Nach weiteren Zwischenfällen führt Richard einen Angriff auf Messina an. Nach heftigen Kämpfen fällt<br />
die Stadt. Richard lässt seine Fahnen über Messina aufziehen und nimmt Geiseln. Nachdem Tankred<br />
sie mit Gold ausgelöst hat, wird ein Waffenstillstand geschlossen. Das Wesentliche ist geregelt, aber<br />
Winterstürme verhindern die Weiterreise. Das Glücksspiel nimmt solche Ausmaße an, dass einfachen<br />
Soldaten und Matrosen das Würfeln verboten wird. Kleriker und Ritter dürfen zwanzig Schillinge am<br />
Tag verspielen. Die Kreuzfahrer verbringen ein halbes Jahr in Messina.<br />
Im Frühjahr wird bekannt, dass Eleonore eine neue Braut für Richard <strong>nach</strong> Messina bringen wird:<br />
Berengaria, die Tochter des Königs von Navarra. Philipp ist empört, denn seine Schwester Alice<br />
wartet ja noch immer auf Richard.<br />
Richard bringt vor, sein Vater Heinrich habe mit seiner Verlobten geschlafen und eine Ehe mit der<br />
entehrten Alice käme nicht in Frage. Philipp kann sich gegen diese Beleidigung nicht zu Wehr setzen.<br />
Er löst gegen Bargeld den Ehevertrag und segelt <strong>nach</strong> Palästina ab. Im April treffen Eleonore und<br />
Berengaria in Messina ein. Weil die Zeit drängt, wird die Hochzeit verschoben. Eleonore kehrt <strong>nach</strong><br />
England zurück und Richards Flotte bricht nun ebenfalls <strong>nach</strong> Palästina auf. Berengaria reist mit.<br />
Ein Sturm treibt die Flotte auseinander. Richard bleibt ein paar Tage auf Rhodos, um sich von der<br />
Seekrankheit zu erholen. Drei Schiffe werden <strong>nach</strong> <strong>Zypern</strong> abgetrieben. Zwei von ihnen stranden<br />
Ende April 1191 an der Südküste, das dritte, mit Johanna und Berengaria an Bord, ankert vor<br />
Limassol. Die einheimischen Griechen eignen sich die Wertsachen der gestrandeten Kreuzfahrer an<br />
und nehmen die Überlebenden gefangen. Eine Sitte, die übrigens auch in England herrschte. Es<br />
kommt zum Kampf, beide Seiten beklagen Verluste. <strong>Zypern</strong> gehörte zum byzantinischen Reich. Der<br />
Statthalter Isaak hatte aber die Macht illegal an sich gerissen. Dieser Umstand und die<br />
Gefangennahme der gestrandeten Kreuzfahrer kommen Richards Absicht entgegen, die Insel zu<br />
erobern.<br />
Am 8. Mai 1191 nähert sich die englische Flotte der Küste bei Limassol. <strong>Zypern</strong> hat sich von dem<br />
Raubzug Rainalds von Châtillon wieder erholt und ist von großer strategischer Bedeutung für die<br />
Belagerer von Akkon. Richard verfügt über eine selten große und teure Streitmacht. Ein klarer Fall für<br />
das Recht des Stärkeren. Der Angriff erfolgte wahrscheinlich in Amathous, östlich des heutigen<br />
Limassol. Da die Stadt an der Seeseite nicht befestigt ist, haben die Bewohner beim Nahen der Flotte<br />
am Strand Barrikaden errichtet. Richard von Devizes:<br />
„Der König, in seiner Rüstung, sprang als erster vom Schiff und schlug den ersten Schwertstreich,<br />
aber bevor er den zweiten schlagen konnte, waren Dreitausend auf seiner Seite und schlugen sich mit<br />
ihm. Schnell hatten sie das Holz im Hafen weggeräumt. Die kräftigen Männer eilten <strong>nach</strong> oben in die<br />
Stadt und waren nicht sanfter als die Löwinnen, denen man das Junge weggenommen hat. Die<br />
Verteidiger kämpften tapfer gegen sie. Die Verwundeten fielen auf dieser Seite und auf jener. Die<br />
Schwerter auf beiden Seiten waren trunken vom Blut. Die Zyprioten wurden bezwungen, die Stadt und<br />
Burg wurden genommen. Die Sieger nahmen sich, was ihnen gefiel. Der Herr der Insel wurde<br />
gefangen und vor den König gebracht. Er bat um Verzeihung, die im gewährt wurde. Er huldigte dem<br />
König...”<br />
Der Statthalter Isaak Kommenos denkt nicht daran, Richard als Oberherrn der Insel zu akzeptieren.<br />
Kaum ist er frei, fordert er Richard auf, die Insel zu verlassen. Inzwischen treffen König Guido von<br />
Lusignan, der Fürst von Antiochia, Gesandte der Templer und einige mit Guido verbündete Barone in<br />
<strong>Zypern</strong> ein. König Philipp ist inzwischen vor Akkon eingetroffen und hat die Partei Konrads von<br />
Montferrant ergriffen. Die Delegation unter Guido hofft auf die Unterstützung des englischen Königs.<br />
Unter den Baronen befanden sich Verwandte von Richards Vasallen. Richard setzt also auf die Karte<br />
Guidos und befindet sich damit im Lager der Gegner König Philipps und Konrads. Die Verhältnisse<br />
pendeln sich <strong>nach</strong> heimatlichen Mustern ein.<br />
Richard nutzt die Verstärkung durch die Ankömmlinge, um einen Feldzug gegen Isaak zu<br />
unternehmen. In mehreren Gefechten werden die Streitkräfte Isaaks niedergeworfen. Isaak ergibt<br />
sich, <strong>nach</strong>dem Richard ihm versprochen hat, ihn nicht in Eisen zu legen. Richard hält sein Wort: Isaak<br />
wird in silberne Ketten gelegt. In den Küstenstädten erhebt Richard sogleich eine Besitzsteuer von<br />
fünfzig Prozent. Auch der Ertrag für Richards Legende ist nicht schlecht: Seine Attacke am Strand und<br />
die List mit den silbernen Ketten machen bald die Runde. Richard heiratet auf <strong>Zypern</strong>. Nach der<br />
Überlieferung soll er in der Georgskapelle der Burg getraut worden sein. Die Ehe mit Berengaria war<br />
dynastisch gesehen nicht ertragreich: Sie blieb kinderlos. Richard verliert bald das Interesse an seiner<br />
Gattin…<br />
Richard wird <strong>Zypern</strong> bald für hunderttausend Goldstücke an den Templerorden verkaufen.<br />
Vierzigtausend Goldstücke können die Templer anzahlen. Aber auch für den reichen Orden ist die<br />
Restsumme nicht leicht aufzubringen. Die Templer errichten Burgen und versuchen, das Geld aus der<br />
Bevölkerung zu pressen. Sie ersticken in Nikosia einen Aufstand in einem Blutbad. Die geldgierigen<br />
Barone mit dem lateinischen Ritus bleiben für die meisten griechisch-orthodoxen Einheimischen<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 57
fremde Herren. Als es zu weiteren Aufständen kommt, wollen die Templer die Insel wieder loswerden.<br />
Nach einer schwierigen Finanztransaktion vergibt Richard <strong>Zypern</strong> dann an König Guido von Lusignan.<br />
<strong>Zypern</strong> bleibt rund dreihundert Jahre im Besitz europäischer Feudalherren.<br />
Der Chronist Neophytus von <strong>Zypern</strong> schreibt über Richard:<br />
„Der Engländer plünderte das Land aus und segelte <strong>nach</strong> Jerusalem, dabei hinterließ er Vasallen, die<br />
weiter raubten und ihm die Beute <strong>nach</strong>sandten. Er erreichte nichts, der Sünder, der er war, gegen den<br />
Mitsünder Saladin, er erreichte nichts als den Verkauf von <strong>Zypern</strong> an die Lateiner... Groß war die<br />
Klage und unerträglich die Düsternis, die von Norden kam, wie es prophezeit war.”<br />
Wie es mit Richard weiterging, ist noch eine lange Geschichte. Sein Name wird im Zusammenhang<br />
mit <strong>Zypern</strong> nicht mehr erwähnt, höchstens noch einmal, als er im April 1192 dem Guido von Lusignan<br />
es ermöglicht, den Templern die Insel <strong>Zypern</strong> abzukaufen.<br />
Er zieht mit seinen 25 Schiffen in die Schlacht <strong>nach</strong> Akkon, das <strong>nach</strong> blutigen Kämpfen am 12. Juli<br />
1191 erobert wird. Als sein Gegner Saladin nicht rechtzeitig Lösegeld herbeischafft, lässt Richard am<br />
20. August 1191 ein entsetzliches Blutbad anrichten, bei dem 2700 muslimische Männer, Frauen und<br />
Kinder hingemeuchelt werden.<br />
Zwei Tage <strong>nach</strong> dem Massaker bricht Richard mit seinem Heer <strong>nach</strong> Jerusalem auf. Von einer<br />
Belagerung dieser Stadt sieht er wegen hereinbrechenden Winters ab und bläst im Oktober 1192<br />
zum Rückzug übers Meer. Sein weiterer Weg ist genauso abenteuerlich wie der vorige, aber im<br />
Zusammenhang mit <strong>Zypern</strong> nicht mehr interessant.<br />
Dennoch will ich der Vollständigkeit halber seinen Weg bis an sein Ende <strong>nach</strong>zeichnen:<br />
Richard unternimmt noch einen vergeblichen Vorstoß auf Jerusalem und Saladin scheitert bei dem<br />
Versuch, Jaffa zu erobern. Ende August 1192 wird deutlich, dass keine Seite in der Lage ist, eine<br />
Entscheidung zu erzwingen. Richard schließt mit Saladin einen Waffenstillstand über fünf Jahre. Die<br />
eroberten Küstenstädte bleiben im Besitz der Christen, nur Askalon muss niedergerissen werden.<br />
Pilgern wird der freie Zugang zu den heiligen Stätten in Jerusalem garantiert. Vor Saladins Gesandten<br />
müssen die Barone des Königreichs die Einhaltung des Vertrags beschwören.<br />
Anfang Oktober 1192 tritt Richard von Akkon aus die Heimreise an. Sein Ziel, die Eroberung<br />
Jerusalems, hat er nicht erreicht. Dass ein Küstenstreifen Palästinas wieder in christlicher Hand ist,<br />
kann er sich als Verdienst anrechnen. Seine Heimreise verläuft abenteuerlich, aber wenig glücklich.<br />
Eine Landung in Südfrankreich oder Italien will Richard offenbar vermeiden. Die Winterstürme lassen<br />
eine möglichst kurze Seereise ratsam erscheinen. Richard verlässt auf Korfu sein Schiff, segelt mit<br />
gemieteten Booten an der dalmatinischen Küste entlang und landet schließlich mit wenigen Begleitern<br />
nahe bei Venedig. Von dort aus nimmt er den Landweg in Richtung Wien.<br />
Er befindet sich nun auf dem Gebiet Leopolds von Osterreich, den er sich in Akkon zum Feind<br />
gemacht hat. Richard reist in der Verkleidung eines einfachen Pilgers. Die Berichte sind legendär<br />
gefärbt. Sein Talent als Mime reicht offenbar nicht aus, um einen Mann aus dem Volk zu spielen. In<br />
der Chronik »Itinerarium Regis Ricardi« wird beschrieben, wie Richard als König auftrat.<br />
Richard wird Ende Dezember 1192 gefangen genommen, wahrscheinlich in einem Gasthaus bei<br />
Wien. Die Chronisten vermuten, Richard habe zuviel Geld ausgegeben. Die Schergen, die ihn dingfest<br />
machen, ahnen die Folgen nicht. Die Verhaftung verändert die Machtverhältnisse in Europa.<br />
Leopold von Osterreich lässt Richard auf die Burg Dürnstein bringen. Es steht schlecht um ihn.<br />
Richards Gegner hatten üble Nachrede in Europa verbreiten lassen: Richard habe Philipp verraten,<br />
mit Saladin paktiert und Konrad von Montferrat ermorden lassen. Leopold meldet dem Staufer<br />
Heinrich, inzwischen Kaiser Heinrich VI., den wertvollen Fang.<br />
Ein gewaltiges politisches Geschäft läuft an, während Richard in sein Gefängnis auf Dürnstein<br />
gebracht wird. Dass der treue Sänger Blondel Richard hier <strong>nach</strong> langer Suche gefunden habe, wird<br />
von den zeitgenössischen Chronisten nicht vermerkt. Diese Legende ist später entstanden.<br />
Im Februar 1193 nimmt Leopold Richard mit <strong>nach</strong> Regensburg, um mit Kaiser Heinrich VI. den Preis<br />
für die Übergabe zu verhandeln. Da Leopold befürchtet, die Kaiserlichen könnten sich Richards<br />
unentgeltlich bemächtigen, schickt er ihn zurück <strong>nach</strong> Dürnstein. Der Preis für den kostbaren<br />
Gefangenen wird auf hunderttausend Mark festgesetzt. Außerdem soll Richard mit fünfzig Schiffen<br />
und zweihundert Rittern Kaiser Heinrich bei der Eroberung Siziliens beistehen. Das war auch für einen<br />
König ziemlich viel.<br />
Im März 1193 hält Kaiser Heinrich in Speyer Gericht über Richard. Er wird angeklagt, durch den<br />
Vertrag mit Saladin das Königreich Jerusalem verraten zu haben. Weiterhin wird ihm unterstellt, er<br />
habe den Mord an Konrad von Montferrat angestiftet. Richard weist die Anschuldigungen zurück. Die<br />
Art und Weise, wie er das tut, beeindruckt den Kaiser.<br />
Heinrich VI. lässt die Anschuldigungen fallen, lobt Richards Taten und gibt ihm den Friedenskuss. Der<br />
Freispruch hat keineswegs Richards Entlassung zur Folge. Der Kaiser setzt das Lösegeld auf<br />
einhundertfünfzigtausend Mark fest. In England wird eine Einkommensteuer von fünfundzwanzig<br />
Prozent erhoben, um Richard loszukaufen.<br />
Richard, als Kreuzfahrer eigentlich unantastbar, bleibt weiter in Haft.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 58
Der Papst hat inzwischen Leopold von Osterreich exkommuniziert, aber das macht auf Richards<br />
Feinde wenig Eindruck. Sein mächtigster Feind, König Philipp von Frankreich, bietet Kaiser Heinrich<br />
die gleiche Summe für Richard oder hunderttausend Mark für die Verschiebung der Freilassung.<br />
Philipp hat sich mit Richards Bruder Johann verbündet. Sie sind dabei, sich die Besitzungen Richards<br />
anzueignen und wollen Zeit gewinnen. Richard wird im März auf die staufische Burg Trifels gebracht.<br />
Es ist noch kein Geld aus England eingetroffen. Richard soll im Gefängnis ein Gedicht geschrieben<br />
haben:<br />
„Schwach sind die Worte, und die Zunge stockt dem Häftling, seinen Schmerz zu klagen. Doch mag<br />
dies Lied ihm Linderung verschaffen. Der Freunde hab' ich viel, doch schmal sind ihre Gaben. Die<br />
Schande soll sie treffen, wenn nicht ausgelöst ich hier zwei Winter bleibe.“<br />
Doch die englischen Steuerzahler sind schon dabei, das Geld für seine Auslösung aufzubringen. Aus<br />
dem Gefängnis heraus wird Richard diplomatisch aktiv und vermittelt zwischen Heinrich VI. und<br />
dessen Erzfeind Heinrich dem Löwen. Schließlich lehnt Heinrich es ab, Richard an Philipp<br />
auszuliefern. Richards Schicksal hängt nur noch von den Fähigkeiten des englischen Fiskus ab. Mit<br />
seinen Bewachern soll Richard auf Burg Trifels eifrig gescherzt und getrunken haben, bis sie unter<br />
dem Tisch lagen. Nichts von dem, was einen Mann zum Manne macht, fehlt in seiner Legende.<br />
Nach einem Fürstentag in Mainz im Februar 1994 ist es soweit. Zwei Drittel des Lösegeldes sind<br />
eingegangen und für den Rest stellt Richard Geiseln. Die Transaktion in Mainz sollte weltpolitische<br />
Folgen haben. Kaiser Heinrich VI. finanzierte mit dem Geld der englischen Steuerzahler die<br />
Eroberung Siziliens. Und so kam es, dass Heinrichs Sohn, Kaiser Friedrich II., später im Süden<br />
Italiens regieren konnte. Richard erkennt den Kaiser als seinen obersten Lehnsherren an und<br />
empfängt dafür England als Lehen. Diese Huldigung bleibt allerdings eine Formsache. Nach rund<br />
vierzehn Monaten Haft wird Richard entlassen und landet im März 1994 in Sandwich. Die Rebellion<br />
seines Bruders Johann war schon mit der Nachricht von Richards Freilassung zusammengebrochen.<br />
Kirche, Adel und Beamte hatten in der Mehrzahl Richard die Treue gehalten und gezahlt. In der<br />
Kathedrale von Canterbury dankt er Gott für seine Rückkehr. Das Osterfest nutzt Richard für eine<br />
politische Demonstration: Vor allen Fürsten zeigt er sich mit seiner Mutter in Westminster Abbey. Er<br />
trägt alle Insignien der Macht. Er ist wieder da, bleibt aber nicht lange.<br />
Richard landet im Mai 1994 in Barfleur in Frankreich. Er wird von Söldnern begleitet und mustert<br />
weitere an. Englands Steuerzahler hatten noch einmal bluten müssen. Richard fängt an, wo er vor der<br />
Kreuzfahrt aufgehört hat: Er verteidigt den Familienbesitz gegen den König von Frankreich. Philipp<br />
hatte die Abwesenheit vertragswidrig genutzt, um in der Normandie vorzurücken und belagert<br />
Verneuil. Nachdem Richards Truppen die Belagerer vertrieben haben, erscheint Johann vor Richard,<br />
wirft sich auf den Boden und bittet um Verzeihung. Richard soll sie mit den Worten gewährt haben:<br />
„Du warst ein Kind und bist in schlechte Gesellschaft geraten.”<br />
Der Krieg geht mit gelegentlichen Unterbrechungen weiter. Richard entlässt Alice bei einer<br />
Friedenskonferenz im August 1195 aus dem Gewahrsam der englischen Krone. Sechsundzwanzig<br />
Jahre <strong>nach</strong> ihrer Verlobung mit Richard kann Alice nun einen französischen Grafen heiraten. König<br />
Philipp unterstützt immer wieder Rebellionen gegen Richard im Süden Frankreichs. Bei einem<br />
Aufstand des Vizegrafen von Limoges belagern Richards Söldner im März 1199 die Burg Chalus. In<br />
der Burg sind nur vierzig Männer und Frauen. Am Abend will sich Richard noch einmal umsehen.<br />
Dabei trifft ihn ein Armbrustschütze namens Bertram in die Schulter. Kurz darauf erobern Richards<br />
Söldner die Burg und bringen die Besatzung um.<br />
Nur der Schütze bleibt am Leben. Richards Verletzung ist tödlich.<br />
Der Chronist Wilhelm von Newburgh berichtet:<br />
„Als der König die Hoffnung auf sein Überleben aufgab, übertrug er seinem Bruder Johann die<br />
Herrschaft über England und seine ganzen anderen Gebiete. Er veranlasste, dass dem genannten<br />
Johann von den Anwesenden Treueide geleistet würden und befahl, dass ihm seine Burgen<br />
übertragen würden. Seinem Neffen Otto vermachte er drei Viertel seines Schatzes und sein<br />
Geschmeide und ordnete an, dass das vierte Viertel an seine Diener und die Armen übergeben<br />
würde. Als darauf der genannte Bertram vor den Königgerufen wurde, sprach dieser zu ihm: »Was<br />
habe ich dir Übles getan, warum hast du mich getötet? Jener antwortete: »Du hast mit eigener Hand<br />
meinen Vater und meine zwei Brüder getötet und wolltest mich selbst umbringen. Nimm also an mir<br />
die Rache, die du dir ausgedacht hast. Es bereitet mir keine Sorge, sofern du nur stirbst, weil du der<br />
Welt soviel angetan hast. « Da befahl der König, ihn als freien Mann gehen zu lassen und ihm<br />
einhundert Schillinge in Silber zu geben. Aber der Vasall Mercadeus ergriff ihn ohne Wissen des<br />
Königs und hängte ihn <strong>nach</strong> dem Tod des Königs auf. Vorher hatte er ihm die Haut abziehen lassen...<br />
Über den Tod des Königs wurde gesagt: »In diesem Tod vernichtet die Ameise den Löwen. Oh<br />
Schmerz, bei einem solchen Leichenbegängnis verdunkelt sich die Welt.”<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 59
Richard starb, weil er sich wieder einmal zu weit <strong>nach</strong> vorn<br />
begeben hatte. Sein ständiger Aufenthalt im Kampfgetümmel<br />
war staatsmännisch unklug, hat aber seine Legende dauerhaft<br />
gefördert. Seine Kreuzfahrt wurde in den Heldenepen<br />
besungen, politisch hat sie ihm nichts genützt. Richards<br />
Eingeweide wurden in Chalus bestattet, sein Herz in der<br />
Kathedrale von Rouen. Was sonst noch blieb, wurde neben<br />
seinem Vater in der Klosterkirche von Fontevrault bestattet,<br />
also in Frankreich.<br />
Keinen seiner großen Feinde hat Richard Löwenherz besiegt.<br />
Und doch ist der englische König, der fast nie in England war,<br />
einer der ganz Großen der Legende. Die symbolischen<br />
Gesten, sein mutiger Einsatz in der vordersten Linie waren<br />
<strong>nach</strong> dem Geschmack seiner Zeit. Einige Zeitgenossen haben<br />
Richard Grausamkeit und Geldgier vorgeworfen. Andere<br />
betonen seinen Sinn für Humor und Poesie. Seine Feldzüge<br />
und seine Freiheit haben seine Steuerzahler ermöglichen<br />
müssen. Den Beinamen Coeur de Lion, Löwenherz, verdankt<br />
Richard sich selbst und der Begegnung mit Saladin, die mit<br />
einem Unentschieden endete.<br />
Richard Löwenherz<br />
Sarkophag in Fontevrault<br />
Alles das ging mir auch durch den Kopf, als ich wie der Blitz im Kastell von Limassol raste,<br />
schon um die anderen nicht solange warten zu lassen. Antonio erwähnte von Löwenherz<br />
nichts.<br />
Wir trotteten nun noch ein Weilchen durch die recht unattraktive Altstadt. Alte<br />
Handwerksläden und moderne Einkaufshallen lagen beieinander. Auf dem Stadtplan ist zu<br />
erkennen, dass die östlichen Ausläufer der Stadt beinahe die Ruinen von Amathous<br />
erreichen. Auf dem Ruinengelände sollen noch Reste der Stadtmauer dieses alten<br />
Stadtstaates, ein Nymphäum 37 und die rekonstruierte Agora 38 und Reste einer<br />
Brunnenanlage. Es gibt auch etliche Kirchen in der Stadt; vor einer blieben wir kurz stehen.<br />
Ich hatte aber noch solche Wut auf mich selbst wegen des kaputten Fotoapparates, dass ich<br />
Antonios Ausführungen nicht zuhörte. Durch eine belebte Nebenstraße liefen wir noch, und<br />
schon standen wir als Häufle am Rande des Strand- Boulevards und warteten auf den Bus.<br />
XI. Lefkara und Wachsfiguren<br />
G<br />
ut 50 km sind es ostwärts, größtenteils wieder<br />
zurück, auf der Autobahn A1 und noch ein<br />
Stück <strong>nach</strong> Norden in die Berge, als wir in<br />
Pano- Lefkara anlangen. Es gibt auch noch ein Kato-<br />
Lefakra, das liegt unterhalb davon. Pano heißt oben.<br />
Dieses verträumte Städtchen ist das zyprische<br />
Zentrum für textile Spitzenerzeugnisse und<br />
Silberschmiedearbeiten. Ich hatte während der Fahrt<br />
im Baedeker <strong>nach</strong>gelesen, dass es ein<br />
Wachsfigurenmuseum gibt. Das wollte ich mir<br />
ansehen, statt in der Hitze im Ort umherzulaufen,<br />
zumal ich keine Absicht hatte, Spitze zu kaufen. Der<br />
Bus hielt direkt vor dem Museum und entließ mich<br />
der Sorge, es lange suchen zu müssen.<br />
37<br />
Nymphäum, [das, Mehrzahl Nymphäen; griechisch] Nymphaion, in der griechischen Antike ein Heiligtum<br />
der Nymphen, meist eine Grotte; auch römische und besonders moderne Bezeichnung für die in der römischen<br />
Kaiserzeit in den Städten üblichen Brunnenanlagen mit prunkvollen Fassaden und großen Wasserbecken.<br />
38<br />
Agora, [die; griechisch], ursprünglich „Versammlung“ des Heeres oder Volkes, sehr früh auch schon<br />
„Versammlungsort“; der Marktplatz altgriechischer Städte.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 60
Die Leute der <strong>Reise</strong>gruppe einschließlich Martina, die bei<br />
dem Wort Museum scheut, verkrümelten sich. Ich enterte die<br />
kleine Treppe, durchquerte eine stille menschenleere<br />
Kaffeestube und kam durch eine hintere Tür an den Eingang<br />
des Museums, der völlig verwaist schien. Aus einer gläsernen<br />
Vitrine schauten mich Männerköpfe an, abgetrennte Häupter,<br />
erste Muster aus Wachs, ein Mann bei der Arbeit, vor sich<br />
einen bärtigen Kopf, sicher der Meister im Selbstbild.<br />
Niemand war da, dem ich Tribut zollen musste. Also trat ich<br />
ein und musste die Augen erst einmal an das Halbdunkel<br />
gewöhnen. Dann wurden meine Augen immer größer, vor<br />
Staunen über meine Entdeckungen und dem Glück,<br />
unbehelligt Fotos machen zu dürfen, bin ich ganz aufgelöst.<br />
Ich lese Schilder, vergesse gleich wieder den Inhalt, oft fehlt<br />
mir der faktische Bezug.<br />
Ich sehe nur eins: Dieses Museum birgt eine meisterhafte Erinnerung in einzelnen Szenen<br />
und Bildern an verschiedene Epochen der Inselbevölkerung. Mehr als 150 menschliche<br />
Figuren sind ausgestellt. Sie sind in acht Themenbereichen angesiedelt. Jedes Thema<br />
behandelt, in chronologischer Reihenfolge, eine Grundsicht auf die historische und Kulturelle<br />
Vergangenheit der Insel. Ich „erlebe“ im gewissen Sinne die Geschichte <strong>Zypern</strong>s im<br />
Kurzdurchlauf. Natürlich sind manche Szenen auch durch die Brille dieses Ortes gesehen.<br />
Das Wachs eröffnet dem Künstler die Möglichkeit, auch äußerliche Feinheiten zu formen, so<br />
dass sich die dargestellten Erscheinungen kaum von ihren imaginären oder leibhaftigen<br />
Vorbildern unterscheiden.<br />
Da sind zuerst Menschen in festlichen Trachten, als Begrüßung, dahinter die Landkarte<br />
<strong>Zypern</strong>s mit der Lage des Ortes Lefkara am östlichen Rand des Troodos- Gebirges.<br />
Thema 1: Traditionelles Handwerk:<br />
Ich konnte nicht alles mit der Kamera aufnehmen. Das Halbdunkel erschwerte die Fotoarbeit.<br />
Ich hätte ein Stativ haben müssen.<br />
Ein Bild ist der bodenständigen Landwirtschaft in alten Zeiten gewidmet.<br />
Ein Bauer mit Holzpflug. Ein Joch für zwei<br />
Ochsen lehnt an der Wand, ein Bild zeigt seine<br />
Anwendung. Es ist die Zeit vor der Motorisierung.<br />
Lange liegt sie noch nicht zurück. Der hier im<br />
Städtchen hoch entwickelten Stickerei ist eine<br />
Szene gewidmet. Zwei Frauen sitzen in<br />
landesüblicher Kleidung mit Kopftuch und häkeln<br />
und sticken an den dünnfädigen Kunstwerken.<br />
Ein Konditor zeigt stolz auf seine gefertigten<br />
Süßigkeiten aus Mandeln, Nüssen und Zucker,<br />
eine zyprische Spezialität. Eine Dorfschule.<br />
Fischer sind bei der Arbeit im nächsten Bild. Man<br />
sieht sie beim Netze flicken und Fischkörbe<br />
flechten. Auch dem Alltag mit einer Szene im<br />
Kaffeehaus, dem Kafenίo, ist gedacht. Auf dem<br />
Tisch liegt das beliebte Back Gammon. Sie<br />
rauchen und trinken Kaffee, den der Wirt im<br />
Hintergrund aus einer Eigenbau- Konstruktion<br />
entnimmt. Das Radio im Hintergrund lässt auf die<br />
Zeit <strong>nach</strong> dem 2. Weltkrieg schließen. Ein<br />
Brautpaar in festlicher weißer Tracht steht vor<br />
dem Popen. An ihre Kleidung sind, einem alten<br />
Brauche gemäß, Geldscheine angehängt,<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 61
Hochzeitsgeld, das ihnen die ersten Anschaffungen erleichtert. Ein alter Backofen.<br />
Thema 2: Die prähistorische Zeit:<br />
Die Gewinnung von Kupfer vor allem in der Antike, aber auch bis in die jüngere Neuzeit, ist<br />
ein wichtiges Element des Inselreichtums, obwohl die kleinen Leute nichts davon hatten als<br />
Fronarbeit. Ein bärtiger Mann in weißem Kittel hockt auf einem Stein und schlägt Kupfererz<br />
in kleine Stücke. Hinter ihm brennt ein Schmelzofen.<br />
Thema 3: Königtum /Religion:<br />
Richard Löwenherz mit Frau Berengaria ist ein Bild gewidmet. Die Staffage ist grob. Über<br />
die historische Echtheit der Kostümierung lässt sich streiten. Ein daneben stehender Ritter<br />
weist in die kurze Zeit, da 1191/92 Löwenherz sich die Macht auf <strong>Zypern</strong> angeeignet hat.<br />
Stellvertretend für die westlichen Mächte England und Frankreich, siedelt er den katholischen<br />
Glauben auf <strong>Zypern</strong> an und verhilft dem Geschlecht der Lusignans 39 zu 300 Jahren Herrschaft<br />
auf der Insel.<br />
Zwei Mönche in weißen Kutten weisen auf die Begebenheit mit den 13 Mönchen in<br />
Kantara 40 um das Jahr 1231. <strong>Zypern</strong> wurde regiert durch das feudale System der Lusignans,<br />
welches das Volk und auch die griechisch orthodoxe Religion massiv unterdrückte. Die<br />
Lusignans glaubten, ihre Sprache, ihre Rechtsformen und ihre Kultur der Bevölkerung<br />
leichter aufzuzwingen, wenn sie die katholische Religion durchsetzen. Der orthodoxe Klerus<br />
der Insel wehrte sich inständig, und viele Kirchenleute wurden ins Exil verbannt. Der Gipfel<br />
der Unterdrückung wurde erreicht, als man im Jahre 1231 13 Mönche auf Kantara festsetzte,<br />
weil sie sich dem Dogma der katholischen Bischöfe widersetzten und ihre Bekehrung<br />
verweigerten. Drei Jahre lang wurden sie gefoltert, und als sie sich fortgesetzt weigerten, die<br />
Konfession zu wechseln, ordnete der Vatikan an, dass sie hingerichtet und als Strafe für ihre<br />
Ketzerei bei lebendigem Leibe verbrannt würden.<br />
Thema 4: Kampf um die Unabhängigkeit:<br />
Wie schon weiter vorn beschrieben, ist auch die Hinrichtung des Erzbischofs Kyprianos<br />
und seiner Getreuen <strong>nach</strong>geformt. Mit ergebenem, ins Jenseits gerichtetem Blick erwartet er<br />
seine Strangulation durch die türkischen Henker. Es war die Zeit der Enosis.<br />
Auch die britischen Kolonialherren hängen<br />
zypriotische Unabhängigkeitskämpfer.<br />
Die näheren Umstände auf allen Schildern<br />
<strong>nach</strong>zulesen, nahm ich mir nicht die Zeit.<br />
1878 besetzte Großbritannien (bei formeller<br />
Anerkennung der türkischen Oberhoheit) die<br />
Insel, 1914 annektierte es sie; 1925 wurde<br />
<strong>Zypern</strong> britische Kronkolonie.<br />
Thema 5: Türkische und englische Herrschaft:<br />
Eindrucksvolle Studien der von den<br />
Lebensgewohnheiten der konservativen<br />
englischen Oberschicht, die sie aus England<br />
mitbrachten, eisern daran festhielten und bis heute pflegen, werden in Wachsmodellen gezeigt,<br />
Bilder eines britischen Gouverneurs, aber auch eines inhaftierten Widerstandskämpfers in der<br />
Todeszelle, es ist alle so nah, so echt….Die Figuren blicken dich an, fordern dich auf…<br />
Ein Gang führt an den einzelnen Boxen vorbei. Er ist spärlich erleuchtet. Schon starke Lampen<br />
39<br />
Lusignan, [lyzi'njã], französisches Adelsgeschlecht aus dem Poitou, stellte Könige von Jerusalem (1179-<br />
1291), von <strong>Zypern</strong> (1192—1489) und von Kleinarmenien (1342—1375).<br />
40<br />
Kantara, (arab. Brücke, Bogen) Festungsruine aus dem 10. Jh. am Eingang zur Halbinsel Karpaz im Osten<br />
<strong>Zypern</strong>s (türkisch besetzt), östlichste der drei Festungen des Pentáktylosgebirges, die im Mittelalter zum Schutz<br />
der Insel errichtet wurden.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 62
würden viel Wärme erzeugen, schädlich für das konservierte Wachs. Wieder bin ich vom<br />
Zeitlimit bedrängt.<br />
Thema 6: Die zyprischen Kämpfer und ihr Opfermut:<br />
Eine Schießerei wurde gezeigt. Ein Camp wird gestürmt. Tote hängen im Stacheldraht. Ich<br />
kenne die Einzelheiten nicht.<br />
Seit 1955 führte die Untergrundorganisation EOKA unter G. Grivas einen Guerillakampf<br />
gegen die britische Kolonialmacht, die mit harten Repressalien antwortete. Gleichzeitig kam es<br />
zum Konflikt zwischen den interessierten Mächten: Großbritannien wünschte den Fortbestand<br />
des Kolonialstatus, Griechenland den Anschluss, die Türkei eine Teilung der Insel. 1959 wurde<br />
der Konflikt durch das Londoner Abkommen zunächst beigelegt: <strong>Zypern</strong> erhielt die<br />
Unabhängigkeit, die von den drei Mächten garantiert wurde. Für das Verhältnis der<br />
Nationalitäten wurde eine vorläufige Rechtsgrundlage geschaffen; Großbritannien wurden<br />
Militärstützpunkte zugestanden. Makarios wurde zum Staatspräsidenten gewählt. Am 16. 8.<br />
1960 erfolgte die Unabhängigkeitserklärung.<br />
Kennzeichnend für die Verfassung von 1960 blieb der institutionalisierte Dualismus von<br />
griechischer Mehrheit und türkischer Minderheit. Alle Staatsorgane wurden im Verhältnis<br />
70: 30 besetzt. Das aus 35 griechischen und 15 türkischen Abgeordneten bestehende<br />
Repräsentantenhaus wurde <strong>nach</strong> allgemeinem, gleichem, geheimem und direktem Wahlrecht<br />
bestellt, jedoch wählten beide Nationalitäten ihre Abgeordneten in gesonderten Wahlkreisen.<br />
Auch der griechische Präsident und der türkische Vizepräsident (F. Küçük) wurden getrennt<br />
gewählt. Als Makarios 1963 dieses System zugunsten der griechischen Mehrheit beseitigen<br />
wollte (Aufhebung des Proporzes bei Wahlen und Stellenbesetzungen), kam es zu blutigen<br />
Kämpfen zwischen den Volksgruppen. Die UN entsandten 1964 eine Sicherheitstruppe, die<br />
noch heute auf <strong>Zypern</strong> stationiert ist.<br />
In der 2. Hälfte der 1960er Jahre beruhigte sich die Lage, doch kam eine Verständigung trotz<br />
jahrelanger Verhandlungen nicht zustande. Inzwischen entstand bei Teilen der griechischen<br />
Zyprioten Missstimmung gegen Makarios, der die Enosis- Bewegung nur noch formell zu<br />
unterstützen schien. Seit 1972 trat die von Grivas († 1974) geführte EOKA wieder mit<br />
Terroranschlägen, jetzt gegen Regierungsmitglieder und Regierungseinrichtungen gerichtet, in<br />
Erscheinung. Gegen Makarios wandte sich auch ein Teil des Klerus.<br />
Am 15. 7. 1974 putschte dann die von griechischen Offizieren befehligte und von der<br />
Regierung Griechenlands gesteuerte Nationalgarde gegen Makarios. Makarios verließ<br />
vorübergehend das Land.<br />
Alles das haftet dieser Generation und auch ihren Kindern noch frisch im Gedächtnis.<br />
Themen 7 und 8: Türkische Invasion und gegenwärtige Geschichte der Teilung:<br />
Unter dem Eindruck eines drohenden Anschlusses der Insel an Griechenland landeten am 20.<br />
7. 1974 türkische Truppen und besetzten den Nordosten der Insel, rund 40% der Gesamtfläche.<br />
Es kam zu großen Bevölkerungsverschiebungen (Flucht, Vertreibung, Umsiedlung).<br />
1975 erklärte sich der türkische Teil zum „Föderativen türkisch-zypriotischen Staat“, dessen<br />
Präsident R. Denktasch wurde. Verhandlungen zwischen den Volksgruppen blieben<br />
ergebnislos, da die Griechen auf einem Einheitsstaat mit begrenzt autonomen Kantonen<br />
bestanden, während die Türken eine lose Föderation zweier weitgehend selbständiger Staaten<br />
forderten.<br />
Dieser Ausstellung muss man einfach mehr Zeit gönnen. Hier ist ansatzweise Geschichte,<br />
punktuell, optisch aus ihrem Dunkel herausgehoben worden. Die dargestellten Begebnisse<br />
hatten vor Ort für mich noch viele Fragezeichen. Kaum, dass ich einzelne Schlüsselereignisse<br />
erfahren habe- ich war noch fremd im Land. Ich begann gerade mich hinein zu denken. Heute<br />
weiß ich mehr. Lexika, mitgebrachte Prospekte, Internet- Recherchen und Bücher verrieten mir<br />
ihr Wissen, das ich jetzt versuche zusammenzufassen.<br />
Sehr drastisch, besonders bedrückend fand ich die Darstellungen von Märtyrern, Volkshelden,<br />
Kämpfern, Kirchenführern, Aufständischen und Rebellen in Kerker, Haft und vor der<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 63
Hinrichtung, die bis in die Einzelheiten <strong>nach</strong>gestellt waren. Kurz vor dem Ausgang glänzten im<br />
tadellosen Anzug zwei Präsidenten der Republik.<br />
Seit 1974 gaben oder nahmen sich das Zepter in die oder aus der Hand:<br />
• Präsident Glafkos Klerides (18. Juli 1974 bis 7. Dezember 1974 Interimspräsident)<br />
• Präsident Erzbischof Makarios III. (7.Dezember 1974 bis 3. August 1977 †)<br />
• Präsident Spyros Kyprianou (31. August 1977 bis 28. Februar 1988)<br />
• Präsident Georges Vassiliou (28. Februar 1988 bis 28. Februar 1993)<br />
• Präsident Glafkos Klerides (28. Februar 1993 bis 1. März 2003)<br />
• Präsident Tassos Papadopoulos (seit 1. März 2003)<br />
Am Ausgang kam ich mir wie ein kleiner Entdecker vor.<br />
<strong>Zypern</strong>s wechselvolle Geschichte war mir wieder ein wenig<br />
näher gerückt.<br />
Dann hatte ich noch 20 Minuten bis zum verabredeten<br />
Zeitpunkt, suchte Martina, fand sie in den wie ausgestorben<br />
scheinenden Straßen dieser Stickerei- Hochburg nicht und<br />
machte nun einen kleinen Rundgang. Zahllose Geschäfte mit<br />
textilen Angeboten lockten den Besucher zum Kauf von<br />
gehäkelten und bestickten Decken, Tüchern, Laken,<br />
Vorhängen, Gardinen, Stolen, Servietten, ja sogar<br />
Sonnenschirme habe ich gesehen.<br />
Die andere Sparte an speziellem Handwerk dieses Ortes sind<br />
die Silberwaren. Da findet man Schmuck für jeden<br />
Körperteil, gediegen und filigran, Ringe, Ketten, Diademe,<br />
Armbänder, wertvoll eingefasste Uhren, ich habe mich nicht sonderlich darauf eingelassen, bin<br />
auch in kein Geschäft hinein gegangen; ich wollte nichts erwerben.<br />
Mit einer Stickerin, die an der Straßenecke vor ihrem Laden saß und mit einer Lochstickerei<br />
beschäftigt war, knüpfte ich ein kleines Gespräch an, lobte ihr Tun, weil ich weiß, wie viel<br />
Arbeit und Mühe darin steckt. Irgendwann wird diese unterbezahlte Handarbeit wie auch schon<br />
das Klöppeln nur noch als bewahrte Volkskunst in Museum konserviert werden. Hier dient sie<br />
noch dem Broterwerb. Bereitwillig zeigte sie mir, wie sie kleine Löcher aus dem<br />
Leinengewebe herausschnitt, deren Ränder sie dann mit winzigen Stichen und unendlicher<br />
Geduld umnähte- Lochsaumstickerei ist Kunst. Die Ruhe im Ort, das Klima jetzt im Herbst<br />
sind natürlich eine heilsame und helfende Umgebung. Aber was hilft das alles, wenn die<br />
Kunden - so wie ich - nur Interesse zeigen und nichts kaufen?<br />
Lefkara hat noch seinen Ruf durch ein anderes Image. Berühmt<br />
auf ganz <strong>Zypern</strong> ist dieser Ort wegen seiner schönen<br />
Holzbalkone, die die Häuser schmücken. Das fiel mir beim<br />
weiteren Rundgang auf. Ich untersuchte mit meinem Fotoapparat<br />
einen Tordurchgang, und als einer Frau meine Neugier auffiel,<br />
lud sie mich ein näher zu kommen und winkte mich in den<br />
Hinterhof, der noch schöner war als die Straßenseite. Von hier<br />
hinten konnte ich einen Blick hinunter in die Ebene genießen.<br />
Der Einsatz von Holz<br />
muss auffallen, da das<br />
Land ja sehr holzarm<br />
ist. Natürlich gehört<br />
Lefkara schon in das<br />
Gebiet des Troodos-<br />
Gebirges, was ein Blick <strong>nach</strong> Norden bestätigt,<br />
wenn man von der Hauptstraße in den engen<br />
Nebengassen <strong>nach</strong> oben schaut. Ich musste<br />
Abschied nehmen, traf die Truppe am Bus wieder,<br />
schwatzend und ihre Beute betrachtend.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 64
XII. Ins östliche Troodos- Gebirge – Ankunft in Agros<br />
Genau 14.15 Uhr setzten wir unsere <strong>Reise</strong> fort. Nun sollte es weiter hinauf ins Troodos-<br />
Gebirge gehen. Am Abend würden wir im Hotel Rodon in Agros sein und vier Tage und<br />
Nächte dort oben verweilen.<br />
Antonio, hinter dem wir saßen, klebte sich das Handy ans Ohr, neigte lauschend den Kopf und<br />
meldete da<strong>nach</strong>, es würde da oben mächtig regnen. Diese Meldung erhielt dadurch Gewicht,<br />
dass das so ziemlich die ersten Regenfälle dieses Herbstes sind und auch uns ein wenig<br />
beeinträchtigen würden. Abwarten. Schwere, finstere Wolken trieben am Horizont. Bald<br />
knallten die ersten Tropfen an die Scheiben des Busses. Der Regen erreichte uns mit kurzen<br />
heftigen Schauern also schon während der Fahrt. Das kann ja heiter werden! So willkommen<br />
das Nass bei den Einwohnern ist: Wir Touristen lernen das Land lieber im Trockenen kennen.<br />
Die E110 windet sich, dem Diktat der Höhenlinien in der Topografie folgend, langsam immer<br />
höher hinauf. Wundervolle Wolkenbilder sind in der Ferne zu beobachten.<br />
In Agio Ioannis ergriff Antonio das Mikrofon und erzählte uns schmunzelnd die ganz<br />
außergewöhnliche Mär, dass wir hier in „Klein- Moskau“ sind. „Hier wohnen eine ganze Reihe<br />
Leute, die alle Lenin oder Stalin heißen“, meinte er. Den Dorfplatz, den wir gerade<br />
überquerten, nannte er den Roten Platz.<br />
Kartenausschnitt EASTERN TROODOS AREA um Agros, M. 1 : 60 000 – Nr. 40: Hotel Rodon<br />
Nach einer reichlichen Stunde Fahrt erreichen wir unser Ziel. Das „Rodon- Mount Hotel and<br />
Resort“ ist ein stattlicher Hotelkomplex in etwa 1100 m Höhe. Um gleich diese Beschreibung<br />
zu erledigen: Es hat 123 Doppelzimmer, 24 Familiensuiten, 2 Einzelzimmer, je eine<br />
Präsidenten und eine Hochzeitssuite, also Platz für rund 300 Personen. Unser Zimmer lag <strong>nach</strong><br />
hinten hinaus. Vom Balkon sah ich direkt links vor uns einen grünen, blühenden Felsen und<br />
rechts den Hotelgarten mit hellgrünen Olivenbäumen und dahinter in der Ferne die dunstigen<br />
Hügel des bergigen Umlandes. Agros liegt im Herzen des Pitsilia- Gebirges.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 65
Das Abendessen sollte es erst 19.30 Uhr geben, wir nutzten die verbleibende Zeit zu einem<br />
ersten Erkundungsspaziergang in der Umgebung des Hotels. Alles war noch frisch, feucht und<br />
nass vom Regen, der hier kurz und heftig niedergegangen war. Ich stieg, Martina hinter mir her<br />
lockend, auf eine kleine Anhöhe, von der wir gut sahen, dass das Dorf Agros weit unten im Tal<br />
sich hinzog, etwa 200 m tiefer, terrassenförmig in der leichten Hanglage sich hinziehend.<br />
Wir entschlossen uns, der<br />
steigenden Straße folgend, noch<br />
weiter höher zu steigen. Bald<br />
standen wir an einer Baustelle.<br />
Von ihnen sahen wir in den<br />
nächsten Tagen noch mehrere, so<br />
dass man annehmen kann, dass<br />
diese Gegend prosperiert. Die<br />
Urlauber tragen sicher sehr viel<br />
Geld hierher. Wir hatten bald das<br />
bewohnte Areal hinter uns<br />
gelassen. Neugier trieb uns immer<br />
weiter, zumal der Weg nun flach<br />
den Windungen der Terrassen<br />
folgte, in die die Hügel abgetreppt<br />
sind und sämtlich dem Obst- oder<br />
