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Reise nach Zypern - Eberhardt TRAVEL

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<strong>Reise</strong> <strong>nach</strong> <strong>Zypern</strong><br />

…wo die Götter Urlaub machen – Erlebnis <strong>Zypern</strong><br />

vom 28. September – 12. Oktober 2006<br />

I. Prolog<br />

E<br />

s war eigentlich ein Zufall, und er kam von ungefähr, dass wir diese <strong>Reise</strong> bei<br />

<strong>Eberhardt</strong> Travel buchten. Angeregt durch eine erlebnisreiche Fahrt mit diesem<br />

Unternehmen <strong>nach</strong> Zentralfrankreich im Juni 2005 folgten Martina und ich einer<br />

Einladung zur „<strong>Reise</strong>messe“ in das World Trade Center in Dresden am 8. Oktober 2005.<br />

Unter der riesigen Glaskuppel waren, Messeständen ähnlich, am Rande zweier Gassen eine<br />

ganze Menge Holzbuden aufgebaut, jede ein <strong>Reise</strong>land vertretend, in das man reisen konnte.<br />

Kleine Näschereien, Weinproben, Prospekte aller Art wurden angeboten. Die Anbieter waren<br />

größtenteils Vertreter der <strong>Reise</strong>büros in diesen Ländern. In den Gängen tummelte sich eine<br />

bunte Welt des Tourismus, mit schreienden Farben, oberflächlichen Werbesprüchen und den<br />

üblichen Klischees, auf die hereinzufallen man vom breiten Publikum erwartete. Es war eine<br />

richtige Messe- nur die Produkte waren eben <strong>Reise</strong>n.<br />

Gleichzeitig lag der neue <strong>Eberhardt</strong>- Katalog für die Neue <strong>Reise</strong>saison 2005/2006 an allen<br />

Ecken aus. Wir wussten, dass am Saisonbeginn und -ende jeweils recht preisgünstige und<br />

interessante <strong>Reise</strong>n, vor allem für die treuen Kunden ausgelobt wurden.<br />

Der erste Blick fesselte mich: Korsika! Ich konnte Martina begeistern, und wir buchten sofort<br />

eine Busreise für das zeitige Frühjahr 2006. Endlich würden wir diese herrliche<br />

Mittelmeerinsel kennen lernen.<br />

Dann bummelten wir entspannt durch die Budenstraßen, die von einem fürchterlichen Lärm<br />

aus überzogenen Lautsprechern und von neugierigen Besuchern angefüllt waren. Es zog mich<br />

zum Stand von Frankreich, weil ich gerne noch eine Fahrt dorthin unternehmen wollte,<br />

obwohl ich gerade gebucht hatte. Ein Glas Rotwein beschwingte uns. Gedanklich befanden<br />

wir uns im Mittelmeer. Eine Elsaß- <strong>Reise</strong> wäre uns noch recht gewesen oder eine in die<br />

Normandie und Bretagne.<br />

Auch der warme Süden zog uns beide schon immer an. Die <strong>Reise</strong>n in die Adria <strong>nach</strong> Kroatien<br />

tauchten in der Erinnerung auf. Dann wollten wir schon lange <strong>nach</strong> Griechenland, ins Land<br />

der Antike. Spanien und Portugal war sehr lange schon ein Ziel. Auf meiner Warteliste ruhten<br />

weiter die Mittelmeerinseln Sizilien, Sardinien, Kreta, Rhodos, Malta, und plötzlich standen<br />

wir vor einem Stand, wo eine junge Frau mit viel Verve für ihr Heimatland <strong>Zypern</strong> warb und<br />

mein Interesse weckte. Sie zeigte auch gleich im Katalog eine große Rundreise durch <strong>Zypern</strong><br />

– ich wollte, wenn ich uns diesem weiten Flug aussetzte - schon so viel wie möglich von der<br />

Insel sehen. Wir traten näher. Frau Ismini, so hieß sie und vertrat hier ihr zyprisches<br />

<strong>Reise</strong>büro „ISMINI –<strong>TRAVEL</strong>“, versprach uns mit eifrigen Worten eine interessante und<br />

vielseitige <strong>Reise</strong>, sie verstand es, Martina und mich für diese Fahrt zu erwärmen. Der Haken<br />

war geworfen und saß im Fleisch. Der Entschluss für unsere gemeinsamen <strong>Reise</strong>n wurde<br />

immer spontan getroffen. Wir haben nie lange gezögert und waren noch nie enttäuscht.<br />

Wir nahmen so viel Prospekte, Karten und Informationsbroschüren mit, wie es zu diesem<br />

Lande gab. Wir waren beide von ihrem freundlichen Wesen sehr eingenommen, und als Frau<br />

Ismini uns versprach, zu dieser <strong>Reise</strong> unsere Führerin zu sein, hatte sie uns gewonnen.<br />

Zu Hause besprachen wir alles noch einmal, studierten die <strong>Reise</strong> genau, wogen die Finanzen<br />

und Martinas Urlaubsmöglichkeiten ab und legten uns fest.<br />

Fast ein Jahr dauerte es nun, bis der <strong>Reise</strong>- Termin heranrückte. Unterdessen besuchten wir<br />

im Frühjahr 2006 die herrliche französische Mittelmeerinsel Korsika. Im Juni verbrachten wir<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 1


10 Tage in Kärnten/Österreich, auf dem Reißeck in 2200 Meter Höhe. Schnee zur<br />

Sonnenwendfeier!<br />

Nun rückte das September- Ende heran. Martin nervte mich, doch im Internet <strong>nach</strong> dem<br />

Wetter auf <strong>Zypern</strong> zu fahnden. Ich fand im Netz Tagestemperaturen um die 30 Grad. Dann<br />

kam das Kofferpacken. Martina räumte die Schränke leer, probierte unsere Koffer aus- das<br />

übliche Zeremoniell. Also flogen die warmen Sachen wieder in den Schrank zurück. Das<br />

Bundsministerium für Auswärtige Angelegenheiten meldete keine <strong>Reise</strong>warnungen. Manch<br />

einer der Bekannten äußerte Bedenken: „Nee, <strong>nach</strong> <strong>Zypern</strong> würde ich nicht fahren!“ Warum,<br />

konnten sie mir nicht erklären. Abneigung, um nicht zu sagen Angst, hörte ich heraus wegen<br />

der unsicheren Verhältnisse in Nahost. Vorurteile.<br />

Wir aber wollten <strong>nach</strong> <strong>Zypern</strong>! Gehört es noch zu Vorderasien? Politisch gehört es seit dem 1.<br />

Mai 2004 zur Europäischen Union.<br />

Schon zu Hause beschäftigte mich die besondere Lage der Insel, und ich recherchierte einiges<br />

dazu.<br />

Welch strategische Brisanz diese Insel<br />

im Mittelmeer darstellt, mag man sich an<br />

den Entfernungen zu drei Kontinenten<br />

klar machen. Seine geografische Lage<br />

bildet die Schnittstelle zu Asien, Afrika<br />

und Europa. Seine Entfernung zur<br />

Südküste des türkischen Festlandes<br />

beträgt 75 km, zur Westküste Syriens<br />

zirka 95 km. Nach Ägypten sind es<br />

ungefähr 325 km. Es ist die östlichste<br />

Insel im gesamten Mittelmeer und ist<br />

politisch gespalten.<br />

Die Republik <strong>Zypern</strong>, in die wir reisten, bildet heute den südlichen, griechischen Teil, EU-<br />

Mitglied, mit Ambitionen und dem rechtlichen Anspruch auf die ganze Insel (5384 km 2 ).<br />

Abgetrennt davon und kontrolliert von den Vereinten Nationen ist die Türkische Republik<br />

Nordzypern (3355 km 2 ). Relikte aus der britischen Kolonialzeit sind die Selbständigen<br />

Militärbasen Akrotiri bei Limassol und Dhekelia bei Larnaca (255 km 2 ). Die neutrale UN-<br />

Pufferzone nimmt noch einmal etwa 4% des Landes ein.<br />

Zur wechselvollen und blutigen Geschichte <strong>Zypern</strong>s komme ich später.<br />

Zunächst verschaffte ich mir einen groben topografischen Überblick.<br />

Zwei Gebirgszüge durchziehen<br />

die Insel: Die zur Küste hin<br />

abfallende, sonst schroffe Kette<br />

des Pentadaktylos (Beşparmak)<br />

im Nordosten und das<br />

vulkanische, waldreiche<br />

Troodos-Gebirge im südlichen<br />

Landesinnern, mit dem<br />

Olympos (1.952 m) als höchster<br />

Erhebung. Die rund 700 km<br />

lange Küste bietet teils<br />

ausgedehnte Sand- und<br />

Kiesstrände sowie steil<br />

abfallende Felsküsten mit<br />

kleinen Buchten.<br />

<strong>Zypern</strong> besitzt ein mediterranes Klima mit deutlich kontinentaler Ausprägung. Die südliche<br />

Lage bedingt höhere Temperaturen als im nördlichen Mittelmeerraum, und von der<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 2


levantinischen Küste wehen oft heiße Wüstenwinde übers Meer. Das Mittelmeer um <strong>Zypern</strong><br />

hat die höchsten Wassertemperaturen im gesamten Raum. Im Februar werden etwa 17 °C, im<br />

August um 28 °C erreicht.<br />

Das Land leidet chronisch unter<br />

Wassermangel. Regen fällt vor allem von<br />

Dezember bis April. Von Mai bis<br />

November ist es trocken und vor allem im<br />

Landesinneren z. T. sehr heiß. Nikosia hat<br />

im Juli und August eine durchschnittliche<br />

Höchsttemperatur von 37 °C, was nur 2 °C<br />

unter der Temperatur in Dubai liegt, aber<br />

8 °C wärmer ist als auf Mallorca. In<br />

Extremfällen steigt das Thermometer im<br />

Zentrum der Insel im Hochsommer auf<br />

47 °C. An den Küsten ist es während des<br />

Die Insel <strong>Zypern</strong> vom Satelliten gesehen<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 3<br />

Sommers meist am Tag 30 bis 35 °C warm,<br />

in der Nacht kühlt es auf 20 bis 23 °C ab.<br />

Der Westen der Insel um die Stadt Paphos ist 2 bis 4 °C kühler als der Osten. Im Winter<br />

liegen die Temperaturen zwischen 15 °C und 20 °C am Tage, von Zeit zu Zeit auch darüber,<br />

selten darunter. Oberhalb von 1 500 m kann es Schnee geben.<br />

Ich las auch über Bevölkerung, Religion, Städte, Bodenschätze, Landwirtschaft, Kultur eine<br />

ganze Menge <strong>nach</strong>. Doch das will ich später einflechten, wenn es gerade passt.<br />

Mit derlei nützlichen Informationen ausgerüstet, mit wachem Sinn und offenen Augen machte<br />

ich mich also auf, während Martina verständlicherweise ihre Erwartungen auf den Komfort<br />

und die Erholungsmöglichkeiten in den Hotels gerichtet hatte.<br />

II. Flug <strong>nach</strong> Larnaca<br />

Donnerstag, 28. September 2006<br />

D<br />

er <strong>Reise</strong>veranstalter war spendabel und lud uns zu einem Frühstück um 10.15 Uhr in<br />

das Flughafenrestaurant ein. Wir waren vorher mit unserem Gepäck zur Straßenbahn<br />

Nr. 10 gerollert und zum Hauptbahnhof gefahren, in die S-Bahn umgestiegen und<br />

bequem im Untergeschoss des Flughafenterminals Dresden gelandet. Martina kostete das<br />

nichts- sie besaß eine Abo- Karte der Dresdener Verkehrsbetriebe, und ich bezahlte gerade<br />

mal 1,70 € für eine Stundenkarte. Dagegen kostet der Haustürtransfer von <strong>Eberhardt</strong> 40 € pro<br />

Person!<br />

Wir besorgten vorsichtshalber noch einen Adapter im Shop, weil auf <strong>Zypern</strong> noch englische<br />

Stromnormen gelten. Erstes Begrüßen und Guten-Tag-sagen. Bekanntschaft mit Frau Latta,<br />

unserer <strong>Reise</strong>begleiterin, die die Flugscheine ausgab. Kurzes Schlange-Stehen am<br />

Abfertigungsschalter. Einchecken ohne besondere Vorkommnisse. Warten in der Transitzone.<br />

Martina wollte ein Buch kaufen. Sie gab 10 € aus für Jonathan Franzen „Schweres Beben“.<br />

Das Flugzeug hatte Verspätung. Ein Grund wurde nicht genannt. Abflug sollte sein 12.15<br />

Uhr. 40 Minuten später stiegen wir über die Gateway an Bord einer Boeing 737-800 und<br />

hoben mit ECA 833 der zyprischen Fluggesellschaft Eurocypria Airlines ab. Wir hatten auf<br />

Nachfrage am Notausgang einen Sitz bekommen und daher Beinfreiheit fast wie in der<br />

Business- Klasse. Das zahlt sich auf dem viereinhalb- stündigen Flug aus. Bildhübsche<br />

Stewardessen mit kecken gelben Kappen bedienten uns.<br />

Neben mir als dritter in der Sitzreihe hatte ein Mann Platz genommen, der von seiner Frau<br />

durch den Gang getrennt wurde. Er sprach wenig während des Fluges und rätselte Kreuzwort.<br />

Ich schielte zu ihm hin und bewunderte seine eigenartigen Buchstaben, die er flink mit


affenartiger, designerschnellen Sicherheit in die Kästchen eintrug. Sie hatten die Schriftform<br />

von Russischbrot- wer das kennt, doppelwandig. Das hatte ich noch nie gesehen.<br />

Unterwegs teilte man uns verbindlich mit, dass wir in Paphos zwischenlanden werden, aber<br />

im Flugzeug verweilen dürfen, das heißt der Flieger setzt einen Teil der Passagiere in der<br />

westlichen Touristenzone der Insel ab, während wir unser erstes Quartier an der Südostspitze<br />

in Protaras beziehen werden.<br />

Nun hatte mich die ganze Zeit während der Vorbereitung auf diese <strong>Reise</strong> ein Problem<br />

beschäftigt, mit dem ich mich aus Prinzip bei <strong>Reise</strong>n in jedes Ausland vorher befasse, nämlich<br />

die Sprache des jeweiligen Landes, in diesem Falle die griechische Sprache. Es ist ja so, dass<br />

jeder der eine Fach- oder Hochschule absolviert hat, oder auch schon vorher beim Abitur, in<br />

Mathematik, technischen oder Logikfächern, fast alle Buchstaben des griechischen<br />

Alphabetes in irgendeiner Formel kennen lernt.<br />

Wer aber griechische Schrift lesen muss, in zusammengesetzten Wörtern oder Sätzen, steht<br />

vor ganz anderen Problemen- der Aussprache und dann, falls er lesen gelernt hat, natürlich<br />

den Vokabeln. Für mich galt es, die erste Hürde zu nehmen, die Buchstaben und ihre<br />

Aussprache zu studieren und dann die zweite, einige Wörter, stehende Floskeln und die<br />

Zahlen zu erlernen. Dabei half mir über die erste Hürde ein kleines „Kauderwelsch-<br />

Wörterbuch“ hinweg, das nur mit der lateinischen Lautumschrift operierte. Und damit auch<br />

gleich über die zweite. Ich brauchte mir das griechische Schriftbild nicht einzuprägen. Das<br />

war meinem Anliegen ungemein förderlich, so dass ich bald Bitte, Danke, Guten Tag, Seid<br />

gegrüßt, Wo finde ich…? Rechts, links und anderes sagen konnte. Die Aussprache musste ich<br />

noch lernen. Den ersten griechischen Satz fand ich an der Rückenlehne meines Vordersitzes:<br />

ΔΕΣΤΕ ΤΗ ΖΩΝΗ ΑΣΦΑΛΕΙΑΣ ΣΑΣ, was vielleicht gesprochen wird wie „deste ti zoni<br />

asfaleias sas“. Ich buchstabierte eine ganze Weile daran herum und wusste natürlich, dass es<br />

hieß: „Fasten your seatbelts while seated“ , weil es daneben stand oder in deutscher Sprache<br />

etwa „Bleibe im Sitzen angeschnallt“.<br />

Im Übrigen sahen wir nicht viel durch das kleine Bullauge. Wir flogen viel über Gebirge,<br />

später über Wasser. Kleine und größere Inseln schwammen in der blauen Wasserfläche.<br />

Einige Male ruckelte der Flugkörper, dann ging das Anschnallsignal an. Aber das war nicht<br />

groß beunruhigend. Man darf sich, wenn man einmal drinsitzt in so einem Technikvogel,<br />

keine Gedanken machen über Not- und Rettungsmaßnahmen. Wenn abgestürzt wird, ist<br />

sowieso Ultimo und die Überlebenschance Null. Wozu also solche Fiktionen.<br />

Es wurde schnell Nachmittag, zumal wir die<br />

Uhr um eine Stunde vorstellen mussten. Wer<br />

grob mitrechnet: Wir flogen gegen 13 Uhr<br />

los. Der Flug dauert etwas über vier<br />

Stunden. So um 17 Uhr Ortszeit kam am<br />

Horizont Land in Sicht, unsere Insel <strong>Zypern</strong>,<br />

die wir von Westen her anflogen. Schon<br />

begann die Dämmerung die große Laterne<br />

zu dimmen. Ich war überrascht von der<br />

Dimension der Stadt Paphos, über der wir<br />

zur Landung herabgingen. Ein riesiges<br />

Häusermeer überzog den Küstenstreifen. Es<br />

sah aus wie Kolonien von Riesen- Pusteln,<br />

die weißen Häuser, ohne die von uns<br />

gewohnten roten Dächer.<br />

Landeanflug auf Paphos<br />

Hier sind die Häuser flach gedeckt. Viele haben eine Betonterrasse oben. Die Sonne brach<br />

noch einmal aus den Wolken und beleuchtete das Land. Wir sahen durchs Fenster, wie sich die<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 4


Bremsklappen heraus schoben, das Flugzeug Geschwindigkeit und Höhe verlor, der Pilot es<br />

langsam auf die Landebahn zusteuerte, die wir nicht sahen.<br />

Die Boeing bumperte auf die Rollbahn. Wir spürten die gewaltigen Bremskräfte, die der Pilot<br />

auf die Räder brachte. Die Passagiere spendeten den üblichen Beifall. Zwischenlandung in<br />

Paphos 17.30 Uhr Ortszeit. Wir blieben sitzen, hoffend, dass es nicht so lange dauern würde.<br />

Eine halbe Stunde mussten wir auf unseren Sitzen ausharren, ehe die Motoren wieder<br />

angingen und unser Vogel sich wieder in die Luft schwang.<br />

Nun flogen wir in der zunehmenden Dunkelheit an der Südküste <strong>Zypern</strong>s entlang. Rechts war<br />

nichts als Meer, links immer dunkler werdende Landmasse. Vielleicht 25 Minuten dauerte<br />

dieser „Inlandflug“, bis wir um 18.30 Uhr in Larnaca erneut zu Boden gingen. Auch diese<br />

Landung glückte. Nun waren wir dran. Die Maschine war schon halb geleert. Schnell<br />

erreichten wir Transitraum, Passkontrolle und steuerten auf das Gepäckkarussell zu.<br />

Unterwegs tauschte ich 200 € in 108.20 CYP um.<br />

Die nationale Währung <strong>Zypern</strong>s ist das <strong>Zypern</strong>-Pfund (int.<br />

Kürzel CYP). Ein <strong>Zypern</strong>-Pfund ist (seit 1983) 100 Cent (Σεντ)<br />

(und war davor 1000 Mils).<br />

Am 29. April 2005 trat <strong>Zypern</strong> dem Euro-<br />

Wechselkursmechanismus II bei zu einem Leitkurs von 1 EUR =<br />

0,585274 CYP und darf um diesen Mittelkurs ±15 % schwanken.<br />

Der Euro könnte frühestens im Sommer 2007 eingeführt werden.<br />

Allerdings ist die Einführung für den 1. Januar 2008 geplant. Ob<br />

<strong>Zypern</strong> es schaffen wird, alle nötigen Umstellungen rechtzeitig<br />

vorzunehmen, ist noch fraglich. Mit Sicherheit wird man<br />

spätestens im Jahr 2009 die ersten <strong>Zypern</strong>-Euros zirkulieren<br />

sehen.<br />

Wenn ich den Kurs aus diesem Untausch errechne, lande ich bei<br />

0,541 CYP für 1 €.<br />

Wir rechneten künftig immer mit 1:2 und kamen gut<br />

hin damit.<br />

Am Gepäckstand sprach uns eine beflissene, scheinbar halbamtliche Frau in Englisch an, mit<br />

einer Frageliste in der Hand. Ich stellte mich ihr, wusste aber nicht so recht, was sie von uns<br />

wollte. Ich schielte mit einem Auge auf das Gepäckband, das einen Koffer <strong>nach</strong> dem anderen<br />

an uns vorbei transportierte, aufgeregt, während ich versuchte herauszufinden, was die Frau<br />

wissen wollte, <strong>Reise</strong>ziele auf der Insel, kulturelle Absichten…Als ich unsere Koffer sah,<br />

wandte ich mich abrupt von ihr ab. Ich liebe Befragungen nicht sehr.<br />

In der Nebenhalle sammelten wir uns vor den Schaltern der <strong>Reise</strong>büros und bekamen zum<br />

ersten Male einen Überblick über unsere <strong>Reise</strong>gruppe, die ich auf etwa 30 Personen schätzte.<br />

Wir erfuhren, dass vier Personen von Hellas- <strong>Reise</strong>n bei uns mitreisten.<br />

Und wir lernten Antonio kennen. Er stapfte<br />

in dem Dieselgestank vor dem<br />

Terminalgebäude vor uns her und lenkte uns<br />

zu dem Bus, der uns die restlichen 40 km<br />

vom Flughafen Lacarna in unser Hotel <strong>nach</strong><br />

Protaras brachte.<br />

Als wir ausstiegen, gerieten wir in eine<br />

feuchte Wärme, die noch am Abend<br />

vielleicht 28 Grad ausstrahlte. Aber gleich<br />

empfing uns die klimatisierte Atmosphäre<br />

der Hotel- Lobby des Beach- Hotels<br />

CAVO MARIS, in dem wir vier Nächte<br />

verbringen werden.<br />

Unser Zimmer besaß einen Balkon, von dem aus wir das Meer sehen konnten und den<br />

Widerschein der untergegangenen Sonne beobachten. Dann verlieren wir uns in der<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 5<br />

Motive aus Geschichte und<br />

Mythologie auf der 20-Pfund-Note<br />

Hotel CAVO MARIS, Protaras, Meerblick


unübersehbaren Menge im riesigen Speisesaal des Hotels, an dessen Buffets so etwas wie<br />

Schlaraffenland herrschte.<br />

Nach dem Abendessen wollen wir noch im Ort Wasser kaufen gehen. „Metallicó nero“.<br />

Mineralwasser. Antonio gab uns den Hinweis, wo der „Supermarkt“ zu finden sei, gleich<br />

über die Straße. Leider sahen wir gerade, wie der Besitzer in seinen kleinen Toyota stieg und<br />

vor unserer Nase <strong>nach</strong> Hause fuhr. Als wir über die Straße gingen, erlebten wir eindringlich<br />

die Umstellung auf den Linksverkehr, der hier vom ehemals englischen Kolonialherrn<br />

eingeführt wurde.<br />

Die Klimaanlage auf dem Zimmer ist so geräuschvoll, dass wir sie in der Nacht ausstellen<br />

müssen.<br />

Freitag, 29. September 2006<br />

III. Rote Dörfer – Dherinia - Pyla<br />

Am Morgen frühstückten wir erst einmal inmitten der vielen Gäste, die hier stationär ihren<br />

Badeurlaub im Hotel verbringen.<br />

Ich stellte fest, dass meine Befürchtungen,<br />

nicht genug Griechisch zu können,<br />

unbegründet sind. Ich hatte das Gefühl, ich bin<br />

in England. Neben einigen Russen sind die<br />

Mehrzahl der Gäste Engländer und Deutsche.<br />

Auch draußen spricht jeder Englisch. Also kein<br />

Sprachproblem. Das Frühstücks- Buffet ist<br />

demzufolge sehr britisch: Gekochte Bohnen,<br />

gedünstete Tomaten, Rührei und gebackener<br />

Speck und hot sausages, heiße Würstchen,<br />

Toast und klebrig-süße Baguettes. Doch als<br />

Protaras, Hotel CAVO MARIS, Swimming<br />

pool<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 6<br />

„continental breakfaster“ konnte man sich auch<br />

ernähren.<br />

Viel Freude machte uns der Sitz auf der überdachten Terrasse mit dem schönen Blick über die<br />

Palmen und den blühenden Oleander hinweg auf das blaue Wasser des Pools. Hungrige,<br />

freche Sperlinge umflatterten uns, um einige Brösel zu erhaschen. Die Luft jetzt um 8 Uhr ist<br />

herrlich, nicht zu kalt und nicht zu warm.<br />

8.40 Uhr sammelten wir uns im Bus. Der Kraftfahrer Michail wurde uns von Antonio<br />

vorgestellt, ein junger unverheirateter Mann mit der Leidenschaft fürs Essen. Wir fuhren<br />

nordwärts über Paralimni <strong>nach</strong> Dherinia (griech. Deryneia) direkt an die Demarkationslinie<br />

zum türkisch besetzten Teil.<br />

Das "Land der roten Erde" im Südosten, die Kokkinochoria, was etwa dasselbe heißt, gilt<br />

als Gemüsegarten <strong>Zypern</strong>s, mit Kartoffeln, Auberginen, Tomaten, Gurken, Zwiebeln und<br />

anderen Arten. Hier werden die meisten Kartoffeln der Insel geerntet, was ich bestätigt fand,<br />

denn als wir in Paralimni hielten, um Geld in einer Bank zu tauschen, beobachtete ich<br />

mehrere Kleinlaster, hoch beladen mit den rotbraunen Knollen. Und auch die roten Felder<br />

konnte ich im Vorbeifahren sehen, jetzt im beginnenden Herbst schon umgepflügt.<br />

Eisenmineralien mögen für die intensive rotbraune Farbe und vielleicht auch für die<br />

Fruchtbarkeit der Erde sorgen.<br />

Die kleine Stadt Paralimni wurde <strong>nach</strong> der überfallartigen türkischen Besetzung 1974 der<br />

Region Ammochostos, deren Hauptstadt Famagusta (türk. Gazimağusa) ist, zum vorläufigen<br />

Verwaltungsmittelpunkt des Regierungsbezirkes.<br />

Ich muss nun davon reden, dem giftigen Pfeil, der jedem rechtschaffenen zypriotischen<br />

Griechen im Herzen steckt. Man muss sich als Besucher dieser Insel darüber aufklären.<br />

1963 gab es Unstimmigkeiten zwischen dem "türkischen"/muslimischen (19 %) und "griechischen"/griechischorthodoxen<br />

(80 %) Teil der ethnisch vermischten Bevölkerung über Verfassung und Gesetze, Ausübung der<br />

Staatsgewalt usw. Dieser Streit, von Extremisten auf beiden Seiten systematisch eskaliert, machte ein weiteres<br />

gemeinsames Regieren unmöglich. Die türkisch-zyprischen Regierungsmitglieder zogen sich aus der Regierung<br />

zurück und strebten seitdem ein selbstverwaltetes Gebiet an, während viele griechischsprachige Zyprioten den


Anschluss an Griechenland (Enosis) anstrebten. Am 15. Juli 1974 kam es zum Putsch der griechisch-zyprischen<br />

Nationalgarde gegen Präsident Makarios.<br />

Nachdem Makarios von der Insel <strong>nach</strong> Malta geflohen war, führte die Türkei als Garantiemacht gemäß dem<br />

Londoner Garantievertrag unter dem Eindruck eines drohenden Anschlusses <strong>Zypern</strong>s an Griechenland eine<br />

Intervention auf dem Nordteil der Insel durch. Seitdem hat die Türkei in einem Gebiet, das ca. 37 % der Insel<br />

entspricht, Truppen stationiert.<br />

1977 starb Makarios, und Spyros Kyprianou folgte als Präsident. Dieser wurde von der Türkei und den<br />

türkischen Zyprern allerdings nicht anerkannt. Daraufhin veranlasste der griechische Süden<br />

Wirtschaftssanktionen gegen den Norden.<br />

Türkische Republik Nordzypern<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 7<br />

Der Norden seinerseits antwortete <strong>nach</strong> Verfolgungen und Tötungen<br />

türkischer Zyprer mit der Vertreibung von mehreren zehntausenden<br />

griechischen Zyprern und der Ansiedlung von mehreren zehntausend<br />

Türken aus der Türkei, wodurch das zahlenmäßige Gewicht des<br />

türkischen Bevölkerungsanteils gegenüber den griechischen Zyprern<br />

erhöht wurde. 1983 wurde auf dem Nordteil der Insel die Türkische<br />

Republik Nordzypern ausgerufen, die allerdings nur von der Türkei<br />

anerkannt wird.<br />

Verhandlungen unter Führung der UN sollten eine Annäherung beider Seiten bringen - eine Abstimmung über<br />

eine Wiedervereinigung scheiterte jedoch am Referendum 2004 in Südzypern, deren griechische Bevölkerung<br />

den Wiedervereinigungsversuch mit 3/4-Mehrheit ablehnte, während die türkische Bevölkerung in Nordzypern<br />

mit großer Mehrheit für die Vereinigung stimmte. Es war ein Konzept <strong>nach</strong> dem Vorbild der Schweiz<br />

vorgesehen. <strong>Zypern</strong> sollte ein Staatenbund aus zwei Teilstaaten werden, deren Einwohner sowohl die zyprische<br />

als auch die Staatsangehörigkeit des Landes, aus dem sie stammen, erhalten. Am 4. Juni 1990 wurde der<br />

Beitrittsantrag <strong>Zypern</strong>s zur Europäischen Union gestellt, der letztlich für die gesamte Insel gilt, da auch die EU<br />

die Türkische Republik Nordzypern nicht anerkennt. Seit Mai 2004 ist die Republik <strong>Zypern</strong> Mitglied der<br />

Europäischen Union.<br />

Republik <strong>Zypern</strong><br />

Antonio ließ uns <strong>nach</strong> der Durchfahrt<br />

durch das Landstädtchen Dherinia, die<br />

einige hübsche Kirchen aufwies,<br />

hindurch zu einer Anhöhe, die durch ein<br />

schönes weißes Gebäude gekrönt war.<br />

Es ist ein Aussichtspunkt, von dem wir<br />

über die Demarkationslinie und die tote<br />

Pufferzone hinüber sehen konnten <strong>nach</strong><br />

Famagusta. Antonio teilte uns mit, dass<br />

er dort noch ein Haus besitzt, das Haus<br />

seiner Eltern, aber Türken aus Anatolien<br />

darin wohnen, die von der türkischen<br />

Regierung <strong>nach</strong> der Vertreibung der<br />

griechischen Zyprioten dort angesiedelt<br />

wurden. Wird er sein Haus wieder<br />

zurückbekommen?<br />

Östlicher Teil <strong>Zypern</strong>s<br />

Green Line


Er zeigte uns voller Hochachtung eine zierliche Frau, die um ihr Haus in Famagusta kämpfte,<br />

die <strong>nach</strong> seiner Schilderung als Privatperson die Türkische Republik vor dem Internationalen<br />

Gerichtshof der EU in Den Haag auf Herausgabe und Entschädigung angeklagt hatte. Sie hätte<br />

schon mehr als eine Million Euro Kosten aufgewendet. „Morgen entscheidet sich ihr Prozess“,<br />

meinte er. Leider haben wir ihn nicht mehr da<strong>nach</strong> gefragt, wie es ausgegangen ist.<br />

Wie sehr die griechischen Zyprioten unter der Besetzung und Abschneidung des nördlichen<br />

Teils ihrer Insel leiden, ist in dem kleinen Museum dokumentiert, das wir in aller Kürze<br />

ansehen. Ein Diorama der Stadt Famagusta, unter Glas, zeigt mit vielen Lämpchen die<br />

Struktur, die munizipalen Gebäude und Sehenswürdigkeiten dieser Stadt. Oft wird von<br />

Geisterstadt gesprochen. Viele Hotels stehen leer und beherbergen notfalls Ratten, dennoch<br />

glaube ich, dass die Türken die Stadt wieder bevölkert haben, <strong>nach</strong>dem die Griechen verjagt<br />

und teilweise deportiert worden sind. Der Protest gegen diese völkerrechtswidrige Invasion<br />

1974 hält an. Die Texte und Fotos beweisen es. Und mit diesem Schandfleck, neben dem<br />

nicht eingestandenen Völkermord an den Armeniern 1915/16, will die Türkei<br />

gleichberechtigtes Mitglied der Europäischen Union werden!<br />

Wie sieht das die griechische Seite von <strong>Zypern</strong>? Ich zitiere ein Flugblatt, das ich im Museum<br />

entgegennahm. Die obigen Bilder und der folgende Text erklären die Sorgen und politischen<br />

Nöte der Inselbewohner, besonders der im griechischen Teil der rechtmäßigen Republik<br />

<strong>Zypern</strong>:<br />

Die türkische Militäraggression gegen <strong>Zypern</strong> dauerte die letzten 31 Jahre ungehindert an.<br />

Militärbesatzung, gewaltsame Teilung, Verletzung der Menschenrechte, massive Kolonialisierung,<br />

Kulturraub und Denkmalzerstörung, Eigentumsaneignung und ethnische Segregation sind die<br />

Hauptmerkmale des durch die Türkei aufgezwungenen Status quo. Die Türkei, ein EU- Bewerberland,<br />

ist heute für die internationale Aggression gegen ein EU-Mitgliedsland verantwortlich. Dies ist<br />

sicherlich völlig unakzeptabel, eine Herausforderung der internationalen Gesetzlichkeit und eine<br />

Gefahr für die Sicherheit und Stabilität in der Region, welche dringend aufgehoben werden muss.<br />

Im Juli 1974 marschierte die Türkei in Verletzung aller geltenden Prinzipien des Völkerrechts in die<br />

Republik <strong>Zypern</strong> ein.<br />

Die unheilvollen Folgen der Invasion und des darauf folgenden Militäreingriffs der Türkei in Verletzung<br />

der UN-Feuereinstellungsvereinbarungen sind für das Volk des neuen EU-Mitgliedstaates stets<br />

spürbar.<br />

� 36,7 % des Territoriums der Republik <strong>Zypern</strong> ist unter türkischer Besetzung.<br />

� 142 000 griechische Zyprer d.h. etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung wurden aus dem<br />

besetzten Norden vertrieben, wo sie 70 % der Einwohner darstellten; sie haben keinen Zugang zu<br />

ihren Häusern und Besitztümern.<br />

� Etwa 1 476 Personen (darunter einige Hunderte Zivilisten) gelten als vermisst, wobei die türkische<br />

Seite jede Zusammenarbeit zur Ermittlung ihres Schicksals verweigert.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 8


� Etwa 535 Eingeschlossene (aus einer Gesamtzahl von 20 000 im Jahre 1974) sind in ihren<br />

besetzten Dörfern verblieben und werden heute Unterdrückung, Einschüchterung und<br />

Belästigungen ausgesetzt.<br />

� Eine 43 000 Mann starke türkische Armee mit modernster Ausrüstung, von Luftwaffe und Marine<br />

unterstützt, ist im besetzten Gebiet stationiert, wodurch es zum am stärksten militarisierten Gebiet<br />

der Welt verwandelt wird.<br />

119 000 Festlandtürken aus Anatolien wurden im<br />

besetzten Gebiet mit dem Ziel der gewaltsamen<br />

Änderung der demographischen Struktur der Insel<br />

angesiedelt.<br />

57 000 türkische Zyprer (aus einer Gesamtzahl von<br />

116 000) sind seit 1974 vom besetzten Gebiet<br />

ausgewandert und zwar wegen der dort herrschenden<br />

wirtschaftlichen, sozialen und moralischen<br />

Verelendung, so dass die Zahl der türkischen Siedler<br />

und der Soldaten jene der türkischen Zyprer übertrifft.<br />

Die gesetzwidrige Bebauung griechisch-zyprischer<br />

Grundstücke und der illegale Verkauf griechischzyprischen<br />

Bodenbesitzes, aus dem die griechischen<br />

Zyprer durch die türkische Invasion gewaltsam<br />

vertrieben worden sind, wird fortgesetzt und<br />

intensiviert. Diese präzedenzlose Aneignung von<br />

Eigentum ist eine weitere Verletzung der<br />

Menschenrechte durch die türkische Seite.<br />

Das Okkupationsregime und die Türkei wenden methodisch einen langfristigen Plan zur Ausmerzung<br />

des griechischen und christlichen kulturellen und historischen Erbes an:<br />

� Mindestens 77 Kirchen wurden in Moscheen verwandelt.<br />

� Mehr als 133 Kirchen und Klöster wurden geschändet.<br />

� 18 Kirchen werden von den Besatzungstruppen als Munitionslager, Baracken und<br />

Militärhospitäler benutzt.<br />

� 13 Kirchen werden als Ställe und Scheunen benutzt. Die Friedhöfe von mindestens 25<br />

Dörfern wurden geschändet und zerstört.<br />

� Zahlreiche Ikonen, religiöse Weihgefässe und verschiedene archäologische Schätze wurden<br />

geraubt und ins Ausland geschmuggelt.<br />

� Illegale Ausgrabungen und ein unverhüllter Antiquitätenschmuggel finden massenweise im<br />

geheimen Einverständnis mit dem Besatzungsregime statt.<br />

� Die griechischen Ortsnamen werden willkürlich durch türkische ersetzt.<br />

In einer ganzen Reihe von Resolutionen der UN-Vollversammlung, des Weltsicherheitsrates sowie<br />

anderer internationaler Organisationen wurden die Invasion und die fortgesetzte türkische Besetzung<br />

verurteilt sowie die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimatorte unter Sicherheitsbedingungen, die<br />

Ermittlung des Schicksals der Vermissten und der Respekt der Menschenrechte aller Zyprioten sowie<br />

der Unabhängigkeit, Souveränität und territorialen Integrität <strong>Zypern</strong>s gefordert.<br />

Blick über die von der UN bewachte neutrale<br />

Pufferzone über die „Green line“ auf Famagusta<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 9<br />

Wandbild im Cultural Centre of Occupied<br />

Famagusta (Ammochostos)<br />

Selbst der Europäische Gerichtshof für<br />

Menschenrechte befand die Regierung der<br />

Türkei der groben und systematischen<br />

Verletzungen der Menschenrechte auf<br />

<strong>Zypern</strong> für schuldig.<br />

Wiederholte Gesprächsrunden zwischen der<br />

griechisch-zyprischen und der türkischzyprischen<br />

Seite haben seit 1975<br />

stattgefunden. Es wurde jedoch kein<br />

Fortschritt erzielt und dies aufgrund der<br />

Haltung der türkischen Seite, die diese<br />

untergraben hat und eine Lösung angestrebt<br />

hat, die <strong>Zypern</strong> zweigeteilt aufrechterhalten<br />

sollte, und die Insel zur Geisel fremder<br />

Interessen verwandelt hätte. Die griechischzyprische<br />

Seite bestand auf der wahren<br />

Wiedervereinigung der Insel und ihres<br />

Volkes.


Die jüngsten UN-Bemühungen resultierten in der Unterbreitung eines Plans durch den UN-<br />

Generalsekretär für eine umfassende Lösung des Problems.<br />

Am 24. April 2004 wurde das Volk <strong>Zypern</strong>s aufgefordert, den vom UN-Generalsekretär Kofi Annan<br />

vorgeschlagenen Plan für eine umfassende Lösung der <strong>Zypern</strong>frage (Annan Plan V) in separaten und<br />

gleichzeitigen Referenda anzunehmen oder abzulehnen. Eine klare Mehrheit von 75,8 % der<br />

griechischen Zyprer empfand, dass der endgültige Text, in den willkürlich viele in der letzten Minute<br />

durch die türkische Seite gestellten Forderungen aufgenommen wurden, nicht ausgeglichen war und<br />

ihren wichtigsten Besorgnissen in Bezug auf die Sicherheit, Funktionsfähigkeit und Lebensfähigkeit<br />

der Lösung nicht entgegenkam. Die negative Stimme der griechischen Zyprer war keine Verweigerung<br />

der Wiedervereinigung <strong>Zypern</strong>s, die ihr wichtigstes Ziel verbleibt. Sie haben einen konkreten Plan<br />

abgelehnt, der ihnen vorgebracht wurde. Sie haben ebenfalls ihren türkischen Landleuten nicht den<br />

Rücken gekehrt. Sie arbeiten für eine Lösung, welche den Erwartungen beider Gemeinschaften<br />

entsprechen wird.<br />

Die "Nein"- Stimme im Volksentscheid sollte als ein legitimer Ausdruck der realen Befürchtungen<br />

ausgelegt werden, welche zur Ablehnung eines mangelhaften Plans führten, in dem folgendes nicht<br />

vorgesehen wurde:<br />

� Der Rückzug der fremden Truppen aus <strong>Zypern</strong> und die Eliminierung des Rechtes der fremden<br />

Mächte, einseitig auf <strong>Zypern</strong> einzugreifen.<br />

� Angemessene Garantien zur Sicherung dessen, dass die durch die Parteien eingegangenen<br />

Verpflichtungen erfüllt werden.<br />

� Ein System der Wiederherstellung des Besitzes, das die Rechte und Interessen der<br />

griechischen Zyprer wahrt, welche 1974 gezwungen waren, ihre Heimatorte zu verlassen,<br />

sowie die Regelung der Besitzentschädigung, so dass die griechischen Zyprer nicht<br />

gezwungen werden, ihre eigene Rückerstattung zu finanzieren.<br />

� Das Recht aller Zyprer, dort Besitz zu erwerben und zu wohnen, wo sie es wünschen, ohne<br />

einschränkende Quoten.<br />

� Eine funktionsfähige Regierung ohne Sackgassensituationen oder Wahleinschränkungen<br />

aufgrund der ethnischen Herkunft.<br />

Die Regierung der Republik <strong>Zypern</strong> strebt die Fortsetzung der Bemühungen um eine Lösung an, bis<br />

durch beide Parteien ein Rahmen erzielt wird, der den Befürchtungen des ganzen zyprischen Volkes<br />

entgegenkommt. Damit eine Lösung lebensfähig sein kann und der Zeitprobe standhalten kann, muss<br />

diese gerecht sein und als solche von den Menschen empfunden werden, die damit leben müssen.<br />

Die Lösung muss folglich demokratisch, gerecht, funktionsfähig, finanziell lebensfähig sein und den<br />

EU-Prinzipien, dem Völkerrecht und den demokratischen Normen, der Menschenrechtskonvention<br />

und den UN-Schlüsselresolutionen entsprechen. <strong>Zypern</strong> muss ein einheitliches Land verbleiben und<br />

volle Souveränität, territoriale Integrität und Unabhängigkeit genießen. Ebenfalls darf keine fremde<br />

Einmischung in die inneren Angelegenheiten <strong>Zypern</strong>s gestattet werden.<br />

<strong>Zypern</strong> trat am 1. Mai 2004 der EU bei, ohne jedoch sein Ziel zu erreichen, sich als ein vereintes Land<br />

der Europäischen Familie anzuschließen. Die Zyprer streben jedoch weiterhin eine lebensfähige und<br />

dauerhafte Lösung an, die sowohl den griechischen als auch den türkischen Zyprern erlauben wird,<br />

friedlich zusammenzuleben, wie sie dies im Laufe von vielen Jahrhunderten getan haben, und die<br />

Vorteile der EU-Mitgliedschaft zusammen zu genießen. In einem vereinigten Land, EU-Mitglied, wird<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 10


das zyprische Volk imstande sein, das Potential seiner kulturellen Vielfalt voll auszunutzen und sich<br />

eines Lebens in Frieden und Prosperität zu erfreuen.<br />

Die Weltgemeinschaft soll dem zyprischen Volk helfen, eine wahre Wiedervereinigung zu erzielen<br />

unter den neuen durch den EU-Beitritt <strong>Zypern</strong>s entstandenen Gegebenheiten. Der Status quo der<br />

Militärbesatzung und Teilung eines unabhängigen, souveränen Staates, EU- und UN-Mitglieds, ist<br />

völlig UNAKZEPTABEL.<br />

Das sind die Worte, die mir ins Gedächtnis greifen. Ich denke dabei, dass unsere Deutsche<br />

Bundesrepublik über drei Millionen türkischen Wirtschaftsflüchtlingen eine Heimat gegeben<br />

hat, die ihrerseits mächtigen Druck machen, dass die zu 97% in Asien befindliche, voll<br />

islamisch orientierte Türkei in die EU aufgenommen wird, ein Staat, der die nationale<br />

Minderheit der Kurden unterdrückt, <strong>Zypern</strong> besetzt hält und seine Geschichte nicht<br />

aufgearbeitet hat.<br />

Aufmerksam hörten wir Antonio zu, der uns die Probleme seines zyprischen Volkes<br />

eindringlich nahe brachte. Dann lenken wir in Dherinia um und fahren nun entlang der<br />

Demarkationslinie durch die Felder mit der roten Erde. Wir passierter Frisoulles. Die<br />

Kartoffeln werden hier dreimal im Jahr geerntet, brauchen von Saat bis zur Reife<br />

durchschnittlich nur 105 Tage!<br />

Antonio bemüht sich um persönliche Randnotizen. Er beschwört die natürliche Lebensweise<br />

seiner Jugendzeit in den Dörfern und schwärmt von den Rezepten seiner Großmutter. So hätte<br />

sie sich damals die Zähne immer mit Zitronen und Salz geputzt und sich damit das Gebiss bis<br />

ins hohe Alter erhalten! Mancher Dentist würde erblassen, wenn man ihr <strong>nach</strong>ahmte. Unsere<br />

Leute im Bus schmunzelten. Davon angetrieben, steigerte er sich noch:<br />

Auch hätte sie immer Mittelchen gegen Durchfall und Verstopfung gewusst. Gegen Durchfall<br />

wären eine Zitrone mit einem Löffel Kaffeepulver sichere Abhilfe. Eselsmilch sei ein Mittel<br />

gegen Keuchhusten. Auch Kaktusfeigen würden gegen Durchfall hilfreich sein.<br />

In seiner Kindheit hätten 11 Personen in zwei Räumen gelebt. Heute würden diese nicht für<br />

zwei Personen reichen, beklagte er das schleichende Gift der Zivilisation, schloss sich aber<br />

auch nicht davon aus. Der moderne Zyprer wohnt durchaus komfortabel.<br />

Ein Dorf auf der Demarkationslinie. Hinter primitiven Holzhäuschen lugen türkische<br />

Wachsoldaten herüber. Wir kommen an Wassermelonenfeldern vorbei. Eukalyptusbäume<br />

rahmen sie ein. Bei dem von Türken besetzten Dorf Athna verließen wir die Green Line. Hier<br />

zeigte uns Antonio die Kirche, die als Ziegenstall missbraucht wird und die armseligen<br />

verfallenden Häuser. Wieder sahen wir türkische Soldaten.<br />

Bald aber fahren wir in das zweite Tagesziel ein, das<br />

Grenzdorf Pyla, in dem Türken und Griechen friedlich<br />

nebeneinander leben. Gleichzeitig befinden wir uns in der<br />

„Sovereign Military Base“, dem schon erwähnten<br />

selbständigen militärischen Hoheitsgebiet der Engländer.<br />

Wir steigen aus. Ich sehe einen UN- Stützpunkt mit der<br />

schwarzen Nummer 149, untergebracht in einem Haus am<br />

Rande eines kleinen Platzes, sicher des ehemaligen<br />

Dorfmittelpunktes. Am Balkon hängt schlaff in der<br />

Mittagshitze die blaue Fahne mit der Friedenstaube. Der<br />

Posten beobachtet unseren Bus und unser Aussteigen ein<br />

Weilchen, dann verschwindet er im Schatten des Inneren.<br />

Ein leichter Kribble beschleicht mich. Darf ich hier<br />

fotografieren? Wir warten drüben am griechischen Rathaus,<br />

wobei ich keine direkte Grenze erkennen kann.<br />

Wir laufen hinauf zum Museum des Dorfes, ein flaches Gebäude mit roten Dachziegeln. Drei<br />

Bögen ließen einen Vorraum offen: Museum für Volkskunde. Wir gingen hinein.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 11<br />

Türkische Wachstation über Pyla


Oben auf dem Berg wehen neben der<br />

Wachstation die türkische und die<br />

nordzyprischen Flagge. Ein echt<br />

wirkender Blech- oder Pappsoldat<br />

wirkt beunruhigend und bedrohlich,<br />

<strong>nach</strong>dem ich das alles über die<br />

Besetzung gerade verdaut habe. Ich<br />

bin mit Fotografieren vorsichtig.<br />

Sehr interessant und ablenkend von dieser Problematik fand ich den Besuch des kleinen<br />

Museums, das in drei oder vier Räumen Ausstattungsgegenstände aus bäuerlicher Zeit<br />

präsentierte. Aber auch eine „guten Stube“ mit Stilmöbeln, Lefkara- Stickereien und schönen<br />

Spiegeln war eingerichtet. Den Nebenraum erfüllten ein Webstuhl und manche der für die<br />

Wolleverarbeitung wichtigen Werkzeuge. Auch eine Küche mit einigen Kesseln und Töpfen<br />

regten die Phantasie an, wie die Altvorderen hier lebten.<br />

Der folgende Spaziergang durch das Dorf<br />

begeisterte mich allein schon durch die<br />

Blütenpracht, die in den Gärten über die<br />

Zäune wucherte. Freundlich grüßte ein alter<br />

Mann herüber, der im Schatten vor seinem<br />

Hause saß. Ich freute mich an rotem Oleander<br />

vor dem tropischen Hintergrund einer<br />

Fächerpalme, und immer wieder an den weiß<br />

und purpur- lila leuchtenden Blüten der<br />

Bougainvillea, die zur Familie der<br />

Wunderblumen und Art der Nelkengewächse<br />

gehört. Rund ums Mittelmeer ist sie heute<br />

„Gute Stube“ im Dorfmuseum Pyla<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 12<br />

heimisch, diese Wunderblume und bezaubert<br />

jedes Auge.<br />

Aber auch Limetten, Orangen und Grapefruits zieren die Gärten, Kürbisse und Paradiesäpfel.<br />

Nach dem Dorfrundgang lassen wir uns in dem Kafenío 1 neben dem UN- Stützpunkt nieder,<br />

bekommen eine Tasse zyprischen Kaffee, dick, bitter und gesüßt. Auf der Terrasse spielen vier<br />

Männer Backgammon, das allseits beliebte Brettspiel, bei dem mit zwei Würfeln und Dame-<br />

Steinen gearbeitet wird. Ich habe schon mehrfach zugeguckt, es aber nie verstanden. Mit<br />

Leidenschaft geht es hier zu. Einer ist Wortführer und der Energischste, die drei anderen halten<br />

dagegen. Die Würfel rollern, die Steine scheppern, werden mit absoluter Zielsicherheit<br />

fingerfertig gegen den hohen Rand dirigiert, vor und zurück, herüber und hinüber, wie die<br />

Würfel es vorgeben. Für mich eine undurchdringliche Wissenschaft. Also muss ich mich hinter<br />

den dunklen Vorhang begeben, der es mir verschleiert. Wer besser als das wunderbare Lexikon<br />

des Internets kann mir Antwort geben? Hier ist der gelehrte Überblick:<br />

Das älteste Backgammonbrett der Geschichte wurde in<br />

der „verbrannten Stadt“ gefunden, der archäologischen<br />

Fundstelle in der iranischen Provinz Sistan und<br />

Baluchestan. Dieses Spiel ist über 5000 Jahre alt. Es ist<br />

älter als ein Brett, das Mitte der 1920er Jahre in der Stadt<br />

Ur vom britischen Archäologen Sir Leonard Woolley<br />

entdeckt wurde.<br />

Weitere Spielbretter fand man im Grab von Tutenchamun<br />

im Nil-Delta, die etwa um 1500 vor Christus entstanden<br />

sind. Viele Grabmalereien zeugen von der Beliebtheit des<br />

Brettspieles, das sowohl von den Führern als auch vom<br />

gemeinen Volk gespielt wurde.<br />

1 Kafenío, griech. Kaffeehaus


Aus dem ägyptischen Spiel Senet entwickelten später die Römer das Spiel Duodecim Scripta,<br />

welches als erster naher Verwandter zum Backgammon angesehen werden kann. Man spielte mit drei<br />

Würfeln, und es gab drei verschiedene Bezeichnungen: Alea (Würfe), Tabulae (Brett, Tisch) und Ludus<br />

duodecim scriptorum (das 12-Linien-Spiel). Bei Pompeji wurde eine zweiteilige, riesige Wandmalerei<br />

entdeckt: im ersten Bild sieht man zwei diskutierende Römer beim Spielen, im zweiten Bild den<br />

Besitzer der Herberge, der die beiden gerade gewaltsam aus seinem Haus befördert.<br />

Die römische Version, Tabula, wurde in ganz Europa eingeführt. Zuerst war es ein beliebter Zeitvertreib<br />

der Adeligen, doch allmählich setzte es sich auch in der breiten Bevölkerung durch. Die Kirche<br />

versuchte jahrzehntelang vergeblich, das Glücksspiel zu verhindern.<br />

Trotz der Beliebtheit des 12-Linien-Spieles im großen römischen<br />

Reich dauerte es bis zu den Kreuzzügen, bis das Spiel auch im<br />

restlichen Europa richtig bekannt wurde. Im Mittelalter wurde es<br />

unter anderem als „Nard“ (Persisch), „Plakoto“, „Tric Trac“,<br />

„Puff“, „Tables“ etc. bezeichnet; man spielte nun mit zwei<br />

Würfeln. Im Mittelalter wurde eine Version namens Wurfzabel<br />

gespielt, die als direkter Vorgänger des heutigen Backgammons<br />

Wurfzabelspieler (13. Jahrhundert)<br />

gilt.<br />

Doch nirgendwo in der westlichen Welt wurde schon so früh und so intensiv Backgammon gespielt wie<br />

in England. Laut mündlichen Überlieferungen hatte König Löwenherz mit der Spielleidenschaft seiner<br />

Soldaten seine liebe Not. Es gab einen Erlass, dass niemand, der von geringerem Stand als ein Ritter<br />

war, um Geld würfeln durfte.<br />

Der Name Backgammon wurde im Jahr 1645 erstmals verzeichnet und bezeichnet das<br />

Wiedereinsetzen geschlagener Spielsteine in das Brett. Der englische Spielebeschreiber Edmond<br />

Hoyle kodifizierte die Regeln etwa im Jahre 1743.<br />

Die letzte entscheidende Veränderung war die Einführung des Verdoppelungswürfels. In den 1920er<br />

Jahren wurde in einem New Yorker Spielclub das Doppeln erfunden, was einerseits sehr die Erhöhung<br />

der Spannung und andererseits eine Einschränkung des Faktors Glück bewirkte.<br />

Die Regeln des modernen Backgammon stammen vom Card and Backgammon Committee des New<br />

Yorker Racquet and Tennis Club aus dem Jahre 1931…<br />

Mehr müssen wir nicht wissen. An den Regeln will ich mich jetzt nicht vergreifen. Nach<br />

welchen Regeln hier auf dieser Terrasse gespielt wurde, weiß nur der Eingeweihte.<br />

Leidenschaft war zu spüren. Die jetzt am Vormittag aufsteigende Hitze machte den rauchenden<br />

Männern mit den wettergegerbten Gesichtern scheinbar nichts aus. Ich schaute noch eine Weile<br />

fasziniert zu, begann mich aber zu langweilen, da ich nicht beurteilen konnte, wem das<br />

Spielglück sich gnädig neigte, oder ob einer der Spieler besonders gut war. Ich glaube, immer<br />

dort wo Würfel im Spiel sind, treten Fähigkeiten zurück, und das ist nichts für mich.<br />

Ich ging in den nahen Markt Wasser kaufen, versuchte meine zehn Worte Griechisch<br />

einzusetzen. Wortlos hätte auch genügt. Im Laden war nichts los, eine Frau nahm mir das Geld<br />

ab. Inzwischen hatten alle im Kafenío ihren Kaffee getrunken, mit oder ohne Zucker. Antonio<br />

blies zum Aufbruch. Weiter.<br />

IV. Larnaca<br />

ächste Station ist Larnaca, mit heute 80 000 Einwohnern die drittgrößte Stadt <strong>Zypern</strong>s.<br />

Sie liegt auf den Ruinen des antiken Stadtkönigreiches Kítion. Ihr Name deutet auf die<br />

vielen Sarkophage 2 N<br />

, die hier gefunden wurden und stammt aus dem 17. Jahrhundert.<br />

Nach der türkischen Invasion 1974 und dem Verlust des Hafens von Famagusta erlebte<br />

Larnaca mit dem Ausbau des Exporthafens neuen Aufschwung, obwohl die Stadt kein<br />

Hafenbecken für größere Seeschiffe besitzt. Larnaca wurde zur Drehscheibe im Nahostverkehr.<br />

Tausende von Bürgerkriegsflüchtlingen kamen aus dem Libanon, eine neue Welle schon<br />

wieder <strong>nach</strong> der israelischen Libanon- Invasion im Juli 2006. Neue Siedlungen entstanden. Die<br />

Wirtschaft boomte und prägte, besser verunzierte das Stadtbild mit modernen<br />

Geschäftshäusern und großflächiger Werbung für Tod und Teufel. Einzig eine mit Palmen<br />

bestandene Seepromenade gab der Stadt ein wenig touristisches Flair. Wir befuhren die<br />

2 Sarkophag = griech. Λάρναξ Lárnax<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 13


kilometerlange Uferstraße. Rechts diese Reihe überhoher Dattelpalmen, links dann immer der<br />

Blick übers blaue Meer, wo weit draußen eionige Schiffe auf Reede lagen.<br />

Im Fluge erhaschte ich einen Klick auf das Denkmal mit<br />

der goldglänzenden Büste von Kimon, dem Athener<br />

General, der 450 vor Christi eine Flotte mit 200<br />

Dreimastern anführte, um <strong>Zypern</strong> von den Persern zu<br />

befreien. Er starb während der Belagerung von Kítion.<br />

Diesen Befreiungsakt nahm Antonio zum Anlass, ein<br />

wenig in der Geschichte Larnacas zu blättern.<br />

Um ganz früh anzufangen: Schon im 1. Buch Moses, der<br />

Genesis, wird eine Stadt Kittim erwähnt, die von einem<br />

Enkel Noahs gegründet worden sein soll. Funde aus dem<br />

143. und 13. Jh. vor Chr. lassen darauf schließen, dass<br />

hier schon rege Kupfer verarbeitet und ebenso<br />

schwunghafter Handel betrieben wurde. Ende des 13. Jh.<br />

besiedelten die griechischen Achäer das Stadtgebiet. Im<br />

11. Jh. richtete ein Erdbeben großen Schaden an.<br />

Phönizische Siedler übernahmen um 800 v. Chr. die<br />

zerstörte Stadt. Sie bauten die Heiligtümer wieder auf und<br />

errichteten einen großen Astarte- Tempel 3 .<br />

Die Phönizier begründeten hier im 9. Jahrhundert vor Chr. ein mächtiges Königreich. In Kítion<br />

erblickte der berühmte Philosoph Zeno 4 das Licht der Welt. Er begründete die Schule der<br />

Stoiker.<br />

Hier <strong>nach</strong> Kítion kam der Heilige Lazarus <strong>nach</strong> seiner Wiedererweckung durch Christus.<br />

Dieser Märtyrer soll in seinem zweiten Leben von den Juden in einem Segelboot ausgesetzt<br />

und in Kítion an Land getrieben sein. Lazarus wurde erster Bischof der Stadt.<br />

12. Jahrhundert befestigte die Mykener die Stadt mit riesigen Mauern. Im Mittelalter war die<br />

Stadt ein bedeutender Einschiffungshafen für Kreuzritter und Pilger.<br />

Wir bogen rechts in die Altstadt ein und<br />

hielten an der Plateia Agiou Lazarou,<br />

verließen mitten durch den heftig fließenden<br />

Verkehr den Bus und hatten bald die schönste<br />

Ansicht von der Lazaruskirche. Der Agios<br />

Lazaros, wie der Heilige Lazarus auf<br />

Griechisch heißt, soll noch 30 Jahre in Kítion<br />

gelebt haben. Im 9. Jahrhundert wurde über<br />

seinem Grab von Kaiser Leo VI. eine Kirche<br />

in byzantinischer Architektur errichtet. Im 17.<br />

Jahrhundert wurde sie originalgetreu<br />

restauriert.<br />

Im 19. Jahrhundert erhielt sie einen Glockenturm im neoromanischen Stil und eine Loggia<br />

längs der Südseite. Wir treten in den Schatten der Loggia, die sicher die Funktion eines<br />

Kreuzganges wahrnahm, denn die Kirche wurde bis ins 20. Jahrhundert als Kloster genutzt.<br />

Eine prachtvolle Ikonostasis 5 aus dem 18. Jahrhundert lässt mich erstaunen.<br />

3<br />

Astarte, [griechisch], hebräisch Aschtoret, aramäisch Attar, westsemitische Göttin der Fruchtbarkeit und der<br />

Liebe.<br />

4<br />

Zenon, Zeno, Zenon der Jüngere, aus Kition (<strong>Zypern</strong>), griechischer Philosoph, * um 336 v. Chr., † 264 v. Chr.;<br />

Begründer der Stoa. Von seinen Schriften sind nur Bruchstücke erhalten; er soll sich das Leben genommen<br />

haben. Stoa [die; griechisch], ist eine um 300 v. Chr. von Zenon dem Jüngeren aus Kition gegründete<br />

philosophische Schulrichtung, benannt <strong>nach</strong> dem Lehrort, der Stoa poikile in Athen.<br />

5<br />

Ikonostase, [die; griechisch], in den Ostkirchen die Bilderwand, die Altarraum und Kirchenraum trennt; unter<br />

den Ikonen der Ikonostase, oft in mehreren Reihen übereinander, befinden sich immer eine Christus- und eine<br />

Marienikone.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 14<br />

Larnaca, Seepromenade, Büste von Kimon


Selten bin ich in griechisch- orthodoxen 6 Kirchen gewesen. Sie verehren neben Christus in<br />

einer besonderen Liturgie auch zahlreiche Heilige. Der Altarraum ist durch eben diese<br />

Ikonostase und eine Klapptür von dem übrigen Kircheraum getrennt und darf nur vom Priester<br />

betreten werden. Gleich im Mittelgang, zu dem einige Stufen hinab führten, steht hinter Glas<br />

die Ikone des heiligen Lazarus, dessen Bild einige Gläubige mit Kniefall und Bekreuzigung<br />

ehrfürchtig küssten. Ich versuche, auf einigen Ikonen, die auf einem Wandbord lehnen, die<br />

Buchstaben im alten Griechisch zu enträtseln, um hinter ihren Namen zu kommen. Sehr<br />

schwierig bis unmöglich.<br />

Rechts ist das Bildnis<br />

der Heiligen Katharina,<br />

die als Schutzpatronin<br />

des Klosters auf Sinai<br />

gilt. In der Mitte, das ist<br />

sicher die Gottesmutter<br />

und links eine der<br />

vielen Schutzheiligen.<br />

Wundervolle Leuchter<br />

schmückten den<br />

dreischiffigen<br />

Innenraum. Viel Gold<br />

ist aufgewendet.<br />

Rechts der Ikonostasis führt eine Treppe zur<br />

dunklen Grabkammer hinunter, wo mehrere<br />

Sarkophage zu sehen sind. Räucherkessel<br />

hängen von der niedrigen Decke herab. Ich<br />

muss gebückt stehen. Es ist eng, feuchtheiß<br />

und riecht muffig hier unten. Vor dem<br />

Sarkophag warten Gläubige, dass wir sie in<br />

ihrer Andacht allein lassen. Vielleicht hatten<br />

sie einen weiten Weg hierher. Nun müssen sie<br />

ihr Gebet von neugierigen und nicht allzu<br />

rücksichtsvollen Touristen stören lassen. Wir<br />

warten, dass sie uns Gelegenheit lassen zu<br />

fotografieren. Beiden ist es gleichermaßen<br />

unangenehm. Demjenigen Mitreisenden, den<br />

ich den „Menschenjäger“ nenne, reißt die<br />

Geduld. Er nimmt die andächtige Gruppe voll<br />

aufs Korn und schießt seine Bilder. Ich wende<br />

mich angewidert ab. „Das gehört in jedes<br />

Fotoalbum“, sagte er einmal. Ich beobachtete<br />

später, dass er ohne Zartgefühl oder Kenntnis<br />

der Traditionen sich an Frauen wandte- er<br />

konnte kein Wort dieser Sprache, ob englisch<br />

oder griechisch, quatschte sie an, stellte sie<br />

sich an einer Wand zurecht und knipste sie.<br />

Dann bedienerte er sich mehrmals, gab aber auch kein Geld, was das wenigste gewesen wäre,<br />

und schleimte sich rücklings davon. Kein Wunder, dass die Einheimischen im Orient die<br />

Touristen als Geschmeiß betrachten, noch dazu wenn sie „ungläubig“ sind.<br />

6 orthodoxe Kirchen, die aus der byzantinischen Kirche hervorgegangenen Kirchen, deren Bekenntnisgrundlage<br />

Bibel und Tradition sind. Die Tradition ist fixiert durch die Beschlüsse der ersten 7 ökumenischen Konzilien (1.<br />

Nicäa 325 bis 7. Nicäa 787); sie ist ferner durch die Lehren der Kirchenväter, die Aussagen im reichen<br />

liturgischen Gut und durch spätere wichtige Synoden bestimmt (1642 Jassy [Rumänien], 1670 Jerusalem). Die<br />

Feier der „göttlichen Liturgie“, die 7 Sakramente, der Vollzug von Sakramentalien (Weihehandlungen), die<br />

Verehrung der Ikonen, Gebete und Hymnen nehmen im Leben der orthodoxen Kirchen einen breiten Raum ein.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 15


Wir blickten uns in dem mit unverputzten groben Steinen überwölbten Kirchenraum um. Auf<br />

den Kirchenbänken fand ich die seltsame Aufschrift „ΘΕΣΕΙΣ ΑΝΔΡΩΝ“(theseis andron). Ich<br />

fragte Antonio. „Nur für Männer“, antwortete er lakonisch, wobei das griechische Wort θεσι<br />

(théssi) so viel wie Sitz oder Platz bedeutet. Die Frauen müssen also hinten oder in bestimmten<br />

Bereichen sitzen. An den Wänden hingen Heiligenbilder. Bekrönte verschnörkelte Baldachine,<br />

mit viel Gold überzogenes Zierwerk, überdachen die Opferstöcke für brennende Kerze,<br />

Reliquien oder Andachtsbilder für den Hausheiligen Lazarus. Seine Ikone wird acht Tage vor<br />

dem Osterfest, das <strong>nach</strong> dem alten Julianischen Kalender jeweils am ersten Sonntag <strong>nach</strong> dem<br />

ersten Vollmond <strong>nach</strong> dem Frühlingsanfang gefeiert wird, durch die Stadt getragen.<br />

Wir sammelten uns zu einem Gang durch die Altstadt in Richtung Meer. Wenn ich mir heute<br />

den Stadtplan von Larnaca hernehme, schäme ich mich ein wenig des <strong>Reise</strong>leiters, weil er uns<br />

von dieser Stadt so wenig gezeigt und von ihr nichts weiter erwähnt hat als die Kirche Agios<br />

Lazaros und den Strand.<br />

Dabei gibt es weiter hinten am Strand ein türkisches Kastell, in der Altstadt eine Markthalle,<br />

dann einen schönen Stadtpark, mehrere Museen, Ausgrabungen des antiken Kition, eine<br />

Marmorstatue des Zenon von Kition…<br />

Wir hatten eine halbe Stunde Freizeit, doch ohne Anleitung war das Risiko zu groß, weite<br />

Wege zu gehen, ohne Entfernungen zu kennen. Ich verschwand mit Martina in einem<br />

Andenkengeschäft. Sie suchte eine Kette für sich und konnte sich lange nicht entschließen, bis<br />

ich ihr wieder mit einem Machtwort helfen musste.<br />

Am breiten Strand beeindruckte mich das<br />

von den Wellen vielfach gebrochene Licht<br />

des Wassers. Am Himmel hingen hohe<br />

Schleierwolken, die Sonne brannte<br />

ungehindert. Lange Reihen Liegen mit<br />

blauen Bezügen und blau gestreifte<br />

Sonnenschirme und warben um<br />

Badepublikum, das jetzt in der Nachsaison<br />

nicht mehr so zahlreich war.<br />

Der Sand ist schmutzig und wie hartgewalzt.<br />

Unser Bus kommt. Wir bleiben in der Nähe von Larnaca und fahren in der Nähe des<br />

Flughafens zu einer 3 km entfernten grünen Oase an dem so genannten „Großen Salzsee“, der<br />

jetzt seinem Namen nicht gerecht wird, ganz einfach weil er kein Wasser hat und im Laufe des<br />

langen Sommers ausgetrocknet ist. Unser Ziel ist eine Grabmoschee der Hala Sultan 7 Strand von Larnaca<br />

mit<br />

dem Zunamen Tekke, der im Türkischen so viel wie klösterliche Anlage bedeutet.<br />

Eine Moschee zu betreten war für uns beide nicht neu. Jedes islamische Gotteshaus hat jedoch<br />

etwas Besonderes, so auch diese Moschee. Man erzählt sich, besser es wird von den Gläubigen<br />

als Tatsache verehrt, dass hier die mutmaßliche Pflegemutter oder Tante des Propheten<br />

Mohammed oder mindestens die Tante eines engen Vertrauten Mohammeds begraben ist.<br />

Chala Sultan war die Frau des Statthalters von Palästina, kam während des Eroberungszuges<br />

647 n. Chr. im Gefolge des Sultans auf die Insel. Ein unglücklicher Zufall brachte sie ins<br />

Jenseits. Hier an dieser Stelle, wo die Moschee heute steht, stürzte sie vom Maultier zu Tode.<br />

Während der Türkenherrschaft mussten alle vorbeifahrenden türkischen Schiffe ihr zu Ehren<br />

die Flagge senken. Die heutige Moschee, die das Grab der Chala Sultan umschließt, stiftete<br />

1816 der damalige türkische Gouverneur Seyyit Emir Effendi. Soweit die Vergangenheit.<br />

Heute zählt diese Moschee neben Mekka und Medina zu den wichtigsten Pilgerstätten des<br />

Islam.<br />

7<br />

Hala Sultan, auf Griechisch Chala Sultan, auf Arabisch Umm Haram<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 16


Ein sonnenüberfluteter Innenhof wird von sorgfältig bewässertem Grün geziert. Eine Katze<br />

räkelt sich faul auf den warmen Fliesen im Schatten. Der Reinigungsbrunnen ist ein kleines<br />

Bauwerk für sich. Acht Säulen tragen ein im Grundriss achteckiges Dach, in seinem Schatten<br />

wartet ein geometrisch ebenso angelegter Brunnen mit acht Wasserhähnen auf die Gläubigen,<br />

dass sie sich zum Gebet reinigen.<br />

Nachdem wir die Schuhe ausgezogen<br />

haben, betreten wir das Innere. Es ist<br />

karg ausgestattet. Die Minbar, die<br />

Gebetskanzel, ragt von Osten her in<br />

den Raum, der voll mit bunt<br />

gewürfelten Teppichen ausgelegt ist.<br />

Wahrscheinlich sind sie von den<br />

Gläubigen gespendet und im Laufe der<br />

Zeit zusammengetragen worden. Das<br />

Mittagslicht wirft freundliches Licht<br />

herein. In der Ecke macht sich ein<br />

Aufpasser zu schaffen, der über den<br />

heiligen Ort wacht.<br />

Neben der <strong>nach</strong> Mekka ausgerichteten Gebetsnische führt ein Gang in die Grabkammer. Das<br />

im Dunkel fast verborgene Grab hinter einem Eisengitter wird von einem Monolithen, der auf<br />

zwei Stützen ruht, überwölbt. Auch hier sagt eine Legende, dass am Todestag der Umm Haram<br />

dieser Stein von Mekka <strong>nach</strong> <strong>Zypern</strong> flog und eine Zeit lang über dem Sarg schwebte. Um die<br />

Trauernden nicht zu gefährden, baute man diese Stützen unter.<br />

Eine andere Legende erzählt, dass sich<br />

drei Steine am Vorabend ihres Todes aus<br />

Jerusalem lösten und durch das Meer <strong>nach</strong><br />

<strong>Zypern</strong> schwammen. Nach einer anderen<br />

Sage soll ein Engel den Stein von Sinai<br />

hierher gebracht haben.<br />

In einem Nebenraum stehen Sarkophage<br />

islamischer Prominenter, unter anderem<br />

der der Urgroßmutter des Königs Abdullah<br />

von Jordanien. Die Stufe zu der etwas<br />

tiefer gelegenen Fläche ist mit einem sehr<br />

schönen grünen Teppich belegt.<br />

Sarkophage islamischer Prominenter<br />

Im griechisch- orthodoxen Süden <strong>Zypern</strong>s sind Moscheen eher selten.<br />

Später fanden wir eine Moschee in Paphos verwaist und unbenutzt. Ist es<br />

eine Trotzreaktion der Zyprer auf die türkische Besetzung? Ich erfahre es<br />

nicht.<br />

Schöne Motive suchend, bummle ich der <strong>Reise</strong>gesellschaft hinterher und<br />

steige als Letzter in den Bus, halt- <strong>nach</strong> mir kam der „Menschenjäger“, der<br />

immer ein wenig vor mir dastand, wenn ich mir einen guten Standort zum<br />

Fotografieren ausgesucht hatte und verbaute mir die Sicht. Ich gestehe ihm<br />

zu, dass er die Dinge mit „meinem Blick“ sah.<br />

Wir fuhren gar nicht lange, nur wenige Minuten und hielten an einem<br />

trockenen, staubigen Platz am Rande des jetzt völlig ausgetrockneten<br />

Salzsees, der als Picknick- Gelände sicher von vielen Einheimischen und<br />

Anderen <strong>Reise</strong>gruppen genutzt wird. Antonio und Carina Latta, unsere<br />

<strong>Reise</strong>begleiterin, packten jetzt Kisten aus, ich bekam einen Ballon Wein in<br />

die Hand. Sie schleppten Plastikbeutel mit Brot und Gemüsekisten und<br />

anderes, was eben an Werkzeug zum Essen im Freien benötigt wird.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 17


Die hölzernen Tische und Bänke standen nicht sehr günstig in einigem Abstand, so dass den<br />

besseren Platz fand, wer zuerst kam und die Gruppe recht verteilt saß. Nicht jeder fand<br />

Schatten. Außerdem blies ein heftiger böiger Wind, der laufend die Servietten, Pappteller und<br />

–becher in die Luft wirbelte. Ab und an stieg in unmittelbarer Nähe über der Fläche des<br />

Salzsees ein Flugzeug auf oder setzte zur Landung an. Antonio erklärte, dass <strong>nach</strong> der Invasion<br />

1974 der Flughafen Larnaca eingerichtet wurde, sehr zu ungunsten des Salzsees, der durch<br />

herabsinkende Kerosinrückstände derart verschmutzt wird, dass die Zugvögel, vor allen die<br />

Flamingos, die ihn im Winter auf ihrem Vogelzug <strong>nach</strong> Afrika als Zwischenstation aufsuchen,<br />

sehr darunter leiden.<br />

Was aber Antonio auftischte, was er<br />

unermüdlich aufschnitt, weiterreichte, anbot,<br />

das war enorm und wohlschmeckend. Er<br />

schälte die würzigen Gemüsezwiebeln,<br />

zerteilte grüne und rote Paprika, Tomaten,<br />

Zucchinis, Gurken. Er schenkte roten und<br />

weißen Wein aus. Er schnitt frisches<br />

schmackhaftes Brot auf. Dazu schälte er<br />

harte Würste aus der Pelle und verteilte die<br />

Scheiben freigebig. Der Wein stimmte alle<br />

lustig und froh. Wir fanden den windigen<br />

und staubigen Platz weniger windig und<br />

weniger staubig, obwohl manche in der<br />

knallen Sonne sitzen mussten.<br />

Picknick am Großen Salzsee bei Larnaca<br />

Dafür konnte Antonio aber nichts, und wir fanden die kleine Schlemmerei alle recht gelungen.<br />

Der Große Salzsee ist eine riesige öde Fläche. Gerade wurde ein Fußweg angelegt für die<br />

Pilger zur Moschee. Der Salzsee liegt bis zu 2 m unter dem Meeresspiegel. So sickert im<br />

Winterhalbjahr Meerwasser durch die Dünen in die Senke, das bis August verdunstet und eine<br />

bis zu 3 cm dicke Salzkruste bildet, die schon in der Antike geschürft wurde. Bis zu Beginn des<br />

20. Jahrhunderts war das Salz ein wichtiges Exportgut. Durch die zunehmende<br />

Luftverschmutzung durch den Flughafen wird seit 1992 kein Salz mehr abgebaut.<br />

Auf Wunsch einiger Passagiere, dem ich mich auch anschloss, wollten wir die nahe bei<br />

Larnaca gelegene Kirche in Kíti sehen. Wir intervenierten und überredeten Antonio. Kíti liegt<br />

nur 11 km südwestlich von Larnaca. Ein Katzensprung. Die Kirche Panagía Angelóktistos 8<br />

gehört zum Weltkulturerbe. Sie enthält in ihrer Apsis das bedeutendste frühchristliche Mosaik<br />

der Insel. Neben der Lage von Kíti sieht man auf der Karte deutlich die sumpfigen Gebiete und<br />

8<br />

Panagía Angelóktistos = …von den Engeln erbaut<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 18<br />

den Großen Salzsee.<br />

Als wir durch eine von blühenden<br />

Büschen gesäumte Mauer in eine Art<br />

Vorhof traten, machte die kleine<br />

Kirche von Kíti genau den Eindruck,<br />

den sie auch darstellte, den eine<br />

Dorfkirche. Wir dürfen drinnen nicht<br />

fotografieren, ermahnte uns Antonio.<br />

Schade. Ein alter Mann in weltlicher<br />

Kleidung passte auf uns auf, als wir<br />

in den dunklen dreischiffigen Raum<br />

hineingingen, der sehr nüchtern<br />

ausgestattet ist.<br />

Die Schiffe werden durch sechs mächtig wirkende rechteckig gemauerte Säulen getrennt, die<br />

vielleicht 1,70 m dick sind. Seitlich führen Türöffnungen in Seitenkapellen.


Wir wenden uns zum Chor, zu dem wieder eine Ikonostase den direkten Blick verstellt.<br />

Wir dürfen das Heiligste blicken, das<br />

Mosaik. Der linke Erzengel Michael ist<br />

übertüncht, die Mosaiksteine fehlen, der<br />

rechte dagegen, der Erzengel Gabriel zur<br />

Linken der Gottesmutter ist wunderbar<br />

erhalten.<br />

Kíti, Panagía Angelóktistos, Mosaik des Apsisgewölbes<br />

im Altarraum: Gottesmutter mit Christuskind und<br />

Erzengel<br />

Und nun muss ich mir aber klar machen, wie alt<br />

dieses Mosaikbild ist. Die Ikonografen und anderen<br />

Theologen sind sich heute weitgehend einig. Man<br />

muss versuchen, sein Alter in der Kirchengeschichte<br />

zu suchen. Immer ist die Suche <strong>nach</strong> der Herkunft mit<br />

Geschichte und Geschichten verbunden. Da ist<br />

zunächst der Ursprung der Siedlung Kíti. Ihre<br />

Gründung muss wohl eine Folge eines Erdbebens und<br />

einer langen Dürre im 4. Jh. gewesen sein, so dass die<br />

Bewohner der antiken Siedlung Kition einen neuen<br />

Erzengel Gabriel<br />

Platz gesucht haben und hier an dieser Stelle<br />

fruchtbaren Boden fanden.<br />

Wir machen einen großen Sprung, weil da die Geschehnisse besser bekannt sind. Im Jahre<br />

1191 eroberte Richard Löwenherz, der englische König, auf seinem Kreuzzug die Insel<br />

<strong>Zypern</strong>, die unter der Macht eines gewissen Isaak stand, der sich Kaiser nannte und mit Saladin<br />

sympathisierte. Kíti wird urkundlich 1196 das erste Mal erwähnt, in einer Liste von Dörfern,<br />

die dem lateinischen Bistum Nikosia den Zehnten abliefern mussten. Möglicherweise war Kíti<br />

einst der Sitz des Bistums von Kition für eine gewisse Zeit…<br />

Der zweite Aspekt der Umsiedlung von Kition <strong>nach</strong> Kíti ist die Sicherheit, die die Einwohner<br />

vor den Überfällen der Araber fürchteten. Die Legende berichtet nun, dass sie begannen eine<br />

Kirche zu bauen. Nach Beginn der Arbeiten stellte man fest, dass die Grundmauern der Kirche<br />

an anderer Stelle sich befanden. Als dort weiter gebaut wurde, sah man <strong>nach</strong>ts Scharen von<br />

Engeln die Kirche errichten. Daher rührt der Beiname „von Engeln erbaut“ (Angeloktisti).<br />

Die Kirche, die wir heute besuchen, ist ein Bau des 11. und 12. Jahrhunderts. Ursprünglich<br />

entstand ein Kreuzkuppelbau, wie wir ihn dann noch oft auf der Insel sahen. Die nördliche<br />

Kapelle für die heilkundigen Heiligen Kosmas und Damian wurde wahrscheinlich in Zeiten der<br />

Pest im 13. Jahrhundert angebaut. Vielleicht war sie einmal eine Totenkapelle. Ich konnte nur<br />

noch eine Darstellung des Heiligen Georg erkennen. Es gibt Übermalungen und Putzschäden.<br />

Und der südliche Vorbau, durch den wir hereinkamen, war eine gotische Kapelle, wie sie den<br />

religiösen Wünschen der neuen fränkischen Herrscher entsprach.<br />

Einem im Andenkenladen gekauften Heft entnahm ich letztendlich das erstaunliche Alter von<br />

etwa 1430 Jahren. Man nimmt an, dass die Herstellung dieses Mosaiks in das letzte Viertel des<br />

6. Jahrhunderts, das heißt <strong>nach</strong> der Ära Justinians, etwa in die Regierungszeit des<br />

byzantinischen Kaisers Maurikios (562 – 602 n. Chr.) fällt. Damit ist dieses Mosaik, da es ja<br />

mit der Bauhülle verbunden ist, das älteste bauliche Zeugnis der christlichen Kunst, das ich<br />

kenne. Nun wird mir auch die Bedeutung dieser Kirche als UNESCO- Weltkulturerbe klar.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 19


Ich umrunde die Kirche, finde einen Brunnen<br />

unter einem ganz alten Baum, der sicher schon<br />

hundert Jahre dort Schatten spendet. Der Brunnen<br />

scheint noch in Betrieb zu sein. Er ist sauber<br />

abgedeckt und mit einer sinnvollen Aufzugsspule<br />

versehen. Ein steinerner Waschtrog daneben<br />

ergänzt das Ensemble. Mein Auge freut sich an<br />

wundervollen Blüten an den Büschen ringsum.<br />

Wir sitzen noch ein Weilchen auf einer Bank und<br />

genießen die abgeschiedene Ruhe dieses Ortes.<br />

Ein Kirchenmann in langem schwarzem Gewand<br />

sitzt an einem viereckigen Tisch und spricht mit<br />

Antonio. Carina setzt sich dazu.<br />

Kíti, Brunnen an der Panagia Angeloktistos<br />

Er strahlt eine wunderbare Abgeklärtheit aus. Wer weiß, was ihm<br />

Antonio erzählt hat. Ich kaufe im Kirchenladen das bewusste<br />

Heft über die Kirche, weil ich ohne nähere Informationen über<br />

dieses Mosaik nicht hinweggehen wollte. Ich erfahre, dass die<br />

alten Bäume Terpentin- Pistazien und über 300 Jahre alt sind, aus<br />

deren Rinde man früher wohlriechendes Terpentin gewann.<br />

Außerdem seien ihre Früchte essbar. Weiter interessant ist, dass<br />

die gotische Kapelle am Anfang des 20. Jh. als Grundschule des<br />

Dorfes genutzt wurde. Das zeigt, wie eng verzahnt damals<br />

Kirche und Welt im kleinsten Siedlungsraum waren. Es gibt auch<br />

dort noch eine kleine Sammlung wertvoller weil alter Ikonen, die<br />

in einer Sakristei aufbewahrt werden. Sie wurde uns nicht<br />

gezeigt. Wusste es Antonio nicht oder hielt er uns für<br />

interesselos? Ich will ihm Zeitdruck unterstellen.<br />

Nun, dieser Besuch hier war kein offizieller Programmpunkt. Wenn ich mich recht besinne, ist<br />

die Begegnung mit solchen Bildern im Mittelpunkt ihres „Wirkens“, also in der Kirche, neu.<br />

Die Kunst der Ikonenmalerei ist primär eine theologisch- liturgische Kunst, die den Gläubigen<br />

zum Verständnis und Erleben der kirchlichen Sakramente der orthodoxen Kirche führen soll,<br />

ähnlich der Malerei, Bildhauerkunst und Plastik der katholischen Kirchen bei uns in Europa.<br />