Weinanbau dienen. Das Dorf Agros, etwa vom Hotel Rodon gesehen<br />
Es ist Oktober und die Zeit der Weinlese. Rechts von uns hingen die blauen und gelben<br />
Trauben schwer an den teilweise uralten Reben und luden zum Naschen regelrecht ein.<br />
Wir kosteten, naschten die köstlichen Beeren, suchten die<br />
größten aus. Jeder entdeckte noch größere. Wir waren wie im<br />
Rausch. Solch eine Gelegenheit hatten wir noch nie gehabt.<br />
Einsam und allein in der Abenddämmerung im fremden Land,<br />
umschlossen von göttlicher Stille und den herbstlichen Farben.<br />
Das Laub troff noch von der Nässe und blinkte in der<br />
Abendsonne. Die Stimmung verzauberte uns. An der<br />
Wegbiegung, hangabwärts, werkelte ein alter Mann mit seinem<br />
Esel. Uns überkamen nun doch einige Skrupel wegen des<br />
kleinen Mundraubes, dessen wir uns für schuldig hielten,<br />
zumal Martina in eine Plastiktüte einigen Vorrat abgezupft<br />
hatte. Wir hielten uns etwas verborgen. Er war auch noch ein<br />
Stück entfernt. Doch dieser alte Bauer hatte mit seinem<br />
schweren Tagewerk zu tun und achtete unser nicht.<br />
Wir machten uns auf den Rückweg, nicht ohne über die Weitsicht in die Bergwelt des Troodos<br />
ins Schwärmen zu geraten, die Braun- und Goldtöne, die die untergehende Sonne zum<br />
Leuchten brachte, die frische, vom Regen gereinigte und gefilterte Bergluft des Pitsilia.<br />
Ich atmete tief durch. Welch ein Gegensatz zu<br />
der Glutluft gestern am Kap Grekko!<br />
Das Abendessen war gegenüber dem<br />
Schlemmer- Angebot des Cavo Maris mäßig.<br />
In dem großen Saal wirkte unsere Gruppe mit<br />
etwa 30 Leuten verloren. Das Saisonende war<br />
deutlich zu spüren. Ich genoss diese Ruhe.<br />
Für die nächsten Tage nahm ich mir vor, den<br />
Swimming- Pool zu nutzen. Draußen ist es<br />
jetzt schon herbstlich frisch. Ich stöbere noch<br />
ein wenig in einer Informationsmappe von<br />
Hellas- <strong>Reise</strong>n, um für morgen ein Ziel zu<br />
finden- mit wenig Erfolg. Hotel Rodon in Agros, Troodos- Gebirge<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 66
XIII. Wanderungen um und in Agros und Mezé- Essen in der Taverna<br />
Dienstag, 3. Oktober 2006<br />
Wir erleben den sechsten Tag unserer <strong>Reise</strong>. Erst 16 Uhr treffen wir uns alle wieder zu<br />
gemeinsamem Tun. Heute Vormittag müssen wir unser Programm selbst gestalten.<br />
Im Baedeker las ich von dem ehemaligen Kloster Palaichóri, einem kleinen<br />
malerischen Ort, der etwa 10 km Luftlinie von hier entfernt liegt. Hier soll es eine Kirche aus<br />
dem frühen 16. Jahrhundert geben, die voll mit schönen Fresken ausgekleidet ist.<br />
Weltkulturerbe der UNESCO. Ich interveniere bei der <strong>Reise</strong>leitung- keine Möglichkeit.<br />
Außerdem lese ich, das nur montags und mittwochs geöffnet ist. Zum Laufen ist es zu weit.<br />
25 km Wanderung würde uns beide überfordern. Also laufen wir beide, Martina und ich,<br />
einfach los, aufs Geratewohl.<br />
Anfangs gehen wir einige Zeit mit dem Ehepaar Schelter aus Erfurt, doch Martina will immer<br />
wieder ausscheren. Sie ist heute nicht sehr kommunikationsfreudig. Außerdem wandert sie<br />
nicht gern in Gesellschaft. Ich will zudem etwas höher hinaus- man nehme das nicht allzu<br />
wörtlich. Wir wählen einen Pfad, der in die Höhe führt, Schelters folgen den Windungen der<br />
Straße weiter. Tschüs.<br />
Wir sind hier in der Gegend von Agros mitten in den Pitsilia- Bergen, die ein östlicher Teil<br />
des Troodos- Massivs sind. Ihre Hügel und Täler pendeln zwischen Höhen von 1100 und<br />
1400 Metern. Die Strahlen der Sonne wärmen kräftig, doch die frische Bergluft mildert das<br />
Klima. Wir treffen ein uraltes Bauernpaar, das auf einem ebenso uralten Toyota- Pickup aus<br />
seinem Weinberge kommt. Auf der Ladefläche Plastikkisten mit Trauben. Wir grüßen. Sie<br />
winken zurück. Sie haben Wein gelesen, ohne fremde Hilfe, ohne jugendlichen Nachwuchs.<br />
Es ist die Situation wie bei uns: Landflucht. Die Alten sterben aus. Ich denke an die steinalten<br />
Rebstöcke von gestern Abend und den alten Mann mit seinem Esel. Es gibt hier Weinberge,<br />
langsam verfallende Terrassen, die nicht mehr bearbeitet werden, weil die Besitzer zu alt und<br />
ohne Nachwuchs sind. Wie doch die Folgen der Weltwirtschaft bis in die kleinsten und<br />
fernsten Winkel dringen! Uralte, jahrhundertelange Traditionen sterben in weniger als einer<br />
Generation.<br />
Wir steigen stetig. Bald können wir das Rodon- Hotel ganz weit unten sehen, fast wie bei<br />
einer Luftaufnahme. Da weitet sich mein Herz. Das ist der Lohn des Steigens, der Mühe. Der<br />
Brustkorb dehnt sich- tief durchatmen: Wie schön ist das Leben! Wie schön ist die Natur!<br />
Weit hinten am Horizont strecken sich<br />
die blauen Berge des Troodos-<br />
Gebirges mit der weißen Kugel des<br />
knapp 2000 m hohen Olympos-<br />
Berges, der höchsten Erhebung von<br />
<strong>Zypern</strong>. Um uns ist nun vertrocknetes<br />
Gesträuch und dorniges Gestrüpp. Wir<br />
sind jetzt in der Höhe, auf fast nicht<br />
mehr erkennbaren Wegen der Winzer,<br />
die zu ihren Besitzungen führen.<br />
Nichts ist abgegrenzt. Ich will hoch.<br />
Wir stapfen einen steinigen Pfad, der<br />
am immer steiler und abschüssiger<br />
werdenden Hang entlang führt und<br />
irgendwann aufhört ein Weg zu sein.<br />
Blick auf das Troodos- Gebirge mit dem Olympos<br />
Ich schaue <strong>nach</strong> oben und sehe einen Strommast. Der wird sicher an einem Weg stehen und<br />
zugänglich sein. Nun klimmen wir die Falllinie empor, müssen manchmal die Hände beim<br />
Klettern zu Hilfe nehmen. Martina beklagt sich schon, ich hätte sie in die Irre geführt. Ich<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 67
tröste, rede ihr gut zu. Ab und zu bleibe ich besinnend stehen, bin entzückt über die herrlichen<br />
gelben Blütenstände der Disteln, fotografiere sie. Martina wettert vor sich hin.<br />
Dann stehen wir oben. Es ist ein Weg, wenngleich es noch kein<br />
Gipfelpunkt ist. Erst von hier sieht man, dass es noch höher<br />
geht. Der Platys drüben auf der Kette jenseits des Tales ist<br />
1420 m hoch. Wir stehen jetzt vielleicht auf etwa 1300 m,<br />
entschließen uns wieder <strong>nach</strong> unten zu gehen. Der Weg führt in<br />
das Tal hinunter, in dem der nördlichste Teil des Dorfes Agros<br />
liegt. Wir kreuzen den Europäischen Fernwanderweg E4,<br />
markiert mit dem blauen E. Wir suchen eine Sitzgelegenheit<br />
für eine kleine Pause, finden nichts Passendes, bleiben stehen<br />
und Verschnaufen. Überall verstreut liegen hier Papphülsen<br />
von Geschossen aus Jagdgewehren. Ich glaubte auch einmal<br />
einen Knall gehört zu haben. Die Bauern der Gegend gehen auf<br />
die Jagd. Worauf schießen sie? Ich habe hier keine wilden<br />
Tiere beobachten können. Den Prospekten zufolge soll es<br />
Mufflons geben. Kein Schatten. Es wird heiß. Aus dem Tal<br />
Distelblüten wie kleine Sonnen<br />
klingt helles Kinderlachen, Schulhoflärm herauf.<br />
Eine Abzweigung verlockt zum Erobern des nächsten Dorfes, es sind nur wenige Kilometer.<br />
Doch wir wenden uns <strong>nach</strong> rechts, der Weg fällt angenehm. Sogar Pfützen vom gestrigen<br />
Regen stehen noch an schattigen Stellen. Vögel zwitschern. Wir naschen wieder ein paar<br />
Weintrauben. Verlockend reifen die samtblauen Beerendolden und scheinen zu rufen: Pflücke<br />
mich, pflücke mich! Bald sehen wir weiter unten Leute winken, die zu uns heraufsehen. Hallo!<br />
Sie haben das Tal von der anderen Seite her erkundet und kommen uns nun entgegen. Bald<br />
treffen wir sie. Wir tauschen unsere Erfahrungen aus. Der Vormittag ist noch nicht vorbei.<br />
Tschüs! Bis bald. Nun nimmt uns die aus Agros heraufführende Straße auf. Sie gabelt sich<br />
bald. Ein Zweig führt <strong>nach</strong> Pelendri und am Ende an die Küste <strong>nach</strong> Limassol, der andere <strong>nach</strong><br />
Chandria und westwärts hinauf in das Troodosgebirge. Beide Richtungen werden wir in den<br />
nächsten Tagen kennen lernen. Jetzt aber wandern wir wieder <strong>nach</strong> Agros hinein. Die<br />
Asphaltstraße holt weit aus. Auf ihren Serpentinen haben wir immer Agros im Bild.<br />
Diese ziehen sich in die Länge. An einem<br />
Neubau, der mit viel Beton und massiven<br />
Stützwänden an den Hang gebaut wird, ruhen<br />
wir aus, trinken einen Schluck Kaffee und<br />
essen einen Pfirsich. Nun geht es immer<br />
bergab, hinein ins Dorf. Es wird viel gebaut.<br />
An einem Haus denke ich, ich sehe nicht<br />
recht: Da steht auf einem hohen Betonsockel<br />
eine Freiheitsstatue mit Strahlenkrone, die<br />
Fackel in die Luft gereckt, die keine ist,<br />
sondern eine stinknormale Glühbirne. Im Arm<br />
trägt sie ein Buch und ein seltsames Zepter.<br />
Soll das ein Wahrzeichen von Agros werden? Ich bin verstört.<br />
Langsam beginnen die Füße zu schmerzen. Die schiefe Ebene des<br />
harten Asphalts staucht. Ich suche das weiche Bett der von den<br />
Pinien abgeworfenen Nadeln, die am Straßenrand das Gehen<br />
erleichtern. Dann sind wir unten im Ort. Eine Gärtnerei mit<br />
Tausenden Rosen in langen Beetreihen lässt einen Erwerbszweig<br />
erahnen, den wir heute Nachmittag noch besser kennen lernen<br />
werden. An einem Pfirsichhain versucht Martina, ein paar Früchte<br />
zu ernten. Sie sind trotz ihres reifen Aussehens noch sehr hart und<br />
fast nicht genießbar. Schade. Es ist wie im Paradies hier, wo die<br />
Früchte in den Mund wachsen. Bald steigt die Straße wieder. Zum<br />
Hotel hinauf wird es noch einmal richtig beschwerlich.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 68
Wir ruhen uns ein Weilchen im Hotelzimmer aus, trinken, essen ein wenig, sitzen auf dem<br />
Balkon, genießen die Ruhe. Dann ist die Zeit heran, 16 Uhr, wo wir uns alle treffen, um<br />
gemeinsam wieder zu Tale zu ziehen und das Nachmittags- und Abendprogramm zu erleben.<br />
Wir gehen den gleichen Weg zurück, biegen dann aber am Sportzentrum rechts ab. Wir<br />
werden aufgeklärt über den besonderen genossenschaftlichen Charakter des Dorfes. Alle<br />
Einwohner haben eine Kooperative gebildet, ihr Vermögen zusammengetan und mit ihrem<br />
Geld das Rodon- Hotel gebaut. Sie sind nun alle daran beteiligt, und etliche arbeiten dort,<br />
etwa 30 Leute. Andere wieder versorgen das Hotel mit Obst und Gemüse, mit Fleisch und<br />
Brot, mit Blumen, Andenken und Wein. So versorgt das Hotel den Bewohnern Arbeit. Diese<br />
haben sogar eine eigene Bank gegründet, ein einmaliges Beispiel in <strong>Zypern</strong>, das jedoch jetzt<br />
Schule macht und auch anderswo <strong>nach</strong>geahmt wird.<br />
Für den Winter, wenn die Touristen ausbleiben,<br />
haben die findigen Agros- Leute einen Dreh<br />
gefunden, Menschen hierher zu bringen. Sie<br />
organisieren sportliche Wettkämpfe,<br />
Trainingslager und Schulungen in einem<br />
großzügig ausgestatteten Komplex, der sogar<br />
einer größeren Stadt würdig wäre. So ist auch im<br />
Winter das Hotel ausgelastet. Erstaunlich.<br />
Nun haben wir eine Begegnung mit der<br />
Vergangenheit- könnte man sagen.<br />
An einer Straßenkrümmung kommt uns ein alter Mann mit seinem Esel entgegen, ein Bild wie<br />
es sich die <strong>Reise</strong>journalisten wünschen, wie es auf den <strong>Reise</strong>prospekten zu sehen ist, auf<br />
Umschlägen auf Büchern über <strong>Zypern</strong>, kurz gesagt ein Klischee, das heute nicht mehr der<br />
Wirklichkeit entspricht, ein Esel auf <strong>Zypern</strong> als Transportmittel. Gut, man sagt, Agros sei noch<br />
ein Dorf. Immerhin braucht das Tier ganzjährig Futter. Dennoch kann ein Esel kaum noch den<br />
benzingetriebenen Tieren Konkurrenz bieten. Nur vielleicht noch in den schwer zugänglichen<br />
Wein- Terrassen leistet es vereinzelt Hilfe, das unendlich geduldige, manchmal etwas<br />
eigensinnige, genügsame Grautier, das in unserem Falle ein hübsches Kaffeebraun aufweist.<br />
Alle rissen natürlich die Fotoapparate an die Wange,<br />
hielten voll drauf, bedrängten sich gegenseitig- man<br />
will ja diese Szene möglichst ohne die störenden<br />
Touristen einfangen. Es gab heillose Aufregung. Der<br />
arme Mann tat sein Bestes, machte gute Miene zum<br />
bösen Spiel, denn er hatte nichts davon, dass er so<br />
plötzlich im Mittelpunkt stand. Er zog das Eseltier<br />
stumm hinter sich her, dies trabte Schritt für Schritt<br />
gemächlich den Berg hoch. Der Bauer verhielt einen<br />
kurzen Moment, lachte verlegen und trollte sich von<br />
dannen.<br />
In dieser Zeit musste ich auch versuchen, ihn möglichst günstig einzufangen und fluchte<br />
innerlich auf den Menschenjäger, der immer in vorderster Linie im Wege stand. Noch<br />
schlimmer sind in neuer Zeit die Videofilmer, die unbeweglich zu deinem gewählten Objekt<br />
die Sicht verderben und erst dann weggehen, wenn alles vorbei ist. Sie sind den Rauchern<br />
gleiche taktlose Egoisten.<br />
Wir stehen vor dem Anwesen der Familie Tsolakis, dem „House of Roses“, Rosenhaus und<br />
treten neugierig in die kleine Werkstatt.<br />
Grundidee war, aus den hier gezüchteten und geernteten Rosen die Blätter auszupressen und<br />
allerlei Produkte daraus herzustellen: Duftendes Rosenwasser, Rosenöl, Rosenlikör, Rosengeist<br />
(hochprozentiger Schnaps), Rosensüßigkeiten und sogar Wein mit Rosengeschmack. Dazu<br />
gesellt sich eine kleine keramische Werkstatt, in der gleich die entsprechenden und<br />
ansprechenden Gefäße getöpfert werden. Hier standen wir nun und staunten.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 69
Beeindruckend vor allem<br />
die mühsame Handarbeit<br />
und die Menge von<br />
Blättern, ehe man einen<br />
Tropfen Rosenöl daraus<br />
gewonnen hat. Wir<br />
Traditionelle Rosenwasser- Destillation<br />
umstanden zunächst dem<br />
Töpfer, der eine Serie<br />
kleiner Krüge auf das<br />
Brennen vorbereitete. Es<br />
stand auch ein kleiner<br />
Brennofen in der Ecke. Wir schauten einem jungen Mann über<br />
die Schulter, der den frisch in Schablonen geformten Tonkörpern<br />
mit einem Messer die Grate entfernte. Bald rief Antonio zur<br />
Verkostung an eine kleine Theke.<br />
Jeder durfte entweder einen Rosenschnaps oder ein Glas<br />
Rosenwein kosten. Ein Novum für meinen Gaumen, aber<br />
es haute mich nicht um, da ich Alkohol gegenüber<br />
äußerst skeptisch bin. Martina prüfte ein Angebot an<br />
rosenblättrigen Duftkerzen und Rosenseifen. Alles sehr<br />
verlockend, aber für uns nicht praktikabel. Ein winziger<br />
Verkaufsraum nebenan füllte sich langsam mit<br />
Neugierigen. Es sind sehr originelle Vasen und<br />
Porzellankompositionen darunter, alle in irgendeinem<br />
Bezug zur Rose. Beinahe hätten wir gekauft, dachten aber<br />
im letzten Moment an das Fluggepäck.<br />
Wir liefen zurück und sollten nun die Bekanntschaft von<br />
Nikis machen, einer energischen, selbstbewussten Frau, die<br />
sich mit ihren häuslichen Ideen und Rezepten zur<br />
Marmeladen- und Konfitürenherstellung ein kleines, gut<br />
gehendes Geschäft aufgebaut hat. Hier bietet sie aus<br />
heimischen Früchten erzeugte Konfitüren, Honig,<br />
Süßigkeiten an. Wir stiegen eine Treppe hinunter- ihr Haus<br />
war an den Hang gebaut und nutzte die Schräge. Da im<br />
Untergeschoss befindet sich die Küche. Frau Nikis<br />
beschäftigt zwanzig Frauen, die das Obst putzen,<br />
zerkleinern, kochen, rühren, formen, abfüllen. An fahrbaren<br />
Gerüsten hängen in langen Schnüren die Soudzsoúkos, das<br />
sind aufgereihte Mandeln oder Walnüsse, in<br />
karamellisiertem und geliertem Traubenmost getränkt,<br />
getrocknet und dann in Schnuren aufgefädelt. Wir durften<br />
ein Stück naschen- köstlich!<br />
Soudzsoúkos<br />
Im Laden fiel die Wahl schwer. Honig gab es von<br />
Thymian, Wald- und Sommerblumen, Glykó, in<br />
Gelee eingelegte süße Früchte, Tomatenpüree,<br />
Konfitüren aus Beeren, Kiwis, Quitten, Kirschen und<br />
Pfirsich. Wir nahmen ein Glas Feigenkonfitüre mit.<br />
Nun spazierten wir in langer Kette in Richtung<br />
Kirche, die wir von Nikis schon übers Tal hinweg gut<br />
gesehen haben. Als Zwischenziel wählte Antonio eine<br />
Terrasse, sie gehörte zu einem Kafenío, das auf der<br />
anderen Straßenseite lag. Agros: Nikis- Cyprus home made Sweets<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 70
Die Kirche des Ortes konnte man gut von hier oben sehen. Kaffeepause. Die Glocken läuteten<br />
zur Abendandacht.<br />
Antonio schlug vor, hineinzugehen, um den Ablauf eines griechisch- orthodoxen<br />
Gottesdienstes einmal lebendig zu erleben. Später belese ich mich:<br />
Orthodoxe Kirchen (von altgriechisch ορθός – richtig oder geradlinig, und δόξα – glauben)<br />
nennen sich die christlichen Kirchen des byzantinischen Ritus, die im griechischen Kulturraum<br />
entstanden oder von dorther gegründet worden sind.<br />
Die kirchlichen Traditionen und Lehren der orthodoxen Kirchen nahmen ihren Anfang im<br />
byzantinischen Reich mit seinem Zentrum Byzanz bzw. Konstantinopel. Deshalb spricht man<br />
auch von der griechischen Kirche im Gegensatz zur lateinischen Kirche bzw. römischen Kirche.<br />
Der Begriff Ostkirchen ist ebenfalls gebräuchlich,<br />
Das Sakrament der Weihe ist in drei Stufen aufgeteilt.<br />
Die erste Stufe ist das Diakonat, die zweite das Priestertum und die dritte die des Bischofs.<br />
Die Weihe können nur Männer empfangen. Nur die Bischöfe, die meist (fast immer) zugleich<br />
auch Mönche sind, sind zum Zölibat verpflichtet. Allerdings sind auch die Bischöfe oft nicht<br />
ursprünglich aus dem unverheirateten Klerus, denn es werden häufig verwitwete Priester zum<br />
Bischof geweiht. Priester und Diakone dürfen verheiratet sein, allerdings nicht <strong>nach</strong> der<br />
Subdiakonweihe heiraten. Wenn sie verwitwen oder sich von ihrer Frau trennen, müssen sie<br />
unverheiratet bleiben. Neben dem Weihesakrament kennen die orthodoxen Kirchen auch die<br />
so genannten Niederen Weihen zum Lektorat und Subdiakonat (Hypodiakon).<br />
Die Ämter sind in eine kirchliche Hierarchie eingebunden: An der Spitze steht der Patriarch,<br />
Erzbischof oder Metropolit als primus inter pares unter den Bischöfen, dann kommen Bischof<br />
(griech. επίσκοπος episkopos, eigentlich Aufseher oder Vorarbeiter), Priester (griech.<br />
πρεσβύτερος presbyteros, eigentlich Ältester), und Diakon (griech. διάκονος diakonos,<br />
eigentlich Helfer oder Tischdiener).<br />
Subdiakon, Vorleser, Sänger und Türhüter sind weitere Ämter ohne sakramentale Weihe und<br />
ohne Altardienst, die ihren Ursprung in der frühchristlichen Liturgie haben, heute aber zum Teil<br />
andere Funktionen haben als die Namen nahe legen.<br />
Bekenntnisgrundlagen sind Bibel und Tradition. Die Tradition ist fixiert durch die Beschlüsse der<br />
ersten 7 ökumenischen Konzilien (1. Nicäa 325 bis 7. Nicäa 787); sie ist ferner durch die<br />
Lehren der Kirchenväter, die Aussagen im reichen liturgischen Gut und durch spätere wichtige<br />
Synoden bestimmt (1642 Jassy [Rumänien], 1670 Jerusalem). Die Feier der „göttlichen<br />
Liturgie“, die 7 Sakramente, der Vollzug von Sakramentalien (Weihehandlungen), die<br />
Verehrung der Ikonen, Gebete und Hymnen nehmen im Leben der orthodoxen Kirchen einen<br />
breiten Raum ein.<br />
Im Mittelpunkt der orthodoxen Spiritualität steht die reiche, hauptsächlich gesungene Liturgie<br />
voller Symbolik, deren heutige Form großteils bis ins vierte Jahrhundert zurückgeht, in ihrer<br />
Grundstruktur wohl sogar bis ins erste und zweite Jahrhundert. Die Form des ersten Teils der<br />
Liturgie, die so genannte Liturgie der Katechumenen mit Gebeten und Bibellesungen, geht auf<br />
den jüdischen Synagogengottesdienst zurück, wie er zur Zeit Jesu üblich war, während der<br />
zweite Teil, die Liturgie der Gläubigen mit der Eucharistiefeier, im wesentlichen christlichen<br />
Ursprungs ist.<br />
Da schon Musik aus verborgenen Lautsprechern ertönte und einzelne alte Menschen in den<br />
hohen Stühlen andächtig und in sich gekehrt <strong>nach</strong> vorn schauten, schlichen wir uns auf leisen<br />
Sohlen dazu und nahmen Platz. Die Armlehnen waren schulterhoch, so als wollten sie den<br />
Gläubigen beim Gebet stützen.<br />
Griechisch- orthodoxer Gottesdienst in der Kirche von Agros<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 71
Direkt vor mir saß der weißbärtige Diakon, der in dem heiligen Buche mit monotoner<br />
Singstimme eine Epistel sang. Ihm gegenüber antwortete der Vorleser, Sänger oder Subdiakon.<br />
Sie verschwanden beinahe hinter ihren Lesepulten. Das dauerte eine ganze Weile. Man ist<br />
recht unsicher, wenn man das Ritual nicht kennt.<br />
In der orthodoxen Liturgie bekreuzigt man sich jedes Mal, wenn die Trinität erwähnt wird, wenn<br />
das Kreuz oder eine Ikone verehrt wird, beim Segen, und bei unzähligen weiteren<br />
Gelegenheiten, die aber nicht genau geregelt sind und von verschieden Gläubigen recht<br />
unterschiedlich gehandhabt werden. Man bekreuzigt sich mit recht ausladender Bewegung und<br />
von rechts <strong>nach</strong> links (Stirn, Brust, rechte Schulter, linke Schulter), umgekehrt wie in der<br />
katholischen Kirche. Beim Bekreuzigen werden Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger<br />
zusammengehalten (drei Finger – Trinität), während Ringfinger und kleiner Finger an der<br />
Handfläche sind (zwei Finger – die zwei Naturen Christi, in die Handfläche – kommen herab zur<br />
Erde). In manchen orthodoxen Kirchen folgt der Bekreuzigung grundsätzlich noch eine<br />
Verbeugung.<br />
Das wusste ich aber nicht so genau. Alles theatralisch <strong>nach</strong>zuahmen empfand ich als unwürdig.<br />
Dann trat aus der Klapptür der Ikonostase der Priester hervor, schwenkte den Weihrauchkessel<br />
zu den sitzenden Gläubigen in alle Richtungen und sprach segnende Gebete.<br />
Alle orthodoxen Liturgien benötigen zur vollen Feier neben dem Priester (oder Bischof) noch<br />
einen Diakon. Dieser assistiert dem Priester, und die Struktur des abwechselnden<br />
gegenseitigen Ansprechens dient beiden als Gedächtnisstütze. Notfalls können die Liturgien<br />
aber auch in einer vereinfachten Form ohne Diakon gefeiert werden.<br />
Mit Orthros und weiteren Gebeten ist der Gottesdienst auch an normalen Sonntagen reichlich<br />
drei Stunden lang – wobei nicht alle von Anfang bis Ende dabei sind, späteres Erscheinen und<br />
früheres Verlassen des Gottesdienstes sind relativ normal. Typisch ist der häufige Anruf Kyrie<br />
eleison (Κύριε ελέησον, Herr, erbarme dich)<br />
Bald verständigten wir uns, standen auf und schlichen uns wieder aus der Kirche. Auf einem<br />
Tisch lagen die runden Brotlaibe, die bei der Eucharistiefeier verteilt werden.<br />
Auch die orthodoxen Kirchen sind der Auffassung, dass Brot und Wein wirklich Leib und Blut<br />
Christi sind. Die Liturgie hat Parallelen zum jüdischen Tempelgottesdienst. Im Gegensatz zur<br />
römisch-katholischen Eucharistielehre gibt es für die orthodoxe Theologie jedoch keine<br />
konkrete Formel, durch die der Priester die Wandlung vollzieht -- das Mysterium des<br />
Abendmahls geschieht durch die Liturgie als Ganzes.<br />
Die Eucharistie, die bei den byzantinischen Kirchen auch als „Göttliche Liturgie“ bezeichnet<br />
wird, gilt auch hier als Opfer, genauer als Vergegenwärtigung des einen Opfers Christi (siehe<br />
Byzantinischer Ritus). Der Empfang der Eucharistie durch nicht-orthodoxe Christen gilt als<br />
unmöglich, da <strong>nach</strong> orthodoxem Glauben der Teilnehmerkreis der Eucharistie (und nichts<br />
anderes) per definitionem die Kirche ist, und nicht-orthodoxe somit quasi automatisch zur<br />
Orthodoxen Kirche überträten wenn sie teilnähmen. Wenn ein Gläubiger die Eucharistie<br />
empfangen möchte, meldet er sich üblicherweise am Vortag beim Priester an; dies gilt vor<br />
allem für Auswärtige, die der Priester nicht persönlich kennt. Voraussetzung für den Empfang<br />
der Eucharistie ist zudem die Beichte.<br />
Die Anwesenheit von Gläubigen ist für die Feier der Eucharistie unabdingbar — eine<br />
eucharistische Liturgie ohne Gläubigen ist so wenig möglich wie ohne Priester. Ein Priester darf<br />
die Eucharistie höchstens einmal am Tag feiern, sie darf auch in jedem Kirchengebäude nur<br />
einmal am Tag stattfinden und ein Gläubiger ebenfalls höchstens einmal am Tag daran<br />
teilnehmen. Tägliche Eucharistiefeier ist jedoch in der Orthodoxie auch für Priester ziemlich<br />
unüblich, gewöhnlich ist eher der wöchentliche Rhythmus, vor allem die Feier am Sonntag. Alle<br />
getauften orthodoxen Christen dürfen die Eucharistie empfangen, auch Kleinkinder, da die<br />
orthodoxe Kirche „Glauben“ vor allem im Sinne eines Vertrauens versteht, zu dem auch kleine<br />
Kinder schon fähig sind, weniger im Sinne eines „Für-wahr-Haltens“, das einen entwickelten<br />
Verstand erfordern würde. Allerdings verlangen einige Kirchen von erwachsenen Teilnehmern<br />
eine vollständige Beichte am Vorabend, was dazu geführt hat, dass in manchen orthodoxen<br />
Kirchen die Erwachsenen gewöhnlich nur einige Male im Jahr selbst die Eucharistie<br />
empfangen, während sie sonst nur als Mitbetende oder Sänger teilnehmen. Es gibt zurzeit<br />
jedoch Bestrebungen, den wöchentlichen Empfang wieder zur Norm zu machen.<br />
In den Orthodoxen Kirchen des byzantinischen Ritus wird der Mittelteil eines runden,<br />
gesäuerten, beim Backen mit christlichen Symbolen gestempelten Brotlaibs (Prosphore) —<br />
Sauerteig gilt als Gleichnis des Reiches Gottes — verwendet, sowie durch Beigabe von ein<br />
wenig kochendem Wasser (Zeon) ungefähr auf Blutwärme erwärmter Rotwein. Der Mittelteil<br />
wird auch als Lamm bezeichnet. Allein dieses Lamm und der Wein werden konsekriert. Leib<br />
und Blut Christi werden vor der Ausgabe an die Gläubigen im Kelch vermischt und diese<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 72
Mischung wird dann mit Hilfe eines goldenen Löffels an die Gläubigen ausgegeben. Die im<br />
Westen mittlerweile wieder übliche Handkommunion ist hier nicht bekannt, die Gläubigen<br />
empfangen die Kommunion in den Mund. Bleibt ein Rest, wird dieser <strong>nach</strong> der<br />
Kommunionspendung vom Diakon oder vom Priester verzehrt.<br />
Diese runden Brote lagen auf dem Tisch, und wir wollten nicht in Verlegenheit geraten, die<br />
Eucharistiefeier als Ungläubige zustören. Wir kehrten an den Tisch zur Terrasse zurück. Über<br />
uns wob sich ein Dach aus Weinlaub mit einer Fülle reifer blauer Trauben.<br />
Es wurde dämmrig. Neben uns saßen ein paar<br />
neugierige Dörfler. Sie ließen sich fotografieren. Der<br />
„Menschenjäger“ machte den Anfang. Zwei ältere<br />
Herren. Der eine stützte sich in Pose auf seinen<br />
Knotenstock. Es ist eine willkommene Abwechslung,<br />
mit den Touristen ein wenig Tuchfühlung zu haben.<br />
Ein kleines Wort und ein Lächeln genügt und diese<br />
Männer, die in jedem Dorf meistens vor dem<br />
Kafenion sitzen und das Geschehen auf der Straße<br />
beobachten, oft in einer Spielrund drinnen, sind<br />
dankbare Gesprächspartner, wenn man die wenigen<br />
Worte Gespräch nennen darf, die man ihnen zuruft.<br />
Wir winken uns zu, trennen uns. Nun beginnt die<br />
Dunkelheit, wir laufen einige hundert Meter. Dann<br />
ist das Ziel für diesen Abend erreicht. Ich lese ab:<br />
ΚΑΦΕΣΤΙΑΤΟΡΙΟ Η ΚΟΙΛΑΔΑ<br />
Bar, Restaurant<br />
Was etwa zu lesen wäre wie „Kafestiatório i<br />
Kilada“, übersetzen kann ich es nicht. Drinnen<br />
fanden wir in einem abgeteilten schmalen,<br />
schlauchförmigen Raum eine gedeckte Tafel für 30<br />
Personen vor.<br />
Uns erwartete ein festliches Mezé- Essen, eine griechische Spezialität, die auch auf <strong>Zypern</strong><br />
gepflegt und angeboten wird. Es wurden in den vier Stunden mindestens 11 Gänge serviert, auf<br />
dem Tisch standen Karaffen mit rotem und weißem Wein, wer den griechischen Ouzo mochte,<br />
konnte sich <strong>nach</strong>schenken, was einige gewissenhaft taten. Die Verlockung war für viele groß<br />
zuzulangen. Alles war inklusive! Und immer wieder wurden die Karaffen gefüllt. Aber vorher<br />
kämpften wir uns durch die Speisen durch, die Antonio laut angekündigte, doch in dem<br />
anschwellenden Lärm von dreißig zur Lust entschlossenen Menschen ging das meiste unter. Es<br />
gab an Speisen – was sich mein Gaumen gemerkt hat - Choriátiki (Bauernsalat), Dolmádes<br />
(mit Hackfleisch gefüllte Weinblätter), Keftédes (gebratene Hackfleischbällchen), Souvlákia<br />
(gegrillte Fleischspießchen), Moussakás (Auflauf aus Auberginen, Hackfleisch,<br />
Kartoffelscheiben und irgendwelche Soße), auf jeden Fall standen Hoúmous (Püree aus<br />
Kichererbsen, Sesam, Olivenöl und Zitrone), Halloúmi (typisch zyprischer fester Schafs- oder<br />
Ziegenkäse) auf dem Tisch. Die Strategie bei solchem Festmahl muss sein: Von jeder Speise<br />
sehr wenig zu nehmen, auch wenn es schmeckt! Die meisten hatten sich schon bei den Salaten<br />
gesättigt, bei Tsaisíki (Joghurt mit Knoblauch und gehackten Gurken) und Weißbrot, und als<br />
die „Knaller“ kamen, die Paidákia (gegrillte Lammkoteletts), gaben die meisten schon die<br />
Platten weiter.<br />
Es wurde eine beispiellose Schlemmerei. Der Wein floss, die leeren Karaffen wurden immer<br />
öfter gegen volle getauscht. Dann begann der Tanz. Nikos, der Kellner, hatte sich schon lange<br />
an den Runden, die ausgeschenkt wurden beteiligt. Er war nun schon so berauscht, dass er die<br />
Tabletts mit Essen abenteuerlich über seinem Kopf schwenkte und beim Aufsetzen auf den<br />
Tisch mehrmals das Ziel verfehlte. Antonio wachte, nahm ihm vieles ab und schließlich wurde<br />
Niki vom Dienst „suspendiert“. Er werkelte an der Stirnseite an einem Radio, brachte es mit<br />
griechischen oder zyprischen Nationaltänzen zum Klingen, breitete die Arme aus und fing an,<br />
mit kunstvollen Schrittfolgen und eleganten Drehungen, sich in Trance zu wiegen.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 73
Erst langsam, dann steigernd und immer schneller, hämmerte der Takt. Jeder<br />
kennt ja diese griechischen Tänze, vor allem den Surtaki. Diese kennt und<br />
pflegt man auch in <strong>Zypern</strong>, bei Festen und Feiern allemal. Die eigentlichen<br />
zyprischen Volkstänze sieht man seltener. Nun animierte uns Nikos<br />
während seiner schwierigen Drehungen, lachte uns mächtig beschwipst zu<br />
und versuchte gleichzeitig sich selbst Vergnügen zu bereiten und uns etwas<br />
vorzuführen. Er sprang auf einem Fuß blitzschnell unter sich selber durch<br />
und vollzog eine ganze Drehung um die eigene Achse. Ich wollte ihn aufs<br />
Bild bannen, doch er war schneller als meine Kamera. Ich fing ihn immer<br />
nur von hinten ein oder er war unscharf. Das war er aber ganz und gar nicht.<br />
Er balzte sich an Carina, die junge <strong>Reise</strong>begleiterin, heran, forderte sie auf.<br />
Nun hielt Antonio den Zeitpunkt für gekommen, auch andere aus dem<br />
Publikum <strong>nach</strong> vorn zu holen. Den Motor aber bildete Nikos, den der<br />
Alkohol euphorisierte…Wie aufgezogen drehte er seine Runden.<br />
Bald nahmen sich einige Herrschaften den Mut, <strong>nach</strong> vorn zu kommen,<br />
und jetzt geriet das Fest in die lauteste und wilde Phase. Einige sprachen<br />
ungezügelt dem Weine zu. Währenddessen brachte der Wirt immer noch<br />
Gänge der Mezé auf den Tisch. Antonio ging jetzt auch aufs Parkett, hob<br />
die Hände und zelebrierte die Musik <strong>nach</strong> seiner Auffassung. Schrittfolge,<br />
Drehung, Hopser, Wendung, Drehung- Klatsch, Stampfen, in die Hände-<br />
Klatsch…Die Tänzer fassten sich an der Schulter und versuchten den<br />
Rhythmus zu synchronisieren, was natürlich vom einen zum anderen mit<br />
erheblichen Verzögerungen gelang oder aber bei Richtungswechsel zu<br />
kleinen Zusammenprallern führte. Alle freuten sich. Die Feier war richtig<br />
im Gange, drohte gelegentlich auszuufern.<br />
Ein Dorfbewohner mit weißem Hemd<br />
und Blazermütze mischte sich wortlos<br />
ein, tanzte mit. Die Frauen kreischten.<br />
Den Männern stieg der Wein zu Kopf.<br />
Am Tisch wurden Erinnerungen und<br />
Witze erzählt. Jeder wollte den<br />
anderen übertönen. Die Lacher<br />
dröhnten im Chor wie kleine<br />
Detonationen. Kurzum es war lustig<br />
und gleichzeitig sehr anstrengend, weil<br />
Magen und Verdauungsorgane maßlos strapaziert waren und neben den fünf<br />
Nikos tanzt… Sinnen extra Kraft kosteten.<br />
Pünktlich 22 Uhr blies Antonio zum Zapfenstreich. Zum Hotel ins „Rodon“ hinauf hätten wir<br />
eine gute Stunde im Dunkeln laufen müssen. Aber Antonio hatte vorsorglich einen Bus<br />
gechartert, der die ganze lustige Bande im Nu ins Hotel und zur verdienten Ruhe brachte.<br />
XIV. Pelendri – Timios Stavros (Heilig Kreuz – Kirche)<br />
Mittwoch, 4. Oktober 2006<br />
eute war ein fakultativer Ausflug vorgesehen, ein Trick des Veranstalters, den<br />
<strong>Reise</strong>preis um 28 CYP = 50 € zu schönen. Natürlich zahlte jeder brav diesen zusätzlich<br />
(vorher einkalkulierten) Salär, und jeder nahm selbstverständlich auch an dieser schon<br />
H<br />
zu Hause angesagten Rundfahrt durch das Troodos- Gebirge teil.<br />
Bei bestem Wetter bestiegen wir früh einen Oldtimer- REDFORD- Bus. Groß prangte ein<br />
Schild: „ISMINI Travel“ auf dem Deck und verkündete den Besitz des zyprischen <strong>Reise</strong>büros,<br />
dem Antonio angehörte. Dieser Bus war es wieder, der uns schon gestern Abend <strong>nach</strong> Hause<br />
brachte. Wenn man das Fahrzeug sieht, glaubt man nicht, dass da 30 Personen hineinpassen.<br />
Wir saßen wie die Heringe, Martina und ich ganz hinten.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 74
Die Fahrt währte noch gar nicht lange, da hielt der Bus kurz, Antonio zeigte <strong>nach</strong> links an den<br />
Straßenrand, kurbelte das Fenster herunter und rief einigen Arbeitern etwas zu. Dann winkte<br />
einer von den Arbeitern herauf. Wir hätten ihn in dieser Uniform nicht erkannt: Es war unser<br />
Niko von gestern Abend. Er befand sich unter einer Gruppe von sechs Straßenarbeitern. „Einer<br />
arbeitet, und die andern fünf sind die Chefs“, sagte Antonio. „Und Nikos ist einer von den<br />
Chefs!“ Und lachte. Wir dachten an seine Kellner- Kapriolen und seine Tanzeinlagen und<br />
lachten auch. Man kennt ihn in Agros und seinen Hang zum Alkohol und gibt ihm lieber ein<br />
wenig Arbeit, als ihn als Stadtstreicher auszuhalten.<br />
Wir passierten auf der E806 Potamitissa und hielten<br />
bald darauf in Pelendri, das uns auf der Fahrt von<br />
Limassol <strong>nach</strong> Agros als „Klein- Moskau“ vorgestellt<br />
wurde. Ausstieg zur ersten Besichtigung. Die Heilig-<br />
Kreuz- Kirche Timios Stravos ist von der UNESCO<br />
eingetragenes Kulturerbe. Ein kleiner Seitenweg von<br />
der Hauptstraße führt zu einem Vorhügel, auf dem ein<br />
kleines äußerlich unscheinbares Feldstein- Kirchlein<br />
thront.<br />
Wir dürfen drinnen nicht fotografieren. Zuerst nimmt<br />
Antonio die Gruppe zusammen und doziert: Ursprünglich<br />
hatte diese Kirche eine einschiffige gewölbte Struktur mit<br />
eingezogenen Bögen, wurde im 12. Jahrhundert gebaut<br />
und 1178 erstmals ausgemalt, wie durch eine Inschrift im<br />
Sanktum (1), dem Allerheiligsten <strong>nach</strong>weisbar ist. Aus<br />
unbekannten Gründen wurde die Kirche zerstört. Nur die<br />
Apsis verblieb und wurde während eines Wiederaufbaues<br />
im 14. Jahrhundert mit einbezogen. Das war die erste von<br />
mehreren Rekonstruktionsbemühungen, welche immer<br />
unternommen wurden, wenn ein Teil der Kirche verfiel.<br />
Dieser wurde jedes Mal in ähnlicher Art wieder<br />
hergestellt oder auch durch verbesserte Strukturen ersetzt.<br />
Das nördliche Seitenschiff (2) wurde im 15. Jahrhundert<br />
angebaut, während das südliche (3) im 16. Jahrhundert<br />
hinzugefügt wurde. Das Ergebnis ist die heutige<br />
dreischiffige Form, deren ansprechenden Proportionen<br />
die unterschiedliche Architekturgeschichte Lügen straft.<br />
Die Original- Malereien des 12. Jahrhunderts, besonders<br />
die Deesis 37 (4), wie sie in der Halbkuppel in einem in<br />
zyprischen Kirchen selten erhaltenem Stil ausgeführt ist,<br />
aber zu dieser Zeit in Kappadokien, Griechenland und<br />
Kreta durchaus üblich war.<br />
Der Hauptteil der Kirche wurde von mindest drei Künstlern in der ersten Hälfte des 14.<br />
Jahrhunderts ausgemalt. Der erste folgte dem paleologischen Stil von Konstantinopel, wie es<br />
der Pantokrator in der Kuppel der Vierung zeigt (5). Der zweite, welcher mehr linear und<br />
weniger sophistisch arbeitete, malte die Engel, das heilige Tuch und die Heilige Steintafel in<br />
den Flächen unterhalb oder bei der Kuppel. Der Dritte folgte dem „Kreuzigungsstil“, der <strong>nach</strong><br />
der Eroberung der verschiedenen christlichen Ministaaten durch die Araber aus Palästina kam.<br />
Ein gutes Beispiel dafür sind die Szenen aus dem Leben der Jungfrau Maria am westlichen<br />
Gewölbe (6). Einige Fresken in der Nordkapelle, komplettiert mit dem Portrait des Heiligen<br />
Paares (7), stammen aus einer noch späteren Periode, wahrscheinlich aus dem 16. Jahrhundert.<br />
37<br />
Deesis, ['de:ezis; die; griechisch, „Bitte“], die in der byzantinischen Kunst anzutreffende Darstellung des<br />
thronenden Christus zwischen Maria und Johannes dem Täufer; auf Bildern des Jüngsten Gerichts.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 75
Treffen der Jungfrau Maria mit<br />
Elisabeth<br />
Szenen aus dem Leben der Jungfrau Maria (oben)<br />
Pelendri, Heiligkreuzkirche, erste Hälfte 14. Jh.<br />
Es war ein seltsames Freiheitsgefühl, das sich mir hier in dieser Kirche beschlich, als wir<br />
hineingehen durften. Leitern, Gerüststangen, Plastikplanen, Mörtelkübel verstellten Weg und<br />
Sicht. Es wurde gerade rekonstruiert. Ein Mann und eine Frau waren am Werke, und wie uns<br />
Antonio wichtig mitteilte, ein Professor aus Nikosia. Ich entfernte mich von der Gruppe, die<br />
Antonio um sich geschart hatte, verpasste natürlich einiges Wichtige, aber schaute mich mit<br />
meinen Augen um. Ich stieg über Bretter, Malereimer, Plastfolien und machte heimlich ein<br />
paar wenige Aufnahmen, während Antonio an Hand der einzelnen Heiligen-Gesichter den<br />
byzantinischen Malstil zeigte: Mandelaugen, gerade Nase mit feinem roten Längsstrich, starrer<br />
Blick in ungewisse Ferne und als Weiterentwicklung den Renaissance- Stil, bei dem die<br />
Gesichter menschlichen Ausdruck wie Trauer, Andacht, Huldigung etc. aufweisen. Ich ging<br />
auf kurzen Entdeckungsgang.<br />
An einem Pfeiler am Übergang zum Tonnengewölbe entdeckte ich ein schönes Bildnis des<br />
Heiligen Simeon. Mir fiel seine Geschichte wieder ein, weil ich sie in der Klosterruine<br />
nördlich von Aleppo in Syrien erfahren habe.<br />
Hier ist sie:<br />
Simeon wurde im Jahre 386 in einem kilikischen Bauerndorf<br />
geboren. Mit 16 Jahren trat er in das Kloster "Burdsch as- Saba<br />
(„Löwenburg") ein, das am südlichen Hang des Berges „Scheich<br />
Barakat" liegt. Nach 10 Jahren verließ er das Kloster wieder und<br />
siedelte <strong>nach</strong> Telanissos über (das heutige Dorf Deir Sim'an). Dort<br />
führte er drei Jahre lang ein gewöhnliches, bescheidenes Leben.<br />
Eines Tages suchte er sich einen Ort auf dem nahe gelegenen Berg<br />
aus, errichtete dort eine Säule und lebte fortan darauf. Mehrere<br />
Male wurde die Säule durch eine neue, höhere Säule ausgetauscht.<br />
Die höchste Säule war schließlich zwischen 17 und 20 Meter hoch.<br />
Auf dieser Säule verbrachte Simeon 42 Jahre seines Lebens.<br />
Als Simeon im Jahre 459 starb, wurde um die letzte Säule herum<br />
ein Memorialbau zu Ehren des Heiligen errichtet, der schon wenig<br />
später zu einer Wallfahrtsstätte wurde, die Gläubige aus aller Welt<br />
anzog. Einer der Gründe für die weite Verbreitung des Ruhmes des<br />
Heiligen - bis <strong>nach</strong> Frankreich, England, Spanien und Italien - mag<br />
in der wirtschaftlich wichtigen Stellung der damaligen syrischen<br />
Haupt- und Hafenstadt Antiochia (das heutige Antaki'ya) gelegen<br />
haben. Der Bischof Cyrus berichtet uns, dass das Bild des<br />
Säulenheiligen schon 15 Jahre vor dessen Tod in allen wichtigen.<br />
Salons von Rom aushing. So kam der Heilige schon vor seinem<br />
Der Heilige Simeon auf der Säule<br />
Tod zu weltweiter Berühmtheit.<br />
Auch den griechischen Malern war natürlich die byzantinische Geschichte bekannt und auch<br />
die Eremitenzeit des Säulenheiligen Simeon.<br />
Bildmaterial von der Kirche gab es nur in Form einiger Postkarten. Meine Fotos wurden<br />
mehrfach unscharf. Wenn das Zoom ausgefahren ist, verwackelt man leicht. An der Westseite<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 76
des Südschiffes fand ich ein imposantes Fresko mit vielen Heiligen, die die Auferstehung<br />
darstellen sollen. Manche haben Schriften in der Hand.<br />
In der Nordkapelle steht ein uraltes Holzkreuz, das aus der<br />
Gründerzeit der Kirche stammen könnte. Für einen Moment<br />
blitzt der Gedanke auf, wie lange Zeit 800 Jahre sind, in der<br />
dieses religiöse Mal hier überdauert hat, und was draußen auf<br />
<strong>Zypern</strong> und in der Welt sich ereignete.<br />
Ich trete am Südende aus der kleinen Kirche aus, die Sonne<br />
blendet, wärmt, zwingt bald in den Schatten. Ein kleines<br />
verwildertes Areal umgibt hier den Bau. Blaue Trichterwinde<br />
bedeckt den Boden Ein Sanddornbaum mit seinen orangenen<br />
Beeren steht da und ein Granatapfelbaum. Ein verwunschenes<br />
Idyll. Ich geselle mich zu den Leuten, die auf einer schmalen<br />
Mauer im Schatten sitzen. Ein Mann weckt aller Interesse.<br />
Antonio hat ihn gerufen. Es ist Stalin. Er heißt richtig Stalin.<br />
Er freut sich offensichtlich, so im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen und hat auch<br />
etwas mitgebracht, eben auch ein Zeichen zyprischer Gastfreundschaft. Er hat ja nichts davon,<br />
verteilt freigebig Mandeln, noch in ihrer Hülle, so wie sie vom Baume fallen oder geschüttelt<br />
werden. Wir wandeln langsam zum Bus zurück und fahren zum nächsten Etappenziel.<br />
XV. Pano Platres und die Kalidonia- Wasserfälle<br />
S<br />
chätzungsweise 12 km ist der Weg <strong>nach</strong> Pano Platres. Wir erinnern uns: Pano bedeutet<br />
Ober-…und Kato…Unter-.<br />
Er führt über eine Kreuzungsspinne<br />
von Straßen, die längs des Troodos und quer<br />
hinüber führen. In der Nähe gibt es einen<br />
Staudamm, der die Frühjahrswässer<br />
auffängt. Das Dorf Moniatis wird passiert.<br />
Es liegt mitten im Wald, der uns nicht mehr<br />
verlässt. Der Bus stöhnt den Berg hinauf.<br />
Beim Umschalten in den nächst niedrigeren<br />
Gang knackt es trocken und laut, er ruckt<br />
dann mit neu übersetzter Kraft an und<br />
beschleunigt wieder. Durch die offenen<br />
Fenster weht stickiger Dieselqualm, Zugluft<br />
und ein Hauch früheren <strong>Reise</strong>ns herein. Bald<br />
Der REDFORD- Bus in Kato Platres<br />
sind wir erlöst.<br />
Wir halten vor einer blitzsauberen Taverne in Kato Platres, wo es viele Ferienhäuser, ein<br />
Forsthaus, ein Hotel und eine Polizeistation gibt. Hier erfrischen wir uns, ruhen ein wenig aus.<br />
Herr Vassos verteilt freigebig und stolz, wenn er gelobt wird, Äpfel aus eigener Ernte. Sie<br />
schmecken prächtig. Wir sitzen an der Theke zu einer Tasse Kaffee, den Frau Vassos bereitet.<br />
Anton schält einen Apfel und schiebt uns wie ein Vater klein geschnittene Stücke rüber.<br />
Dann stehen wir am Beginn eines Wanderpfades. Einige Ältere, die sich den schwierigeren<br />
Weg nicht mehr zutrauen, erhalten Instruktion über einen leichteren, wieder einige bleiben am<br />
Bus und wollen sich den Mühen nicht unterziehen. Wir laufen los. Martina hat sich selbstlos<br />
den kleinen Rucksack aufgeschnallt, mit Wasser drin und etwas Verpflegung und strebt stetig<br />
voran, immer bei Antonio und immer vorn als Erste. Ich bin, weil ich oft stehen bleibe, Motive<br />
suche, knipse, stets hinten, in Hast und um Anschluss bemüht, eile dann am Pulk vorbei und<br />
lasse mich wieder zurückfallen.<br />
Der Wald hier oben in vielleicht 1600 m Höhe riecht frisch, filtert die Sonne, speichert<br />
Feuchtigkeit, selbst jetzt noch <strong>nach</strong> einem heißen Sommer. Wir laufen auf breitem Weg etwa<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 77
1,5 Stunden. Ich erlebe die Natur! Wie vermisst man die frische Luft im Autobus, auch wenn<br />
sie draußen heiß ist. Aber ich spüre, dass ich lebe. Wandern ist wohl doch die beste Art der<br />
Fortbewegung im Freien. Der Blick hat genügend Zeit, sich mit kleinen Dingen zu befassen,<br />
dem eigenartigen Wuchs eines Baumes vielleicht oder einer unbekannten Pflanze oder dem<br />
Piepsen eines Vogels, dem Flug eines Adlers in der Luft.<br />
Phrygana<br />
Antonio hielt uns auf und<br />
zeigte uns eine<br />
unscheinbare Pflanze am<br />
Boden, benannte sie mit<br />
Phrygana. Sie findet sich<br />
auf felsigem und wenig<br />
tiefgründigem Boden und<br />
wird selten bis 1 oder 2 m<br />
hoch. Sie soll sehr<br />
aromatisch <strong>nach</strong> allen<br />
möglichen Gewürzen<br />
duften. Sie sei sehr selten<br />
und wüchse nur auf <strong>Zypern</strong>,<br />
meinte er. Ein<br />
ausgewachsenes Exemplar<br />
haben wir nicht gesehen.<br />
Der steinige, teilweise von<br />
den heftigen Regenfällen<br />
im Winter ausgewaschene<br />
Pfad stieg stetig an. Das<br />
Wasser entwickelt dann<br />
gewaltige Kraft. Im Winter<br />
gehen an durchschnittlich<br />
19 bis 27 Tagen fast zwei<br />
Drittel der Jahresmenge<br />
nieder, oft in schweren<br />
Gewittern mit Starkregen<br />
(bis 150 Liter/Tag). Häufig<br />
kommt es dabei zu<br />
Überschwemmungen.<br />
Typisch hier oben ist die<br />
Schwarzkiefer (Pinus<br />
nigra), vereinzelt sieht man<br />
Western Troodos Area, M.: 1 : 60 000 (verkleinert)<br />
Eukalyptusbäume, Zypressen und Pinien und im ganzen Troodosgebirge auch Laubbäume wie<br />
Ahorn, Platanen und Eichen. Es gibt die endemische Goldeiche (Quercus alnifolia) als<br />
Strauchgewächs, den Erdbeerbaum (Arbutus andrachne) und den phönizischen Wacholder<br />
(Juniperus phoenicea) und am Boden wuchert die vielgestaltige Macchia, die den ganzen<br />
Mittelmeerraum dominiert.<br />
Der Weg wurde enger, die Vegetation immer wilder. Dann hörten wir das Rauschen von<br />
Wasser- die bekannten Kalidoniafälle. Was da an Wasser über eine vielleicht 15 bis 20 m<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 78
hohe Felskante herabströmte, sich im Fallen in kleine Tropfen- Kaskaden auflöste und in<br />
einem Tosbecken wieder zusammenfloss, waren keine gewaltigen Massen. Aber der Fakt an<br />
sich, dass <strong>nach</strong> einem Sommer von vielleicht sechs Monaten absoluter Trockenheit, in denen<br />
kein Tropfen Regen auf der Insel fiel, wenn man das relativ bescheidene Areal des Troodos in<br />
Betracht zog, dann war das hier schon erstaunlich und für mich ein kleines Wunder. Es ist der<br />
Kryos Potamus, der Kalte Fluss, der aus größerer Höhe herabkommt, und dessen Wasser im<br />
Sommer unterhalb fast völlig aufgefangen und genutzt wird.<br />
Kameras wurden gezückt, die Bank von müden Frauen<br />
belagert, und Antonio warf seinen schweren Rucksack ab,<br />
den er den Weg heraufgeschleppt hat und teilte saftige<br />
Apfelsinen aus. Die Pause im Schatten der hohen Bäume<br />
und der labenden und kühlenden Feuchtigkeit der Luft<br />
Kalidonia Wasserfall: Carina streckt die<br />
Hand <strong>nach</strong> Bedürftigen aus<br />
nutzte jeder auf seine Weise.<br />
Nun beginnt der schönste Teil der Wanderung. Entlang<br />
des wild schäumend sich über Felsbrocken, rankende<br />
Baumwurzeln hinweg ergießenden und leise murmelnd<br />
strömenden Bachs, folgten wir einem Trittpfad, der von<br />
Zeit zu Zeit die Bachseite wechselte. Unbeschreiblich<br />
ist die Umgebung, urwaldartig, märchenhaft. Ich<br />
versuche vorn und ungestört zu gehen, dem Schwatzen<br />
der Mitreisenden zu entfliehen- das große Glück in der<br />
Natur kann man nur ohne Menschen genießen, diese<br />
großen Zerstörer. Manchmal zwängt sich das Wasser<br />
durch einen kleinen Felsen – Canyon, dann wieder<br />
weicht es einem mächtigen Fels aus, der ihm den Weg<br />
versperrt und fließt elegant um ihn herum.<br />
Die meisten kletterten und stiegen auf den großen Steinen<br />
umher, um ein günstiges Kameramotiv oder einen<br />
bequemen Sitzplatz mit ungestörtem Blick auf den<br />
Wasserfall zu suchen.<br />
Wendepunkt. Ein Teil, die Fußlahmen, sollten den Weg<br />
zurück nehmen wie gekommen. Der andere Teil unter<br />
Antonios Führung folgte dem Kryos Potamus, der das<br />
Wasser des Kataraktes zu Tale trägt.<br />
Fluss ist jetzt<br />
geschmeichelt,<br />
aber im Winter<br />
kann das ganz<br />
anders aussehen.<br />
Talwärts am Kryos Potamus<br />
Es ist so schön hier. Dann ist es plötzlich mit der Ruhe vorbei. Stimmengewirr, laute Rufe,<br />
Singen dringt uns entgegen. Ohne Respekt vor diesem Refugium der Natur, rufen und brüllen<br />
sie sich zu, wie wenn sie in der Disco wären. Ein Haufe israelischer und französischer<br />
Jugendlicher, darunter junge Frauen mit gewagten, für diesen Weg völlig ungeeigneten<br />
Schuhen, kommt uns lärmend entgegen, fragt Antonio <strong>nach</strong> dem Weg. Sie wollen zum<br />
Wasserfall hinauf.<br />
Der hat sie wohl verprellt mit seiner Antwort, denn sie kehrten <strong>nach</strong> einiger Diskussion um,<br />
vermischten sich auf dem engen Pfad mit unseren Leuten, nahmen uns jetzt die Ruhe und den<br />
Frieden dieser Zauberwelt. Wir mussten nun schneller gehen, dass wir ihnen ein Stück enteilen<br />
und vor ihrem lauten Geschrei fliehen konnten. Wilhelm Busch geht mir durch den Sinn:<br />
„…So wird manche schöne Stunde/ in der Liebe Seelenbunde/ durch Herbeikunft eines Dritten/<br />
mittendurch und abgeschnitten…“<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 79
Stundenlang hätten wir so gehen können, auch Martina gefiel es ausnehmend. Doch bald<br />
lichtete sich der Weg. Wir gelangten an ein Informationsschild und auf den Ausgangsweg<br />
zurück. Am Ende lugte zwischen dichtem Grün die Forellenfarm von Psilo Dendro hervor.<br />
Er ist mehr Gastronom als Fischer, der in mehreren Teichen die Fließgeschwindigkeit und<br />
Sauberkeit des Wassers nutzt, um der Fischarmut auf der Insel aufzuhelfen.<br />
Das war das Ende einer Fußwanderung zu den<br />
Kalidonia- Wasserfällen oder Kalidonia<br />
Waterfalls oder Caledonian Falls oder richtig<br />
Mονοπατι Καληδονιων. Wörtlich gelesen:<br />
Monopati Kalidónion. Verwirrung stiftet dabei<br />
der Buchstabe η, den wir in der Mathematik mit<br />
eta aussprechen. Es ist aber das griechische i für<br />
ita.<br />
Wer das hier liest, muss sich nicht wundern, wenn<br />
die Schreibweise der griechischen Namen von<br />
der einen oder der anderen Quelle etwas abweicht.<br />
Korrekt wäre natürlich die Wiedergabe aller<br />
Namen in griechischer Schrift. Das könnten Viele<br />
nicht entziffern. Die <strong>Reise</strong>führer bedienen sich<br />
häufig der englischen Übersetzung. Schlimmer<br />
wird es im Norden <strong>Zypern</strong>s. Dort haben viele Orte<br />
türkische Namen, sind aber griechischen<br />
Ursprungs. Auf den Karten finden sich, weil alles<br />
ehemals englisch besetzt war, die englischen<br />
Bezeichnungen. Wenn nun der deutsche Tourist<br />
kommt, möchte er möglichst noch das Ganze<br />
verdeutscht schreiben, weil er weder Türkisch<br />
noch Griechisch und vielleicht auch kein Englisch<br />
beherrscht. Es ist ein heilloses Durcheinander.<br />
XVI. Phini<br />
ier bin ich nämlich selbst Opfer dieser<br />
Namensschreibung geworden. Vergeblich<br />
habe ich diesen Ort so geschrieben auf der<br />
H<br />
Karte gefunden.<br />
Vom Klang her ist „Phini“ erst einmal richtig gesprochen. Geschrieben wird es aber im<br />
Griechischen Φοινι. Nun nehmen es die Kartografen buchstäblich und transformieren jeden<br />
Buchstaben in die lateinische Umschrift. Es wird daraus Foini. So liest es die Karte. Man muss<br />
aber wissen, dass die griechischen Doppellaute οι und ει wie i ausgesprochen werden. Also<br />
muss es richtig heißen: Fíni (vorn betont). Nun kann man sich noch über die Rolle des Ph und<br />
seiner langsamen Überalterung im Deutschen auseinandersetzen und dessen Ersetzung durch<br />
das F. Schon ist das Rätsel gelöst! Jetzt sind wir perfekt im Griechischen! Die<br />
Buchstabenverbindungen sind der Knalleffekt. Wer die richtig lesen und aussprechen kann, ist<br />
der Schrift und der Aussprache dicht auf den Versen. Die Vokabeln lernen sich dann schnell.<br />
Ha ha ha.<br />
Wir fahren <strong>nach</strong> Phini - dabei bleibe ich jetzt – zum Mittagessen. Wir haben schon<br />
Kohldampf. Unser Oldtimer- Bus hält vor einem Ausflugslokal an einem schattigen Winkel<br />
des kleinen Dorfes. Ein Bachbett direkt neben dem flachen Gebäude deutet auf Wasser im<br />
Frühjahr hin, das von den höheren Lagen des Troodos herabfließt. Jetzt ist es ausgetrocknet.<br />
An seinen Ufern wächst in dichten Hecken Feigenkaktus. Davor breitet sich ein kleiner<br />
Parkplatz, auf dem schon einige Fahrzeuge stehen.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 80
Der unauffällige Bau des Hauses sowie der Flachbau<br />
schmiegt sich eng, ja verwächst mit dem Hang, der sich<br />
über dem Ufer des Baches erhebt. Drinnen in dem<br />
Flachbau sitzen schon <strong>Reise</strong>gruppen an langen Tischen.<br />
Wir werden an einen langen, freien Tisch gelotst, der<br />
schön eingedeckt ist, sitzen recht eng, auf jeder Seite 15<br />
Leute. In Karaffen stehen Wasser und Wein zur<br />
Selbstbedienung. Ein etwas schmuddeliger Mann trägt<br />
die Speisen auf. Es wiederholt sich in Abwandlung die<br />
Zeremonie einer Mezé. Das Essen soll 17 Gänge gehabt<br />
haben, ich habe nicht gezählt. Je mehr also angeboten<br />
werden, desto stolzer ist jeweils der Gastgeber auf seine<br />
Leistung. Das Essen dauerte lange und war ähnlich<br />
umfangreich und vielgestaltig wie das Abendessen in<br />
Agros.<br />
Nach dem Essen sah ich auf dem Busparkplatz zu, wie<br />
unser Kraftfahrer eine Kaktusfeige aufschnitt, uns ihr<br />
Inneres zeigte und demonstrierte, wie man sie roh isst. Phini- Ausflugslokal am Bach<br />
Er packte die stachlige Frucht, nahm dazu sein Taschentuch, um sich nicht die feinen Nadeln in<br />
die Haut zu stechen, entfernte vorsichtig mit dem Taschenmesser die Haut und legte das gelbe,<br />
reife, süße Fruchtfleisch frei, das er dann vor unseren Augen genüsslich aß.<br />
Wir stiegen wieder ein und bald wieder aus. Es war<br />
nicht weit bis zum Museum von Theophanis K.<br />
Pilavakis, ein inselweit bekanntes Töpferzentrum.<br />
Durch ein niedriges Tor traten wir in einen Hof, der<br />
wie aus dem vorigen Jahrhundert konserviert<br />
schien. Riesige Tongefäße lagerten unter einem<br />
niedrigen, offenen mit Weinlaub überwucherten<br />
Dach. Alte Balken stützen es. Eine Weinpresse mit<br />
hölzerner Spindel schlief ihren musealen Schlaf.<br />
Töpferei- Werkzeug lehnte an einer Lehmwand, Spatel und Holzzinken, um den Tonbrei zu<br />
bearbeiten. Uns erklärte keiner etwas, ich musste also raten. Beachtlich große Tongefäße, mehr<br />
als ein Meter im Durchmesser, standen in Reih’ und Glied. Eine steinerne Ölmühle fristete ihr<br />
Dasein im Halbdunkel. Schnell trat ich hinzu, wo Herr Pilavakis jetzt die Leute unterhielt. Er<br />
ist ein 82jähriger lustiger alter Herr, der jetzt das alte Haus und das Erbe seiner Familie pflegt<br />
und ein privates Museum daraus gemacht hat. Er hatte über 40 Jahre in England gelebt und war<br />
zurückgekommen, als seine Frau gestorben war. Nun verbringt er seinen Lebensabend in Phili<br />
und zeigt uns einige seiner einzigartigen Produkte, mit denen seine Töpferfamilie zypernweit<br />
bekannt geworden ist. Ein Plakat preist den größten Tontopf der Welt an. Er reicht Pilavakis<br />
bis an die Schulter. Dazu brauchte man eine besondere Technik des Formens und Brennens,<br />
mindestens aber große Brennöfen.<br />
Ansonsten machte er viel Spaß. Er erzählte kurze Schnurren auf<br />
Deutsch, griff sich die eine oder den anderen aus unseren Leuten<br />
heraus und demonstrierte kurz, was er meinte. Die Spitze der<br />
Belustigung erreichte Herr Pilavakis, als er uns die Sauna für<br />
Schwangere demonstrierte. Dazu musste Martina als Medium in<br />
ein großes Tongefäß steigen, in dem ein kleiner Korbstuhl zum<br />
Sitzen und – Schwitzen einlud. Schwangere Frauen sollten das<br />
Schlechte aus dem Blut schwitzen. Unter dem Gefäß wurde ein<br />
Feuer angebrannt, über die Öffnung ein Tuch gehängt. Fertig war<br />
die Sauna. Da<strong>nach</strong> wurden die Wöchnerinnen auf eine Liegestatt<br />
bugsiert, ihr Leib mit Binden umwickelt, um die gute Figur wieder<br />
herzustellen.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 81
Das wurde gleich auch noch an Martina demonstriert, weil sie die einigermaßen hübscheste<br />
von uns war und auch so ziemlich die zierlichste Figur hatte. Während Martinas Mitte<br />
umwickelt wurde, schaute ich mich in den kleinen niedrigen und halbdunkeln Räumen um. Ein<br />
alter Webstuhl mit einigen Proben an der aus groben Felssteinen gemauerten Wand<br />
demonstrierte einen Nebenerwerb der Töpferfamilie. An der anderen Wand hingen Bilder.<br />
Eines zeigte die Familie beim Töpfern vor etwa hundert Jahren, ein anderes zwei berühmte<br />
Mitglieder der Familie, von denen einer ein Priester und einer sogar ein Bischof war!<br />
Berühmte historische Persönlichkeiten<br />
der Familie Pilavakis<br />
Die Familie beim Töpfern in alten Zeiten<br />
In einem anderen Raum führte Herr Pilavakis einen Tontopf vor, bat dazu eine beherzte Dame<br />
aus unserer Mitte, sich in der Weise niederzulassen, als wenn sie ihre Notdurft darauf<br />
verrichten wollte, und fragte, was es für ein Topf sei. Natürlich lachten alle- ein Nachttopf! Da<br />
lachte aber Herr Pilavakis, nahm den Topf demonstrativ, setzte ihn an den Mund und ahmte<br />
<strong>nach</strong>, daraus zu trinken. Seine wahre Funktion sei ein Melktopf gewesen. Darin wurde früher<br />
die Milch beim Melken der Ziegen und Schafe gesammelt.<br />
Dann zeigte er uns einen<br />
Ofen aus Ton, Krüge,<br />
Vasen und regelrechte<br />
Kunstwerke, von denen er<br />
eines in der Linken<br />
hochhielt und in der rechten<br />
Hand ein 10- Cent- Stück.<br />
„Dieser Tonkrug war Pilavakis Schöpfung<br />
auf der<br />
Vorbild und Muster für die Zyprischen 10- Cent- Münze<br />
Eines der Tonkunstwerke der Töpferei<br />
Pilavakis in Phini<br />
Münzprägung des zyprischen Geldes“, sagte er stolz. Es<br />
ist eine Art naive Kunst, die sehr dieser antiken braunen<br />
Keramik ähnelt, die ich im <strong>Zypern</strong>museum gesehen habe.<br />
War sie Vorbild oder sind hier Wurzeln echter<br />
Volkskunst verankert, die sich auf <strong>Zypern</strong> bis heute<br />
erhalten haben? Erzbischof Makarios III. war in Ton<br />
gebrannt, eine symbolische Weltkugel mit amphibischen<br />
Menschenwesen darauf, viele Vasen mit Rosetten,<br />
Verzierungen; Schalen, Backmulden, Krüge mit einem<br />
oder zwei Henkeln, oben oder unten angebracht, für die<br />
verschiedensten Zwecke im Haushalt und allgemeinen<br />
bäuerlichen Gebrauch. Martina durfte sich für ihre „Dienste“<br />
zwei Ansichtskarten auswählen, die der alte Herr mit seinem<br />
Autogramm versah. Ich gebe es hier wieder, weil ich in dieser<br />
kurzen Zeit ein Fan von ihm geworden bin. So wie er das Leben<br />
meistert, allein auf sich gestellt und wie er das Erbe der<br />
Vergangenheit an die heutige Generation weiter vermittelt- alle<br />
Hochachtung vor diesem Mann!<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 82<br />
Theophanis K. Pilavakis
So lustig und gleichzeitig lehrreich ist mir die Keramikkunst noch nicht nahe gebracht worden.<br />
Beim Einsteigen auf dem Dorfplatz beobachtete ich im Kafeníon unter dem schattigen und<br />
Früchte tragendem Weinlaub eines uralten Rebstocks sieben alte Herren des Dorfes. Sie sitzen,<br />
verbringen ihre Zeit auf der Bank, rauchend, schwatzend, schweigend, je <strong>nach</strong> Temperament.<br />
Manch einer hat sich auf seinen Stock gestützt. Sie haben Zeit. Nichts bleibt ihnen verborgen,<br />
was im Dorfe vor sich geht. Antonio nennt sie die „Philosophen“ des Ortes. Ich habe mein<br />
Foto „Die sieben Söhne des Sophokles“ benannt. Wenn dieser griechische Vorfahr auch kein<br />
Philosoph war, dann doch ein Dichter und Stratege. Und was machen diese alten Männer denn<br />
anders als Strategie? Sie meistern den schalen Rest ihres Lebens, nehmen es wie es ist,<br />
verbringen es gemeinsam. In Ruhe, Beschaulichkeit und Abgeklärtheit. Uns zum Vorbild.<br />
Neugierig beäugen sie die Fremden. Ein kleinster Wink, und man kann sich mit ihnen<br />
unterhalten. Wie schlimm empfinde ich es immer, wenn ich feststellen muss, dass ich weiter<br />
muss und vor allem, dass ich ihre Sprache nicht spreche. Das meine ich damit, wenn ich häufig<br />
das Gefühl habe, dass ich durch ein fremdes Land fahre, als wenn ich in ein buntes Aquarium<br />
schaue, die schönen Pflanzen und bunten Fische sehe, aber immer durch dickes Glas von den<br />
eigentlichen Bewohnern getrennt bin. Busreisen sind oft nichts als Fassade, schöner Schein. Ab<br />
und zu tauche ich die Hand ins Aquarium, streichle einen Fisch. Mein Kopf bleibt immer<br />
draußen.<br />
XVII. Weinverkostung bei Lambouri<br />
igentlich sollte das <strong>Reise</strong>programm an diesem Nachmittage mit einer Weinverkostung<br />
in Kilani ausklingen. Doch Antonio druckste herum, es würde etwas nicht klappen. Er<br />
müsse kurzerhand umplanen. Wir würden <strong>nach</strong> Platres fahren. Hier säße in einem alten<br />
E Herrenhaus etwas außerhalb des Ortes eine der größten Winzereien der Insel auf 1128 m Höhe.<br />
Dieses schien wie neu gebaut, auf jeden Fall<br />
restauriert. Man sah auch das Geld, das hier<br />
geflossen war. Wir erfuhren beim Vorstellen des<br />
Winzers, dass er sich aus Deutschland einen<br />
jungen Mann vom Fach hergeholt hatte, durch<br />
Heirat nun eng verbunden, der die<br />
Weinerzeugung <strong>nach</strong> den neuesten und<br />
effektivsten deutschen Methoden betrieb. Wir<br />
stiegen in den kühlen Keller hinab. Uns wurden<br />
die blitzenden Edelstahl- Tanks gezeigt, das<br />
Flaschenlager, die Etikettiermaschine. Alles<br />
erschien steril, neu und atmete keinen Hauch<br />
Winzer- Romantik. Ein Industriebetrieb eben.<br />
Weingut Lambouri in Platres<br />
Oben an der Theke konnten wir von den Weinen kosten. Natürlich wird hier roter, weißer und<br />
Rosé- Wein erzeugt, hauptsächlich von den bewährten Sorten Cabernet Sauvignon und<br />
Chardonnay, aber auch von einer neuen Mataro- Traube, die hier in 1000 m Höhe vortrefflich<br />
gedeiht. Der Winzer verwies stolz darauf, dass der deutsche Konsul regelmäßig hier seinen<br />
Weinvorrat aufstockt, dass er an der Küste in den großen Städten viele seiner Abnehmer hat<br />
und auch Wein <strong>nach</strong> Europa exportiert, obwohl er keine großen Mengen herstellt.<br />
Es gibt von Lambouri die Sorten: Chardonnay Fumé, Cabernet Sauvignon, Dry White, Dry<br />
Red, Dry Rosé und Dry Red Special Reservé.<br />
Uns bot man von dreien an. Die Jahrgänge waren nicht älter als drei Jahre. Wir standen, und<br />
ich hatte das Gefühl- da niemand etwas kaufte – dass der Winzer bei aller Freundlichkeit froh<br />
war, als wir dann, <strong>nach</strong> vielleicht einer halben Stunde, sein modernes Haus wieder verließen.<br />
Ein Pflichtprogramm ohne Verve. Enttäuschend.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 83
XVIII. Chandria und wieder Agros<br />
D<br />
ie Heimfahrt <strong>nach</strong> Agros enthielt noch einen kleinen Blickpunkt. Nach dem Wein<br />
bekamen die meisten von uns Kaffeedurst. So ließ Antonio in Chandria den Bus für<br />
eine kleine halbe Stunde anhalten. Die Nachmittagssonne war schon erträglich.<br />
Chandria ist ein kleines Dorf, schon wieder im Pitsilia- Gebirge, das den östlichen Teil des<br />
Troodos- Massivs einnimmt. Die Hauptstraße folgt mit ihren Windungen den Höhenlinien, die<br />
die Topografie des Geländes vorgeben. Die Häuser sind schlicht und zweckmäßig gebaut,<br />
kaum Fenster zur Straße. Hohe Mauern stützen sie gegen den Hang oder das Tal. Auf den<br />
Dächern stehen die Hochbehälter für warmes Wasser. Stromkabel, Leitungsmasten und<br />
teilweise Solarzellenplatten auf den Dächern verunzieren das Bild. Eine Telefonzelle, ein<br />
Kaffeehaus. Weiter kann ich zunächst nichts Kommunales mehr ausmachen. Wovon leben<br />
diese Leute? Ich erfahre es in der kurzen Zeit nicht. Wir halten ein Stück unterhalb und laufen<br />
einige Meter. Ich versuchte auf der kleinen Terrasse im Kafeníon, von der man den Blick ins<br />
Tal frei hatte, zwei frei Stühle zu belegen, aber zwei Damen von uns wollten unbedingt mit<br />
zwei anderen zusammensitzen. „Hier ist besetzt!!“, wiesen sie mich ab. Ich erwähne diese<br />
belanglose Begebenheit, weil sie für viele <strong>Reise</strong>gruppen symptomatisch ist, wenn auch<br />
psychologisch und menschlich verständlich. Im Laufe jeder <strong>Reise</strong> bilden sich Grüppchen und<br />
Gruppierungen, die sich dann einigeln und innerhalb der etwas unüberschaubaren großen<br />
Gruppe zu kleinen Clans zusammenschließen. Da bilden zum Beispiel die immer mehr<br />
befeindeten Raucher eine Allianz, die schon dadurch zueinander hält, dass sie ihr Laster<br />
gemeinsam haben. Manche kennen sich von früheren <strong>Reise</strong>n und wollen sich unbedingt von<br />
den anderen abschotten. Mit gefällt diese egoistische Verhaltensweise nicht, obwohl bei<br />
solchen Rentnerreisen keine anderen Leute im Bus sitzen als sie einem zu Hause auf der Straße<br />
begegnen. Ihre Motive zu reisen weichen von den meinen erheblich ab.<br />
Spielkartenrunde in Chandria<br />
Wir fanden in dem kleinen verräucherten Kafenion Platz am<br />
runden Tisch. Nebenan klitschten die Männer des Ortes Karten.<br />
Antonio erkannte den Bürgermeister und begrüßte ihn lauthals.<br />
Der grüßte zurück und winkte uns zu, wandte sich aber wieder<br />
den Karten zu. Über die Köpfe hielt ich den Fotoapparat hoch<br />
und knipste die Kartentischszene. Das habe ich in vielen<br />
Kaffeehäusern auf <strong>Zypern</strong> gesehen. Bescheiden steht ihr<br />
Teeglas oder die längst geleerte Kaffeetasse daneben. Man ist<br />
vertieft im Spiel und das sehr leidenschaftlich, oder man<br />
mustert die Fremden, um dann sein Scherflein an Beobachtung<br />
beizusteuern, wenn später darüber philosophiert wird.<br />
Irgendwie muss die Zeit umgebracht werden, beschaulich,<br />
ohne Hektik, ruhend in der Gemeinschaft. Wehe, wer von ihr<br />
ausgestoßen ist! Auch hier störten wir nur ihre Sitzungen, in<br />
der Taverne oder draußen vor der Tür die Männer, die uns<br />
dennoch noch lange freundlich zuwinkten, als wir losfuhren.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 84<br />
Da erklärte mir später einmal eine Frau, sie führe<br />
mit ihrer Nichte, für die sie zugezahlt hat, weil diese<br />
arbeitslos ist, eine pekuniäre Gemeinschaft. Ein<br />
anderes Paar gestand mir auf mein Fragen, dass der<br />
Mann des Partnerpaares etwas schwerhörig sei,<br />
daher immer etwas hilflos, und sich auch im<br />
Ausland schwer zurechtfindet. Die Sprache! Nun<br />
gut, ich habe Verständnis, aber solch Verhalten<br />
schweißt eine <strong>Reise</strong>gruppe nicht zusammen. Ich<br />
habe die Erfahrung gemacht: Was über 12 Personen<br />
zählt, ist für Erlebnisreisen zu viel. Leider fangen<br />
organisierte Busreisen sich bei dieser Anzahl erst an<br />
zu rentieren. Andere <strong>Reise</strong>n sind einfach teurer.
Gegen 18 Uhr lud uns der Busfahrer vor dem Rodon- Hotel in Agros wieder aus. Die Fahrt im<br />
Oldtimer- Bus war nicht so komfortabel wie die anderen, aber sie gaben dem Ausflug ein<br />
besonderes Flair. Als es noch keine klimatisierten Fahrzeuge gab, reiste man auch nicht anders.<br />
Und ganz früher hat sich niemand über die schlecht gefederten <strong>Reise</strong>kutschen aufgeregt.<br />
Martina gab sich der Ruhe hin. Ich ging auf Entdeckungsgang im Hotel und schwamm einige<br />
Runden im Schwimmbecken. Die Temperatur war um die 20 Grad, der frischen Höhenlage<br />
hier oben angepasst. Deshalb war ich auch der Einzige, der das herrlich klare und saubere<br />
Wasser nutzte. Die Wenigsten gehen über ihre Bequemlichkeitsgrenzen hinaus. Und erleben<br />
natürlich nicht den Reiz des Besonderen.<br />
Später machte ich mich über einen Informationshefter eines<br />
anderen <strong>Reise</strong>büros her und fotografierte einige Infoseiten über<br />
<strong>Zypern</strong> einfach ab. Man verzeihe mir ihre Verwendung in diesem<br />
Aufsatz!<br />
Immer abends schreibe ich einige Zeilen in mein <strong>Reise</strong>-<br />
Tagebuch, um später die Fakten <strong>nach</strong>zulesen. Sie helfen mir<br />
noch <strong>nach</strong> Jahren, zusammen mit meinen Fotos, mich minutiös<br />
an selbst kleine Begebenheiten zu erinnern. Ich gehe auf den<br />
Balkon und schaue an den Abendhimmel. Ein wunderbarer<br />
Vollmond steigt über den Felsen empor und seine Bahn, wenn<br />
man länger hinschaut, ist sogar zu beobachten, so dass man ein<br />
Gefühl dafür bekommt, dass wir uns auf der Erde drehen. Ich<br />
fühle eine eigenartige Nähe zu den Gestirnen.<br />
XIX. Scheunendachkirche und Kykko- Kloster<br />
Donnerstag, 5. Oktober 2006<br />
H<br />
eute stand pünktlich 9 Uhr wieder der bequeme Mercedes- Bus vor der Tür.<br />
Landschaftlich wie kulturell erwarteten uns heute Höhepunkte: Die Spitzen des Troodos<br />
und das Kykko- Kloster. Die Fahrt ist länger als gestern. Antonio greift zum Mikrofon<br />
und plaudert über zyprische Verhältnisse. Da ist zunächst die Grundschule. Sechs Jahre plus<br />
drei Jahre Gymnasium sind Pflicht. Es gibt eine Kleiderordnung. Fehlt der Schüler mehr als<br />
20mal, wird er oder sie sitzen bleiben. Sind die Zensuren schlechter als Vier, müssen die Eltern<br />
die Zeugnisse abholen. Es gibt auch Ganztagsschulen.<br />
Junge Männer müssen <strong>nach</strong> dem Gymnasium erst eine 26monatige Militärzeit absolvieren, ehe<br />
sie eventuell weiter studieren können.<br />
Wir durchfahren wieder Chandria. Auf einer Höhe bei Kyperunta erhebt sich eine große<br />
unfertige Kirchenbaustelle. Es ist keine Ruine, wie es beinahe aussieht, sondern entpuppt sich,<br />
als wir näher kommen, als ein großer Neubau. Die Baufirma ist Pleite gegangen und jetzt ruht<br />
die Geschichte. Hier in der Gegend breiten sich große Apfelplantagen aus, wo <strong>nach</strong> der Ernte<br />
gleich gemostet und der fertige Apfelsaft als Produkt weiter gehandelt wird.<br />
Neben den Plantagen zieht sich an den Hängen reicher Baumbestand hin: Zedern, Erlen,<br />
Sequoias (Mammutbäume), Goldeichen, Pinien, Platanen, Akazien, Schwarzkiefern.<br />
Wir belustigen uns an den Schnurren, die uns Antonio von dem Typen Christagis erzählt. Den<br />
soll es wirklich gegeben haben.<br />
Christagis hatte eine Phobie. Seine reiche Phantasie gaukelte ihm vor, er hätte seine<br />
Geschichten, die er erzählte, tatsächlich erlebt. Er glaubte fest daran und setzte voraus, dass<br />
seine Zuhörer ihm das abnahmen. So gab er einige Proben zum Besten:<br />
• Unter anderem glaubt er fest daran, dass er im Kriege Pilot war. Christagis fliegt von<br />
Griechenland <strong>nach</strong> <strong>Zypern</strong>. Bei der Landung stellt er einen Fahrwerksfehler fest. Es<br />
fährt nicht aus. Da hat er kühn das Flugzeug während der Landung ausbalanciert, bis<br />
das Flughafenpersonal ein Stützholz unter die Tragfläche gebracht hat. Wirklich!<br />
• Ein andermal war er Pilot eines F16- Jägers, unter Beschuss des Feindes. Ein Treffer<br />
riss ein Loch in den Tank. Christagis wirft die Maschine auf den Rücken, damit der<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 85
Tank nicht leer läuft und fliegt kopfüber noch 300 km auf dem Rücken- und landet<br />
sicher.<br />
• Christagis war auch Busfahrer. Einmal traf er unterwegs einen gefürchteten TUI-<br />
Manager, der ihn für die Werbung prüfen wollte. Dieser hatte seinen Hund mit, einen<br />
Pudel. Sie hielten an, weil der Hund mal musste, dieser büxte aus und badete in einem<br />
Wassergraben. Wütend auf Christagis, wies der Manager auf den tropfnassen Hund. Da<br />
nahm Christagis den Pudel geistesgegenwärtig beim Schopf, lässt den Motor an und<br />
hält ihn unter den heißen Auspuff. Das Haar versengte. Job und Hund und Manager<br />
entfernten sich.<br />
• Christagis war auch Kämpfer im Krieg. Einmal hat er eine Kugel in die Wange<br />
bekommen. Da er rechtzeitig den Mund aufgemacht hat, sieht man heute nur noch das<br />
Einschussloch. Er zeigt auf die eine Narbe.<br />
• Einmal hatte Christagis Motorradpanne. Das Vorderrad war platt. Da riss er es beim<br />
Fahren hoch und ist die 75 km bis <strong>nach</strong> Hause in dieser Position gefahren:<br />
Irgendwie mochte ich diesen optimistischen Typen und hätte noch mehr Geschichten aus<br />
Antonio herauskitzeln mögen.<br />
Makelloser Himmel und große Wärme strahlte die Sonne aus. Die Straße windet sich im<br />
breiten Marathasa- Tal <strong>nach</strong> oben. Oberhalb von Pedoulas stiegen wir zum Fotostopp aus,<br />
um einen Blick auf ein Bergdorf zu genießen, auf seine wunderbare Kirche. Der Narthex ist auf<br />
beiden Seiten Kuppeln bekrönt, die auf schlanken Säulen ruhen. Die Mittelkuppel ragt aus<br />
rotem Ziegeldach heraus. Alle Fenster sind zugemauert und mit schwarzen Kreuzöffnungen<br />
durchbrochen. Weit schweift das Auge bis über die bebauten Terrassen in ferne Höhen des<br />
Gebirges. Ein Judasbaum und ein Essigbaum geben uns Schatten. Wir sind im Troodosgebirge.<br />
Erste Station ist eine uralte Scheunendachkirche. Inmitten herrlicher Natur , am rechten Ufer<br />
des Flusses Klarios (Karkotis) in einer dicht bewachsenen Schlucht errichtet, liegt sie an den<br />
Ausläufern des Troodosgebirges, fünf Kilometer südlich von Kakopetria, das historische<br />
Kloster des Heiligen Nikolaos vom Dach oder auf Griechisch Ο Αγιοσ Νικολαοσ Τησ<br />
Στεγισ (Sprich O Agios Nikolaos tis stegis). Diese kleine Kirche liegt abseits der Straße.<br />
Antonio zeigt sie uns als Zugabe zum Programm. Sie gehört zum Weltkulturerbe der<br />
UNESCO. Es gibt so viele Kirchen hier im Gebirge. Diese aber ist sehr alt und stammt<br />
mindestens aus dem 11. Jahrhundert, ist aus Feldsteinen gemauert und grob verputzt. Ihr<br />
architektonisches Charakteristikum ist ein über die Längsmauern gelegtes Satteldach, 13 m<br />
lang und 8 m breit, das die eigentliche Holz- Kirche überdeckt und gleichzeitig vor den<br />
heftigen Schneefällen hier im Gebirge schützt.<br />
Das geschah schon Ende des 12. bis Anfang 13. Jahrhunderts.<br />
Dieses zweite Dach mit den flachen Ziegeln verlieh bereits im<br />
13. Jh. dem Heiligen Nikolaos den Namen „vom Dach“ (tis<br />
Stegis)<br />
Wir dürfen eintreten, werden aber wieder von einem alten<br />
Mann bewacht, der uns ermahnt, nicht zu fotografieren. So<br />
kaufe ich ihm ein Heftchen ab und lese so gleich etwas über die<br />
Geschichte des Klosters <strong>nach</strong>:<br />
Seine Gründung erfolgte in der mittelbyzantinischen Epoche im 11.<br />
Jahrhundert, es erlebte während der Frankenherrschaft großen<br />
Aufschwung, wie zahlreiche Fresken in der Kirche bezeugen. Es ist<br />
bekannt, dass der Erzbischof von <strong>Zypern</strong> während der<br />
Frankenherrschaft- wir erinnern uns: 1192 – 1489 waren die<br />
Lusignans die Herren – <strong>nach</strong> 1260, dazu gezwungen wurde, dieses<br />
Der Heilige Nikolaos.<br />
Hauptschiff. Fresco aus dem<br />
1. Jahrzehnt des 12. Jh.<br />
Kloster zu seinem Sitz zu wählen.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 86<br />
Dieses geschah, weil die fränkischen Eroberer auf Erlass des<br />
Papstes von Rom, Alexander IV. (1260), in ihrer Bemühung um die<br />
Latinisierung der Insel die orthodoxen Bistümer von 14 auf 4<br />
reduzierten und sowohl den Erzbischof wie auch die anderen<br />
Bischöfe vertrieben.
1633 wurde das Kloster renoviert. Ein Mönch Philotheos stiftete neben diesen Kosten ein Fresko, das<br />
den Aposteln Peter und Paul gewidmet ist.<br />
1735 besuchte ein russischer Mönch und Pilger, Basilios Bersky, das<br />
Kloster. Er brachte eine Inschrift an, die heute noch erkennbar ist:<br />
„Von Trikoutsia <strong>nach</strong> Troodos gewandert und über den Schnee dort<br />
berichtet, den Schweiß der Adler, das wunderbare<br />
Asbestgestein…ich der Mönch Wassilis Moskoworotsos aus `Kiew<br />
im Juli.“<br />
Verbrieft ist eine Nachricht: „Es (das Kloster) ist klein, aber verfügt<br />
über zwei Mühlen und zahlreiche Felder und Wälder, von denen es<br />
seinen Lebensunterhalt bestreitet und die türkischen Steuern<br />
bezahlt.“<br />
1808 ist der letzte Mönch des Klosters, der Verwalter Jerasimos,<br />
gestorben.<br />
So schnell wie wir hinein gelangten, waren wir in dem kleinen<br />
Hauptschiff herumgegangen, schauten uns die Fresken an,<br />
einige fast 900 Jahre alt- man muss sich das einmal klar<br />
machen! Es sind die ältesten, die auf der Insel erhalten<br />
„Der<br />
Barmherzige“. Fresco aus dem 3.<br />
geblieben sind.<br />
Jahrzehnt des 14. Jh., das sich im<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 87<br />
Narthex der Kirche befindet<br />
Berühmt ist ein Fresco, das die Bekehrung der „40 Heiligen<br />
von Sebaste“ aus der Zeit der Christenverfolgung<br />
veranschaulicht. Die Männer sollten gezwungen werden, dem<br />
Christentum abzuschwören. Sie wurden, nur mit einem<br />
Lendentuch bekleidet, aufs Eis ausgesetzt. Man sieht sie<br />
zittern vor Kälte, wie sie aneinanderrücken oder sinnbildlich<br />
gesprochen zueinander stehen. Ihre offenen Augen sprechen<br />
Trotz und Durchhaltewillen aus. Für die Abtrünnigen hielt<br />
man Feuer und warmes Badewasser bereit. Auf dem Bild<br />
bemühen sich die Standhaften um einen Mann, der<br />
zusammenbricht. Vom Himmel schweben Märtyrerkronen<br />
herab.<br />
Dieses Kirchlein ist eine Schatztruhe. Von außen ist sie ein<br />
eher unscheinbares Bauwerk, aber es hat fast 1000 Jahre<br />
Geschichte erlebt. Sie birgt Fresken aus sechs Jahrhunderten,<br />
eine seltene Versammlung byzantinischer Kunst.<br />
Weiter trug uns der Bus durch die Berglandschaft des Troodos. Ich könnte den genauen Weg<br />
nicht mehr beschreiben. Ich weiß nur noch, dass wir durchs Fenster ziemlich nahe den<br />
höchsten Berg <strong>Zypern</strong>s, den Olympos sehen konnten. Eine weiße Kugel macht ihn<br />
unverwechselbar. Leider gehört das Plateau des Berges nicht den Zyprern. Die Engländer<br />
haben es okkupiert, besser ausgedrückt, aus der Kolonialzeit gesichert. Was es strategisch<br />
bedeutet, von hier den Weitblick zu haben, mache man sich mit einem Blick auf die Karte<br />
deutlich.<br />
Zunächst fuhren wir am Kykko- Kloster vorbei, immer höher,<br />
vorbei an einem frei stehenden Glockenturm, in dem sechs<br />
Glocken frei aufgehängt sind. Ihr Schall schwingt weit ins Tal<br />
hinaus. Er wurde erst 1882 gebaut, weil bis dahin die<br />
osmanischen Eroberer Glockenverbot verhängt hatten. Die<br />
größte wiegt 1280 kg und wurde in Russland gegossen.<br />
Unser Ziel war das Grabmal von Erzbischof Makarios III. Auf<br />
der Höhe steht sein Mausoleum. Zwei Soldaten bewachen es.<br />
Einer steht immer für zwei Stunden unbeweglich Wache, der<br />
andere löst ihn ab.