Ein Beispiel mag eine der schönsten Ikonen dieser Kirche<br />

sein, die den Erzengel Michael darstellt. Es zeigt ihn in<br />

kaiserlichem Chiton 9 , mit Edelsteinen und Medaillons<br />

mit Kreuzen in Rot und Gold geschmückt; das Zepter<br />

deutet seine göttliche Herrschaft, das Medaillon mit dem<br />

Evangelium Christi in der Linken auf seine Botschaft für<br />

die Menschen. Das vergeistigte Antlitz ist vom<br />

Heiligenschein umstrahlt. Wie überirdisch muss das<br />

früher auf die einfachen Menschen gewirkt haben! Wenn<br />

ich mich im Nachhinein damit beschäftige, tut es mir<br />

aufrichtig leid, dass uns vor Ort kunsterfahrene Führer<br />

nicht mehr gezeigt haben. Diese Ikonen sind zwar Mittler<br />

des Glaubens. Sie geben andererseits auch Einblick in das<br />

Denken und Fühlen vergangener Generationen und sind<br />

Blickfenster in die Vergangenheit. Die meisten Leute<br />

gehen an diesen Fenstern vorbei. Es weist sie keiner<br />

darauf hin, und sie haben nicht sehen gelernt.<br />

9<br />

Chiton, [çi'to:n; der; griechisch], griechisches Kleidungsstück in Form eines knie- oder fußlangen<br />

Hemdgewands aus einem Stück, mit Naht an der rechten Seite und auf den Schultern durch eine Fibel<br />

zusammengehalten. Ursprünglich nur von Männern getragen.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 20


Ich werde an anderer Stelle noch auf Ikonen zurückkommen. Es sollte sogar noch am heutigen<br />

Tage sein.<br />

V. Agia Napa<br />

egen 15.30 Uhr fahren wir weiter. Letzte Station des Tages: Agia Napa. Dort wenden<br />

wir uns gleich <strong>nach</strong> dem Ausstieg zu dem Kloster, das dem heutigen Bade- und<br />

Erlebnisort seinen Namen gab. Es liegt 40 km östlich von Larnaca in einer Bucht im<br />

G<br />

äußersten Südosten <strong>Zypern</strong>s, unweit unseres ersten Unterkunftsortes Protaras.<br />

Agia Napa hat sich in den letzten Jahren von einem einsamen Fischerort zu einer<br />

Touristenhochburg im zyprischen Osten entwickelt. Jetzt in der Nachsaison ist alles<br />

vereinsamt. Nur noch spärlich sehen wir Touristen in den sich kreuzenden Hauptstraßen, wo<br />

wir halten. Viele Lokale haben geschlossen. Es lohnt nicht mehr so recht. Wir beschäftigen uns<br />

nicht mit diesem Sektor des Tourismus. Wir wandeln auf religiösen Pfaden.<br />

Das Kloster befindet sich im gleichnamigen Dorf im Bezirk Ammochostos. Der Name des<br />

Gebietes rührt von einer Ikone „Jungfrau Maria von Napa“, was „Heilige des Waldes“ oder<br />

kurz Agia Napa bedeutet.<br />

Das Kloster Agia Napa ist dieser „heiligen<br />

Mutter vom Walde“ geweiht Wieder muss eine<br />

traditionelle Legende den Namen deuten:<br />

Da<strong>nach</strong> wurde in der Höhle, die später zur<br />

Kirche umgebaut wurde, von einem Jäger diese<br />

Marien- Ikone gefunden. Es war der Hund des<br />

Jägers, der das gleißende Bildnis der Jungfrau<br />

zuerst zu sehen bekam und sofort beharrlich zu<br />

bellen anfing, um seinen Herrn zu rufen. Die<br />

Höhle, ein Versteck und gleichzeitig Lager<br />

zeugen von einer christlichen Gemeinde in der<br />

byzantinischen Zeit. Das Gebiet bekam den<br />

Namen jedenfalls noch vor dem Jahr 1366.<br />

Agia Napa, Höhlenkirche<br />

Im 14. Jahrhundert wurde ein Teil der Höhle aus- und zu einer Kirche umgebaut.<br />

Nichtsdestoweniger ist das Kloster ein Bau, laut einer Inschrift 1530, aus dem 16.<br />

Jahrhundert, als <strong>Zypern</strong> unter der venezianischen Herrschaft stand. Um diese Grotte herum ist<br />

das Kloster entstanden. Von der Gründung des Klosters sind keine genauen Daten bekannt. In<br />

dieser Grotte wurden die ersten Gottesdienste abgehalten. Nach Bekanntwerden dieses<br />

Ereignisses begannen sehr schnell Gläubige den heiligen Ort aufzusuchen. Die Ikone wurde<br />

sehr wahrscheinlich in der Höhle während des Bildersturmes im 7. und 8. Jahrhundert dort<br />

verborgen und somit vor der Zerstörung gerettet.<br />

Eine weitere Legende erzählt, dass die Tochter einer venezianischen Adelsfamilie hier gegen<br />

den Starrsinn ihrer Familie Unterschlupf suchte, weil diese die Heirat mit einem<br />

Nichtadeligen ablehnte. Es wird gesagt, dass diese wohl vermögende Venezianerin später die<br />

Kirche, die Klosterzellen und eine Getreidemühle auf eigene Kosten erbauen ließ. Die<br />

Getreidemühle wurde wahrscheinlich später während der Türkenherrschaft gebaut.<br />

Nach und <strong>nach</strong> wurden eine römische Kapelle und ein Nonnenkloster hinzugefügt. Das rechte<br />

Seitenschiff der Kirche, direkt hinter dem Eingang, hatte die Funktion der römischen Kapelle.<br />

Der Klosterbereich ist von einer hohen und dicken Mauer umstanden, vor der wir zunächst<br />

einen riesigen uralten Sykomorenbaum 10 bestaunten, der neben einem Teich sein schützendes<br />

Dach ausbreitete. Seine mächtigen Äste stützte eine starke Eisen- Konstruktion. Seinen Stamm<br />

konnten erst vier oder fünf kräftige Männer umspannen.<br />

10<br />

Sykomore, [die; griechisch] Maulbeerfeige, Ficus sycomorus, ein Maulbeergewächs; aus Äthiopien<br />

stammender, bis 16 m hoher, bereits tief am Stamm verzweigter Baum, dessen Fruchtstände (Eselsfeigen) essbar<br />

sind. Das Holz wurde für die Mumiensärge verwendet.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 21


Diese mächtige Sykomore (auch „Pharaonen- Feige“ genannt) des Klosters, die neben dem<br />

Wasserzentrum wächst, soll angeblich noch von der Venezianerin gepflanzt worden sein.<br />

Als die Zeit ihres Todes nahte, errichtete sie ein steinernes Gewölbemonument. Sie wünschte,<br />

in diesem Monument, in der Nähe des Wasserspeichers und „seiner taufrischen Kühle“<br />

begraben zu werden.<br />

An der nördlichen Seite des Innenhofes ist ein Brunnen mit der Gestalt eines Keilerkopfes.<br />

Darüber steht das zweistöckige Haus, in der die venezianische Tochter anfangs gelebt hat.<br />

Oben auf dem Hügel an der westlichen Seite der Kirche, befindet sich eine kleine antike<br />

Kirche, genau an der Stelle errichtet, wo die Jungfrau Maria <strong>nach</strong> der Legende eine Rast<br />

eingelegt haben soll.<br />

Als die Osmanen 1571 auf der Insel<br />

einbrachen, wurde das Kloster nicht zerstört.<br />

Man schließt dies daraus, dass die<br />

Beschreibung des Klosters von Pietro della<br />

Valle um 1625 sich präzise mit der heutigen<br />

Erscheinung deckt. Er berichtet ebenso dass<br />

dieses Kloster damals ein Nonnenkloster war<br />

Sykomore vor dem Kloster Agia Napa<br />

und große Ländereien besaß.<br />

Zu einem Mönchskloster wurde es 1668<br />

umgewandelt. Aus einem nicht mehr<br />

bekannten Grund wird es seit 1758 nicht mehr<br />

ständig von Mönchen bewohnt und<br />

bewirtschaftet.<br />

Das Kloster war ursprünglich in einem<br />

unbewohnten Gebiet angesiedelt. Erst ungefähr<br />

Mitte des 18. Jahrhunderts wurde das erste<br />

Haus des Dorfes gebaut. Die ersten Bewohner<br />

des Dorfes waren Leute aus Thessaloniki, die<br />

ihre alte Heimat wegen der Pest verlassen<br />

hatten.<br />

Jahrzehnte später, 1813, wurde das Kloster laut einer Inschrift restauriert und erneuert.. Da es<br />

keine klösterliche Einsiedelei mehr barg, vermietete man den Besitz an die Bauern in der<br />

Gegend. Die klösterlichen Einrichtungen wurden für die verschiedenen Bedürfnisse der<br />

Gemeinde genutzt.<br />

Nach 1878, unter britischer Kolonialherrschaft, gab es keine Mönche in Agia Napa mehr. Die<br />

Klosterkirche wurde nun zur Gemeindekirche des Dorfes.<br />

1950 wurden wieder umfassende Renovierungsarbeiten vorgenommen. Erzbischof Makarios<br />

III. wählte Agia Napa als ökumenisches Tagungszentrum aus. Die türkische Invasion<br />

zerschlug diese Pläne für die Einrichtung eines solchen Zentrums.<br />

Erst 1976, unter Mitwirkung der deutschen evangelischen Kirche, wurde ein neuer<br />

Gebäudekomplex geschaffen, der heute Versammlungsort für die christlichen Kirchen im<br />

Nahen Osten ist.<br />

Der Bevölkerungszuwachs im Dorf machte den Bau einer neuen Kirche notwendig, die im<br />

Südwesten des Klosters gebaut wurde und ebenfalls der Jungfrau Maria geweiht ist.<br />

Da sich die Sonne jetzt am Nachmittag schon neigte, blendete mich die idyllische Schönheit<br />

des Innenhofes im warmen Licht besonders, als ich durch einen Bogen über holprige, glatt<br />

geschliffene Kopfsteine das Innere betrat.<br />

Antonio steuerte auf den Eingang der Kirche zu, die im Innern sich als die Grotte entpuppte.<br />

Im Zugang standen rechts und links eine ganze Reihe Ikonen an die Wand gelehnt, die ich<br />

ablichtete. Einige Stufen führten in die eigentliche Grotte, heute durch ausgemauerte Gewölbe<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 22


aulich ausgeformt. Dann setzten wir uns in dem niedrigen Felsenhohlraum auf die Stühle, und<br />

Antonio erzählte uns aus der Kirchengeschichte. Sie soll aus dem 16. Jahrhundert stammen.<br />

Selbst ein weltlich denkender Mensch kommt nicht daran vorbei, falls er überhaupt ein Auge<br />

für die Kunst hat, zuzugestehen, dass diese Ikonen schön sind, vielleicht in dem Sinne, dass sie<br />

auf uns eine gewisse Wirkung ausstrahlen, dass sie ein Fenster sind, durch das man in eine für<br />

uns fremde religiöse Welt schaut. Es ist diese strenge Symbolik, die Augen, die an dir<br />

vorbeiblicken, das Gold, die königlichen Farben Rot und Blau der Gottesmutter oder die<br />

schlichten Farben der Gewänder der Heiligen, die Ruhe, die ihre Haltungen aussenden, die<br />

nicht immer leicht zu enträtselnde Gestik ihrer Hände…Ich war sehr gefangen von diesen<br />

Bildern, die ich immer wieder in den orthodoxen Kirchen vorfand und nicht müde wurde, sie<br />

anzuschauen.<br />

Ich will einmal die kurze Zeit, in der Richard Löwenherz auf <strong>Zypern</strong> saß,<br />

noch auslassen und nur an ihrem Ende anknüpfen, nämlich an das Jahr<br />

1192, in dem Löwenherz die Insel für hunderttausend Goldstücke an die<br />

Templer verkaufte. Diese können nur vierzigtausend anzahlen. Aber auch<br />

für den reichen Orden ist die Restsumme nicht leicht aufzubringen. Die<br />

Templer versuchen nun, das Geld aus der Bevölkerung zu pressen.<br />

Richard Löwenherz<br />

Sie ersticken in Nikosia einen Volksaufstand in einem Blutbad. Die geldgierigen Barone mit<br />

dem lateinischen Ritus bleiben für die meisten griechisch- orthodoxen Einheimischen fremde<br />

Herren. Als es zu weiteren Aufständen kommt, wollen die Templer die Insel wieder loswerden.<br />

Nach einer schwierigen Finanztransaktion vergibt Richard <strong>Zypern</strong> dann<br />

zum gleichen Preis weiter an Guy de Lusignan 11 , den abgesetzten König<br />

von Jerusalem: <strong>Zypern</strong> bleibt dreihundert Jahre im Besitz europäischer<br />

Feudalherren. In dieser Zeit wird <strong>Zypern</strong> feudalistisch regiert. Die<br />

katholische Kirche ersetzt offiziell die bis dahin griechisch- orthodoxe,<br />

welche jedoch trotz starker Unterdrückung überleben kann. Die Dynastie<br />

der Lusignans endet, als die letzte Königin, Caterina Cornaro 12 1489<br />

<strong>Zypern</strong> unter Zwang dem mächtigen Venedig überlässt.<br />

Caterina Cornaro<br />

Von genau 1489 bis 1571 <strong>nach</strong> Christus beherrschten dann die Venezianer die Insel und<br />

betrachteten sie als letzte Bastion gegen die mächtigen Osmanen und befestigten die großen<br />

Städte. Noch in dieser Zeit, und bevor die Osmanen die Insel 1571 in ihren Besitz brachten,<br />

11<br />

Lusignan, [lyzi'njã], französisches Adelsgeschlecht aus dem Poitou, stellte Könige von Jerusalem (1179-<br />

1291), von <strong>Zypern</strong> (1192-1489) und von Kleinarmenien (1342-1375).<br />

12<br />

Cornaro, Caterina, Königin von <strong>Zypern</strong> 1473-1489, * 1454 Venedig, † 10. 7. 1510 Venedig; verzichtete<br />

unter dem Zwang Venedigs auf ihr Königreich; das ihr zugewiesene Asolo (Provinz Treviso) gestaltete sie zu<br />

einem Musenhof.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 23


muss wohl noch diese Klosterkirche Agia Napa entstanden sein. Über den Einfall der Türken<br />

1571 werde ich noch berichten.<br />

Viel Zeit blieb uns <strong>nach</strong> Verlassen der Kirche nicht, uns umzuschauen. In typisch japanischer<br />

Manier wurden noch Fotos geschossen. Das wundervolle Licht unterstützte dieses Vorhaben.<br />

Dann marschierten wir zum Bus und fuhren die wenigen Kilometer <strong>nach</strong> Protaras.<br />

Im Hotel Cavo Maris kannten wir uns nun schon mit den Gepflogenheiten des reichhaltigen<br />

Buffets aus, verpflegten uns reichlich. Ein kleines Bier kostete 2,10 zyprische Pfund. Da es<br />

heute Abend <strong>nach</strong> dem Essen noch nicht 21 Uhr war, gingen wir über die Straße in den<br />

„Supermarkt“ und kauften Ansichtskarten und gleich noch Briefmarken dazu. Auf dem Balkon<br />

schrieb ich in der angenehmen Wärme des lauen Abends drei Karten und genoss die Aussicht<br />

auf die<br />

Lichter<br />

der<br />

Stadt.<br />

Vom<br />

Balkon<br />

genoss<br />

ich den<br />

Abend<br />

und den<br />

weiten<br />

Blick.<br />

VI. Nikosia- Geteilte Hauptstadt<br />

Samstag, 30. September 2006<br />

E<br />

in wunderschöner, strahlender Morgen brach an. Wir genossen ihn beim Frühstück auf<br />

der Terrasse neben dem Schwimmbecken. Freche, hungrige Sperlinge umzwitscherten<br />

uns, hüpften über die Fliesen und pickten die Brosamen auf, die zu Boden fielen oder<br />

die ihnen zugeworfen wurden. Ganze Schwärme von ihnen lauerten im lockeren Grün, das die<br />

Terrasse umgab und verliehen der grünen, blühenden Pflanzenzierde beinahe den Glanz<br />

belebter Natur. Heute stand ein Ausflug in die geteilte Hauptstadt <strong>Zypern</strong>s auf dem<br />

Programm.<br />

Antonio nutzte die Fahrt, um uns noch Einzelheiten zu schildern, die in den Zusammenhang<br />

der türkischen Besetzung des Nordteils der Insel gehören. Ich habe die Fakten bereits<br />

dargelegt. Er erinnerte vor allem an die Galionsfigur des zyprischen Widerstandes, den<br />

Erzbischof Makarios. Also schalte ich hier einige Lebensdaten dieses berühmten Mannes ein,<br />

an dessen Wirken, was die Reflexion in den Medien der DDR- Presse betraf, ich mich noch<br />

selbst entsinnen kann. Er hat wohl auch einmal die DDR besucht.<br />

Erzbischof Makarios III. (*13. August 1913 in Pano<br />

Panagia, <strong>Zypern</strong>; † 3. August 1977); eigentlich Michail<br />

Christodulos Muskos (Μιχαΐλ Χριστόδουλος Μουσκός);<br />

war ein zypriotischer Geistlicher und Politiker.<br />

Muskos wurde <strong>nach</strong> einem Theologie-Studium in<br />

Athen orthodoxer Priester und wurde 1948 zum<br />

Bischof von Kition und 1950 zum Erzbischof von<br />

<strong>Zypern</strong> berufen. Als Erzbischof wurde er als Makarios<br />

III. bezeichnet und bekam den Titel Ethnarch (auf<br />

deutsch Volksführer) von <strong>Zypern</strong>.<br />

Er schloss sich da<strong>nach</strong> dem Kampf zur Befreiung <strong>Zypern</strong>s von den britischen Kolonialtruppen<br />

an und ging ein Bündnis mit General Grivas ein. Fast 600 Menschen starben bei den<br />

Kämpfen, bis Makarios III. im Jahr 1960 das Präsidentenamt des nun unabhängigen <strong>Zypern</strong><br />

übernehmen konnte.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 24


14 Jahre später wurde er 1974 durch einen<br />

Militärputsch gestürzt, der von der damaligen Junta<br />

Griechenlands betrieben wurde. Andauernde<br />

innenpolitische Konflikte um die zyprische Verfassung -<br />

der Anschluss an Griechenland war verboten, und die<br />

Türken Nordzyperns hatten recht weit reichende<br />

Autonomierechte - waren der Vorwand dafür gewesen.<br />

Die Abspaltung Nordzyperns und die folgende Teilung<br />

der Insel resultierten aus diesem Putsch.<br />

Im Dezember 1974 kehrte er noch einmal in das Amt<br />

zurück, das er bis zu seinem Tode innehatte.<br />

Antonio nannte noch einmal die Zahlen der türkischen Invasion, damals 1974, während der<br />

instabilen politischen Situation: 17 000 Soldaten drangen am 20. Juli auf die Insel und<br />

vertrieben 160 000 griechische Zyprioten aus ihren angestammten Heimen. Zirka 1500 von<br />

ihnen werden bis heute vermisst. 5000 Soldaten und Zivilisten ließen dabei ihr Leben.<br />

Antonio erläuterte auch noch einmal den 1400 Seiten umfassenden Annan- Plan der Einigung<br />

<strong>Zypern</strong>s, den vor allem die griechischen Zyprer im Süden mit ihrem Nein bei der<br />

Volksabstimmung ablehnten, obwohl 65% der türkischen Zyprer im Norden zustimmten.<br />

Ein Punkt als Beispiel, wie dabei die griechischen Zyprer über den Tisch gezogen werden<br />

sollten: 1000 ha Kartoffelland wollten die Engländer gegen 50 km unfruchtbaren Meeres-<br />

Shelf bei Limassol eintauschen. 5000 türkische Soldaten sollten als Besatzungsmacht bleiben.<br />

Und so gab es noch viele Punkte, bei denen die im Süden erhebliche Nachteile eingetauscht<br />

hätten.<br />

Als wir so auf den gut ausgebauten Straßen durchs Land fuhren, der Blick aufs Meer zur<br />

Linken mit dem aufs Weichbild von Larnaca wechselte, fragte ich Antonio <strong>nach</strong> den<br />

Ressourcen, die den südlichen Zyprioten zur Verfügung stünden, als erstes <strong>nach</strong><br />

Trinkwasser, das ja die Lebensgrundlage bildet. Es ist tatsächlich ein ernstes Problem, das<br />

die Zyprer meistern müssen. Grundwasser ist nicht vorhanden. Die Insel bildet<br />

gewissermaßen einen vulkanischen Sporn auf der afrikanischen Kontinentalplatte. Den<br />

Sommer über regnet es überhaupt nicht, im Winterhalbjahr unregelmäßig. Die türkische<br />

Besetzung hat für den Süden große Gebiete der bewässerten Mesaoria- Ebene abgeschnitten,<br />

die ihr Wasser aus dem lang gezogenen Pentadaktylos- Gebirge im Norden erhält.<br />

Mich dünkt, die Reserven des Wassers, das aus dem Troodos- Gebirge abfließt, sind<br />

ausgereizt. Auf der Karte finde ich eine Reihe mittlerer und großer Speicherbecken, die den<br />

Abfluss der kleinen Flüsschen zurückhalten. In Südzypern gibt es über 90 Speicherbecken.<br />

Man hat begonnen, Meerwasser zu entsalzen. 1997 ging die erste in Betrieb. Es gibt heute<br />

eine zweite. Sie haben den Nachteil, dass die Sole ins Meer zurückfließt und dort das Wasser<br />

aufsalzt und den Rest an Fischen kaputtmacht, der jetzt noch auffindbar ist.<br />

Der zyprische Norden wurde 1998 erstmals vom<br />

türkischen Festland mit Wasser beliefert. In<br />

riesigen Plastiksäcken wurden 10 000 Tonnen<br />

Wasser aus dem türkischen Taurusgebirge über<br />

das Meer bis Kyrenia (Girne) geschleppt. Was<br />

wird aus dem wachsenden Tourismus?<br />

Dusche/Bad und Pool müssen sein! Die<br />

Touristen machen sich keinen Kopf, wo das<br />

Wasser herkommt. Sie verbrauchen es<br />

großzügig und gedankenlos.<br />

Überhaupt sind die Küsten abgefischt. So absurd es klingt: Fisch muss importiert werden.<br />

Die Stromgewinnung ist ein weiteres Problem. Sie stützt sich auf Erdölimporte, vorwiegend<br />

aus dem Iran und Russland. Noch werden die teuren Derivate, sprich Erzeugnisse der<br />

Erdölverarbeitung eingekauft, das heißt die Weiterverarbeitung und tiefere Spaltung des<br />

Erdöls ist im Lande noch nicht entwickelt. Ein Energiefaktor ist die Sonnenenergie, allerdings<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 25


nur im privaten Bereich. Fast auf jedem Haus steht ein Wasserboiler, der von<br />

Sonnenkollektoren aufgeheizt wird und das Warmwasser erzeugt.<br />

Bei diesen Erläuterungen nähern<br />

wir uns dem Weichbild der<br />

Hauptstadt <strong>Zypern</strong>s, der einzigen<br />

noch geteilten Hauptstadt Europas.<br />

Wir fahren natürlich zuerst in die<br />

Hauptstadt der Republik <strong>Zypern</strong>,<br />

ordentliches Mitglied der EU-<br />

Staaten. Erstaunlich viel Grün<br />

säumt hier die Straßen. Der<br />

Nikosia: Erzbischöflicher Palast, Makarios-Denkmal<br />

Linksverkehr wurde deutlicher, vor<br />

allem an Ampeln und Ringverkehr<br />

ist er seltsam ungewohnt.<br />

Die Leoforos Athinas, auf der wir in die historische Altstadt einfuhren, zog sich an der alten<br />

Stadtmauer entlang. Antonio zeigte links von uns auf das Famagusta- Tor, eines der drei Tore,<br />

die damals durch die festungsartige Wallmauer in die Stadt führten.<br />

Der Festungsring wurde <strong>nach</strong> den Plänen eines venezianischen Architekten in den Jahren<br />

1567/68 errichtet. Die Stadtmauer umschließt mit ihren elf Bastionen sternförmig die<br />

Innenstadt. Um freies Schussfeld zu haben, riss man damals alle Gebäude im Umfeld ab.<br />

Darunter auch die Grabstätte der Lusignans, den Königspalast und das Dominikanerkloster.<br />

Nikosia<br />

(griech. Lefkosia,<br />

türk. Lefkoşa)<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 26


Die Mauern sind sehr dick, schräg gestellt und von einem Wassergraben umzogen. Unter den<br />

fränkischen Kreuzrittern hieß das zyprische Lefkosia nun Nikosia. Trotz der starken Mauern<br />

erstürmte das Heer Mustafa Paschas <strong>nach</strong> siebenwöchiger Belagerung am 20. Juli 1570 die<br />

Stadt. 20 000 Bewohner verloren dabei ihr Leben. Nikosia blieb bis 1878 in türkischem<br />

Besitz, fast wieder dreihundert Jahre. Von da an nahmen die Briten von der Insel Besitz,<br />

machten es zur Kolonie und herrschten uneingeschränkt bis 1960.<br />

Das heiße Wetter sprang uns an, als wir dem Bus entstiegen. Vor uns prangte im gleißenden<br />

Sonnenlicht der erzbischöfliche Palast mit einem überlebensgroßen Denkmal von Makarios<br />

davor. Der Palast wurde zwischen 1956 und 1961 im neubyzantinischen Stile erbaut. Er ist<br />

heute Mittelpunkt der orthodoxen Kirche <strong>Zypern</strong>s. Makarios kam knapp mit dem Leben<br />

davon, als die Putschisten 1974 den Palast mit ihrer Artillerie beschossen.<br />

Da standen wir nun, mitten in Nikosia. Die Stadt sagte noch Sie zu mir und stellte mir ihre<br />

ersten Kostbarkeiten vor. Hinter den Säulenbögen des Palastes schimmerten kostbare<br />

marmorne Wandtäfelungen. Doch alles schien ohne Leben zu sein. Im ganzen Areal war<br />

niemand zu sehen. Eine Messing- Tafel wies auf ein kirchliches Ikonen- Museum im<br />

Nebentrakt des Palastes. Es beherbergt Tafelbilder, Freskenreste und Ikonen aus den Kirchen<br />

<strong>Zypern</strong>s.<br />

Das erste Ziel der Stadtführung war ein Denkmal des UNESCO- Weltkulturerbes- die Agios<br />

Ioannis, die Johanniskathedrale. Fotografieren verboten, wies uns Antonio an. Schade, aber<br />

einzusehen. Das Blitzlichtgewitter der Touristenapparate, die Ausdünstungen der<br />

Menschenkörper haben schon so manchem alten Kunstwerk zugesetzt und die Restauratoren<br />

zur Verzweiflung gebracht. Durch eine niedrige Tür traten wir in einen relativ kleinen<br />

einschiffigen Kirchenraum ein, der von einer über und über bemalten, tonnenförmigen Decke<br />

überwölbt ist.<br />

Die Ikonostase 13 strotzte von Gold<br />

und Silber und wies eine Vielzahl<br />

reich geschmückter Ikonen auf.<br />

Genau wie die römischen, so boten<br />

auch die Ostkirchen ihren<br />

Gläubigen Bilder an, um ihnen die<br />

Heilsgeschichte nahe zu bringen.<br />

So erzählten auch die Decken und<br />

Wandfresken viele und die<br />

wichtigsten Geschichten aus dem<br />

Alten und Neuen Testament. Ein<br />

trotz Verbot aus der Hüfte<br />

abgedrückter Schnappschuss mag<br />

verdeutlichen, dass eine<br />

Schilderung dieses für meine<br />

Begriffe mit Blattgold überladenen<br />

Nikosia, Johannis- Kathedrale, Ikonostasis<br />

und förmlich überquellenden Reichtums an Bildern und schmückenden Ornamenten schwer<br />

möglich ist. Sie spricht zu den Sinnen des religiösen Menschen, blendet ihn, nimmt ihn<br />

gefangen und entführt den Gläubigen in die Welt des Übersinnlichen.<br />

Die Johanniskathedrale stammt aus dem Jahre 1662 und wurde unter Erzbischof Nikiforos auf<br />

dem Grund einer ehemaligen Benediktinerkirche aus fränkischer Zeit errichtet. Ihre<br />

Ausmalung mit diesen herrlichen Fresken in post-byzantinischer Manier erfolgte aber erst <strong>nach</strong><br />

1730, als diese Kirche zur Kathedrale erhoben wurde. Sie wurden restauriert und begeistern<br />

heute jeden Kunstfreund und erbauen natürlich vorrangig die Gläubigen.<br />

13<br />

Ikonostase = Reich mit Ikonen geschmückte Trennwand zwischen Altar- und Gemeinderaum in orthodoxen<br />

Kirchen<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 27


Wir erfuhren, dass die christliche Kirche auf <strong>Zypern</strong> überhaupt zu den ältesten christlichen<br />

Ländern der Erde zählt. Die Apostel Paulus und Barnabas verkündeten hier bereits das<br />

Christentum im Jahre 45 <strong>nach</strong> Christus. Somit ist die zyprische Kirche apostolischen<br />

Ursprungs. Die Kirche <strong>Zypern</strong>s gehörte von Anfang an zur Ostkirche, als im 4. Jahrhundert die<br />

Kirchenspaltung (Schisma) in eine Ost- und Westkirche ihre Wurzel zu schlagen begannen.<br />

Die Herrschaft der Lusignans erhob zwar für ein paar Jahrhunderte den römisch- katholischen<br />

Glauben zur Staatsreligion. Doch unter der osmanischen Herrschaft erhielt die orthodoxe<br />

Kirche ihre alten Rechte zum Teil zurück: Ein Erzbischof wurde zum offiziellen Vertreter des<br />

zyprischen Volkes. Zwischen 1960 und 1974 war <strong>Zypern</strong> neben dem Vatikan der einzige Staat<br />

der Welt, der von einem Kirchenfürsten, Makarios III., regiert wurde.<br />

Die in dunklen Farben gehaltene Decke machte den Raum eng. Neben der Würdigung des<br />

Theologen Johannes wurde diese Kirche vor allem der Entdeckung des Grabes des Hl.<br />

Barnabas 14 in den Ruinen von Salamis 15 geweiht.<br />

Zwei prachtvolle Kristall- Lüster füllen den Luftraum des engen Kirchenraumes und erzeugen-<br />

wenn sie entzündet sind – feierliche und strahlende Helle. Als wir aus der Kirche heraustraten,<br />

vom Tageslicht geblendet und der jetzt noch Anfang Oktober unbarmherzig brennenden Sonne<br />

ausgeliefert, machte ich folgende Feststellung.<br />

Antonio strebte davon, unbeeindruckt der Dinge, die einen neugierigen Besucher noch fesseln<br />

können. Er latschte vorneweg, unbeirrt, ob nicht noch Dinge interessant und des Zeigens wert<br />

wären. Ich hegte deshalb oft einen kleinen Groll gegen ihn. Ihn interessierte nur sein Zeitplan.<br />

Wer mehr wissen und schauen wollte, musste sich sputen. So ging es mir oft, dass ich <strong>nach</strong><br />

Motiven spähte, stehen blieb, dies und das fotografierte. Dann hatte ich in der Hitze zu hasten,<br />

um den Zug wieder einzuholen.<br />

So steht neben der Johanniskathedrale ein schmucker<br />

Bau, des Betrachtens wert- das Volkskundemuseum<br />

und das Museum des Nationalen Kampfes. Davor steht<br />

eine weiße Büste des Erzbischofs Makarios- dachte ich!<br />

Aber zu Hause, beim Stöbern in meinen Prospekten und<br />

Unterlagen korrigiere ich mich.<br />

Es ist das Denkmal von Erzbischof Kyprianos, den<br />

die Türken 1821 hingerichtet haben. Seine Büste steht<br />

im Vorhof des kleinen Mausoleums, das ihm und<br />

einigen anderen Geistlichen gewidmet ist. Dem<br />

damaligen türkischen Gouverneur von <strong>Zypern</strong> wurde<br />

hinterbracht, dass sie geheime Kontakte mit den<br />

Festlandsgriechen hatten, die sich zu dieser Zeit zum<br />

Unabhängigkeitskampf gegen die osmanische<br />

Herrschaft erhoben. Daraufhin ließ er sie hinrichten.<br />

Das Mausoleum und die Büste sind dem Andenken an<br />

diese Bluttat gewidmet.<br />

Denkmal für Erzbischof Kyprianos<br />

Wir biegen um die Ecke, schlängeln uns durch Autos und Passanten in einer engen Gasse in<br />

Richtung des zentralen Gemüsemarktes der Altstadt Nikosias, vorbei an einem<br />

Ausgrabungsgelände, das mit einem Drahtgitterzaun umgeben ist. Immerhin hatte die Stadt in<br />

ihren Blütezeiten im Mittelalter beinahe 250 Kirchen.<br />

14<br />

Barnabas, zeitweise Mitarbeiter des Apostels Paulus, vertrat mit ihm die Belange der nichtjüdischen<br />

Christengemeinden auf dem sog. Apostelkonzil (Apostelgeschichte des Lukas 4,36 f., 15,1 ff.; Brief des Paulus<br />

an die Galather 2,1 ff.); Heiliger; Fest: 11. 6.<br />

15<br />

Salamis, antike Stadt an der Ostküste <strong>Zypern</strong>s in der Nähe Famagustas, der Sage <strong>nach</strong> von Teukros<br />

gegründet, 449 v. Chr. Sieg der Athener über die Perser; Ausgrabungen seit 1952.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 28


Nikosia (Süd): Gemüsemarkt vor der Markthalle<br />

Langsam zogen wir an den Gemüsekisten vorüber, stellten<br />

Übereinstimmung und Unterschiede zu unseren heimischen<br />

Gemüsern fest, beobachteten Käufer und Verkäufer, das bunte<br />

Treiben. Viele suchten nur wenige Früchte aus, die schwungvoll<br />

in den rosaroten Plastikbeuteln landen. Ich sah auch ganz alte<br />

Männer am Stock oder mit ihrem Rollader. Der Markt ist auch so<br />

etwas wie ein Treff mit Bekannten. Die Preise sind unseren<br />

ähnlich, eher noch teurer. Fast hätte ich wieder den Anschluss<br />

verloren. Antonio war schon weg und im Inneren der Markthalle<br />

verschwunden, deren Angebot mich nicht vom Stuhl riss. Am<br />

ehesten überzeugte mich die Offerte eines Gewürzhändlers,<br />

dessen Vorräte in prall gefüllten Säcken, oben offen, seinen<br />

Stand einrahmten. Da gab es Kümmel, Zimtstangen, Safran,<br />

Koriander, Fenchel, schwarzen und weißen Pfeffer, aber auch<br />

Honig, Marmeladen und vieles andere mehr, bekannte und<br />

unbekannte Spezereien.<br />

Wir biegen in eine Seitenstraße ein, immer<br />

auf dem Sprung vor den sich vorbei<br />

schiebenden Autos. Auf einmal befinden wir<br />

uns mitten im Municipal Market, dem<br />

engen, verwinkelten städtischen<br />

Gemüsemarkt, auf dessen Freifläche rings<br />

um die Markthalle sich zahlreiche Händler<br />

unter recht provisorischen Sonnensegeln um<br />

die Gunst der Käufer bemühten. Heute war<br />

Sonnabend. Viele, Frauen sowohl als<br />

Männer drängten sich durch die engen<br />

Gassen und wählten aus dem reichen<br />

Angebot, das mich nur mit seinen<br />

vielfältigen Farben begeisterte, ihren<br />

Wochenendbedarf aus.<br />

Antonio trieb uns weiter und steuerte uns zum Bus.<br />

Über die Ausgrabungen in dem Bereich hinter dem Ikonenmuseum, den erzbischöflichen<br />

Palast, dem Volkskundemuseum und der Markthalle, bei denen wir wieder vorbei kamen,<br />

konnte ich leider nichts in Erfahrung bringen. Es ist ein großes Areal und sicher fündig. Zu<br />

sehen sind Mauerführungen.<br />

Altstadt Nikosia, griechischer Teil, Ausgrabungen. Linkes Bild: Im Hintergrund die Omeriye- Moschee<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 29


Noch einmal kamen wir am<br />

Erzbischöflichen Palast vorüber.<br />

Gegenüber befindet sich ein stattliches<br />

Gebäude, das Panzyprische<br />

Gymnasium, das Elite- Gymnasium der<br />

Stadt, an dem auch Makarios studiert<br />

hat. Von hier wurde übrigens in den<br />

1950er Jahren der Gedanke der Enosis 16<br />

weiter getragen. Die Enosis- Idee kam<br />

mit der Staatsgründung Griechenlands<br />

1830 auf. Sie beinhaltet den Anschluss<br />

aller griechischsprachigen Gebiete, auch<br />

<strong>Zypern</strong>s, an Griechenland. Aber es kam<br />

anders.<br />

Panzyprisches Gymnasium in Nikosia (Süd)<br />

Kurzer Rückblick:<br />

1878 schloss das britische Empire einen Vertrag mit dem Osmanischen Reich, mit dem es der<br />

Türkei Schutz gegen das Vordringen des russischen Riesen auf dem Balkan versprach.<br />

Im Gegenzug traten die Türken <strong>Zypern</strong> ab. Die Insel wurde, <strong>nach</strong> dem Bau des Suezkanals ein<br />

wichtiger Stützpunkt auf dem Weg <strong>nach</strong> Indien geworden, im Jahre 1925 britische<br />

Kronkolonie. Die Inselbewohner spalteten sich in zwei Gruppen. Die einen wollten sich an ein<br />

Mutterland anschließen, das Griechenland heißt, die anderen sehnten sich <strong>nach</strong> einem<br />

unabhängigen Staat. Es gab aber auch noch eine türkische Volksgruppe. Kämpfe blieben<br />

unausweichlich...<br />

Wir liefen die Adamantiou Koral hinauf,<br />

Richtung Stadtmauer, vorbei an den stattlichen<br />

Resten eines Aquädukts, die kaum aus antiker<br />

Zeit stammen dürften, sondern aus der Zeit, als<br />

die Venezianer sich vor den Türken sicherten,<br />

nämlich aus den Jahren 1558 bis 1567. <strong>Zypern</strong><br />

war <strong>nach</strong> den Eroberungsfeldzügen der Türken<br />

neben Kreta der einzige christliche Standort im<br />

östlichen Mittelmeer geblieben. Nach den<br />

Erkenntnissen der damals neuesten<br />

Verteidigungstechnik riss man ganze<br />

Stadtviertel Lefkosias ab, um einen starken<br />

Mauerring mit weitem Schussfeld zu errichten.<br />

Nikosia (Süd), Aquädukt an der Stadtmauer<br />

Selbst das Dominikanerkloster mit den Gräbern der Lusignan- Könige vor dem Paphos- Tor<br />

musste weichen. Böschungen und breite Gräben, Erdwälle wurden gezogen, Vorwerke in den<br />

Wassergräben gebaut. Senkrechte Schächte in den Wällen sollten den Druck bei<br />

Geschosseinschlägen auffangen. Hierzu diente möglicherweise auch der von mir vermutete<br />

Aquädukt, um Wasser, das ja schon immer kostbar war, in die Gräben zu leiten.<br />

Wie die Geschichte beweist, nutzten alle diese Vorkehrungen nichts. Unter großen Opfern auf<br />

beiden Seiten wurden die zyprischen Städte erobert. 1571 begann die über dreihundertjährige<br />

osmanische Herrschaft auf der Insel. Die Türken setzten einen so genannten Diwan ein, eine<br />

Regionalregierung, dem ein Bey (Gouverneur) und vier Agas vorstanden. Als „Vermittler“<br />

zwischen der griechischen Bevölkerung und dem Bey dient ein christlicher Dragoman. Die<br />

neuen Herren schafften die Leibeigenschaft und den Frondienst ab, unter denen die Untertanen<br />

16<br />

Enosis, [griechisch, „Anschluss“], seit dem 19. Jahrhundert Losungswort einer Volksbewegung auf <strong>Zypern</strong>,<br />

die für den Anschluss der Insel an Griechenland eintritt. Die Enosis- Bewegung (seit 1950 geführt von<br />

Erzbischof Makarios) blieb auch <strong>nach</strong> Erlangung der staatlichen Unabhängigkeit (1960).<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 30


jahrhundertelang hatten leiden müssen. Die Türken senkten zunächst die Steuern, verboten den<br />

Katholizismus auf der Insel und bestärkten die orthodoxe Kirche, die ihre aus byzantinischer<br />

Zeit stammenden Rechte wiederbekam. 1754 wurde der Erzbischof zum Ethnarchen, zum<br />

Führer und Vertreter der griechisch- zyprischen Volksgruppe ernannt.<br />

1821 begann der griechische Freiheitskampf auf<br />

dem Festland. Als der Erzbischof <strong>Zypern</strong>s<br />

diesen mit Nahrungsmitteln und Geld<br />

unterstützte, erkannte der amtierende<br />

Gouverneur Küçük Mehmed darin einen Anlass,<br />

gegen den wachsenden griechischen Einfluss<br />

auf der Insel vorzugehen. Trotz Zurückhaltung<br />

der Hohen Pforte ließ Küçük Mehmed den<br />

Erzbischof Kyprianos und weitere neun Mönche<br />

hinrichten. Sein Denkmal hatten wir gesehen.<br />

Seitdem bekam das Verhältnis zwischen<br />

Griechen und Türken auf der Insel einen Riss,<br />

der bis heute nicht verheilt ist. Ich nehme hier<br />

vorweg, dass diese Exekution im<br />

Wachsfigurenmuseum in Lefkara mit einer<br />

Darstellung verewigt ist.<br />

Hinrichtung des Erzbischofs Kyprianos 1821<br />

durch die Türken, Fatsa- Wax- Museum Lefkara<br />

Unsere Gruppe, geführt von Antonio kam an die Ringstraße vor den Wällen. Mächtig ragt die<br />

Podocataro- Bastion aus der grünen Fläche empor. Sie ist gekrönt vom Freiheitsdenkmal,<br />

das an die Kämpfe gegen die britische Kolonialherrschaft 1960 erinnert. Es steht seit 1970<br />

hier und zeigt verschiedene Figuren, die den Auszug der Gefangenen aus den britischen<br />

Kerkern symbolisiert. Dass vier Jahre später erneut griechische Zyprer in türkischer<br />

Gefangenschaft verschwinden, ahnte damals sicher noch niemand. Sehr pathetisch verlassen<br />

die Gefangenen ihren Kerker, dessen an Ketten hängendes Gitter von den Befreiern<br />

hochgezogen wird, und steigen die Stufen zur Freiheit empor. Auf einem Postament stehend,<br />

reckt eine idealisierte Frauengestalt den Zeigefinger siegreich in die Höhe.<br />

Wir besteigen den Bus, die Insassen warten schon, bis wir Wenigen mit Fotografieren fertig<br />

werden. Man muss ja alles im „japanischen Stil“ erledigen. Hinschauen. Foto. Fertig.<br />

Wir fahren jetzt zur Green Line zum Paphos- Tor, die Grenzlinie zum türkischen Norden der<br />

Stadt. Das letzte Stück zum Checkpoint müssen wir laufen. Der Übergang befindet sich in der<br />