Ein schlichter Steinsarkophag ist mit einer dicken Metallplatte abgedeckt. Ein Bild wird von<br />
zwei Blumenschalen flankiert. Im Hintergrund, in der Tiefe der Gruft, zu der einige Stufen<br />
hinab führen - ich hätte ihn beinahe nicht bemerkt - steht breitbeinig ein Wachsoldat auf<br />
Ehrenwache, die Maschinenpistole vor der Brust, vor einer von einem hellen gleißenden<br />
Lichtband durchbrochenen Mauer. Die Fotografen drängeln sich um ein Bild „ohne“. Wir<br />
stehen einige Gedenkminuten lang vor dem Andenken dieses kämpferischen Präsidenten und<br />
Erzbischofs von <strong>Zypern</strong>.<br />
Makarios liegt nicht von ungefähr hier begraben. Er ist unweit von hier in einem Dorfe<br />
geboren und hütete als Junge in diesen Bergen Schafe und Ziegen. Schon als Novize<br />
verbrachte er mehrere Jahre in der Klosterbruderschaft des Kykko- Klosters. Später, während<br />
der Freiheitskämpfe in den 1950er Jahren unterstützte das Kloster die Untergrundbewegung<br />
EOKA 38 . Etwa 2 km entfernt befand sich der Unterschlupf des EOKA- Führers General<br />
Grivas.<br />
Auf dem Berggipfel hier steht eine kleine Kapelle zu<br />
Ehren von Makarios III. Zu ihr führt ein aus Bruchsteinen<br />
gemauerter, mit breiten Brüstungen begrenzter Weg. In<br />
der Kapelle steht der „Throni“, der kleine Thron, das<br />
heißt der Thron der Heiligen Jungfrau“. In älteren Zeiten<br />
stand hier ein hölzerner Thron, auf den die heilige Ikone<br />
bei Bittgebeten gesetzt wurde. Zuletzt geschah dies im<br />
Jahre 1990 bei einer großen Dürre. 1935 wurde der Thron<br />
durch ein Zementgewölbe ersetzt, das jüngst diesem<br />
größeren, imposanteren Bau seinen Platz überlassen<br />
musste.<br />
Auf einem Thronsessel lehnen Ikonen. Eine davon ist die<br />
Nachbildung der „Heiligen Ikone des Klosters“. Um den<br />
Sitz flattern weiße Bändchen, geknüpft von Pilgern. Sie sollen<br />
Wünsche und Bitten an sie erfüllen helfen. Ein so genannter<br />
Wunschbaum steht auch am Rande des Plateaus, fast wie unser<br />
heimatlicher Weih<strong>nach</strong>tsbaum geschmückt, aber nur mit im<br />
Winde wehenden weißen Bändern.<br />
Um diese „Heilige Ikone“ dreht sich die Entstehungsgeschichte<br />
des Kykko- Klosters, die ich hier <strong>nach</strong>erzählen will:<br />
Der Überlieferung <strong>nach</strong> ist der byzantinische Statthalter <strong>Zypern</strong>s<br />
Manuel Voutomitis, um das Jahr 1100 n. Chr. auf Jagd gegangen. Er<br />
verlief sich jedoch im Troodos- Gebirge, in dem es zu jener Zeit<br />
dichte Wälder mit wilden Tieren und seltenen Vögeln gab. Nachdem<br />
er lange hin und her irrte, traf er auf einen greisen Einsiedler namens<br />
Isaias. Der Byzantiner behandelte ihn sehr schlecht, weil sich der<br />
Asket, der alles Weltliche mied, nicht bereit zeigte, ihm behilflich zu<br />
sein und den Weg zu weisen, oder auf seine Fragen zu antworten.<br />
Ikone der Gottesmutter auf dem<br />
„Throni“<br />
Voutomitis fand den Weg dann allein und kehrte <strong>nach</strong> Nicosia zurück. Dort erkrankte er und erkannte,<br />
dass seine Krankheit die Strafe für sein schlechtes Verhalten zu Isaias war. Unverzüglich schickte er<br />
seine Diener aus, den Einsiedler aufzufinden. Als dieser dann vor ihm stand, bat der Statthalter den<br />
Greis innig um Verzeihung. Der Mönch erwiderte nichts, sondern betete einfach um dessen Genesung.<br />
Bald darauf erholte sich Voutomitis und versprach dem Mönch, ihm jeden Wunsch zu erfüllen. Der<br />
heilige Mann verlangte jedoch weder Geld noch Ehren. Einem heiligen Gebot folgend, bat er<br />
Voutomitis, die heilige Ikone der Gottesmutter <strong>nach</strong> <strong>Zypern</strong> zu holen, eine der drei eigenhändig vom<br />
Evangelisten Lukas gemalten Ikonen. Da zögerte der byzantinische Statthalter, er zweifelte, ob er den<br />
Kaiser Alexios Komninos davon überzeugen könnte, die im Palast aufbewahrte Ikone abzugeben.<br />
Trotzdem nahm er Isaias mit und beide reisten in die kaiserliche Stadt Konstantinopel. Dort fanden sie<br />
den Kaiser sehr bekümmert, da seine Tochter schwer krank war, es war dieselbe Krankheit, von der<br />
Voutomitis geheilt worden war. Beide erschienen gerade zu dieser Zeit vor dem Kaiser. Isaias betete<br />
innbrünstig um die Genesung des Mädchens. Daraufhin genas sie.<br />
38<br />
EOKA =Epanastatiki Organosis Kypriakou Agonos, Revolutionäre Organisation für den Kampf auf <strong>Zypern</strong><br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 88
Da erzählten Voutomitis und Isaias dem Kaiser, dass es Gottesgebot sei, die heilige Ikone ins Troodos-<br />
Gebirge zu bringen. Es war nicht leicht für den Kaiser, diese wertvolle Reliquie abzugeben. Erst als er<br />
von derselben Krankheit heimgesucht wurde, wie vordem Voutomitis und seine eigene Tochter, begriff<br />
er, dass es Gebot Gottes war, die Ikone abzugeben. Später schenkte er auch das Geld zur Errichtung<br />
des Klosters, wo die Ikone aufbewahrt werden sollte.<br />
Voll Freude nahm Isaias die Ikone mit <strong>nach</strong> <strong>Zypern</strong>. Das Volk empfing ihn tief gerührt und ehrerbietig<br />
und begleitete ihn von der Meeresküste bis ins Troodos- Gebirge. Unterwegs neigten sich die Bäume,<br />
teilhabend an dem feierlichen Empfang, sogar die Muscheln kamen aus dem Wasser heraus und<br />
begleiteten die Prozession.<br />
Tatsächlich kann man bis heute auf den bewaldeten Hängen in Tillyria gebeugte Kiefern und<br />
Meeresmuscheln vorfinden, Spuren der Anteilnahme der Naturkräfte am Empfangszug für die heilige<br />
Ikone auf <strong>Zypern</strong>. So sagt man.<br />
Wir betraten von der Straße her die Klosteranlage und versammelten uns zunächst im 1.<br />
Innenhof (9). Dem Eingang gegenüber erhebt sich das Zellengebäude.<br />
Drei Seiten des Hofes schmücken ihn mit prächtigen<br />
Arkaden. An den Wänden glitzern und gleißen jetzt in<br />
der Mittagssonne Mosaiken von eindrucksvoller<br />
Vielfalt, alle behandeln sie Szenen und Geschehnisse<br />
aus der Bibel oder sie stellen einige der zahllosen<br />
Heiligen dar, die die Ostkirche verehrt. Ich verfalle ins<br />
Fotofieber und lichte so viel wie möglich davon ab.<br />
Manche dieser Geschichten aus der Bibel kenne ich:<br />
- Von Moses und dem brennenden Dornbusch<br />
- Das Heilige Abendmahl<br />
- Jesus und der Zöllner Zacharias auf dem Baum<br />
- Jesus und seine Jünger im Garten Getsemane<br />
- Die Taufe Jesu<br />
- Grablegung und Beweinung Christi<br />
- Das Jüngste Gericht<br />
- Die Steinigung der Hure u. a.<br />
- Das Wunder der Brotvermehrung am See Genzareth u.a.<br />
Die Heilige Ikone<br />
Im Mittelpunkt aller Kykko- Beschreibungen steht die Ikone der<br />
Heiligen Gottesmutter, die der Überlieferung zufolge ein Werk des<br />
Apostels Lukas ist. Dieser Überlieferung <strong>nach</strong> handelt es sich um<br />
eines der authentischen, zeitgenössischen Porträts der Heiligen<br />
Jungfrau. Die heilige Ikone ist auch unter dem Namen „Panagia<br />
Eleoussa“, d.h. die Barmherzige, bekannt. Abgebildet ist die Heilige<br />
Jungfrau, die das Christus-Kind im Arm hält. Die „Maria von Kykko“<br />
ist in der orthodoxen Welt sehr bekannt und beliebt. Zahlreiche<br />
Ikonen in Griechenland, Georgien, Bulgarien, Ägypten und Äthiopien<br />
sind der Gottesmutter von Kykko gewidmet, ein Zeichen großen<br />
Respekts unter den orthodoxen Völkern.<br />
Seit 1576 hat die Ikone einen vergoldeten Silberbeschlag, ein<br />
weiterer folgte im Jahre 1795. Das Gesicht der Gottesmutter ist<br />
verdeckt und wird nie enthüllt, wahrscheinlich weil es der Kaiser<br />
Alexios so wünschte oder um dadurch größeren Respekt<br />
einzuflößen.<br />
Man erzählt, dass im Jahre 1669 der Patriarch Alexandriens,<br />
Gerasimos, es wagte, den Überhang hochzuheben, um auf das<br />
Gesicht Mariens zu sehen. Er soll jedoch für diese schändliche Tat<br />
bestraft worden sein und Gott tränenvoll gebeten haben, ihm dies zu<br />
verzeihen. Der russische Mönch Vassilios Barsky, der 1735 das<br />
Kloster besucht hat, schreibt, dass die Mönche nur in Zeiten der<br />
Dürre das Gesicht der Heiligen Jungfrau enthüllten.<br />
Die Heilige Ikone, die vom<br />
Evangelisten Lukas gemalte<br />
Gottesmutter Panagia Eleoussa<br />
Sie brachten die Ikone zuerst auf die nahe liegende Bergspitze „Throni“, wo sie dann einen Bittgang<br />
machten. Sie schauten jedoch nicht auf das Gesicht Mariens, das gegen den Himmel gerichtet war.<br />
Die Ikone der Gottesmutter von Kykko ist auf <strong>Zypern</strong> sehr beliebt. Unzählig sind die Volkslieder, in<br />
denen sie gepriesen wird, zahlreich auch die historischen Zeugnisse über Ehrenbezeigungen bei<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 89
Litaneien auf der gesamten Insel. Die Ikone war ebenfalls unter den Gläubigen anderer Gebiete beliebt,<br />
welche in früheren Zeiten ihre Pilgerschaft zum Heiligen Grab mit einem Besuch im berühmten Kykko-<br />
Kloster verbanden.<br />
Heutzutage ist die Besucherzahl natürlich um vieles größer, weil die modernen Transportmittel den<br />
Zugang bedeutend erleichtern. Hier im Kloster treffen Menschen aus aller Welt zusammen, sie beten<br />
die wundertätige Ikone der Gottesmutter an, bitten um Genesung und Kraft, damit sie den schweren<br />
Prüfungen ihres Lebens standhalten können.<br />
In der Kirche findet man Weihgeschenke, die an die Wunder der Heiligen Jungfrau erinnern, z.B. ein<br />
Stück der Zunge eines Schwertfisches, eine Gabe, die an die Rettung einer Matrosenschar vor dem<br />
Ertrinken erinnert. Ihr Schiff wurde 1718 von einem großen Schwertfisch durchlöchert. Ein anderes Mal<br />
hat ein Maure versucht, die Ikone zu entweihen, sein Arm erstarrte. So befindet sich heute ein<br />
Bronzearm in der Nähe der heiligen Ikone, um daran zu erinnern. Alle Opfergaben zeugen von<br />
Wundertaten der Gottesmutter, welche auch in vielen Gedichten aus verschiedenen Zeiten besungen<br />
werden. Auch die in den 1990er Jahren neu gestalteten Mosaiken zeigen solche wundervolle<br />
Begebenheiten.<br />
Dank der Wunderkraft der heiligen Ikone habe es in Zeiten großer<br />
Dürre geregnet, Frauen, die kinderlos waren, seien fruchtbar<br />
geworden, Kranke wurden geheilt. Früher baten die Inselbewohner die<br />
Mönche von Kykko, sie bei Prozessionen in ihren Dörfern mit der Ikone<br />
der Gottesmutter zu begleiten, um die Weihen zu erteilen. Die Zyprer<br />
glaubten, dass schon die Präsenz der Ikone ausreichte, eine Seuche,<br />
Epidemie, die Pest oder jedes andere von Gott gesandte Unheil zu<br />
beenden. Die heilige Ikone wurde jedoch insbesondere als Regen<br />
bringend geachtet. Aus historischen Quellen geht hervor, dass sehr oft<br />
Bittgänge und Litaneien stattgefunden haben mit der Bitte, dass „sich<br />
der Himmel öffne“.<br />
Während der türkischen Herrschaft haben die unterjochten Zyprer des<br />
Öfteren die heilige Ikone um Hilfe ersucht. Um die Ikone im Zuge einer<br />
Prozession außerhalb des Klosters tragen zu dürfen und um Regen zu<br />
bitten, war eine besondere Erlaubnis nötig. Diese Bitte der Christen<br />
wurde von den osmanischen Herrschern oft abgeschlagen, so dass<br />
sich die Christen an den Sultan selbst wandten, um die erforderliche<br />
Erlaubnis durch einen Ferman 39 zu bekommen und so dem Druck der<br />
Herrscher auszuweichen. Davon zeugt beispielsweise ein Ferman aus<br />
dem Jahre 1634.<br />
Ferman über das Recht, die<br />
Heilige Ikone im Zuge einer<br />
Prozession aus dem Kloster<br />
heraus zu tragen<br />
So könnte ich noch manches geschichtliche Ereignis hier wiedergeben. Ich entnehme es einem<br />
Begleitheft des Klosters. Alle diese Fakten kann man nicht behalten, auch wenn man sie<br />
erzählt bekommt. Von Antonio bekamen wir wenig zu hören. Ich stand allerdings nicht immer<br />
bei ihm und hätte nur Zeit verloren. Ich trage mir gern meine Informationen selbst zusammen.<br />
Die Wandmalereien und Mosaiken wiesen viel Gold auf, echtes Gold, was auf den relativen<br />
Reichtum des Klosters schließen lässt. Ich habe nur gestaunt und- fotografiert.<br />
Im Zellenhaus der Mönche, in das wir über Treppen und Gänge gelangten waren vor allem<br />
Geschichten aus dem Alten Testament abgebildet, modern ausgemalt, aber in eben typisch<br />
byzantinischer Malweise. Ich sah Bilder, die den Brudermord von Kain an Abel zeigten, die<br />
Schaffung der Frau aus Adams Rippe oder die Legende vom Bau der Arche Noah. Ich musste<br />
eilen, um mich an die Gruppe anzuschließen.<br />
Über einen zweiten Hof betraten wir dann die relativ kleine Kirche. Sie war voll von<br />
Menschen, vornehmlich Touristen. Es standen draußen Reihen von Autobussen, die <strong>Reise</strong>nde<br />
von ganz <strong>Zypern</strong> hierher gebracht haben. Die Pracht in diesem orthodoxen Gotteshaus ist kaum<br />
noch zu steigern. Ich habe nichts Prächtigeres gesehen.<br />
Die Kirche<br />
Die Klosterkirche wurde mit dem Ziel gebaut, die heilige Ikone zu beherbergen. Ursprünglich war sie<br />
ein Holzbau, ähnlich wie das ganze Kloster. Die Holzkonstruktionen waren feueranfällig, und so<br />
richteten die großen Feuerbrände von 1365 und 1541 bedeutende Schäden an. Dadurch gingen die<br />
wertvollen Wandmalereien verloren. Nach der Feuersbrunst von 1541 wurde das Kloster<br />
wiederaufgebaut. Diesmal wurde statt des Holzes Steinmaterial benutzt. Trotzdem brachen zwei<br />
weitere große Brände in den Jahren 1751 und 1813 aus, die sogar Menschenopfer gefordert haben.<br />
Das Innere der Kirche, die Mönchszellen und der Gasthof brannten ab, Kunstwerke und geistiges Gut<br />
39<br />
Ferman (türk., pers. Befehl): in islamischen Ländern Erlass bzw. Erlaubnis des Herrschers<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 90
ganzer Jahrhunderte gingen verloren, bedeutende Handschriften und historische Dokumente wurden<br />
zu Asche.<br />
Die ursprüngliche Kirche war einschiffig, später wurde sie zu einem dreischiffigen Gebäude umgebaut.<br />
Ihre gegenwärtige Architektur könnte als Kuppelbasilika bezeichnet werden. Das mittlere Schiff ist der<br />
Gottesmutter gewidmet, das rechte Schiff den Allerheiligen und das linke den Erzengeln Gabriel und<br />
Michael.<br />
Einer Inschrift zufolge stammt die Ikonenwand aus dem Jahre 1755, d.h. sie entstand unmittelbar <strong>nach</strong><br />
dem Brand von 1751. Sie blieb später zusammen mit den in der Kirche befindlichen Ikonen wie durch<br />
ein Wunder vom Brand von 1813 verschont. Die berühmte Ikone der Heiligen Jungfrau befindet sich in<br />
der Mitte der Altarwand, sie ist die dritte, links des Zentraleingangs.<br />
Die meisten Ikonen sind im byzantinischen Stil gehalten, während es auch andere gibt, welche von<br />
westeuropäischem Einfluss zeugen. Unter den letzteren sind ebenfalls die Ikonen des kretischen<br />
Malers Joannis Kornaros (1745 - 1812) aus dem späten 18. Jh. zu nennen. Den Schmuck vollenden<br />
Kerzenleuchter, Kronleuchter und Lüster aus dem 18. und 19. Jh. prächtigen russischen Stils und<br />
Herkunft sowie kirchliches Zubehör und Weihgaben.<br />
Die Klosterbruderschaft, deren Geschichte<br />
900 Jahre alt ist, zählt heute 20 Mönche<br />
und 2 Novizen. Seit Januar 1984 bekleidet<br />
Nikiphoros das Amt des Abtes.<br />
Man ließ uns bis zur Abfahrt noch etwas<br />
Zeit, so dass ich mit einem Ehepaar noch<br />
die Gelegenheit wahrnahm, das im<br />
Baedeker mit zwei Sternen versehene<br />
Museum im Kykko- Kloster<br />
aufzusuchen. Gemessen am Eintrittspreis<br />
und der kleinen halben Stunde, die zur<br />
Verfügung stand, war es beinahe eine<br />
Kulturschande.<br />
In einem Seitenflügel ist das Museum untergebracht, eine Schau von einmaligen und seltenen<br />
religiösen Antiquitäten der Ostkirche, Byzantinische und Post- Byzantinische Kunst wie auch<br />
Objekte der frühen christlichen Ära, Ikonen Wandgemälde, Gefäße, prunkvolle Gewänder,<br />
reich mit Edelsteinen verzierte Bibeln, Gravuren, Juwelen auf Pokalen, Hirtenstäben,<br />
Bischofsmützen, Keramik, Kirchenmöbel und Holzschnitzereien, bemalt und unbemalt. Das<br />
alles war in einer hochmodernen Darstellung präsentiert, dass mir Schauer über den Rücken<br />
liefen. Im Hintergrund ertönte unaufdringlich ritueller Gesang aus Mönchskehlen.<br />
Ikone im Museum des Kykko- Klosters, 19. Jahrhundert:<br />
Das Sakrament der Heiligen Taufe<br />
Das Licht war abgedunkelt, die Beschriftung der Vitrinen und Ausstellungsstücke dennoch gut<br />
lesbar, wenn auch nur in Griechisch und Englisch. Logisch. Es war eine einzigartige<br />
Ausstellung. Mich hat es gewundert, warum der <strong>Reise</strong>veranstalter mit keinem Wort auf diese<br />
Sehenswürdigkeit eingegangen ist.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 91
Die Uhr lief grausam schnell. Bald musste ich abbrechen, wäre gerne noch verweilt oder vor<br />
manchem Kunstwerk länger stehen geblieben. Unten löste ich meinen Fotoapparat wieder ein,<br />
den ich abgeben musste. Ich hätte zwar schummeln können, da ich in der Tasche noch den<br />
kleinen mitführte, aber ich möchte im fremden Land ungern negativ auffallen.<br />
Wir verlassen den Klosterbereich wieder durch das Haupttor, mit mir das Ehepaar Schelter,<br />
dem mein Lob für das gesteigerte Kunstinteresse gilt, und ohne die ich diese kleine<br />
Zeiteskapade im Alleingang nicht gewagt hätte.<br />
Ein Mönch steht zur Begrüßung und für Fragen im<br />
Eingangstunnel. Abschied für uns. Ich werfe einen letzten<br />
Blick auf die herrlichen Mosaike. Dann ist das vorbei. Die<br />
staubige Straße, die stinkenden Busse, die eilenden<br />
Menschen, Buden für Andenken, Essen stehen am Rand. Es<br />
ist Mittagszeit. Auch ich habe jetzt Hunger. Hinter einem<br />
Auto sitzt ein Mönch und ruht selbstvergessen. Der Kopf ist<br />
ihm schwer geworden und auf die Brust gesunken.<br />
Vom Getümmel dieser Welt ist<br />
er weit entfernt. Das Alter sehnt<br />
sich <strong>nach</strong> Ruhe. Dieses friedliche<br />
Bild nehme ich mit und noch<br />
eine idyllische grüne Ansicht von<br />
der Ostseite der Klosteranlage.<br />
Dann finden wir den Bus.<br />
Wir fahren nicht lange, da hält Antonio an einem Rastplatz, wie<br />
wir ihn im Vorbeifahren schon mehrmals gesehen haben. Bänke<br />
und Tische laden den müden Wanderer oder Fahrradfahrer oder<br />
auch Motorisierten ein, das Mitgebrachte zu verzehren. Wir<br />
griffen in unsere Verpflegungsbeutel und machten Picknick im<br />
Freien von 13.30 bis 14.30 Uhr im Halbschatten von riesigen<br />
Aleppokiefern in göttlicher Ruhe des lockeren Gebirgswaldes.<br />
XX. Kakopetria und weitere Scheunendachkirchen in Galáta<br />
D<br />
as nächste Etappenziel an diesem Tage war nun mit einer längeren Anfahrt über die<br />
Berge des Troodosgebirges verbunden. Weit reicht der Blick ins Land von hier oben,<br />
manchmal konnte ich im Hintergrund, im blauen Dunst das Meer ahnen.<br />
Nach einstündiger Fahrt hielten wir in Kakopetria und besichtigten zunächst den Ort. Es liegt<br />
an den Nordhängen des Troodos, im fruchtbaren Tale eines Flüsschens, dem Kargótis. Enge<br />
Gassen und alte hohe Walnussbäume bieten den Bewohnern Schatten. Das Dorf ist alt, aber es<br />
hat die Chance, seinen Charakter zu bewahren. Die Regierung gibt den Bewohnern einen<br />
Kredit mit günstigen Zinsen, Rabatt und Rückzahlungsbedingungen, wenn sie ihr Haus wieder<br />
sanieren, restaurieren oder wenigstens außen in einen ordentlichen Zustand versetzen. Das<br />
Programm hat in dem Musterort Kakopetria gezogen.<br />
Viele Touristen besuchen Kakopetria. Bewohner bieten ihre Waren auf<br />
der Straße an, direkt vor ihrer Haustür. Da handelt ein alter Mann, der<br />
über dem Geländer seines Eckhauses lehnt und <strong>nach</strong> uns schaut, mit<br />
Keramik, Strohkörben und Ansichtskarten. Auch Spielzeug bietet er feil.<br />
Ich muss einen niedlichen Esel aufs Bild bannen. Er zieht eine kleine aus<br />
Stroh geflochtene Karre.<br />
Am Wegrand hat eine Hausfrau ihren Stand aufgebaut. Sie hat alles, was ihr Garten<br />
hergegeben hat, in Gläser eingeweckt. In vielen Farben stehen sie in einer Reihe. Daneben<br />
liegen frische Weintrauben, Äpfel, Zwiebeln, Bohnen. Wir spazieren weiter, kommen an<br />
schönen Häusern vorbei, Holzbalkone, Vorbauten, von Weinlaub überdachte Terrassen<br />
glänzen im goldgelben und herbstlichen Sonnenlicht.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 92
Blick von der Terrasse des ΖΟΥΜΟΣ in<br />
Kakopetria<br />
Vor einer verfallenen Scheune steht die Gruppe und<br />
blickt hinüber, wo neben dem Bach Kargótis früher<br />
eine Mühle stand, die sich heute zu einem großen<br />
Hotel gemausert hat. Wir gehen durch den Ort, an<br />
dessen befahrener Hauptstraße sich einige<br />
Restaurants und Cafés befinden. Wir kehren im<br />
ΕΣΤΙΑΤΟΡΙΟ ΖΟΥΜΟΣ (Restaurant Sumos) ein,<br />
trinken einen kafedáki glikó, einen kleinen, süßen<br />
griechischen Kaffee und essen ein Eis. Dabei<br />
schauen wir von einer schattigen Terrasse auf das<br />
grüne Uferdickicht des Flusses. Kein Straßenlärm<br />
dringt hierher. Vögel zwitschern.<br />
Nur das gedämpfte Murmeln der Gäste aus der Tiefe des Cafés ist zu hören, ein Geräusch, das<br />
man unterdrücken kann. Es ist schön hier, und ich denke mir aus, wie es wäre in einen<br />
Individualurlaub…<br />
Wir müssen die Hauptstraße hinunter und suchen<br />
den Bus. Antonio winkt einen falschen herbei – er<br />
sieht unserem ähnlich. Dessen Fahrer ist ganz<br />
verwundert, von einem Fremden Befehle zu<br />
erhalten. Kurzes Palaver. Wir laufen wieder zurück.<br />
Antonio greift zum Handy. Was wäre, wenn es<br />
dieses Hilfsmittel nicht gäbe? In einen anderen Bus<br />
steigen gerade eine Gruppe schwarz gekleideter<br />
Frauen ein, Nonnen auf Pilgerfahrt? Ich forsche<br />
nicht <strong>nach</strong>.<br />
Wir fahren nicht weit, nur noch ein wenig nordwärts, durch den Ort Galata hindurch. Wir<br />
halten auf staubigem Felde und laufen einen Feldweg hinunter. Tatsächlich sah es aus, als<br />
würden wir der Scheune eines Bauern einen Besuch abstatten. Ein nüchterner Bau aus<br />
Feldsteinen gemauert, wird von einem etwa 70 Grad spitzen Satteldach überdeckt. Darunter<br />
verbirgt sich die Panagía tis Podíthou.<br />
Die zu einem ursprünglichen<br />
Klosterkomplex gehörige Kirche der<br />
Eleoúsa (die Barmherzige) wurde gemäß<br />
einer gefundenen Inschrift im Jahre 1502<br />
gegründet. Es ist sogar noch der Name des<br />
Gründers bekannt: Dimitrios de Coron, ein<br />
griechischer Militäroffizier im Dienste von<br />
James II., König von <strong>Zypern</strong>, der mit Eleni<br />
Paleologina verheiratet war. Die Kirche war<br />
der Theotokos Eleousa (Wohltätigen<br />
Jungfrau) gewidmet. Noch vor vierzig<br />
Jahren gab es hier noch ein kleines<br />
zweistöckiges Gebäude aus osmanischer<br />
Zeit, das die Mönche beherbergte.<br />
Das Satteldach liegt auf einer umlaufenden Mauer auf, die einen überdachten Umgang um die<br />
innere Kirche ermöglicht. Der Grundriss ist rechteckig. Er mündet im Osten in einer<br />
halbkreisförmigen Apsis, die leicht aus der Mauer hervortritt. Der Flur ist bedeckt mit<br />
ausgetretenen, gebrannten Terrakotta- Ziegeln.<br />
Die Ausmalung der Kirche ist nie vollendet worden. Fresken bedecken die Ziergiebel der<br />
westlichen und östlichen Mauer, die Apsis, die ganze Ostwand so gut wie Teile der Nord- und<br />
Südwand. Alle Gemälde wurden zu gleicher Zeit des Kirchenbaues geschaffen mit Ausnahme<br />
von zwei Fresken aus dem 17. Jahrhundert, die Petrus und Paulus darstellen. Der Maler war<br />
beeinflusst von der Renaissancezeit wie viele Maler seiner Zeit, diese Epoche ist bekannt unter<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 93
dem Namen Italo- Byzantinischer Stil. Sein Hauptmerkmal sind die Wahl frischer Farben und<br />
die dreidimensionale Behandlung des Sujets.<br />
Antonio leuchtete mit der Taschenlampe in der dunklen<br />
kleinen Halle die einzelnen Objekte an und erklärte dies an<br />
einzelnen Beispielen. Die Schilderung der Kreuzigung am<br />
ganzen Inhalt der Westwand ist ein gutes Beispiel für diesen<br />
Malstil. Man kann ihn auch beobachten an den Fresken in der<br />
Apsis von Maria mit dem Kinde und der Kommunion der<br />
Apostel darunter.<br />
Die Ikonostase wurde 1780 neu vergoldet. Ich konnte leider<br />
keine Fotos machen. Neben der kleinen Kirche steht ein<br />
hölzernes Gerüst, in das eine kleine Glocke gehängt ist. Das<br />
Geläut wird, wenn es bimmelt, wohl nur die Gläubigen<br />
erreichen, die hierher zur Andacht kommen.<br />
Von hier gibt es über eine einzeln stehende Pinie einen<br />
wunderbaren Blick in die Ferne auf die sanften Höhen des<br />
Troodosgebirges. Reste von Mauern zeugen von einer<br />
Vergangenheit, die sich vor den heutigen verschlossen hat.<br />
Panágia Theotókos Archángelos<br />
Apsis Ostseite<br />
Jeglicher Architekturkenntnis spottend, hielten sie<br />
die Wände in Kopfhöhe zusammen, wobei sicher<br />
die Absicht verfolgt wurde, den <strong>nach</strong> außen<br />
wirkenden seitlichen Auflagerdruck des steilen<br />
Satteldaches aufzunehmen. Ich schätze, der Bau<br />
wurde von örtlichen Handwerkern hochgezogen,<br />
die es nicht besser wussten. Diese Zugbänder<br />
gehören in die Ebene der Dach-Traufe. So wird<br />
die religiöse Wirkung der Malerei <strong>nach</strong>haltig<br />
gestört. Dennoch sind diese Fresken rustikaler als<br />
in der vorigen Kirche. Sie tragen eine andere<br />
Handschrift. Die Spender dieser Malereien sind<br />
namentlich bekannt, ebenso kennt man den<br />
Namen des Malers, Symeon Axéndi, der uns aber<br />
nichts sagt. Alle wichtigen Szenen aus dem Leben<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 94<br />
Glockenturm der Kirche<br />
Panagia tis Podithou<br />
Nur 100 m weiter, etwas seitab vom Wege, durch eine<br />
Baumgruppe versteckt, liegt eine zweite von ehemals<br />
sieben Scheunendachkirchen in diesem Sprengel. Es ist<br />
die winzige Kirche Panágia Theotókos. Sie hat auch<br />
den Namen Panágia Theotókos Archángelos<br />
(Erzengelkirche). Sie ist 1514 als Familienkapelle<br />
entstanden, in der Zeit, als die Venezianer herrschten.<br />
Diese kleine Kirche, die man eher Kapelle nennen<br />
sollte, ist voll ausgemalt mit dem ganzen<br />
ikonografischen Programm von Mariä Verkündigung<br />
bis zur Kreuzigung und Auferstehung. Der Wächter<br />
nahm das Fotografieren etwas lockerer, schaute hinweg,<br />
verbat nur Blitzlicht. Trotzdem gelang nichts wirklich<br />
Gutes. Wände und Decke sind voll ausgemalt, jeder<br />
Quadratzentimeter. Mehrfach musste ich aufpassen,<br />
dass ich mich nicht an den Querbalken stieß, die den<br />
Raum von Wand zu Wand überspannen.<br />
Zugbänder stören die Wirkung der Fresken in der<br />
Kirche Panágia Theotókos Archángelos, Galáta<br />
und von Tode Jesu sind abgebildet, wie gesagt das ganze Programm. Es hätte eines gelehrten<br />
Vortrages bedurft, alle Darstellungen zu erläutern und zu interpretieren.
Die Heimfahrt verlief ohne besondere Höhepunkte. Im Hotel Rodon in Agros versammelten<br />
wir uns im Vestibül und erhielten eine Eislimonade kredenzt, wohl als Abschiedstrunk<br />
gedacht, denn morgen früh würden wir das Hotel verlassen.<br />
Ein letztes Mal benutzte ich als Einziger das Schwimmbad, genoss das reine Wasser in der<br />
herben frischen Bergluft und schwamm, bis ich keine Luft mehr bekam.<br />
Abendessen, Koffer packen, die letzte Nacht im Gebirge.<br />
XXI. Der Weg der Persephone<br />
Freitag, 6. Oktober 2006<br />
Frühmorgens Abschied vom „Dorf- Hotel“ Rodon in Agros. 8.30 Uhr setzt sich unser Bus in<br />
Bewegung. Wir fahren westwärts, zunächst noch einmal ins Troodosgebirge, auf den höchsten<br />
zugänglichen Punkt, um dann, mit einigen Höhepunkten, abends das Cynthiana- Hotel in<br />
Paphos anzusteuern, wo wir die letzten sechs Tage verbringen werden.<br />
Wir passieren Chandria, wo im Kafeníon schon die<br />
Männer sitzen, die Ortsphilosophen. Der erste<br />
Blickpunkt an diesem Tage: die „Kirchenruine“ in<br />
Kyperounta, der im Aufbau begriffene, unter Nöten<br />
leidende Neubau, von dem es heißt, dass das Geld aus<br />
ist. Oberhalb einer langen Stützmauer aus hässlichem<br />
Beton erhebt sie sich stolz und ist weithin sichtbar.<br />
Es dauert nicht lange, bis wir bei Fahrt durch<br />
verschiedene Landschaftsformen das Troodos- Plateau<br />
erreichen.<br />
Kirchenneubau in Kyperounta<br />
Antonio erklärt uns die kahlen, unwirklich grauen Hänge, die unterwegs ein riesiges Areal<br />
einnehmen. Wir sehen es im Süden unserer Hangstraße, die jetzt durch kahles Bergland führt.<br />
Westlich des Gebirgsortes Amíandos (= auf Griechisch: Asbest) wurde bis vor wenigen<br />
Jahrzehnten, genauer bis 1986 Asbest im Tagebau abgebaut. Das hat der Natur großflächige<br />
Wunden geschlagen. Die jetzige Regierung ist bemüht, diese toten Berghänge wieder mit<br />
Muttererde aufzufüllen und später aufzuforsten. Das ist mühsam und teuer und wird lange Zeit<br />
dauern. Dafür hat man Terrassen angelegt, diese mit Bäumen bepflanzt, die man 5 Jahre lang<br />
künstlich bewässert. Die Muttererde wird extra mit Transportern oft von weit her angefahren.<br />
Das Projekt ist bis 2017 geplant und kostet Unsummen. Noch 1940 waren in der<br />
Asbestindustrie 10 000 Leute beschäftigt. Nach dem Krieg wurde das Asbest über Limassol<br />
per Schiff verladen und in die UdSSR und auch in die damalige DDR exportiert.<br />
Die Bodenschätze <strong>Zypern</strong>s sind längst verbraucht. Die Kupfererz- Gewinnung ist unrentabel<br />
geworden, wenngleich man es in geringsten Mengen wieder versucht. Von den reichen<br />
Kupfervorkommen der Antike erinnert heute nur noch der Namen der Insel- Kypros. In der<br />
Nähe des Olympos fördert man noch geringe Mengen Chromerze.<br />
Wir tauchen wieder in den Wald ein und erreichen bald mit 1900 Metern das höchste Plateau<br />
des Troodos. Dieses Bergmassiv ist der Rumpf einer vulkanischen Erhebung aus dem Meer.<br />
Die Sedimentgesteinsschichten sind lange schon abgetragen. Zurück blieben die harten<br />
vulkanischen Tiefengesteine, das grau-grüne Gabbro und andere Magmatite, aber auch noch<br />
Lavagesteine. Der Gipfel ist 1951 m hoch, militärisch besetzt von den Engländern. In den<br />
Wintermonaten Januar, Februar liegt dort Schnee, der sich in den Lagen bis 1500 m bis April<br />
hält und dann Wasser in die Ebene liefert, das in vielen Staubecken gesammelt wird. Es gibt<br />
auch viele Quellen hier oben. An den Bächen leben der Wiedehopf, Drosseln, Geier, der<br />
zyprische Steinmätzer, das ist ein Singvogel, den es nur hier auf dieser Insel gibt. Das Gestein,<br />
wo es frei liegt, ist jetzt rotbraun, gefärbt von Eisen.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 95
Wir kommen an und steigen aus. Ein großer freier Platz ist<br />
jetzt, 9.10 Uhr, noch ganz leer. Dieser Ort liegt am<br />
Kreuzungspunkt wichtiger Verkehrsstraßen. Er besteht<br />
eigentlich nur aus ein paar Restaurants, zwei Hotels, einer<br />
Tankstelle und vielen Verkaufsbuden, die im Sommer dicht<br />
von Touristen und Ausflüglern umlagert sind. Viele<br />
Verkaufs- Stände sind jetzt am Vormittag noch<br />
geschlossen. Viele öffnen gar nicht mehr. Wir nähern uns<br />
dem zyprischen Winter. Drei Telefonzellen stehen verwaist<br />
im Halbschatten einer oben verkrüppelten und verdorrten<br />
Schwarzkiefer, die hier oben recht häufig anzutreffen ist.<br />
Wir sammeln uns und werden nun von Antonio zu einer<br />
Wanderung eingeladen, die etwa 2 Stunden dauern wird.<br />
Der Weg heißt Persephoni und sein Name zwingt mich, die<br />
etwas längere Geschichte aus dem griechischen Schatz der<br />
Mythologie zu heben, die Antonio dazu nur in Stichworten<br />
und andeutungsweise erzählt.<br />
Wer war Persephone?<br />
Göttervater Zeus erwuchs aus der Liebesverbindung mit einer seiner göttlichen Schwestern,<br />
nämlich der Korn- und Ackergöttin Demeter, die gemeinsame Tochter Persephone, die<br />
künftige Göttin der Unterwelt und Gefährtin des Hades.<br />
Persephone wuchs sorgenfrei im Kreise ihrer Schwestern Athena und Artemis auf. Eines Tages<br />
erblickte sie ihr Onkel Hades, der Herrscher der dunklen Unterwelt, der sogleich von ihr<br />
entzückt war. Aber ihre Mutter Demeter wollte ihm nicht die Hand des Mädchens geben, denn<br />
ein Leben im Reich des Schattens sollte ihr erspart bleiben.<br />
Daher entführte der Unterweltsgott die liebliche Jungfrau, als sie mit ihren Gefährtinnen in der<br />
Nähe des Einganges zum Orkus 40 auf einer Wiese Blumen pflückte.<br />
Manche meinen, dass diese Pforte zum Totenreich in<br />
der Ebene von Eleusis in Attika lag, andere berichten,<br />
sie läge in der sizilianischen Ebene am Fuße des<br />
Ätna.<br />
Demeter war verzweifelt über das plötzliche und<br />
geheimnisvolle Verschwinden ihrer Tochter.. den<br />
Entführer konnte ihr niemand nennen, denn er hatte<br />
sein Haupt in nächtliches Dunkel gehüllt. Die Mutter<br />
wollte nun nicht mehr in den Olymp zurückkehren<br />
und irrte auf der Suche <strong>nach</strong> ihrem Kind neun Tage<br />
und Nächte lang über die ganze bewohnte Erde. In<br />
der Dunkelheit erleuchtete sie ihren Weg mit zwei<br />
Fackeln. Sie aß keinen Bissen, trank keinen Schluck,<br />
sie wusch sich nicht und machte sich nicht mehr<br />
schön.<br />
Auf dieser langen Wanderung kam die Göttin in<br />
Gestalt einer alten Frau <strong>nach</strong> Eleusis. Dort ruhte sie<br />
sich auf einem großen Stein aus, der in Erinnerung<br />
ihres Schmerzes von den folgenden Geschlechtern<br />
aghélastro petra, der „freudlose Felsen“ genannt<br />
wurde. Demeter begab sich zum König von Eleusis,<br />
Kelos, an dessen Hofe sie ein wenig ausruhte. Eine<br />
alte Dienerin namens Iambe konnte ihr sogar mit<br />
Späßen ein Lachen entlocken.<br />
Unter dem wohlwollenden Blick der Persephone (r.),<br />
die dieser Szene beiwohnt, übergibt Demeter (l.), in<br />
der Hand das Zepter, dem Knaben Triptolemos,<br />
Sohn des Königs von Eleusis, die Weizenähre, die er<br />
wiederum den Menschen bringen soll.<br />
Relief um 430-420 v. Chr., Athen, Archäologisches<br />
Nationalmuseum<br />
40<br />
Orkus, lateinisch Orcus, römischer Gott der Unterwelt und des Todes, auch Totenreich und Unterwelt selbst,<br />
entsprechend dem griechischen Hades.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 96
Als Dank für die freundliche und gastliche Aufnahme wurde Triptolemos, der jüngste Sohn des<br />
Königs, in die Geheimnisse des Getreideanbaus eingeweiht. Er bekam von Demeter den<br />
Auftrag, die Kenntnisse der Feldbestellung in aller Welt zu verbreiten. In Eleusis entstand<br />
später um den „freudlosen Felsen“ ein bedeutendes Heiligtum zu Ehren von Demeter und<br />
Persephone, Berühmt waren die Fruchtbarkeitsmysterien, die nur den Eingeweihten enthüllt<br />
werden durften.<br />
Demeters freiwillige Verbannung hatte die Erde unfruchtbar gemacht. Die ganze Weltordnung<br />
drohte durcheinander zu geraten. Endlich erhörte Zeus das Bitten der verzweifelten Mutter.<br />
Er befahl seinem Bruder Hades, die Braut freizugeben und zur Mutter zurückzubringen. Aber<br />
das war nicht mehr möglich. Persephone hatte in der Unterwelt versehentlich von einem<br />
Granatapfel gegessen, und wer im Reich der Schatten irgendetwas zu sich nahm, durfte nicht<br />
mehr ans Sonnenlicht zurück. Auch die Götter unterstanden diesem Gesetz. Zeus musste sich<br />
daher mit seinem Bruder auf halbem Wege einigen und fällte die Entscheidung, dass<br />
Persephone einen Teil des Jahres bei Hades in der Tiefe verbringen sollte und einen anderen<br />
Teil bei ihrer Mutter auf Erden. Demeter konnte nun wieder ihren Platz im Olymp einnehmen,<br />
und die natürliche Ordnung der Dinge war wieder hergestellt.<br />
So floh Persephone jedes Frühjahr aus dem unterirdischen Schattenreich, und zugleich kamen<br />
auch die Pflanzen und Blüten aus der Erde hervor. Zur Zeit der Aussaat aber musste sie wieder<br />
in die Unterwelt zurück. Während ihres winterlichen Aufenthaltes bei den Unterirdischen aber<br />
ließ Mutter Demeter die Erde unfruchtbar bleiben. Mit dieser Erzählung erklärten die Alten<br />
den Wechsel der Jahreszeiten.<br />
Nun wandern wir auf einem <strong>nach</strong> Harz und Nadeln duftenden, schattigen Weg der<br />
Persephone. Die griechischen Zyprer sind natürlich auch der griechischen Mythologie<br />
verhaftet, was aus vielen Namen, die sie Orten und Dingen gaben, hervorgeht.<br />
Wir laufen in Gänsereihe auf dem schmalen Waldweg,<br />
achten auf Wurzeln und Steine. Mir ist das Tempo, das<br />
Antonio vorgibt, zu hoch, weil es nicht Zeit lässt, schöne<br />
Fotomotive auszukosten. Bleibe ich stehen, walzt alles an<br />
mir vorüber. Ich falle hoffnungslos zurück und verliere den<br />
Anschluss. In fremdem Gelände ist das peinlich. Also<br />
verzichte ich auf Bilder und genieße die herbe Luft und<br />
schärfe den Blick auf die Natur um mich herum. Rechts<br />
den Hang hinauf sehe ich Drahtzäune- englisches<br />
Sperrgebiet rings um den Olympos, einige Bauten, Schilder<br />
mit Verbotshinweisen. Rechts zieht sich der schüttere<br />
Bergwald, vorwiegend Schwarzkiefern, den Hang hinauf.<br />
Links öffnet sich der Blick ins Land. Lange begleitet uns<br />
die Aussicht auf die Halden des Asbestbergbaus. Ihre<br />
grauen Halden stören gewaltig das idyllische Bild der Natur<br />
und erinnern <strong>nach</strong>haltig an den Lebensanspruch der<br />
Halden des Asbest- Bergbaus stören<br />
wie riesige Narben die Natur<br />
Menschen. Antonio bleibt stehen und zeigt auf den Boden.<br />
Ich bin überrascht. Wie dekoriert oder eingepflanzt,<br />
sprießen da und dort ein paar lila Herbstzeitlose.<br />
Das Unterholz ist dornig und vertrocknet, aber sprüht von bunten Farben, dennoch blühen<br />
Salbei und Berberitze und viele Kräuter, die mir nicht bekannt sind. Ähnlich unseren<br />
Heidelbeeren locken blaue Beeren zum Naschen. Natürlich tue ich das nicht. Ich beschäftige<br />
mich zu wenig damit. Dann ein nüchternes Schild auf Englisch: Ende Persephone Trail. Ein<br />
anderer Weg führt weiter hinein in das Troodos- Wandergebiet, längere Wege. Wir biegen ab<br />
und folgen einem breiten Weg, der mit dem Bulldozer gebaggert wurde und nicht mehr so<br />
lieblich ist wie der eben verlassene Waldpfad. Wir sind auf dem Europäischen Fernwanderweg<br />
E4. Bald rasten wir im Schatten. Einige Frauen besetzen eine Bank. Andere müssen mal und<br />
verkrümeln sich außer Sichtweite. Nach dem Aufbruch ist diese Wanderung, die eher einem<br />
Spaziergang glich, auch schon wieder vorbei. Was sind schon 3 km!<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 97
Wieder auf dem Troodos- Platz zurück, besetzen wir eine mit Bänken überdachte schattige<br />
Picknick- Station. Es ist jetzt 11.30 Uhr und Zeit für eine Mittagsrast. Antonio und Carina,<br />
unterstützt vom Kraftfahrer packen Vorräte aus und bereiten uns ein wunderbares Picknick. Sie<br />
schneiden Zwiebeln, Paprika, Tomaten, Gurken, Zucchini, Salami, Schinken, zwei Sorten<br />
Schafskäse, Brot und reichen Wein und Oliven, die Antonio von seiner Mutter mitgebracht hat.<br />
Es schmeckt, so im Freien. Jeder wird satt, und es bleibt eine Menge übrig.<br />
12.40 Uhr steigen wir wieder ein und verlassen nun das Troodos- Gebirge. Auf der B8 fahren<br />
wir die 40 km hinunter in die Ebene bis Limassol, kreuzen dort die Küstenautobahn und<br />
brausen dann direkt in die heiße Nachmittagsonne <strong>nach</strong> Westen bis Kolossi.<br />
XXII. Kolossi<br />
D<br />
ieser Ort beherrschte in antiker Vorzeit die Halbinsel Akrotiri, heute ist sie noch<br />
teilweise „SBA“, Sovereign Base Area, im Besitz der Engländer, Relikt der<br />
Kolonialmacht. Kolossi liegt nur 14 km von Limassol (Lemesos) entfernt.<br />
Ich rätsle über die Herkunft des Namens. Kolossä oder auch Kolossai, was sehr ähnlich klingt<br />
oder verwandt sein kann, ist eine antike kleinasiatische Stadt im südlichen Phrygien, etwa in<br />
der Mitte Kleinasiens. Sie war Sitz einer der ältesten Christengemeinden und Adressat des<br />
Kolosserbriefs, dem Apostel Paulus zugeschriebener, wahrscheinlich aber von einem Schüler<br />
desselben verfasster Brief des Neuen Testaments an die Gemeinde von Kolossä.<br />
Hier also Kolossi. Unzweifelhaft in den Mittelpunkt des<br />
Geschichtsinteresses rückte der Ort mit dem Bau einer<br />
Burg durch den Johanniterorden 41 .<br />
Um 1210 schenkte der fränkische König Hugo I. den<br />
Johannitern fruchtbares Land um Kolossi. Nach dem Fall<br />
von Akkon 1291, wir erinnern uns an Richard Löwenherz,<br />
diente die Feste als Hauptsitz des Johanniterordens. Sie und<br />
sicher auch die Lusignans erbauten während des 13.<br />
Jahrhunderts hier eine Burg und begannen das Land zu<br />
kultivieren. Sie erzeugten Olivenöl, Weizen, Baumwolle,<br />
Wein und bauten auch Zuckerrohr an.<br />
1373 griffen die Genueser die Burg an, konnten sie aber<br />
nicht erobern. Mitte des 15. Jahrhunderts baute man unter<br />
dem Großkomtur Louis de Magnac die Burganlage aus und<br />
erhielt ihren heutigen Grundriss. Viele Bauten davon sind<br />
geschliffen. Mächtig und beeindruckend erhebt sich der<br />
zentrale Donjon, der Burgfried, Hauptturm und Rest der<br />
ehemaligen Wehranlage. Er ist 21 m hoch und 16 x 16 m<br />
im Geviert.<br />
An einem Kassenhäuschen vorbei dürfen wir in das<br />
Museumsareal hinein. Große Hitze lastet jetzt, 13.10 Uhr,<br />
auf den hellen Mauern, den Steinplatten, die die Wärme an<br />
die Umgebung zurückgeben. Zunächst versammelt uns unser Herdenführer und spricht.<br />
41<br />
Johanniterorden, Johanniter, Malteser-, Hospitaliter-, Rhodiser-Orden, geistlicher Ritterorden, entstanden<br />
aus einem um die Mitte des 11. Jahrhunderts von Kaufleuten aus Amalfi gestifteten Spital in Jerusalem zur<br />
Pilgerbetreuung und Krankenpflege. Gerard, vermutlich ein Provençale, rief einen 1113 von Papst Paschalis II.<br />
bestätigten Orden ins Leben.<br />
Unter Gerards Nachfolger Raimond de Puy (1118—1160) wandelte sich die Gemeinschaft in einen Ritterorden<br />
um, der von einem Großmeister geleitet wurde.<br />
Die Ritter trugen schwarze Mäntel mit weißem Kreuz. Ordenssitze waren <strong>nach</strong> dem Fall Jerusalems (1187) u. a.<br />
Akko, <strong>Zypern</strong> (19 Jahre) und Rhodos; seit 1522 bis 1798 lag der Hauptsitz auf Malta . Nach dem Verlust Maltas<br />
lebte der Orden, manchmal in geänderter Form, in einigen Ländern weiter und wurde im 19. Jahrhundert<br />
reorganisiert (neuer Sitz des Großmeisters: Rom). In Deutschland bestehen ein evangelischer Zweig des<br />
Johanniterordens (Preußischer Johanniterorden) und ein katholischer, Malteserorden genannt, der sich wie jener<br />
vornehmlich karitativen Zwecken widmet.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 98
Kolossi, Mühlenhaus der einstigen<br />
Zuckerrohrfabrik<br />
Im Schatten eines alten Baumes setzen wir uns<br />
wie die Hühner auf der Stange auf eine<br />
Steinkante. Dieser Baum ist riesig und etwas<br />
Besonderes. Er ist ein Schmetterlingsblütler, ein<br />
so genannter Machärionbaum. Er soll 160 Jahre<br />
alt sein und stammt aus Nordamerika. Er ist 27<br />
m hoch und trägt als Früchte scharfe Schoten<br />
(griech. Macherie = Messer). Antonio hält<br />
seinen Vortrag. Wir erfahren eine Menge über<br />
die Besonderheit dieses Mönchsordens, der die<br />
sehr weltliche Erzeugung von Zucker hier zu<br />
seinem Haupterwerb erkoren hat. Die Johanniter<br />
bauten in ihrer Großkommende 42 hier eine<br />
Zuckerrohrfabrik, deren Reste heute noch<br />
eindrucksvoll belegen, wie professionell und umfänglich produziert wurde.<br />
Neben einem Aquädukt, der das Wasser einer Mühle zuführte, die die notwendige Energie<br />
umwandelte bis zu den Hallenkomplex, der noch schöne Bögen aufweist, lässt sich das gut<br />
<strong>nach</strong>vollziehen.<br />
Ich habe <strong>nach</strong>gelesen und über die zyprische Zuckerrohrproduktion folgendes gefunden:<br />
Zucker auf <strong>Zypern</strong><br />
„Der Überfluß an Zuckerrohr und dessen Herrlichkeit in <strong>Zypern</strong> ist gar nicht zu<br />
beschreiben. Der Patrizier Frederico Cornaro aus Venedig hat bei Limassol ein<br />
großartiges Besitztum, Episkopi, wo man so viel Zucker macht, daß ich glaube, die<br />
ganze Welt müßte daran genug haben. Der beste geht <strong>nach</strong> Venedig und man verkauft<br />
davon alle Jahre mehr. In dieser Gegend, sollte man glauben, könne niemand sterben,<br />
so reizend ist es zu sehen. wie man den feinen und den weniger feinen Zucker<br />
macht, und wie die Leute, fast 400.sind es, an der Arbeit sind. Geräte haben sie so<br />
vielerlei, daß ich in einer anderen Welt zu sein glaubte, und Kochkessel von einer<br />
Größe, daß es niemand für wahr halten wird, wenn ich sie beschreibe."<br />
Aus der Feder des italienischen Jerusalem-<br />
Pilgers Pietro Casola stammt diese<br />
überschwängliche Schilderung eines Besuches<br />
im Zentrum der zyprischen Zuckerindustrie<br />
Ende des 15. Jahrhunderts. Nahezu jeder<br />
<strong>Reise</strong>nde, der sich zwischen dem ausgehenden<br />
13. und der zweiten Hälfte des 16.<br />
Jahrhunderts auf der Insel umsah, äußerte sich<br />
ähnlich bewundernd über Ausmaß und<br />
Qualität der dortigen Zuckerproduktion.<br />
Arabische Kolonisten machten das Zuckerrohr<br />
schon um 700 auf <strong>Zypern</strong> heimisch, <strong>nach</strong>dem<br />
die kostbare Pflanze aus ihrer Heimat im<br />
Melanesischen Archipel über das untere<br />
Indus-Tal, den Persischen Golf und das<br />
Zweistromland bis an die syrische<br />
Mittelmeerküste vorgedrungen war.<br />
Jahrhundertelang nur von lokaler Bedeutung,<br />
nahm die zyprische Zuckerproduktion einen<br />
stürmischen Aufschwung, als in der Kunst der<br />
Zuckerherstellung bewanderte "fränkische"<br />
Flüchtlinge <strong>nach</strong> dem Verlust ihrer Güter im<br />
Kolossi, Wohnturm der alten Johanniterburg<br />
42<br />
Kommende, [die; lateinisch], Verwaltungseinheit beim Johanniterorden und beim Deutschen Orden.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 99
Heiligen Land 1291 <strong>nach</strong> <strong>Zypern</strong> hineinströmten und hier erfolgreich ihr altes Gewerbe<br />
fortsetzten.<br />
Blick auf Kolossi<br />
Auch der kämpferische Johanniter-Orden war vor der Wucht der muslimischen Offensive auf<br />
die Insel ausgewichen und baute sich in seiner Großkommende Kolossi nahe Limassol ein<br />
Zuckerimperium auf, das zur technologisch führenden und ertragreichsten<br />
Zuckerproduktionsstätte <strong>Zypern</strong>s wurde. In ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, im Gebiet von<br />
Episkopi, besaßen die venezianischen Cornaros, eine einflussreiche Familie international<br />
tätiger Bankiers und Kaufleute, ausgedehnte Zuckerrohrplantagen. Eine weitere bedeutende<br />
Anbauzone für das süße Rohr war die Küstenebene nördlich und südöstlich von Paphos, wo<br />
sich die Plantagen und Raffinerien der königlichen Lusignan- Familie konzentrierten - so in<br />
Lemba, Achelia und Kouklia. Andere Anbaugebiete der Lusignans lagen bei Lefke, Morphou<br />
(türk. Güzelyurt)) und Akanthou (türk. Tatlisu) nahe der Nordküste. Auch die Johanniter<br />
besaßen im Norden Plantagen, so in Lapithos (türk. Lapta) wie auch in Morphou.<br />
Das Zuckerrohr konnte als Sommerfrucht gezogen<br />
werden, da sein hoher Wasserbedarf zu Füßen des<br />
Troodos-Gebirges und der<br />
Pentadaktylos/Resparmak- Bergkette gesichert war<br />
- beste Voraussetzungen also, um eine blühende,<br />
exportorientierte Zuckerindustrie entstehen zu<br />
lassen. Das von den Plantagen herbeigeschaffte<br />
Zuckerrohr wurde zunächst in Stücke geschnitten<br />
und dann einem zweistufigen Mahlprozess<br />
zugeführt: ein gewaltiger Mühlstein, der - so in<br />
Kouklia - einen Durchmesser von 2,60 m und eine<br />
Dicke von 0,53 m erreichen konnte, wurde von<br />
Tieren bewegt und zermalmte das Rohr. Dann<br />
presste man in einem zweiten Arbeitsgang unter<br />
Einsatz einer feiner regulierbaren Wassermühle den<br />
im Rohr verbliebenen Saft aus. Ein großvolumiger<br />
Bottich fing den Saft auf, der darauf durch Stoff<br />
gefiltert und in großen Kupferkesseln gekocht<br />
wurde, was bis zu drei Mal zu wiederholen war, uni<br />
Zucker bester Qualität zu erhalten.<br />
Kolossi, Gotische Bogenarchitektur des<br />
Mühlenhauses der Rohrzuckerfabrik<br />
Der <strong>nach</strong> jedem Umkochen heller werdende und eindickende Sirup wurde schließlich in<br />
konisch zulaufende Keramikformen mit einem Loch im Boden abgefüllt. Sie saßen auf<br />
Auffangbehältern, in die Reste des Sirups tropften, während sich im oberen Gefäß die<br />
Zuckerkristalle absetzten, durchtrockneten und härteten und durch die konische Form ihres<br />
Gefäßes in die typische Zuckerhutform gebracht wurden. 1445 übernahm das venezianische<br />
Handelshaus Martini die Vermarktung des Zuckers der königlichen Domänen Kouklia und<br />
Achelia, und im gleichen Jahr kaufte es auch erstmals die Produktion der Johanniter-<br />
Kommende zu Kolossi auf. Das strenge Preisdiktat und festgelegte Abnahmequoten seitens des<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 100
Aufkäufers bereiteten den Produzenten zwar gelegentlich Ungemach, auf der anderen Seite<br />
waren sie das Problem der Vermarktung in Europa los.<br />
Der Historiker Etienne de Lusignan berichtete 1573 in seinem in Bologna erschienenen Werk<br />
„Chorograffia et breve historia universale dell'isola di Cipro…“ von alarmierenden<br />
Entwicklungen: „Die Insel erzeugt ziemlich viel Zucker auf den Gütern zu Lapithos, Achelia,<br />
Ktima, Chrysochou, Episkopi und Kolossi; an anderen Orten war dies auch der Fall, aber<br />
weil man mehr Gewinn mit weniger Auslagen bei der Baumwolle findet, wird jetzt nur mehr<br />
weniger Zucker erzeugt (…) Die Baumwolle gibt den besten Ertrag auf <strong>Zypern</strong>, weshalb sie<br />
viel die Goldpflanze nennen.“<br />
Was der Historiker Lusignan hier nüchtern konstatiert, waren die unübersehbaren Vorboten<br />
des dramatischen Niedergangs der zyprischen Zuckerrohrkultur. In den wenigen Jahrzehnten<br />
zwischen 1570 und 1600 kollabierte dieser einst blühende Wirtschaftszweig. Entscheidend für<br />
den Zusammenbruch war die wachsende Konkurrenz der klimatisch begünstigten und<br />
effizienter bewirtschafteten Plantagen der neuen europäischen Kolonien auf den<br />
westafrikanischen Inseln und in Lateinamerika. Um 1540 importierte Venedig nur noch einen<br />
kleinen 'Teil seines Bedarfs aus den ostmediterranen Erzeugergebieten. Eine weitaus größere<br />
Menge bezog es aus<br />
Madeira via Lissabon als Zucchero di Medera. 1420 hatten die Portugiesen erstmals aus<br />
Sizilien eingeführte Zuckerrohrschösslinge (auch Weinstöcke aus <strong>Zypern</strong>!) auf Madeira<br />
angepflanzt und, durch den Erfolg ermutigt, auch auf den Kapverdischcn Inseln, den Azoren<br />
und Sao Tomé. Billigzucker aus Madeira war schon um 1500 in Westeuropa ein fester<br />
Begriff. Sebastian Münster notierte <strong>nach</strong> älteren Quellen in seiner<br />
"Cosmographey oder Beschreibung aller Länder Herrschaften…“"(hier in der Ausgabe Basel,<br />
1592):„ Es hat auch der König von Portugal lassen Zuckerrohr pflantzen in diese Insel / und<br />
das wechßt mit Hauffen / und bringt järlichen groß Gut. Solcher Zucker ist auch so<br />
geschmackt /dass er obertrifft den so in Sicilia und Cypro wechßt.“<br />
Als schließlich brasilianischer Zucker weit<br />
unter dem Preis der Erzeuger am<br />
Mittelmeer ab 1530/40 auf den<br />
europäischen Markt drängte beschleunigte<br />
dies den Niedergang der Zuckerindustrien<br />
von <strong>Zypern</strong> über Sizilien bis Andalusien.<br />
Kolossi, Wohnturm, 2. Stock,<br />
Aufenthaltsraum mit Kamin<br />
Wir stiegen auf den Turm hinauf. Man<br />
gelangt über eine Zugbrücke gleich ins<br />
erste Obergeschoss. Unten sind die<br />
Lagerräume und Zisternen. Es gibt zwei<br />
Säle mit Kamin. Auch im zweiten Stock<br />
finden sich Kamine mit dem Wappen des<br />
Stifters Louis de Magnac. Von der<br />
Dachterrasse aus konnten wir weit ins Land<br />
sehen, in der dunstigen Ferne das Meer.<br />
Es gibt eine süße Weinsorte, den Commendaria, der noch an die Kommende der Johanniter<br />
erinnert. Leider habe ich ihn verpasst.<br />
XXIII. Kourion<br />
A<br />
uf ging es in Eile, <strong>nach</strong> nur 40 Minuten, zur nächsten Station, den Ausgrabungsstätten<br />
von Kourion. Nach nur wenigen Kilometern erreichten wir das Dorf Episkopi. Ein<br />
großes Schild wies uns von der Hauptstraße weg <strong>nach</strong> links. Dann versperrte eine<br />
Schildwache den Weg. Ein Wärterhäuschen auch hier. Kurze Verständigung, dann fahren wir<br />
ein. Rechts erheben sich Mauern, antike Mauern. Kourion ist ein Riesenkomplex, für den man<br />
mehr als einen Tag braucht, um alles zu studieren. Wir machten unseren Rundgang auf<br />
Japanisch. Klick und weiter. Wir halten vor dem Haus des Eustólius, eines reichen Römers.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 101
Hölzerne Laufgänge, erhöht über den ausgegrabenen Mauernabschnitten angebracht, zwingen<br />
den Besucher zur Disziplin, nicht zwischen den Steinen, den herrlichen Mosaiken<br />
herumzulaufen und die Zeugnisse der Vergangenheit zu vernichten. Ich kenne Zustände in der<br />
Türkei, wo jährlich Hunderttausende über die Gräberfelder walzen, rücksichtslos über die<br />
Artifakte turnen, ihre dummen Sprüche und Initialen in die Steine ritzen und anderen Unfug<br />
treiben. Die Achtung vor der Vergangenheit beginnt mit der Achtung vor dem Alter. Wenn<br />
ich unsere Gesellschaft betrachte:<br />
Wo ist diese Achtung geblieben?<br />
Ein erstes sehr gut erhaltenes<br />
Mosaik zeigt die Göttin Ktisis, eine<br />
weibliche Personifizierung des<br />
schöpferischen Geistes, mit dem<br />
Messstab in der Hand, die genau<br />
einem römischen Fuß entspricht,<br />
einem Grundmaß des Bauwesens.<br />
Nach Berichten des römischen<br />
Historikers Ammanius Marcellinus Ausgrabungen in Kourion: Theater und Haus des Eustólios<br />
erlitt die Stadt Kourion in den frühen Morgenstunden des<br />
21. Juli 365 n. Chr. ein Erdbeben, das die Stadt<br />
vollständig zerstörte und die meisten Menschen im Schlaf<br />
überraschte. Bei Ausgrabungen 1934 und 1984 – 1987<br />
entdeckte man die Reste eines Wohnhauses und Skelette<br />
seiner einstigen Bewohner.<br />
Nimmt man das Datum und blickt in die Geschichte, so<br />
sind also schon nicht mehr die Römer die Herrscher über<br />
<strong>Zypern</strong>. Nach dem Konzil von Nikäa im Jahre 325 gehört<br />
<strong>Zypern</strong> zum Oströmischen Reich, als Byzanz bekannt.<br />
Das Christentum wird Staatsreligion. Kaiserin Helena<br />
besucht <strong>Zypern</strong>. Doch in diesem 4. Jahrhundert zerstören<br />
Erdbeben die großen Städte <strong>Zypern</strong>s völlig.<br />
Haus des Eustólios, Ktisis, Mosaik<br />
Das ausgegrabene Haus des Eustólios ist zum großen Teil überdacht. Man hat bei den<br />
Grabungen die Skelette einer Familie gefunden, die sicher vom Erdbeben beim Einsturz des<br />
Hauses überrascht wurde. Der Mann hat sich in rührender Weise<br />
über die Körper seiner Frau und seines Kleinkindes geworfen,<br />
um sie vor den herabfallenden Steinen zu schützen. Der Mann<br />
war um die 25, die Frau 19 und das Kind höchstens eineinhalb<br />
Jahre alt. Eine Tragödie vor 1640 Jahren. Man nennt sie „Romeo<br />
und Julia von Kourion“. Wenn ich das noch weitergeben darf,<br />
was ich im Baedeker las: „Im be<strong>nach</strong>barten Stall lagen die<br />
Skelette eines 13jährigen Mädchens und eines Esels. Die<br />
Untersuchungen ergaben, dass das Mädchen schon vor dem<br />
Erdbeben tot war. Vermutlich war der Esel vor Ausbruch des<br />
Bebens unruhig geworden. Das Mädchen wollte <strong>nach</strong> ihm<br />
schauen und wurde von Hufschlägen des sich aufbäumenden<br />
Tieres getroffen, bevor dann der Stall über ihnen<br />
zusammenstürzte. Der Esel war noch mit einer Eisenkette an<br />
einem 360 kg schweren Futtertrog aus Kalkstein angekettet. Die<br />
beiden Halfterringe, einer aus Eisen, einer aus Bronze, waren an<br />
seinem Maul.“<br />
Die Geschichte der Menschheit ist immer eine Geschichte von<br />
Skelette einer Kleinfamilie<br />
Museum Episkopi<br />
Foto Baedeker<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 102<br />
Katastrophen gewesen. Die haften im Gedächtnis an die<br />
Altvorderen. In ihr spielen auch die Religionen eine große Rolle.
So fanden wir christliche Symbole wie den Fisch als Mosaik. Er erinnert an die<br />
neutestamentliche „Speisung der 5000“ am See Genezareth.<br />
Die Mauern des Eustólios- Hauses stoßen direkt an die Außenwand des Amphitheaters, das im<br />
grellen Sonnenlicht liegt. Trotz Hitze steigt uns Antonio voran, einen der fünf Gänge hinab.<br />
Das Amphitheater<br />
Wir nehmen auf den harten Steinstufen Platz und<br />
empfinden es <strong>nach</strong>, wie es wohl gewesen sein<br />
musste: Mehrere Tausend Menschen versammeln<br />
sich, vielleicht in der Dämmerung eines warmen<br />
Tages. Erwartungsvolles Gemurmel. Dann zeigen<br />
sich vorn auf der Skene, das ist ein hoher Aufbau,<br />
der heutigen Bühne ähnlich, der bis in die Höhe der<br />
letzten Sitzreihen reichte, die ersten Protagonisten.<br />
Beifall rauscht auf. Über der Skene versinkt das<br />
noch blaue Meer langsam im Schatten des Abends.<br />
Fackeln sind angezündet. Ein Chor tritt auf. Man<br />
spielt die jahrhundertealte Tragödie „König<br />
Amphitheater von Kourion<br />
Ödipus“ von Sophokles. Es wird still im Rund.<br />
Der Wind ist nur noch eine schwache Brise und weht vom Meer, trägt den Gesang hinauf bis in<br />
die letzten Ränge. Da<strong>nach</strong> treten die ersten Mimen auf. Alle Schauspieler sind Männer. Frauen<br />
dürfen nicht auf die Bühne. Die Schauspieler tragen Masken. Mit ihnen lassen sich Gute und<br />
Böse trennen. Männer tragen dunkle Masken, „Frauen“ weiße, so kann man auch die<br />
Geschlechter erkennen. Wieder marschiert ein Chor von links, die Feinde. Ein weiterer Chor,<br />
von rechts kommend, signalisiert den Zuschauern freunde. Sie singen gegeneinander.<br />
Einzelauftritte: Huldigung, Verrat, Brudermord. Der König der Feinde wird Sieger.<br />
Schlusschor. Pfiffe ertönen, Geschrei von den Rängen. Das Stück fiel durch. Da wurde kein<br />
Unterschied gemacht, ob die Handlung schlecht geknüpft war, ob die Mimen versagten, die<br />
Verse unverständlich waren. Das Publikum entschied. Das Stück wird nie mehr gespielt<br />
werden.<br />
Nun sitze ich hier und träume in der gleißenden Sonne.<br />
Im Nahen Osten habe ich schon manche Theater gesehen, in Bosra und Palmyra (Syrien),<br />
Byblos (Libanon), Amman, Petra und Jerasa (Jordanien), Pergamon und Ephesus (Türkei).<br />
Alle haben mich fasziniert, haben meine Phantasie auf den Plan gerufen. Die Schauspielkunst<br />
ist wie gespielte Musik. Worte und Gesang klingen auf, verwehen, erreichen die Sinne der<br />
Menschen, aber versinken mit deren Erinnerung im Staub der Vergangenheit. Erst heute fand<br />
man mit Film und Elektronik Mittel, Theater zu konservieren. Aber was weiß man noch von<br />
den Anfängen? Nichts. Wenig. Viel zu wenig. Natürlich ist einiges überliefert.<br />
Die großen Zeiten der klassischen hellenischen Theaterkunst haben sich gewandelt. Vielleicht<br />
haben religiöse Themen auf der Bühne die mythologischen abgelöst. Nur wenig an Schriftgut<br />
ist auf uns gekommen. Erhalten haben sich bis heute einige griechische Stücke des Aischylos 43<br />
(Sieben gegen Theben, Die Perser) und eben von Sophokles 44 (Elektra, Ödipus auf Kolonos).<br />
Ich träume weiter.<br />
Die alten Griechen haben die Theaterkunst entwickelt. Wann sie genau ihren Anfang nahm<br />
oder mit welchem Ereignis, das kann heute niemand schlüssig sagen. Aus der hellenischen<br />
43<br />
Aischylos, der älteste der großen griechischen Tragödiendichter, * 525/524 v. Chr. Eleusis, † 456/455 v. Chr.<br />
Gela, Sizilien; kämpfte in den Perserkriegen mit, Liebling der Athener (oftmaliger Sieger im Wettkampf der<br />
Tragiker). Von den über 70 dem Titel <strong>nach</strong> bekannten Stücken sind 7 ganz, von dreien größere Bruchstücke<br />
erhalten; sie zeigen in kühner, bilderreicher Sprache die Gerechtigkeit der göttlichen Weltordnung: „Orestie“<br />
(Trilogie), „Der gefesselte Prometheus“, „Die Perser“, „Sieben gegen Theben“, „Die Schutzflehenden“.<br />
44<br />
Sophokles, griechischer Tragödiendichter in Athen, * um 496 v. Chr., † um 406 v. Chr.; Schauspieler,<br />
wiederholt in hohen Staatsämtern (Schatzmeister, Stratege). Die attische Tragödie entwickelte Sophokles durch<br />
Einführung des 3. Schauspielers, Vergrößerung des Chors und Lösung des Einzelstücks aus dem Zusammenhang<br />
der Trilogie über seinen Vorgänger Aischylos hinaus. Von über 100 Stücken sind 7 vollständig erhalten, deren<br />
Größe in der Charaktergestaltung liegt: „Aias“; „Antigone“; „Elektra“; „Ödipus Tyrannos“; „Trachinierinnen“;<br />
„Philoktet“; „Ödipus auf Kolonos“; dazu kamen durch Papyrusfunde rund 400 Verse des Satyrspiels „Ichneutai“.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 103
Kultur des Ackerbaues war es zunächst dieser Kult an die Fruchtbarkeit der Erde, dem man<br />
huldigte. Bekannt ist der Dionysos- Kult, der <strong>nach</strong> dem Mythos den Griechen den Weinbau<br />
brachte. Das war etwa in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts vor Christus. Umzüge, auf<br />
denen der Gott Dionysos mitgeführt wurde, sind erste theatralische Vorstellungen, Dionysien<br />
wurden gefeiert, Feste zu seinen Ehren. Auch der Demeterkult wurde zum Grund für<br />
Aufführungen. Die Demeter als Urmutter der Natur war verantwortlich für den Wechsel der<br />
Jahreszeiten, siehe das Schicksal der Persephone! Gesänge und Totenrituale mögen eine<br />
Vorstufe für die späteren Tragödien gewesen sein. Die von Mund zu Mund weitergegebenen<br />
Geschichten der olympischen Götterfamilie, die immer mehr im Volksmund zu einem<br />
schlüssigen Komplex von Symbolfiguren für alle konkreten und abstrakten Lebensformen<br />
wurden, speisten die Phantasie der frühen Dichter, die diese Geschichten in künstlerische<br />
Verse gossen. Das athenische Dionysostheater am Südhang der Akropolis, das schon im 5.<br />
Jahrhundert v.u.Z. bestanden hatte, nahm zum Beispiel 17 000 Zuschauer auf. Das im<br />
arkadischen Megalopolis aus dem 4. Jh. v.u.Z. hatte sogar Platz für 44 000 Zuschauer.<br />
Brot und Spiele, war die Devise der Römer. Zu den Spielen zählte auch das Theater.<br />
Also Theater gab es schon vielleicht vier-,<br />
Antikes Theater von Kourion.<br />
fünfhundert Jahre, als in Kourion diese Stätte gebaut<br />
wurde. Auf eine kleine hellenische Spielstätte aus<br />
dem 2. Jh. vor bauten die Stadtkönige von Episkopi<br />
und Kourion im 2. Jh. <strong>nach</strong> der Zeitenwende ein<br />
größeres Theater, das die heutigen Abmessungen hat.<br />
Meine Gedanken gingen mit mir durch, als ich so auf<br />
den harten Stufen saß und die Sonne auf mich<br />
hernieder brannte. Was hat sich hier nicht alles<br />
abgespielt, im wahrsten Sinne des Wortes! Ich setze<br />
bewusst ein Ausrufezeichen. Zweitausend Jahre<br />
Freilichtbühne.<br />
Wir gehen weiter. Jetzt erst erlebe ich die Ausdehnung des archäologischen Grabungsgeländes.<br />
Bis zum antiken Stadion zieht es sich auf etwa 1,5 km hin. Der erste Eindruck für mich war ein<br />
unübersichtliches Feld von Mauern, Säulen, Bögen, Straßen und Plätzen, das sich bestimmt<br />
nicht in einer halben Stunde dem Besucher erschließt. Die Besichtigung einer solchen Anlage<br />
geht immer einher mit der Voraussetzung, dass man zumindest etwas Bescheid weiß über die<br />
Zeit, in der in diesen Mauern Leben herrschte. Was also war hier los?<br />
Lassen wir alles beiseite, was vor den großen Erdbeben im 4. Jahrhundert geschah. Viele<br />
Städte und auch Basiliken werden da<strong>nach</strong> neu gebaut. Beginnen wir in der byzantinischen Zeit.<br />
Die Kirche auf <strong>Zypern</strong> erhält im 5. Jahrhundert n. Chr. volle Autonomie. Der Erzbischof darf<br />
einen Purpurmantel und anstelle des Hirtenstabes ein Zepter tragen. Das geschah mit Erlass des<br />
Kaisers Zeno <strong>nach</strong> der Auffindung des Grabes des Heiligen Barnabas 45 .<br />
647 wird <strong>Zypern</strong> von den Arabern unter Muawiya überfallen.<br />
Und noch drei Jahrhunderte da<strong>nach</strong> ist <strong>Zypern</strong> immer wieder<br />
den Einfällen von Arabern und Piraten ausgesetzt, bis<br />
Nikophoros Phokas sie endlich 965 aus Kleinasien und<br />
<strong>Zypern</strong> vertreibt. Dann ist für zweihundert Jahre relative<br />
Ruhe. Stadtkönige regieren die Menschen auf der Insel, die<br />
Bischöfe deren Seelen. Bis die Kreuzritter um 1190 kommen.<br />
Doch diese Geschichten habe ich bereits erzählt.<br />
Ein bedeutender Komplex ist die Episkopal- Basilika aus<br />
dem 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Sie ist eines der<br />
wichtigsten frühchristlichen Zeugnisse auf <strong>Zypern</strong>.<br />
45<br />
Barnabas, zeitweise Mitarbeiter des Apostels Paulus, vertrat mit ihm<br />
die Belange der nichtjüdischen Christengemeinden auf dem sog.<br />
Apostelkonzil (Apostelgeschichte des Lukas 4,36 f., 15,1 ff.; Brief des<br />
Paulus an die Galather 2,1 ff.); Heiliger; Fest: 11. 6.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 104<br />
Kourion, Frühchristliche Basilika
Sie war 55 m lang und, dreischiffig, 37 m breit, mit einer halbrunden Apsis. Im Osten befand<br />
sich ein Portikus oder Narthex, durch den man in die Kirche gelangte.<br />
Ein Baldachin, getragen von vier Säulen, deren<br />
Fundamente man noch sieht, überspannte den<br />
Altar. Im Westen der Basilika schließt sich ein<br />
Atrium an, daneben eine weitere Kapelle, das<br />
Haus des Diakons, der Bischofspalast und die<br />
Taufanlage (Baptisterium) mit Kapelle und<br />
Kruzifixwand.<br />
Kourion, Reste der frühchristlichen Basilika<br />
Während des zweiten arabischen Einfalles im<br />
Jahre 654 wurde die Anlage zerstört. Sie wurde<br />
wieder in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts<br />
noch für eine Zeitlang genutzt und begann<br />
da<strong>nach</strong> im späten 7. und frühen 8. Jh. zu<br />
verfallen.<br />
Auf dem großen Gelände finden sich die Reste einer<br />
griechischen Agora wie die auch eines römischen<br />
Forums, entstanden vor 365 v.u.Z. Säulen<br />
dokumentieren die Grenzen wie auch Händlerhäuser<br />
und Ladenstraßen. Eine Patrizierfamilie hat ein<br />
Atriumhaus gebaut, in dem ein sehr schön erhaltenes<br />
Mosaik den Kampf eines Gladiatoren (ΛΥΤΡΑΣ,<br />
Lytras = Kämpfer) gegen einen Gegner darstellt, von<br />
dem nur noch wenig zu sehen ist. Aber die Gestalt des<br />
Schiedsrichters (ΔΑΡΕΙΟΣ, Darios = Schiedsrichter) ist<br />
wunderbar zu sehen. Er hebt die Hand, versucht den<br />
Kourion, Haus des Gladiators, Mosaik<br />
Kämpfer zu beruhigen, entscheidet – oder zählt?<br />
Die Ruinen sind wegen des Mosaiks mit Zeltkonstruktion und Holz überdacht. Es ist das Haus<br />
des Gladiators. Leider blendet die Sonne stark und lässt dem Fotografen keine Chance.<br />
Antonio führt uns noch bis zum Achilles- Mosaik. Ein<br />
Schutzdach, ein Laufsteg als Umgang. Die Leute der<br />
Gruppe drängen sich um die besten Fotopositionen.<br />
Antonios Erklärungen verwehen im Wind. Ich muss mich<br />
selbst orientieren. Es ist ein Gebäude auch aus dem 4.<br />
Jahrhundert <strong>nach</strong> Christus. Der Hof wird an zwei Seiten<br />
von zimmern und dem Portikus mit dem stark<br />
beschädigten Achilles- Mosaik begrenzt. Diese liegt voll<br />
in der Sonne. Keine Möglichkeit für ein gutes Bild. Kein<br />
Der Gladiator Margaritis kämpft gegen<br />
den „Griechen“ (Ellinikos)<br />
Kontrast.<br />
Aber es erzählt eine schöne Geschichte aus der<br />
Mythologie:<br />
Achilles wird von seiner Mutter Thetis in das Haus des Königs Lykomedes von Skyros<br />
geschickt, um dort als Mädchen verkleidet mit den Töchtern des Königs aufzuwachsen. Thetis<br />
wollte verhindern, dass er nicht im Kampf um Troja teilnimmt und dort stirbt, wie es ihm<br />
bestimmt war. Doch Odysseus braucht Achilles, da ohne ihn Troja nicht zu besiegen war und<br />
wählt eine List. Er kommt mit Geschenken beladen, unter denen sich auch Waffen befinden, an<br />
den Hof des Königs von Skyros, nimmt ein Kriegshorn und bläst wie von ungefähr zum<br />
Kampf. Da greift Achilles zu den Waffen und verrät sich damit. Diese Szene ist auf dem<br />
Mosaik dargestellt. Der Kampf um Troja ist schon im 5. Jahrhundert eine berühmte und allseits<br />
bekannte Legende.<br />
Langsam begeben wir uns auf den Rückweg durch das Ruinengelände, das mit einigem<br />
Aufwand noch besser restauriert und seine ursprünglichen Lebensfunktionen noch mehr<br />
sichtbar gemacht werden könnte. Wir gehen über das römische Forum, die Agora, den Markt.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 105
Ein wunderbarer Blick öffnet sich noch einmal, er geht hinaus aufs blaue Meer, auf die Bucht<br />
von Episkopis. Die tief stehende Oktobersonne lässt die Säulenstümpfe und hier und da einsam<br />
aufragende Palmen lange Schatten werfen.<br />
Bestellte Felder und grüne Haine,<br />
Felshänge, die in der Ferne immer steiler<br />
ins Meer fallen und das blaue Wasser,<br />
wo sich am dunstigen Horizont Himmel<br />
und Flut vereinen, gestalten zusammen<br />
mit der Ruhe, die dieser jetzt einsame<br />
Ort aussendet, einen eigenartigen Reiz.<br />
Dann werde ich angetrieben. Die<br />
anderen von der Gruppe sind schon weit<br />
vorn. Die Herde folgt unaufhaltsam<br />
ihrem Führer. Sie kommt mit kargem<br />
Futter aus, nippt nur hier und da vom<br />
Hingereichten und ist damit zufrieden.<br />
Warum nicht.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 106<br />
Blick von der Ruinenstätte Kourion zur Bucht von Episkopis<br />
XXIV. Aphrodite<br />
Weiter ging die Fahrt <strong>nach</strong> Westen auf der Küstenautobahn. Britische Siedlungen<br />
tauchen auf. Wir erfahren, dass sich die Engländer hier durch Verträge auf alle Zeit<br />
eingenistet haben. Das Gebiet gehört noch zu dem Akrotiri- SBA, dem Sovereign<br />
Base Area der Halbinsel Akrotiri. Die Engländer haben sich völlig autarke Siedlungen<br />
gebaut, mit Kirchen, Einkaufseinrichtungen, Sportstätten, Krankenstationen und allen urbanen<br />
Möglichkeiten. Sie leben wie auf einer Insel auf der Insel eine eigenständige Stadt im Staate,<br />
eine Diaspora, sie schwärmen natürlich aus und nehmen sich alle Rechte, die die Insel- Zyprer<br />
auch haben, für den freien Zugang im Land und leben wie die Drohnen im Bienestock, ohne<br />
den Zyprern zu nutzen.<br />
Doch ehe wir auf die Autobahn auffahren, sehen wir noch die Umrisse des großen antiken<br />
Stadions, das 1 km westlich der Ausgrabungen liegt. Es wurde vom 2. bis zum 5. Jahrhundert<br />
von Kourion genutzt, um militärische Siege oder religiöse Feste zu feiern. Es ist bald 200 m<br />
lang. Auch auf die Reste eines Apollon- Tempels verweist Antonio und zeigt in die Richtung,<br />
wo sie liegen. Es ist ein weiteres Halb- Tagesprogramm, wollte man dort alles besichtigen. Ein<br />
Rundheiligtum aus der Zeit 6. Jahrhundert vor Chr. und ein archaischer Steinaltar aus dem 7.<br />
Jh. v.u.Z. sind die ältesten Relikte.<br />
Wir halten an einem touristischen Rummelplatz rechts der großen Hauptstraße. Hunderte<br />
parkende Autos, Verkaufsbuden, lärmende Menschen. Wir steigen aus. Ein Tunnel unter der<br />
Straße führt zum Strand zum Felsen der Aphrodite, wo der Sage <strong>nach</strong> diese Göttin der Liebe,<br />
Erotik und Fruchtbarkeit geboren und in Schaum gebadet dem Meere entstiegen sein soll.<br />
Dieser Felsen ist Pilgerstätte für alle <strong>Zypern</strong>besucher. Vor allem mit den wechselnden<br />
Lichtverhältnissen ist er immer wieder lockendes und lohnendes Foto- Objekt.<br />
Wir stapfen und waten über grobkiesigen Strand, an dem sich wabernde Tangschwaden im<br />
Takt der kleinen Wellen reiben, die das bewegte warme Wasser hin und zurück treibt. Ich eile<br />
schnell ans Wasser hin, stolpere über das bisweilen faustgroße Geröll und suche nun den<br />
Aphrodite- Felsen, aufgeregt, nun auch hier zu sein, kann ihn aber nicht so recht ausmachen, da<br />
vor dem Strand noch andere, mehr oder weniger große Felsengruppen oder einzelne Felsen<br />
stehen, an denen sich die Wellen brechen. Jeder kann es sein. Da sehe ich ihn, den Felsen der<br />
Aphrodite. Manchmal spricht die Literatur auch in der Mehrzahl von den Felsen der Aphrodite.<br />
Keiner weiß es genau, wo es nun passiert ist. An diesem Gestade soll sie sich vollzogen haben,<br />
die sagenumwobene Geburt der Aphrodite, wie sie in der griechischen Mythologie heißt oder<br />
der Venus, wie die Römer sie nannten, die Göttin der Liebe, der Schaumgeborenen.
APHRODITE, die Göttin der Schönheit und der Liebe<br />
Griechische Mythen scheinen oft ungeheuer grausam und spiegeln unbeschönigt die Abgründe<br />
und Turbulenzen des menschlichen Daseins in Gestalt der olympischen Götter und Heroen.<br />
Und so liest sich auch der Geburtsmythos der schaumgeborenen Liebesgöttin Aphrodite, Teil<br />
einer urzeitlichen Schöpfungsgeschichte, wie eine atemberaubend grausige Familientragödie.<br />
Schuld war, so scheint es, der Himmelsgott und Unhold-Vater Uranos, der mit Gaia, der Erde,<br />
allnächtlich Kinder zeugte. Doch weil er seine Nachkommen hasste, verbarg er sie in einer<br />
dunklen Höhle und ließ sie nie ans Licht. Gaia zürnte dem Gatten, verschaffte sich eine riesige<br />
Sichel und wandte sich an ihre Söhne, den Vater zu bestrafen. Kronos war es dann, der die Tat<br />
ausführte: Er entmannte Uranos, als dieser sich gerade wieder einmal mit Gaia vereinen wollte,<br />
und warf die abgeschnittene Männlichkeit ins Meer, wo sie lange hin und her getrieben wurde.<br />
Weißer Schaum, Aphros, bildete sich um sie aus der unsterblichen Haut. Ein Mädchen<br />
entsprang und wuchs groß darin.<br />
Und wie so oft- das Schreckliche war des Schönen Anfang: Auf <strong>Zypern</strong>, wo die nackte<br />
Aphrodite dem Meer entstieg, wurde sie dann von den Horen bekleidet und bekränzt und<br />
geschmückt und bei den Göttern eingeführt. Alle küssten sie und wünschten sie zur Frau in<br />
ständiger Ehe.<br />
Der Glückliche aber sollte erstaunlicherweise Hephaistos sein, Gott der Schmiede und der<br />
Hässlichste im Olymp. Kein Wunder, dass die schöne Aphrodite diesem Mann, der seine<br />
Werkstatt in einem Vulkan selten verließ, bald den schmucken Kriegsgott Ares als ihren<br />
Liebhaber vorzog ...<br />
Aphrodite, die Tochter des Zeus und der Dione, war die Göttin der Liebe und der Schönheit.<br />
Der hinkende und hässliche Schmiedegott Hephaistos war ihr Gemahl, doch gehörte ihre Liebe<br />
dem Kriegsgott Ares. Diese Aufsehen erregende Affäre trieb den Gatten zu rasender<br />
Eifersucht. Daher wob er ein Zaubernetz, mit dem nur Hephaistos umzugehen verstand. So<br />
fing er die Gattin und ihren Liebhaber, als sie gemeinsam das Ehebett entehrten. Anschließend<br />
gab er sie dem Gelächter der Götter preis, die Hephaistos eigens zusammengerufen hatte. Aus<br />
dem Verhältnis zwischen Aphrodite und Ares gingen mehrere Kinder hervor, so Eros und<br />
Anteros (die griechischen Begriffe für ,Lieben’ und ,Geliebt werden’), Phobos und Deimos<br />
(„Furcht“ und „Schrecken“), Harmonia, die spätere Gemahlin des Königs von Theben,<br />
Kadmos, sowie zuletzt Priapos, der Gott der Gärten. Unter ihren irdischen Liebhabern nahm<br />
der edle trojanische Held Anchises einen wichtigen Platz ein. Aus dieser Verbindung wurde<br />
Aineas geboren, dessen Geschlecht der spätere Gründer von Rom angehören sollte. Die Rolle,<br />
die Aphrodite im Trojanischen Krieg spielte, war keineswegs nebensächlich und beschränkte<br />
sich mit Sicherheit nicht auf ihre folgenschwere Liebesgeschichte mit Anchises. In gewisser<br />
Hinsicht war es gerade die Schönheit der Göttin, die den Krieg auslöste. Und das kam so:<br />
Am Tag der Hochzeit zwischen Peleos und Thetis, den künftigen Eltern des großen Helden<br />
Achilles, warf Eris (die Zwietracht) den Göttinnen Hera, Athena und Aphrodite einen Apfel zu,<br />
welcher der Schönsten unter ihnen zugedacht war. Zeus wünschte, dass der junge Prinz Paris<br />
aus Troja die Siegerin bestimmen sollte. So erschienen alle drei Göttinnen bei ihm in Troas.<br />
Eine jede rühmte ihre eigene Schönheit und bot Paris verlockende Gaben an. Hera versprach<br />
dem jungen Prinzen die Herrschaft über ganz Asia, Athena Unbesiegbarkeit im Krieg, doch<br />
Aphrodite übertraf ihre Rivalinnen, denn sie versprach ihm die Hand Helenas, der schönsten<br />
Frau der Welt. So gewann die Göttin den Preis der Schönheit, und wegen Helena entbrannte<br />
dann der berühmte Trojanische Krieg. Im Verlauf der Kriegsereignisse nahm Aphrodite stets<br />
für Troja Partei, und obwohl sie den Untergang der Stadt nicht verhindern konnte, gelang es ihr<br />
doch, das trojanische Geschlecht überleben zu lassen.<br />
Aphrodite (Αφρoδιτη) steht in der griechischen Mythologie neben der Liebe und der<br />
Schönheit auch für die sinnliche Begierde. Ursprünglich zuständig für das Wachsen und<br />
Entstehen, wurde sie erst später zur Liebesgöttin, die sich in allen polytheistischen Religionen<br />
findet: In der römischen Mythologie entspricht ihr Venus, in der ägyptischen Hathor, und in<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 107
der germanischen Mythologie Freya. Auch die anderen frühen Völker haben sie benannt und<br />
verehrt:<br />
• nordisch – Frigg<br />
• babylonisch – Ishtar<br />
• sumerisch – Inanna<br />
• phönizisch, syrisch, westsemitisch – Astarte<br />
• assyrisch – Mylitta<br />
• persisch – Mitra<br />
• arabisch – Alilat<br />
• armenisch – Anaitis<br />
• skytisch – Argimpasa<br />
• etruskisch – Turan<br />
Nach Hesiod 46 ist sie die Tochter des Uranos, dem sein Sohn Kronos die Geschlechtsteile<br />
abschnitt und ins Meer warf. Der Samen vermischte sich mit dem Meer, schäumte auf und<br />
daraus entstand Aphrodite, die dann in <strong>Zypern</strong> an Land ging. Dieser Mythos, dem sie auch den<br />
Beinamen "die Schaumgeborene" verdankt, wurde aus dem Wortstamm αφρος (aphros)<br />
(Schaum) konstruiert. Man geht heute aber davon aus, dass diese Verbindung etymologisch<br />
unhaltbar und der Name Aphrodite möglicherweise gar nicht griechischen, sondern<br />
orientalischen Ursprungs ist.<br />
Allerdings gibt es auch andere Mythen über die Abstammung der Göttin: Nach Homer ist sie<br />
eine Tochter von Zeus und Dione, andere berichten wieder, sie sei in einer Muschel geboren,<br />
wie sie auch Botticelli darstellt. Eine weitere Quelle nennt sie gemeinsam mit den Erinnyen<br />
und den Moiren als Tochter des Kronos.<br />
Verheiratet war Aphrodite mit Hephaistos, dem<br />
Gott der Schmiede und des Feuers, den sie<br />
allerdings ständig mit Sterblichen und<br />
Unsterblichen betrog. So pflegte sie eine lange<br />
Beziehung zum Kriegsgott Ares, aus der Eros,<br />
Harmonia, Phobos, Deimos und Anteros<br />
entstanden. Einmal aber wurden die beiden<br />
Liebenden von Hephaistos in flagranti in einem<br />
Netz gefangen. Als er sie so den anderen Göttern<br />
präsentierte, erhoben diese das sprichwörtliche<br />
„homerische Gelächter“.<br />
Aphrodite wird aus einer Muschel geboren, die aus<br />
dem weißen Schaum der Meereswellen auftaucht.<br />
Terrakotta, 4. Jh. v. Chr., Athen,<br />
Archäologisches Nationalmuseum<br />
Aus ihrer Affäre mit dem Trojaner Anchises ging Aineas hervor, Held im Trojanischen Krieg,<br />
der dann zu den Stammvätern der Römer gehören sollte. Außerdem zeugte sie mit Dionysos<br />
den Priapos und mit Hermes den Hermaphroditos. Außerdem hatte sie eine Affäre mit dem<br />
schönen Adonis, der jedoch vom eifersüchtigen Ares in Form eines Keilers bei der Jagd getötet<br />
wurde.<br />
Mythen<br />
Der Sage <strong>nach</strong> soll Aphrodite den Trojanischen Krieg ausgelöst haben, indem sie dem Trojaner<br />
Paris dazu brachte, die schöne Helena zu rauben. Als der Krieg ausgebrochen war, unterstützte<br />
sie, gemeinsam mit Ares, Troja <strong>nach</strong> Kräften.<br />
Die Göttin wird oft in Verbindung zu Tauben und Sperlingen gebracht, aber auch die<br />
Schildkröte kann ihr Symbol sein. Besonders ist sie die Göttin der Blumen, Bäume und<br />
Früchte, besonders Myrte, Rose, Anemone, Zypresse, Linde und Apfel. Ihren<br />
unwiderstehlichen Liebreiz verdankte sie ihrem magischen Gürtel der Aphrodite, den sie auf<br />
Bitten sogar gelegentlich auslieh.<br />
Eines der Hauptzentren der Verehrung der Aphrodite war die Stadt Paphos auf <strong>Zypern</strong>.<br />
Deshalb ist ein weiterer Beiname der Göttin „die Paphische“ (Paphia) und Kupfer (griechisch<br />
kypros) ist das ihr heilige Metall. Später wurde der Aphroditetempel von Paphos in ein<br />
Heiligtum der Jungfrau Maria umgewandelt, wo die Muttergottes bis heute als Panhagia<br />
Aphroditessa verehrt wird.<br />
46<br />
Hesiod, griechisch Hesiodos, griechischer Epiker, um 700 v. Chr.; aus böotischem Bauerngeschlecht;<br />
verfasste als Anleitung für bäuerliches Arbeiten das Lehrgedicht „Werke und Tage“, in dem er zu Arbeit und<br />
Gerechtigkeit aufruft, und die „Theogonie“, die den Ursprung der Götter und die Weltentstehung darstellt.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 108
Ein anderes Heiligtum der Aphrodite gab es in Kleinasien in<br />
der Stadt Aphrodisias.<br />
Aspekte & Mehrgestaltigkeit<br />
Es scheint, dass der Ursprung ihrer Verehrung bereits in die<br />
Epoche zurückfällt, in welcher die Griechen noch mit den<br />
übrigen indogermanischen Völkern eine Einheit bildeten; denn<br />
wir finden bei der Mehrzahl dieser Völker eine ihr<br />
wesensverwandte Göttin. Aber diese ursprüngliche Gestalt ist<br />
auf den Inseln und dem Festland von Griechenland durch<br />
orientalische, besonders vorderasiatische und phönizische,<br />
Einflüsse stark verwischt worden.<br />
Vielfache Züge der semitischen Astarte (Aschera, griech.<br />
Aschtaroth) wurden in die Aphrodite hineingetragen. Wie diese<br />
wurde sie bewaffnet dargestellt. Als solche hieß sie Areia und<br />
wurde zur Geliebten des Ares, zu welchem sie auch schon<br />
insofern in Beziehung stand, als er Gott des Gewitters und<br />
somit auch der Befruchtung der Erde ist.<br />
Aphrodite, Manuskript des<br />
Später haben sich hauptsächlich drei Formen der Aphrodite Gregor Nazianzus , 12. Jh.<br />
herausgebildet, man kann auch sagen eine panhellenische Kloster Agios Panteleimon,<br />
dreifache „Große Mutter“.<br />
Athos<br />
In Homers Hymnos erscheint die Göttin als „Herrin der wilden Tiere“, die sich auf ihren Wink<br />
paaren. Besonders wurde jedoch die Göttin der Liebe <strong>nach</strong> zwei Aspekten unterschieden der<br />
„heiligen, himmlischen“ Aphrodite Urania und der „dem ganzen Volk gehörenden“ Göttin<br />
Pandemos. Man spricht auch in diesem Zusammenhang von einem Dualismus der Aphrodite.<br />
Platon interpretierte diese als eine homosexuelle und eine heterosexuelle.<br />
„Die heilige Liebe“ („sakral“):<br />
1. Urania (Venus caelestis), „Die Himmlische“, „Die Himmelsgöttin“ steht für „die reine,<br />
himmlische, edle Liebe“. Als Urania wurde sie zur Adoptivtochter des Zeus als des<br />
lichten Himmels und der Dione (Erdgöttin „Mutter des Universums“), der weiblichen<br />
Ergänzung desselben Aphrodite Dione gemacht und gern auf den lichten Höhen (akroi)<br />
der Berge verehrt, daher auch Akraia genannt. Als solcher dient ihr der Polos (oder<br />
Modius), ein runder, hoher, scheffelartiger Aufsatz, das Abbild des Himmelsgewölbes,<br />
und in gleicher Anschauung, die Schildkröte als Symbol.<br />
2. „Die irdische Liebe“ („profan“):Pandemos „die bei jeglichem Volk“, also auf Erden<br />
waltende, repräsentiert „die sinnliche, käufliche Liebe“. Platon beschreibt sie als die<br />
Göttin der „gemeinen Sittlichkeit“, andere Quellen sprechen davon, dass sie die<br />
Schutzherrin der Tempelprostitution gewesen sei. Aber auch der menschlichen<br />
Zeugung steht sie vor. Sie wurde auch die Göttin (Porne „die Kitzlerin“) der Hetären<br />
und Lustknaben, ähnlich wie im Mittelalter die büßende Magdalena die Schutzheilige<br />
der Dirnen war.<br />
3. Peitho „die Überredung“ steht sie für die „Überredungskünste eines erotisches<br />
Abenteuer“. Sie verkörperte somit die süßen Worte, die ein Liebender finden musste,<br />
um die Geliebte zum Sex zu überreden.<br />
4. „Beschützerin der Seefahrt“: Pontia, Thalassia (Venus marina), Anadyomene „Die aus<br />
dem Meer Auftauchende“, Limenia „Göttin des Meers und des Hafens“ (póntos bzw.<br />
thálassa). Als Pontia stand sie ursprünglich nur der Fruchtbarkeit der Tierwelt des<br />
Meers vor, wurde aber allmählich zur Meergöttin überhaupt, besonders zur Göttin der<br />
Meeresstille und glücklichen Meerfahrt Euploia (bei den Gnidiern) sowie der Häfen.<br />
So wurde Thalassa („die See“) ihre Mutter genannt und sie selbst oft mit Poseidon<br />
zusammen verehrt. Als einen der bemerkenswerten Tempel der Aphrodite Pontia wird<br />
der in der Stadt Hermione auf dem Peloponnes erwähnt.<br />
Eine ältere, prähellenische Manifestation der Aphrodite, welche nicht unbedingt im Einklang<br />
mit ihrer späteren Rolle als griechische Liebesgöttin steht, gehört neben einer erschaffenden zu<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 103
einer zerstörenden „Großen Göttin“. Sie wird auch als<br />
eine Form der Anpassung der dreifachen Göttin<br />
Moira(e) (Trinität) gedeutet.<br />
• „Die Bewaffnete, Zerstörende“:<br />
Androphonos „Die Männermordende“,<br />
repräsentiert einen Titel ihrer älteren<br />
Manifestation, der ihr als „Zerstörerin“ oder<br />
„Totengöttin“ verliehen wurde.<br />
• Skotia „Die Dunkle“<br />
• Epitymbidia die „Göttin der Gräber“ und<br />
Meiboea die „Bienenkönigin“, die ihre<br />
Liebhaber kastrierte und durch Aussaugen<br />
tötete.<br />
Weitere Beinamen, diesem Aspekt zugeordnet, sind:<br />
Hoplismene („die Bewaffnete“), Areia (von Ares „die<br />
Kriegerische“), Enoplios (Waffen Haltende), Anosia<br />
(Unheilige), Basilis (Königin), Eleemon (Gnädige),<br />
Xenia, Summakhia (Verbündete im Krieg).<br />
Die Stadt Paphos auf <strong>Zypern</strong> (Kypros), war eines der<br />
Hauptzentren der Verehrung der Aphrodite. Daher der<br />
weitere Beiname der Göttin Paphia „die Paphische“.<br />
Kupfer und Zypresse sind ihr heilig (griechisch<br />
kypros wird auch als Henna- Pflanze gedeutet).<br />
Später wurde der Aphroditetempel von Paphos in ein<br />
Heiligtum der Jungfrau Maria umgewandelt, wo die<br />
Muttergottes bis heute als Panhagia Aphroditessa<br />
verehrt wird…<br />
Genug des mythologischen<br />
Geschwafels. Wir wissen nun fast<br />
alles über meistgeliebte Göttin des<br />
Altertums. Ich rannte also an den<br />
Strand, weil ich bemerkte, dass die<br />
Mehrheit der Gruppe -<br />
wahrscheinlich wegen der Schuhe<br />
und des Kieses – nicht weiter<br />
heranging. Einer dieser Felsen<br />
musste es sein! Bald machte ich mir<br />
klar, dass man einen festen Ort<br />
überhaupt nicht festgelegt hat und<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 104<br />
Pan lauert der tugendhaften Aphrodite<br />
auf, die ihn mit einer Sandale zurückweist.<br />
Marmorne Skulpturengruppe,<br />
etwa 100 v. Chr. aus Delos<br />
Athen, Archäologisches Nationalmuseum<br />
wenn, dann kann man jeden anderen Felsen hier dagegen halten und behaupten, er wäre es<br />
gewesen, bei dem die Dame dem Wasser entstiegen ist. An dieser Küste soll es aber gewesen<br />
sein. Badegäste und Strandläufer streiften trotz des steinigen Ufers vorbei. Es war ein Wetter,<br />
wie es schöner zum Baden nicht sein kann. Das Wasser noch warm, die Luft nicht mehr so<br />
heiß. Ideal. Ich tauchte die Hand ins Wasser. Glasklar und sauber, mit leichtem Geruch <strong>nach</strong><br />
Tang, schwappten die kleinen Wellen des Mittelmeeres mir um die Füße. Trennung und<br />
zurück. Am Kiosk, wo einige ein Eis verzehrten, rang ich mich zum Kauf einer Aphrodite-<br />
Figur durch, bezahlte 12 € und freute mich mit Martina über das Andenken.<br />
Die Pause wurde beendet. Wir fuhren weiter. Unterwegs streiften wir erneut, leider nur in der<br />
Vorbeifahrt, ein Heiligtum, das mit Aphrodite zu tun hat. Das unscheinbare Dorf Koúklia war<br />
in der Antike Schauplatz der großen Aphrodisien, Feierlichkeiten zu Ehren der Göttin der<br />
Liebe, Erotik und Fruchtbarkeit. Dieses wichtige Heiligtum existierte schon in der Bronzezeit.<br />
Historisch belegt ist eine Siedlung seit dem 15, Jahrhundert v. Chr. Auch aus der Römerzeit ist<br />
wenig bis nichts erhalten geblieben.