Nähe des Ledra Palace Hotels, in dem die UN- Soldaten untergebracht sind.<br />

Mit einiger Spannung laufen wir den letzten<br />

Kilometer. Ich lese ein riesiges Plakat:<br />

„NORD CYPRUS FOR EVER“ oder so<br />

ähnlich. Davor weht die nordzyprische<br />

Halbmond- Flagge. Wir passieren das Goethe-<br />

Institut, einigermaßen ordentliche Häuser, die<br />

als Unterkünfte der UN- Beobachter<br />

ausgewiesen sind, aber auch verwilderte und<br />

zerstörte Häuser, in deren leeren<br />

Fensterhöhlen noch die Sandsäcke von den<br />

erbitterten Straßenkämpfen zeugen, die hier<br />

stattgefunden haben. Stacheldrahtrollen<br />

winden sich durch wucherndes Gesträuch.<br />

Ein tragisches Bild der Verwüstung bietet sich, mit Beton gefüllte Blechtonnen, Nagelbretter<br />

an Türen, immer wieder rostiger Stacheldraht, verwilderter Pflanzenwuchs weisen auf die<br />

Unvernunft der Türken, die diese schon über dreißig Jahre währende Trennung Nikosias mit<br />

ihrer politischen Sturheit erzwingen wollen. Dann erreichen wir den Grenzposten.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 31


Am Checkpoint erfährt zuerst Antonio von den türkischen Grenzwächtern, dass die gestern<br />

erstellte Liste mit den Personalien der <strong>Reise</strong>gruppe, die er hierher geschickt hatte, nicht<br />

angekommen oder nicht ausreichend ist. Wir müssen nun - jeder einzeln - mit <strong>Reise</strong>pass oder<br />

Personalausweis unsere Legitimation am Schalter abholen- einen Papierwisch mit<br />

Tagesstempel. Dann dürfen wir immer noch nicht durch den Schlagbaum. Wir erfahren, dass<br />

wir nur als geschlossene Gruppe gehen dürfen und nur in Begleitung eines Aufpassers, der aber<br />

noch geholt werden muss. So stehen wir denn in der Sonne und warten auf den Supervisor.<br />

Endlich erlaubt man uns zu gehen. Hinter uns trottet ein junger Mann im gelben Hemd,<br />

schweigsam, wie ein Hütehund immer hinter dem Letzten von uns bleibend. Bleibt dieser<br />

stehen, bleibt auch er stehen. Die Stasi lässt grüßen.<br />

Das Straßenbild der ersten belebten Straße versetzt<br />

mich in eine andere Welt. Es gleicht dem vieler<br />

Straßen in Deutschlands Städten, die von Türken<br />

beherrscht werden wie München, Berlin, Köln und<br />

kommt mir fast vertraut vor. Wir sehen den<br />

Festungsring von innen. Die Bastionen haben von<br />

den Venezianern Namen bekommen. Manche<br />

wurden umbenannt, wie es mit Namen so ist bei<br />

politischen Wechseln. Dieses hier heißt Mula. Die<br />

Mauern ragen nicht mehr sehr hoch heraus. Im<br />

Laufe der Jahrhunderte wurde viel aufgeschüttet.<br />

Bastion Mula des Festungsringes<br />

Elende Behausungen fielen mir auf. Mir wurde bewusst, dass viele Festlandstürken aus<br />

Anatolien hierher gezogen sind oder ziehen mussten. Sie machen nichts an den Häusern. Sie<br />

gehören ihnen nicht. Im Unterbewusstsein fühlen sie sich bestimmt nur als Herren auf Zeit.<br />

Obwohl die Politiker kräftig die Ewigkeitstrompeten blasen.<br />

Die Straße erweitert sich hinter einem lang gezogenen Museumstrakt, ein erklärendes Schild<br />

kann ich nicht deuten- ich bin des Türkischen nicht mächtig. Der Atatürk Meydani, ein Platz,<br />

<strong>nach</strong> Atatürk 17 benannt, von Bank- und Bürohäusern umstanden, wird von einer mächtigen<br />

Säule beherrscht, einst von den Venezianern errichtet, als Triumphsäule mit dem<br />

Markuslöwen gekrönt. Sie wurde im 16. Jahrhundert aus den Ruinen der alten Stadt Salamis<br />

bei Famagusta hierher in die neue Hauptstadt gebracht.<br />

Wir kommen an dem berühmten Saray- Hotel<br />

vorbei, das zu seinen Füßen ein gut besuchtes<br />

Straßencafé unterhält, wo sich viele junge Leute<br />

zum Mittagessen versammeln.<br />

An einer Straßenverzweigung sehe ich eine<br />

mittelalterliche Ruine, die Mauerreste des Kleinen<br />

Han 18 aus dem 17. Jahrhundert, türkisch<br />

Kumarcılar Han, die Karawanserei der<br />

Ruinen des Kleinen Han<br />

Kumarcılar Han, die Karawanserei der<br />

Glücksspieler<br />

Glücksspieler. In seinen Räumen wurde dem<br />

Glücksspiel gefrönt, als es noch keine staatlich<br />

konzessionierten Kasinos gab. Ein Stückchen,<br />

etwa 100 Meter weiter, blicke ich durch einen<br />

Torbogen in einen altertümlichen Innenhof.<br />

17<br />

Atatürk, Kemal, bis 1934 Mustafa Kemal Pascha, türkischer Staatsmann und Feldherr, Schöpfer der<br />

modernen Türkei, * 19. 5. 1881 Saloniki, † 10. 11. 1938 Istanbul; vor dem 1. Weltkrieg in der Jungtürkischen<br />

Bewegung, Führer der Armeegruppe Yildirim („Blitz“) in Palästina im 1. Weltkrieg; stellte sich <strong>nach</strong> der<br />

Niederlage 1919 an die Spitze der nationalen Erhebung, berief im April 1920 die Nationalversammlung in<br />

Ankara ein; vertrieb 1921/22 die Griechen aus Kleinasien und erhielt den Ehrentitel Gazi („siegreicher<br />

Kämpfer“); beseitigte das Sultanat und das Kalifat; seit dem 29. 10. 1923 Präsident der Republik, führte<br />

Reformen durch (Übernahme westeuropäischer Rechtssysteme, Einehe, Lateinschrift, Hut statt Fes,<br />

Einschränkung der Religion). Seine Politik wurde von der Republikanischen Partei fortgeführt.<br />

18<br />

Han, [der; persisch] Karawanserei, Herberge und Lagerhaus in orientalischen Städten und an<br />

Karawanenstraßen.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 32


Steinerne Bögen tragen eine Galerie. Es ist Leben im Hof. Musik spielt. An Tischen unter<br />

Bierzeltbaldachinen sitzt Volk und trinkt Tee oder Kaffee. Das ist der Große Han, im<br />

Türkischen Büyük Han, eine alte Karawanserei.<br />

Antonio strebt weiter. Der Mann im gelben<br />

Hemd sieht sich misstrauisch <strong>nach</strong> mir um, der<br />

ich zum Fotografieren stehen geblieben war, um<br />

(menschen)freie Bahn zu haben. In Gänsereihe<br />

läuft unsere Gruppe nun durch die belebte<br />

Straße. Sie zieht sich weit auseinander. Schauen<br />

ist nur im Vorbeigehen möglich. Ein Stuhl mit<br />

defektem Rohrboden steht mitten auf der Straße.<br />

Vielleicht will man einen Parkplatz reservieren.<br />

Ich denke an ein Bild von van Gogh.<br />

Hier, in der ehemaligen Sophienkathedrale,<br />

befanden sich in der fränkischen Zeit das kirchliche<br />

und wohl auch das weltliche Zentrum der<br />

Residenzstadt. Die Kathedrale wurde zwischen<br />

1209 und der Mitte des 14. Jahrhunderts gebaut.<br />

Hier ließen sich die Lusignans zu Königen von<br />

<strong>Zypern</strong> krönen. Das Eingangsportal schmückt<br />

gotisches Maßwerk im französischen Stil: Dort wo<br />

die Türme aufragen sollten, ließen die osmanischen<br />

Beys zwei Minarette aufsetzen, zwischen denen<br />

heute der rote türkische Halbmond und die Flagge<br />

Nordzyperns wehen. So ist dieses Bauwerk ein<br />

architektonischer Zwitter, ein seltsames Gemisch<br />

von Christentum und Islam, ein Geschichtszeugnis,<br />

wie es vielleicht nur von der Hagia Sophia in<br />

Istanbul übertroffen wird. Das Tympanon über dem<br />

Eingang weist noch in drei Bogenreihen den Reigen<br />

der Heiligen auf, während die gotischen Maßfenster<br />

ihres Schmuckes beraubt wurden.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 33<br />

Einem Polsterer kann ich in seine bescheidene Werkstatt<br />

schauen. Sein Blick ist ob der ungewollten Ablichtung nicht<br />

gerade freundlich. Fertige Polstermöbel, den unsrigen nicht<br />

unähnlich, stehen vor dem Geschäft und werben für ihn;<br />

allerdings sind sie dem Staub der Straße ausgesetzt. Dann lese<br />

ich in der Irfan Bey Sokak - so heißt die Straße – ein Schild,<br />

das ein Türkisches Bad ankündigt, Büyük Hamam- Historical<br />

Turkish Bath, steht darauf, dazu noch der Name des<br />

wahrscheinlichen Betreibers. Sein Portalbogen mit den feinen<br />

Ornamenten wirkt wie ein Kirchentor und steht auf Kniehöhe,<br />

nämlich noch auf dem mittelalterlichen Straßenniveau. Man<br />

muss steile Stufen hinabsteigen, um hinein zu gelangen.<br />

Vielleicht war es einmal eine Kirche vor der osmanischen Zeit?<br />

Wir werden von den zwei Minaretten der Selimiye- Moschee<br />

angezogen.<br />

Eingang zur Selimiye- Moschee, der ehem.<br />

Sophienkathedrale (Nikosia Nord)<br />

Wir ziehen die Schuhe aus und treten ein. Groß und weit ist der Innenraum, bereit Tausende<br />

Gläubige aufzunehmen. Dreischiffig ist das Bauwerk. Mit Farbe, einheitlichem Teppichboden<br />

und geschickten Betonungen von Minbar und einem Podest ist ein einheitliches Raumensemble<br />

geschaffen worden. Die dicken Säulen sind unterhalb des Bogenlagers schwarz gestrichen und<br />

bilden eine optisch- psychologische Grenze, um <strong>nach</strong> oben zu blicken. Man kniet <strong>nach</strong> Osten.


Zum Inventar gehören ein Predigtstuhl (Kursi), Lesepulte (Rahle), Korankästen,<br />

Moscheeampeln und Gebetsteppiche (Sedschadea). Natürlich suche und finde ich innen auch<br />

christliches Steinwerk. Die Kapitelle der Säulen vor dem Chorumgang, die Maßwerksfenster,<br />

die nun in gelben Farben leuchten, die Rippenbögen der gotischen Deckengewölbe weisen auf<br />

die Ersterbauer und entlarven die Eroberer, die in großen runden Tafeln mit Kalligrafien die<br />

Sprüche des Korans preisen. Ich kann die in arabischer Schrift gehaltenen Jahreszahlen<br />

entziffern: 1290 und 1280 ( ١٢٩٠ und ١٢٨٠)<br />

Leider finde ich keine geschichtlichen<br />

Ereignisse, die hinter diesen Daten stehen. So können es nur Daten sein, die dieses Gotteshaus<br />

selbst betreffen.<br />

Vereinzelte Gläubige hocken oder knien in der Nähe der Säulen. Ich bemühe mich, ihre<br />

Andacht nicht dadurch zu stören, indem ich zwischen ihnen und der Kanzel durchlaufe.<br />

Manche von unserer Gruppe wissen das nicht. Wir Ungläubigen sind in einer Moschee nur<br />

geduldet. Allah ist groß. Vielleicht betet er unseretwegen die 109. Sure (Die Ungläubigen):<br />

Sprich: O ihr Ungläubigen,<br />

Ich diene nicht dem, dem ihr dienet,<br />

Und ihr seid nicht Diener dessen, dem ich diene.<br />

Und ich bin nicht Diener dessen, dem ihr dientet,<br />

Und ihr seid nicht Diener dessen, dem ich diene.<br />

Euch eure Religion und mir meine Religion.<br />

Wie tolerant! Ich mache einige Fotos und ziehe dann mühsam<br />

die Schuhe an die aufgequollenen Füße, als wir wieder unter die<br />

schattigen Rippengewölbe der Spitzbogenvorhalle heraustreten.<br />

Bald formiert sich die<br />

Gruppenschlange, von dem<br />

Mann in Gelb wieder zusammen<br />

gehalten. Gelassen und beinahe<br />

apathisch sitzen die<br />

„Tempelwächter“ auf einer Bank und warten darauf, dem<br />

Touristen etwas von dem Kram zu verkaufen, den die Händler<br />

zusammengetragen haben. Teile eines seltsamen Gotteshauses,<br />

des „Bedesten“ (türk. überdachter Markt) sind eingerüstet. Die<br />

verrosten Rüststangen zeugen von jahrelanger Standzeit und<br />

wenig Geld der Stadtverwaltung. Dieses gotische Bauwerk aus<br />

dem 12. Jh. vereinigt byzantinische, gotische und<br />

venezianische Stilelemente in sich und hat durch Erdbeben<br />

stark gelitten. Hinter der Kathedrale steht die Sultan-Mahmut-<br />

Bibliothek, heute genutzt von der „Assoziation of Friends of<br />

Museum“. Sicher war es früher der Sitz der Domherren. Es war nicht weit zur Markthalle.<br />

Vorher staunte ich über eine einsame Dattelpalme, die zum Abernten mit einer stationären<br />

Leiter versehen war. In einem Torgang staunte ich über die vorsintflutliche Elektrik an<br />

manchen Häusern. Die Markthalle von Nikosia Nord ist modern und voller Leben. Von Obst<br />

über Gemüse, verpackte Lebensmittel, Fleisch bis hin zu Süßigkeiten findet man hier alles.<br />

Auch Schmuck, Kleider, Schuhe und Unterhaltungselektronik werden angeboten.<br />

Wir schlendern durch die Hauptgasse, von<br />

neugierigen Blicken verfolgt. Die Einheimischen<br />

wissen, dass wieder einmal Touristen, an denen sie<br />

nichts verdienen, sie nur an ihrem Tagwerk hindern.<br />

Vereinzelte werbende Gesten, die mich näher an den<br />

Stand locken wollen oder Versuche, mit Anrufen<br />

mich zu ködern, Käufer zu werden, muss ich<br />

bedauernd ablehnen. Ich brauche nichts. So bleiben<br />

wir durchziehende Statisten in diesem lebendigen<br />

Bühnenwerk oder um es anders zu vergleichen-<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 34


in diesem zeitgenössischen türkischen Tempel des Konsums. Der Rundgang führt uns zurück.<br />

Ich erkenne den Kleinen Han wieder. Dann schwenkt Antonio von der Arasta Sokağı in den<br />

Torbogen des Büyük Han und verkündet eine halbe Stunde Pause.<br />

Einer türkisch- englischen Informationstafel entnahm ich folgende Beschreibung:<br />

Diese „Große Herberge“, eine alte Karawanserei, wurde 1571/72 von Mustafa Pascha errichtet,<br />

kurz <strong>nach</strong> der türkischen Eroberung, um reisenden Händlern aus Anatolien und anderen Teilen<br />

<strong>Zypern</strong>s Unterkunft zu bieten. Ursprünglich hieß diese Karawanserei „Alanyaliar Han“. Später<br />

dann, <strong>nach</strong>dem der Kumarcılar Han gebaut war, bezeichnete man ihn als Büyük Han. Er ist in<br />

seiner Anlage vergleichbar mit anderen Hans, die man in Anatolien findet. Esd ist das älteste<br />

türkische Bauwerk der Insel. Zum Beispiel gibt es eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit<br />

dem Koza Han in Bursa (Türkei).<br />

Das zweistöckige Bauwerk besteht aus 68<br />

Räumen, welche sich zu der großen<br />

umlaufenden Galerie öffnen, die sich um<br />

einen großflächigen Innenhof rahmt. Zehn<br />

Pacht- Läden öffnen sich <strong>nach</strong> außerhalb.<br />

In der Mitte des Hofes befindet sich das<br />

Ottoman Mesjid, das auf acht marmornen<br />

Säulen ruhende, mit einer Kuppel<br />

überdachte, zweistöckige Brunnenhaus,<br />

von außen mit einer steinernen<br />

Wendeltreppe versehen. Im Han gibt es<br />

zwei Eingänge (West und Ost), wobei das<br />

Osttor an der Asmaalti- Straße der<br />

Haupteingang ist. Ein Steinpaneel ohne<br />

Inschrift prangt über dem Torbogen.<br />

Zylindrische Säulen tragen die Spitzbögen beider<br />

Stockwerke und umgeben den Innenhof. Im<br />

Erdgeschoss geben sie damit schattige Arkaden<br />

frei.<br />

Die Räume im Erdgeschoss haben eine niedrige<br />

Bogentür, ein Bogenfenster und einen Kamin. An<br />

der Ostseite des Han, wo die Shops zur Asmaalti-<br />

Straße sind, links vom Eingang, findet man<br />

Kreuzrippengewölbe, rechts davon<br />

Tonnengewölbe.<br />

Zwei symmetrisch angeordnete Treppen in der<br />

NW- und SO- Ecke des Hofes führen vom Hof in<br />

das obere Stockwerk.<br />

Schichten von behauenen Steinen formen die<br />

äußeren und inneren Mauern des Hans. Auf den<br />

Mauern gibt es Wasserspeier aus Stein. Das<br />

Bauwerk wird unterstützt durch 2 Strebepfeiler in<br />

jeder der vier Ecken. An der Spitze des<br />

Tonnendaches gibt es zwei hexagonale<br />

Schornsteine mit konischer Bedeckung. Sie<br />

weisen auf die Kochherde hin.<br />

Wir setzten uns in den Schatten eines der breiten Schirmständer<br />

und warteten auf einen Kaffee- türkisch oder zyprisch war hier<br />

die Frage, die uns wieder auf die besonderen politischen<br />

Umstände stieß. Wir konnten zwar in zyprischen Pfund bezahlen.<br />

Ich stellte aber fest, dass die Währung hier im Norden die<br />

türkische Lira ist. Ich streifte noch ein wenig in den oberen<br />

Arkaden umher, entdeckte manchen Kunsthandwerker mit<br />

interessanten Schnitzereien, Malereien oder Verkäufer von<br />

Antiquitäten. Viel wird es den Händlern nicht einbringen. Es<br />

strömen täglich Hunderte von Touristen vorbei, doch diese<br />

werden immer ärmer und halten ihr Geld zusammen. Meine<br />

vorsichtige Einschätzung. Ich entdeckte an der Wand eine<br />

vorsintflutliche fahrbare Nähmaschine, die sicher noch nicht<br />

lange ausrangiert wurde. Sie gehört ins Technik- Museum.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 35


Aus einem Raum höre ich einen Mann Flöte spielen, mehr für sich als für andere.<br />

Wir brechen auf und laufen zurück zum Grenzposten.<br />

An zerfallenden, ungepflegten Häusern lese ich ab,<br />

dass die Menschen hier auf ungewisse Zeit leben, von<br />

der Politik verunsichert sind. Ich spüre: Sie sind aber<br />

Menschen, wollen in Frieden leben, eine Heimat<br />

haben. Auch die Türken auf <strong>Zypern</strong> besitzen<br />

angestammte Rechte! Dieser Konflikt kann nur<br />

international von außen gelöst werden. Keiner gibt<br />

freiwillig <strong>nach</strong>. Jeder Teil hat seine Argumente. Mag<br />

sein, dass der Schwerpunkt jetzt und seit dreißig<br />

Jahren sich auf den griechischen Teil verlagert hat.<br />

Wir passieren wieder den Atatürk Meydanı mit der<br />

dominierenden Venezianischen Säule. Als 1489 die<br />

letzte Königin der Lusignans, Caterina Cornaro, den<br />

Venezianern <strong>Zypern</strong> überlässt, betrachten diese die<br />

Insel als letzte Bastion gegen die Osmanen und<br />

befestigten sie. Ich habe es schon weiter vorn bei der<br />

Stadtmauer beschrieben. Hier auf dem zentralen Platz<br />

Venezianische Säule auf dem Atatürk<br />

Meydanı, Lefkoşa (Nikosia Nord)<br />

errichteten sie als Herrschaftszeichen diese 6m hohe<br />

Triumphsäule mit dem Markuslöwen, an deren Basis<br />

unter anderem venezianische Wappen zu sehen sind.<br />

Anstelle des später verloren gegangenen Löwen krönt seit der britischen Kolonialzeit eine<br />

Weltkugel das Monument. Spätestens hier muss man sich wieder einmal an die wechselvolle<br />

Geschichte der osmanischen Zeit auf dieser strategisch so wertvollen Mittelmeerinsel<br />

erinnern:<br />

1570 greifen türkische Truppen<br />

<strong>Zypern</strong> an, nehmen Lefkosia ein,<br />

richten dort ein Blutbad an, bei<br />

dem 20 000 Menschen starben und<br />

belagern Ammochostos (heute<br />

Famagusta) fast ein Jahr lang. Der<br />

venezianische Befehlshaber Marc<br />

Antonio Bragadino, ergibt sich<br />

<strong>nach</strong> tapferer Gegenwehr dem<br />

osmanischen Befehlshaber Lala<br />

Mustafa, der den Belagerten<br />

zunächst freien Abzug gewährt.<br />

Später jedoch befiehlt er,<br />

Bragadino zu peitschen und<br />

Atatürk Meydanı, Lefkoşa (Nikosia Nord)<br />

verurteilt die anderen zum Tode.<br />

Nach der türkischen Eroberung der Insel 1571 wurden auf <strong>Zypern</strong> etwa 30 000 Türken vom<br />

Festland hier zwangsweise angesiedelt. Im Gefolge der Einverleibung in das osmanische Reich<br />

wird die westliche Geistlichkeit vertrieben oder zum Islam zwangsbekehrt und die griechischorthodoxe<br />

Kirche wieder in ihre Rechte eingesetzt.<br />

Während der 300jährigen osmanischen Herrschaft gab es immer wieder Aufstände, die blutig<br />

niedergeschlagen wurden. Unter dieser Herrschaft stärkte sich die Macht der orthodoxen<br />

Kirche. Mit der Zeit wird der Erzbischof, Führer der Griechisch- Orthodoxen, deren<br />

Repräsentant beim Sultan. Der Erzbischof vertrat als Ethnarch die Belange der griechischen<br />

Volksgruppe, die vier Fünftel der Bevölkerung ausmachte.<br />

Als 1821 der griechische Unabhängigkeitskampf ausbricht, der Erzbischof und andere<br />

kirchliche Persönlichkeiten hingerichtet werden, spätestens dann entwickelt sich aus einer<br />

muslimischen Minderheit eine zypriotische Identität, die sich immer wieder gegen die<br />

Osmanen auflehnt.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 36


Von Antonio erfahren wir bei diesem Rundgang wenig bis nichts über die türkische Geschichte<br />

der Insel. Er ist unmittelbar von der Okkupation betroffen und mental nicht frei in der<br />

Beurteilung der Vergangenheit. Man kann es ihm, der mit Wehmut und Hass an die Invasoren<br />

und sein verlorenes Haus in Famagusta denken muss, nicht verübeln. Still geht er vor uns her.<br />

Wir trotten in der Mittagshitze hinterher, am Schluss der Aufpasser im gelben Hemd. Am<br />

Grenzposten heißt es wieder warten. Jeder muss sein Visum vorzeigen. Hundert Meter weiter<br />

nimmt uns der Bus auf und fährt uns das kleine Stück bis zur Bastion D’Avila, wo er parkt und<br />

in deren Nähe sich das beliebteste Altstadt- Viertel Laiki Gaitonia befindet, wo wir nun die<br />

heiße Mittagsstunde von eins bis zwei verbringen. Hier führt uns Antonio in ein bekanntes<br />

Lokal. Wir sitzen in einem byzantinisch verbrämten Restaurant „Byzantino Palati“ in der Solon<br />

Nr.6 bei ΕΙΔΙКΕΣ ΤΙКΙΕΣ ΛΙΑ ΔΕΙΞΙΣΕΙΣ; ich entschlüssele es mit Idikes Tikies Lia Dixisis,<br />

was immer das für Personen oder Dinge sind, die mit diesen griechischen Buchstaben lesbar<br />

gemacht werden. Wir sitzen unter einem herbstlich verdorrten aber noch Schatten spendenden<br />

Blätterdach im kleinen Hof des Restaurants. Martina bestellt einen Bauernsalat und ich<br />

schließe mich einer Sammelbestellung für ein Gericht an, die Antonio durch Umfrage ermittelt<br />

hat, <strong>nach</strong>dem er in der Küche war –was in Griechenland durchaus üblich ist – und geschnökert<br />

hat, was essbar ist und was nicht.<br />

Beim Gang auf die Toilette, die im ersten Stock zu finden<br />

ist, muss man über eine Holztreppe, an deren Wand einige<br />

schlecht und geschmacklos Bilder gehängt sind, an einem<br />

offenen Raum vorbei, in dem der Besitzer ein winziges<br />

Museum gestaltet hat. In dieser Kammer stehen ein<br />

eisernes Doppelbett mit linnenüberdachtem Himmel, eine<br />

Kommode, ein niedriges Sofa, ein raumhoher Schrank, ein<br />

Tisch mit Decke und Bügeleisen, unter einem Spiegel ein<br />

Polstersessel. An der Wand hängen unter Glas weitere<br />

Aquarelle. Vielleicht hat mal ein Künstler hier gewohnt.<br />

Ich kann es nicht ergründen.<br />

Unten in der Gaststube fotografiere ich einige Bilder, die<br />

ein wenig folkloristischen Charakter tragen und am ehesten<br />

etwas über frühere Zeiten berichten. Ein Bild, die<br />

Rückenansicht einer schönen Griechin, fesselt mich ganz<br />

besonders. Es ist ein seitliches Porträt von beinahe<br />

klassischer Schönheit.<br />

Da<strong>nach</strong> bummeln wir ein halbes Stündchen in den engen<br />

schattigen Gassen, sehen uns die Auslagen und Geschäfte an.<br />

Martina zieht mich in einen Laden mit unzähligen Köpfen<br />

aus Gips und prüft ausgiebig einige silberne Halsketten im<br />

Vorblick auf Weih<strong>nach</strong>ten oder Geburtstag Denises. Ich kann<br />

im Verkaufsgespräch mein Englisch anwenden. Martina<br />

entschließt sich <strong>nach</strong> langem gewohntem Zaudern. Kleine<br />

Bildergalerien haben es mir angetan. Die Motive sind meist<br />

auf die Spitzenattraktionen der Insel abgestimmt, auch einige<br />

Akte hängen darunter, darauf abzielend, dass Kunden aus<br />

dem Westen nicht so prüde wie es vielleicht noch die<br />

muslimischen Landsleute sind. Überall am Ende winziger<br />

Sackgassen finde ich einladende Sitzgruppen, die jetzt unter<br />

Mittag nur mäßig besetzt sind.<br />

Wie schön muss es sein, ohne Zeitdruck hier ein Gläschen Wein zu trinken, zu versuchen mit<br />

dem Wirt ein paar Worte zu radebrechen oder einfach dazusitzen und zu spüren, dass die Zeit<br />

für Augenblicke stehen bleibt. Mit begehrlichen Blicken werde ich von den umherstehenden<br />

Bedienkräften gemustert, manchmal angesprochen und mit devot einladender Geste<br />

aufgefordert Platz zu nehmen. Leider muss ich mich fast entschuldigen. Ich hebe die Schultern<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 37


und hebe die <strong>nach</strong> vorn gekehrten Handflächen hängenden Armes leicht an: Keine Zeit!<br />

Krima! Schade!<br />

Martina treffe ich jetzt, sie animiert mich unsicher, die Auslagen eines Händlers mit Nüssen,<br />

Mandeln, Nougat und anderen Süßigkeiten zu betrachten, dort wieder gibt es herrlich duftende<br />

Gewürze. Mit ihnen lebt die Erinnerung an all die orientalischen Basare wieder auf, die wir<br />

gesehen haben. Das hier ist nur ein müder, schwacher Abglanz.<br />

Ich erinnere mich an Hand eines Bildes, einem Schuster<br />

in seine armselige Werkstatt hineingeschaut zu haben.<br />

Solche Einblicke zeigen die wahren Verhältnisse derer,<br />

die nicht am Honigseim des Tourismus schlürfen,<br />

solcher armen Handwerker, die mit einfachsten<br />

Handwerkzeugen eine alte Tradition hoch halten, ihr<br />

Leben damit fristen, Schuhe reparieren, kleben, flicken,<br />

wo für ein paar lumpige Pfund der Markt nagelneue<br />

Importe anbietet. Es ist wie bei uns auch: Wer lässt<br />

noch Schuhe reparieren? Eine verschwindende<br />

aussterbende .Minderheit. Handwerk stirbt.<br />

Wir sammeln uns vor der Tachodromío, der Post. Der<br />

parkähnliche Platz am Rathaus, den die Bastion<br />

D’Avila freigibt, wird von uralten Bäumen bestanden,<br />

die mit ihren weit ausladenden Ästen tiefen erholsamen<br />

Schatten spenden. Beete mit Tausenden quittegelben<br />

Studentenblumen säumen die Wiesen, die sicher jeden<br />

Tag fleißig von Stadtgärtnern gesprengt werden.<br />

Schuhmacher- Werkstatt<br />

Altstadt Nikosia (Laiki Gaitonia)<br />

Ein mannshohes Spalier rot blühender Bougainvillea begrenzt einen Parkplatz. Es ist schön<br />

hier. Doch Antonio sammelt uns wieder, winkt uns zum Bus auf die vom müden Körper<br />

willkommenen Sitzplätze zum Nachmittagsprogramm. Kultur pur ist nun angesagt.<br />

Die Fahrt ist wieder nicht lang. Wir halten links in der<br />

Leoforos Mouseiou, einer breiten Straße vor dem<br />

Stadttheater. Der moderne Bau mit einem<br />

klassizistischen Portikus auf der Schauseite wird für<br />

Konzerte, Theatervorstellungen und verschiedene<br />

festliche Anlässe benutzt. Über den ionischen Säulen<br />

prangen die griechischen Buchstaben ΔΗΜΟΤΙКΟ<br />

ΘΕΑΤΡΟ ΛΕΥКΩΣΕΙΑ“. Was etwa heißt Dimotius-<br />

Theater Nikosia. Ich fand heraus, dass es gleichfalls die<br />

Hauptbühne für die „Theaterorganisation <strong>Zypern</strong>s“ ist.<br />

Schräg gegenüber befindet sich das <strong>Zypern</strong>- Museum,<br />

geringer die Zahl der Säulen am Eingang, doch<br />

bedeutender was den Inhalt und den Wert der darin<br />

enthaltenen Schätze angeht. Es birgt eine faszinierende<br />

Sammlung zyprischer Altertümer und Kunstschätze von<br />

der Jungsteinzeit bis zur frühen byzantinischen Periode.<br />

Dieses Archäologie- Museum, 1882 begründet, vermittelt ein geschlossenes Bild der<br />

Kulturgeschichte der Insel. Erst 1909 bezog das Museum diesen klassizistischen Bau, den der<br />

britische Gouverneur zum Gedenken an Königin Viktoria errichten ließ.<br />

Hier in einem ersten Raum, Saal 1, mit den frühesten Funden auf der Insel, wird Antonio<br />

sehr gesprächig und brilliert auch bei der weiteren Führung mit gutem Wissen.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 38


Er zeigt uns Symbolfiguren eines steinzeitlichen Fruchtbarkeitskultes,<br />

von dem ich eine Nachbildung mitbrachte. Am Original kann man<br />

Phallus- und Vagina- Symbol erkennen, die Verbindung von Mann<br />

und Frau. Ihre Entstehungszeit datiert bis 3000 Jahre vor Christus.<br />

Weibliche Tonidole mit Geburtsloch zeugen von einem der frühest<br />

bekannten Kulte.<br />

Im Ecksaal 2 fanden wir ganz außergewöhnliche Terrakottamodelle<br />

aus der frühen Bronzezeit, etwa um 2000 v. Chr. Das berühmteste<br />

stellt eine Schale dar, in der Menschen und Tiere versammelt sind, das<br />

berühmte Vounous- Modell. Von draußen, neben einer torähnlichen<br />

Öffnung, lugt ein Mann über die Mauer, ein Ausgestoßener, ein<br />

Neugieriger? Ein Rundheiligtum ist es, mutmaßt man. Tiere spielen<br />

eine große Rolle. Heilige Haustiere oder Opfer?<br />

Chalkolithisches kreuzförmiges<br />

Idol aus Speckstein<br />

Voll Interesse, ob es wissenschaftlich fundiertere Deutungen gibt als Antonios Erzählungen,<br />

holte ich mir im Internet dazu folgende Informationen:<br />

Das Vounous Modell (Zeichnung, Bild von Juergen E. Walkowitz ):<br />

Zu den bronzezeitlichen Attraktionen <strong>Zypern</strong>s gehört das<br />

Vounous- Modell. Es wurde als szenische Komposition<br />

von Ritualen in einem runden Temenos 19 verstanden. Als<br />

einziger Beleg für eine runde Sakralarchitektur in dieser<br />

Zeit, wurde es zum Ausgangspunkt extensiver<br />

Deutung<br />

religionshistorischer Spekulationen.<br />

Fundgeschichte<br />

Vounous ist zugleich der Name eines niedrigen Hügels an<br />

der Nordküste <strong>Zypern</strong>s, 1 km östlich der Abtei von<br />

Bellapais, die eine der Touristenattraktionen der Insel ist.<br />

Die im nördlichen Vorgebirge von Kyrenia liegende Stelle<br />

ist ein großer Friedhof aus der Bronzezeit. Viele seine<br />

Grüfte wurden in den frühen 1930ern geplündert. 1931<br />

und 1932 unternahm man Rettungsausgrabungen bei<br />

Vounous. Im Juni 1933 grub Claude F. A. Schaeffer die<br />

Grüfte 49-79 aus. Eine Expedition der britischen Schule<br />

von Athen setzte die Ausgrabungen 1937-1938 fort.<br />

P. Dikaios legte 1940 eine detaillierte Interpretation vor:<br />

Da<strong>nach</strong> handelt es sich um einen Temenos, das von einer<br />

niedrigen Mauer umgeben ist. Die Figuren verkörpern die<br />

Teilnehmer einer religiösen Zeremonie. Die drei vertikalen<br />

Balken der Bukranienwand 20 sind die Idole chthonischer<br />

Gottheiten, die Schlangen sind deren Attribute.<br />

Gleichzeitig repräsentieren die Balken wegen der (abgebrochenen) Tierschädel auch Bukranien und<br />

damit Aspekte einer Stiergottheit und deren Fruchtbarkeitsriten. Neuere Interpretationen stellen den<br />

Realismus des Modells in Frage. Eine schlüssige Erklärung wäre eine fremde Herkunft.<br />

Im Zentrum des Interesses befinden sich die - größer dargestellten (dunkelgrünen) - beiden Personen<br />

(bei 10.30 Uhr) und die rechts der Bukranienwand (bei 13 Uhr) separierte Sitzfigur. Die drei etwas<br />

abseits (bei 2 Uhr) platziert Sitzenden komplettieren ein sechsköpfiges Pantheon 21 . Diese Zahl<br />

entspricht den in Gruppen zu sechs aufteilbaren 12 Titanen und den sechs Kroniden der Theogonie<br />

des Hesiod 22 , die vermutlich um 700 v. Chr. entstand. Hesiod gilt als der Autor der „Zeusbibel“, dessen<br />

Glaube sich <strong>nach</strong> schweren Kämpfen, vermutlich in den „dunklen Jahrhunderten“, jedenfalls noch vor<br />

dem Jahre 800 v. Chr. (ggf. auch nur lokal) durchsetzt.<br />

Die Gruppe der ebenfalls sechs (im Kreis stehenden - hellgrünen) Personen stellt keine aktuellen<br />

Götter dar, könnte aber die (in der Tradition dieser Religion liegenden) „Altgötter“ meinen. Die vor der<br />

Bukranienwand sitzende Figur, (im Bild unten) erkennbar an der Kopfbedeckung, muss entweder der<br />

19<br />

Temenos, [das; griechisch], umgrenzter heiliger Bezirk; Heiligtum, meist mit Asylrecht.<br />

20<br />

Bukranion [das; griechisch], Stierschädel, mit Girlanden ein beliebtes Schmuckmotiv der Antike.<br />

21<br />

Pantheon [das; griechisch, „Tempel aller Götter“]<br />

22<br />

Theogonie [griechisch], Mythos und Lehre über Ursprung und Herkunft der Götter. Besonders bekannt ist die<br />

Theogonie des Hesiod.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 39


Herrscher oder der Oberpriester sein. Im letzteren Fall fiele dem Herrscher – nicht etwa einem<br />

beliebigen Gläubigen – die Position des vor der Bukranienwand Knienden zu.<br />

Unklar bleibt die Funktion der Personen (bei 9 Uhr) nur, wenn man von einer helladischen 23 Position<br />

ausgeht. Begreift man die Schale aber als eine anatolisch-orientalische Schöpfung so ergibt sich: Der<br />

Mann ist El, die Frau ist Aschera und das Kleinkind auf ihrem Arm ist Baal. Sie stellen die "Bethlehem-<br />

Version" des levantinischen Kultes, die Geburt Baals dar, die auch als zentrale Feier dieses Kultes und<br />

als das Ergebnis der Hierogamie 24 gilt. Auf die Levante bzw. Anatolien als Ursprungsgegend verweist<br />

die Tatsache, dass es sich nicht um ein mediterranes Pantheon handelt, das stets aus drei Männern<br />

und drei Frauen besteht.<br />

Der Zuschauer (bei 5 Uhr) repräsentiert den ausgesperrten Gläubigen oder den interessierten<br />

Fremden, den der Wächter (bei 6 Uhr) am Betreten des Kultplatzes hindert. Alles spricht also für eine<br />

von orientalischen Emigranten eingeführte Darstellung, die auch die runde Form der Schale erklärt, die<br />

der zyprischen Kultplatzform in der beginnenden Bronzezeit nicht entspricht. Zu dieser Zeit kam jedoch<br />

eindeutig anatolische Bronzetechnik auf die Insel, die vermutlich Migranten mitbrachten, die auch ihren<br />

anderen Glauben pflegten.<br />

Es ist rotpolierte Keramik, die noch andere mystische Motive verkörpert. Stierköpfige<br />

Menschen sind zu sehen. Mir ist bewusst, dass ich die Einmaligkeit der Funde als Laie nicht<br />

beurteilen kann.<br />

Im Saal 3 finden sich Vasen, Vasen, Vasen. Aber sie erzählen<br />

Geschichten. Hier sind es hauptsächlich bronzezeitliche Rot-auf-<br />

Schwarz-Malerei, die auf den Handel in ägäischen Gefilden schließen<br />

lässt, und die schwarz bzw. weiß überzogene helle Keramik, die mit<br />

vielerlei Symbolik versehen ist. Ich erkenne sogar deutlich ein<br />

Hakenkreuz, eines unter vielen runenähnlichen Malen. Antonio<br />

erklärte nur wenige der vielen Hundert Ausstellungsstücke. Eine Vase<br />

liebt er besonders, ein roter Stier auf gelbem Grund mit gesenktem<br />

Kopf in Angriffsstellung, darüber eine Sonne, unter dem Kopf eine<br />

stilisierte Lotus- Blume. Es gibt Motive mit Fischen und Vögeln, dann<br />

wieder abstrakte Symbole…<br />

Im kleinen Ecksaal 4 gibt es eine ganze<br />

„Terrakotta- Armee“ zu bewundern. Es sind<br />

Krieger, die wenn man genau hinsieht, teilweise<br />

verwundet dargestellt sind, so als würde man die<br />

Leiden des Krieges geißeln. Die meisten<br />

Figuren, Krieger, Kentauren, löwenköpfige<br />

Menschengestalten sind bewaffnet. Einige<br />

thronen auf Wagen, die von Stieren gezogen<br />

werden. Die insgesamt über 2000 Stücke<br />

stammen von einer Grabung, die von<br />

schwedischen Archäologen geleitet wurde, aus<br />

einem Fund von Agía Iríni im Nordwesten der<br />

Insel.<br />

„Terrakotta- Armee“, Fund von Agía Iríni<br />

23<br />

helladische Kultur, bronzezeitliche Kultur des griechischen Festlands; gegliedert in eine frühhelladische<br />

(2500—1900 v. Chr.), eine mittelhelladische (1900—1600 v. Chr.) und eine späthelladische (1600—1100<br />

v. Chr.) Periode. In der frühhelladischen Zeit bildete das griechische Festland mit den Kykladen, dem<br />

frühminoischen Kreta, Makedonien und Anatolien eine Kultureinheit (ägäische Kultur), getragen von einer<br />

einheitlichen nichtindogermanischen Bevölkerung. Die Siedlungen hatten städtischen Charakter.<br />

Monumentalbauten in Lerna und Tiryns deuten auf das Bestehen von Herrensitzen. Neben Kupfer und Bronze<br />

verwandte man noch Stein (u. a. Obsidian) und Knochen; in den Töpfereien überwog die glasierte, Metallglanz<br />

imitierende Urfirniskeramik. Am Anfang des 2. Jahrtausends v. Chr. wurden die frühhelladischen Siedlungen<br />

von einwandernden Indogermanen (den als Achäer, Ionier bezeichneten Frühgriechen) zerstört. In der<br />

folgenden mittelhelladischen Periode bildete sich eine Mischkultur aus traditionell ägäischen und<br />

indogermanischen Elementen. Durch Einflüsse von Kreta entstand um 1600 v. Chr. die mykenische Kultur, die<br />

der späthelladischen Periode Griechenlands entspricht.<br />

24<br />

Hierogamie = heilig…, Priester…; Priesterverehrung<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 40


In der Spätbronzezeit waren diese Figuren zu Kultzwecken vor einem Altar aufgestellt.<br />

Der Saal 5 überraschte mit großen monumentalen Steinplastiken aus Kalkstein. Marmor war<br />

knapp oder auf der Insel nicht vorhanden. Die Aphrodite von Sóloi aus dem 1. Jh. ragt hier<br />

heraus und ist auf allen Prospekten des Museums zu sehen, ein weiblicher Torso. Sie ist zur<br />

Symbolfigur der Insel <strong>Zypern</strong> aufgestiegen, obwohl es von Aphrodite schönere Plastiken gibt.<br />

Aphrodite von Sóloi<br />

1. Jahrhundert v. Chr.<br />

Von der Größe her, aber auch durch seine heldenhafte Pose beherrscht die überlebensgroße<br />

selbstverherrlichende Bronzegestalt des Kaisers Septimius Severus 25 den kleinen Ecksaal 6.<br />

Über den Bezug dieses römischen Imperators zur Insel <strong>Zypern</strong> konnte ich nichts erfahren. Nur<br />

der Fundort bei Kythrea am südlichen Hange des Petadaktylos- Gebirges, das etwa 20 km<br />

nördlich von Nikosia und nicht weit von der Küstenstadt Kyrenia/Girne entfernt liegt, lässt<br />

Zusammenhänge vermuten. Natürlich war die Insel Zwischenstation auf den Feldzügen des<br />

Kaisers ins Zweistromland, um dort das mächtige Reich der Parther 26 im Schach zu halten, das<br />

im Osten Roms Eroberungen bedrohte.<br />

Es gilt als gesichert, dass die Insel seit dem Jahre 58 v. Chr. bis 330 n. Chr. fest in römischer<br />

Hand war. <strong>Zypern</strong> fällt in dieser Zeit unter die Herrschaft des Römischen Reiches. Auf den<br />

Missionsreisen des Heiligen Paulus und Barnabas wird der Prokonsul Sergius Paulus zum<br />

Christentum bekehrt: <strong>Zypern</strong> wird das erste christlich regierte Land. Tektonische<br />

Erschütterungen und mehrere Erdbeben ereignen sich im ersten vorchristlichen und<br />

<strong>nach</strong>christlichen Jahrhundert. Ganze Städte werden wieder aufgebaut. 313 n. Chr. gewährt das<br />

Mailänder Edikt den Christen Religionsfreiheit. Zyprische Bischöfe nehmen 325 am Konzil<br />

von Nikäa teil.<br />

25<br />

Septimius Severus, geb. 146 in Leptis Magna, Afrika, entstammte einer Familie aus dem Ritterstand, wuchs<br />

in Afrika auf und wurde dann in Rom von Marc Aurel in den Senat aufgenommen. Er durchlief die<br />

Ämterlaugbahn, wurde 170 Duästor, 178 Prätor, heiratete 185 in zweiter E´he die Iulia Domna aus Syrien, war<br />

186 – 189 Statthalter in Gallia Lugdunensis (Lyon), versah 191 – 193 die Statthalterschaft Oberpannoniens,<br />

wurde 193 in Carnuntum bei Wien zum römischen Kaiser ausgerufen. Er zog 197 gegen die Parther und eroberte<br />

Ktesiphon, Seleukia und Babylon. 202 ließ er den <strong>nach</strong> ihm benannten Triumphbogen auf dem Forum romanum<br />

bauen. Während eines Feldzuges in Britannien starb er 211 in Eburacum (York). Seine Söhne Caracalla und<br />

Geta übernahmen seine Herrschaft.<br />

26<br />

Parther, iranischer Stamm an der Südostecke des Kaspischen Meeres. Zwischen 250 und rund 238 v. Chr.<br />

eroberten die Parner, ein ostiranischer Stamm, unter ihrem Anführer Arsakes die seleukidische Satrapie<br />

Parthava. Die eingedrungenen Parner erhielten aufgrund ihrer Niederlassung in Parthava den Namen Parther.<br />

Vermutlich um 247 v. Chr. wurde Arsakes zum König gekrönt und begründete die Dynastie der Arsakiden; die<br />

erste Hauptstadt wurde Nisa. Unter Mithradates I. wurde das Partherreich die Großmacht des Ostens, mit der die<br />

Römer in Armenien und Mesopotamien rund 300 Jahre lang zu kämpfen hatten. Vermutlich 141 v. Chr. wurde<br />

die Hauptstadt <strong>nach</strong> Ktesiphon am Tigris verlegt. Die Parther knüpften an das Vorbild der Achämeniden an,<br />

kulturell stand das Reich unter griechischem Einfluss. Im 1. u. 2. Jahrhundert n. Chr. wurde das Partherreich<br />

durch Bürgerkriege und mehrere römische Feldzüge (siehe oben) erschüttert.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 41


Weiter führte der Rundgang in den Saal 7. Es überwogen<br />

Bronzefiguren und –kunstwerke. Waffen, viele Münzen, Siegel, die<br />

von Verwaltungs- und Hoheitsmacht zeugen, kleine Statuetten<br />

überfordern selbst den aufmerksamen Besucher, wenn er alles das<br />

genau studieren will. Die Bezüge zur Geschichte fehlen dem Laien.<br />

Ich habe oben nur versucht, an einem Beispiel, eine Verbindung<br />

herzustellen. Interessanteste Stücke sind eine Bronzekuh aus Vouní (5.<br />

Jh. v. Chr.) und der Gehörnte Gott aus Énkomi (12. Jh. v. Chr.).Das<br />

ist ein Blick in die Kunst der Bronzezeit, fast 15000 Jahre zurück!<br />

Über eine kleine Treppe gelangen wir in das Untergeschoss, wo<br />

rekonstruierte Gräber in dem Zustand zu sehen waren, wie sie von<br />

Einheimischen gefunden (und ausgebeutet) wurden. Fotografien<br />

belegen das zeitnah und geben Einblicke in die Beziehungen der<br />

Einwohner zu ihrer Historie.<br />

Bald sind wir gesättigt und fußmüde, nehmen die weiteren Säle nur<br />

noch oberflächlich wahr, erfahren im Saal 9 etwas über<br />

Begräbnisrituale, sehen Sarkophage, Grabmäler, Stelen der Antike in<br />

verschiedenen Epochen. Weiter.<br />

Im Saal 10 finden wir Artefakte und Tafeln mit Schriftzeichen aus<br />

ganz unterschiedlichen Epochen. Diese zeugen von ausgezeichneter<br />

Schriftkunde der antiken Völker.<br />

Hervorzuheben ist eine Tafel mit einer bis heute noch nicht entzifferbaren kypro- minoischen<br />

Silbenschrift, die ins 16. Jahrhundert vor Christus datiert wird. Ein Double des kleinen<br />

sensationellen Keilschriftfundes von Ugarit 27 , dem Ursprung unseres Alphabetes, weist auf<br />

Verbindungen zum mächtigen Hethiterreich hin. Später im Bus zeigt uns Antonio eine Tafel,<br />

die die Entwicklung und Ähnlichkeiten verschiedener Schriften deutlich macht:<br />

27<br />

Ugarit, im Altertum Stadt an der nordsyrischen Küste, heute Ruinenhügel Ras Schamra (mit Hafen Minet el-<br />

Beida). Ausgrabungen seit 1929 brachten älteste Funde aus dem 7. u. 6. Jahrtausend v. Chr. Seit dem 2.<br />

Jahrtausend v. Chr. Stadtstaat unter Königen; lange unter minoischem und ägyptischem Einfluss, später auf<br />

Seiten der Hethiter; um 1200 v. Chr. wurde Ugarit von den Seevölkern zerstört.<br />

Ugaritische Sprache, aus dem 14. bis 13. Jahrhundert v. Chr. überlieferte semitische Sprache; Texte mit<br />

mythologischen Gedichten in Keilschrift wurden seit 1929 in Ugarit gefunden.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 42


Die indoeuropäische Sprache der<br />

Hethiter wurde mit akkadischer<br />

Keilschrift auf Tontafeln<br />

geschrieben; daneben gab es eine<br />

von den Hethitern erfundene<br />

Bilderschrift (hethitische<br />

Hieroglyphen), die vor allem für<br />

monumentale Inschriften auf<br />

Stein verwendet wurde.<br />

Ich gestehe, dass die Exponate<br />

der <strong>nach</strong>folgenden Säle, in denen<br />

Funde aus den Königsgräbern<br />

von Salamis (Nordzypern)<br />

gezeigt werden, meine<br />

Aufmerksamkeit nicht mehr<br />

fesseln konnten.<br />

Es war einfach zu viel, in einer Stunde das alles aufzunehmen.<br />

Ein Saal dokumentierte die Gewinnung von Kupfer und die Herstellung von Bronze in der<br />

Antike bis in die Neuzeit. Interessant ist sie neben anderen Aspekten als Quelle der antiken<br />

Bezeichnung der Insel “<strong>Zypern</strong>“ (lat. Cuprum, Kypris). Nun bin ich wieder bei der<br />

unverzichtbaren Kenntnis der frühen Geschichte <strong>Zypern</strong>s gelandet:<br />

In der Bronzezeit, etwa von 2300 – 1050 v. Chr. war <strong>Zypern</strong> der wichtigste Kupfer- Exporteur<br />

des Altertums. In den Gebieten des Kupferabbaues war die Insel dicht besiedelt. Der Handel<br />

erstreckte sich bis in den Nahen Osten, Ägypten und in den Raum der Ägäis.<br />

In der späten Bronzezeit, etwa um 1450 v.u.Z. errichteten die Mykener 28 Handelsstützpunkte<br />

auf der Insel. Die vom griechischen Peloponnes stammenden Einwanderer, die Achäer 29 ,<br />

übernahmen während des 11. und 12. Jahrhunderts v.u.Z. die Herrschaft auf <strong>Zypern</strong> und<br />

verbreiteten auf der Insel die griechische Sprache, ihre Religion und Bräuche. Sie gründeten<br />

die ersten Stadtkönigreiche: Paphos, Salamis, Kition (heute Larnaca), Kourion (bei Limassol).<br />

Bald ist <strong>Zypern</strong> eine Insel mit zehn Stadtkönigreichen.<br />

Es folgt die Zeit von 1050 – 750 v. Chr., die so genannte Geometrische Zeit oder die Eisenzeit.<br />

Um 800 v.u.Z. siedeln sich Phönizier an der Südküste bei Kition und Amathous an. Die Insel<br />

wird wohlhabend, fällt aber in der Folgezeit, die man die Archaische oder klassische Zeit<br />

nennt, mehreren Eroberern zum Opfer. Die zyprischen Königreiche werden aufeinander<br />

folgend Tributpflichtige Assyriens, Ägyptens und Persiens.<br />

Unter persischer Herrschaft genossen die Zyprer lokale Autonomie und konnten eigene<br />

Herrscher ernennen. Salamis war damals das mächtigste unter den Königreichen <strong>Zypern</strong>s. Mit<br />

dem König Onisilos an der Spitze rebellierte es 499 v. Chr. gegen die persische Herrschaft. Die<br />

Rebellion wurde niedergeschlagen, ebenso die darauf folgenden griechischen Versuche,<br />

<strong>Zypern</strong> zu befreien.<br />

Vergeblich versuchte der athenische Feldherr Kimon, 449 v.u.Z. die griechische Kolonie<br />

Kition (Larnaca) aus der Gewalt des persischen Bündnisses zu lösen.<br />

Ebenso wenig gelingt es König Evagoras von Salamis (411 – 374 v. Chr.) im Jahre 411 mit<br />

einer Revolte, <strong>Zypern</strong> von der persischen Macht zu befreien. Dennoch macht er die Insel zu<br />

einem führenden politischen und kulturellen Zentrum der griechischen Welt.<br />

28<br />

Mykenische Kultur, die von den mykenischen Griechen getragene spätbronzezeitliche Kultur des griechischen<br />

Festlands, 1600—1200 v. Chr., Endstufe der helladischen Kultur, Teil der kretisch-mykenischen Kultur.<br />

29<br />

Achäer, Achaier, Achaioi, Achiver, frühgriechischer Volksstamm, bei Homer und im lateinischen<br />

Sprachgebrauch die Gesamtheit der Griechen; wohl aus Achaia Phthiotis (Thessalien) in die nördliche<br />

Küstenlandschaft des Peloponnes eingewandert; Träger der mykenischen Kultur.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 43


Erst 332 befreit Alexander der Große <strong>Zypern</strong> von den Persern. Die zyprische Flotte half ihm,<br />

Phönizien zu erobern.<br />

Von 333 – 325 v.u.Z. heißen die Stadtkönigreiche den König Alexander von Makedonien<br />

willkommen und lassen sich in dessen Reich eingliedern. <strong>Zypern</strong> wird Teil des Reiches von<br />

Alexander dem Großen.<br />

Nach dessen Tod streiten sich die Generäle Alexanders in rivalisierenden Kämpfen um dessen<br />

Erbe. <strong>Zypern</strong> fällt dem hellenistischen Staat der Ptolemäer in Ägypten zu. Die Ptolemäer heben<br />

die Stadtkönigreiche auf und vereinigen <strong>Zypern</strong>, dessen Hauptstadt Paphos wird.<br />

Diese so genannte Hellenistische Zeit dauert von 325 – 58 v.u.Z. Dann kommen die Römer,<br />

von denen schon die Rede war. Ade erst mal, Historie!<br />

Mit wirrem Kopf bestiegen wir den Bus und traten am Spät<strong>nach</strong>mittag die Heimfahrt <strong>nach</strong><br />

Protaras an. Der Tag war so voller Eindrücke. Jetzt wollten wir uns nur noch entspannen. In<br />

der Hotelhalle lud uns Antonio zu einem kühlen Getränk ein: Brandy sour. Dazu gab es eine<br />

Anekdote, die er zum Besten gab. Ein arabischer oder ägyptischer König, den Namen merkte<br />

ich mir nicht, war zu Besuch auf <strong>Zypern</strong>. Man wollte ihm einen erfrischenden Drink anbieten.<br />

Alkohol durfte er ja als Moslem nicht trinken. Da mixte man ihm eben diesen Drink mit<br />

Zitrusgeschmack. Er war begeistert und trank fortan nur noch brandy sour.<br />

Es schmeckte <strong>nach</strong> mehr. Ich trank auf ausdrücklichen Wunsch Martinas Glas noch leer und<br />

fühlte mich da<strong>nach</strong> ausnehmend gut. Wir saßen kurz beisammen und genossen <strong>nach</strong> dem<br />

Abendessen den Balkon und die Ruhe.<br />

Sonntag, 1. Oktober 2006<br />

VII. Cap Grekko<br />

H<br />

eute war der erste Tag zur „freien Verfügung“. Ich war wohl ein wenig lässig und<br />

leichtsinnig beim Buchen gewesen und hätte das <strong>Reise</strong>programm genauer anschauen<br />

müssen. Diese ganze <strong>Reise</strong> hätten wir zum halben Preis haben können, wenn wir nur<br />

eine Woche Rundreise gebucht hätten. Insgesamt sechs freie Tage sind es nun, an denen wir<br />

uns selbst überlassen sind, ohne Führer, ohne Beratung. Das sollte ich noch unangenehm<br />

spüren. Ich wollte so viel wie möglich von diesem Land sehen- und nun sollen wir in den<br />

Badehotels rumhängen- ein Zwangsvorstellung! Ich hatte eine Kulturreise erwartet. Doch das<br />

<strong>Reise</strong>programm war unantastbar und korrekt ausgeschrieben. Ich musste mich fügen.<br />

Da ich ein wissbegieriger<br />

Mensch bin, und auch<br />

preiswertere, weniger weite<br />

Badehotels in Europa ansteuern<br />

kann – wenn ich das will – war<br />

ich mit den eingeflochtenen<br />

„Tagen zur freien Verfügung“<br />

total unzufrieden und fühlte<br />

mich auch ein wenig überlistet,<br />

da die <strong>Reise</strong> im Katalog<br />

durchaus nicht als kombinierte<br />

Kultur- und Badereise<br />

ausgeschrieben war, sondern<br />

als Busrundreise.<br />

Überdies hatte uns Frau Ismini<br />

Karapanou Kyriacou zum<br />

<strong>Eberhardt</strong>- <strong>Reise</strong>fest im WTC<br />

Dresden bei Buchung am<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 44<br />

Protaras, Beach Hotel „Cavo Maris“, Badelandschaft<br />

8. Oktober 2005 in überschwänglichen Tönen versprochen, uns für die freien Tage<br />

Programmvorschläge zu machen. Sie wollte uns „an die Hand“ nehmen und Vieles zeigen.


Nichts dergleichen passierte. Antonio blieb an diesen Tagen unsichtbar und unsere<br />

<strong>Reise</strong>begleiterin Carina Latta ebenfalls.<br />

Ich erkundigte mich an der Rezeption des Hotels <strong>nach</strong> Fahrrädern. Achselzucken. Leider nein.<br />

Wie weit ist es <strong>nach</strong> Paralimni? Zu weit. Wir wollten laufen. Natürlich hätten wir für Dollars<br />

ein Mietfahrzeug nehmen können, aber wir wollten die Natur und das Land kennen lernen.<br />

Wir hätten auch baden können. Das Wetter spielte mit. Es war heiß. Doch Martina wollte aus<br />

Gesundheitsgründen nicht. Es gab zwei Alternativen: Einen Stadtgang zur Eliaskirche in<br />

Protaras oder eine Wanderung zum Kap Grekko. Die Entfernung war bei beiden etwa fünf<br />

Kilometer. Schließlich entschieden wir uns für das Kap, die südlichste Spitze –nicht <strong>Zypern</strong>s,<br />

das ist bei Limassol eine militärisch genutzte Halbinsel mit dem Cap Gáta. Es ist auch nicht<br />

das östlichste, das ist die spitz <strong>nach</strong> NO auslaufende Halbinsel Karpasia im türkisch besetzten<br />

Teil, aber Kap Grekko ist ein wichtiges vorspringendes Horn, das in früheren Zeiten bei<br />

Stürmen die Schiffe umsegeln mussten, um in die Bucht von Famagusta einzulaufen.<br />

Auf der Karte sieht es wie ein Katzensprung aus, aber es sind zu Fuß doch mehrere Stunden.<br />

Wir liefen bei großer Hitze los, mit Hut und Tuch vor der Sonne geschützt. Sonntagsstille<br />

überall, relativ leere Straßen.<br />

Ein Katzenliebhaber warb um<br />

Spenden für seine sieben Katzen, die<br />

alle an der Betonmauer seines<br />

Hauses wuselten. Bis außerhalb des<br />

Ortes Protaras mussten wir auf der<br />

Straße laufen. Viele Baustellen für<br />

Ferienhäuser wiesen auf die<br />

wachsende Prosperität des Ortes und<br />

Zuwachs an Ferienhäusern hin.<br />

Knatternd dröhnten Touristen auf<br />

geleasten Minicars vorüber, zu dem<br />

Gestank und dem Lärm aus dem<br />

Auspuff noch hupend und schreiend<br />

vor Lust: Schaut her, wir sind die<br />

Größten!<br />

Bald sind wir am letzten Hotel vorbei. In den Anwesen, in denen wir vorbeikommen, blühen<br />

natürlich alle die herrlichen Gewächse, die im Mittelmeerraum die Augen verführen wie<br />

Malven, Oleander, Bougainvillea in allen Farben. Die Straße steigt jetzt an. Dann bietet sich<br />

ein Seitenweg an, der laut griechischer Beschriftung einen Naturpfad ist. Zuerst waren wir<br />

unsicher, ob er uns vom Ziel weg- und an die Küste hinunter hinführt, doch bald merkten wir,<br />

dass er parallel zur Straße durch das trockene Unterholz mit den verkrüppelten Zirbelkiefern<br />

verlief. Der Boden bestand aus karger roter Erde, die oft zutage trat, denn die dürre Macchia 30<br />

zeugte nicht viel Humus, und nur in den wenigen Wintermonaten regnet es ein wenig.<br />

Der Wanderweg war asphaltiert. Die Sonne<br />

brannte. In der Ferne erblickten wir nun den<br />

Felsen, der als militärischer Sperrbezirk nicht<br />

zugänglich ist. Wieder galt es ein Schild in<br />

griechischer Sprache zu entziffern. Gott sei Dank,<br />

es stand auch in englischer Sprache einiges dabei.<br />

Ein „Aphrodite- Weg“, ein so genannter Nature<br />

Trail, führt um den „Mount 100“ herum. Über<br />

brüchige Karstfelsen, teilweise geebnetem Pfad,<br />

an einer Bank vorüber, stiegen wir langsam hinab.<br />

30<br />

Macchie, ['makkie; die; lateinisch] italienisch Macchia, (Fleck, Buschwald), durch Abholzung und<br />

Beweidung aus Hartlaubwäldern (Hartlaubvegetation) hervorgegangenes immergrünes Gebüsch des<br />

Mittelmeerraums; enthält u. a. Erdbeerstrauch, Lorbeer, Wacholder, Zistrose, Myrte, Pistacia- und Ericaarten.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 45


Der weitere Weg nahm unsere ganze Aufmerksamkeit in<br />

Anspruch. Am Ufer angekommen, belohnte uns der Blick<br />

aufs blaue Meer und die Felsklippen, an denen schon so viele<br />

Schiffe zerschellt sind. Taucher hatten die einzige Bank mit<br />

ihren Sachen belegt, die wir für eine kleine Rast brauchten.<br />

Ich fing ein Gespräch an, als ich merkte, dass es Russen<br />

waren. Auf meine naive Frage, was es da unten zu sehen<br />

gäbe, bekam ich die lakonische Antwort, ich solle selber<br />

<strong>nach</strong>sehen. Ich überlegte mir neben der Möglichkeit, dass sie<br />

Sporttaucher seien auch die Deutung, dass sie <strong>nach</strong> alten<br />

Wracks suchten. Dann waren mir ihre schroffen Antworten<br />

verständlich. Dabei kann man keine Gaffer gebrauchen.<br />

An die eigentliche Spitze des Kaps, eine flache Halbinsel und<br />

Südostspitze <strong>Zypern</strong>s, auf der einige Sendemasten stehen,<br />

darf man als Zivilist nicht gehen. Hier standen wir nun an<br />

dem Kreuz, das vielleicht an untergegangene Seeleute<br />

erinnern sollte. Ein frischer Wind fächelte uns Kühlung.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 46<br />

In einen Überhang hinein hatten Schäfer oder<br />

andere Leute eine ehemals vorn weit offene Höhle<br />

so mit Steinen zugesetzt, dass nun fast eine<br />

regensichere Unterkunft daraus geworden ist. Von<br />

der Militärstation wurden wir mit dem Fernglas<br />

beobachtet. Ich zog mein Fernglas aus der Hülle<br />

und blickte hinauf. Wir taten nichts Verbotenes. Die<br />

Höhlen ergaben nichts Besonderes. Alte Lumpen<br />

lagen da, es gab keinen Hinweis auf<br />

Geschichtliches.<br />

Am Kap Grekko, Südostspitze<br />

<strong>Zypern</strong>s. Im Hintergrund die<br />

Sendemasten des eigentlichen Kaps<br />

Wir aßen einen Apfel, tranken einen Schluck Wasser und stapften auf den durchlöcherten<br />

Kalkfelsen weiter, links um den als Mount 100 bezeichneten Felsen herum. Sein Name hat er<br />

von seiner Höhe, die genau 100 m über dem Meer liegt. Ein paar Wanderer begegneten uns, sie<br />

führten ihre Mountainbikes an der Hand, Leute aus Chemnitz. Sachsen trifft man in der ganzen<br />

Welt! Die nächsten Leute, die wir trafen, sind aus Agia Napa hierher gekommen. Sie<br />

berichteten, dass ein Weg hinauf auf den Berg führen würde. So kletterten wir denn, <strong>nach</strong>dem<br />

der Berg umrundet war, steil hinauf, genossen dabei eine beinahe unwirkliche Fernsicht auf das<br />

weite blaue Meer- irgendwo da draußen in der Weite liegt Afrika! – und landwärts am<br />

Horizont, in etwa 8 km Entfernung, das Touristen- Eldorado Agia Napa, einer der beliebtesten<br />

Badeorte <strong>Zypern</strong>s, wie der Baedeker vermutet. Ich halte mich solchen Orten, vor allem den so<br />

angepriesenen Nachtleben fern. Ein wenig orientierungslos stiegen wir aufwärts, der Schweiß<br />

rann schon, das Hemd war nass. Ein italienisches Ehepaar versicherte uns, dass bald ein Weg<br />

käme und siehe da, wir erreichten ein Plateau, wo Autos parkten: Noch 300 m zum<br />

Aussichtspunkt, dem View Point. Das war auch noch zu schaffen.<br />

Dann genossen wir die beglückende Sicht unter<br />

dem wohltuenden Schatten eines kleinen<br />

Pavillons, schälten eine Apfelsine, schluckten<br />

etwas Wasser und konnten nun, <strong>nach</strong> einer<br />

Ruhepause, den Gipfel auskosten und <strong>nach</strong> allen<br />

Seiten Ausschau halten. Von hier oben sah man<br />

deutlich das eigentliche Kap, eine flache<br />

Landzunge, mit den Sendemasten, es ist<br />

strategischer Militärstützpunkt. Auf dem Plateau<br />

tummelten sich eine Menge Italiener,<br />

Ausflügler, die mit Leih- Autos hierher kamen.


Sie waren nicht so erschöpft wie wir, aber auch nicht so<br />

stolz auf ihre Wanderleistung. An einem Denkmal, das<br />

den Platz beherrschte und acht auffliegende Kraniche in<br />

Bronze festhielt, lichteten wir uns beide wie richtige<br />

Ausflügler gegenseitig ab. Hier sind wir gewesen- guckt<br />

alle her! Den Rückweg mussten wir suchen. Er führte<br />

jetzt links am Militärcamp vorbei. Wir teilten den<br />

staubigen und welligen Pfad mit den heimkehrenden<br />

Autofahrern. Dann sahen wir die Landstraße <strong>nach</strong> Agia<br />

Napa, schlugen die Gegenrichtung ein und konnten bald<br />

wieder unseren Naturpfad erkennen. Unterwegs kehrten<br />

wir ein, tranken Schweppes und Kaffee. Der Weg durch<br />

Protaras zog sich in die Länge. Baustellen von neuen<br />

Hotels und schmucken Ferienhäusern säumten die Straße.<br />

Außer einigen Minicars war es sonntäglich still und<br />

drückend heiß. Eine gelbe zyprische Postsäule reizte<br />

mich zu näherer Untersuchung und einer Aufnahme.<br />

Dieses runde Ding heißt auf Griechisch ΓΡΑΜΜΑΤΟКΙΒΩΤΙΟ,<br />

Betonung auf dem Omega, auf Englisch Letter Box, zu Deutsch<br />

Briefkasten.<br />

Bald sahen wir die Bebauung<br />

unserer Hotelanlage, die am<br />

Anfang der Feigenbucht, der<br />

Fige Tree Bay, wie sie hier heißt,<br />

eine Menge Küste in Beschlag<br />

nimmt. Jetzt spendete die<br />

Blütenpracht an den Häusern und<br />

Zaunanlagen die letzten<br />

erquickenden Augenblicke, ehe<br />

die klimatisierte Kühle der<br />

Hotelhalle uns das Glück des<br />

gelungenen Ausfluges empfinden ließ und wir erschöpft <strong>nach</strong><br />

einer Dusche zu einem traumlosen Schlummer auf die Betten<br />

fielen. Etwa 15 Marschkilometer lagen hinter uns.<br />

Am späten Nachmittag bin ich ans Meer, tappte vorsichtig hinein, schluckte etwas Salzwasser,<br />

schwamm zwischen den zahlreichen Klippen und Felsbrocken umher, die strandnah aus dem<br />

Wasser ragen. Ich genoss das Bad wie eine zusätzliche Beigabe zum <strong>Reise</strong>programm,<br />

betrachtete die hier lagernden Menschen aus der Position des Außenseiters, traf Tante und<br />

Nichte aus unserer <strong>Reise</strong>gruppe, schwatzte mit ihnen ein Weilchen. Dann, halb auf dem<br />

Rückweg, sprang ich auch noch in das Schwimmbecken innerhalb der Hotelanlage, schwamm<br />

ein paar Bahnen, um überhaupt einmal diese wässrigen Angebote zu nutzen. Nach dem<br />

reichhaltigen Abendessen, das von mir immer mit einem kühlen prickelnden Bier eröffnet und<br />

mit einem Becher Eis abgeschlossen wurde – köstlich! – packte ich meinen Koffer, während<br />

Martina bereits ihre „Schularbeiten“ gemacht hatte. Letzter Blick vom Balkon übers Meer und<br />

das abendliche Protaras. Lärmende Klimaanlage ausschalten. Traumloser Schlaf.<br />

Montag, 2. Oktober 2006<br />

VIII. Chirokitia<br />

P<br />

ünktlich 9.00 Uhr saßen wir im Bus, die Koffer waren verstaut. Abschied vom Cavo<br />

Maris, von Protaras und der Ostküste <strong>Zypern</strong>s. Heute sollte es über Larnaca, Limassol<br />

zum abendlichen Quartier in den Bergen <strong>nach</strong> Agros gehen.<br />

Auf halbem Wege zwischen den großen Städten Larnaca und Limassol hielten wir in<br />

Choirokoitía (griech. Χοιροκοιτία, sprich: Chirokitía, ich werde es weiter so benennen) an.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 47


Diese steinzeitliche Fundstätte wurde 1998 von der UNESCO in die Liste des Weltkulturerbes<br />

aufgenommen. Chirokitia liegt 48 km südlich von Nikosia an der Autobahn A1 Nikosia-<br />

Limassol oder wie die Einheimischen sagen Lefkosia – Lemesos. Von Larnaca liegt es 32 km<br />

entfernt, zur Südküste sind es etwa 7 km. Dieser Platz ist eine Siedlung aus dem Neolithikum,<br />

der Neusteinzeit, ist also schätzungsweise siebentausend Jahre vor der Zeitenwende bewohnt<br />

gewesen. Dieser Ort gehört zu den ältesten gefundenen Siedlungen des Mittelmeerraumes, ja<br />

der ganzen Welt. Nach der Periode als Jäger und Sammler wurden die Menschen allmählich<br />

sesshaft und ernährten sich von Schafen, Ziegen und Tauben, wie hiesige Knochenfunde<br />

beweisen. Die ersten Siedler kamen aus Syrien und Kilikien 31 . Sehr wichtig ist, dass sich mit<br />

den in aufeinanderfolgenden Zeiträumen entstandenen Bauten die Ausbreitung der<br />

Jungsteinzeit- Kultur verfolgen lässt.<br />

Wir wurden zuerst an ein wieder aufgebautes Modell dieser neolithischen Steinhütten geführt,<br />

das im Tal nahe einem jetzt versiegten Bachbett errichtet wurde. Sehr eindrucksvoll führte uns<br />

Antonio vor, mit welchen baulichen Mitteln sich diese Siedler mit Schutzmauern vor Feinden<br />

zu verteidigen wussten. In den niedrigen runden Hütten werden die Kopien einiger<br />

Gegenstände, zum Beispiel Werkzeuge gezeigt. Diese Steinhäuser wurden an Hand von<br />

Ausgrabungen mit demselben Material und mit den gleichen Methoden <strong>nach</strong>gebaut, so dass der<br />

heutige Mensch eine Ahnung davon bekommt, wie hier die Menschen im Altertum lebten.<br />

Chirokitia war von 7000 v.u.Z. und <strong>nach</strong> einer Pause von 1500 Jahren ab 4000 v.u.Z.bewohnt.<br />

Wir stiegen über Treppen den Berg hinauf und bekamen erst einmal eine Vorstellung, wie<br />

groß diese Siedlung gewesen war. Am ganzen Hang ziehen sich die kreisförmigen<br />

Fundamente solcher Häuser hinauf, eng aneinander gebaut, miteinander verbunden, fast<br />

festungsmäßig angeordnet. Zusätzlich pflanzten die Bewohner um die Hütten Büsche, Bäume<br />

und Pflanzen, die man damals kultivierte, sowie einheimische Gewächse, die seit der<br />

Jungsteinzeit auf <strong>Zypern</strong> wachsen, um Schatten und Nahrung für Mensch und Tier zu haben.<br />

31<br />

Kilikien, lateinisch Cilicia; heute türkisch Çukurova, Landschaft im östlichen Kleinasien um das heutige<br />

Adana. Im Altertum als Zentrum der Seeräuber berüchtigt, seit 84 v. Chr. römische Provinz. Die Kilikische<br />

Pforte war Einfallstor <strong>nach</strong> Syrien. Wichtige Städte: Tarsos (Heimatstadt des Apostels Paulus), Mallos, Soloi.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 48


Viele geologische Epochen gingen also<br />

im Paläolithikum der jüngeren Steinzeit<br />

voraus. Die Siedler auf dieser Insel<br />

hatten wohl auch gar nicht viel<br />

Spielraum, um sich als jagende und<br />

sammelnde Nomaden zu bewegen. Von<br />

daher kann auch der Drang <strong>nach</strong><br />

Sesshaftigkeit gekommen sein. Die<br />

Steinhäuser hatten einen niedrigen<br />

Eingang und ein Fenster. Das Dach ruhte<br />

auf dünnen Balken und war mit flachen<br />

Steinen eingedeckt. Am Hang fanden<br />

wir dann nur noch die freigelegten<br />

Mauerreste. Weiter oben erkennen wir<br />

die immense Arbeit der Ausgräber, die<br />

Chirokitίa, neolithische Siedlungsreste, 7. Jahrtausend v.u.Z.<br />

noch längst nicht abgeschlossen ist.<br />

Um noch einmal auf die rekonstruierten Häuser am Bach<br />

zurückzukommen: Die Schutz- Mauer zum Fluss war im<br />

Gebrauch, bis die Siedlung jenseits über den Hang gewachsen,<br />

eine Grenzbefestigung ins Land <strong>nach</strong> Westen geschaffen und<br />

uneinnehmbar geworden war. Ein 2m breites und 3 m hohes<br />

Mauerband schlängelt sich vom Fluss den Hügel hinauf und auf<br />

der anderen Seite wieder zum Fluss hinab. Der Eingang zur<br />

Siedlung war ein komplexes architektonisches System, dafür<br />

entwickelt, die Höhendifferenz von 2 Metern zu überwinden,<br />

zwischen dem Niveau, auf dem die Siedlung begann und dem<br />

tiefer liegenden Außenbereich.<br />

Diese Struktur, zu finden in <strong>Zypern</strong> und im Nahen Osten, besteht aus einer Reihe von<br />

Einrichtungen, die der Eingangskontrolle von Personen in die Siedlung dienten.<br />

Sie umschloss eine in die Außenmauer integrierte Treppe in rechtwinklig abgeknickter<br />

Bauweise von Steinen mit sorgfältig gepflasterten Stufen. Die Treppe besteht aus drei<br />

rechtwinklig zueinander angelegten Fluchten. Der Zugang ist versperrt durch eine zweite<br />

Einrichtung, die noch in der Erforschung ist.<br />

Passierte jemand den ersten Kontrollpunkt, ein Besucher, der Zugang zur Siedlung suchte,<br />

hatte die erste Stufenflucht zu erklimmen, sich dann <strong>nach</strong> links zu wenden, um die zweite zu<br />

nehmen und sich noch einmal zu wenden, um die dritte Stufenreihe zu ersteigen. Dann oben<br />

angelangt, musste er sich wieder <strong>nach</strong> rechts drehen und zwei Meter gehen, bevor er<br />

schließlich den Eingang, das Tor der Siedlung erreichen konnte. Möglicherweise musste er<br />

sogar im Inneren noch einige Stufen herabsteigen, die aber nicht erhalten sind.<br />

Antonio erläuterte an Hand dieser für uns Heutigen unscheinbare Treppe als wirksame<br />

Schutzmaßnahme. Er zeigte uns die Handhabung von Schild und Schwert oder Lanze im<br />

Zusammenwirken mit dem Eingangskonstrukt.<br />

Auf etwa 1,5 ha lebten hier zirka 300 Menschen.<br />

Wir turnten bis an die Absperrung zum tätigen<br />

Ausgrabungsfeld, sahen erst oben, wie weit sich<br />

diese Siedlung über den ganzen Hang erstreckt<br />

und dass noch längst nicht alles erschlossen und<br />

bestimmt ist. Es gibt hier sicher noch viel zu<br />

entdecken und vor allem zu rekonstruieren.<br />

Mit einem weiten Blick <strong>nach</strong> Westen nahm ich<br />

Abschied von diesem interessanten Platz. Im Tal,<br />

jenseits des Bachbettes, an der Straße warteten<br />

schon andere Busse und eine Erfrischung, dann<br />

ging die Fahrt weiter in Richtung Westen.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 49


IX. Limassol – Lemesos und Johannisbrot<br />

Es ging auf die Mittagszeit zu, las wir <strong>nach</strong> kurzer Fahrt auf der Küstenautobahn die Vororte<br />

und wenig später die ersten Hochhäuser von Limassol erreichen. Die Zyprioten nennen diese<br />

Stadt Lemesos (Λεμεσοσ). Sie ist Nachfolgerin zweier Stadtkönigreiche und Schauplatz einer<br />

königlichen Hochzeit im Mittelalter. Sie erstreckt sich entlang der Südküste <strong>Zypern</strong>s und liegt<br />

am westlichen Saum der durch eine hervorspringende Halbinsel gebildeten Bucht von Akrotiri.<br />

Die Halbinsel ist militärisches Sperrgebiet der Briten. Seit Zerfall der sozialistischen<br />

Sowjetunion 1989 haben die Russen diese Stadt für sich entdeckt. Antonio, der hier zu Hause<br />

ist, bemerkte spöttisch, Limassol sei die zweite und heimliche Hauptstadt Russlands. Limassol<br />

ist mit knapp 160 000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt <strong>Zypern</strong>s <strong>nach</strong> Nikosia und besitzt<br />

<strong>nach</strong> der türkischen Besetzung von Famagusta heute den größten Hafen <strong>Zypern</strong>s.<br />

Wir fahren in die Stadt ein und bemerken<br />

<strong>nach</strong> den ersten kleineren Vorortbauten auf<br />

der Seeseite bald eine Kette von<br />

bemerkenswert luxuriösen Hotels, die sich<br />

in Strandnähe kilometerweit hinziehen. Ein<br />

Hotel am anderen, alles deutet auf den stetig<br />

wachsenden Touristenstrom. An<br />

Ampelkreuzungen zieht mich der immer<br />

noch ungewohnte Linksverkehr in seinen<br />

Bann, bis links hinter einem nüchternen<br />

Hotel- Betonklotz eine Baulücke zum<br />

Halten einladet. Antonio gewährte uns eine<br />

Stunde Mittagsrast. Rast im Restaurant „Armonia“, Limassol<br />

Wir scharten uns um einfache Tische im Grünen und im Schatten hoher Palmen. Zwei Katzen<br />

spielten zwischen den Stuhlbeinen. Wir aßen einen Bauernsalat, einen choriatkí ssaláta, um es<br />

mit lateinischen Buchstaben zu umschreiben, tranken eisgekühlte Cola und Schweppes.<br />

Das Restaurant „Armonia“ ist in die hintere Fassade eines<br />

schlecht gearbeiteten und schon abgewohnten<br />

Sechsgeschossers eingearbeitet. Eine mit Rostfarbe<br />

gestrichene Treppe führt in einem kleinen Vorbau zur<br />

Gaststube und den versifften Toiletten hinauf. Das<br />

schattige, ruhige Rasenstück am Meeresufer, die frische<br />

Brise vom Wasser aber sind wohltuend und laden uns ein.<br />

Die Katzen balgen sich immer noch unter dem freien<br />

Plastikstuhl.<br />

Ich will sie fotografieren, aber sie sind schneller, auch scheu,<br />

und wenn ich nahe herzu gehe, erstarren sie, blicken mich<br />

ängstlich an und hören mit ihrer kindlichen Balgerei sofort<br />

auf. Als alle ihren Imbiss verzehrt und bezahlt hatten, fuhren<br />

wir die lange Uferstraße weiter. Draußen lagen große Schiffe<br />

auf Reede. Parkanlagen und Promenaden mit schönen<br />

Strandabschnitten, viel Grün. Wir befuhren die in ganz<br />

<strong>Zypern</strong> berühmte Strandstraße Spyrou Araouzou fast bis zum<br />

Alten Hafen. Dort verließen wir den Bus. Antonio führte uns<br />

zuerst in ein Geschäft für allerlei Meereserzeugnisse und<br />

Naturprodukte, das Exhibition Center Sea Sponges 32<br />

Antonio schwang sich in einen Haufen Schwämme und hielt<br />

einen Vortrag, wie die vor den Küsten <strong>Zypern</strong>s und<br />

Griechenlands geernteten Schwämme chemisch gereinigt und<br />

32<br />

Ausstellungszentrum für See- Schwämme<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 50


konserviert werden. Riesenexemplare und verschiedene selten Abarten befanden sich<br />

darunter. Am Eingang warben Großbuchstaben für Sea Shells, Corals und Sharks 33<br />

An der Decke hingen Teufelsfische, aufgeblasen, ausgestopft<br />

und für die Ewigkeit präpariert. Seesterne, Muscheln aller Art<br />

und jeder Form waren zu haben, warteten auf Andenkenjäger,<br />

die wir ja nicht waren und aus Zollgründen auch nicht sein<br />

dürfen. Weiter bot dieses Geschäft Olivenseife in allen Farben<br />

an. Die Luft roch auch angenehm da<strong>nach</strong>. Am Eingang zu<br />

einem Nebenraum, in dem die üblichen Souvenirs der Insel<br />

feilgeboten wurden, stand ein lebensecht modellierter Seemann<br />

und machte auf seemännische Produkte aufmerksam. Riesige<br />

Schalen von Mördermuscheln lagen zu seinen Füßen,<br />

Taucherhelme, Ketten…In Aquarien schwammen Fische. Im<br />

Nebenraum tummelten sich auf den Regalen ungezählte Götter<br />

und Aphroditen in Gips und imitierter Bronze, ganze<br />

Heerscharen von griechischen Philosophen, streitbaren<br />

Amazonen Und anderen mythologischen Gestalten in allen denkbaren Posen und Größen. Im<br />

hintersten Raum dann konnte man Konfitüren, Feigen, Mandel- und Nusserzeugnisse kaufen<br />

usw.<br />

Bald standen wir wieder auf der Straße und strebten nun in die Altstadt. Am Kastell, dem<br />

einzigen erhaltenen historisch bedeutsamen Bauwerk von Limassol, zog Antonio vorbei und<br />

tauchte mit uns in den Schatten einer alten Mühle für Johannisbrot. Alte Maschinen standen<br />

in einer dunklen Halle. Mir fehlte jede Vorstellung, was uns da nahe gebracht wurde. Ich<br />

konnte mir nur helfen, indem ich die Tafeln abfotografierte, um sie zu Hause in aller Ruhe zu<br />

übersetzen. Es muss ein zypernweit bedeutsames Unternehmen gewesen sein, noch bis in die<br />

Kriegsjahre des zweiten Weltkrieges hinein, die Johannisbrotmühle von Laniti (engl.<br />