Der Ort mit dem Aphrodite- Heiligtum hieß Paläa Paphos.<br />
Bis ins 4. Jh. n. Chr. blühte Paläa Paphos als Pilgerstätte. Aus<br />
aller Welt kamen sie, um in großer Prozession durch die<br />
heiligen Gärten zu den Feierlichkeiten zu ziehen. Die<br />
Mysterienfeiern dauerten mehrere Tage. Man badete zuerst im<br />
Meer <strong>nach</strong> vorgeschriebenem Ritus. In die Aphrodisien bezog<br />
man auch Adonis ein, den schönen Liebhaber der Aphrodite.<br />
Höhepunkt der Feiern war die Heilige Hochzeit. Da vereinigte<br />
sich der Priesterkönig mit der Göttin in Gestalt einer Priesterin.<br />
Den heiligen Stein salbte man mit Öl und brachte Aphrodite<br />
Opfer aus Weihrauch, Parfüms, Balsam und Honigplätzchen<br />
dar.<br />
Ein wichtiger Bestandteil der Aphrodisien war die so genannte<br />
Tempelprostitution, die Herodot 47 im 5. Jh. v. Chr.<br />
beschreibt. Jede Frau hatte sich vor ihrer Ehe in der Nähe des<br />
Tempelbezirks einem Fremden hinzugeben.<br />
„Hat sich eine Frau hier niedergelassen, dann darf sie nicht<br />
eher <strong>nach</strong> Hause zurückkehren, als bis ein Fremder ihr Geld in<br />
den Schoß geworfen und ihr außerhalb des Heiligtums<br />
beigewohnt hat.“ (Herodot 1,119)<br />
„Meine Aphrodite“<br />
Diese Sitte war wohl ein Initiationsritus für die Männer, während die Jungfräulichkeit der Frau<br />
eine Weihgabe für Aphrodite darstellte. Außerdem brachte sie dem Heiligtum wichtige<br />
Einnahmen. In römischer Zeit soll sich im heiligen Bezirk ein Orakel befunden haben.<br />
Verfolgten wurde hier Asyl gewährt.<br />
Im Mittelalter bauten die Lusignans und wahrscheinlich mit dem vorhandenen Steinmaterial<br />
über das Heiligtum eine Zuckerrohrfabrik.<br />
Unter augenzwinkerndem Schmunzeln- ein Schalk, wer Arges dabei denkt, schilderte Antonio<br />
diese heilige Prostitution, die allerdings mit Einführung des christlichen Glaubens langsam<br />
verschwand. Heute lebt sie wieder, aber ist nicht mehr heilig, sondern mit schmutzigem Geld<br />
verbunden.<br />
Wir sind gespannt auf Paphos, dann fahren wir auf breiter Straße durch die Stadt Paphos ins<br />
Hotel, das 7 km weiter draußen liegt. Plötzlich biegen wir <strong>nach</strong> links ab, fahren durch einen<br />
Bananenhain, wo die reifenden Fruchtstauden in blaue Plastiktüten eingepackt waren. Dann<br />
liegt es vor uns, das blaue Meer und wunderschön gelegen, erhebt sich das moderne<br />
Dreisterne- Hotel „Cynthiana“.<br />
Wir erhalten die Suite Nr. 405 mit Blick aufs Meer. Wir haben noch nie so komfortabel und<br />
schön gewohnt. Zwei Zimmer stehen zur Verfügung. Neben dem Schlafzimmer stehen im<br />
Wohnzimmer zwei Sofas und eine Couch, ein runder Tisch mit Rohrsesseln.<br />
Ein Balkon im Schlafzimmer erlaubt das Sitzen<br />
im Abendsonnenschein.<br />
Gegen 18.25 sinkt die Sonne hinter den Horizont<br />
und versinkt teils im Meer, teils hinter Palmen.<br />
Ich eile <strong>nach</strong> draußen und fotografiere die<br />
gepflegte Hotellandschaft und natürlich dann den<br />
Sonnenuntergang.<br />
Wir haben nun 5 volle Tage Zeit in oder besser in<br />
der Gegend von Paphos- im Traumhotel.<br />
47<br />
Herodot, griechisch Herodotos, griechischer Geschichtsschreiber, * um 485 v. Chr. Halikarnassos, Karien,<br />
† um 425 v. Chr. Thurioi, Unteritalien; unternahm ausgedehnte <strong>Reise</strong>n <strong>nach</strong> Persien, Ägypten, Babylonien, der<br />
Cyrenaica und an das Schwarze Meer. Das reiche historische und ethnographische Material verwendete er mit<br />
großer Erzählkunst in seinen 9 Büchern der Geschichte, darunter eine Beschreibung der Perserkriege bis 479.<br />
Das Streben <strong>nach</strong> historischer Wahrheit, <strong>nach</strong> Ordnung und Verarbeitung der Nachrichten macht ihn zum<br />
Begründer der kritischen Geschichtsschreibung.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 105
XXV. Pano Paphos<br />
Sonnabend, 7. Oktober 2006<br />
Wir haben heute wieder einen „Tag zur freien Verfügung“, meines Erachtens eine Neuerung<br />
bei Kultur- und Rundreisen. Auf Nachfrage beim <strong>Reise</strong>veranstalter hieß es, die <strong>Reise</strong>nden<br />
wollten es so. Ich nicht. Wir hatten heute die Aufgabe, den Tag sinnvoll zu nutzen. Während<br />
Martina aus Gesundheitsgründen das Baden meidet, erscheint es mir eine reine<br />
Zeitverschwendung, faul zwischen faulen Menschen auf einer Liege in der Sonne zu<br />
schmoren. Ich gehe gerne abends oder auch morgens schwimmen, bis die Luft knapp wird,<br />
erlebe das Wasser, tauche, pruste, wühle alle Schwimmarten durch. Dann wird es langweilig.<br />
Ich fühlte mich von der <strong>Reise</strong>leitung allein gelassen. Carina, die uninteressierte<br />
<strong>Reise</strong>begleiterin, verkrümelte sich. Nicht einmal ihre Zimmernummer wollte sie uns sagen.<br />
Ich hatte keine Lust auf Badeurlaub, obwohl ich gerne im Meer schwimme. Ich wollte ganz<br />
einfach nicht den Tag am Strand verbummeln. Ich wollte das Land kennen lernen. Deshalb<br />
bin ich hierher gekommen. Ich wollte die alte Kultur dieser Insel verstehen lernen, nicht mit<br />
genusssüchtigen Menschen im Wettbewerb um die modischen Freuden der Spaßgesellschaft<br />
treten.<br />
Von Antonio wussten wir, dass zwei Buslinien<br />
in die Stadt fahren, die 10 und die 15. Er hat uns<br />
auch auf den Markt in Pano Paphos, der<br />
Oberstadt von Paphos hingewiesen und dort<br />
eine Adresse genannt – ein Freund von ihm –<br />
wo wir preiswert essen gehen können.<br />
Wir laufen die etwa 1000 m zur Bushaltestelle,<br />
am Bananenhain vorbei, wo die reifenden<br />
Stauden hingen. Ähnlich wie in Ägypten<br />
wachsen hier die so genannten Kochbananen,<br />
die zwar süß aber kleiner sind als die uns<br />
geläufigen Sorten aus Südamerika.<br />
Ich denke, hier auf <strong>Zypern</strong>, wo das Wasser so knapp ist und die Luftfeuchte relativ gering, ist<br />
kein guter Platz für solcherart Obst. Es wird wohl vorwiegend zum Eigenverbrauch bestimmt<br />
sein.<br />
An der Hauptstraße hieß es aufpassen. Zur Haltestelle <strong>nach</strong> rechts in die Stadt mussten wir<br />
über die Straße hinweg- es ist Linksverkehr! Der Bus Nr. 10 rollte ein. 80 Cent zyprischen<br />
Geldes, also 1 Pfund 60 für beide, hatte ich bereits abgezählt und reichte es dem nervösen<br />
Fahrer. Die Fahrgäste waren vorwiegend Engländer, die sich ausnahmslos laut und vorlaut so<br />
aufführten, als wären sie noch die Herren im Lande. Viele Hotels am Meer beherbergen<br />
wahrscheinlich einheimische Engländer oder die auf <strong>Zypern</strong> angesiedelte. Ich hatte auch<br />
keine Lust zu fragen. Die 7 km bis in die Stadt kamen wir an vielen Hotels vorbei.<br />
Die Busfahrt währte etwa eine Dreiviertelstunde, mehr als 12 km, vorbei am Hafen und dann<br />
in einer großen Schleife bergwärts in die Oberstadt. Endstelle Agora. Marktplatz.<br />
Gegen 9.30 Uhr betraten wir das Gelände in der<br />
Oberstadt von Paphos, das einmal eine große<br />
Markthalle, zum anderen viele kleine Stände und<br />
Läden ihrer näheren Umgebung aufweist, so dass<br />
hier die Einheimischen, aber auch viele Touristen<br />
einkaufen. Entsprechend ist das Profil des<br />
Angebotes, Touristenkitsch und Waren des<br />
täglichen Bedarfes in herrlich bunter Mischung.<br />
Eine kleine verglaste Gemüsehalle steht separat. In<br />
ihr sitzen die Frauen und bieten ihre eigenen<br />
Erzeugnisse an, neben Obst und Gemüse auch<br />
Honig, Marmeladen, Nüsse und Näschereien, die<br />
Pano Paphos, Gemüsemarkthalle<br />
sie daraus gezaubert haben.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 112
Länger als eine Stunde schob und zwängte ich mich mit Martina durch die Massen, mehr ihr<br />
zuliebe. Heute ist Sonnabend, Wochenendeinkäufe sind vor allem für Frauen so etwas wie<br />
Panikkäufe, so als würde ab morgen Schluss sein mit dem Angebot.<br />
Ich muss nicht schildern, welch furchtbaren Kitsch manche Händler anboten und dem<br />
Besucher zumuteten. Aber ich konnte auch Kollektionen von allerfeinsten Gewürzen<br />
bewundern. Manches fein geformte Schachspiel hätte mir zugesagt- mir fehlt ein kompetenter<br />
Partner zu Hause und Platz, die Spiele aufzubewahren, sonst hätte ich eine Sammlung<br />
angelegt. Überhaupt Schachspielen. Wer pflegt es noch? Die Figuren sind den Göttersagen<br />
<strong>nach</strong>gestaltet, in Gussmetall, Holz oder Plastikmasse, aufregend schön. Bücherangebote fand<br />
ich nicht, außer einigen Prospektheften über die Insel. Dagegen Ansichtskarten en masse.<br />
Alles schien den Bedürfnissen der Frauen angepasst. Textilien jeder Art, vom Kunstpelz bis<br />
zum sparsamsten Bikini, Bademoden, Tücher, Spielzeug der Billigklasse, alles made in<br />
China. Ich fand kaum einheimische Erzeugnisse außer Stickereien aus Lefkara, und die waren<br />
entsprechend teuer. Ikonendrucke schienen als Andenken gut verkäuflich.<br />
Der Fischverkauf fand in einem besonders abgetrennten Gang statt. Es stank hier fürchterlich.<br />
Das Angebot war nicht üppig. Ich machte schnell, dass ich weiter kam.<br />
Nach der zweiten Runde durch das Labyrinth überzeugte ich Martina, dass es genug sei,<br />
wobei sie auch <strong>nach</strong> nichts Besonderem fahndete, sondern sich dem den meisten Frauen<br />
eigenen Genusse des Schauens und Probierens, des Vergleichens und Verwerfens, dem<br />
Aufgehen im Suchen und Aufspüren mit Eifer hingab. Vergrabene Wünsche brechen dann an<br />
die Oberfläche, bekommen Ableger. Ein Gedanke gebiert einen neuen. Farben locken, neue<br />
Moden. Die Augen wandern, die Finger hinterdrein, tasten, fühlen, probieren.<br />
Zum Beispiel bei der Oberbekleidung. Da muss ein Bügel gezogen werden, während die<br />
Augen schon das nächste Stück im Auge haben. „Darf ich mal anprobieren?“ Die Verkäuferin<br />
nickt, obwohl sie kein Deutsch versteht. Zu mir die Ansage: „Wartest du mal?“ Und<br />
verschwindet in einer Kabine. Kitzel des Unbekannten. Der Stoff duftet <strong>nach</strong> Parfüm, er greift<br />
sich weich, der Schnitt… „Ich mache schnell! Und der verblüffende, leise mir zugeflüsterte<br />
Zusatz: „Ich kaufe sowieso nichts!“ Wie beruhigend!<br />
Nun habe ich mindestens eine Viertelstunde Zeit, will mich gerade <strong>nach</strong> meinen Vorlieben<br />
umsehen, doch ich werde zurückgepfiffen: „Hältst du das mal!“ Der Vorhang schließt sich<br />
hinter Martina. Ich stehe, behangen mit Tasche und Rucksack etwas überflüssig davor und bin<br />
angenagelt. Hinter den Falten raschelt es. Die Garderobe wird hörbar abgeschält, die neue<br />
übergezogen. Minuten werden mir zu Ewigkeiten. Dann endlich fliegt der Vorhang zurück.<br />
Ich darf urteilen. Sie schaut mich an, erst fragend, dann verächtlich: „Du hast ja keine<br />
Ahnung!“, als sie mein mitleidiges Lächeln sieht. Trotzig dreht sie sich rum und wendet sich<br />
ihrem neuem Spiegelbild zu, dreht sich, spitzt den Mund, kämmt sich mit den gespreizten<br />
Fingern den Pony, dreht sich erneut, wechselt Stand- und Spielbein, betrachtet jetzt in<br />
Halbpirouette die Rückpartie, hört sich nun doch meinen Kommentar an. Ich bemäkele das<br />
Material. Wieder wird das am Spiegel überprüft, was ich Laie zu bedenken gebe. Sie würde es<br />
selbst bei Strafe nicht zugeben, falls ich Recht hätte, aber sie möchte mir ja auch gefallen! Ein<br />
Konflikt bricht aus.<br />
Ein Mann würde nun seine Entscheidung treffen. Entweder benötigt er das Teil und nimmt es,<br />
falls es passt, oder er lässt es. Ganz anders meine Martina. Jetzt geht es erst richtig los. Da<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 113
Farbe und Form nicht gleich einschlagen, aber irgendetwas an dem Teil seinen Reiz noch<br />
ausübt, muss ich nun die nächstkleinere oder nächstgrößere Größe aus dem Regal fischen,<br />
gewissenhaft zuarbeiten. Dabei bin ich immer noch Taschenträger. „Das kannst du wieder<br />
hinschaffen!“ Gibt mir zwei von den fünf Bügeln in die Hand. Ich bringe es wieder hin, hänge<br />
es ordentlich an seine Stelle, eile zur Kabine. „Das kannst du auch hinhängen. Bring mir noch<br />
einmal das erste!“ Das Prozedere beginnt von neuem. Und so weiter.<br />
Wir kauften schließlich etwas Honig aus heimischer Produktion. Martina ersteht für sich<br />
einen Halsring mit Simili- Gemme. Es ist heiß und staubig, viel Verkehr auf den Straßen<br />
Gott sei Dank verlassen wir den<br />
Markt. Ich weiß hier in Paphos<br />
nicht Bescheid. Ein Minarett ragt<br />
in den blauen Mittagshimmel.<br />
Ich steuere darauf zu. Die<br />
zugehörige Moschee steht<br />
unbenutzt. Außer Betrieb. Durch<br />
ein Fenster schaue ich hinein.<br />
Putz, Dreck, keine Teppiche,<br />
ausgeräumt. Leer. Gibt es keine<br />
Moslems in Paphos? Andere<br />
Minarette habe ich nicht gesehen.<br />
Hat man die Retourkarte gegen<br />
die türkischen Muslime gespielt?<br />
Was die Türken uns Griechen können, können wir ihnen auch? Ich bekam keine Antwort auf<br />
diese Fragen. Ein moslemischer Friedhof dicht bei der Moschee lag verwahrlost in der<br />
grellen Sonne. Dicht dabei träumte eine Autowerkstatt ihren Mittagsschlaf. Wir gingen<br />
zurück. Ich versuchte nun auf der anderen Straßenseite eine christliche Kirche zu finden, die<br />
als „Agios Kendeas Church“ auf meinem Stadtplan eingezeichnet war. Über mehrere<br />
Nebenstraßen erreichten wir sie. Spielende Kinder, paar Halbwüchsige, einige Frauen<br />
standen in den Hauseingängen. Die Kirche war geschlossen. Ein Zaun ringsum verhinderte<br />
erfolgreich ein Nähertreten.<br />
Wir beschlossen, zur Hauptstraße zurück zu<br />
gehen. Wir stiegen über Treppen hinunter. Das<br />
Tachydromeo, die Hauptpost, ist ein schönes<br />
Gebäude, im englischen Stil gebaut. Wir<br />
bummelten ein wenig durch die steil<br />
ansteigende Straße. Teure ausländische Marken<br />
haben sich hier angesiedelt und die<br />
einheimischen Kaufleute verdrängt. Autohäuser,<br />
Telefonanbieter, eigentlich alles kein Ambiente,<br />
das mein Interesse verdient. Ich folge Martina in<br />
ein exklusives Geschäft von ESPRIT, nur ihr zu<br />
Gefallen. Dabei spielt sich die oben<br />
beschriebene Zeremonie ab.<br />
Wir gehen zum Busplatz am Markt zurück. Jetzt sehe ich auch den empfohlenen „Freund“<br />
von Antonio, das „SOVOS -Restaurant- Café- Snackbar“. Viel Betrieb. Viele suchen jetzt ein<br />
preiswertes Mittagessen. Wir haben abends reichlich. Der Bus kommt. Wir fahren zurück<br />
und freuen uns über unsere Selbständigkeit.<br />
Am Nachmittag, als wir wieder in unserem „Beach- Hotel“ sind, nutze ich die Gelegenheit zu<br />
einem Bad im Meer. Das Hotel ist wunderbar angelegt. Es blockiert den Zugang zu einer<br />
Landspitze. Zu beiden Seiten der Bettenhäuser ist Wasser. Geschickt hat man die natürlichen<br />
Felsen genutzt und eine fast wellenfreie Nichtschwimmerzone, eine „Badewanne“<br />
geschaffen, in der sich die älteren und vorsichtigeren Leute schwimmen lassen. Wer ins Meer<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 114
ichtig hinein will, muss über einen Felsensteg gehen, der durch ein Seil gesichert ist und<br />
sich am Ende über eine Edelstahlleiter ins Wasser gleiten lassen.<br />
Das Schwimmen hinaus ins freie Wasser ist nicht ganz ungefährlich. Es gibt Untiefen<br />
beziehungsweise Felsbrocken unter der Oberfläche und entlang der Landzunge eine<br />
schäumende Brandung. Die Steine sind rissig und haben scharfe Kanten. In den Höhlungen<br />
lauern Seeigel. Ich bleibe im tiefen Wasser und schwimme rechts um die Klippe herum, auf<br />
deren ebenem Plateau Liegestühle und Sonnenschirme stehen und versuche, mich von außen<br />
in die „Badewanne“ zu lavieren. Ein im Wasser gespanntes Tau hilft mir dabei, Kollisionen<br />
mit den Felsen zu vermeiden, die die Brandung in Schüben versucht.<br />
Erste Bekanntschaft mit<br />
dem Meer. Das Wasser ist<br />
relativ warm, doch der<br />
Wind ist frisch. Ich lerne<br />
den Hotelbetrieb besser<br />
kennen. Wir genießen<br />
unsere Suite, trinken selbst<br />
gekochten Kaffe und essen<br />
Obst. Da es schon Oktober<br />
ist, sinkt die Sonne zeitig.<br />
Das nebenstehende Bild<br />
entstand 17.14 Uhr. Der<br />
Himmel färbte sich in allen<br />
Farben von hellem Rosa bis<br />
ins tiefe Purpur, die Palmen<br />
rauschten im aufbrisenden<br />
Abendwind. Es ist schön<br />
hier.<br />
Die Bucht, an der das Hotel gelegen ist, heißt auf Englisch Coral Bay, die Korallenbucht. Als<br />
Paphos 1962 für den Fremdenverkehr „entdeckt“ worden ist, als man beim Graben im Sand<br />
in der Nähe des alten Hafens römische Mosaiken fand, mag es vielleicht hier Korallen<br />
gegeben haben. Doch in den letzten fünfzig Jahren ist ein Touristenstrom wie ein eiserner<br />
Hobel über die damals nur von Fischern benutzte Küste hinweggefegt. Da ist von der<br />
ursprünglichen Natur nicht viel geblieben. Alles muss sich den Bedingungen des modernen<br />
Fremdenverkehrs unterordnen. Hotels werden aus dem Boden gestemmt. Beiderseits der<br />
Küstenstraße ziehen sich riesige Hotelkomplexe, sind neue Baustellen angelegt. Ob das die<br />
Natur verträgt, fragt keiner. Investruinen zeugen von Unternehmern, die sich übernommen<br />
haben. Ich möchte nicht im Hochsommer hier sein, um nichts in der Welt!<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 115
XXV. Sonntag Vormittag in Kato Paphos<br />
Sonntag, 8. Oktober 2006<br />
Heute ist der nächste freie Tag. Martina und ich<br />
haben entschieden, wieder <strong>nach</strong> Paphos hinein zu<br />
fahren, dieses Mal an den Hafen, <strong>nach</strong> Kato Paphos,<br />
die Unterstadt.<br />
Wenn ich <strong>nach</strong> dem Frühstück auf die Liegewiesen<br />
schaue, da haben sich Viele schon in Mallorca-<br />
Manier die schönsten Plätze reserviert, Handtücher<br />
auf die Liegen gelegt, kleine Festungen<br />
zusammengerückt, Schattenplätze erobert. Ich bin<br />
froh, da nicht mithalten zu müssen. Diesen Stress<br />
möchte ich mir nicht antun.<br />
Martina und ich nahmen also <strong>nach</strong> dem Frühstück<br />
Paphos, Coral Bay, Cynthiana Beach Hotel<br />
auf der Terrasse des Hotels.<br />
Während die meisten von unserer Gruppe sich auf den zahlreichen Liegen im Hotelbereich für<br />
einen langen langweiligen Tag einrichteten, rüsteten wir zum Alleingang zu den<br />
Sehenswürdigkeiten von Kato Paphos.<br />
Wir warteten wieder auf den Stadtbus, der im Pendelverkehr die ganze Korallenbucht entlang<br />
fährt und in der Hauptsache die Badegäste hin und her befördert, und fuhren mit ihm in die<br />
Stadt, bemüht, den Ausstieg am Hafen von Paphos nicht zu verpassen. Das Wetter machte dem<br />
Sonntag alle Ehre.<br />
Am Hafen bummelten wir den Kai entlang. Meine<br />
Blicke glitten über die zahlreichen Schiffe, Segler,<br />
Ausflugsboote, kleine Yachtkreuzer,<br />
Glasbodenboote. Martina wandte sich mehr den<br />
Keramiken und Auslagen der Händler auf der<br />
Landseite zu, die jetzt um diese Stunde gerade ihr<br />
Zeug auspackten. Die Gastronomen rückten<br />
Sonnenschirme und Stühle auf den Freisitzen<br />
zurecht. Mein Ziel war zunächst das alte<br />
Hafenkastell. Leider war es für Besucher noch nicht<br />
geöffnet.<br />
Ein buntes Gewimmel von freudigen Menschen zog uns an. Das müssen alles Engländer<br />
gewesen sein. Was ich mir zusammenreimte war, dass zu dieser frühen Vormittagsstunde ein<br />
kleines Bürgerfest veranstaltet wurde mit zwei Inhalten: Eine Tombola für das bevorstehende<br />
Weih<strong>nach</strong>tsfest und ein Wettbewerb um den schönsten Hund in verschiedenen Größenklassen.<br />
Wir liefen durch all die Hundeliebhaber mit ihren bellenden, an den Leinen ziehenden und sehr<br />
aufgeregten Vierbeinern hindurch bis zum Ende der Mole, hinter der sich die Reste der alten<br />
fränkischen Festung türmten, die <strong>nach</strong> der Eroberung der Insel durch die Venezianer um 1570<br />
geschleift. Ursprünglich wurde sie zum Schutz des Hafens von den Byzantinern errichtet. Das<br />
kann 1000 Jahre früher gewesen sein. So genau weiß das heute niemand mehr.<br />
Wir schauten ein Weilchen den Hunde- Vorführungen zu.<br />
Mit großem Ernst zogen magere Tiere an der Leine ihre<br />
fetten Frauchen oder winzige Hündchen ihre massiven<br />
Herrchen hinter sich her, machten auf Kommando artig<br />
halt, einer strengen Beobachtung einer aus bunt<br />
gekleideten Damen und Herren bestehenden Jury<br />
ausgesetzt. Eine Stuhlreihe begrenzte das Aktionsfeld.<br />
Als wir eintrafen, defilierten gerade die Möpse, Pekineser<br />
und andere Schleifchen- Hündchen.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 116
Die mittleren Größen warteten geduldig und teils<br />
gelangweilt schienen mir einige Superhunde,<br />
Neufundländer oder ähnliche. Mit dem Kroppzeug, das<br />
da gerade über die Steinplatten trippelte, konnten sie<br />
nichts anfangen, obwohl sie sicher alle aufregend<br />
rochen. Frauchen und Herrchen schwatzten<br />
miteinander. Man kannte sich. Ich vermute, die<br />
englische Kolonie von Paphos und Umgebung war<br />
ziemlich komplett versammelt. Ich hätte noch lange<br />
Stoff zum Sehen gehabt, doch wir hatten noch viel vor.<br />
Hafen Paphos, Reste der fränkischen Festung<br />
Es war mittlerweile <strong>nach</strong> 10 Uhr geworden. Das Kastell öffnete sein Burgtor für Besucher.<br />
Martina wollte nicht mit. Ich ließ es mir nicht nehmen, zumal von der Dachterrasse ein Blick<br />
auf Stadt und Hafen nicht zu verachten war. 1 Pfund Eintritt schmälerte wieder das<br />
Taschengeld. Das alles spart sich der <strong>Reise</strong>veranstalter. Ich bat Martina zu warten, was sie<br />
auch geduldig tat. Ich sprintete die engen Treppen hinauf, die mehrfach den Lauf wechselten<br />
und konnte nun auch von oben winken und sah den Hafen und das Meer von oben und die<br />
weite Fläche des archäologischen Grabungsfeldes und weit <strong>nach</strong> Norden in Richtung unseres<br />
Hotels. Dann hastete ich wieder herunter, versuchte noch einige touristenfreie Fotos zu<br />
schießen und erreichte über die Wehrgrabenbrücke wieder den Treffpunkt.<br />
Einige Geschichtsdaten brachte mir dieser Abstecher:<br />
Die Lusignans bauten die alte byzantinische Festung<br />
im 13. Jahrhundert aus, und <strong>nach</strong>dem die Venezianer<br />
sie 1570 zerstörten, wurde sie gleich <strong>nach</strong> der<br />
Eroberung durch die Osmanen 1589 – 1592 wieder<br />
aufgebaut mit dem Ziel, das Armeekommando<br />
aufzunehmen. Dies ist einer Inschrift über dem<br />
einzigen Zugang zu entnehmen. Das kleine Fort auf<br />
der antiken Mole im westlichen Teil des Hafens von<br />
Paphos war einst ein wichtiger Teil des<br />
Verteidigungssystems von <strong>Zypern</strong>.<br />
Die Türme waren zentrale Punkte im Venezianischen<br />
Paphos, Hafenkastell<br />
Verteidigungswall.<br />
Die Reste des Turmes, einverleibt in das Osmanische Bollwerk, gehörten damals zu zwei<br />
Türmen, die zu Zeiten der fränkischen Herrschaft <strong>nach</strong> dem zerstörerischen Erdbeben von<br />
1222 erbaut wurden. Die beiden Türme waren durch einen Zwischenwall miteinander<br />
verbunden.<br />
Als die Genueser 1373 das Fort eroberten, erhöhten sie die<br />
Mauern und gestalteten einen Wassergraben einfach durch<br />
Abschneiden eines Teiles der Mole, welche Zugang vom<br />
seeseitigen Turm zum Ufer bildete. Einer der beiden Türme<br />
verblieb als Ruine seit Ende des 15. Jahrhunderts, als es<br />
durch ein Erdbeben zerstört wurde.<br />
Kurz bevor die Osmanen 1570 einbrachen, zerstörten die<br />
Venezianer, was von den Türmen übrig war, mittels<br />
Pulverexplosion in Übereinstimmung mit ihrer<br />
Entscheidung, die Verteidigung der Insel nur von drei<br />
Städten aus zu führen: Famagusta, Lefkosia und Kyrenia.<br />
Was heute noch überlebt hat, ist die osmanische<br />
Restauration des westlichen fränkischen Turmes, seiner<br />
venezianischen Ergänzungen und die Steinreste des zweiten<br />
Turmes in der Entfernung von 50 m im Osten.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 117
Das Erdgeschoss besteht aus einer<br />
zentralen Halle mit kleinen Räumen an<br />
jeder der zwei langen Seiten, welche als<br />
Gefängniszellen während der<br />
osmanischen Okkupation genutzt<br />
wurden. Zwei kleine unterirdische<br />
Zellen waren für Langzeit- Gefangene<br />
bestimmt. Die kleine türkische Garnison<br />
lebte in den Räumen des oberen<br />
Geschosses und nutzte den zentralen<br />
Raum als Moschee. Auf dem Dach des<br />
Kastells gab es zwölf Zinnen oder<br />
Brustwehren, welche mit der gleichen<br />
Anzahl von Kanonen bestückt waren.<br />
Diese wurden 1878 von den Osmanen<br />
entfernt, als sie die Verwaltung der Insel<br />
an die Briten abgaben.<br />
Blick <strong>nach</strong> Osten vom Dach des Hafenkastells entlang der<br />
Mole auf die Reste des zweiten Turmes<br />
Ab 1878 wurde dann das Kastell von den Briten als Gefängnis verwendet und noch später als<br />
Salzlager. 1935 wurde es als geschichtliches Monument deklariert. Es wurde restauriert und ab<br />
1940 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.<br />
Ich eilte wieder zu meiner Martina, die ergeben und geduldig gewartet hatte, um nun endlich<br />
das eigentliche Ziel, den Archäologie- Park mit den weltberühmten Mosaiken anzusteuern.<br />
Wir empfanden es als großzügige Geste der Regierung, an Sonntagen den Eintritt frei zu<br />
halten. Das ist ein guter Beitrag zur Förderung der Kultur. Leider ist man in unserem<br />
geldgierigen Land weit davon entfernt, dem nicht so gut betuchten Volk wertvolle Kultur an<br />
bestimmten Tagen ohne Eintrittsgeld nahe zu bringen. Wir hatten also heute Glück: Eintritt<br />
frei. Jetzt am Vormittag waren noch wenige Leute im Areal. So konnten wir uns bequem und<br />
beinahe ungestört erst die Ruinen, dann die herrlichen Mosaike besichtigen.<br />
Der Park, in dem sich die Grabungen zu etwa einem Drittel der antiken Stadt Nea- Paphos<br />
befinden, ist archäologisch noch längst nicht völlig erschlossen. Vieles harrt noch auf<br />
Entdeckung und Hebung an das Licht der Sonne. Die Reste der Häuser weisen auf eine<br />
Nutzung der ausgegrabenen Siedlung in der Zeit zwischen dem 4. Jahrhundert vor bis zu den<br />
zerstörerischen Erdbeben im 4. Jahrhundert <strong>nach</strong> Christus.<br />
Die Grundrisse und mancherlei andere Funde lassen weitgehend genau auf die Nutzung und<br />
Aufteilung der Räume vieler Häuser und Anlagen schließen. Die Bodenmosaiken aber geben<br />
uns Aufschluss über den Zeitgeist und den kulturellen Hintergrund der damaligen Bewohner.<br />
Ich muss mich, wenn ich darauf eingehe, auch wieder mit der griechisch- römischen<br />
Mythologie beschäftigen.<br />
Erstes Ziel war das Haus des Theseus.<br />
Eigentlich steht kein Haus mehr. Es sind die<br />
Ruinenreste eines wahrscheinlichen Palastes<br />
des Statthalters, der die größte Abmessung<br />
aller hier gefundenen Häuser besitzt. Er<br />
beinhaltet mehr als 100 Räume mit insgesamt<br />
9500 m 2 Fläche. Die Villa des Theseus wurde<br />
von einer polnischen Archäologischen Gruppe<br />
ausgegraben. Ihr Bau begann im 2.<br />
Jahrhundert und unterlag mancherlei<br />
Veränderungen. Sie war bewohnt bis ins 7.<br />
Jahrhundert. Sie war der offizielle Sitz des<br />
Prokonsuls, des römischen Gouverneurs von<br />
<strong>Zypern</strong>.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 118<br />
Kato Paphos, Archäologie- Park, Haus des Theseus<br />
„Theseus im Kampf mit dem Minotaurus“
Die Sonne brannte grell und hell. Es war ungeheuer schwierig, unter diesen Umständen<br />
vernünftige Fotoaufnahmen von den Mosaiken im Freien zu bekommen.<br />
Wir wandten uns dem Haus des Aion (3. -5. Jh. u. Z.) zu, wobei der Bau nur eine schützende<br />
Umhausung, nicht die Rekonstruktion des ehemaligen Römerhauses sein soll. Auch dieses<br />
kleine Areal wurde von den polnischen Spezialisten freigelegt. Die unüberdeckten Räume<br />
schließen die Empfangshalle des Hauses ein, die auch noch außergewöhnliche geometrische<br />
und figürliche Mosaiken enthalten. Im überdachten Teil fanden wir gut erhaltene Mosaiken,<br />
allerdings auch mit großen Fehlflächen. Das zentrale Paneel des Hauptraumes ist in fünf<br />
kleinere Paneele aufgeteilt und stellt verschiedene mythologische Szenen dar.<br />
Oben links: Leda mit dem Schwan<br />
Oben rechts: Dreikönigsfest des<br />
Dionysos<br />
Mitte: Der Schönheitswettbewerb<br />
zwischen Kassiopeia und den Nereïden<br />
Unten rechts+links: die Bestrafung des<br />
Marsyas<br />
Im Zentrum der Komposition ist<br />
die Darstellung des Gottes Aion,<br />
leider fast ausgemerzt, die<br />
Personifikation der Zeit, dessen<br />
Namen man für das Haus gewählt<br />
hat.<br />
Die Mosaiken erzählen so schöne,<br />
interessante Geschichten und<br />
geben damit auch Einblick in den<br />
Glauben und die religiösen<br />
Ansichten der ersten Jahrhunderte<br />
unserer Zeit.<br />
Da ist zum Beispiel der<br />
Wettbewerb der Kassiopeia mit<br />
den Nereiden im Mittel- Mosaik.<br />
Nereiden (Nereïden, lat. Nerines) sind in der griechischen Mythologie eine Gruppe von<br />
Meeresnymphen. Sie sind Töchter des Nereus, dem Sohn der Gaia und des Pontos und der<br />
Doris, der Tochter des Okeanos. Nach der Mutter werden sie auch Doriden genannt.<br />
Die Nereiden sind Beschützerinnen der in Seenot Geratenen. In Begleitung des Poseidons<br />
erheitern sie oft die Seeleute mit ihrem Spiel. Oder sie begleiten die Amphitrite, selbst eine<br />
Nereide, wenn die in ihrem Muschelboot über die Wellen reist.<br />
Zu den Nereiden gehören beispielsweise Amphitrite, Deianira, Doris, Eione, Galatea oder<br />
Thetis. Es gibt verschiedene Quellen, die ihre Namen aufzählen. Alle fünfzig sind bei Hesiod<br />
genannt, Homer nennt ihrer 33, andere Darstellungen erwähnen 45 oder 49 Nereiden. Die<br />
Autoren weichen in den Namen voneinander ab, so dass die Gesamtzahl der Nereiden auf bis<br />
zu 100 veranschlagt wird.<br />
Das Bild erzählt den Kampf um einen Schönheitspreis. Hier ist der sagenhafte Hintergrund:<br />
Kassiopeia und Cepheus, der Herrscher über Äthiopien hatten zusammen eine Tochter namens<br />
Andromeda. Andromeda wuchs zu einem bildhübschen Mädchen heran und Kassiopeia fing an,<br />
mit ihr zu prahlen. Ihre Tochter sei die schönste überhaupt, auch schöner als die des<br />
Meeresgottes Nereus. Zutiefst gekränkt, beklagten sich die Nereiden bei Poseidon, welcher<br />
sich gebührend rächen sollte. Er schickte Cetus, dass Meeresungeheuer, heute bekannt als<br />
Walfisch. Der Walfisch überschwemmte alle Landpartien, an denen Völker des Cepheus lebten.<br />
Um aber sein Land zu retten, schickte Cepheus in allergrößter Not einen Abgesandten <strong>nach</strong><br />
Delphi zum Orakel. Die Antwort jedoch war erschreckend. Cepheus sollte seine einzige<br />
Tochter, die Andromeda, dem Walfisch als Opfer darbringen. Dies sei die einzige Möglichkeit,<br />
Äthiopien von dieser Plage zu befreien.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 119
Vom Volke gedrängt, entschloss sich Cepheus schweren Herzens, seine Tochter zu opfern, um<br />
sein Land zu retten. Andromeda wurde alsbald an die Klippen des Meeres gekettet, um Cetus<br />
als Fraß zu dienen. Es dauerte nicht lange, bis der Walfisch mit all seiner Kraft auf die<br />
Klippen zugeschossen kam. Doch in allerletzter Sekunde erschien Perseus. Vom Anblick der<br />
wunderschönen Andromeda beglückt, schoss er vom Himmel herab und bohrte ein Schwert tief<br />
in des Ungeheuers Rücken. Erst <strong>nach</strong> einem langen schrecklichen Kampf, konnte Perseus<br />
durch das Gorgonenhaupt, welches Cetus vor Schrecken zu Stein erstarren ließ, als Sieger aus<br />
dem Kampf hervorgehen.<br />
Schauen wir aufs mittlere Mosaik, rechter Teil: Da liegt die schöne Nymphe Thetis, eingebettet<br />
zwischen Doris (mit dem dunklen Schleier) und ihrem Mann Poseidon, der sie aus dem Meere<br />
hebt. Poseidon ist umgeben von Meeresungeheuern. Doris hat Thetis ins Rennen geschickt und<br />
eine zweite Tochter, deren Namen ich nicht so recht entziffern kann. Vater Pontos (rechts<br />
unten) hebt abwehrend und entsetzt die Hand. Der Preis ist wahrscheinlich gerade vergeben. Er<br />
und seine jüngeren (geflügelten) Töchter (eine davon ist Galatea) fliehen verärgert auf ihren<br />
Kentauren. Von oben, dem Olymp, schauen Zeus und Athena zu. Sie haben entschieden und<br />
zeigen beide einmütig <strong>nach</strong> links, wo im linken Teil des Mosaiks Kassiopeia schon bekränzt<br />
und als Schönste geehrt wird.<br />
Was für Geschichten!<br />
Das untere Mosaik ist die Bestrafung des Flötenspielers Marsyas, der den Gott Apollon –<br />
welche Ungeheuerlichkeit! – zum musikalischen Wettstreit herausgefordert hat. Natürlich<br />
verliert er gegen den Lyra spielenden Gott und erfährt eine unmenschliche Strafe. Moral: Man<br />
soll die Götter nicht herausfordern. Wie zeitlos!<br />
Der kleine Dionysos sitzt auf dem Schoß des Götterboten Hermes, dieser erkennbar an seinen<br />
Flügelchen an Kopf und Fußgelenken. Dionysos wird an seinen künftigen Beschützer, den<br />
sich behutsam nähernden Silenen 47 Haus des Aion, Mosaik oben rechts: Dreikönigsfest des Dionysos<br />
Tropheus und einige Nymphen übergeben, die gerade ein<br />
Bad für den Knaben einlassen. Den Segen scheinen die Götter Nektarios und Theogonia zu<br />
erteilen.<br />
Die Geschichte von Leda mit dem Schwan hat sich bis in die Gemälde der Neuzeit erhalten.<br />
Leda, die schöne Königin von Sparta. Zeus nähert sich ihr in Gestalt eines Schwanes, verführt<br />
sie und hat mit ihr die Kinder Kastor und Pollux sowie die schöne Helena.<br />
47<br />
Silenen sind zweibeinige Pferdemenschen<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 120
Wir wenden uns nun dem Haus des Dionysos zu, einem lang gestreckten, architektonisch gut<br />
gelösten Schutzpavillon, der weitere Mosaiken von unschätzbarem Wert schützt und im Stil<br />
einer römischen Villa, wie sie im 2./3. Jahrhundert n. Chr. üblich war, 1997 errichtet worden<br />
ist. Das Haus gehörte einem namentlich unbekannten, sicher aber reichen Mann und<br />
überdeckte einst 2000 m 2 , wovon über 550 m 2 mit Mosaiken bedeckt sind.<br />
Gleich am Eingang werden wir rechts und links von Mosaiken begrüßt. Das linke Skylla-<br />
Mosaik ist das älteste überhaupt. Es besteht nur aus schwarz-weißen Steinchen und stammt<br />
vielleicht noch von dem griechischen Vorbesitzer, von dem man in einem Kellerraum rund<br />
2500 Tetradrachmen aus der Zeit von 204 bis 88 vor unserer Zeitrechnung gefunden hat. Die<br />
genauen Zahlen sind das Geheimnis der Numismatiker.<br />
Das rechte Mosaik behandelt in neun<br />
Feldern das Thema der Vier Jahreszeiten.<br />
Allegorische Tierfiguren schmücken die<br />
zwischen den Eckfeldern mit den Köpfen<br />
der jeweiligen Götter. Im Zentrum schaut<br />
wahrscheinlich Gott Apollon zu uns<br />
herauf.<br />
Eine Begrüßungsformel „Sei gegrüßt –<br />
Auch du“ ist in zwei schmalen Feldern<br />
eingearbeitet und deutet auf einen Raum Haus des Dionysos, Mosaik „Vier Jahreszeiten“<br />
hin, der als Eingang zu dem Hause diente.<br />
Das Haus war bis auf eine Gruppe französischer Touristen, die von einer dicken Frau in<br />
elegantem langem Kleid angeführt wurde, leer. So konnten wir in Ruhe alles betrachten, ohne<br />
allerdings Erklärungen zu hören. Ich verschaffte mit im Nachhinein den Ein- und Überblick<br />
und erfuhr auch noch einiges von Antonio, der mit uns am nächsten Tage dieselbe Tour, wenn<br />
auch sehr gekürzt unternahm. Ich war froh, dass ich heute in aller Gelassenheit meine<br />
Ruhepunkte setzen konnte.<br />
Rund um das Atrium verläuft eine<br />
Säulenhalle, deren Fußboden mit<br />
Mosaik- Geschichten gepflastert war.<br />
Die erste ist die von Thisbe und<br />
Pyramos. Die Eltern des jungen<br />
Liebespaares waren gegen eine<br />
Verbindung der beiden. Daher trafen<br />
sie sich heimlich im Walde. Als<br />
Thisbe eines Tages als erste am<br />
Treffpunkt erschien, floh sie vor<br />
einem Panther, der gesättigt, mit<br />
Thisbe und Pyramos<br />
blutverschmiertem Maul dort lag.<br />
Als Pyramos darauf erschien und den Panther mit Thisbes Tuch im Maul da liegen sah, stürzte<br />
er sich vor Kummer in sein Schwert, in dem Glauben, Thisbe sei von dem wilden Tier<br />
zerrissen worden. Thisbe folgte ihm in den Tod.<br />
Es ist eine klassische Variante des Schicksals<br />
von Romeo und Julia, allerdings viel<br />
prosaischer <strong>nach</strong>zulesen bei Gustav Schwab.<br />
Ein weiteres Bild schöner Liebe zeigt ein<br />
Mosaik, das die ebenfalls tragische Geschichte<br />
von Phaidra erzählt, die sich in ihren Stiefsohn<br />
Hippolytos verliebt.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 121<br />
Poseidon rettet Amymone
Liest man die Sage von Phaidra und<br />
Hippolytos in aller Ausführlichkeit,<br />
wird erst dann klar, welche Tragödie<br />
sich zwischen den beiden und vor<br />
allem auch für den Vater Theseus<br />
abgespielt hat.<br />
Sie sei hier nur kurz angedeutet:<br />
Theseus, König von Athen, verlor in<br />
der Schlacht gegen die Amazonen<br />
seine geliebte Antiope, die ihm einen<br />
Sohn Hippolytos geboren hatte.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 122<br />
Phaidra verliebt sich in ihren Stiefsohn Hippolytos<br />
Theseus nahm sich als zweite Frau Phaidra, eine jüngere Schwester der Ariadne, die Geliebte<br />
seiner Jugend, bedachte aber nicht, dass er selbst schon im vorgerückten Alter war.<br />
Hippolytos wuchs nun, vom Vater zur Erziehung aufs Land gegeben, zu einem schönen<br />
Jüngling heran, blieb aber kalt für Schönheit und Liebe und schweifte stattdessen an der Seite<br />
der schönen Göttin Artemis durch Feld und Wald um zu jagen. Das erzürnte die verliebte und<br />
abgewiesene Aphrodite, die Göttin der Liebe, und sie beschloss, ihn mit einer unreinen Liebe<br />
zu verderben.<br />
Anlässlich der eleusinischen Mysterienspiele sah Phaidra das erste Mal ihren schönen<br />
Stiefsohn, der ihr wie ein verjüngtes Ebenbild ihrer Jugendliebe erschien und verliebte sich<br />
unsterblich in ihn. Sie behielt ihre Neigung in ihrem Busen, schämte sich ihrer Aufwallung. Die<br />
Flammen ihres Herzens gingen in der Nähe des schönen Hippolytos zu unlöschbarem Brande<br />
an. Sie quälte und verzehrte sich, blass und krank und wollte, mit verwirrtem Sinn, endlich<br />
sterben. Einer alten, treu ergebenen Amme gelang es, ihr Geheimnis zu entlocken. Ohne dass<br />
Phaidra es wusste, verriet jene Hippolytos deren unkeusche Liebe und bat ihn, dass er den<br />
Wünschen und der Leidenschaft seiner Stiefmutter Erhörung schenke.<br />
Mit Abscheu und Entsetzen hörte Hippolytos von dem Antrag, er fluchte dem Frevel dieses<br />
pflichtvergessenen Weibes. Sobald Phaidra von seiner Reaktion hörte, schämte sie sich,<br />
verzweifelte und beschloss zu sterben. Sie will durch den Tod ihre Schmach am Ehemann und<br />
bittere Liebesschuld an Hippolytos abbüßen. Dieser sollte aber mit ihr sterben. Er sollte ihr<br />
Los teilen und nicht hochmütig auf sie herabschauen. Sie erhängte sich in ihrem Gemache.<br />
Vorher aber hatte sie noch auf ein Tontäfelchen, das sie sorgsam versiegelte, aufgeschrieben,<br />
dass ihr Hippolytos mit Gewalt <strong>nach</strong> der Ehre getrachtet und sie nur durch den Tod der<br />
Schmach habe entgehen können.<br />
Theseus kam von Delphi zurück, fand die<br />
Tote, das Täfelchen und glaubte die<br />
verdrehte Darstellung seiner abtrünnigen<br />
Frau. Er tobte vor Zorn, fluchte und<br />
verfluchte seinen Sohn, indem er seinen<br />
Vater Poseidon bat, ihn zu vernichten.<br />
Hippolytos kam vor Theseus, erklärte bei<br />
Zeus und Artemis heiliger Zeugenschaft<br />
seine Unschuld, doch nichts half, er wurde<br />
Phaidra liebt Hippolytos<br />
verstoßen.<br />
Bald auch ereilte ihn das göttliche Schicksal. Er kam beim Lenken seines Wagengespannes<br />
unter die Räder und starb, dem Vater Theseus vorher nochmals seine Unschuld beteuernd. Erst<br />
als Artemis ihm die Wahrheit offenbarte, wie sich Phaidra mit diesem lügnerischen Brief der<br />
Beschuldigung arger Tat entziehen wollte, erkannte dieser sein voreiliges Tun, und der Reiz<br />
seines Lebens war dahin.<br />
Theseus begrub in tiefem Schmerz die Leiche des Sohnes unter dem Myrtenbaum, unter dem<br />
Phaidra, die Gequälte, immer gesessen hatte, auch sie fand darunter ihren Platz im Tode, der<br />
ihr im Leben nie vergönnt war.