Lanitis Carob Mill, griech. Χαροιπομ λος Λανίτη). Was ist Johannisbrot?<br />

Johannisbrot hat viele Namen: Karoben, Bockshorn,<br />

Soodbrot. Es ist eine getrocknete, süß schmeckende Frucht<br />

des Johannisbrotbaums. Die braunen, 10-25 cm langen,<br />

flachen Schoten werden unreif geerntet und an der Sonne<br />

getrocknet. Sie enthalten ca. 65% Traubenzucker, 6%<br />

Eiweiß und 1% Fett. Johannisbrot dient in den<br />

Produktionsländern als Nahrungsmittel, außerdem wird es<br />

geröstet als Kaffee-Ersatz, zur Herstellung von Brusttee<br />

und gemahlen als Geliermittel verwendet; es ist auch<br />

wichtiges Viehfutter. Die Samen wurden früher zum<br />

Wiegen von Edelsteinen benutzt (daher der Name „Karat“).<br />

Der Johannisbrotbaum ist der einzige Hülsenfrüchtler, der<br />

aus der Kreidezeit (144- 65 Millionen Jahre) stammt und<br />

die Eiszeit überdauert hat.<br />

Johannisbrotbaum; zypr. Teratsia,<br />

arab. Kharrub, wissenschaftlicher Name:<br />

Ceratonia Siliqua Leguminosae<br />

In der mediterranen Region wächst er oft in Gemeinschaft mit Olivenbäumen. Systematisch<br />

kultiviert, findet man ihn heutzutage in Amerika und Australien. Beides, der Baum und seine<br />

Früchte waren schon in antiker Zeit bekannt. Theophrastus 34 bezieht sich darauf als „keronia“<br />

darauf, Dioskurides 35 als keratea mit der Frucht keration. Seit den Lateinern ist das<br />

Johannisbrot unter seinem botanischen Namen Ceratonia Siliqua Leguminosae bekannt.<br />

33<br />

Seemuscheln, Korallen und Haie<br />

34<br />

Theophrast von Eresos, griechischer Philosoph, * 372 v. Chr., † 287 v. Chr.; Peripatetiker (Schulhaupt seit<br />

322), Schüler und Nachfolger des Aristoteles; schrieb über Botanik und Mineralogie, verfasste eine Sammlung<br />

von Charakterstudien und eine für die antike Philosophiegeschichtsschreibung einflussreiche Geschichte der<br />

Naturphilosophie.<br />

35<br />

Dioskurides, Pedanios, griechischer Arzt im 1. Jahrhundert n. Chr.; verfasste eine fünfbändige<br />

Arzneimittellehre „De materia medica“, die für mehr als anderthalb Jahrtausende das grundlegende Arzneibuch<br />

blieb<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 51


Die alten Römer bezeichneten ihn als Siliqua Graeca, damit<br />

andeutend, dass er vielleicht aus Griechenland stamme. Der<br />

Johannisbrotbaum war auch weithin bekannt im syro-<br />

palästinensischen Raum. Zu urteilen <strong>nach</strong> der „Parabel vom<br />

verlorenen Sohn“: Es tauchte darin als Schweinefutter auf.<br />

An die europäischen Küsten des Mittelmeerraumes ist es<br />

möglicherweise von den Arabern eingeführt worden, worauf<br />

die vorherrschend arabische Wurzel des Wortes hinweist. Der<br />

deutsche Name <strong>nach</strong> dem Propheten Johannes lässt auch die<br />

Herkunft Palästina anklingen.<br />

Der Johannisbrotbaum ist ein hoher, langlebiger, immergrüner Baum, der bis zu 5 – 10 m<br />

hoch werden kann. In seinem natürlichen Habitat begegnet man ihm an niedrigen Hängen ab<br />

Meereshöhe bis etwa 800 m Höhe. Oft findet man ihn inmitten kultivierter Felder als typisch<br />

zyprisches Wahrzeichen.<br />

Während des Mittelalters waren „Kharrubs“ bekannt als Johannisbrot. Seither glaubte man,<br />

dass dieses und nicht Heuschrecken die Hauptnahrung von Johannes dem Täufer in der<br />

Wüste gewesen ist. Der Kharrub war auch bekannt als keration oder teratsi, weil seine Form<br />

einem Ziegenhorn (keraton) ähnelte.<br />

Die Frucht wird hart, wenn sie reif ist, hat etwa 8 – 10 Samenkörner und einen süßen<br />

Geschmack. Wir haben das ausprobiert.<br />

Beides, während der Antike und heute wird es dem Tierfutter beigemischt. Johannisbrot wird<br />

heute verwendet bei der Vorbereitung von Süßigkeiten und Sirups genauso wie in der<br />

pharmazeutischen und chemischen Industrie. Die Borke des Baumes, seine Blätter und<br />

unreifen Früchte werden zur Produktion von Tannin verwendet, das sowohl in der<br />

industriellen Behandlung von Tierfellen als auch zum Färben von Schiffssegeln gebraucht<br />

wird.<br />

Wir standen um die Maschinen herum, die 25 Leute der <strong>Reise</strong>gruppe umstanden ihn. Seine<br />

Worte, mit denen er das alles erläuterte verhallten. Ich bekam da nichts mit.<br />

Dann machte er sich auf den Weg, uns ein<br />

wenig „seine“ Stadt zu zeigen. An dem<br />

Kastell lief er einfach vorbei. Ich<br />

protestierte heftig. Er ließ sich darauf ein,<br />

in den Garten einzubiegen und dort mit der<br />

Gruppe zu warten, während ich als einzig<br />

Interessierter schnell hinein sollte, um zu<br />

fotografieren. Es war ein Irrwitz. Dieses<br />

alte Kastell atmet so viel Geschichte, dass<br />

es wirklich wert wäre, es in das<br />

Besichtigungsprogramm einzubeziehen.<br />

Ich spurtete also mit gezückter Kamera<br />

hinein, blind an der Kasse vorbei, denn es<br />

war ein richtiges Museum (wahrscheinlich<br />

Limassol. Blick vom Kastell in Richtung Meer<br />

wollte das <strong>Reise</strong>unternehmen die Eintrittsgelder sparen), eilte durch einige<br />

Erdgeschossräume, klickte paar Mal und stieg geschwind auf die Dachterrasse, sah auch von<br />

oben unsere Leute, holte mit schnell einen Rundblick, über die Stadt und hinüber aufs Meer.<br />

Im hastigen Rückwärtsgang stürzte ich, der Fotoapparat knallte mit ausgefahrener Optik auf<br />

den Boden und der Tubus verkantete- nichts ging mehr. Ich hatte mir auch wehgetan und<br />

eine Stinkwut auf Antonio und die <strong>Reise</strong>leitung. Ich ließ mir nichts anmerken, nur Martina<br />

fauchte mich an, als ich ihr beichtete, dass der Apparat kaputt sei. Ich hatte ja noch die<br />

andere Kamera mit, doch dieser war ja ihr Apparat!<br />

Dabei ist es einfach zwingend, sich genau in diesem Kastell an Richard Löwenherz zu<br />

erinnern. Er hat auf <strong>Zypern</strong> Spuren hinterlassen. Dabei ist es vielleicht interessant, etwas<br />

weiter auszuholen. Wer nicht will, mag das Folgende überlesen:<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 52


X. Richard Löwenherz – Kreuzfahrer des 3. Kreuzzuges<br />

s soll ja von der Hochzeit Richard Löwenherz’ mit Berengaria in Limassol die Rede<br />

sein. Ich habe also ein Buch 36 über die Kreuzzüge hergenommen und hier seine<br />

abenteuerliche Geschichte zusammengetragen:<br />

E Richard wird in England geboren, ist aber eher Franzose.<br />

Zur Welt kam Richard in England, vermutlich im Schloss Beaumont in Oxford, am 8. September<br />

1157. Das Schloss ist verschwunden, aber an Richards ersten Auftritt erinnert eine Tafel am<br />

Straßenrand. In Richards Ahnentafel stammt nur Großmutter Matilde, die Tochter König Heinrichs I.,<br />

aus England. Großvater Gottfried Plantagenet, der Ehemann Matildes, war ein Graf von Anjou. Aus<br />

dieser Ehe stammt Richards Vater, Heinrich von Anjou. Richards Mutter, Eleonore von Aquitanien,<br />

heiratete Heinrich von Anjou im Mai 1152. Ihre Ehe mit König Ludwig VII. war erst einige Wochen<br />

vorher von vier französischen Bischöfen annulliert worden. Eleonore heiratet keinen armen Mann.<br />

Heinrich Plantagenet ist mit zweiundzwanzig Jahren schon Graf von Anjou und Herzog der<br />

Normandie. Eleonore bringt das reiche Herzogtum Aquitanien mit in die Ehe. Doch dabei bleibt es<br />

nicht. Als König Stephan von England stirbt, erkennt er Heinrich als Erben an. Im Dezember 1154 wird<br />

der junge Plantagenet als Heinrich II. zum König von England gekrönt. König Ludwig muss sich von<br />

dieser Machtzusammenballung bedroht fühlen. Um den Konflikt zu entschärfen, erkennt Heinrich den<br />

französischen König als Oberherren über die Normandie, Anjou und Aquitanien an. Aber diese<br />

Unterwerfung bleibt ein formaler Akt. Der Streit um den kontinentalen Besitz der Plantagenets wird<br />

sich über Jahrzehnte hinziehen und das Leben Richards überschatten.<br />

Im Jahr 1168 herrschte Krieg zwischen Heinrich und Ludwig. Die Söldnertrupps standen sich bei<br />

diesen Kriegen selten in Schlachtformation gegenüber. Adlige kamen gelegentlich auf Turnieren um,<br />

aber im realen Gefecht hielten sie meist den gebotenen Abstand. Die häufigste Kriegshandlung war<br />

die Belagerung von Burgen. Gefangene waren viel zu wertvoll, um sie zu töten. Adlige wurden gegen<br />

Lösegeld freigelassen, und die Söldner schonten sich gegenseitig, weil sie dem gleichen Stand<br />

angehörten und oft miteinander befreundet waren. Eroberte Burgen wurden geschleift oder von<br />

Gefolgsleuten des Siegers übernommen. Wenn eine Burg den Belagerungsmaschinen standhielt,<br />

wurden die Bauern und Handwerker des Gegners ausgeplündert. Wer finanziell soweit geschwächt<br />

war, dass er keine Söldner mehr anmieten konnte, hatte den Krieg verloren. Da Heinrich reicher war<br />

als Ludwig, behielt er in der Regel die Oberhand. Im Friedensvertrag des Jahres 1169 wird Richards<br />

Verlobung mit Alice, einer Tochter Ludwigs, bestätigt. Das Mädchen wird der Obhut der englischen<br />

Krone übergeben.<br />

Richard wird 1172 in Poitiers der Titel eines Herzogs von Aquitanien verliehen, er tritt also das Erbe<br />

seiner Mutter an. Wenn Eleonore in Poitiers Hof hielt, herrschte sicher Weltoffenheit. In Aquitanien<br />

blühte die Kunst der Troubadoure, und Eleonore soll den Minnesang geschätzt haben. Über ihren<br />

realen Liebesaffären liegen die Nebel des Tratsches und der Legende. Der Chronist Wilhelm von<br />

Newburgh merkt an, Eleonore habe in ihrer ersten Ehe unter der Keuschheit ihres Gatten gelitten:<br />

„Eleonore nahm am meisten an der Lebensweise Ludwigs Anstoß und klagte, sie habe einen Mönch<br />

und keinen König geheiratet. Man sagt auch, dass sie noch während der Ehe... einer Heirat mit dem<br />

normannischen Herzog (Heinrich) zuneigte.”<br />

Heinrich war alles andere als ein Mönch: Eleonore hat acht Kinder zur Welt gebracht. Richard muss<br />

allein mit drei männlichen Erben als Mitbewerbern rechnen: Mit dem jungen Heinrich, der vor ihm<br />

geboren wurde, mit Gottfried und Johann. Heinrich sollte England und Anjou erben, Richard<br />

Aquitanien, die anderen den Rest. Der Plan enthält Zündstoff. Als König Heinrich dem erst<br />

fünfjährigen Johann drei bedeutende Festungen übereignet, ist alles klar: Der alte Heinrich will die<br />

Burgen selbst verwalten und so dem Zugriff des jungen Heinrich entziehen. Als Richard in Poitiers die<br />

Insignien der Herzöge von Aquitanien empfängt, wird er nur dem Namen <strong>nach</strong> Herzog. König Heinrich<br />

setzt seine Söhne nämlich nur symbolisch ein. Die reale Macht und das Steueraufkommen behält er<br />

für sich. Der junge Heinrich besteht darauf, einen Teil seines Erbes sofort zu übernehmen, aber Vater<br />

Heinrich winkt ab. Die Beziehungen zwischen König Heinrich und Eleonore waren <strong>nach</strong> der Geburt<br />

des achten Kindes (Johann) merklich abgekühlt. Ob die beiden sich je im heutigen Sinn »geliebt«<br />

haben, ist zweifelhaft. Was der König bei Frauen suchte, fand er offensichtlich bei seiner Konkubine<br />

Rosamunde...<br />

Da Heinrich die Übergabe ihres Erbes an Richard verweigert, rebelliert Eleonore gegen ihren Gatten.<br />

Sie wirbt Söldner in ihrer Heimat an und schickt im Frühjahr 1173 Richard und Gottfried <strong>nach</strong> Paris.<br />

Auch den jungen Heinrich hält es nicht länger beim Vater. Der Chronist Robert von Torignei:<br />

36<br />

Peter Milger „Die Kreuzzüge- Krieg im Namen Gottes“, Orbis Verlag, Sonderausgabe 2000<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 53


„Erzürnt zog sich Heinrich von seinem Vater zurück und gelangte <strong>nach</strong> Argenton. Von dort floh er zum<br />

König von Frankreich, ohne dass seine Diener, die der König für ihn abgestellt hatte, davon wussten.”<br />

Der Chronist zählt die Adligen auf, die die Partei des jungen Heinrich ergriffen hatten und fährt fort:<br />

„Der König zerstörte bei all diesen die Häuser, Setzlinge und Wälder. Ebenso entfremdeten sich<br />

Königin Eleonore und ihre Söhne, Graf Richard von Aquitanien und Gottfried von der Bretagne.”<br />

Der französische König Ludwig ist über die Anwesenheit von drei Königssöhnen entzückt und hält<br />

erfreut einen Hoftag ab. Der Streit im englischen Königshaus stärkt seine Position. Feierlich schlägt er<br />

Richard zum Ritter.<br />

Vater Heinrich lässt sich durch das Bündnis seiner Söhne mit König Ludwig nicht beeindrucken. Im<br />

November 1173 stößt er mit einem Söldnerheer bis Chinon vor und bedroht Aquitanien. Heinrich ist<br />

wesentlich reicher als seine Gegner, er kann mehr Söldner einstellen. Solche Fehden, auch unter<br />

Verwandten, waren nicht unüblich. Als Heinrich in Aquitanien eindringt, gelingt es ihm, Eleonore<br />

gefangen zu nehmen. Richard, kaum sechzehn, versucht einen Gegenangriff auf La Rochelle. Die<br />

Verhaftung seiner Mutter Eleonore kann für Richard den Verlust Aquitaniens bedeuten. Die Bürger<br />

von La Rochelle zeigen indessen wenig Neigung zum Risiko: Sie schlagen sich auf die Seite des<br />

mächtigen Heinrich. Die Stadt lebt vom Weinexport <strong>nach</strong> England. Richard muss abziehen, der Krieg<br />

geht weiter.<br />

Auf einigen Miniaturen tragen Heinrich und Richard Kirchen in der Hand: Sie zeigen die Könige als<br />

Schutzherren der Kirche. Als besonders fromm galten sie den Zeitgenossen nicht. Richard hat die<br />

Messe gerne besucht, weil er den Gesang liebte.<br />

Im Frühjahr 1174 demonstrieren Vater und Sohn in Saintes eine sachliche Beziehung zur Kirche.<br />

Heinrichs Söldner kämpfen gegen die Gefolgsleute Richards, die in der Kirche Zuflucht gesucht<br />

hatten. Richard kann fliehen, hat aber keine Truppen mehr. Da König Ludwig und seine Brüder die<br />

Fronten gewechselt haben, muss Richard aufgeben. Im September 1174 unterwirft sich der Sohn<br />

dem Vater und bittet tränenreich um Vergebung. Heinrich verzeiht ihm, weil es die Staatsraison<br />

erfordert. Der Staat braucht Erben, und keine Gefangenen im Verlies. Heinrich beauftragt seinen<br />

Sohn, gegen rebellierende Barone vorzugehen.<br />

Im Jahr 1177 befindet sich Alice, die Tochter Ludwigs, fast acht Jahre lang im Gewahrsam des<br />

englischen Königs. Die Ehe zwischen Alice und Richard kommt nicht zustande, weil Heinrich große<br />

Gebiete um die Stadt Bourges als Mitgift fordert. Schließlich erreicht Ludwig, dass Papst Alexander III.<br />

König Heinrich mit dem Bann droht, falls die Heirat weiter verzögert würde. Im September 1177 halten<br />

die beiden Könige eine Friedenskonferenz in Nonancourt ab. Sie verhandeln erneut über strittige<br />

Besitzrechte, bekräftigen den Heiratsplan und schließen einen Waffenstillstand.<br />

In Paris stirbt im Herbst 1180 Ludwig VII. Als Nachfolger wird Ludwigs Sohn als Philipp II. zum König<br />

von Frankreich gekrönt. Richards Geschick wird von nun an mit diesem Mann verbunden sein -<br />

gelegentlich als Freund, meistens aber als Feind.<br />

Bei einer Konferenz im Jahr 1182 in Grandmont beklagen sich aquitanische Adlige bei Heinrich über<br />

die Grausamkeit, mit der Richard bei der Niederwerfung von Rebellionen vorgeht. Einige Chronisten<br />

werfen ihm vor, er habe seine Untertanen unterdrückt und ungerechte Forderungen an sie gestellt.<br />

Der englische Chronist Roger von Hoveden zeichnet das düsterste Bild:<br />

„Er entführte die Frauen, Töchter und Mägde seiner Untertanen mit Gewalt und machte sie zu seinen<br />

Konkubinen. Wenn er seine Lust mit ihnen gehabt hatte, gab er sie an seine Soldaten zur Erfreuung<br />

weiter.<br />

Vater Heinrich scheint die Beschwerden über seinen Sohn nicht ernst genommen zu haben.<br />

Gemeinsam bekämpfen der König, Richard und der junge Heinrich eine Rebellion im Limousin. Aber<br />

die Einigkeit hält nicht an. Der junge Heinrich ist zwar formal der Haupterbe, verfügt aber immer noch<br />

nicht über eigene Territorien und Steuereinnahmen. Er erwägt eine Wallfahrt <strong>nach</strong> Jerusalem,<br />

versucht aber dann, seine irdischen Ziele durch ein Bündnis mit den Rebellen im Limousin zu<br />

erreichen. Bei Aix an der Vienne führt Richard seine Truppen 1183 gegen die Verbündeten seines<br />

Bruders Heinrich und behält die Oberhand. Die gefangenen Söldner lässt er in der Vienne ertränken.<br />

Das grausame Vorgehen sollte wohl als Warnung verstanden werden. Richards Sinn für symbolische<br />

Akte entwickelt sich. Das Gefecht an der Vienne ist Richards einzige Begegnung in Frankreich, die<br />

einer Schlacht nahe kommt.<br />

König Heinrich eilt mit Verstärkungen herbei, um die Rebellion seines Sohnes Heinrich zu beenden.<br />

Auf der anderen Seite entsendet König Philipp Truppen zur Unterstützung der Rebellen. Damit ist der<br />

Waffenstillstand gebrochen und von der Kreuzfahrt gegen Saladin ist keine Rede mehr. Der junge<br />

Heinrich, der sich durch Kirchenplünderungen mit Geld versorgt hatte, beginnt gerade die Oberhand<br />

über Vater und Bruder zu gewinnen, als er im Juni 1184 plötzlich stirbt. Die Rebellion bricht<br />

zusammen und die Erbfolge hat sich für Richard scheinbar vereinfacht. König Heinrich ist bereit,<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 54


Richard zum Haupterben zu erklären, verlangt aber dafür Aquitanien für Bruder Johann. Empört<br />

begibt sich Richard <strong>nach</strong> Aquitanien, das ihm wichtiger ist als die Anwartschaft auf die englische<br />

Krone. Johann und Gottfried hausen daraufhin mit ihren Söldnern im Süden, und Richard fällt im<br />

Gegenzug in die Bretagne ein. König Heinrich ruft erschrocken seine Söhne <strong>nach</strong> England, um den<br />

Streit zu beenden. Er entlässt Eleonore aus der Haft und zwingt Richard, Aquitanien an Eleonore<br />

zurückzugeben. Heinrich erneuert im Frühjahr 1186 bei einem Treffen mit König Philipp die<br />

Abmachungen, die er mit König Ludwig im Jahr 1183 getroffen hatte. Richards Position als Erbe ist<br />

gestärkt, der Verlierer Gottfried begibt sich <strong>nach</strong> Paris. Bei einem Turnier im August 1186 gerät er<br />

unter die Hufe eines Streitrosses und stirbt an den Folgen.<br />

Im Frühjahr 1187 fordert König Philipp die Herausgabe nordfranzösischer Territorien und die<br />

Erfüllung des Heiratsversprechens. Philipps Schwester Alice befindet sich seit fast zwanzig Jahren in<br />

Heinrichs Obhut. Gerüchte besagen, der König hätte sie entjungfert. Im Juni 1187 stehen sich vor<br />

Châteauroux zwei große Armeen gegenüber. Heinrich und Richard auf der einen Seite, König Philipp<br />

auf der anderen. Es geht nicht um Alice, sondern wie immer um Burgen und Äcker. Auch die Schlacht<br />

von Châteauroux findet nicht statt. Das Risiko ist beiden Seiten zu hoch, man verhandelt und schließt,<br />

wie schon so oft, einen Waffenstillstand.<br />

Ein päpstlicher Legat ist auch dabei und erinnert Heinrich an sein altes Versprechen, einen Kreuzzug<br />

zu unternehmen. Saladin bedränge die Christen in Palästina, lässt der Papst ausrichten, und die<br />

Feudalherren sollten lieber Heiden bekämpfen, statt in Europa Ländereien zu verwüsten.<br />

Nach der Konferenz begibt sich Richard mit Philipp <strong>nach</strong> Paris. Warum, bleibt ein Rätsel.<br />

Richard benutzt das Geld, um seine Burgen in Aquitanien zu befestigen. Aber plötzlich unterwirft sich<br />

Richard aus ebenfalls nicht erkennbaren Gründen wieder seinem Vater.<br />

Etwa zur gleichen Zeit wird das Heer des Königreichs Jerusalem bei Hattin vernichtet. Als die<br />

Nachrichten im Herbst 1187 eintreffen, gelobt Richard in der Kathedrale von Tours die Kreuzfahrt.<br />

Sein Sinn für Symbolik zeigt sich erneut: Er ist von den großen Fürsten der erste, der das Kreuz<br />

nimmt. Ende 1188 bricht Philipp den Waffenstillstand und belagert die Festung Gisors, die als Mitgift<br />

für Alice gedacht war. Philipp sieht <strong>nach</strong> Richards Kreuznahme keine Chance mehr für die Ehe und<br />

fordert Gisors zurück. Wieder kommt es nicht zum Kampf.<br />

Bei den Verhandlungen zwischen Heinrich und Philipp steht plötzlich Jerusalem im Vordergrund. Der<br />

Bischof von Tyrus war angereist und hält eine bewegende Predigt. Beide Könige nehmen das Kreuz.<br />

Sie handeln unter dem Druck der öffentlichen Meinung. Der Fall Jerusalems hatte die<br />

Kreuzzugspropaganda wiederbelebt.<br />

Die Könige denken noch nicht an den Aufbruch. Im Herbst 1188 marschieren Heinrich und Richard in<br />

Richtung Paris gegen Philipp. Wieder herrscht Krieg wegen strittiger Besitzrechte. Bei Pacy-sur-Eure<br />

kreuzt Richard mit dem besten Ritter Philipps die Waffen. Niemand kommt zu Schaden und beide<br />

bezichtigen sich hinterher gegenseitig, beim Kampf gemogelt zu haben. Rittergeschichten dieser Art<br />

liebten die Leute. Der Krieg wird aber nicht <strong>nach</strong> ritterlichen Regeln geführt. Heinrichs Söldner<br />

plündern auf dem Gebiet des französischen Königs.<br />

Im Oktober 1188 verhandeln Heinrich, Richard und Philipp in Châtillon-sur-Indre erneut über einen<br />

Frieden. Es kommt zum Streit zwischen Vater und Sohn. Heinrich weigert sich, Richard als Erben<br />

einzusetzen. Im Gegenzug huldigt Richard dem französischen König und erkennt dessen<br />

Oberherrschaft über den kontinentalen Besitz der Familie an. Der Krieg geht weiter. Richard kämpft<br />

nun an der Seite Philipps gegen seinen Vater. Mehrfach treffen sich die Kontrahenten zu<br />

Verhandlungen, aber selbst ein eigens angereister Legat des Papstes vermag keinen Frieden zu<br />

stiften.<br />

Im Juni 1189 befindet sich Heinrich auf der Flucht vor Richards Söldnern und gerät beinahe in<br />

Gefangenschaft. Im Juli ist es dann soweit. Bei den Verhandlungen Anfang Juli 1189 in Ballon muss<br />

Heinrich <strong>nach</strong>geben. Richard soll die englische Krone erben und <strong>nach</strong> dem Kreuzzug doch noch Alice,<br />

die Schwester Philipps, heiraten. Der Beginn des Kreuzzuges von Richard und Philipp wird auf das<br />

Frühjahr 1190 festgelegt.<br />

Heinrich II. ist krank und stirbt im Juli 1189, ohne sich mit Richard versöhnt zu haben. Seine Leiche<br />

wird in der Abteikirche von Fontevrault beigesetzt. Richard besucht kurz darauf die Grabstätte ohne<br />

Anzeichen einer Bewegung. England verdankt Heinrich die Ursprünge der modernen<br />

Finanzverwaltung. Aber das ist kein Stoff für Legenden.<br />

Am 13. September 1189 wird Richard in Westminster Abbey zum englischen König gekrönt und<br />

gesalbt.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 55


Die Londoner sind freudig erregt, die Kreuzzugsstimmung tut das Übrige. Während der Feier entsteht<br />

ein Tumult vor dem Palast, der in heftige Angriffe auf das jüdische Viertel mündet. Der Chronist<br />

Richard von Devizes:<br />

Die Besatzung des Towers, für Ruhe und Ordnung verantwortlich, greift nicht ein. Die Juden standen<br />

eigentlich unter dem Schutz des Königs. Richard ist empört, weil die Juden treue Steuerzahler sind.<br />

Warum er das Pogrom nicht verhindern konnte, ist nicht bekannt.<br />

Zur Finanzierung des Kreuzzuges verkauft Richard alles, was sich zu Geld machen lässt. Richard von<br />

Devizes:<br />

Richard braucht das Geld vor allem für Schiffe, die er in allen Häfen requirieren lässt. Er zahlt einen<br />

Teil der Kaufsumme, den Rest muss ein reicher Beamter, Bürger oder Feudalherr aufbringen. Richard<br />

von Devizes schildert die Flotte:<br />

Die Verwaltung des Landes übergibt Richard dem Kanzler William Longchamp. Viele Engländer<br />

dürften aufgeatmet haben, als er schließlich abreiste. Immerhin hatte Richard in kurzer Zeit das<br />

Steueraufkommen mehrerer Jahre eingezogen. Philipp und Richard treffen sich im März 1190 in<br />

Nonancourt. Es ist klar, dass keiner ohne den anderen reisen würde. Man weiß, was man<br />

voneinander zu erwarten hat. Philipp und Richard beeiden mit ihren Baronen ausdrücklich, das Gebiet<br />

des anderen während der Kreuzfahrt nicht anzutasten sondern zu schützen. In den nächsten Monaten<br />

regelt Richard die Verwaltung des kontinentalen Familienbesitzes Um die Südflanke zu sichern, wird<br />

eine Ehe mit Berengaria, der Tochter des Königs von Navarra ins Auge gefasst. Richards Bruder<br />

Johann muss schwören, drei Jahre lang nicht <strong>nach</strong> England zu reisen. Im Sommer 1190 sind<br />

Richards Vorbereitungen für die Kreuzfahrt abgeschlossen. Am 2 Juli versammeln sich beide Heere<br />

vor Vézelay. Der Augenzeuge und Chronist Ambroise reimt:<br />

Vor Vézelay, zwischen Bergen zwar,<br />

Beherbergt Gott die eigene Schar.<br />

Im Weinberg und im Felde offen,<br />

Schläft mancher Mutter Sohn und Hoffen.<br />

Und jeder legt in Gottes Hand,<br />

Frau und Kinder und sein Land.<br />

Versetzten auch die ganze Habe<br />

Und kauften dafür Gottes Gnade.”<br />

Von Vézelay war ein halbes Jahrhundert früher Philipps Vater, Ludwig VII., zum zweiten Kreuzzug<br />

aufgebrochen. Diesmal haben sich wenig Kreuzfahrer eingefunden, dafür ist der Anteil der<br />

Bewaffneten größer. Wie Friedrich Barbarossa planen auch Richard und Philipp eine Militärexpedition.<br />

Bernhard von Clairvaux hatte rund vierzig Jahre vorher ideelle Ziele gepredigt und himmlischen Lohn<br />

versprochen. Diesmal wirken viele Söldner mit, weil sie von den Königen bezahlt werden und Richard<br />

und Philipp bewegt nicht die Vorstellung, die „Welt“ von Heiden zu befreien. Sie sind in Vézelay damit<br />

beschäftigt, alle Eroberungen und die erwartete Beute zu teilen.<br />

Beide Heere brechen getrennt <strong>nach</strong> Süden auf.<br />

Richards Aufgebot kommt Ende Juli 1190 in Marseille an. Seine Flotte, <strong>nach</strong> Robert von Devizes<br />

mehr als hundert Schiffe, ist noch nicht eingetroffen. Die Kreuzfahrer waren in Lissabon aufgehalten<br />

worden. Mehrere hundert Mann hatten in der Stadt geplündert und Frauen geschändet, so dass sich<br />

der König von Portugal gezwungen sah, sie zu verhaften. Richard hat keine Lust, in Marseille zu<br />

warten und bricht in gemieteten Schiffen <strong>nach</strong> Messina auf. Er geht mehrfach an Land, da er<br />

Seereisen nicht mag.<br />

Im September 1190 erreicht Richard Messina auf Sizilien. Philipp, der sich in Genua einige Schiffe<br />

gemietet hatte, ist schon da und wohnt in einem Stadtpalast. Auch Richards Flotte ist inzwischen<br />

eingetroffen.<br />

Richard herrscht über Sizilien, kümmert sich um seine Verwandtschaft und um die Aufbesserung<br />

seiner Kasse. Im November 1189 war König Wilhelm II. von Sizilien gestorben. Die Witwe, die er<br />

hinterlassen hatte, ist Richards Schwester Johanna. Die Ehe zwischen Wilhelm und Johanna war<br />

kinderlos geblieben. Daher steht Konstanze, die Tante Willhelms, in der Erbfolge vorn. Dieser<br />

Umstand ist von einiger Tragweite, da Konstanze mit Heinrich, dem ältesten Sohn Kaiser Friedrichs,<br />

verehelicht ist. Die Sizilianer waren von der Idee einer Staufischen Fremdherrschaft wenig begeistert<br />

und hatten gemeinsam mit Papst Clemens III. einen entfernten Verwandten namens Tankred zum<br />

König erhoben.<br />

Richard verlangt von Tankred die Herausgabe von Wertsachen, die Wilhelm Heinrich II. vermacht<br />

hatte. Es handelte sich um einen vier Meter langen goldenen Tisch, ein großes Zelt aus Seide,<br />

goldene Becher und Platten und mehrere Schiffsladungen Getreide und Wein.<br />

Richard bleibt nicht untätig. Er erobert ein Kloster auf einer Insel vor Messina.<br />

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Nach weiteren Zwischenfällen führt Richard einen Angriff auf Messina an. Nach heftigen Kämpfen fällt<br />

die Stadt. Richard lässt seine Fahnen über Messina aufziehen und nimmt Geiseln. Nachdem Tankred<br />

sie mit Gold ausgelöst hat, wird ein Waffenstillstand geschlossen. Das Wesentliche ist geregelt, aber<br />

Winterstürme verhindern die Weiterreise. Das Glücksspiel nimmt solche Ausmaße an, dass einfachen<br />

Soldaten und Matrosen das Würfeln verboten wird. Kleriker und Ritter dürfen zwanzig Schillinge am<br />

Tag verspielen. Die Kreuzfahrer verbringen ein halbes Jahr in Messina.<br />

Im Frühjahr wird bekannt, dass Eleonore eine neue Braut für Richard <strong>nach</strong> Messina bringen wird:<br />

Berengaria, die Tochter des Königs von Navarra. Philipp ist empört, denn seine Schwester Alice<br />

wartet ja noch immer auf Richard.<br />

Richard bringt vor, sein Vater Heinrich habe mit seiner Verlobten geschlafen und eine Ehe mit der<br />

entehrten Alice käme nicht in Frage. Philipp kann sich gegen diese Beleidigung nicht zu Wehr setzen.<br />

Er löst gegen Bargeld den Ehevertrag und segelt <strong>nach</strong> Palästina ab. Im April treffen Eleonore und<br />

Berengaria in Messina ein. Weil die Zeit drängt, wird die Hochzeit verschoben. Eleonore kehrt <strong>nach</strong><br />

England zurück und Richards Flotte bricht nun ebenfalls <strong>nach</strong> Palästina auf. Berengaria reist mit.<br />

Ein Sturm treibt die Flotte auseinander. Richard bleibt ein paar Tage auf Rhodos, um sich von der<br />

Seekrankheit zu erholen. Drei Schiffe werden <strong>nach</strong> <strong>Zypern</strong> abgetrieben. Zwei von ihnen stranden<br />

Ende April 1191 an der Südküste, das dritte, mit Johanna und Berengaria an Bord, ankert vor<br />

Limassol. Die einheimischen Griechen eignen sich die Wertsachen der gestrandeten Kreuzfahrer an<br />

und nehmen die Überlebenden gefangen. Eine Sitte, die übrigens auch in England herrschte. Es<br />

kommt zum Kampf, beide Seiten beklagen Verluste. <strong>Zypern</strong> gehörte zum byzantinischen Reich. Der<br />

Statthalter Isaak hatte aber die Macht illegal an sich gerissen. Dieser Umstand und die<br />

Gefangennahme der gestrandeten Kreuzfahrer kommen Richards Absicht entgegen, die Insel zu<br />

erobern.<br />

Am 8. Mai 1191 nähert sich die englische Flotte der Küste bei Limassol. <strong>Zypern</strong> hat sich von dem<br />

Raubzug Rainalds von Châtillon wieder erholt und ist von großer strategischer Bedeutung für die<br />

Belagerer von Akkon. Richard verfügt über eine selten große und teure Streitmacht. Ein klarer Fall für<br />

das Recht des Stärkeren. Der Angriff erfolgte wahrscheinlich in Amathous, östlich des heutigen<br />

Limassol. Da die Stadt an der Seeseite nicht befestigt ist, haben die Bewohner beim Nahen der Flotte<br />

am Strand Barrikaden errichtet. Richard von Devizes:<br />

„Der König, in seiner Rüstung, sprang als erster vom Schiff und schlug den ersten Schwertstreich,<br />

aber bevor er den zweiten schlagen konnte, waren Dreitausend auf seiner Seite und schlugen sich mit<br />

ihm. Schnell hatten sie das Holz im Hafen weggeräumt. Die kräftigen Männer eilten <strong>nach</strong> oben in die<br />

Stadt und waren nicht sanfter als die Löwinnen, denen man das Junge weggenommen hat. Die<br />

Verteidiger kämpften tapfer gegen sie. Die Verwundeten fielen auf dieser Seite und auf jener. Die<br />

Schwerter auf beiden Seiten waren trunken vom Blut. Die Zyprioten wurden bezwungen, die Stadt und<br />

Burg wurden genommen. Die Sieger nahmen sich, was ihnen gefiel. Der Herr der Insel wurde<br />

gefangen und vor den König gebracht. Er bat um Verzeihung, die im gewährt wurde. Er huldigte dem<br />

König...”<br />

Der Statthalter Isaak Kommenos denkt nicht daran, Richard als Oberherrn der Insel zu akzeptieren.<br />

Kaum ist er frei, fordert er Richard auf, die Insel zu verlassen. Inzwischen treffen König Guido von<br />

Lusignan, der Fürst von Antiochia, Gesandte der Templer und einige mit Guido verbündete Barone in<br />

<strong>Zypern</strong> ein. König Philipp ist inzwischen vor Akkon eingetroffen und hat die Partei Konrads von<br />

Montferrant ergriffen. Die Delegation unter Guido hofft auf die Unterstützung des englischen Königs.<br />

Unter den Baronen befanden sich Verwandte von Richards Vasallen. Richard setzt also auf die Karte<br />

Guidos und befindet sich damit im Lager der Gegner König Philipps und Konrads. Die Verhältnisse<br />

pendeln sich <strong>nach</strong> heimatlichen Mustern ein.<br />

Richard nutzt die Verstärkung durch die Ankömmlinge, um einen Feldzug gegen Isaak zu<br />

unternehmen. In mehreren Gefechten werden die Streitkräfte Isaaks niedergeworfen. Isaak ergibt<br />

sich, <strong>nach</strong>dem Richard ihm versprochen hat, ihn nicht in Eisen zu legen. Richard hält sein Wort: Isaak<br />

wird in silberne Ketten gelegt. In den Küstenstädten erhebt Richard sogleich eine Besitzsteuer von<br />

fünfzig Prozent. Auch der Ertrag für Richards Legende ist nicht schlecht: Seine Attacke am Strand und<br />

die List mit den silbernen Ketten machen bald die Runde. Richard heiratet auf <strong>Zypern</strong>. Nach der<br />

Überlieferung soll er in der Georgskapelle der Burg getraut worden sein. Die Ehe mit Berengaria war<br />

dynastisch gesehen nicht ertragreich: Sie blieb kinderlos. Richard verliert bald das Interesse an seiner<br />

Gattin…<br />

Richard wird <strong>Zypern</strong> bald für hunderttausend Goldstücke an den Templerorden verkaufen.<br />

Vierzigtausend Goldstücke können die Templer anzahlen. Aber auch für den reichen Orden ist die<br />

Restsumme nicht leicht aufzubringen. Die Templer errichten Burgen und versuchen, das Geld aus der<br />

Bevölkerung zu pressen. Sie ersticken in Nikosia einen Aufstand in einem Blutbad. Die geldgierigen<br />

Barone mit dem lateinischen Ritus bleiben für die meisten griechisch-orthodoxen Einheimischen<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 57


fremde Herren. Als es zu weiteren Aufständen kommt, wollen die Templer die Insel wieder loswerden.<br />

Nach einer schwierigen Finanztransaktion vergibt Richard <strong>Zypern</strong> dann an König Guido von Lusignan.<br />

<strong>Zypern</strong> bleibt rund dreihundert Jahre im Besitz europäischer Feudalherren.<br />

Der Chronist Neophytus von <strong>Zypern</strong> schreibt über Richard:<br />

„Der Engländer plünderte das Land aus und segelte <strong>nach</strong> Jerusalem, dabei hinterließ er Vasallen, die<br />

weiter raubten und ihm die Beute <strong>nach</strong>sandten. Er erreichte nichts, der Sünder, der er war, gegen den<br />

Mitsünder Saladin, er erreichte nichts als den Verkauf von <strong>Zypern</strong> an die Lateiner... Groß war die<br />

Klage und unerträglich die Düsternis, die von Norden kam, wie es prophezeit war.”<br />

Wie es mit Richard weiterging, ist noch eine lange Geschichte. Sein Name wird im Zusammenhang<br />

mit <strong>Zypern</strong> nicht mehr erwähnt, höchstens noch einmal, als er im April 1192 dem Guido von Lusignan<br />

es ermöglicht, den Templern die Insel <strong>Zypern</strong> abzukaufen.<br />

Er zieht mit seinen 25 Schiffen in die Schlacht <strong>nach</strong> Akkon, das <strong>nach</strong> blutigen Kämpfen am 12. Juli<br />

1191 erobert wird. Als sein Gegner Saladin nicht rechtzeitig Lösegeld herbeischafft, lässt Richard am<br />

20. August 1191 ein entsetzliches Blutbad anrichten, bei dem 2700 muslimische Männer, Frauen und<br />

Kinder hingemeuchelt werden.<br />

Zwei Tage <strong>nach</strong> dem Massaker bricht Richard mit seinem Heer <strong>nach</strong> Jerusalem auf. Von einer<br />

Belagerung dieser Stadt sieht er wegen hereinbrechenden Winters ab und bläst im Oktober 1192<br />

zum Rückzug übers Meer. Sein weiterer Weg ist genauso abenteuerlich wie der vorige, aber im<br />

Zusammenhang mit <strong>Zypern</strong> nicht mehr interessant.<br />

Dennoch will ich der Vollständigkeit halber seinen Weg bis an sein Ende <strong>nach</strong>zeichnen:<br />

Richard unternimmt noch einen vergeblichen Vorstoß auf Jerusalem und Saladin scheitert bei dem<br />

Versuch, Jaffa zu erobern. Ende August 1192 wird deutlich, dass keine Seite in der Lage ist, eine<br />

Entscheidung zu erzwingen. Richard schließt mit Saladin einen Waffenstillstand über fünf Jahre. Die<br />

eroberten Küstenstädte bleiben im Besitz der Christen, nur Askalon muss niedergerissen werden.<br />

Pilgern wird der freie Zugang zu den heiligen Stätten in Jerusalem garantiert. Vor Saladins Gesandten<br />

müssen die Barone des Königreichs die Einhaltung des Vertrags beschwören.<br />

Anfang Oktober 1192 tritt Richard von Akkon aus die Heimreise an. Sein Ziel, die Eroberung<br />

Jerusalems, hat er nicht erreicht. Dass ein Küstenstreifen Palästinas wieder in christlicher Hand ist,<br />

kann er sich als Verdienst anrechnen. Seine Heimreise verläuft abenteuerlich, aber wenig glücklich.<br />

Eine Landung in Südfrankreich oder Italien will Richard offenbar vermeiden. Die Winterstürme lassen<br />

eine möglichst kurze Seereise ratsam erscheinen. Richard verlässt auf Korfu sein Schiff, segelt mit<br />

gemieteten Booten an der dalmatinischen Küste entlang und landet schließlich mit wenigen Begleitern<br />

nahe bei Venedig. Von dort aus nimmt er den Landweg in Richtung Wien.<br />

Er befindet sich nun auf dem Gebiet Leopolds von Osterreich, den er sich in Akkon zum Feind<br />

gemacht hat. Richard reist in der Verkleidung eines einfachen Pilgers. Die Berichte sind legendär<br />

gefärbt. Sein Talent als Mime reicht offenbar nicht aus, um einen Mann aus dem Volk zu spielen. In<br />

der Chronik »Itinerarium Regis Ricardi« wird beschrieben, wie Richard als König auftrat.<br />

Richard wird Ende Dezember 1192 gefangen genommen, wahrscheinlich in einem Gasthaus bei<br />

Wien. Die Chronisten vermuten, Richard habe zuviel Geld ausgegeben. Die Schergen, die ihn dingfest<br />

machen, ahnen die Folgen nicht. Die Verhaftung verändert die Machtverhältnisse in Europa.<br />

Leopold von Osterreich lässt Richard auf die Burg Dürnstein bringen. Es steht schlecht um ihn.<br />

Richards Gegner hatten üble Nachrede in Europa verbreiten lassen: Richard habe Philipp verraten,<br />

mit Saladin paktiert und Konrad von Montferrat ermorden lassen. Leopold meldet dem Staufer<br />

Heinrich, inzwischen Kaiser Heinrich VI., den wertvollen Fang.<br />

Ein gewaltiges politisches Geschäft läuft an, während Richard in sein Gefängnis auf Dürnstein<br />

gebracht wird. Dass der treue Sänger Blondel Richard hier <strong>nach</strong> langer Suche gefunden habe, wird<br />

von den zeitgenössischen Chronisten nicht vermerkt. Diese Legende ist später entstanden.<br />

Im Februar 1193 nimmt Leopold Richard mit <strong>nach</strong> Regensburg, um mit Kaiser Heinrich VI. den Preis<br />

für die Übergabe zu verhandeln. Da Leopold befürchtet, die Kaiserlichen könnten sich Richards<br />

unentgeltlich bemächtigen, schickt er ihn zurück <strong>nach</strong> Dürnstein. Der Preis für den kostbaren<br />

Gefangenen wird auf hunderttausend Mark festgesetzt. Außerdem soll Richard mit fünfzig Schiffen<br />

und zweihundert Rittern Kaiser Heinrich bei der Eroberung Siziliens beistehen. Das war auch für einen<br />

König ziemlich viel.<br />

Im März 1193 hält Kaiser Heinrich in Speyer Gericht über Richard. Er wird angeklagt, durch den<br />

Vertrag mit Saladin das Königreich Jerusalem verraten zu haben. Weiterhin wird ihm unterstellt, er<br />

habe den Mord an Konrad von Montferrat angestiftet. Richard weist die Anschuldigungen zurück. Die<br />

Art und Weise, wie er das tut, beeindruckt den Kaiser.<br />

Heinrich VI. lässt die Anschuldigungen fallen, lobt Richards Taten und gibt ihm den Friedenskuss. Der<br />

Freispruch hat keineswegs Richards Entlassung zur Folge. Der Kaiser setzt das Lösegeld auf<br />

einhundertfünfzigtausend Mark fest. In England wird eine Einkommensteuer von fünfundzwanzig<br />

Prozent erhoben, um Richard loszukaufen.<br />

Richard, als Kreuzfahrer eigentlich unantastbar, bleibt weiter in Haft.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 58


Der Papst hat inzwischen Leopold von Osterreich exkommuniziert, aber das macht auf Richards<br />

Feinde wenig Eindruck. Sein mächtigster Feind, König Philipp von Frankreich, bietet Kaiser Heinrich<br />

die gleiche Summe für Richard oder hunderttausend Mark für die Verschiebung der Freilassung.<br />

Philipp hat sich mit Richards Bruder Johann verbündet. Sie sind dabei, sich die Besitzungen Richards<br />

anzueignen und wollen Zeit gewinnen. Richard wird im März auf die staufische Burg Trifels gebracht.<br />

Es ist noch kein Geld aus England eingetroffen. Richard soll im Gefängnis ein Gedicht geschrieben<br />

haben:<br />

„Schwach sind die Worte, und die Zunge stockt dem Häftling, seinen Schmerz zu klagen. Doch mag<br />

dies Lied ihm Linderung verschaffen. Der Freunde hab' ich viel, doch schmal sind ihre Gaben. Die<br />

Schande soll sie treffen, wenn nicht ausgelöst ich hier zwei Winter bleibe.“<br />

Doch die englischen Steuerzahler sind schon dabei, das Geld für seine Auslösung aufzubringen. Aus<br />

dem Gefängnis heraus wird Richard diplomatisch aktiv und vermittelt zwischen Heinrich VI. und<br />

dessen Erzfeind Heinrich dem Löwen. Schließlich lehnt Heinrich es ab, Richard an Philipp<br />

auszuliefern. Richards Schicksal hängt nur noch von den Fähigkeiten des englischen Fiskus ab. Mit<br />

seinen Bewachern soll Richard auf Burg Trifels eifrig gescherzt und getrunken haben, bis sie unter<br />

dem Tisch lagen. Nichts von dem, was einen Mann zum Manne macht, fehlt in seiner Legende.<br />

Nach einem Fürstentag in Mainz im Februar 1994 ist es soweit. Zwei Drittel des Lösegeldes sind<br />

eingegangen und für den Rest stellt Richard Geiseln. Die Transaktion in Mainz sollte weltpolitische<br />

Folgen haben. Kaiser Heinrich VI. finanzierte mit dem Geld der englischen Steuerzahler die<br />

Eroberung Siziliens. Und so kam es, dass Heinrichs Sohn, Kaiser Friedrich II., später im Süden<br />

Italiens regieren konnte. Richard erkennt den Kaiser als seinen obersten Lehnsherren an und<br />

empfängt dafür England als Lehen. Diese Huldigung bleibt allerdings eine Formsache. Nach rund<br />

vierzehn Monaten Haft wird Richard entlassen und landet im März 1994 in Sandwich. Die Rebellion<br />

seines Bruders Johann war schon mit der Nachricht von Richards Freilassung zusammengebrochen.<br />

Kirche, Adel und Beamte hatten in der Mehrzahl Richard die Treue gehalten und gezahlt. In der<br />

Kathedrale von Canterbury dankt er Gott für seine Rückkehr. Das Osterfest nutzt Richard für eine<br />

politische Demonstration: Vor allen Fürsten zeigt er sich mit seiner Mutter in Westminster Abbey. Er<br />

trägt alle Insignien der Macht. Er ist wieder da, bleibt aber nicht lange.<br />

Richard landet im Mai 1994 in Barfleur in Frankreich. Er wird von Söldnern begleitet und mustert<br />

weitere an. Englands Steuerzahler hatten noch einmal bluten müssen. Richard fängt an, wo er vor der<br />

Kreuzfahrt aufgehört hat: Er verteidigt den Familienbesitz gegen den König von Frankreich. Philipp<br />

hatte die Abwesenheit vertragswidrig genutzt, um in der Normandie vorzurücken und belagert<br />

Verneuil. Nachdem Richards Truppen die Belagerer vertrieben haben, erscheint Johann vor Richard,<br />

wirft sich auf den Boden und bittet um Verzeihung. Richard soll sie mit den Worten gewährt haben:<br />

„Du warst ein Kind und bist in schlechte Gesellschaft geraten.”<br />

Der Krieg geht mit gelegentlichen Unterbrechungen weiter. Richard entlässt Alice bei einer<br />

Friedenskonferenz im August 1195 aus dem Gewahrsam der englischen Krone. Sechsundzwanzig<br />

Jahre <strong>nach</strong> ihrer Verlobung mit Richard kann Alice nun einen französischen Grafen heiraten. König<br />

Philipp unterstützt immer wieder Rebellionen gegen Richard im Süden Frankreichs. Bei einem<br />

Aufstand des Vizegrafen von Limoges belagern Richards Söldner im März 1199 die Burg Chalus. In<br />

der Burg sind nur vierzig Männer und Frauen. Am Abend will sich Richard noch einmal umsehen.<br />

Dabei trifft ihn ein Armbrustschütze namens Bertram in die Schulter. Kurz darauf erobern Richards<br />

Söldner die Burg und bringen die Besatzung um.<br />

Nur der Schütze bleibt am Leben. Richards Verletzung ist tödlich.<br />

Der Chronist Wilhelm von Newburgh berichtet:<br />

„Als der König die Hoffnung auf sein Überleben aufgab, übertrug er seinem Bruder Johann die<br />

Herrschaft über England und seine ganzen anderen Gebiete. Er veranlasste, dass dem genannten<br />

Johann von den Anwesenden Treueide geleistet würden und befahl, dass ihm seine Burgen<br />

übertragen würden. Seinem Neffen Otto vermachte er drei Viertel seines Schatzes und sein<br />

Geschmeide und ordnete an, dass das vierte Viertel an seine Diener und die Armen übergeben<br />

würde. Als darauf der genannte Bertram vor den Königgerufen wurde, sprach dieser zu ihm: »Was<br />

habe ich dir Übles getan, warum hast du mich getötet? Jener antwortete: »Du hast mit eigener Hand<br />

meinen Vater und meine zwei Brüder getötet und wolltest mich selbst umbringen. Nimm also an mir<br />

die Rache, die du dir ausgedacht hast. Es bereitet mir keine Sorge, sofern du nur stirbst, weil du der<br />

Welt soviel angetan hast. « Da befahl der König, ihn als freien Mann gehen zu lassen und ihm<br />

einhundert Schillinge in Silber zu geben. Aber der Vasall Mercadeus ergriff ihn ohne Wissen des<br />

Königs und hängte ihn <strong>nach</strong> dem Tod des Königs auf. Vorher hatte er ihm die Haut abziehen lassen...<br />

Über den Tod des Königs wurde gesagt: »In diesem Tod vernichtet die Ameise den Löwen. Oh<br />

Schmerz, bei einem solchen Leichenbegängnis verdunkelt sich die Welt.”<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 59


Richard starb, weil er sich wieder einmal zu weit <strong>nach</strong> vorn<br />

begeben hatte. Sein ständiger Aufenthalt im Kampfgetümmel<br />

war staatsmännisch unklug, hat aber seine Legende dauerhaft<br />

gefördert. Seine Kreuzfahrt wurde in den Heldenepen<br />

besungen, politisch hat sie ihm nichts genützt. Richards<br />

Eingeweide wurden in Chalus bestattet, sein Herz in der<br />

Kathedrale von Rouen. Was sonst noch blieb, wurde neben<br />

seinem Vater in der Klosterkirche von Fontevrault bestattet,<br />

also in Frankreich.<br />

Keinen seiner großen Feinde hat Richard Löwenherz besiegt.<br />

Und doch ist der englische König, der fast nie in England war,<br />

einer der ganz Großen der Legende. Die symbolischen<br />

Gesten, sein mutiger Einsatz in der vordersten Linie waren<br />

<strong>nach</strong> dem Geschmack seiner Zeit. Einige Zeitgenossen haben<br />

Richard Grausamkeit und Geldgier vorgeworfen. Andere<br />

betonen seinen Sinn für Humor und Poesie. Seine Feldzüge<br />

und seine Freiheit haben seine Steuerzahler ermöglichen<br />

müssen. Den Beinamen Coeur de Lion, Löwenherz, verdankt<br />

Richard sich selbst und der Begegnung mit Saladin, die mit<br />

einem Unentschieden endete.<br />

Richard Löwenherz<br />

Sarkophag in Fontevrault<br />

Alles das ging mir auch durch den Kopf, als ich wie der Blitz im Kastell von Limassol raste,<br />

schon um die anderen nicht solange warten zu lassen. Antonio erwähnte von Löwenherz<br />

nichts.<br />

Wir trotteten nun noch ein Weilchen durch die recht unattraktive Altstadt. Alte<br />

Handwerksläden und moderne Einkaufshallen lagen beieinander. Auf dem Stadtplan ist zu<br />

erkennen, dass die östlichen Ausläufer der Stadt beinahe die Ruinen von Amathous<br />

erreichen. Auf dem Ruinengelände sollen noch Reste der Stadtmauer dieses alten<br />

Stadtstaates, ein Nymphäum 37 und die rekonstruierte Agora 38 und Reste einer<br />

Brunnenanlage. Es gibt auch etliche Kirchen in der Stadt; vor einer blieben wir kurz stehen.<br />

Ich hatte aber noch solche Wut auf mich selbst wegen des kaputten Fotoapparates, dass ich<br />

Antonios Ausführungen nicht zuhörte. Durch eine belebte Nebenstraße liefen wir noch, und<br />

schon standen wir als Häufle am Rande des Strand- Boulevards und warteten auf den Bus.<br />

XI. Lefkara und Wachsfiguren<br />

G<br />

ut 50 km sind es ostwärts, größtenteils wieder<br />

zurück, auf der Autobahn A1 und noch ein<br />

Stück <strong>nach</strong> Norden in die Berge, als wir in<br />

Pano- Lefkara anlangen. Es gibt auch noch ein Kato-<br />

Lefakra, das liegt unterhalb davon. Pano heißt oben.<br />

Dieses verträumte Städtchen ist das zyprische<br />

Zentrum für textile Spitzenerzeugnisse und<br />

Silberschmiedearbeiten. Ich hatte während der Fahrt<br />

im Baedeker <strong>nach</strong>gelesen, dass es ein<br />

Wachsfigurenmuseum gibt. Das wollte ich mir<br />

ansehen, statt in der Hitze im Ort umherzulaufen,<br />

zumal ich keine Absicht hatte, Spitze zu kaufen. Der<br />

Bus hielt direkt vor dem Museum und entließ mich<br />

der Sorge, es lange suchen zu müssen.<br />

37<br />

Nymphäum, [das, Mehrzahl Nymphäen; griechisch] Nymphaion, in der griechischen Antike ein Heiligtum<br />

der Nymphen, meist eine Grotte; auch römische und besonders moderne Bezeichnung für die in der römischen<br />

Kaiserzeit in den Städten üblichen Brunnenanlagen mit prunkvollen Fassaden und großen Wasserbecken.<br />

38<br />

Agora, [die; griechisch], ursprünglich „Versammlung“ des Heeres oder Volkes, sehr früh auch schon<br />

„Versammlungsort“; der Marktplatz altgriechischer Städte.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 60


Die Leute der <strong>Reise</strong>gruppe einschließlich Martina, die bei<br />

dem Wort Museum scheut, verkrümelten sich. Ich enterte die<br />

kleine Treppe, durchquerte eine stille menschenleere<br />

Kaffeestube und kam durch eine hintere Tür an den Eingang<br />

des Museums, der völlig verwaist schien. Aus einer gläsernen<br />

Vitrine schauten mich Männerköpfe an, abgetrennte Häupter,<br />

erste Muster aus Wachs, ein Mann bei der Arbeit, vor sich<br />

einen bärtigen Kopf, sicher der Meister im Selbstbild.<br />

Niemand war da, dem ich Tribut zollen musste. Also trat ich<br />

ein und musste die Augen erst einmal an das Halbdunkel<br />

gewöhnen. Dann wurden meine Augen immer größer, vor<br />

Staunen über meine Entdeckungen und dem Glück,<br />

unbehelligt Fotos machen zu dürfen, bin ich ganz aufgelöst.<br />

Ich lese Schilder, vergesse gleich wieder den Inhalt, oft fehlt<br />

mir der faktische Bezug.<br />

Ich sehe nur eins: Dieses Museum birgt eine meisterhafte Erinnerung in einzelnen Szenen<br />

und Bildern an verschiedene Epochen der Inselbevölkerung. Mehr als 150 menschliche<br />

Figuren sind ausgestellt. Sie sind in acht Themenbereichen angesiedelt. Jedes Thema<br />

behandelt, in chronologischer Reihenfolge, eine Grundsicht auf die historische und Kulturelle<br />

Vergangenheit der Insel. Ich „erlebe“ im gewissen Sinne die Geschichte <strong>Zypern</strong>s im<br />

Kurzdurchlauf. Natürlich sind manche Szenen auch durch die Brille dieses Ortes gesehen.<br />

Das Wachs eröffnet dem Künstler die Möglichkeit, auch äußerliche Feinheiten zu formen, so<br />

dass sich die dargestellten Erscheinungen kaum von ihren imaginären oder leibhaftigen<br />

Vorbildern unterscheiden.<br />

Da sind zuerst Menschen in festlichen Trachten, als Begrüßung, dahinter die Landkarte<br />

<strong>Zypern</strong>s mit der Lage des Ortes Lefkara am östlichen Rand des Troodos- Gebirges.<br />

Thema 1: Traditionelles Handwerk:<br />

Ich konnte nicht alles mit der Kamera aufnehmen. Das Halbdunkel erschwerte die Fotoarbeit.<br />

Ich hätte ein Stativ haben müssen.<br />

Ein Bild ist der bodenständigen Landwirtschaft in alten Zeiten gewidmet.<br />

Ein Bauer mit Holzpflug. Ein Joch für zwei<br />

Ochsen lehnt an der Wand, ein Bild zeigt seine<br />

Anwendung. Es ist die Zeit vor der Motorisierung.<br />

Lange liegt sie noch nicht zurück. Der hier im<br />

Städtchen hoch entwickelten Stickerei ist eine<br />

Szene gewidmet. Zwei Frauen sitzen in<br />

landesüblicher Kleidung mit Kopftuch und häkeln<br />

und sticken an den dünnfädigen Kunstwerken.<br />

Ein Konditor zeigt stolz auf seine gefertigten<br />

Süßigkeiten aus Mandeln, Nüssen und Zucker,<br />

eine zyprische Spezialität. Eine Dorfschule.<br />

Fischer sind bei der Arbeit im nächsten Bild. Man<br />

sieht sie beim Netze flicken und Fischkörbe<br />

flechten. Auch dem Alltag mit einer Szene im<br />

Kaffeehaus, dem Kafenίo, ist gedacht. Auf dem<br />

Tisch liegt das beliebte Back Gammon. Sie<br />

rauchen und trinken Kaffee, den der Wirt im<br />

Hintergrund aus einer Eigenbau- Konstruktion<br />

entnimmt. Das Radio im Hintergrund lässt auf die<br />

Zeit <strong>nach</strong> dem 2. Weltkrieg schließen. Ein<br />

Brautpaar in festlicher weißer Tracht steht vor<br />

dem Popen. An ihre Kleidung sind, einem alten<br />

Brauche gemäß, Geldscheine angehängt,<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 61


Hochzeitsgeld, das ihnen die ersten Anschaffungen erleichtert. Ein alter Backofen.<br />

Thema 2: Die prähistorische Zeit:<br />

Die Gewinnung von Kupfer vor allem in der Antike, aber auch bis in die jüngere Neuzeit, ist<br />

ein wichtiges Element des Inselreichtums, obwohl die kleinen Leute nichts davon hatten als<br />

Fronarbeit. Ein bärtiger Mann in weißem Kittel hockt auf einem Stein und schlägt Kupfererz<br />

in kleine Stücke. Hinter ihm brennt ein Schmelzofen.<br />

Thema 3: Königtum /Religion:<br />

Richard Löwenherz mit Frau Berengaria ist ein Bild gewidmet. Die Staffage ist grob. Über<br />

die historische Echtheit der Kostümierung lässt sich streiten. Ein daneben stehender Ritter<br />

weist in die kurze Zeit, da 1191/92 Löwenherz sich die Macht auf <strong>Zypern</strong> angeeignet hat.<br />

Stellvertretend für die westlichen Mächte England und Frankreich, siedelt er den katholischen<br />

Glauben auf <strong>Zypern</strong> an und verhilft dem Geschlecht der Lusignans 39 zu 300 Jahren Herrschaft<br />

auf der Insel.<br />

Zwei Mönche in weißen Kutten weisen auf die Begebenheit mit den 13 Mönchen in<br />

Kantara 40 um das Jahr 1231. <strong>Zypern</strong> wurde regiert durch das feudale System der Lusignans,<br />

welches das Volk und auch die griechisch orthodoxe Religion massiv unterdrückte. Die<br />

Lusignans glaubten, ihre Sprache, ihre Rechtsformen und ihre Kultur der Bevölkerung<br />

leichter aufzuzwingen, wenn sie die katholische Religion durchsetzen. Der orthodoxe Klerus<br />

der Insel wehrte sich inständig, und viele Kirchenleute wurden ins Exil verbannt. Der Gipfel<br />

der Unterdrückung wurde erreicht, als man im Jahre 1231 13 Mönche auf Kantara festsetzte,<br />

weil sie sich dem Dogma der katholischen Bischöfe widersetzten und ihre Bekehrung<br />

verweigerten. Drei Jahre lang wurden sie gefoltert, und als sie sich fortgesetzt weigerten, die<br />

Konfession zu wechseln, ordnete der Vatikan an, dass sie hingerichtet und als Strafe für ihre<br />

Ketzerei bei lebendigem Leibe verbrannt würden.<br />

Thema 4: Kampf um die Unabhängigkeit:<br />

Wie schon weiter vorn beschrieben, ist auch die Hinrichtung des Erzbischofs Kyprianos<br />

und seiner Getreuen <strong>nach</strong>geformt. Mit ergebenem, ins Jenseits gerichtetem Blick erwartet er<br />

seine Strangulation durch die türkischen Henker. Es war die Zeit der Enosis.<br />

Auch die britischen Kolonialherren hängen<br />

zypriotische Unabhängigkeitskämpfer.<br />

Die näheren Umstände auf allen Schildern<br />

<strong>nach</strong>zulesen, nahm ich mir nicht die Zeit.<br />

1878 besetzte Großbritannien (bei formeller<br />

Anerkennung der türkischen Oberhoheit) die<br />

Insel, 1914 annektierte es sie; 1925 wurde<br />

<strong>Zypern</strong> britische Kronkolonie.<br />

Thema 5: Türkische und englische Herrschaft:<br />

Eindrucksvolle Studien der von den<br />

Lebensgewohnheiten der konservativen<br />

englischen Oberschicht, die sie aus England<br />

mitbrachten, eisern daran festhielten und bis heute pflegen, werden in Wachsmodellen gezeigt,<br />

Bilder eines britischen Gouverneurs, aber auch eines inhaftierten Widerstandskämpfers in der<br />

Todeszelle, es ist alle so nah, so echt….Die Figuren blicken dich an, fordern dich auf…<br />

Ein Gang führt an den einzelnen Boxen vorbei. Er ist spärlich erleuchtet. Schon starke Lampen<br />

39<br />

Lusignan, [lyzi'njã], französisches Adelsgeschlecht aus dem Poitou, stellte Könige von Jerusalem (1179-<br />

1291), von <strong>Zypern</strong> (1192—1489) und von Kleinarmenien (1342—1375).<br />

40<br />

Kantara, (arab. Brücke, Bogen) Festungsruine aus dem 10. Jh. am Eingang zur Halbinsel Karpaz im Osten<br />

<strong>Zypern</strong>s (türkisch besetzt), östlichste der drei Festungen des Pentáktylosgebirges, die im Mittelalter zum Schutz<br />

der Insel errichtet wurden.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 62


würden viel Wärme erzeugen, schädlich für das konservierte Wachs. Wieder bin ich vom<br />

Zeitlimit bedrängt.<br />

Thema 6: Die zyprischen Kämpfer und ihr Opfermut:<br />

Eine Schießerei wurde gezeigt. Ein Camp wird gestürmt. Tote hängen im Stacheldraht. Ich<br />

kenne die Einzelheiten nicht.<br />

Seit 1955 führte die Untergrundorganisation EOKA unter G. Grivas einen Guerillakampf<br />

gegen die britische Kolonialmacht, die mit harten Repressalien antwortete. Gleichzeitig kam es<br />

zum Konflikt zwischen den interessierten Mächten: Großbritannien wünschte den Fortbestand<br />

des Kolonialstatus, Griechenland den Anschluss, die Türkei eine Teilung der Insel. 1959 wurde<br />

der Konflikt durch das Londoner Abkommen zunächst beigelegt: <strong>Zypern</strong> erhielt die<br />

Unabhängigkeit, die von den drei Mächten garantiert wurde. Für das Verhältnis der<br />

Nationalitäten wurde eine vorläufige Rechtsgrundlage geschaffen; Großbritannien wurden<br />

Militärstützpunkte zugestanden. Makarios wurde zum Staatspräsidenten gewählt. Am 16. 8.<br />

1960 erfolgte die Unabhängigkeitserklärung.<br />

Kennzeichnend für die Verfassung von 1960 blieb der institutionalisierte Dualismus von<br />

griechischer Mehrheit und türkischer Minderheit. Alle Staatsorgane wurden im Verhältnis<br />

70: 30 besetzt. Das aus 35 griechischen und 15 türkischen Abgeordneten bestehende<br />

Repräsentantenhaus wurde <strong>nach</strong> allgemeinem, gleichem, geheimem und direktem Wahlrecht<br />

bestellt, jedoch wählten beide Nationalitäten ihre Abgeordneten in gesonderten Wahlkreisen.<br />

Auch der griechische Präsident und der türkische Vizepräsident (F. Küçük) wurden getrennt<br />

gewählt. Als Makarios 1963 dieses System zugunsten der griechischen Mehrheit beseitigen<br />

wollte (Aufhebung des Proporzes bei Wahlen und Stellenbesetzungen), kam es zu blutigen<br />

Kämpfen zwischen den Volksgruppen. Die UN entsandten 1964 eine Sicherheitstruppe, die<br />

noch heute auf <strong>Zypern</strong> stationiert ist.<br />

In der 2. Hälfte der 1960er Jahre beruhigte sich die Lage, doch kam eine Verständigung trotz<br />

jahrelanger Verhandlungen nicht zustande. Inzwischen entstand bei Teilen der griechischen<br />

Zyprioten Missstimmung gegen Makarios, der die Enosis- Bewegung nur noch formell zu<br />

unterstützen schien. Seit 1972 trat die von Grivas († 1974) geführte EOKA wieder mit<br />

Terroranschlägen, jetzt gegen Regierungsmitglieder und Regierungseinrichtungen gerichtet, in<br />

Erscheinung. Gegen Makarios wandte sich auch ein Teil des Klerus.<br />

Am 15. 7. 1974 putschte dann die von griechischen Offizieren befehligte und von der<br />

Regierung Griechenlands gesteuerte Nationalgarde gegen Makarios. Makarios verließ<br />

vorübergehend das Land.<br />

Alles das haftet dieser Generation und auch ihren Kindern noch frisch im Gedächtnis.<br />

Themen 7 und 8: Türkische Invasion und gegenwärtige Geschichte der Teilung:<br />

Unter dem Eindruck eines drohenden Anschlusses der Insel an Griechenland landeten am 20.<br />

7. 1974 türkische Truppen und besetzten den Nordosten der Insel, rund 40% der Gesamtfläche.<br />

Es kam zu großen Bevölkerungsverschiebungen (Flucht, Vertreibung, Umsiedlung).<br />

1975 erklärte sich der türkische Teil zum „Föderativen türkisch-zypriotischen Staat“, dessen<br />

Präsident R. Denktasch wurde. Verhandlungen zwischen den Volksgruppen blieben<br />

ergebnislos, da die Griechen auf einem Einheitsstaat mit begrenzt autonomen Kantonen<br />

bestanden, während die Türken eine lose Föderation zweier weitgehend selbständiger Staaten<br />

forderten.<br />

Dieser Ausstellung muss man einfach mehr Zeit gönnen. Hier ist ansatzweise Geschichte,<br />

punktuell, optisch aus ihrem Dunkel herausgehoben worden. Die dargestellten Begebnisse<br />

hatten vor Ort für mich noch viele Fragezeichen. Kaum, dass ich einzelne Schlüsselereignisse<br />

erfahren habe- ich war noch fremd im Land. Ich begann gerade mich hinein zu denken. Heute<br />

weiß ich mehr. Lexika, mitgebrachte Prospekte, Internet- Recherchen und Bücher verrieten mir<br />

ihr Wissen, das ich jetzt versuche zusammenzufassen.<br />

Sehr drastisch, besonders bedrückend fand ich die Darstellungen von Märtyrern, Volkshelden,<br />

Kämpfern, Kirchenführern, Aufständischen und Rebellen in Kerker, Haft und vor der<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 63


Hinrichtung, die bis in die Einzelheiten <strong>nach</strong>gestellt waren. Kurz vor dem Ausgang glänzten im<br />

tadellosen Anzug zwei Präsidenten der Republik.<br />

Seit 1974 gaben oder nahmen sich das Zepter in die oder aus der Hand:<br />

• Präsident Glafkos Klerides (18. Juli 1974 bis 7. Dezember 1974 Interimspräsident)<br />

• Präsident Erzbischof Makarios III. (7.Dezember 1974 bis 3. August 1977 †)<br />

• Präsident Spyros Kyprianou (31. August 1977 bis 28. Februar 1988)<br />

• Präsident Georges Vassiliou (28. Februar 1988 bis 28. Februar 1993)<br />

• Präsident Glafkos Klerides (28. Februar 1993 bis 1. März 2003)<br />

• Präsident Tassos Papadopoulos (seit 1. März 2003)<br />

Am Ausgang kam ich mir wie ein kleiner Entdecker vor.<br />

<strong>Zypern</strong>s wechselvolle Geschichte war mir wieder ein wenig<br />

näher gerückt.<br />

Dann hatte ich noch 20 Minuten bis zum verabredeten<br />

Zeitpunkt, suchte Martina, fand sie in den wie ausgestorben<br />

scheinenden Straßen dieser Stickerei- Hochburg nicht und<br />

machte nun einen kleinen Rundgang. Zahllose Geschäfte mit<br />

textilen Angeboten lockten den Besucher zum Kauf von<br />

gehäkelten und bestickten Decken, Tüchern, Laken,<br />

Vorhängen, Gardinen, Stolen, Servietten, ja sogar<br />

Sonnenschirme habe ich gesehen.<br />

Die andere Sparte an speziellem Handwerk dieses Ortes sind<br />

die Silberwaren. Da findet man Schmuck für jeden<br />

Körperteil, gediegen und filigran, Ringe, Ketten, Diademe,<br />

Armbänder, wertvoll eingefasste Uhren, ich habe mich nicht sonderlich darauf eingelassen, bin<br />

auch in kein Geschäft hinein gegangen; ich wollte nichts erwerben.<br />

Mit einer Stickerin, die an der Straßenecke vor ihrem Laden saß und mit einer Lochstickerei<br />

beschäftigt war, knüpfte ich ein kleines Gespräch an, lobte ihr Tun, weil ich weiß, wie viel<br />

Arbeit und Mühe darin steckt. Irgendwann wird diese unterbezahlte Handarbeit wie auch schon<br />

das Klöppeln nur noch als bewahrte Volkskunst in Museum konserviert werden. Hier dient sie<br />

noch dem Broterwerb. Bereitwillig zeigte sie mir, wie sie kleine Löcher aus dem<br />

Leinengewebe herausschnitt, deren Ränder sie dann mit winzigen Stichen und unendlicher<br />

Geduld umnähte- Lochsaumstickerei ist Kunst. Die Ruhe im Ort, das Klima jetzt im Herbst<br />

sind natürlich eine heilsame und helfende Umgebung. Aber was hilft das alles, wenn die<br />

Kunden - so wie ich - nur Interesse zeigen und nichts kaufen?<br />

Lefkara hat noch seinen Ruf durch ein anderes Image. Berühmt<br />

auf ganz <strong>Zypern</strong> ist dieser Ort wegen seiner schönen<br />

Holzbalkone, die die Häuser schmücken. Das fiel mir beim<br />

weiteren Rundgang auf. Ich untersuchte mit meinem Fotoapparat<br />

einen Tordurchgang, und als einer Frau meine Neugier auffiel,<br />

lud sie mich ein näher zu kommen und winkte mich in den<br />

Hinterhof, der noch schöner war als die Straßenseite. Von hier<br />

hinten konnte ich einen Blick hinunter in die Ebene genießen.<br />

Der Einsatz von Holz<br />

muss auffallen, da das<br />

Land ja sehr holzarm<br />

ist. Natürlich gehört<br />

Lefkara schon in das<br />

Gebiet des Troodos-<br />

Gebirges, was ein Blick <strong>nach</strong> Norden bestätigt,<br />

wenn man von der Hauptstraße in den engen<br />

Nebengassen <strong>nach</strong> oben schaut. Ich musste<br />

Abschied nehmen, traf die Truppe am Bus wieder,<br />

schwatzend und ihre Beute betrachtend.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 64


XII. Ins östliche Troodos- Gebirge – Ankunft in Agros<br />

Genau 14.15 Uhr setzten wir unsere <strong>Reise</strong> fort. Nun sollte es weiter hinauf ins Troodos-<br />

Gebirge gehen. Am Abend würden wir im Hotel Rodon in Agros sein und vier Tage und<br />

Nächte dort oben verweilen.<br />

Antonio, hinter dem wir saßen, klebte sich das Handy ans Ohr, neigte lauschend den Kopf und<br />

meldete da<strong>nach</strong>, es würde da oben mächtig regnen. Diese Meldung erhielt dadurch Gewicht,<br />

dass das so ziemlich die ersten Regenfälle dieses Herbstes sind und auch uns ein wenig<br />

beeinträchtigen würden. Abwarten. Schwere, finstere Wolken trieben am Horizont. Bald<br />

knallten die ersten Tropfen an die Scheiben des Busses. Der Regen erreichte uns mit kurzen<br />

heftigen Schauern also schon während der Fahrt. Das kann ja heiter werden! So willkommen<br />

das Nass bei den Einwohnern ist: Wir Touristen lernen das Land lieber im Trockenen kennen.<br />

Die E110 windet sich, dem Diktat der Höhenlinien in der Topografie folgend, langsam immer<br />

höher hinauf. Wundervolle Wolkenbilder sind in der Ferne zu beobachten.<br />

In Agio Ioannis ergriff Antonio das Mikrofon und erzählte uns schmunzelnd die ganz<br />

außergewöhnliche Mär, dass wir hier in „Klein- Moskau“ sind. „Hier wohnen eine ganze Reihe<br />

Leute, die alle Lenin oder Stalin heißen“, meinte er. Den Dorfplatz, den wir gerade<br />

überquerten, nannte er den Roten Platz.<br />

Kartenausschnitt EASTERN TROODOS AREA um Agros, M. 1 : 60 000 – Nr. 40: Hotel Rodon<br />

Nach einer reichlichen Stunde Fahrt erreichen wir unser Ziel. Das „Rodon- Mount Hotel and<br />

Resort“ ist ein stattlicher Hotelkomplex in etwa 1100 m Höhe. Um gleich diese Beschreibung<br />

zu erledigen: Es hat 123 Doppelzimmer, 24 Familiensuiten, 2 Einzelzimmer, je eine<br />

Präsidenten und eine Hochzeitssuite, also Platz für rund 300 Personen. Unser Zimmer lag <strong>nach</strong><br />

hinten hinaus. Vom Balkon sah ich direkt links vor uns einen grünen, blühenden Felsen und<br />

rechts den Hotelgarten mit hellgrünen Olivenbäumen und dahinter in der Ferne die dunstigen<br />

Hügel des bergigen Umlandes. Agros liegt im Herzen des Pitsilia- Gebirges.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 65


Das Abendessen sollte es erst 19.30 Uhr geben, wir nutzten die verbleibende Zeit zu einem<br />

ersten Erkundungsspaziergang in der Umgebung des Hotels. Alles war noch frisch, feucht und<br />

nass vom Regen, der hier kurz und heftig niedergegangen war. Ich stieg, Martina hinter mir her<br />

lockend, auf eine kleine Anhöhe, von der wir gut sahen, dass das Dorf Agros weit unten im Tal<br />

sich hinzog, etwa 200 m tiefer, terrassenförmig in der leichten Hanglage sich hinziehend.<br />

Wir entschlossen uns, der<br />

steigenden Straße folgend, noch<br />

weiter höher zu steigen. Bald<br />

standen wir an einer Baustelle.<br />

Von ihnen sahen wir in den<br />

nächsten Tagen noch mehrere, so<br />

dass man annehmen kann, dass<br />

diese Gegend prosperiert. Die<br />

Urlauber tragen sicher sehr viel<br />

Geld hierher. Wir hatten bald das<br />

bewohnte Areal hinter uns<br />

gelassen. Neugier trieb uns immer<br />

weiter, zumal der Weg nun flach<br />

den Windungen der Terrassen<br />

folgte, in die die Hügel abgetreppt<br />

sind und sämtlich dem Obst- oder<br />

Weinanbau dienen. Das Dorf Agros, etwa vom Hotel Rodon gesehen<br />

Es ist Oktober und die Zeit der Weinlese. Rechts von uns hingen die blauen und gelben<br />

Trauben schwer an den teilweise uralten Reben und luden zum Naschen regelrecht ein.<br />

Wir kosteten, naschten die köstlichen Beeren, suchten die<br />

größten aus. Jeder entdeckte noch größere. Wir waren wie im<br />

Rausch. Solch eine Gelegenheit hatten wir noch nie gehabt.<br />

Einsam und allein in der Abenddämmerung im fremden Land,<br />

umschlossen von göttlicher Stille und den herbstlichen Farben.<br />

Das Laub troff noch von der Nässe und blinkte in der<br />

Abendsonne. Die Stimmung verzauberte uns. An der<br />

Wegbiegung, hangabwärts, werkelte ein alter Mann mit seinem<br />

Esel. Uns überkamen nun doch einige Skrupel wegen des<br />

kleinen Mundraubes, dessen wir uns für schuldig hielten,<br />

zumal Martina in eine Plastiktüte einigen Vorrat abgezupft<br />

hatte. Wir hielten uns etwas verborgen. Er war auch noch ein<br />

Stück entfernt. Doch dieser alte Bauer hatte mit seinem<br />

schweren Tagewerk zu tun und achtete unser nicht.<br />

Wir machten uns auf den Rückweg, nicht ohne über die Weitsicht in die Bergwelt des Troodos<br />

ins Schwärmen zu geraten, die Braun- und Goldtöne, die die untergehende Sonne zum<br />

Leuchten brachte, die frische, vom Regen gereinigte und gefilterte Bergluft des Pitsilia.<br />

Ich atmete tief durch. Welch ein Gegensatz zu<br />

der Glutluft gestern am Kap Grekko!<br />

Das Abendessen war gegenüber dem<br />

Schlemmer- Angebot des Cavo Maris mäßig.<br />

In dem großen Saal wirkte unsere Gruppe mit<br />

etwa 30 Leuten verloren. Das Saisonende war<br />

deutlich zu spüren. Ich genoss diese Ruhe.<br />

Für die nächsten Tage nahm ich mir vor, den<br />

Swimming- Pool zu nutzen. Draußen ist es<br />

jetzt schon herbstlich frisch. Ich stöbere noch<br />

ein wenig in einer Informationsmappe von<br />

Hellas- <strong>Reise</strong>n, um für morgen ein Ziel zu<br />

finden- mit wenig Erfolg. Hotel Rodon in Agros, Troodos- Gebirge<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 66


XIII. Wanderungen um und in Agros und Mezé- Essen in der Taverna<br />

Dienstag, 3. Oktober 2006<br />

Wir erleben den sechsten Tag unserer <strong>Reise</strong>. Erst 16 Uhr treffen wir uns alle wieder zu<br />

gemeinsamem Tun. Heute Vormittag müssen wir unser Programm selbst gestalten.<br />

Im Baedeker las ich von dem ehemaligen Kloster Palaichóri, einem kleinen<br />

malerischen Ort, der etwa 10 km Luftlinie von hier entfernt liegt. Hier soll es eine Kirche aus<br />

dem frühen 16. Jahrhundert geben, die voll mit schönen Fresken ausgekleidet ist.<br />

Weltkulturerbe der UNESCO. Ich interveniere bei der <strong>Reise</strong>leitung- keine Möglichkeit.<br />

Außerdem lese ich, das nur montags und mittwochs geöffnet ist. Zum Laufen ist es zu weit.<br />

25 km Wanderung würde uns beide überfordern. Also laufen wir beide, Martina und ich,<br />

einfach los, aufs Geratewohl.<br />

Anfangs gehen wir einige Zeit mit dem Ehepaar Schelter aus Erfurt, doch Martina will immer<br />

wieder ausscheren. Sie ist heute nicht sehr kommunikationsfreudig. Außerdem wandert sie<br />

nicht gern in Gesellschaft. Ich will zudem etwas höher hinaus- man nehme das nicht allzu<br />

wörtlich. Wir wählen einen Pfad, der in die Höhe führt, Schelters folgen den Windungen der<br />

Straße weiter. Tschüs.<br />

Wir sind hier in der Gegend von Agros mitten in den Pitsilia- Bergen, die ein östlicher Teil<br />

des Troodos- Massivs sind. Ihre Hügel und Täler pendeln zwischen Höhen von 1100 und<br />

1400 Metern. Die Strahlen der Sonne wärmen kräftig, doch die frische Bergluft mildert das<br />

Klima. Wir treffen ein uraltes Bauernpaar, das auf einem ebenso uralten Toyota- Pickup aus<br />

seinem Weinberge kommt. Auf der Ladefläche Plastikkisten mit Trauben. Wir grüßen. Sie<br />

winken zurück. Sie haben Wein gelesen, ohne fremde Hilfe, ohne jugendlichen Nachwuchs.<br />

Es ist die Situation wie bei uns: Landflucht. Die Alten sterben aus. Ich denke an die steinalten<br />

Rebstöcke von gestern Abend und den alten Mann mit seinem Esel. Es gibt hier Weinberge,<br />

langsam verfallende Terrassen, die nicht mehr bearbeitet werden, weil die Besitzer zu alt und<br />

ohne Nachwuchs sind. Wie doch die Folgen der Weltwirtschaft bis in die kleinsten und<br />

fernsten Winkel dringen! Uralte, jahrhundertelange Traditionen sterben in weniger als einer<br />

Generation.<br />

Wir steigen stetig. Bald können wir das Rodon- Hotel ganz weit unten sehen, fast wie bei<br />

einer Luftaufnahme. Da weitet sich mein Herz. Das ist der Lohn des Steigens, der Mühe. Der<br />

Brustkorb dehnt sich- tief durchatmen: Wie schön ist das Leben! Wie schön ist die Natur!<br />

Weit hinten am Horizont strecken sich<br />

die blauen Berge des Troodos-<br />

Gebirges mit der weißen Kugel des<br />

knapp 2000 m hohen Olympos-<br />

Berges, der höchsten Erhebung von<br />

<strong>Zypern</strong>. Um uns ist nun vertrocknetes<br />

Gesträuch und dorniges Gestrüpp. Wir<br />

sind jetzt in der Höhe, auf fast nicht<br />

mehr erkennbaren Wegen der Winzer,<br />

die zu ihren Besitzungen führen.<br />

Nichts ist abgegrenzt. Ich will hoch.<br />

Wir stapfen einen steinigen Pfad, der<br />

am immer steiler und abschüssiger<br />

werdenden Hang entlang führt und<br />

irgendwann aufhört ein Weg zu sein.<br />

Blick auf das Troodos- Gebirge mit dem Olympos<br />

Ich schaue <strong>nach</strong> oben und sehe einen Strommast. Der wird sicher an einem Weg stehen und<br />

zugänglich sein. Nun klimmen wir die Falllinie empor, müssen manchmal die Hände beim<br />

Klettern zu Hilfe nehmen. Martina beklagt sich schon, ich hätte sie in die Irre geführt. Ich<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 67


tröste, rede ihr gut zu. Ab und zu bleibe ich besinnend stehen, bin entzückt über die herrlichen<br />

gelben Blütenstände der Disteln, fotografiere sie. Martina wettert vor sich hin.<br />