Für Hippolytos aber wurde jährlich ein Fest veranstaltet. Er wurde fortan als Halbgott<br />
verehrt. Die Bräute weihen dem keuschen Jüngling, dem Liebling der Artemis, den die<br />
verschmähte Aphrodite in den Tod gestürzt, unter kummervollen Tränen ihr Lockenhaar und<br />
beklagen ihn in holden Gesängen. (gekürzt <strong>nach</strong> H.W.Stoll, „Sagen des klassischen Altertums“)<br />
Im so genannten Tablinum, als Empfangshalle oder Speisesaal genutzt, befinden sich die<br />
Mosaiken, die dem Weingott Dionysos gewidmet sind.<br />
Ein Mosaik stellt die ersten Weintrinker dar. Dionysos genießt die Gastfreundschaft des<br />
attischen Königs Ikarios und bringt ihm als Gegengeschenk die Kunst des Weinbaus und der<br />
Weinherstellung bei. Doch diese Geschichte geht auch tragisch aus.<br />
Dionysos und Akme beim Weintrinken. Ikarios führt Weintrauben heran. Hirten betrinken sich.<br />
Ikarios ist glücklich über die neu erlernte Kunst, gibt zwei Hirten von dem Getränk zum<br />
Kosten. Sie trinken von dem Wein und denken, von ihm berauscht, sie würden vergiftet.<br />
Daraufhin erschlagen sie den Ikarios.<br />
Man vergisst, dass diese herrlichen Kunstwerke beinahe 1800 Jahre alt sind.<br />
Da ist eine große Fläche mit wirklich kunstvollen Geometriemustern, da sind ganze Friese mit<br />
Tieren und Jagdszenen, ein Pfauenmosaik. Eine letzte Geschichte noch:<br />
Wieder wird eine tragische weil<br />
unerfüllte Liebe dargestellt. Apollon ist<br />
in Liebe zur Nymphe Daphne entflammt.<br />
Sie flieht vor dem sie verfolgenden<br />
Apollon zu ihrem Vater, dem Flussgott<br />
Peneios. Zeus erbarmt sich ihrer und<br />
verwandelt sie in einen Lorbeerstrauch,<br />
der bis heute auf Griechisch ihren<br />
Namen trägt. Auf dem Mosaik<br />
verwandeln sich ihre Beine schon in<br />
einen Strauch.<br />
Daphne und Apollon<br />
Eine sehr schöne Darstellung ist dann<br />
noch zu bewundern, die Entführung des<br />
Ganymed. Zeus hat hier die Gestalt eines<br />
Adlers angenommen, der den schönen Jüngling in den Olymp entführt und ihn zum<br />
Mundschenk der olympischen Götter macht.<br />
Ich wollte so viel wie möglich an Bildmaterial mit <strong>nach</strong><br />
Hause nehmen. Jedes Bild eine Geschichte, eine Allegorie,<br />
ein Symbol. Unter den geometrischen Mustern befindet<br />
sich sogar ein Hakenkreuz. Welche Brücke besteht<br />
zwischen den Römern, den germanischen Runen und<br />
Hitlers Unheilzeichen? Und so beschäftigt mich Vieles.<br />
Die Tierkampfszenen zeigen den Heutigen, dass in<br />
Griechenland, aber auch hier auf der Insel <strong>Zypern</strong> Bären,<br />
Berglöwen, Panther, Mufflons, Wildschweine gelebt haben<br />
und von den Menschen nahezu ausgerottet wurden.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 123<br />
Entführung des Ganymed
Wald hat es sicher auch noch<br />
ausreichend gegeben, obwohl<br />
er früher bestimmt auch<br />
schon für Häuserbau,<br />
Feuerungszwecke, Schiffsbau<br />
und neuen Siedlungsplatz<br />
missbraucht und gerodet<br />
wurde. Alles das erzählen mir<br />
diese Bilder. Sinneslust,<br />
Kampfesmut, List und Tücke,<br />
Leidenschaft, Liebe und<br />
Hass, was gab es damals<br />
nicht, was auch heute noch<br />
die Menschen umtreibt? Die<br />
größten und stärksten<br />
Motivationen, Habgier und<br />
Macht, lenken auch heute<br />
noch die Geschicke der<br />
Menschen.<br />
Wir verlassen das an antiken<br />
Schätzen so reiche Haus des<br />
Dionysos, machen noch<br />
davor eine kleine Ruhepause.<br />
Ein Abstecher reizt mich noch, das Haus des Orpheus. Enttäuscht stelle ich fest, dass die drei<br />
Mosaiken, die man schon ausgrub, eines schon 1942, durch eine Sandschicht abgedeckt sind.<br />
Ein schützendes Dach soll darüber gebaut werden, eine löbliche Maßnahme, die ich einsehe.<br />
Also bleibt mit nur eine Informationstafel, die mir die herrlichen Kunstwerke aus bunten<br />
Kieselsteinen als Plakat zeigt. Ich lichte es ab und hier sind wenigstens die Abbildungen, wenn<br />
sie auch niemals die wahre Schönheit der Steinmosaiken wiedergeben können:<br />
Orpheus sitzt auf einem Felsen und lockt auf seiner<br />
Lyra die Tiere des Waldes an, die er mit seinem Spiel<br />
bezaubert.<br />
Auf einem zweiten Bild kämpft Herakles mit bloßen<br />
Händen gegen einen Löwen.<br />
Ein drittes Bild zeigt eine Amazone, die vor ihrem<br />
Pferd stehend eine Doppelaxt in der Hand hält.<br />
Nun haben wir genug von<br />
Mosaiken, richten unsere<br />
Blicke in die Ferne. Zum Leuchtturm hin lenken wir über das<br />
weitflächige Grabungsfeld unsere Schritte, wo sicher noch viel<br />
Unentdecktes unter der Erde verborgen liegt. Immerhin war Nea<br />
Paphos eine Metropole des Statthalters der Insel gewesen.<br />
Wir ergründen das Forum mit einem Amphitheater davor, eine<br />
große leere Fläche, bewachsen mit dornigem, dürrem Stechginster.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 124
Steinbrocken, scheinbar zusammenhangslose Mauerreste in unterschiedlichen Höhen<br />
verunsichern mein Vorstellungsvermögen.<br />
Ich lese noch einmal im Baedeker <strong>nach</strong>: Gegenüber der Agora befand sich hier einst die antike<br />
Akropolis mit dem Asklepieion 48 und dem Odeon 49 . Die Agora, der Markt- und<br />
Versammlungsplatz, bestand aus einem 95 x 95 m 2 großen Hof mit Säulenumgang. Im Osten<br />
ist noch das Stylobat 50 des Umganges erhalten, zu dem Treppenstufen hinaufführten. Hier fand<br />
man Granitsäulen mit korinthischen Marmorkapitellen.<br />
Das teilweise rekonstruierte Odeon, wo wir<br />
uns zu einer kleinen Rast niederließen, wurde<br />
im 4. Jh. von Erdbeben fast völlig zerstört, es<br />
besaß 25 Sitzreihen und bot 3000 Zuschauern<br />
Platz. Ein Odeon hat die Funktion eines Konzerthauses. Es bestand wie ein Theater aus einer<br />
halbrunden Orchestra 51 , Cavea 52 und Skene, war jedoch im Gegensatz zu einem Amphitheater<br />
in der Regel überdacht. Schaut man vom Odeon zum Leuchtturm hinauf, dann gehörte das<br />
Mauerwerk links davon zum ehemaligen Asklepieion. Dieses war ein dem Gott der Heilkunst<br />
gewidmeter Tempel mit Räumen für Heilschlaf und Therapien, kurz ein antikes Kurhaus.<br />
Es gäbe ja noch die Ruinen der alten Festung<br />
Saranta Kolones aufzusuchen, aber Martina ist<br />
müde und sucht ein Plätzchen zum Ausruhen. In<br />
dem Wort steckt die Bedeutung „vierzig<br />
Säulen“, die genau zum Bau dieses römischen<br />
Kastells verwendet wurden. Um 1100 stand hier<br />
eine Burg, mit der die Byzantiner die Küste<br />
sicherten. Später wurde sie von den Franken<br />
genutzt. Saranta Kolones wird auch mit den<br />
Kreuzfahrern zusammen genannt, jedoch schon<br />
1222 völlig zerstört. Seitdem diente das Kastell<br />
als Steinbruch. Heute ist kaum noch etwas aus<br />
Nea Paphos, vorn Reste des Asklepieions dieser Zeit erhalten, vielleicht einige<br />
Säulenreste. Es lohnt nicht hinzugehen.<br />
Wir verließen das Areal durch einen Nebeneingang, überquerten die belebte Hauptstraße<br />
Leoforos Apostolou Pavlou, die Apostel-Paulus- Allee, die zum Hafen führt.<br />
Nach kurzer Orientierung fanden wir den Komplex der Kreuzkuppelkirche. Wir hörten Musik<br />
und sahen Leute zum Eingang strömen. Als wir auch in die kleine Kirche eintreten wollten,<br />
fand gerade ein Gottesdienst statt, und der kleine Raum war gerappelt voll. Gesang schwoll an.<br />
Ich blieb einen Moment stehen und spürte ein sonntägliches Gefühl.<br />
48<br />
Asklepieion, [griechisch], Heiligtum des Heilgotts Asklepios (Äskulap); ausgegraben sind u. a. das<br />
Asklepieion von Athen (um 400 v. Chr.), von Epidauros, Kos und Pergamon. Ein Asklepieion entsprach im<br />
Altertum dem heutigen Kurbad.<br />
49<br />
Odeon, [das, Mehrzahl Odeen; griechisch] Odeion, Odeum, antikes überdachtes Gebäude für musikalische<br />
Aufführungen, mit halbrundem Zuschauerraum. Heute ist Odeon Bezeichnung für Theater, Musikhallen oder<br />
auch Tanzhallen und Kinosäle.<br />
50<br />
Stylobat, oberste Stufe eines antiken Tempelunterbaues, auf der die Säulen stehen<br />
51<br />
Orchestra, Spielfläche<br />
52<br />
Cavea, Zuschauerraum eines römischen Theaters<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 125
Wir umrundeten das recht große Grabungsgelände und stellten fest, dass ehemals eine sehr<br />
große Kirche hier gestanden haben muss. Wieder konnte ich mich nur an einer griechisch-<br />
englisch beschrifteten Informationstafel kundig machen und ich erfahre:<br />
Dieses ausgegrabene Monument ist eine der größten frühchristlichen Basiliken auf <strong>Zypern</strong><br />
gewesen. Die erste Kirche wurde im 4. Jahrhundert n. Chr. gebaut. Sie war als Trapez angelegt,<br />
mit sieben Kuppeln und zwei Apsen in der zentralen Kuppel. Nach Westen hatte sie einen<br />
Narthex und ein Peristyl 53 - Atrium. Die innere Dekoration der ersten Basilika war sehr reich an<br />
Mosaik- Kompositionen, die weite Teile des Fußbodens überzogen. Sie waren geometrisch<br />
gemustert und zeigten symbolische christliche Szenen.<br />
Diese Basilika wurde im 6. Jh. zu einer Fünf- Kuppel- Kirche umgebaut und seine inneren<br />
Apsen weggenommen, der Mosaik- Fußboden des zentralen Schiffs wurde überbaut und die<br />
zwei nördlichen Kuppeln wurden mit neuen Mosaiks gepflastert.<br />
Während der arabischen Einfälle im 7. Jahrhundert wurde auch dieses Bauwerk zerstört.<br />
Eine neue byzantinische Kirche wurde in die Ruinen der Basilika hineingebaut. Nach deren<br />
Zerstörung im Jahre 1159 wurde auch diese im 16. Jahrhundert überbaut, von der jetzt<br />
sichtbaren kleinen Agía Kyriakí in Kreuzform.<br />
Es gibt im Norden der Chrysopolítissa noch eine kleine Kirche des Franziskaner- Klosters aus<br />
dem 13. oder 14. Jahrhundert. Sie wurde aber auch während eines Erdbebens im 16.<br />
Jahrhundert zerstört.<br />
Die jüngste Kirche steht also förmlich auf dem Mosaikfussboden der größeren älteren. Eine der<br />
beiden links zu sehenden weißen Säulen wird „Paulus-Säule“ genannt. Der Legende <strong>nach</strong> soll<br />
der Apostel Paulus auf seiner Missionsreise <strong>nach</strong> <strong>Zypern</strong> an sie gefesselt und gegeißelt worden<br />
sein. Die Apostelgeschichte berichtet weiter, dass Paulus (oder vorher Saulus) und Barnabas<br />
während dieser <strong>Reise</strong> gegen den Widerstand des Zauberers Bar- Jesus, den Paulus mit<br />
Blindheit geschlagen hatte, den römischen Statthalter Sergius Paulus zum Christentum<br />
bekehrten:<br />
Ich rufe den Geist aus der Apostelgeschichte 13, 6 - 12:<br />
…Als sie die ganze Insel bis <strong>nach</strong> Paphos durchzogen hatten, trafen sie einen Zauberer und<br />
falschen Propheten, einen Juden, der hieß Barjesus; der war bei dem Statthalter Sergius<br />
Paulus, einem verständigen Mann. Dieser rief Barnabas und Saulus zu sich und begehrte,<br />
das Wort Gottes zu hören. Da widerstand ihnen der Zauberer Elymas - denn so wird sein<br />
Name übersetzt - und versuchte, den Statthalter vom Glauben abzuhalten. Saulus aber, der<br />
auch Paulus heißt, voll heiligen Geistes, sah ihn an und sprach: Du Sohn des Teufels, voll<br />
aller List und aller Bosheit, du Feind aller Gerechtigkeit, hörst du nicht auf, krumm zu<br />
machen die geraden Wege des Herrn? Und nun siehe, die Hand des Herrn kommt über<br />
dich, und du sollst blind sein und die Sonne eine Zeitlang nicht sehen! Auf der Stelle fiel<br />
53<br />
Peristyl, [das; griechisch], von einem Säulenumgang umgebener Hof, Teil der griechisch-römischen Profanund<br />
Palastarchitektur.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 126
Dunkelheit und Finsternis auf ihn, und er ging umher und suchte jemanden, der ihn an der<br />
Hand führte. Als der Statthalter sah, was geschehen war, wurde er gläubig und verwunderte<br />
sich über die Lehre des Herrn…<br />
Immer wieder mischen sich Legende, religiöser Eifer und geschichtliche Tatsachen.<br />
Während Martina an der Paulus- Säule ausruhte, ging ich noch einmal um das Ruinenareal<br />
herum und staunte über die Abmessungen des ehemaligen Bauwerkes, die allein der Grundriss<br />
verriet. Ein englisches Ehepaar staunte ebenfalls, und so kamen wir schnell ins Gespräch über<br />
Woher und Wohin und den Gegenstand, den wir gerade bestaunten. In tausendsechshundert<br />
Jahren sind hier vier Kirchen übereinander errichtet worden. Die erste war die gewaltigste. Mit<br />
welchen Mitteln wir heute bauen und welchen Stellenwert die Religion heute noch hat, sieht<br />
man an der erhaltenen Kirche. Ein skizzenhafter Vergleich mag das verdeutlichen:<br />
Das rot eingezeichnete Bild ist der heutige Kirchenbau der<br />
Agía Kyriakí Chrysopolítissa, er passt gerade mal in ein<br />
Schiff der alten Basilika; das schwarze sind die Risse der<br />
ehemaligen Anlagen. Ein sehenswertes Relikt der Natur fand<br />
ich beim Stöbern. Die Reste einer alten knorrigen<br />
Baumwurzel waren erhalten, wie sie sich an die Eckmauer<br />
und die Kuppel des alten Kirchleins anschmiegt.<br />
Wie schade, dass<br />
ich nicht mehr<br />
Zeit aufwenden<br />
kann, das alles zu<br />
erkunden!<br />
Das Leben holte uns schnell ein. In einem kleinen<br />
Park neben dem Ruinenareal war ein sonntäglicher<br />
Basar eingerichtet, der sicher für die englischen<br />
Gottesdienstbesucher gedacht war, die im<br />
Anschluss an die Messe noch ein Schwätzchen,<br />
etwas für den Magen und zum Mitnehmen haben<br />
wollten. Dort kaufte Martina ein grünes Seidentuch<br />
bei einem englischen Ehepaar und hatte so ihr Erfolgserlebnis.<br />
Wir machten uns auf den Rückweg, bummelten hinunter zum Hafen und nahmen die Linie 15,<br />
um zurück ins Hotel zu fahren. Gegen 14 Uhr langten wir <strong>nach</strong> einer Dreiviertel Stunde Fahrt<br />
an, ruhten uns aus. Am Nachmittag nutzte ich dann auch die Annehmlichkeiten des<br />
Strandlebens, las in Prospekten und ging schwimmen.<br />
XXVII. Die Königsgräber im antiken Paphos<br />
Montag, 9. Oktober 2006<br />
E<br />
ndlich wieder ein Tag, an dem wir geführt werden, der letzte überhaupt, dann werden<br />
wir uns wieder uns selbst überlassen. Ein Mammutprogramm steht auf dem Zettel:<br />
Königsgräber, Archäologiepark, Neophytoskloster, Akámas- Halbinsel.<br />
Auf sich allein gestellt, selbst mit Mietauto, ist das nicht an einem Tag zu schaffen, nicht wenn<br />
man sich die gebührende Zeit an jedem Ort nehmen will. Dann wären das für mich vier<br />
Tagesausflüge. Das wird eben heutzutage zeitsparend an einem Tag von der <strong>Reise</strong>organisation<br />
zusammengequetscht. Gott sei Dank kannten wir schon den Archäologiepark und hatten ihn<br />
auf eigene Faust erkundet.<br />
Aber zuerst hielt der Bus <strong>nach</strong> kurzer Fahrt vor den Toren von Paphos. Das Gräberfeld ist eine<br />
Nekropole von riesigen Ausmaßen, etwa dem Archäologiepark in der Ausdehnung ebenbürtig.<br />
Früher mag das alles in Alt- Paphos zusammen gehört, eine Einheit gebildet haben.<br />
Im Schatten eines Johannisbrotbaumes erläuterte uns Antonio einiges zur Geschichte. Zuerst<br />
ist der Name „Königsgräber“ falsch. Hier wurden zwar hohe Würdenträger der Stadtstaaten<br />
beerdigt, auch solche, die sich König nannten, aber im Wesentlichen war das der Friedhof der<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 127
alten Stadt Paphos. Diesen antiken Friedhof, zusammen mit den Gebieten von Alt- und Neu-<br />
Paphos, nahm 1980 die UNESCO in ihre „World Cultural Heritage List“ auf.<br />
Wer könnte die Fakten der Historie besser zusammenfassen als eine zyprische<br />
Wissenschaftlerin? Ich darf Frau Maria Hadjisavva wörtlich zitieren, allerdings ins Deutsche<br />
übersetzt:<br />
„EINE EINFÜHRUNG IN DAS ANTIKE PAPHOS<br />
Gegen das Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. verlegte der König von Paphos, Nikakles, seine<br />
Hauptstadt von Alt- Paphos (Kouklia) <strong>nach</strong> Neu- Paphos (Katopaphos). Die Absicht, aktiver in<br />
die dramatischen politischen Ereignisse seiner Zeit einzugreifen, war ein Grund dafür, dass<br />
Nikokles Alt- Paphos verließ, das ein religiöses Zentrum war. Er behielt jedoch seinen Titel als<br />
Priester-König des Aphrodite-Kultes bei und verfügte weiterhin über die reichen Einkünfte des<br />
Heiligtums.<br />
Nach der Beseitigung der zyprischen Königreiche um 311 v. Chr. wurde die Insel zum<br />
Zankapfel zwischen Ptolemaios und Antigonos bzw. später dessen Sohn Demetrios Poliorketes.<br />
Obwohl Demetrios im Jahre 306 Ptolemaios besiegte, gewann Ptolemaios im Jahre 294 v.<br />
Chr. die Herrschaft über die Insel, indem er Demetrios' Abwesenheit in Griechenland<br />
ausnutzte.<br />
Hauptstadt von <strong>Zypern</strong> und Sitz eines Gouverneurs mit dem Titel Strategos (General) wurde<br />
Salamis. Nach kurzer Zeit jedoch wurde die Hauptstadt <strong>nach</strong> Neu- Paphos verlegt, das den<br />
Ptolemäern wegen seiner größeren Nähe zu Alexandria und wegen seiner Schiffsbauholz<br />
liefernden Wälder besonders wichtig schien. Mitbestimmend für diese Entscheidung war das<br />
Heiligtum der Aphrodite, das im politischen und wirtschaftlichen Leben der Insel eine wichtige<br />
Rolle spielte.<br />
Mit der Festigung der ptolemäischen Herrschaft begann eine Epoche wirtschaftlicher Blüte für<br />
<strong>Zypern</strong>. Neue Städte mit dem Namen Arsinoe wurden gegründet, neue, ägyptischen Göttern<br />
gewidmete Tempel erbaut. Die Ausbreitung der klassischen griechischen Kultur, die in <strong>Zypern</strong><br />
unter der Herrschaft Evagoras' von Salamis (411 - 394 v. Ch.) begonnen hatte, setzte sich fort<br />
unter der Wirkung der stärker internationalen hellenistischen Zivilisation.<br />
Während die Macht der kleinen Königreiche im östlichen Mittelmeer durch interne Konflikte<br />
unterhöhlt wurde, eroberten im Westen die römischen Legionen Karthago und überschritten<br />
199 v. Chr. die Grenze Makedoniens. Dieses Ereignis markierte das Ende einer Epoche, die<br />
Alexander mit der Ausbreitung griechischer Herrschaft und Kultur <strong>nach</strong> Osten eingeleitet<br />
hatte. Auseinandersetzungen um <strong>Zypern</strong> zwischen den Ptolemäern selbst führten zur<br />
Intervention Roms. Im Jahre 58 v. Chr. beging der letzte ptolemäische Herrscher <strong>Zypern</strong>s,<br />
"Ptolemaios König von <strong>Zypern</strong>", Selbstmord; die Insel wurde von den Römern besetzt.<br />
Der ptolemäische Strategos wurde von einem römischen Prokonsul abgelöst, dessen Residenz<br />
während der gesamten römischen Herrschaft Paphos blieb. Im Jahre 77 n. Chr. wurden die<br />
hellenistischen Städte <strong>Zypern</strong>s durch schwere Erdbeben zerstört. Die römischen Kaiser Trajan<br />
und Hadrian trugen wesentlich zum Neuaufbau der Städte und des Aphrodite - Heiligtums bei.<br />
Paphos war als Hauptstadt eine der volkreichsten Städte der Insel und besaß ausgedehnte<br />
öffentliche Bauten und Befestigungsanlagen. Die Ausgrabungen der letzten Jahre im Bereich<br />
der antiken Stadt geben eindrücklich Zeugnis vom Reichtum ihrer Bewohner in römischer Zeit.<br />
DIE GRÄBER DER KÖNIGE<br />
Die Gräberfelder von Paphos liegen direkt außerhalb der Mauern im Norden und Osten der<br />
Stadt. Den nördlichsten Teil dieser erstaunlich weitflächigen Nekropole bilden die so<br />
genannten Königsgräber.<br />
Das eindrucksvolle Gesamtbild der Gräber und der schwere dorische Stil ihrer Gebälke tragen<br />
viel zur Anziehungskraft dieser Monumente bei. Das Gräberfeld wurde in der hellenistischen<br />
und römischen Zeit (3 Jh. v. Chr. bis 3 Jh. n. Chr.) ohne Unterbrechung für Bestattungen<br />
genutzt und diente auch den frühen Christen als Zuflucht während der Verfolgung. Im<br />
Mittelalter wurden einige der größeren Gräber zeitweilig bewohnt, wobei die ursprüngliche<br />
Architektur verändert wurde.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 128
Luftaufnahme eines Teiles des Gräberfeldes, abfotografiert von einer Infotafel<br />
Im letzten Viertel des 19. Jh. wurden die "Königsgräber" von Cesnola und seinen Nachfolgern<br />
systematisch geplündert. Die deutschen Archäologen Ross und Dörpfeld sowie der britische<br />
Architekt Jeffery besuchten den Platz und beschrieben einige der zugänglichen Gräber. In den<br />
Jahren 1915-16 grub der Kurator des <strong>Zypern</strong>- Museums, Markiden, einige Schachtgräber aus.<br />
Im Jahre 1937 begann der Hon. Kurator des Paphos Museums, Loizos Philippou, die damals<br />
bekannten großen Gräber mit Peristyl- Hof freizulegen; er führte diese Arbeiten mit einigen<br />
Unterbrechungen bis 1951 fort. Zwar wurden auf diese Weise einige Grabkomplexe<br />
zugänglich, aber keine neuen Aufschlüsse für die Geschichte von Paphos gewonnen. Da eine<br />
wissenschaftliche Überwachung der Arbeit fehlte, gingen die durch eine systematische<br />
Grabung zu gewinnenden Befunde für immer verloren.<br />
40 Jahre später, im Jahre 1977, begann das Zyprische Department of Antiquities in Anbetracht<br />
der Bedeutung dieser Gräber als einziger unzerstörter architektonischer Denkmäler einer<br />
ganzen Epoche mit der systematischen Ausgrabung der Nekropole. Bisher wurden 13<br />
Grabungskampagnen durchgeführt; in dieser Zeit wurden drei große Grabkomplexe und<br />
zahlreiche kleinere Gräber untersucht.“<br />
Wieder kommt ein geschichtlicher Puzzle- Stein über die Stadtkönigreiche hinzu, und wir<br />
wissen wieder etwas mehr.<br />
Dann läuft Antonio vor uns her, ohne innezuhalten. Er hat<br />
vor, uns nur einige der bedeutendsten Grabanlagen zu zeigen.<br />
Um umfassend hier zu studieren, die Bestattungsriten, die<br />
verschiedenen Bauweisen der Gräber über die Jahrhunderte,<br />
kennen zu lernen, ginge ein Tag drauf. Allein schon der<br />
Nachnutzung im Mittelalter <strong>nach</strong>zuspüren, wo in den<br />
Gräberschächten Menschen wohnten oder sie als<br />
Zufluchtsorte nutzten, ist äußerst interessant.<br />
Überall sind in dem weichen Kalkstein Löcher und Höhlen<br />
gestemmt. Treppenstufen in schmalen Schächten führen in<br />
die dunkle Tiefe von fünf bis sechs Metern hinab. Bei dem<br />
grellen Sonnenlicht muten sie wie schwarze unheimliche<br />
Löcher an. Peristyl- Atrium- Grab<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 129
Nachdem wir das Büro des Kustoden, ein kleines Wärterhäuschen, passiert haben, sehen wir<br />
auf der linken Seite der asphaltierten Straße das erste zugängliche Grab. Ein Teil der Anlage<br />
ist oberirdisch und kann durch einen rechteckigen, türähnlichen Eingang betreten werden.<br />
Wir steigen in einen engen, so genannten Dromos 54 , den Zugang zu den Grabkammern. Es<br />
handelt sich um ein Felskammergrab mit zwei kleinen, für Kinderbegräbnisse reservierten<br />
Loculi 55 und fünf Loculi für Erwachsene. Die Innenwand der Grabkammer war<br />
ursprünglich verputzt und bemalt. Reste des Wandstucks sind am Rande der meisten Loculi<br />
sichtbar. Das Grab wurde vor langer Zeit ausgeraubt. Es stammt wahrscheinlich aus der<br />
hellenistischen Periode (325 – 58 v. u. Z.).<br />
Die 12 Säulen gehorchen der dorischen Ordnung, die in den<br />
dorischen und westlichen Gebieten Griechenlands seit dem<br />
7. Jh. v. Chr. entwickelt wurde. Kennzeichnend sind die<br />
gedrungene Säule ohne Basis und das schlichte Kapitell aus<br />
Polster und Platte.<br />
Die Schäfte sind leicht kanneliert<br />
und ebenso leicht konisch <strong>nach</strong><br />
oben verjüngt. Die Säulen bilden<br />
ein Atrium, einen Hof. Nach<br />
zwei Seiten führen Kammern tief<br />
in den Fels hinein, mit weiteren<br />
Verzweigungen, den Lokuli, den Einzelgräbern.<br />
Von der Felsfläche blicken wir hinab in die Peristyl-Höfe<br />
zweier großer Gräber. Der Zugang zum ersten, im Südteil<br />
dieses Bereichs liegenden Grab führt über eine gedeckte<br />
Treppe mit 12 Stufen.<br />
In die rechte Seitenwand der Treppe ist eine Grabnische eingetieft. Die Treppe führt zur Nordwest-<br />
Ecke eines quadratischen Peristyl-Hofes. Beim Eintritt sehen wir links das wohlerhaltene dorische<br />
Gebälk mit seinen Triglyphen 56 und Metopen 57 . Auf der Westseite des Peristyls liegt der Zugang zur<br />
in den Felsen gehauenen Grabkammer, die über eine Vielzahl von Loculi verfügt. Alle gähnen leer.<br />
Gegenüber dieser Grabkammer liegt eine andere<br />
rechteckige Kammer mit einem dekorierten<br />
Eingang; sie diente höchstwahrscheinlich zu<br />
rituellen Zwecken. Der östliche und südliche<br />
Portikus 58 sind zerstört; Trümmer bedecken immer<br />
noch den Südteil des Hofes.<br />
Die freigelegte Fläche zwischen den beiden<br />
großen Grabanlagen mit Peristyl-Hof ist ein<br />
reines Schachtgräber- Feld. Ganze Gruppen von<br />
Gräbern sind durch Mauern getrennt, die jeweils<br />
eine Familienbegräbnisstätte einfassten. Fünf<br />
der insgesamt 20 Gräber dienten als<br />
Kindergräber.<br />
Zweites Grab mit Peristyl- Atrium<br />
54<br />
Dromos, [der; griechisch, „Lauf“], Bezeichnung für einen sportlichen Laufwettbewerb im antiken<br />
Griechenland; unterschieden wurden: Kurzstreckenlauf (Stadionlauf), Doppelstadionlauf (Diaulos) und<br />
Landstreckenlauf (Dolichos). Hier in der Nekropole bezeichnet man damit eine ebene, schräg abfallende oder<br />
mit Stufen versehene Passage, die den Eingang zu einer unterirdischen Kammer bildet.<br />
55<br />
Loculus: rechteckige Vertiefung im Felsen, die für ein Einzelbegräbnis bestimmt ist. Mehrzahl: Loculi<br />
56<br />
Triglyphen, Elemente, die die Metopen eines dorischen Frieses voneinander trennt, durch drei Lisenen<br />
gegliedert<br />
57<br />
Metope, [die; griechisch], rechteckige Platte zwischen den Triglyphen am Fries des dorischen Tempels; oft<br />
bemalt oder mit Reliefs verziert.<br />
58<br />
Portikus, [der; lateinisch], <strong>nach</strong> einer Seite offene Säulenhalle, oft zur Begrenzung von Märkten und Plätzen,<br />
aber auch als selbständiger Bau errichtet, in unserem Falle offen zum Atrium- Hof.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 130
Nach dem Grabungsbefund gehören die meisten dieser Gräber in die hellenistische Periode (3.<br />
bis 1. Jh. v. Chr.) Der Gesamtbereich ist von einem Drainagesystem durchzogen, das<br />
wahrscheinlich in einer späteren Epoche angelegt wurde, als dieser Platz zum Wohnbereich<br />
gehörte.<br />
Der Weg zurück führt über eine etwas höher gelegene, nicht asphaltierte Straße zu dem<br />
asphaltierten Platz. Etwa 50 Meter vor diesem Platz treffen wir auf ein anderes großes, kürzlich<br />
ausgegrabenes Grab. Die Architektur dieses Grabes ist bislang einzigartig und zeigt keine<br />
Beziehungen zu den normalen Gräbern mit Peristyl-Atrien. An Stelle eines Atriums im Zentrum des<br />
Grabes findet sich hier ein offener rechteckiger Hof, in dessen Mitte ein rechteckiger Block steht.<br />
Der eindrucksvolle Dromos, auf der Westseite<br />
des Grabes gelegen, besteht aus 13 Stufen und<br />
verläuft parallel zum Westflügel des Hofes. Er<br />
endet in einem bogenähnlichen Torweg, der im<br />
rechten Winkel umbiegt und die Verbindung<br />
mit dem Westflügel de Hofes herstellt. Der<br />
östliche und südliche Flügel des Hofes wurde<br />
vollständig ausgegraben, während die beiden<br />
anderen Flügel nur teilweise untersucht sind.<br />
Hinter dem Ostflügel des Atriums liegt eine<br />
große Grabkammer, die fünf Loculi, ein<br />
Schachtgrab und eine Nische für Gebeine<br />
aufweist.<br />
Von den achtzehn bisher ausgegrabenen Bestattungen waren nur drei aus der frühhellenistischen<br />
Zeit ungestört. Sie waren in den Boden des Atriums eingelassen und mit einem Haufen verstürzter<br />
Architekturtrümmer überdeckt, der eine Plünderung dieser Gräber verhinderte. Die Beigaben in<br />
zweien dieser Gräber waren identisch: je zwei rhodische Amphoren, ein Unguentarium 59 und ein<br />
goldener Myrtenkranz.<br />
Ein weiteres Grab mit Peristyl-Hof ist die<br />
besterhaltene Anlage dieses Typus. Die<br />
Triglyphen und Metopen seines dorischen<br />
Gebälks sind klar modelliert und alle vier Portiken<br />
sind erhalten. Im Gegensatz zu den sonst überall<br />
verwendeten Säulen ist hier der West- Portikus<br />
von quadratischen Pfeilern getragen. Den Zugang<br />
bildet eine 13-stufige Treppe, die ursprünglich<br />
zum Teil mit Steinplatten überdeckt war und in<br />
einem Winkel von 90° verläuft. Sie führt in den<br />
West- Portikus. Gegenüber dem Eingang liegt<br />
Peristyl- Hof mit quadratischen Pfeilern hinter dem Ost- Portikus die Grabkammer mit<br />
einer Anzahl Loculi für Einzelbegräbnisse. Einige Schachtgräber wurden unter den Portiken<br />
eingetieft. Der übliche Brunnen wurde unter dem Süd- Portikus, nahe dem Eingang zum Peristyl-<br />
Hof angelegt…<br />
Puh, das war ein Lehrgang in griechischer Architektur. Die Fakten entnahm, ich dem lehrreichen<br />
Führer, den ich mir für 1 zyprisches Pfund kaufte. Bald saßen wir alle wieder im Bus. Das<br />
Ganze dauerte nicht einmal eine Stunde.<br />
Das nächste Ziel, den Archäologie-Park in Kato Paphos, im Zusammenhang mit der<br />
Führung durch Antonio zu beschreiben, spare ich mir, da Martina und ich am Tage zuvor auf<br />
eigene Faust das Mehrfache und intensiver gesehen haben, als wir nun im Schnelldurchlauf<br />
auf japanische Art gezeigt bekamen. Einziger Vorteil heute war, dass ich in Ruhe ergänzende<br />
Fotos machen konnte. Die Häuser Aios, Dionysos und die offenen Mauern des Theseus, das<br />
war alles, was die <strong>Reise</strong>leitung zum Sehen anbot. Im Vergleich zu dem, was man alles an<br />
archäologischen Stätten in Kato Paphos anschauen kann, eine Führung für Kulturbanausen.<br />
59<br />
Unguentum, [das; lateinisch], die Salbe; z. B. Unguentum leniens, Kühlsalbe,<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 131
XXVIII. Neophytos- Kloster<br />
Wir hatten nun eine Weile Muße, um während der Busfahrt aus dem Fenster die<br />
westzyprische Landschaft anzuschauen. Mit fiel die ungeheure Bautätigkeit auf.<br />
Neue Häuser schießen förmlich wie Pilze aus dem Boden. Seit einigen Jahren<br />
boomt der Tourismus. Auch scheint sich hier immer mehr ausländisches Kapital anzusiedeln.<br />
Die Häuser wachsen stetig und überwiegend die Hänge hinauf. Ich frage mich, wo die<br />
Besitzer das Wasser hernehmen. Neben der kargen Flora im nahen Bereich der Küste gibt es<br />
auch nur niederes Getier, unter anderem Schlangen. Antonio erzählte von seinem klugen<br />
Großvater, der sich auf seinem Hof eine schwarze, ungiftige Schlange zähmte, die ihrerseits<br />
die giftigen aus ihrem Revier hielt und wie ein Haushund Mäuse und Ratten fraß.<br />
Eidechsen habe ich selbst viele gesehen, wie<br />
sie sich in der Sonne wohl fühlten. Andere<br />
Wildtiere bekam ich während meines<br />
Aufenthaltes aber nicht zu Gesicht, von<br />
einigen Greifvögeln abgesehen, die hoch in<br />
den Lüften segelten.<br />
Die Fahrt <strong>nach</strong> Neophytos ist nicht weit. Es<br />
liegt gerade mal 12 km nordöstlich von Kato<br />
Paphos entfernt. Dennoch liegt es schon etwa<br />
412 Meter hoch in einem tiefen Tal. Das<br />
idyllisch gelegene Kloster ist von hohen<br />
Bergen umgeben. Die Luft ist frisch und rein.<br />
Auf dem Wege zum Kloster Neophytus<br />
Nach dem Aussteigen zog ein Trinkwasserhahn unsere Leute an, einen Schluck zu nehmen.<br />
Der erste Eindruck vom Kloster: Saubere wie neu anmutende Gebäude, Kontrast von Licht und<br />
Schatten, göttliche Ruhe im schattigen Klosterhof. Wir versammelten uns vor der Felswand, in<br />
die vor vielen hundert Jahren der anfängliche Kern des Klosters, die Engkleistra 61 des Heiligen<br />
Neophytos eingehauen wurde. Die Mittagssonne hüllte die Bergwand in gleißendes Licht.<br />
Vor die natürliche Felsenhöhle, die frühere Mönche erst<br />
zu einer Einsiedelei, später zu einer Höhlenkirche<br />
ausgebaut hatten, wurde in neuerer Zeit eine Wand<br />
geblendet. Sie schützt diesen alten Teil des Klosters vor<br />
dem Abrutschen des Felsmassivs, das sich schon durch<br />
unangenehme Risse bemerkbar gemacht hat. Das<br />
Bauwerk ruht auf einer Tonschicht und ist extrem<br />
absturzgefährdet. Stützwände und Betonschlitzwände<br />
sichern die Grottenkirche. Die Vorwand ermöglicht den<br />
bequemen Aufstieg und sie bildet mit aufgesetzten fünf<br />
Bögen eine schattige und bei schlechtem Wetter<br />
schützende Arkade, von deren Ebene aus man in die<br />
Höhlenkirche gelangt. Eine kleine Brücke führt über<br />
einen Bach, der jetzt nur ein Rinnsal darstellt, aber <strong>nach</strong><br />
einem regenreichen Winter oder der Schneeschmelze<br />
alle Beachtung verdient. Wir dürfen aufsteigen. Oben<br />
sitzt ein alter Wärter an einem kleinen Tisch. Auf einem<br />
Neophytus- Kloster, Engkleistra anderen kleinen Tisch liegt Marianna, eine Hauskatze<br />
und schläft. Einige von uns stürzen sich gleich auf sie: „Wie<br />
süüüß!“ Einige Naturfreunde halten sie zurück, die empfindsamen<br />
Gefühllosen, die nur ihr eigenes Gefühl befriedigen.<br />
Mit der strengen Auflage, nicht zu fotografieren, dringen wir in die<br />
niedrige und enge Höhle ein. Wir stehen plötzlich in einer Kirche.<br />
61<br />
Engkleistra heißt so viel wie Einsiedelei, Höhle eines Eremiten<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 132
Oder ist es eher eine bemalte Höhle? Wand und Decke gehen ineinander über. Die Wände<br />
haben keine Ecken, ein seltsames Raumerlebnis. Die Fresken sind so alt, dass sich sofort<br />
Respekt einstellt. Das christliche Bildprogramm entstammt der byzantinischen Ostkirche. Die<br />
Heiligen sind zahllos. Jesus ist die Zentralfigur, seine Apostel sind dargestellt, Szenen aus dem<br />
Leben Jesu. Bemerkenswert ist eine Ikone mit dem Abbild des Heiligen Neophytos, des<br />
Mönches, der diese Einsiedelei begründet hat.<br />
Wieder muss ich, um nicht dumm zu sterben und einige Fakten zu nennen, ein wenig aus dem<br />
Prospekt wiedergeben. Die Geschichte des Neophytos ist eng verbunden mit der <strong>Zypern</strong>s. Wir<br />
werden Parallelen wiederfinden. Lesen wir in dem Heftchen, verfasst vom ehemaligen Direktor<br />
des Archäologischen Dienstes:<br />
DER HEILIGE NEOPHYTOS UND SEINE ZELLE<br />
Der Gründer des Klosters, der Heilige Neophytos, wurde im Jahre 1134 als Sohn einer<br />
armen, kinderreichen Familie in Lefkara geboren, wie er selbst in seinem Typikon schreibt.<br />
Schon im frühen Kindesalter zeichnete er sich durch seinen Glauben an Gott und seine<br />
Vorliebe für die Zurückgezogenheit aus. Der Heilige Neophytos verließ deshalb, als seine<br />
Eltern ihn im Alter von 18 Jahren verlobten (in dieser Zeit war die Hochzeit Sache der Eltern,<br />
die die künftigen Eheleute nicht <strong>nach</strong> ihrer Meinung fragten) seinen Geburtsort und begab<br />
sich heimlich zum Kloster Ayios Ioannis Chrysostomos, Koutsoventi, um Mönch zu werden.<br />
Da er ungebildet war, wurde ihm vom Igoumen 62 des Klosters, Maximos, die Pflege der<br />
Weinberge des Klosters anvertraut, die sich nordöstlich des Klosters im Gebiet "Stoupais"<br />
befanden.<br />
Fünf Jahre lang beschäftigte sich der junge Mann mit<br />
dem Weinanbau. Von Natur aus wissbegierig und<br />
willensstark, lernte er in diesem Zeitraum die ersten<br />
Buchstaben und lernte das Psalmbuch auswendig. Da<br />
holte ihn der Igoumen zurück ins Kloster und ernannte<br />
ihn zum stellvertretenden Kirchenleiter. Damit<br />
beschäftigte er sich zwei Jahre lang. Die fünf Jahre<br />
jedoch, die er im Gebiet Stoupais verbracht hatte,<br />
bestärkten ihn in seinem natürlichen Wunsch <strong>nach</strong><br />
einem asketischen Leben. Deshalb bat er den damaligen<br />
Igoumen des Klosters um die Erlaubnis, Eremit zu<br />
werden. Da er jedoch noch sehr jung war, erlaubte ihm<br />
der Igoumen nicht, das Kloster zu verlassen und in einer<br />
der oberhalb des Klosters gelegenen Höhle zu leben.<br />
Da erbat sich der Heilige die Erlaubnis, <strong>nach</strong> Jerusalem zu gehen, um dort im Heiligen Land<br />
zu beten, den Christus mit seinem Leben, der Kreuzigung und seiner Auferstehung gesegnet<br />
hat. Er hoffte, auf seiner <strong>Reise</strong> ins Heilige Land einen alten Eremiten zu treffen, der ihn mit<br />
dem asketischen Leben vertraut machen würde. Er wanderte sechs Monate lang im ganzen<br />
Heiligen Land, das zu dieser Zeit von den Arabern und Kreuzrittern besetzt war, und<br />
versuchte sein Ziel zu erreichen, jedoch erfolglos.<br />
So kehrte er <strong>nach</strong> <strong>Zypern</strong> zurück und begab sich wieder zum Kloster Ayios Ioannis<br />
Chrysostomos, Koutsoventi. Er versuchte erneut erfolglos, den Igoumen davon zu<br />
überzeugen, ihm zu erlauben, ein asketisches Leben zu führen. Die Weigerung des Igoumen,<br />
seinem starken Wunsch <strong>nach</strong> einem asketischen Leben <strong>nach</strong>zukommen, veranlasste den<br />
Heiligen Neophytos, das Kloster Ayios Ioannis Chrysostomou zu verlassen, um sich zum<br />
heiligen Berg Latros in Kleinasien zu begeben, wo es ein großes Klosterzentrum gab, in dem<br />
auch später, im Jahre 1289 ein anderer Zypriot, der Patriarch von Konstantinopel, Gregorios<br />
II., der Zypriot (1283-1289), Zuflucht fand. Deshalb begab er sich in der Hoffnung, ein Schiff<br />
zu finden, das ihn dorthin bringen würde, <strong>nach</strong> Pafos.<br />
62<br />
Igoumen, Hegumenos, [griechisch] neugriechisch Igumenos, Kloster-Oberer in den orthodoxen Kirchen.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 133
Am Hafen von Pafos jedoch wurde er als<br />
Flüchtling festgenommen und eingesperrt, und<br />
die Wächter stahlen ihm die beiden Münzen, mit<br />
denen er die Überfahrt bezahlen wollte. Als er<br />
auf die Initiative frommer Leute hin am nächsten<br />
Tag freigelassen wurde, wie er selbst schreibt,<br />
hatte er kein Geld mehr für die Fahrt und war<br />
gezwungen, im Inland einen Ort für Eremiten zu<br />
finden. So kam er zu dem Hang und seiner<br />
kleinen Naturhöhle, die er in seine Engkleistra<br />
umwandelte.<br />
Das geschah im Jahre 1159. Drei Monate lang (vom 24. Juni, Feiertag der Geburt des<br />
Heiligen Johannes der Täufer, bis September) untersuchte er den Ort, um festzustellen, ob er<br />
ruhig und abgelegen sei. Dann begann er die kleine Naturhöhle zu bearbeiten, indem er die<br />
lockeren Felsen abtrug und sie ein ganzes Jahr lang, bis zum Feiertag des Heiligen Kreuzes<br />
14. September, vergrößerte. So schuf er die Kirche seiner Engkleistra und eine Zelle, in die er<br />
auch sein Grab meißelte.<br />
Die Kirche der Engkleistra widmete er<br />
dem Heiligen Kreuz. Nach fünf Jahren<br />
Suchens fand er ein Stück des Heiligen<br />
Kreuzes, das er in einer kreuzförmigen<br />
Nische eines Holzkreuzes befestigte, das<br />
bis heute erhalten ist. Das Stück vom<br />
Heiligen Kreuz jedoch ist verschwunden.<br />
Anfänglich wurde das Holzkreuz in einer<br />
kreuzförmigen Nische an der Ostwand der<br />
Engkleistra befestigt. Die Wand hatte<br />
Ayios Neophytos gebaut, um die Höhle zu<br />
schließen. Zu dieser Zeit wurde, den<br />
Berichten des Heiligen zufolge, der<br />
Bischofsthron in Pafos frei.<br />
Im siebten Jahr des Aufenthaltes des Heiligen in der Höhle wurde Basilios Kinnamos zum<br />
Bischof von Pafos geweiht. Der Bischof von Pafos begegnete dem Heiligen Neophytos mit<br />
Wohlwollen und vier Jahre lang bedrängte er ihn, sich zum Priester weihen zu lassen. Im<br />
Jahre 1170 erhielt der Heilige vom Bischof von Pafos, Basilios Kinnamos, die Priesterweihe<br />
und nahm auf dessen Drängen hin, einen Schüler auf, dem er auch die notwendige Kost gab.<br />
Seitdem wurde die Engkleistra ausgebaut und verschönert. In den<br />
gesamten Berghang wurden Zellen eingehauen. Obwohl der<br />
Heilige anfänglich eine begrenzte Anzahl von Mönchen<br />
aufnehmen wollte, legte er später, in seinem zweiten Typikon, das<br />
er im Jahre 1214 schrieb, deren Zahl auf 15 bis 18 fest. Der<br />
Ruhm des Heiligen begann sich überall auszubreiten und die<br />
Zahl der Besucher der Engkleistra stieg bedeutsam an. Die<br />
Besucher störten, wie zu erwarten war, den Heiligen. Um der<br />
Störung der Besucher zu entgehen, war der Heilige im Jahre<br />
1197 gezwungen, hoch über der Engkleistra eine andere Zelle<br />
auszusparen, " Neu Zion", wie er sie nannte, in der er vor der<br />
Störung der Besucher Zuflucht suchte.<br />
Um jedoch die Gottesdienste zu verfolgen und an der Eucharistie teilnehmen zu können, hub<br />
er über der Engkleistra eine kleine Zelle, "das Heiligtum", aus, die er durch eine rechteckige<br />
Öffnung mit der Engkleistra verband .Nördlich von "Neu Zion" und weiter oben schuf er eine<br />
weitere Zelle, die des Heiligen Johannes der Täufer.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 134
Inzwischen hatten sich in <strong>Zypern</strong> dramatische Ereignisse abgespielt, die <strong>Zypern</strong> von Byzanz<br />
trennten und der Kirche und dem Volk <strong>Zypern</strong>s Unglück brachten. Im Jahre 1184 erklärte<br />
sich Isaak Komninos zum Herrscher über <strong>Zypern</strong> und in den sieben Jahren Unterdrückung<br />
brachte er <strong>Zypern</strong> viel Unheil. Im Jahre 1191 wurde <strong>Zypern</strong> von Richard Löwenherz, dem<br />
König von England, eingenommen, der es ausraubte und dann an die Templer verkaufte und<br />
ein Jahr darauf, <strong>nach</strong> Volksaufständen, die blutig niedergeschlagen wurden, an den<br />
entthronten König von Jerusalem, Guy de Lusignan, welcher das Fränkische Königreich in<br />
<strong>Zypern</strong> begründete. Das Land wurde den rechtmäßigen Besitzern weggenommen und die<br />
Zyprioten verrichteten Sklavenarbeit. Die traurige Lage <strong>Zypern</strong>s beschreibt der Heilige<br />
eindrucksvoll in einem Brief, bekannt unter dem Titel „Über die Unmenschlichkeit im Lande<br />
<strong>Zypern</strong>", den er 1196 verfasste.<br />
Die Armut und das Unglück des Volkes<br />
veranlassten viele, in den Klöstern, darunter<br />
auch der Engkleistra, Herberge zu suchen. Nur<br />
zögernd ließ sich der Heilige von den Mönchen<br />
überzeugen, Land, Weingebiete und ein paar<br />
Tiere zu erwerben, um all denjenigen, die im<br />
Kloster Zuflucht gefunden hatten, Nahrung<br />
Deisis. Fürbitte und der Heilige Neophytos.<br />
Wandmalerei in der Zelle des Heiligen, 1183<br />
bieten zu können.<br />
Es ist nicht bekannt, wann der Heilige Neophytos<br />
verstarb. Im Jahre 1214 diktierte er sein Typikon<br />
dem Sekretär des Bistums Pafos, Basilios. Das<br />
handschriftliche Dokument, das sich heute in der<br />
Universitätsbibliothek von Edinburg befindet, ist<br />
eigenhändig vom Heiligen korrigiert worden. Er<br />
ist demzufolge <strong>nach</strong> 1214 verstorben, <strong>nach</strong>dem<br />
er seinen Neffen, Jesaja, der Verwalter der<br />
Engkleistra war, zu seinem Nachfolger bestimmt<br />
hatte. Es ist allgemein bekannt, dass der Heilige<br />
seinem Wunsch gemäß in einem Holzsarg aus<br />
Fichten-, Zedern- und Zypressenholz, den er<br />
selbst zu Lebzeiten gefertigt hatte, bestattet<br />
wurde. Sein Nachfolger, Jesaja, schloss, seinen<br />
Anweisungen gemäß, das Loch, das zur<br />
Aufnahme des Sarges in das Grab geschaffen<br />
wurde, mit einer Wand, die er mit<br />
Wandmalereien versah, damit sie nicht auffiel.<br />
Das führte dazu, dass der genaue Bestattungsort des Heiligen im Laufe der Jahre in<br />
Vergessenheit geriet, und der russische Mönch Vasili Barsky im Jahre 1735 schreibt, dass die<br />
Eucharistie auf dem Grab des Heiligen stattfand.<br />
Der Heilige Neophytos hinterließ zahlreiche Schriftstücke. Obwohl er erst <strong>nach</strong> seinem 18.<br />
Lebensjahr schreiben lernte, ist er möglicherweise der Schriftsteller der mittelbyzantinischen<br />
Epoche mit den meisten Schriften. Außer Predigten verfasste er auch Interpretationen der<br />
Heiligen Schrift und andere, die wichtige Informationen über die Heiligen und die Geschichte<br />
<strong>Zypern</strong>s enthalten. Diese Schriften des Heiligen begann sein Kloster zu veröffentlichen. Es<br />
sind bereits drei umfangreiche Bände erschienen.<br />
Die Engkleistra im Jahre 1214<br />
Der Heilige Neophytos liefert uns im zweiten Typikon, das er 55 <strong>nach</strong> seiner Niederlassung<br />
in der Engkleistra, d.h. im Jahre 1214 (1159+55), schrieb, eine detaillierte Beschreibung der<br />
Engkleistra.<br />
Die Beschreibung ist im 20.Kapitel seines Typikon festgehalten.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 135<br />
" Über hinaus der<br />
Höhlenkirche haben wir ein Tor geschaffen,.... da<strong>nach</strong> eine Küche, ein Lager mit seinem<br />
Obergeschoß für die Lagerung von Waren, verschiedene Zellen und zwei weitere im Garten.
Auf gleiche Weise werden die unteren Zellen am Brunnen als Ställe und Scheunen genutzt,<br />
während die unteren Zellen als Wohnräume genutzt wurden.<br />
Da<strong>nach</strong> der Verwaltungsraum und darüber der fünfbögige Sonnenraum. Und in diesen<br />
Räumen befindet sich der Refektorium, der in den Hang gehauen wurde.<br />
Da<strong>nach</strong> kommt der Narthex mit dem Geräteraum, und über diesem das Heiligtum, wo ich und<br />
die heiligen Zuhörer mit Hymnen und Gesang an den heiligen Sakramenten teilnehmen .Und<br />
wiederum über dem Heiligtum ist die jüngere Engkleistra „Nea Zion“, das vollständige Werk<br />
der heiligen Vorsehung, und eine weitere Zelle, die <strong>nach</strong> dem Prodromos benannt wurde, in<br />
den Hang gehauen. Da<strong>nach</strong> wiederum der größte Bau am Bach, der mit vielen Bögen gebaut<br />
wurde."<br />
Nur einige der Bauten, die der Heilige erwähnt, sind<br />
erhalten geblieben. Heute gibt es die Kirche und die<br />
Altarstätte und die Zelle des Heiligen mit seinem Grab, den<br />
Narthex mit der Sakristei und das Heiligtum und das<br />
Refektorium des Klosters. Der fünfbögige Sonnenraum, der<br />
wahrscheinlich bis 1735 erhalten blieb, als Vasili Barsky<br />
das Kloster besuchte und sorgfältig zeichnete, ist später<br />
verschwunden und durch eine hölzernen Konstruktion, die<br />
auch bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts zerstört war,<br />
ersetzt worden.<br />
Im Jahre 1963 wurde zur Abstützung des Felsens, in den<br />
die Engkleistra eingehauen ist, ein neuer fünfräumiger Ort<br />
geschaffen, zu dem die Höhlenkirche und der Narthex mit<br />
der Sakristei, die sich darüber befindet, und das<br />
Refektorium zählten. Das "Heiligtum" und ein großer Teil<br />
von "Neu Zion" und der Zelle des Prodromos sind bis heute<br />
erhalten.<br />
Die Engkleistra, d.h. die Heilige- Kreuz- Kirche und die Zelle<br />
des Heiligen Neophytos wurden im Jahre 1183 mit Fresken<br />
versehen, wie der Heilige Neophytos in seiner Typikon<br />
ausdrücklich bemerkt. Diese Ausschmückung wird auch<br />
durch die teilweise zerstörte Inschrift in der Zelle des<br />
Heiligen <strong>nach</strong>gewiesen. Die Hauptkirche jedoch, nicht die<br />
Altarstätte, wurde aus unbekannten Gründen erneut mit<br />
Der heilige Neophytos<br />
Fresken versehen, die bis heute erhalten sind.<br />
Ikone, um 1500<br />
Diese zweite Ausschmückung erfolgte <strong>nach</strong> 1214, denn der Heilige erwähnt in seinem Typikon<br />
nur eine Ausschmückung - die von 1183.<br />
Wir durften drei Räume begehen. Der niedrigste Raum in<br />
der Mitte wurde als Altar genutzt. An die Decke ist ein<br />
ikonisches Bild von Christus gemalt. Ich versuchte es von<br />
unten abzubilden, leider nur als Ausschnitt. Alles musste<br />
schnell und heimlich geschehen. Die Zelle des Einsiedler-<br />
Mönches ist spartanisch. Überall Fresken, wertvoll, weil<br />
gut erhalten und für andere künstlerische Vergleiche 800<br />
Jahre, sehr alt.<br />
Wir gingen durch einen Torbogen hinüber ins das neue Kloster und zuerst in die Hauptkirche.<br />
Diese existiert etwa vom Anfang des 16. Jahrhunderts. Es ist eine Basilika mit Kuppeln, die<br />
voll mit Fresken ausgeschmückt war, von denen heute nur ein kleiner Teil erhalten ist. Diese<br />
stammen aus dem Jahre 1544. Wir durften uns umschauen. Das Programm der Ausmalung<br />
dient der Anbetung der Gottesmutter und vieler Heiligen. Eine von Gold strotzende<br />
Ikonostase ist hervorzuheben, eine fabelhafte Schnitzarbeit aus Holz. Sie ist zum kleinen Teil<br />
erneuert, der andere mit wunderbaren Ikonen stammt aus 1544.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 136
Ich betrachtete die schönen korinthischen Kapitelle,<br />
Messgerät, einen Ambo mit Gold, Rot und Blau<br />
bedeckt, oben ein in Silber gefasster Kopf des<br />
Heiligen Neophytos. Eine schöne Kirche.<br />
Wir durften noch in das kleine Museum, in dem<br />
neben den wertvollsten Ikonen auch Krüge, Vasen<br />
und kirchlicher Zierrat gezeigt wurde.<br />
Ich hatte über dem Fotografieren die Gruppe<br />
verloren. Der Klosterhof, seine Ruhe, sein Grün<br />
zogen mich magisch an. Ich konnte mich nicht<br />
trennen. Doch bald gab es einen Gefühlswechsel.<br />
Unsere Truppe drängte sich im Klosterladen, der<br />
weit in <strong>Zypern</strong> für seine süßen Erzeugnisse bekannt<br />
ist. Thymian- Honig, Gelees, Konfitüren gab es,<br />
aber auch allerlei Produkte aus eigen gezogenen<br />
Nüssen, Mandeln, Feigen und natürlich Zucker,<br />
aber auch aus Erdnüssen, Kokosraspeln, Datteln<br />
und anderen Früchten. Wir verließen den Laden mit<br />
Honig und einigen Süßigkeiten.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 137<br />
Kloster Neophytos, Hauptkirche<br />
XXIX. Akámas- Halbinsel<br />
S<br />
tart zur Weiterfahrt 13.10 Uhr. Wir waren schon etwas hungrig. Offen ist nun noch der<br />
Abstecher zur Akámas- Halbinsel, zum Bad der Aphrodite. Der Bus begab sich auf<br />
den Weg <strong>nach</strong> Norden, etwa 35 km nur war die Fahrt – <strong>Zypern</strong> ist verhältnismäßig<br />
klein. Unterwegs Landschaft mit Obstplantagen, aber auch Eichen, Zypressen,<br />
Mandelbäumen zogen vorüber. Von Antonio lernten wir, dass die weiß blühenden<br />
Mandelbäume süße Mandeln abwerfen, die rosa blühenden aber die bitteren.<br />
Unverhofft und überrascht hielt der Meister, ließ<br />
uns aussteigen und führte uns neben dem grünen<br />
Dickicht einer Apfelsinenplantage an einen<br />
primitiven Stand, auf dem ein intelligent<br />
aussehender Kaufmann, vielleicht der<br />
Plantagenbesitzer (sicher auf Vorbestellung) für<br />
jeden einen Plastiksack mit saftigen Orangen<br />
bereithielt, die kostenlos an uns ausgegeben<br />
wurden. Wir verschmausten gleich einige dieser<br />
Früchte, ungespritzt, außen todsicher ökologisch<br />
einwandfrei.<br />
Allerdings waren die Gifte bereits den Pflanzen während des Wachsens zugesetzt worden.<br />
Darauf möchte ich ebenfalls mein Leben verwetten. Vor Pestiziden und Herbiziden ist man<br />
bei Obst und Gemüse nicht mehr sicher. Entweder der Körper freundet sich mit diesen<br />
Insekten- und Pilzwaffen an oder man isst kein Obst und Gemüse mehr. Hoch leben die<br />
Vegetarier! Aber wovon?<br />
Wir durften die Plantage betreten. Ich gestehe, dass ich erstmals<br />
meinen Fuß in einen Orangenhain setzte. Der Boden war übersät mit<br />
verdorrten Schalen. Sie verrotten schlecht, wenn sechs Monate das<br />
Wasser fehlt. Kindskopfgroße Früchte dieser Mischsorte zwischen<br />
Pampelmusen und Orangen wuchsen hier neben den Orangen, aber<br />
alle noch grün. Unsere abgepackten Früchte kamen vielleicht doch<br />
vom nächsten Supermarkt und waren schon gespritzt?<br />
An einem Wasserhahn mit einem dünnen Faden als Ausfluss wuschen<br />
wir die klebrigen Hände und stiegen wieder ein.
Einigermaßen gestärkt, aber dennoch hungrig, setzten wir die Fahrt fort und kamen <strong>nach</strong><br />
kurzer Zeit in dem Städtchen Polis an, dem einzigen größeren Ort am Golf von Chrysochous.<br />
Polis ist heute Badeort und war in der Vergangenheit Sitz des antiken Stadtkönigtums<br />
Marion, dessen Ruinen noch zu sehen sind. Wir allerdings bogen vorher ab und fuhren noch<br />
bis zu dem Fischerdorf Latsi.<br />
Hier erlaubte uns Antonio Freizeit, Zeit für<br />
einen individuellen Mittagsimbiss und eine<br />
Stunde Ausspannen. Ich kaufte in einem Laden,<br />
der jetzt in der Mittagsstunde leergefegt war,<br />
eine Packung Kekse und machte mich dann mit<br />
Martina auf einen Rundgang durch den kleinen<br />
Ort. Dieser lebt von zwei sich bedingenden<br />
Einnahmequellen, dem Hafen und dem<br />
Fremdenverkehr. Wir besuchten ein Klubhotel,<br />
das von der Landschaft ein großes Areal<br />
ausgespart und zu einem Park umgewandelt hat,<br />
mit künstlichen Wasserfällen, verschiedenen<br />
Vegetationsinseln, vom Bungalowdorf und<br />
Abenteuerspielplätzen bis hin zu einem kleinen<br />
Museum und einem Einkaufsladen. Dann liefen<br />
wir den Strand entlang, ehemals die Domäne der<br />
Fischer, heute mehr der Tummelplatz von<br />
Halbinsel Akámas mit Polis und Latsi Freizeit- Kapitänen auf ihren Luxusjachten.<br />
Ein ausgemustertes Schiff liegt auf dem Trockenen, von Pfählen gestützt, ein elegant<br />
geschwungener Rumpf. Die ehemals blauen Farben des Außenanstriches machen deutlich<br />
dem Verfall und hässlichen Rostflecken Platz. Es muss ein schönes Schiff gewesen sein, die<br />
„Spiridon“.<br />
Tiefes Blau und grelles Weiß kontrastierten<br />
an der Mole des Hafens. Gerade tuckerten<br />
einige Boote in dem klaren blauen Wasser<br />
auf die Anlegestellen zu. Sehnsucht kommt<br />
auf, auch dabei zu sein, die Freiheit des<br />
Meeres zu genießen. So aber schlenderten<br />
wir nur vorbei an den vielen Motorbooten,<br />
Seglern aller Größenordnungen und blickten<br />
neugierig aus der Nähe in die Privatsphäre<br />
der Bootsleute. Freiheit hin oder her. Sie<br />
müssen sich auch allerhand Zwängen<br />
unterwerfen und müssen eine Menge<br />
materieller Dinge um sich versammeln, um<br />
in den Genuss einer solchen Bootsfahrt zu kommen. Mein Neid wurde geringer, als ich mir das<br />
überlegte.<br />
Latsi ist klein und überschaubar. Bald hatten wir alles gesehen, und es wurde zum Aufbruch<br />
geblasen. Ich ließ mich noch von einer Händlerin, vielleicht einer Bäuerin, sie sah recht<br />
schmutzig aus, beschwatzen, für zwei Pfund zwei Granatäpfel und einige überreife Feigen zu<br />
kaufen, wofür ich mir Schelte von Martina einhandelte. Am Ende behielt sie Recht, und ich<br />
warf alles weg, weil die Feigen matschig und die Granatäpfel nicht mehr gut waren, als ich sie<br />
für den Genuss prüfte.<br />
Auf einer gut asphaltierten Küstenstraße fuhren wir noch ein paar Kilometer.<br />
Unterwegs wies unser Führer auf einen Hotelkomplex hin, der 1998 mitten ins Naturreservat<br />
gebaut worden ist. Der ehemalige Außenminister Aleco Michaelides setzte den Bau des<br />
Luxushotels „Anassa“ durch, westlich von Latsí, in der Nähe der Bäder der Aphrodite.<br />
Die Akamas- Halbinsel soll zur Schutzzone erklär werden. Ihre Strände gehören zu den letzten<br />
Brutgebieten der vom Aussterben bedrohten Meeresschildkröten im Mittelmeerraum. Doch der<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 138
unheilvolle naturzerstörende, auf Sensationen bedachte Tourismus rückt immer näher heran.<br />
Das Hotel Anassa ist das teuerste und vornehmste Hotel <strong>Zypern</strong> und gilt als Treffpunkt der<br />
Reichen und des Jet- Sets, was immer sich unter diesem Begriff an blasierten Menschen<br />
verbergen mag. Prachtvolle Bauten, vereinzelte Wohnanlagen mit künstlich grünen Gärten,<br />
edlen Werkstoffen und Schmuckelemente zieren diesen hermetisch fürs Volk abgeriegelten<br />
Bereich. Die Straße liegt etwas oberhalb. Wir können in dieses teure Paradies hineinschauen.<br />
Nicht lange, dann endet die Asphaltstraße an einem Parkplatz, der mit allen Zeichen des<br />
Umfeldes einer touristischen Sehenswürdigkeit ausgestattet schien. Andenkenbuden, Imbiss-<br />
Stände, Menschen. Wir sollten jetzt wandern, hieß es, zum Bad der Aphrodite. Ein Rundweg<br />
begann mit der Plünderung eines Johannisbrotbaumes, dessen schwarze Früchte Antonio mit<br />
einem Stecken abschlug und verteilte. Wir kosteten die harte, bohnenähnliche Hülse. Sie<br />
schmeckte süß. Eukalyptus, Feigenbäume.<br />
Es dauerte nicht lange, da erreichten wir<br />
das so geheimnisvoll vermarktete<br />
Wasserloch. Aus einer Felsspalte sickert<br />
Wasser, sammelt sich in einem natürlichen<br />
Becken und fließt dann in der üppigen<br />
Vegetation in Richtung Meeresufer, das<br />
vielleicht ein Kilometer Luftlinie entfernt<br />
lag. Allerdings lässt sich ein regulärer<br />
Wasserlauf nicht erkennen. Jetzt im<br />
herbstlichen Nachsommer bei<br />
halbjährlicher Trockenheit ist es schon<br />
verwunderlich, eine solche Oase der<br />
Feuchtigkeit zu finden.<br />
Hier in diesem Tümpel, der im tiefen Schatten eines Feigenbaumes liegt, soll der Legende <strong>nach</strong><br />
einst Aphrodite ihren schneeweißen Leib gebadet haben. Dabei wurde sie von Akámas, dem<br />
Sohn des Theseus überrascht. Sie verliebten sich ineinander, wie es so kommt. Ihr<br />
Liebesabenteuer wurde aber durch den Verrat einer alten Frau, der personifizierten<br />
Verleumdung, jäh beendet. Aphrodite musste auf den Olymp zurückkehren.<br />
5 km von dem Bad der Aphrodite entfernt; entspringt in einer Sandbucht ihre Liebesquelle, die<br />
Fontana Amorosa. Sie ist mit geländegängigen Fahrzeugen zu erreichen oder auch zu Fuß.<br />
Als wir weitergingen, dachte ich, dass wir eine längere Wanderung unternehmen werden, war<br />
aber sehr enttäuscht, als Antonio an einem Aussichtspunkt uns auch den Schlusspunkt, der<br />
kleinen Fußwanderung setzte.<br />
Nichts zu sehen von den Schildkröten. Keine Rundwanderung, auch wenn sie weh täte oder ein<br />
wenig abenteuerlich wird. Kein Risiko. Alte Leute eben. Einige klagen schon, wenn sie ein<br />
paar Schritte gehen sollen.<br />
Von hier oben hat man einen weiten Blick über<br />
den Norden der Insel, <strong>nach</strong> Osten die Bucht über<br />
Latsi bis Polis. Nach Westen wird die Sicht<br />
verwehrt durch steile Klippen, die nahezu<br />
unberührt scheinen. Wenn man aber <strong>nach</strong> unten<br />
sieht, rücken Karawan- Besitzer und Zelturlauber<br />
in dieses Paradies ein, und nicht alle sind reine<br />
Naturfreunde.<br />
Wir genießen eine Weile diese schöne Aussicht.<br />
Dann machen wir uns auf den Rückweg.<br />
Die Fahrt <strong>nach</strong> dem Hotel ist ohne Spannung. Der<br />
Tag war lang.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 139
XXX. Pano Paphos = Ktima<br />
Martinas Geburtstag - Dienstag, 10. Oktober<br />
H<br />
eute und morgen sind wieder Tage der freien Verfügung, Badetage, die wir nicht wollen.<br />
Wir haben uns abgefunden und nehmen uns heute in der Oberstadt von Paphos einige<br />
Ziele vor. Der Baedeker ist mir dabei ein aufschlussreicher Gehilfe; in jedem Falle<br />
schlauer als die <strong>Reise</strong>leitung und erst recht klüger als die <strong>Reise</strong>begleiterin, die kein Interesse<br />
zeigt, im fremden Lande etwas hinzuzulernen.<br />
Was sagt die Historie?<br />
Dem antiken Mythos zufolge gründete der arkadische König Agapenor von Tegea die Stadt<br />
Paphos und das 15 km entfernte Aphrodite- Heiligtum Paläa Paphos. Auf dem Rückweg<br />
vom Trojanischen Krieg 62 wurde er durch einen Sturm in <strong>Zypern</strong> an Land geworfen.<br />
Allerdings wissen wir von Chirokitía, dass <strong>Zypern</strong> schon im 7. Jahrtausend v. Chr. besiedelt<br />
war. Und noch früher! Wo sind die Ursprünge?<br />
Gehen wir also nicht gar zu weit in den Nebel der Vergangenheit und halten uns an die<br />
schriftlich überlieferten Fakten. Historisch belegt ist die Gründung von Néa Paphos im 4.<br />
Jahrhundert v. u. Z., als der letzte Priesterkönig von Paläa Paphos, Nikokles, seinen Sitz<br />
hierher verlegte.<br />
Die Ptolemäer verliehen Néa Paphos, der heutigen Unterstadt (Kato Paphos), einige<br />
Bedeutung. Die Stadt übernahm von Salamis die Führungsrolle wegen der günstigen Lage am<br />
Meer und den waldreichen Gebieten im Hinterland, und Néa Paphos wurde Hauptstadt der<br />
ganzen Insel. Auch das frische Bergwasser des Troodosgebirges mag eine Rolle gespielt<br />
haben.<br />
Dann kamen die schrecklichen Erdbeben um 365 n. Chr. Néa Paphos wurde nicht wieder<br />
aufgebaut. Stattdessen nahm Salamis wieder den Platz als Inselhauptstadt ein.<br />
Erst unter den Lusignans gewann Paphos wieder Bedeutung und wurde römisch- katholischer<br />
Bischofssitz. Weitere Erdbeben und Überfälle führten dazu, dass Paphos verlassen wurde.<br />
Oberhalb der Küste wurde eine neue Siedlung namens Ktima angelegt.<br />
Während der Osmanenzeit war Paphos unbedeutend, da Famagusta und Nikosia näher zur<br />
Türkei liegen.<br />
Wir benutzten wieder den Stadtbus und fuhren<br />
bis zur Oberstadt. Diesmal besuchten wir nicht<br />
den Markt, sondern wandten uns dem nahen<br />
Stadtpark zu, der alte Mauern, alte Tore und<br />
viele schattige Eukalyptusbäume aufwies.<br />
Erholsam ist es hier, doch ich wollte zunächst<br />
zum Byzantinischen Museum. Wir fragten uns<br />
durch. Ein Mann half freundlich. So richtig<br />
verstand er uns nicht, hatte ich den Eindruck.<br />
Plötzlich wich die Straße zurück, und die<br />
Flanke eines kirchenähnlichen Bauwerkes<br />
wurde sichtbar. Eine Bank lud zum Sitzen ein.<br />
Martina strebte hin und ruht erst einmal.<br />
Bischofssitz in Ktima (Pano Paphos)<br />
Es ist der Bischofssitz und ist für uns Sterbliche nicht zugänglich. Wir schauen uns um. In<br />
ganz kurzer Entfernung sehe ich die weiße Büste des Erzbischofs Makarios III. in einem<br />
Garten. Ich steure dahin und finde so nebenbei das Byzantinische Museum der Stadt.<br />
Martina will nicht mit hinein. Das macht mir den Stress, immer zu wissen, dass sie jetzt<br />
wartet. Also muss ich mich beeilen, obwohl diese Schau von Ikonen, Kirchengeräten wieder<br />
in ganz frühe Zeiten führen. Byzanz und seine Religion beeinflusste <strong>Zypern</strong> vom vierten<br />
62<br />
Trojanischer Krieg, historisch umstrittener Krieg, vermutlich im 12. Jahrhundert v. Chr. zwischen Griechen<br />
und Trojanern in Troja, sagenumwoben und viel besungen (Homer, Vergil).<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 140
Jahrhundert u. Z. bis zum Sieg der Franken, die ab 1192 die römisch- katholische Religion zur<br />
Staatsreligion erhoben.<br />
Ich lerne Einiges über Ikonen. Hier im Museum finde ich hervorragende Stellvertreter vom<br />
12. bis zum 16. Jahrhundert. Ein kleines Büchlein klärte mich über diese Heiligenbilder auf:<br />
„Die Ikone ist der höchste Ausdruck der Geistigkeit der byzantinischen Malerei. Der Hl.<br />
Johannes von Damaskus definierte die Ikone wie folgt: „Eine Ikone ist ein Bild, das dem<br />
Original ähnelt, sich aber gleichzeitig auch von ihm unterscheidet.<br />
Eine Ikone enthält also gleichzeitig sowohl ein Element der Ähnlichkeit wie auch der<br />
Unterschiedlichkeit.<br />
Die Ähnlichkeit ist ein notwendiges Element, weil die<br />
Barmherzigkeit von Christus, der Jungfrau oder eines<br />
Heiligen im Porträt durch die Ähnlichkeit übermittelt wird.<br />
Diese Ähnlichkeit interpretiert auch einen ästhetischen<br />
Gesichtspunkt in der byzantinischen Malerei allgemein und<br />
in der Ikonenmalerei im Besonderen. Die Übermittlung der<br />
heiligen Barmherzigkeit erfordert eine exakte Kopierung<br />
des Originals. Es ist deshalb einfach, den Heiligen, der auf<br />
der jeweiligen Ikone dargestellt wird, zu erkennen,<br />
unabhängig von der Zeit, in der die Ikone gemalt wurde.<br />
Diese Tatsache hat der byzantinischen Kunst einige Kritik<br />
eingebracht. Trotz der Ähnlichkeiten, die eine Ikone des<br />
Apostels Paul z.B. des 6. Jahrhunderts mit einer Ikone<br />
desselben Heiligen, die im 12. oder 16. Jahrhundert gemalt<br />
wurde, aufweist — und das ist natürlich für ein Porträt —<br />
trägt jede Ikone den ganz spezifischen Ausdruck der<br />
jeweiligen Epoche, obwohl die Grundzüge unverändert Heilige Jungfrau Eleoussa, Ende 12. Jh.<br />
sind. Auf diese Weise bleibt die Ähnlichkeit, wie sie vom Hl. Klosterkirche des Hl. Savvas, Karonos<br />
Johannes von Damaskus erwähnt wird, erhalten.<br />
Andererseits muss sich die Ikone von der Wirklichkeit<br />
unterscheiden. Diese Unterschiedlichkeit wird durch<br />
bestimmte technische Prinzipien ausgedrückt. Solche<br />
Prinzipien sind: der Rhythmus in der Linienführung, das<br />
Fehlen der dritten Dimension und der Körperlichkeit, die<br />
Missachtung der Anatomie, die Betonung gewisser<br />
Körperteile wie Augen, Nase, Hände, die Benutzung von<br />
Gold und Rot als Hintergrund und schließlich die<br />
unnatürliche Anwendung des Lichtes, das diffus und nicht<br />
von einer bestimmten Quelle herkommend benutzt wird.<br />
Diese Prinzipien zeigen, dass die im Porträt dargestellten<br />
Personen zu einer übernatürlichen Welt gehören und<br />
betonen die Geistigkeit der Ikone.<br />
Johannes der Täufer<br />
Epiphaniaskirche Paphos<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 141<br />
Die Ikone als solche ist kein Objekt der Anbetung, noch<br />
hat sie magische Kräfte. Die Ikone ist das Medium, über<br />
das der Gläubige mit dem abgebildeten Heiligen in<br />
Verbindung tritt.<br />
Wie der Hl. Basil von Caesarea betonte (Migne 32, 149)<br />
und der 7. Ökumenische Rat im Jahre 787 n. Chr. in<br />
seinen Dogmen festhielt, "geht die Ikone über das<br />
Original hinaus " .
Wenn der Gläubige die Ikone verehrt, dann meint er nicht das Material, aus dem die Ikone<br />
hergestellt wurde, sondern den dargestellten Heiligen.<br />
Die religiöse Bedeutung und die Geistigkeit einer Ikone ist<br />
keine Minderung des Kunstwerkes. Der Maler zeigt in der<br />
Ikone nicht nur seinen Glauben, sondern auch seine<br />
malerischen Fähigkeiten und seine Sensibilität. Sowohl sein<br />
Können wie auch seine künstlerische Qualität kommen durch<br />
das Material zum Ausdruck, das er für die Schaffung der<br />
heiligen Darstellung verwendet.<br />
Seine gestalterischen Fähigkeiten, seine Verwendung von<br />
Hell und Dunkel, und allgemein die von ihm benutzte Technik<br />
werden zum Mittel, um sein inneres Selbst und seine<br />
ästhetischen Empfindungen zum Ausdruck zu bringen. Es ist<br />
deshalb einfach, einen guten Maler von einem mittelmäßigen<br />
oder schlechten zu unterscheiden, wie auch Glanzepochen<br />
von Zeiten des Zerfalls der Ikonenmalerei.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 142<br />
Erzengel Michael, etwa 1500<br />
Diese materielle Seite der Ikonenmalerei hat eine besondere Bedeutung, Der Maler, der in<br />
einer bestimmten historischen Epoche lebt, bringt nicht nur die Ideale seiner Zeit, sondern<br />
auch diese Zeit selbst zum Ausdruck. Wenn er die Auftraggeber, die für das Werk bezahlt<br />
haben, im unteren Teil der Ikone darstellt, dann übermittelt er Informationen über seine Zeit.<br />
Die Bekleidung und der Schmuck der Auftraggeber informieren uns über ihren<br />
gesellschaftlichen Stand, ihre ökonomische Position, die Mode jener Zeit, ja selbst über die<br />
Handelsbeziehungen <strong>Zypern</strong>s mit anderen Ländern. Die Einflüsse, die man in der Ikone<br />
aufspüren kann, interpretieren die politischen Abenteuer des Landes, die engen Bande<br />
zwischen dem byzantinischen Reich und den französischen, venezianischen und türkischen<br />
Besatzern.<br />
So wird die Ikone zu einem Buch, das einem viel erzählen kann, wenn man es zu lesen<br />
versteht.“<br />
Ich musste das Buch leider zuschlagen und Martina erlösen. Sie hatte es sich auf einer Bank<br />
in der Sonne bequem gemacht und zeigte mir den Umgang mit einer steinernen Ölpresse, die<br />
im Vorgarten aufgestellt war. Wir blickten uns um und suchten nun das Ethnographische<br />
Museum und siehe da.<br />
Es befindet sich auf der anderen Straßenseite.<br />
Die Breitseite des Hauses zeigt drei elegant<br />
geschwungene, über zwei Geschosse gehende<br />
Bögen, die eine überdachte Terrasse bilden und<br />
unten mit verschnörkeltem Gitterwerk vor<br />
Eindringlingen geschlossen sind. Wir traten ein,<br />
und sofort kam eine untersetzte dicke Frau, von<br />
Parfüm duftend wie eine Aktrice, mit Schmuck<br />
behängt, reichte uns servil ihre fettige Hand,<br />
fragte <strong>nach</strong> unserer Sprache und konnte uns dann<br />
in Deutsch die notwendigen Einweisungen geben.<br />
Langsam bemerkte ich, und sie, die sich als Frau Eliades vorstellte, erwähnte es auch<br />
<strong>nach</strong>drücklich, dass dieses Haus eine private Sammlung ihres Mannes, Professor G. S. Eliades<br />
ist. Eliades ist (oder war, das konnte ich nicht herausfinden) ein Gymnasiallehrer, der sich ein<br />
Leben lang mit der zyprischen Volkskunst befasst hat. Er hat 1957 dieses Haus erworben und<br />
seither eine einzigartige Sammlung ganz unterschiedlicher Art in allen seinen Räumen<br />
zusammengestellt, die insgesamt ein bürgerliches Haus städtischer Architektur des<br />
ausgehenden 19. Jahrhunderts in Paphos repräsentieren.
Als erstes sahen wir das Studierzimmer, was ich gleich selbst annektiert hätte, so gefiel es mir.<br />
Studierzimmer des Herrn<br />
G.S.Eliades<br />
Dann schlug uns die Frau vor, erst einmal die Sammlungen des Untergeschosses anzusehen.<br />
Gesagt. Getan. Wir<br />
gelangten über eine<br />
Außentreppe ins<br />
Untergeschoss und standen<br />
in einem mit glänzenden<br />
Kieselsteinen gepflasterten<br />
kreuzförmigen Gang, von<br />
dem vier Räume abgingen.<br />
Gleich vorn rechts war eine<br />
Bauernstube, eher eine<br />
traditionelle Küche<br />
eingerichtet. In der Mitte<br />
der Tisch mit den<br />
Grundutensilien, die den<br />
meisten Dorfbewohnern<br />
<strong>Zypern</strong>s früher zur<br />
Verfügung standen: die<br />
polierte Tonschale, aus der die ganze Familie in alten Tagen aß, der unentbehrliche tönerne<br />
Weinkürbis, einige Gläser, ein Salzfässchen, einige Zwiebeln und Knoblauch. Flaschen,<br />
Mörser aus Messing. Holz oder Ton, Kupfergerät. Ein transportabler Blechofen mit einer<br />
Wärmepfanne darunter wurde zum Kochen aller Arten von Mahlzeiten und Süßspeisen…Alle<br />
Gegenstände stammen aus Dörfern <strong>Zypern</strong>s und stellen einen Einblick in das Leben der<br />
einfachen Menschen dar.<br />
Im Gange stand ein Karren, wie ihn die Esel zogen. In<br />
einem in die Wand eingelassenen Blindfenster, eine<br />
Art Schaukasten mit Fensterflügeln, häuften sich auf<br />
vier Borden Topfscherben, Handgriffe von<br />
Weinamphoren, Fossilien und Beiköpfe, Fundstücke<br />
aus Paläologischer Vorzeit. Die Amphorengriffe<br />
stammen aus dem 3. bis 1. Jahrhundert v.u.Z.<br />
Zwei Schädel und Schädelplatten sind in einem<br />
Glaskasten links im Gang zu sehen, etwa 250 Jahre<br />
alt. Je mehr man sich vertieft, desto interessanter und<br />
vielseitiger spreizt sich das Spektrum der<br />
Vergangenheit.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 143
Auf einem kleinen Tisch im Gang stehen zwei Wassertöpfe, aus denen<br />
je ein Büschel Thymian ragte. Neben dem Hausgebrauch dienten sie<br />
auch als dekoratives Element und waren in jedem zypriotischen Haus<br />
der Vergangenheit zu sehen, Die Thymianbüschel sollten verhindern,<br />
dass Schlangen hineinschlüpfen. Wie schon Aristoteles erwähnte, gab es<br />
früher viele Schlangen und giftige Vipern auf der Insel. Die Legende<br />
sagt, dass die Heilige Helena, Mutter Konstantins des Großen, Kaisers<br />
von Byzanz, anlässlich ihres Besuches von <strong>Zypern</strong> im 4. Jahrhundert<br />
<strong>nach</strong> Chr. eine große Anzahl Katzen aus Jerusalem mitbrachte. Die<br />
Katzen wurden im Gebiet des Kaps von Limassol ausgesetzt, wo sich<br />
das Kloster des Heiligen Nikolas befand, in der Hoffnung, dass die<br />
Katzen die Schlangen ausrotten würden. Seither wird die Kirche des Hl.<br />
Nikolas auch Katzenkirche genannt.<br />
Wir treten in den Hof. Die Sonne blendet. Wohltuend sorgt<br />
viel Grün für Schatten. Wir sehen eine Olivenölmühle, ein<br />
riesiger runder Stein mit einem Loch in der Mitte.<br />
Steingemauerte Backöfen sind in eine Ecke des Hofes<br />
gebaut, mit den Gerätschaften zum Backen von Brot, einem<br />
Trog zum Teigkneten und Brotbrettern ausgestattet.<br />
Sogar ein Grab finden wir, ähnlich den in Felsen gehauenen<br />
Gräbern der Könige aus der Zeit 3. bis 2. Jh. v. Chr.<br />
einschließlich Grabgefäße und Grabsteine zum Verschließen<br />
des Grabeinganges.<br />
Auch eine Kapelle ist in einer Höhle <strong>nach</strong>gestellt. Einige<br />
Ikonen zieren die moosbedeckte Wand. Vielerorts wurden<br />
solche Höhlen auch als Eremitagen verwendet wie in<br />
Neophytos.<br />
Mitten im Garten, der voller exotischer Pflanzen stand, war<br />
ein Dorfbrunnen <strong>nach</strong>gestaltet. Brunnen sind schon immer<br />
im Dorfe zentraler Treff von Jung und Alt gewesen, überall<br />
auf der Welt, auch hier auf <strong>Zypern</strong>. Schwatz und Klatsch,<br />
Neuigkeiten, ernsthafte Unterhaltung, Kontakt mit dem<br />
Nachbarn. Das waren die Zeitungen von früher! Ein<br />
Drehkreuz für das Seil, an dem die Zieheimer hingen,<br />
steckte auf einem Achsholz, das sich wiederum auf zwei<br />
Steinlagern drehte. Ich sah solchen Brunnen bereits in Kiti<br />
bei Larnaca.<br />
Als wir wieder die Treppe ins Obergeschoss hinaufstiegen,<br />
um die restlichen Räume zu sehen, bemerkte ich über der<br />
Tür ein seltsames Wappen.<br />
Es zeigt ein dekoratives<br />
Relief aus dem Jahre 1878,<br />
einen doppelköpfigen Adler<br />
mit Kronen und unten drei Spieler beim Billardspiel. Die<br />
Inschrift ist teilweise ausgemerzt. So ein seltsames Symbol<br />
über einer Tür habe ich noch nicht gesehen. Oben beinahe<br />
königliche Insignien. Adler breiten ihre Schwingen über<br />
gebändigte Panther aus und unten Lust und Leidenschaft zum<br />
Spiel? Ich schließe auf Vorbesitzer, die das Spiel aus<br />
Frankreich mitbrachten. Immerhin bevorzugten auch schon im<br />
17. und 18. Jahrhundert so berühmte Personen wie Ludwig<br />
XIV. und Napoléon Bonaparte das außergewöhnliche Ballspiel.<br />
Wieder öffnet sich eine Gedankenbrücke ins Gestern.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 144
Wir sind wieder im Obergeschoss. Frau Eliades steht stolz neben uns, möchte uns alles zeigen.<br />
Martina wird ungeduldig. Ich möchte der Zypriotin mein Interesse zeigen. Ich staune über die<br />
Vielfalt der angelegten Sammlungen. Da findet sich eine Münzensammlung, in die ich mich<br />
nicht vertiefen will. Sie führt wieder in die Zeit der Römer und alten Griechen. Da ist in einer<br />
Ecke des Flures eine Reihe von Ikonen an die Wand gelehnt. In einer Vitrine stehen<br />
Silbergefäße und Silberbestecke von großem Wert.<br />
Mit Edelsteinen besetzte Muschelschalen,<br />
Pokale, Sammeltassen, Becher. Es ließe sich<br />
Vieles zusammentragen über die Verwendung<br />
und den ehemaligen Zweck dieser Dinge. Es<br />
wird Zeit, sich von Frau Eliades zu<br />
verabschieden.<br />
Bald stehen wir auf der sonnenüberfluteten<br />
Straße und suchen ein neues Ziel für diesen<br />
Vormittag. Da Martina Geburtstag hat, wollen<br />
wir hinunter <strong>nach</strong> Kato Paphos und irgendwo<br />
einkehren.<br />
Zunächst streben wir auf einen Aussichtspunkt zu, von dem man einen großartigen Ausblick<br />
auf die Unterstadt genießen kann. Ein Lokal muss hier gewesen sein. Jetzt ist es eine Ruine,<br />
nur eine alte Frau sitzt selbstvergessen auf einem Stuhl. Wir gehen auf die Terrasse und<br />
schauen.<br />
Wir wollen noch einmal ans Meer und zum Hafen hinunter und machen uns auf den Weg. Es<br />
sind zwei oder drei Kilometer, für die wir etwas länger als eine Stunde laufen. Da es bergab<br />
geht, ist die einzige Anstrengung, der direkten Sonneneinstrahlung auszuweichen. So nutzen<br />
wir jeden Schatten, der sich bietet und wechseln mehrmals die Straßenseite.<br />
Wir laufen immer die Agapinoros entlang und<br />
stoßen auf die Daidalou. Ampelkreuzung.<br />
Eine mächtige Kirche beherrscht den großen<br />
freien Platz, die Agioi Anargyroi . Es ist sicher<br />
ein Bau aus moderner Zeit, als<br />
Kreuzkuppelkirche ausgeführt. Mir hat sie<br />
imponiert, kompakt wie eine Festung, stolz<br />
wie eine Burg, schlicht die aufstrebenden<br />
Wände, klar die Formensprache ihrer Apsen,<br />
der mit Lüftungslöchern nur angedeuteten<br />
Fenstern, am schönsten die Dachlandschaft,<br />
die Kuppeln klassisch gedeckt mit Mönch und<br />
Nonne, die schlanken Glockentürme, eine in<br />
die Neuzeit herübergeholte Tradition.<br />
Wir wollen ans Wasser, verfehlen den Weg, finden<br />
nur unbekanntes Terrain, suchen jetzt einen<br />
entspannenden Sitzplatz.<br />
Ehe wir etwas Passendes gefunden haben, suchen wir<br />
die Richtung Hafen, laufen ein weites Stück. Eine<br />
Schule mit lärmenden Schulklassen bietet am Rande<br />
für uns eine Bank. Ich verfolge das von Lehrern<br />
geordnete Getriebe der uniform gekleideten Mädchen<br />
und Jungen und bestaune die wohltuende Ordnung<br />
gegenüber dem Chaos au deutschen Schulhöfen.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 145
Eine Klasse wechselt gerade das Zimmer. Ich empfinde Freude über dieses Land, das seine<br />
Kinder gut behandelt.<br />
Wir haben uns entschieden, einen großen Eisbecher zu schlemmen. Das tun wir auch, als wir<br />
die Strandstraße erreichen, suchen uns einen Freisitz in einer Trattoria, genießen die<br />
Ruhepause, das Zuzweitsein im fremden Lande, den Schatten, das kühle süße Eis. Die<br />
Rechnung wage ich auf Griechisch anzufordern: „Kyrios, to logariasmó parakaló!“ Da ich auch<br />
noch die Zahlen verstand, heimste ich einige Pluspunkte beim Kellner ein.<br />
Nun wird Martinas<br />
Wunsch erfüllt, über die<br />
bunte Shopping- Meile<br />
bummeln zu gehen. Ich<br />
bin heute sehr großzügig,<br />
hefte mich an ihre Fersen,<br />
gönne ihr generös die<br />
Entscheidung, in welches<br />
Geschäft sie hinein will,<br />
um zu entdecken.<br />
Ich staune nur über die Unmengen von wertlosem und<br />
sinnlosem Kitsch, den man uns Touristen anbietet. Es ist<br />
unbeschreiblich. Doch es würde nicht hergestellt und<br />
angeboten, wenn es nicht auch gekauft würde. Also gibt es eine<br />
Menge Menschen, die für solchen Kram ihr Geld ausgeben.<br />
Ich gönne den Einheimischen den Verdienst und verüble es denen nicht. Ich begeistere mich<br />
wieder an Schachfiguren, die die alte Römerzeit verherrlichen<br />
Ich bin wieder versöhnt mit dem „Tag zur freien Verfügung“. Am Hafen bietet sich noch<br />
einmal der herrliche Blick über die Schiffe, die Mole mit dem Hafenkastell, die blühenden<br />
Oleanderbäume, die Palmenfächer und die vielfarbigen Bougainvillea- Blüten.<br />
Doch ein Bus rauschte heran, und wir mussten uns mit einer großen Zahl von schwitzenden,<br />
dicken und laut palavernden Engländer hineinzwängen, die alle in ihre Hotels zurückwollten,<br />
die längs des langen Strandes der Korallenbucht von Paphos verteilt liegen. Nach einer<br />
reichlich halbstündigen Fahrt erreichten wir wieder unsere Bananenplantage und dann unser<br />
reizendes Hotel Cynthiana.<br />
Am Nachmittag genossen wir jeder auf seine<br />
Art die Freuden des Nichtstuns. Martina ruhte<br />
und schlief, neue Kraft sammelnd. Ich badete<br />
und las die gekauften Hefte, vertiefte meine<br />
Erkenntnisse, schmeckte meine gesehenen<br />
Bilder im Geiste <strong>nach</strong> und beobachtete meine<br />
Mitmenschen und deren Nichts- Tun und<br />
langweilte mich dabei kräftig. Wie hält man so<br />
etwas über längere Zeit aus?<br />
Über die Abende berichte ich nichts. Natürlich<br />
freuten wir uns auf das Menü, das wir am Buffet<br />
uns selbst wählen können. Ein obligatorisches<br />
Gläschen Bier oder Wein gab den i- Punkt dazu.<br />
Die Abendprogramme nutzten wir nicht. In den verräucherten Lokalen fühlen wir uns nicht<br />
wohl. Wir sind wohl auch schon ein wenig menschenscheu und kontaktarm geworden.<br />
Natürlich versäumte ich nicht, den abendlichen Sonnenuntergang aufs Korn zu nehmen. Ich<br />
habe nun bereits so viele Bilder davon, dass ich die Wiedergabe hier lieber sein lasse.<br />
Goldgelb, Orange, Blutrot, Purpur und Lila. Es ist ein Lichtspiel ohnegleichen. Dazu die<br />
wehenden Palmenwipfel, die im aufbrisenden Abendwind sich biegen und neigen. Es ist schön<br />
hier. Wenn es ganz dunkel ist, bin ich allein am Wasser. Die Menschen haben sich in ihre<br />
Betonhöhlen zurückgezogen und sind fernab der Natur. Ich träume noch eine kleine Weile.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 146
Die Wellen schwappen über die Felsen, schäumen auf, wirbeln zwischen den Klippen, strömen<br />
zurück und kommen wieder. Leise rauscht die Brandung, dunkel am Horizont dehnt sich die<br />
Silhouette des Troodosgebirges. Über dem Meer liegt jetzt nur noch ein lila Streifen, der<br />
Wasser und Luft verbindet, er wird immer dunkler. Ich gehe auch <strong>nach</strong> oben, kleide mich um<br />
fürs Dinner.<br />
Mittwoch, 11. Oktober 2006<br />
XXXI. Agia Solomoni<br />
Letzter freier Tag. Morgen geht es zurück in die Heimat. Wieder nehmen wir uns am<br />
Vormittag Kato Paphos als Ziel, wissen immer besser Bescheid mit dem Stadtbus, kennen die<br />
Haltestellen und fahren allerdings erst einmal bis zum Markt hoch <strong>nach</strong> Ktima bzw. Pano<br />
Paphos. Martina will dann noch die moderne Geschäftsstraße durchkämmen, ihr bekannte<br />
Marken- Unternehmen besuchen, den Trend verfolgen, vielleicht etwas anprobieren oder gar<br />
kaufen. Als der Bus uns an der Endstelle auslädt, ist es heiß und ein bisschen schwül. Wolken<br />
bedecken den Himmel. Kühler Wind deutet auf schlechtes Wetter, vielleicht bringt er sogar<br />
Regen her. Wir nähern uns dem für die Jahreszeit normalem Herbstwetter, wo es auch regnen<br />
kann.<br />
Am Restaurant ZOVOS vorbei begehen wir noch einmal kurz den Markt mit dem konkreten<br />
Ziel, eine gute Kopie des steinzeitlichen Fruchtbarkeitsgottes zu finden, Erinnerung an das<br />
<strong>Zypern</strong>museum. Nach langem Suchen, wobei Martina mit anderthalb Augen ihren Interessen<br />
folgte, fanden wir ein kleines Exemplar, von dem im VI. Kapitel schon die Rede war. Dann<br />
lösten wir uns ganz schnell und sehr einig von dem Trubel und entflohen dieser Budenstadt.<br />
Von der Endhaltestelle führt ein Lift in einen<br />
unteren Stadtteil. In einer Senke lädt ein<br />
Türkisches Bad zur Reinigung ein. Es hat eine<br />
halbrunde weiße Kuppel und sieht sehr türkisch<br />
aus. Da es im Schatten, teils in greller Sonne<br />
liegt, ist das Gebäude nicht sehr fotogen.<br />
In einer kleinen Anlage setzten wir und auf<br />
einen Randstein und stärken uns mit einer<br />
Banane und mitgebrachtem Kaffee, denn der<br />
Vormittag ist weit fortgeschritten, dann machen<br />
wir uns auf den Weg. Martina geht tapfer an den<br />
Luxusgeschäften vorbei, wohl auch mir zuliebe.<br />
Wir wollen nun <strong>nach</strong> Kato Paphos hinunter.<br />
Wieder suchen wir Schatten. Wind fegt Schmutz und Staub durch die Luft. Der Himmel wird<br />
milchig. Heute ist kein Badewetter, für Einheimische sowieso nicht. Heute biegen wir an der<br />
Abzweigung ab, folgen der Leoforos Apostolou Pavlou, der Apostel-Paulus-Straße, geraten<br />
also nicht links von der Agioi Anargyroi auf die Daidalou, sondern weit rechts von dieser<br />
markanten<br />
Kirche.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 147<br />
Kato Paphos- Romana- Hotel
Ein markanter Gebäudekomplex beherrschte diese Kreuzung, das „Romana Hotel“, ein mit<br />
vielen Klischees aus der Römerzeit dekorierter und darum blickfangender, interessanter Bau.<br />
Gegenüber diesem attraktiven Hotel stiegen wir auf den so genannten Fabrica- Hügel und<br />
begannen unsere eigentliche archäologische Entdeckungsreise an diesem Tag.<br />
Blanke Felsen und verdorrtes Macchia- Gestrüpp<br />
bedecken diese von Bebauung frei gehaltene<br />
Erhebung, von der wir einen guten Blick auf die<br />
gerade bewunderte Hotelanlage und das Meer und<br />
<strong>nach</strong> der anderen Seite auf die neue Kirche Agioi<br />
Anargyroi werfen konnten. Unter uns befinden sich<br />
unterirdische Grabanlagen aus hellenistischer Zeit.<br />
Der Name Fabrica erinnert an eine Bauhütte und<br />
Steinmetze, die hier einst arbeiteten. Spuren von<br />
Keillöchern zeigen, dass dieser Hügel in römischer<br />
Zeit als Steinbruch genutzt wurde.<br />
Australische Archäologen graben zur Zeit ein antikes Theater aus, das wir dann sehen<br />
können. Vorerst sehen wir ein Gitter um ein halb gesichertes Boden-Mosaik noch aus der<br />
hellenistischen Zeit. Die schwarz-weißen Steinchen deuten auf Entstehen vor der<br />
Zeitenwende hin, lange vor den herrlichen Mosaiken drüben im Archäologiepark.<br />
Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in ein Loch rutschen, aber es macht Spaß, auf eigene<br />
Faust auf Entdeckung zu gehen. Die regellos herumliegenden Felsen machen den Eindruck,<br />
als hätten Riesen sich hier mit Steinen beworfen. Sie heißen Digenis- Felsen. Es gibt auch<br />
eine Legende: Vor langer Zeit liebte ein byzantinischer Held die Königin Regaena. Diese<br />
hatte Digenis versprochen, ihn zu erhören, wenn er ihr Wasser aus dem Pentadáktylos bringe.<br />
Als sie ihr Versprechen nicht hielt, warf Digenis voller Wut einen Felsblock, den heutigen<br />
Fabrica- Hügel, auf ihren Palast. Regaena bewarf ihn daraufhin mit einer Spindel, die ihn in<br />
eine Granitsäule verwandelte.<br />
Dieser Fabrica- Hügel ist durchlöchert wie ein<br />
Schweizer Käse. An mehreren Stellen führten<br />
oft nur notdürftig freigelegte Treppenstufen in<br />
ein unterirdisches Höhlensystem, das sicher in<br />
der Vergangenheit viele Nutzungen erfahren<br />
hat. Wir stromerten durch die unübersichtlichen<br />
Höhlen, und meine Phantasie begann zu<br />
arbeiten. Höhlen schützen. Vor Unwetter. Vor<br />
Wetter überhaupt. Vor Menschen. Sie spart<br />
bauen. Über eine Nutzung ist nichts mehr zu<br />
erfahren.<br />
Einzelne natürliche Pfeiler stützen die verrußten Decken. Es<br />
gibt oft mehrere Ein- oder Ausgänge. Kurze Treppen<br />
verbinden manchmal unterschiedlich hohe Räume.<br />
Die Höhlen sind hoch, zum Wohnen fast ungemütlich. Man<br />
denkt an sakrale Nutzung, an Gemeinschaftseinrichtungen.<br />
Vielleicht waren es auch die Steine, die man ausbrechen<br />
wollte und nur das Nötigste stehen ließ, um das Gebirge nicht<br />
einstürzen zu lassen. Dann wäre aber der Tagebau einfacher<br />
gewesen. Einsiedeleien sind es bestimmt nicht gewesen.<br />
Dazu war der Ort zu bewohnt. Möglicherweise standen auch<br />
einmal Häuser darüber, und die Höhlen waren die<br />
unterirdischen Lagerräume. Lüftungslöcher führten oft<br />
senkrecht ans Tageslicht. Andernorts denke ich wieder an<br />
eine Kirche, Kultstätten. Der Massentourismus wird daran<br />
vorbeigelenkt. Gott sei Dank.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 148
Ein Hohlraum hat einen ganz offiziellen Ausgang, durch den wir auf die Straße treten.<br />
Eigentlich ist es der Eingang zum Höhlensystem. Wir haben die Besichtigung von Hinten<br />
begonnen, abenteuerlicher, mit einem Anflug von Entdeckerfreude.<br />
Nicht weit davon in Richtung Hafen<br />
wehen linker Hand von einem Baum<br />
viele bunte Tücher. Hier findet sich<br />
unter der Erde eine unterirdische Kirche,<br />
die Höhlenkirche Agia Solomoni, zu<br />
der wir nun hinuntersteigen. Von einem<br />
oben offenen Vorraum führen mehrere<br />
Eingänge zu unterschiedlichen Stellen.<br />
Die eine ist der Zugang zur Kirche<br />
selbst, in die man wieder mit einigen<br />
Stufen hineinsteigen muss. Die<br />
Finsternis wird nur durch ein paar<br />
Wachskerzen aufgehellt. Ansonsten<br />
muss das Tageslicht, das aus dem<br />
kleinen Vorhof hineinfällt ausreichen.<br />
Der Kirchenraum ist auch nicht tief, vielleicht 6 – 8 Meter bis zum Altarbereich. Decke und<br />
Wände sind arg verrußt von Fackeln und Kerzen. Die Wände sind nackter Fels mit Narben,<br />
Rissen, Löchern und Vertiefungen. Links lehnen Papptafeln gegen die Wand, an denen Ikonen<br />
befestigt sind. Kunstblumen und Deckchen schmücken Altar und einen Steintisch an der Seite.<br />
Rechts lehnen ebenfalls Ikonen. Der Fußboden ist festgetreten, nicht gepflastert, erdig und<br />
wirkt wie aufgeschüttet. Blickfang und Andachtsmitte ist eine Christus- Ikone vor einem<br />
weißen Tuch mit zwei roten Kreuzen. Ich vermute, die heutigen Gläubigen haben ohne<br />
Aufwand von Geld diese Höhle mit primitiven Mitteln wiederbelebt und in religiösen<br />
Gebrauch genommen.<br />
Man sagt, dass frühe Christen vor 2000 Jahren hier<br />
Zuflucht suchten. Diese auf antike Grabanlagen<br />
zurückgehenden Katakomben wurden <strong>nach</strong> der Märtyrerin<br />
Solomoni benannt, einer Jüdin, die zusammen mit ihren<br />
sieben Söhnen während des Makabäer- Aufstandes 166 n.<br />
Eingang zur Höhlenkirche Agia<br />
Solomonis (Mitte) und Treppe zum<br />
unterirdischen Brunnen (rechts)<br />
Chr. hier lebendig eingemauert worden sein soll.<br />
Vom Vorhof führen Stufen in die Tiefe zu einem Brunnen,<br />
der diese Stelle wertvoll machte, weil seinem Wasser eine<br />
heilende Wirkung bei Augenleiden <strong>nach</strong>gesagt wird. Ich<br />
steige hinunter bis zur „Quelle“, einem kleinen<br />
Wasserbecken, leider mit Gegenständen verschmutzt, wie<br />
es üblich ist bei öffentlichem unkontrolliertem Zugang.<br />
Wenn der Mensch allein ist und anonym handeln kann,<br />
ohne sich für sein Tun verantworten zu müssen, wird er<br />
zum Urtier, zur Sau. Der Brunnenraum ist aus dem Stein<br />
gearbeitet, so dass mehrere Leute sich bewegen können,<br />
ohne weitere Ausstattung.<br />
Wieder ans Tageslicht gestiegen, bleibt ein Blick durch das verschlossene Gitter der dritten<br />
Tür, die vom Vorhof in einen Andachtsraum führt, die eigentliche Grottenkirche vielleicht,<br />
vielleicht eine Totenkapelle, auch noch unter der Erde gelegen. Es ist finster darin. Die Augen<br />
gewöhnen sich langsam um. Ich sehe verblichene Fresken in der Apsis und zu beiden Seiten.<br />
Die Fresken, mit denen die Wände ehemals bemalt waren, sind vermutlich verschimmelt, auch<br />
abgehackt, nie saniert, mindestens eineinhalb Tausend Jahre alt. Die Denkmalspfleger haben<br />
noch keine schützenden Hände darüber gelegt, scheint mir. Der Boden ist mit groben Steinen<br />
unordentlich gepflastert ohne erkennbares Programm. Die gewölbte Decke ist nahezu schwarz.<br />
Nur mühsam erkennt man, dass sie voll ausgemalt war. Welche Herausforderung, sie wieder<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 149
sichtbar zu machen! Das Podest für einen Taufstein kann man ausmachen. Eine Nische führt<br />
möglicherweise in die Sakristei, einen winzigen Nebenraum für den Priester.<br />
Wir klettern <strong>nach</strong> oben, machen Platz für eine Familie, die neugierig <strong>nach</strong> unten drängt.<br />
Martina rafft es. Sie will auch ein Tüchlein an den<br />
Wunschbaum knüpfen, raubt mir ein Taschentuch und<br />
befestigt es mit verschmitztem Lächeln an dieser 300 Jahre<br />
alten Terpentin- Pistazie. Wir wünschten uns etwas,<br />
verrieten es nicht, als das Tuch wie die anderen im Winde<br />
zappelte, hin und her schwang und nun wer weiß wie lange<br />
dort hängen bleibt. Wie willig lässt sich der so moderne<br />
Mensch auf solche Schamanen- Mätzchen ein. Er tut es mit<br />
einem Lächeln, versteht es als Scherz, doch im Innern?<br />
Der Glauben wird durch das geschmückte Portal<br />
hinausgetrieben. Durch kleine Hintertüren schleicht er sich<br />
wieder ein. Da werden Münzen in Brunnen geworfen,<br />
Bronzestatuetten an bestimmten Stellen berührt, bis das<br />
Metall goldgelb glänzt, heilige Steine angefasst, Ikonen<br />
geküsst, die Liste ließe sich endlos lang ausdehnen.<br />
Hier wird eben ein Tuch am Wunschbaum befestigt. Wer erfüllt diese Wünsche? In allen<br />
monotheistischen Religionen haben die Gläubigen ihre Riten, ihre Heiligen, ihre Reliquien,<br />
ihre Herren und Mütter, die über sie wachen, in anderen Religionen gibt es sie sowieso. Ich<br />
frage mich, warum macht das aber der „moderne“, aufgeklärte Atheist? Und glaubt auch noch<br />
daran! Heidnischer Aberglaube ist eben in jedem von uns infiltriert!<br />
Unser Besichtigungsprogramm war zu Ende. Wir<br />
fanden schnell den Weg zum Hafen. Kühler Wind war<br />
aufgekommen. Vor die Sonne hatten schwammige<br />
Wolken ihre Schleier gezogen. Böen fegten durch die<br />
Straßen und wirbelten den Staub des trockenen<br />
Sommers auf. Schlechtes Wetter zog heran. Wir hatten<br />
Glück, standen gut an der Haltestelle, als der Bus<br />
einlief und bekamen einen Sitzplatz, denn mit uns<br />
wollten jetzt eine Menge Engländer wieder in ihre<br />
Hotels entlang der Küste. Und wir hatten fast die<br />
Schweres Wetter über dem Troodosgebirge weiteste Strecke.<br />
Am Nachmittag dann erlebten wir ein Gewitter mit Blitz und Donner von großer Heftigkeit.<br />
Seltsam, es regnete bei uns nicht. Das Unwetter tobte vielleicht zwei Stunden über die Insel<br />
und verzog sich dann in Richtung Troodos. Die Luft roch frisch und war sehr abgekühlt. Der<br />
Badestrand lag verwaist, selbst die begehrtesten Plätze waren jetzt zu haben.<br />
Ich überredete Martina, mit mir noch ein letztes Mal<br />
den Badestrand zu genießen. Wir suchten eine<br />
Liege direkt auf der Felsenbrücke zwischen<br />
Badewanne und Meer. Der Unterschied zwischen<br />
Luft- und Wassertemperatur war gering und machte<br />
das Zuwassergehen leicht. Ich bereute, dass ich<br />
keine Schwimmflossen oder Taucherbrille mithatte.<br />
Sie hätten das Gepäck belastet. So schwamm ich ein<br />
letztes Mal in dem herrlich sauberen Wasser. Später<br />
beobachtete ich eine Gruppe Taucher, eine<br />
Tauchschule, die ihre umfangreichen Gerätschaften<br />
im Wasser ausprobierten.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 150<br />
Badezugang zum Meer
Viel wird man unter Wasser nicht sehen. Hier ist felsiger Grund an der Küste, kaum Sand. Es<br />
gibt Tangwiesen, Kleinfische sicher auch, Anemonen. Der Name der Bucht lässt auch auf<br />
Korallenriffe schließen. Ich sammelte darüber keine Informationen. Wie beschrieben war ich<br />
auf Kulturreise und nicht im Badeurlaub.<br />
Am Abend fotografierte ich mit innerlichem Glücksgefühl und gleichzeitigem Abschiedsweh<br />
noch einmal den Sonnenuntergang, der heute klarer war als gestern.<br />
Zunächst leuchtet sie noch eine Weile durch die<br />
Palmen. Dann umgibt sie sich mit einem<br />
Schleier aus lila Watte und rutscht in wenigen<br />
Minuten in diese Schicht über dem<br />
Wasserhorizont, bis sie sich rot färbt uns<br />
versinkt, weil ihr Licht mit untergeht. So sehen<br />
wir es. Doch in Wirklichkeit drehen wir uns von<br />
ihr weg. Wer es sich bewusst macht, bemerkt<br />
wie schnell unser Planet sich dreht!<br />
Was blieb uns noch: Ein vorzügliches<br />
Abendmenü, dann Kofferpacken. Zeitig<br />
schlafen gehen.<br />
Es wäre müßig, von dem nun folgenden Geschehen viel<br />
Aufhebens zu machen, der Rest der <strong>Reise</strong> ist schnell erzählt:<br />
Donnerstag, 12. Oktober 2006<br />
Wir mussten sehr zeitig aufstehen. 5.30 Uhr gab es<br />
ein nicht sehr üppiges Frühstück. Koffer zum Bus.<br />
Wir trafen auf Antonio, der uns nun bis zum<br />
Flugzeug begleitete. Die Fahrt zum Flughafen Paphos war<br />
recht kurz. Die Wartezeit auf den Abflug dagegen dehnte<br />
sich über fast zwei Stunden.<br />
Eine zypriotische Maschine brachte uns in etwas mehr als<br />
vier Stunden sicher <strong>nach</strong> Dresden zurück.<br />
Gepäck- Karussell. Rolltreppe. S-Bahn. Hauptbahnhof.<br />
Straßenbahn Nr. 10. Striesen. Bergmannstraße. Wir rollern<br />
mit dem Gepäck übers heimische Pflaster. Keglerstraße. Wir<br />
waren wieder zu Hause.<br />
XXXII. Epilog<br />
ypern ist eine <strong>Reise</strong> wert, das ist mein Fazit. Wir haben so viel es uns in diesen zwei<br />
Z Wochen möglich war gesehen. Ich war beeindruckt von dieser Insel und seinen<br />
Bewohnern, und ich habe vom Gefühl her diese verschiedenen Ebenen erlebt:<br />
• Da waren zuvorderst die politischen Spannungen, unter denen die Zyprioten und zwar<br />
griechische und türkische heute noch leiden. Wer genau hinhört und hinsieht, wird sie<br />
spüren.<br />
• Da ist die Lage der Insel in ihrer Nähe zu drei Kontinenten, ein Katzensprung <strong>nach</strong><br />
Antalya, <strong>nach</strong> Haifa oder Alexandria. Am meisten bemerkt man im Süden, der<br />
Republik <strong>Zypern</strong> aber die Nähe zu Griechenland und Europa.<br />
• Da sind die Religionen, der Islam im türkisch besetzten Norden mit seiner Intoleranz,<br />
Gleichgültigkeit bis zur Verfolgung christlicher Werte und das Christentum mit seinen<br />
Ausformungen und Widersprüchen der griechisch- orthodoxen Ostkirche und der<br />
römisch- katholischen Kirche des Vatikans.<br />
• Da sind die unterschiedlichen Landschaften, das grüne Gebirge, die im Sommer<br />
ausgetrockneten Felder und Wadis der Küstenebenen mit Wasser- und<br />
Energieproblemen.<br />
• Und da sind die unvergleichlichen Erlebnisse mit den Zeugnissen der Vergangenheit,<br />
die mich, wie man diesem Bericht leicht entnehmen kann, am meisten beeindruckten.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 151