Dann stehen wir oben. Es ist ein Weg, wenngleich es noch kein<br />

Gipfelpunkt ist. Erst von hier sieht man, dass es noch höher<br />

geht. Der Platys drüben auf der Kette jenseits des Tales ist<br />

1420 m hoch. Wir stehen jetzt vielleicht auf etwa 1300 m,<br />

entschließen uns wieder <strong>nach</strong> unten zu gehen. Der Weg führt in<br />

das Tal hinunter, in dem der nördlichste Teil des Dorfes Agros<br />

liegt. Wir kreuzen den Europäischen Fernwanderweg E4,<br />

markiert mit dem blauen E. Wir suchen eine Sitzgelegenheit<br />

für eine kleine Pause, finden nichts Passendes, bleiben stehen<br />

und Verschnaufen. Überall verstreut liegen hier Papphülsen<br />

von Geschossen aus Jagdgewehren. Ich glaubte auch einmal<br />

einen Knall gehört zu haben. Die Bauern der Gegend gehen auf<br />

die Jagd. Worauf schießen sie? Ich habe hier keine wilden<br />

Tiere beobachten können. Den Prospekten zufolge soll es<br />

Mufflons geben. Kein Schatten. Es wird heiß. Aus dem Tal<br />

Distelblüten wie kleine Sonnen<br />

klingt helles Kinderlachen, Schulhoflärm herauf.<br />

Eine Abzweigung verlockt zum Erobern des nächsten Dorfes, es sind nur wenige Kilometer.<br />

Doch wir wenden uns <strong>nach</strong> rechts, der Weg fällt angenehm. Sogar Pfützen vom gestrigen<br />

Regen stehen noch an schattigen Stellen. Vögel zwitschern. Wir naschen wieder ein paar<br />

Weintrauben. Verlockend reifen die samtblauen Beerendolden und scheinen zu rufen: Pflücke<br />

mich, pflücke mich! Bald sehen wir weiter unten Leute winken, die zu uns heraufsehen. Hallo!<br />

Sie haben das Tal von der anderen Seite her erkundet und kommen uns nun entgegen. Bald<br />

treffen wir sie. Wir tauschen unsere Erfahrungen aus. Der Vormittag ist noch nicht vorbei.<br />

Tschüs! Bis bald. Nun nimmt uns die aus Agros heraufführende Straße auf. Sie gabelt sich<br />

bald. Ein Zweig führt <strong>nach</strong> Pelendri und am Ende an die Küste <strong>nach</strong> Limassol, der andere <strong>nach</strong><br />

Chandria und westwärts hinauf in das Troodosgebirge. Beide Richtungen werden wir in den<br />

nächsten Tagen kennen lernen. Jetzt aber wandern wir wieder <strong>nach</strong> Agros hinein. Die<br />

Asphaltstraße holt weit aus. Auf ihren Serpentinen haben wir immer Agros im Bild.<br />

Diese ziehen sich in die Länge. An einem<br />

Neubau, der mit viel Beton und massiven<br />

Stützwänden an den Hang gebaut wird, ruhen<br />

wir aus, trinken einen Schluck Kaffee und<br />

essen einen Pfirsich. Nun geht es immer<br />

bergab, hinein ins Dorf. Es wird viel gebaut.<br />

An einem Haus denke ich, ich sehe nicht<br />

recht: Da steht auf einem hohen Betonsockel<br />

eine Freiheitsstatue mit Strahlenkrone, die<br />

Fackel in die Luft gereckt, die keine ist,<br />

sondern eine stinknormale Glühbirne. Im Arm<br />

trägt sie ein Buch und ein seltsames Zepter.<br />

Soll das ein Wahrzeichen von Agros werden? Ich bin verstört.<br />

Langsam beginnen die Füße zu schmerzen. Die schiefe Ebene des<br />

harten Asphalts staucht. Ich suche das weiche Bett der von den<br />

Pinien abgeworfenen Nadeln, die am Straßenrand das Gehen<br />

erleichtern. Dann sind wir unten im Ort. Eine Gärtnerei mit<br />

Tausenden Rosen in langen Beetreihen lässt einen Erwerbszweig<br />

erahnen, den wir heute Nachmittag noch besser kennen lernen<br />

werden. An einem Pfirsichhain versucht Martina, ein paar Früchte<br />

zu ernten. Sie sind trotz ihres reifen Aussehens noch sehr hart und<br />

fast nicht genießbar. Schade. Es ist wie im Paradies hier, wo die<br />

Früchte in den Mund wachsen. Bald steigt die Straße wieder. Zum<br />

Hotel hinauf wird es noch einmal richtig beschwerlich.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 68


Wir ruhen uns ein Weilchen im Hotelzimmer aus, trinken, essen ein wenig, sitzen auf dem<br />

Balkon, genießen die Ruhe. Dann ist die Zeit heran, 16 Uhr, wo wir uns alle treffen, um<br />

gemeinsam wieder zu Tale zu ziehen und das Nachmittags- und Abendprogramm zu erleben.<br />

Wir gehen den gleichen Weg zurück, biegen dann aber am Sportzentrum rechts ab. Wir<br />

werden aufgeklärt über den besonderen genossenschaftlichen Charakter des Dorfes. Alle<br />

Einwohner haben eine Kooperative gebildet, ihr Vermögen zusammengetan und mit ihrem<br />

Geld das Rodon- Hotel gebaut. Sie sind nun alle daran beteiligt, und etliche arbeiten dort,<br />

etwa 30 Leute. Andere wieder versorgen das Hotel mit Obst und Gemüse, mit Fleisch und<br />

Brot, mit Blumen, Andenken und Wein. So versorgt das Hotel den Bewohnern Arbeit. Diese<br />

haben sogar eine eigene Bank gegründet, ein einmaliges Beispiel in <strong>Zypern</strong>, das jedoch jetzt<br />

Schule macht und auch anderswo <strong>nach</strong>geahmt wird.<br />

Für den Winter, wenn die Touristen ausbleiben,<br />

haben die findigen Agros- Leute einen Dreh<br />

gefunden, Menschen hierher zu bringen. Sie<br />

organisieren sportliche Wettkämpfe,<br />

Trainingslager und Schulungen in einem<br />

großzügig ausgestatteten Komplex, der sogar<br />

einer größeren Stadt würdig wäre. So ist auch im<br />

Winter das Hotel ausgelastet. Erstaunlich.<br />

Nun haben wir eine Begegnung mit der<br />

Vergangenheit- könnte man sagen.<br />

An einer Straßenkrümmung kommt uns ein alter Mann mit seinem Esel entgegen, ein Bild wie<br />

es sich die <strong>Reise</strong>journalisten wünschen, wie es auf den <strong>Reise</strong>prospekten zu sehen ist, auf<br />

Umschlägen auf Büchern über <strong>Zypern</strong>, kurz gesagt ein Klischee, das heute nicht mehr der<br />

Wirklichkeit entspricht, ein Esel auf <strong>Zypern</strong> als Transportmittel. Gut, man sagt, Agros sei noch<br />

ein Dorf. Immerhin braucht das Tier ganzjährig Futter. Dennoch kann ein Esel kaum noch den<br />

benzingetriebenen Tieren Konkurrenz bieten. Nur vielleicht noch in den schwer zugänglichen<br />

Wein- Terrassen leistet es vereinzelt Hilfe, das unendlich geduldige, manchmal etwas<br />

eigensinnige, genügsame Grautier, das in unserem Falle ein hübsches Kaffeebraun aufweist.<br />

Alle rissen natürlich die Fotoapparate an die Wange,<br />

hielten voll drauf, bedrängten sich gegenseitig- man<br />

will ja diese Szene möglichst ohne die störenden<br />

Touristen einfangen. Es gab heillose Aufregung. Der<br />

arme Mann tat sein Bestes, machte gute Miene zum<br />

bösen Spiel, denn er hatte nichts davon, dass er so<br />

plötzlich im Mittelpunkt stand. Er zog das Eseltier<br />

stumm hinter sich her, dies trabte Schritt für Schritt<br />

gemächlich den Berg hoch. Der Bauer verhielt einen<br />

kurzen Moment, lachte verlegen und trollte sich von<br />

dannen.<br />

In dieser Zeit musste ich auch versuchen, ihn möglichst günstig einzufangen und fluchte<br />

innerlich auf den Menschenjäger, der immer in vorderster Linie im Wege stand. Noch<br />

schlimmer sind in neuer Zeit die Videofilmer, die unbeweglich zu deinem gewählten Objekt<br />

die Sicht verderben und erst dann weggehen, wenn alles vorbei ist. Sie sind den Rauchern<br />

gleiche taktlose Egoisten.<br />

Wir stehen vor dem Anwesen der Familie Tsolakis, dem „House of Roses“, Rosenhaus und<br />

treten neugierig in die kleine Werkstatt.<br />

Grundidee war, aus den hier gezüchteten und geernteten Rosen die Blätter auszupressen und<br />

allerlei Produkte daraus herzustellen: Duftendes Rosenwasser, Rosenöl, Rosenlikör, Rosengeist<br />

(hochprozentiger Schnaps), Rosensüßigkeiten und sogar Wein mit Rosengeschmack. Dazu<br />

gesellt sich eine kleine keramische Werkstatt, in der gleich die entsprechenden und<br />

ansprechenden Gefäße getöpfert werden. Hier standen wir nun und staunten.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 69


Beeindruckend vor allem<br />

die mühsame Handarbeit<br />

und die Menge von<br />

Blättern, ehe man einen<br />

Tropfen Rosenöl daraus<br />

gewonnen hat. Wir<br />

Traditionelle Rosenwasser- Destillation<br />

umstanden zunächst dem<br />

Töpfer, der eine Serie<br />

kleiner Krüge auf das<br />

Brennen vorbereitete. Es<br />

stand auch ein kleiner<br />

Brennofen in der Ecke. Wir schauten einem jungen Mann über<br />

die Schulter, der den frisch in Schablonen geformten Tonkörpern<br />

mit einem Messer die Grate entfernte. Bald rief Antonio zur<br />

Verkostung an eine kleine Theke.<br />

Jeder durfte entweder einen Rosenschnaps oder ein Glas<br />

Rosenwein kosten. Ein Novum für meinen Gaumen, aber<br />

es haute mich nicht um, da ich Alkohol gegenüber<br />

äußerst skeptisch bin. Martina prüfte ein Angebot an<br />

rosenblättrigen Duftkerzen und Rosenseifen. Alles sehr<br />

verlockend, aber für uns nicht praktikabel. Ein winziger<br />

Verkaufsraum nebenan füllte sich langsam mit<br />

Neugierigen. Es sind sehr originelle Vasen und<br />

Porzellankompositionen darunter, alle in irgendeinem<br />

Bezug zur Rose. Beinahe hätten wir gekauft, dachten aber<br />

im letzten Moment an das Fluggepäck.<br />

Wir liefen zurück und sollten nun die Bekanntschaft von<br />

Nikis machen, einer energischen, selbstbewussten Frau, die<br />

sich mit ihren häuslichen Ideen und Rezepten zur<br />

Marmeladen- und Konfitürenherstellung ein kleines, gut<br />

gehendes Geschäft aufgebaut hat. Hier bietet sie aus<br />

heimischen Früchten erzeugte Konfitüren, Honig,<br />

Süßigkeiten an. Wir stiegen eine Treppe hinunter- ihr Haus<br />

war an den Hang gebaut und nutzte die Schräge. Da im<br />

Untergeschoss befindet sich die Küche. Frau Nikis<br />

beschäftigt zwanzig Frauen, die das Obst putzen,<br />

zerkleinern, kochen, rühren, formen, abfüllen. An fahrbaren<br />

Gerüsten hängen in langen Schnüren die Soudzsoúkos, das<br />

sind aufgereihte Mandeln oder Walnüsse, in<br />

karamellisiertem und geliertem Traubenmost getränkt,<br />

getrocknet und dann in Schnuren aufgefädelt. Wir durften<br />

ein Stück naschen- köstlich!<br />

Soudzsoúkos<br />

Im Laden fiel die Wahl schwer. Honig gab es von<br />

Thymian, Wald- und Sommerblumen, Glykó, in<br />

Gelee eingelegte süße Früchte, Tomatenpüree,<br />

Konfitüren aus Beeren, Kiwis, Quitten, Kirschen und<br />

Pfirsich. Wir nahmen ein Glas Feigenkonfitüre mit.<br />

Nun spazierten wir in langer Kette in Richtung<br />

Kirche, die wir von Nikis schon übers Tal hinweg gut<br />

gesehen haben. Als Zwischenziel wählte Antonio eine<br />

Terrasse, sie gehörte zu einem Kafenío, das auf der<br />

anderen Straßenseite lag. Agros: Nikis- Cyprus home made Sweets<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 70


Die Kirche des Ortes konnte man gut von hier oben sehen. Kaffeepause. Die Glocken läuteten<br />

zur Abendandacht.<br />

Antonio schlug vor, hineinzugehen, um den Ablauf eines griechisch- orthodoxen<br />

Gottesdienstes einmal lebendig zu erleben. Später belese ich mich:<br />

Orthodoxe Kirchen (von altgriechisch ορθός – richtig oder geradlinig, und δόξα – glauben)<br />

nennen sich die christlichen Kirchen des byzantinischen Ritus, die im griechischen Kulturraum<br />

entstanden oder von dorther gegründet worden sind.<br />

Die kirchlichen Traditionen und Lehren der orthodoxen Kirchen nahmen ihren Anfang im<br />

byzantinischen Reich mit seinem Zentrum Byzanz bzw. Konstantinopel. Deshalb spricht man<br />

auch von der griechischen Kirche im Gegensatz zur lateinischen Kirche bzw. römischen Kirche.<br />

Der Begriff Ostkirchen ist ebenfalls gebräuchlich,<br />

Das Sakrament der Weihe ist in drei Stufen aufgeteilt.<br />

Die erste Stufe ist das Diakonat, die zweite das Priestertum und die dritte die des Bischofs.<br />

Die Weihe können nur Männer empfangen. Nur die Bischöfe, die meist (fast immer) zugleich<br />

auch Mönche sind, sind zum Zölibat verpflichtet. Allerdings sind auch die Bischöfe oft nicht<br />

ursprünglich aus dem unverheirateten Klerus, denn es werden häufig verwitwete Priester zum<br />

Bischof geweiht. Priester und Diakone dürfen verheiratet sein, allerdings nicht <strong>nach</strong> der<br />

Subdiakonweihe heiraten. Wenn sie verwitwen oder sich von ihrer Frau trennen, müssen sie<br />

unverheiratet bleiben. Neben dem Weihesakrament kennen die orthodoxen Kirchen auch die<br />

so genannten Niederen Weihen zum Lektorat und Subdiakonat (Hypodiakon).<br />

Die Ämter sind in eine kirchliche Hierarchie eingebunden: An der Spitze steht der Patriarch,<br />

Erzbischof oder Metropolit als primus inter pares unter den Bischöfen, dann kommen Bischof<br />

(griech. επίσκοπος episkopos, eigentlich Aufseher oder Vorarbeiter), Priester (griech.<br />

πρεσβύτερος presbyteros, eigentlich Ältester), und Diakon (griech. διάκονος diakonos,<br />

eigentlich Helfer oder Tischdiener).<br />

Subdiakon, Vorleser, Sänger und Türhüter sind weitere Ämter ohne sakramentale Weihe und<br />

ohne Altardienst, die ihren Ursprung in der frühchristlichen Liturgie haben, heute aber zum Teil<br />

andere Funktionen haben als die Namen nahe legen.<br />

Bekenntnisgrundlagen sind Bibel und Tradition. Die Tradition ist fixiert durch die Beschlüsse der<br />

ersten 7 ökumenischen Konzilien (1. Nicäa 325 bis 7. Nicäa 787); sie ist ferner durch die<br />

Lehren der Kirchenväter, die Aussagen im reichen liturgischen Gut und durch spätere wichtige<br />

Synoden bestimmt (1642 Jassy [Rumänien], 1670 Jerusalem). Die Feier der „göttlichen<br />

Liturgie“, die 7 Sakramente, der Vollzug von Sakramentalien (Weihehandlungen), die<br />

Verehrung der Ikonen, Gebete und Hymnen nehmen im Leben der orthodoxen Kirchen einen<br />

breiten Raum ein.<br />

Im Mittelpunkt der orthodoxen Spiritualität steht die reiche, hauptsächlich gesungene Liturgie<br />

voller Symbolik, deren heutige Form großteils bis ins vierte Jahrhundert zurückgeht, in ihrer<br />

Grundstruktur wohl sogar bis ins erste und zweite Jahrhundert. Die Form des ersten Teils der<br />

Liturgie, die so genannte Liturgie der Katechumenen mit Gebeten und Bibellesungen, geht auf<br />

den jüdischen Synagogengottesdienst zurück, wie er zur Zeit Jesu üblich war, während der<br />

zweite Teil, die Liturgie der Gläubigen mit der Eucharistiefeier, im wesentlichen christlichen<br />

Ursprungs ist.<br />

Da schon Musik aus verborgenen Lautsprechern ertönte und einzelne alte Menschen in den<br />

hohen Stühlen andächtig und in sich gekehrt <strong>nach</strong> vorn schauten, schlichen wir uns auf leisen<br />

Sohlen dazu und nahmen Platz. Die Armlehnen waren schulterhoch, so als wollten sie den<br />

Gläubigen beim Gebet stützen.<br />

Griechisch- orthodoxer Gottesdienst in der Kirche von Agros<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 71


Direkt vor mir saß der weißbärtige Diakon, der in dem heiligen Buche mit monotoner<br />

Singstimme eine Epistel sang. Ihm gegenüber antwortete der Vorleser, Sänger oder Subdiakon.<br />

Sie verschwanden beinahe hinter ihren Lesepulten. Das dauerte eine ganze Weile. Man ist<br />

recht unsicher, wenn man das Ritual nicht kennt.<br />

In der orthodoxen Liturgie bekreuzigt man sich jedes Mal, wenn die Trinität erwähnt wird, wenn<br />

das Kreuz oder eine Ikone verehrt wird, beim Segen, und bei unzähligen weiteren<br />

Gelegenheiten, die aber nicht genau geregelt sind und von verschieden Gläubigen recht<br />

unterschiedlich gehandhabt werden. Man bekreuzigt sich mit recht ausladender Bewegung und<br />

von rechts <strong>nach</strong> links (Stirn, Brust, rechte Schulter, linke Schulter), umgekehrt wie in der<br />

katholischen Kirche. Beim Bekreuzigen werden Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger<br />

zusammengehalten (drei Finger – Trinität), während Ringfinger und kleiner Finger an der<br />

Handfläche sind (zwei Finger – die zwei Naturen Christi, in die Handfläche – kommen herab zur<br />

Erde). In manchen orthodoxen Kirchen folgt der Bekreuzigung grundsätzlich noch eine<br />

Verbeugung.<br />

Das wusste ich aber nicht so genau. Alles theatralisch <strong>nach</strong>zuahmen empfand ich als unwürdig.<br />

Dann trat aus der Klapptür der Ikonostase der Priester hervor, schwenkte den Weihrauchkessel<br />

zu den sitzenden Gläubigen in alle Richtungen und sprach segnende Gebete.<br />

Alle orthodoxen Liturgien benötigen zur vollen Feier neben dem Priester (oder Bischof) noch<br />

einen Diakon. Dieser assistiert dem Priester, und die Struktur des abwechselnden<br />

gegenseitigen Ansprechens dient beiden als Gedächtnisstütze. Notfalls können die Liturgien<br />

aber auch in einer vereinfachten Form ohne Diakon gefeiert werden.<br />

Mit Orthros und weiteren Gebeten ist der Gottesdienst auch an normalen Sonntagen reichlich<br />

drei Stunden lang – wobei nicht alle von Anfang bis Ende dabei sind, späteres Erscheinen und<br />

früheres Verlassen des Gottesdienstes sind relativ normal. Typisch ist der häufige Anruf Kyrie<br />

eleison (Κύριε ελέησον, Herr, erbarme dich)<br />

Bald verständigten wir uns, standen auf und schlichen uns wieder aus der Kirche. Auf einem<br />

Tisch lagen die runden Brotlaibe, die bei der Eucharistiefeier verteilt werden.<br />

Auch die orthodoxen Kirchen sind der Auffassung, dass Brot und Wein wirklich Leib und Blut<br />

Christi sind. Die Liturgie hat Parallelen zum jüdischen Tempelgottesdienst. Im Gegensatz zur<br />

römisch-katholischen Eucharistielehre gibt es für die orthodoxe Theologie jedoch keine<br />

konkrete Formel, durch die der Priester die Wandlung vollzieht -- das Mysterium des<br />

Abendmahls geschieht durch die Liturgie als Ganzes.<br />

Die Eucharistie, die bei den byzantinischen Kirchen auch als „Göttliche Liturgie“ bezeichnet<br />

wird, gilt auch hier als Opfer, genauer als Vergegenwärtigung des einen Opfers Christi (siehe<br />

Byzantinischer Ritus). Der Empfang der Eucharistie durch nicht-orthodoxe Christen gilt als<br />

unmöglich, da <strong>nach</strong> orthodoxem Glauben der Teilnehmerkreis der Eucharistie (und nichts<br />

anderes) per definitionem die Kirche ist, und nicht-orthodoxe somit quasi automatisch zur<br />

Orthodoxen Kirche überträten wenn sie teilnähmen. Wenn ein Gläubiger die Eucharistie<br />

empfangen möchte, meldet er sich üblicherweise am Vortag beim Priester an; dies gilt vor<br />

allem für Auswärtige, die der Priester nicht persönlich kennt. Voraussetzung für den Empfang<br />

der Eucharistie ist zudem die Beichte.<br />

Die Anwesenheit von Gläubigen ist für die Feier der Eucharistie unabdingbar — eine<br />

eucharistische Liturgie ohne Gläubigen ist so wenig möglich wie ohne Priester. Ein Priester darf<br />

die Eucharistie höchstens einmal am Tag feiern, sie darf auch in jedem Kirchengebäude nur<br />

einmal am Tag stattfinden und ein Gläubiger ebenfalls höchstens einmal am Tag daran<br />

teilnehmen. Tägliche Eucharistiefeier ist jedoch in der Orthodoxie auch für Priester ziemlich<br />

unüblich, gewöhnlich ist eher der wöchentliche Rhythmus, vor allem die Feier am Sonntag. Alle<br />

getauften orthodoxen Christen dürfen die Eucharistie empfangen, auch Kleinkinder, da die<br />

orthodoxe Kirche „Glauben“ vor allem im Sinne eines Vertrauens versteht, zu dem auch kleine<br />

Kinder schon fähig sind, weniger im Sinne eines „Für-wahr-Haltens“, das einen entwickelten<br />

Verstand erfordern würde. Allerdings verlangen einige Kirchen von erwachsenen Teilnehmern<br />

eine vollständige Beichte am Vorabend, was dazu geführt hat, dass in manchen orthodoxen<br />

Kirchen die Erwachsenen gewöhnlich nur einige Male im Jahr selbst die Eucharistie<br />

empfangen, während sie sonst nur als Mitbetende oder Sänger teilnehmen. Es gibt zurzeit<br />

jedoch Bestrebungen, den wöchentlichen Empfang wieder zur Norm zu machen.<br />

In den Orthodoxen Kirchen des byzantinischen Ritus wird der Mittelteil eines runden,<br />

gesäuerten, beim Backen mit christlichen Symbolen gestempelten Brotlaibs (Prosphore) —<br />

Sauerteig gilt als Gleichnis des Reiches Gottes — verwendet, sowie durch Beigabe von ein<br />

wenig kochendem Wasser (Zeon) ungefähr auf Blutwärme erwärmter Rotwein. Der Mittelteil<br />

wird auch als Lamm bezeichnet. Allein dieses Lamm und der Wein werden konsekriert. Leib<br />

und Blut Christi werden vor der Ausgabe an die Gläubigen im Kelch vermischt und diese<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 72


Mischung wird dann mit Hilfe eines goldenen Löffels an die Gläubigen ausgegeben. Die im<br />

Westen mittlerweile wieder übliche Handkommunion ist hier nicht bekannt, die Gläubigen<br />

empfangen die Kommunion in den Mund. Bleibt ein Rest, wird dieser <strong>nach</strong> der<br />

Kommunionspendung vom Diakon oder vom Priester verzehrt.<br />

Diese runden Brote lagen auf dem Tisch, und wir wollten nicht in Verlegenheit geraten, die<br />

Eucharistiefeier als Ungläubige zustören. Wir kehrten an den Tisch zur Terrasse zurück. Über<br />

uns wob sich ein Dach aus Weinlaub mit einer Fülle reifer blauer Trauben.<br />

Es wurde dämmrig. Neben uns saßen ein paar<br />

neugierige Dörfler. Sie ließen sich fotografieren. Der<br />

„Menschenjäger“ machte den Anfang. Zwei ältere<br />

Herren. Der eine stützte sich in Pose auf seinen<br />

Knotenstock. Es ist eine willkommene Abwechslung,<br />

mit den Touristen ein wenig Tuchfühlung zu haben.<br />

Ein kleines Wort und ein Lächeln genügt und diese<br />

Männer, die in jedem Dorf meistens vor dem<br />

Kafenion sitzen und das Geschehen auf der Straße<br />

beobachten, oft in einer Spielrund drinnen, sind<br />

dankbare Gesprächspartner, wenn man die wenigen<br />

Worte Gespräch nennen darf, die man ihnen zuruft.<br />

Wir winken uns zu, trennen uns. Nun beginnt die<br />

Dunkelheit, wir laufen einige hundert Meter. Dann<br />

ist das Ziel für diesen Abend erreicht. Ich lese ab:<br />

ΚΑΦΕΣΤΙΑΤΟΡΙΟ Η ΚΟΙΛΑΔΑ<br />

Bar, Restaurant<br />

Was etwa zu lesen wäre wie „Kafestiatório i<br />

Kilada“, übersetzen kann ich es nicht. Drinnen<br />

fanden wir in einem abgeteilten schmalen,<br />

schlauchförmigen Raum eine gedeckte Tafel für 30<br />

Personen vor.<br />

Uns erwartete ein festliches Mezé- Essen, eine griechische Spezialität, die auch auf <strong>Zypern</strong><br />

gepflegt und angeboten wird. Es wurden in den vier Stunden mindestens 11 Gänge serviert, auf<br />

dem Tisch standen Karaffen mit rotem und weißem Wein, wer den griechischen Ouzo mochte,<br />

konnte sich <strong>nach</strong>schenken, was einige gewissenhaft taten. Die Verlockung war für viele groß<br />

zuzulangen. Alles war inklusive! Und immer wieder wurden die Karaffen gefüllt. Aber vorher<br />

kämpften wir uns durch die Speisen durch, die Antonio laut angekündigte, doch in dem<br />

anschwellenden Lärm von dreißig zur Lust entschlossenen Menschen ging das meiste unter. Es<br />

gab an Speisen – was sich mein Gaumen gemerkt hat - Choriátiki (Bauernsalat), Dolmádes<br />

(mit Hackfleisch gefüllte Weinblätter), Keftédes (gebratene Hackfleischbällchen), Souvlákia<br />

(gegrillte Fleischspießchen), Moussakás (Auflauf aus Auberginen, Hackfleisch,<br />

Kartoffelscheiben und irgendwelche Soße), auf jeden Fall standen Hoúmous (Püree aus<br />

Kichererbsen, Sesam, Olivenöl und Zitrone), Halloúmi (typisch zyprischer fester Schafs- oder<br />

Ziegenkäse) auf dem Tisch. Die Strategie bei solchem Festmahl muss sein: Von jeder Speise<br />

sehr wenig zu nehmen, auch wenn es schmeckt! Die meisten hatten sich schon bei den Salaten<br />

gesättigt, bei Tsaisíki (Joghurt mit Knoblauch und gehackten Gurken) und Weißbrot, und als<br />

die „Knaller“ kamen, die Paidákia (gegrillte Lammkoteletts), gaben die meisten schon die<br />

Platten weiter.<br />

Es wurde eine beispiellose Schlemmerei. Der Wein floss, die leeren Karaffen wurden immer<br />

öfter gegen volle getauscht. Dann begann der Tanz. Nikos, der Kellner, hatte sich schon lange<br />

an den Runden, die ausgeschenkt wurden beteiligt. Er war nun schon so berauscht, dass er die<br />

Tabletts mit Essen abenteuerlich über seinem Kopf schwenkte und beim Aufsetzen auf den<br />

Tisch mehrmals das Ziel verfehlte. Antonio wachte, nahm ihm vieles ab und schließlich wurde<br />

Niki vom Dienst „suspendiert“. Er werkelte an der Stirnseite an einem Radio, brachte es mit<br />

griechischen oder zyprischen Nationaltänzen zum Klingen, breitete die Arme aus und fing an,<br />

mit kunstvollen Schrittfolgen und eleganten Drehungen, sich in Trance zu wiegen.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 73


Erst langsam, dann steigernd und immer schneller, hämmerte der Takt. Jeder<br />

kennt ja diese griechischen Tänze, vor allem den Surtaki. Diese kennt und<br />

pflegt man auch in <strong>Zypern</strong>, bei Festen und Feiern allemal. Die eigentlichen<br />

zyprischen Volkstänze sieht man seltener. Nun animierte uns Nikos<br />

während seiner schwierigen Drehungen, lachte uns mächtig beschwipst zu<br />

und versuchte gleichzeitig sich selbst Vergnügen zu bereiten und uns etwas<br />

vorzuführen. Er sprang auf einem Fuß blitzschnell unter sich selber durch<br />

und vollzog eine ganze Drehung um die eigene Achse. Ich wollte ihn aufs<br />

Bild bannen, doch er war schneller als meine Kamera. Ich fing ihn immer<br />

nur von hinten ein oder er war unscharf. Das war er aber ganz und gar nicht.<br />

Er balzte sich an Carina, die junge <strong>Reise</strong>begleiterin, heran, forderte sie auf.<br />

Nun hielt Antonio den Zeitpunkt für gekommen, auch andere aus dem<br />

Publikum <strong>nach</strong> vorn zu holen. Den Motor aber bildete Nikos, den der<br />

Alkohol euphorisierte…Wie aufgezogen drehte er seine Runden.<br />

Bald nahmen sich einige Herrschaften den Mut, <strong>nach</strong> vorn zu kommen,<br />

und jetzt geriet das Fest in die lauteste und wilde Phase. Einige sprachen<br />

ungezügelt dem Weine zu. Währenddessen brachte der Wirt immer noch<br />

Gänge der Mezé auf den Tisch. Antonio ging jetzt auch aufs Parkett, hob<br />

die Hände und zelebrierte die Musik <strong>nach</strong> seiner Auffassung. Schrittfolge,<br />

Drehung, Hopser, Wendung, Drehung- Klatsch, Stampfen, in die Hände-<br />

Klatsch…Die Tänzer fassten sich an der Schulter und versuchten den<br />

Rhythmus zu synchronisieren, was natürlich vom einen zum anderen mit<br />

erheblichen Verzögerungen gelang oder aber bei Richtungswechsel zu<br />

kleinen Zusammenprallern führte. Alle freuten sich. Die Feier war richtig<br />

im Gange, drohte gelegentlich auszuufern.<br />

Ein Dorfbewohner mit weißem Hemd<br />

und Blazermütze mischte sich wortlos<br />

ein, tanzte mit. Die Frauen kreischten.<br />

Den Männern stieg der Wein zu Kopf.<br />

Am Tisch wurden Erinnerungen und<br />

Witze erzählt. Jeder wollte den<br />

anderen übertönen. Die Lacher<br />

dröhnten im Chor wie kleine<br />

Detonationen. Kurzum es war lustig<br />

und gleichzeitig sehr anstrengend, weil<br />

Magen und Verdauungsorgane maßlos strapaziert waren und neben den fünf<br />

Nikos tanzt… Sinnen extra Kraft kosteten.<br />

Pünktlich 22 Uhr blies Antonio zum Zapfenstreich. Zum Hotel ins „Rodon“ hinauf hätten wir<br />

eine gute Stunde im Dunkeln laufen müssen. Aber Antonio hatte vorsorglich einen Bus<br />

gechartert, der die ganze lustige Bande im Nu ins Hotel und zur verdienten Ruhe brachte.<br />

XIV. Pelendri – Timios Stavros (Heilig Kreuz – Kirche)<br />

Mittwoch, 4. Oktober 2006<br />

eute war ein fakultativer Ausflug vorgesehen, ein Trick des Veranstalters, den<br />

<strong>Reise</strong>preis um 28 CYP = 50 € zu schönen. Natürlich zahlte jeder brav diesen zusätzlich<br />

(vorher einkalkulierten) Salär, und jeder nahm selbstverständlich auch an dieser schon<br />

H<br />

zu Hause angesagten Rundfahrt durch das Troodos- Gebirge teil.<br />

Bei bestem Wetter bestiegen wir früh einen Oldtimer- REDFORD- Bus. Groß prangte ein<br />

Schild: „ISMINI Travel“ auf dem Deck und verkündete den Besitz des zyprischen <strong>Reise</strong>büros,<br />

dem Antonio angehörte. Dieser Bus war es wieder, der uns schon gestern Abend <strong>nach</strong> Hause<br />

brachte. Wenn man das Fahrzeug sieht, glaubt man nicht, dass da 30 Personen hineinpassen.<br />

Wir saßen wie die Heringe, Martina und ich ganz hinten.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 74


Die Fahrt währte noch gar nicht lange, da hielt der Bus kurz, Antonio zeigte <strong>nach</strong> links an den<br />

Straßenrand, kurbelte das Fenster herunter und rief einigen Arbeitern etwas zu. Dann winkte<br />

einer von den Arbeitern herauf. Wir hätten ihn in dieser Uniform nicht erkannt: Es war unser<br />

Niko von gestern Abend. Er befand sich unter einer Gruppe von sechs Straßenarbeitern. „Einer<br />

arbeitet, und die andern fünf sind die Chefs“, sagte Antonio. „Und Nikos ist einer von den<br />

Chefs!“ Und lachte. Wir dachten an seine Kellner- Kapriolen und seine Tanzeinlagen und<br />

lachten auch. Man kennt ihn in Agros und seinen Hang zum Alkohol und gibt ihm lieber ein<br />

wenig Arbeit, als ihn als Stadtstreicher auszuhalten.<br />

Wir passierten auf der E806 Potamitissa und hielten<br />

bald darauf in Pelendri, das uns auf der Fahrt von<br />

Limassol <strong>nach</strong> Agros als „Klein- Moskau“ vorgestellt<br />

wurde. Ausstieg zur ersten Besichtigung. Die Heilig-<br />

Kreuz- Kirche Timios Stravos ist von der UNESCO<br />

eingetragenes Kulturerbe. Ein kleiner Seitenweg von<br />

der Hauptstraße führt zu einem Vorhügel, auf dem ein<br />

kleines äußerlich unscheinbares Feldstein- Kirchlein<br />

thront.<br />

Wir dürfen drinnen nicht fotografieren. Zuerst nimmt<br />

Antonio die Gruppe zusammen und doziert: Ursprünglich<br />

hatte diese Kirche eine einschiffige gewölbte Struktur mit<br />

eingezogenen Bögen, wurde im 12. Jahrhundert gebaut<br />

und 1178 erstmals ausgemalt, wie durch eine Inschrift im<br />

Sanktum (1), dem Allerheiligsten <strong>nach</strong>weisbar ist. Aus<br />

unbekannten Gründen wurde die Kirche zerstört. Nur die<br />

Apsis verblieb und wurde während eines Wiederaufbaues<br />

im 14. Jahrhundert mit einbezogen. Das war die erste von<br />

mehreren Rekonstruktionsbemühungen, welche immer<br />

unternommen wurden, wenn ein Teil der Kirche verfiel.<br />

Dieser wurde jedes Mal in ähnlicher Art wieder<br />

hergestellt oder auch durch verbesserte Strukturen ersetzt.<br />

Das nördliche Seitenschiff (2) wurde im 15. Jahrhundert<br />

angebaut, während das südliche (3) im 16. Jahrhundert<br />

hinzugefügt wurde. Das Ergebnis ist die heutige<br />

dreischiffige Form, deren ansprechenden Proportionen<br />

die unterschiedliche Architekturgeschichte Lügen straft.<br />

Die Original- Malereien des 12. Jahrhunderts, besonders<br />

die Deesis 37 (4), wie sie in der Halbkuppel in einem in<br />

zyprischen Kirchen selten erhaltenem Stil ausgeführt ist,<br />

aber zu dieser Zeit in Kappadokien, Griechenland und<br />

Kreta durchaus üblich war.<br />

Der Hauptteil der Kirche wurde von mindest drei Künstlern in der ersten Hälfte des 14.<br />

Jahrhunderts ausgemalt. Der erste folgte dem paleologischen Stil von Konstantinopel, wie es<br />

der Pantokrator in der Kuppel der Vierung zeigt (5). Der zweite, welcher mehr linear und<br />

weniger sophistisch arbeitete, malte die Engel, das heilige Tuch und die Heilige Steintafel in<br />

den Flächen unterhalb oder bei der Kuppel. Der Dritte folgte dem „Kreuzigungsstil“, der <strong>nach</strong><br />

der Eroberung der verschiedenen christlichen Ministaaten durch die Araber aus Palästina kam.<br />

Ein gutes Beispiel dafür sind die Szenen aus dem Leben der Jungfrau Maria am westlichen<br />

Gewölbe (6). Einige Fresken in der Nordkapelle, komplettiert mit dem Portrait des Heiligen<br />

Paares (7), stammen aus einer noch späteren Periode, wahrscheinlich aus dem 16. Jahrhundert.<br />

37<br />

Deesis, ['de:ezis; die; griechisch, „Bitte“], die in der byzantinischen Kunst anzutreffende Darstellung des<br />

thronenden Christus zwischen Maria und Johannes dem Täufer; auf Bildern des Jüngsten Gerichts.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 75


Treffen der Jungfrau Maria mit<br />

Elisabeth<br />

Szenen aus dem Leben der Jungfrau Maria (oben)<br />

Pelendri, Heiligkreuzkirche, erste Hälfte 14. Jh.<br />

Es war ein seltsames Freiheitsgefühl, das sich mir hier in dieser Kirche beschlich, als wir<br />

hineingehen durften. Leitern, Gerüststangen, Plastikplanen, Mörtelkübel verstellten Weg und<br />

Sicht. Es wurde gerade rekonstruiert. Ein Mann und eine Frau waren am Werke, und wie uns<br />

Antonio wichtig mitteilte, ein Professor aus Nikosia. Ich entfernte mich von der Gruppe, die<br />

Antonio um sich geschart hatte, verpasste natürlich einiges Wichtige, aber schaute mich mit<br />

meinen Augen um. Ich stieg über Bretter, Malereimer, Plastfolien und machte heimlich ein<br />

paar wenige Aufnahmen, während Antonio an Hand der einzelnen Heiligen-Gesichter den<br />

byzantinischen Malstil zeigte: Mandelaugen, gerade Nase mit feinem roten Längsstrich, starrer<br />

Blick in ungewisse Ferne und als Weiterentwicklung den Renaissance- Stil, bei dem die<br />

Gesichter menschlichen Ausdruck wie Trauer, Andacht, Huldigung etc. aufweisen. Ich ging<br />

auf kurzen Entdeckungsgang.<br />

An einem Pfeiler am Übergang zum Tonnengewölbe entdeckte ich ein schönes Bildnis des<br />

Heiligen Simeon. Mir fiel seine Geschichte wieder ein, weil ich sie in der Klosterruine<br />

nördlich von Aleppo in Syrien erfahren habe.<br />

Hier ist sie:<br />

Simeon wurde im Jahre 386 in einem kilikischen Bauerndorf<br />

geboren. Mit 16 Jahren trat er in das Kloster "Burdsch as- Saba<br />

(„Löwenburg") ein, das am südlichen Hang des Berges „Scheich<br />

Barakat" liegt. Nach 10 Jahren verließ er das Kloster wieder und<br />

siedelte <strong>nach</strong> Telanissos über (das heutige Dorf Deir Sim'an). Dort<br />

führte er drei Jahre lang ein gewöhnliches, bescheidenes Leben.<br />

Eines Tages suchte er sich einen Ort auf dem nahe gelegenen Berg<br />

aus, errichtete dort eine Säule und lebte fortan darauf. Mehrere<br />

Male wurde die Säule durch eine neue, höhere Säule ausgetauscht.<br />

Die höchste Säule war schließlich zwischen 17 und 20 Meter hoch.<br />

Auf dieser Säule verbrachte Simeon 42 Jahre seines Lebens.<br />

Als Simeon im Jahre 459 starb, wurde um die letzte Säule herum<br />

ein Memorialbau zu Ehren des Heiligen errichtet, der schon wenig<br />

später zu einer Wallfahrtsstätte wurde, die Gläubige aus aller Welt<br />

anzog. Einer der Gründe für die weite Verbreitung des Ruhmes des<br />

Heiligen - bis <strong>nach</strong> Frankreich, England, Spanien und Italien - mag<br />

in der wirtschaftlich wichtigen Stellung der damaligen syrischen<br />

Haupt- und Hafenstadt Antiochia (das heutige Antaki'ya) gelegen<br />

haben. Der Bischof Cyrus berichtet uns, dass das Bild des<br />

Säulenheiligen schon 15 Jahre vor dessen Tod in allen wichtigen.<br />

Salons von Rom aushing. So kam der Heilige schon vor seinem<br />

Der Heilige Simeon auf der Säule<br />

Tod zu weltweiter Berühmtheit.<br />

Auch den griechischen Malern war natürlich die byzantinische Geschichte bekannt und auch<br />

die Eremitenzeit des Säulenheiligen Simeon.<br />

Bildmaterial von der Kirche gab es nur in Form einiger Postkarten. Meine Fotos wurden<br />

mehrfach unscharf. Wenn das Zoom ausgefahren ist, verwackelt man leicht. An der Westseite<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 76


des Südschiffes fand ich ein imposantes Fresko mit vielen Heiligen, die die Auferstehung<br />

darstellen sollen. Manche haben Schriften in der Hand.<br />

In der Nordkapelle steht ein uraltes Holzkreuz, das aus der<br />

Gründerzeit der Kirche stammen könnte. Für einen Moment<br />

blitzt der Gedanke auf, wie lange Zeit 800 Jahre sind, in der<br />

dieses religiöse Mal hier überdauert hat, und was draußen auf<br />

<strong>Zypern</strong> und in der Welt sich ereignete.<br />

Ich trete am Südende aus der kleinen Kirche aus, die Sonne<br />

blendet, wärmt, zwingt bald in den Schatten. Ein kleines<br />

verwildertes Areal umgibt hier den Bau. Blaue Trichterwinde<br />

bedeckt den Boden Ein Sanddornbaum mit seinen orangenen<br />

Beeren steht da und ein Granatapfelbaum. Ein verwunschenes<br />

Idyll. Ich geselle mich zu den Leuten, die auf einer schmalen<br />

Mauer im Schatten sitzen. Ein Mann weckt aller Interesse.<br />

Antonio hat ihn gerufen. Es ist Stalin. Er heißt richtig Stalin.<br />

Er freut sich offensichtlich, so im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen und hat auch<br />

etwas mitgebracht, eben auch ein Zeichen zyprischer Gastfreundschaft. Er hat ja nichts davon,<br />

verteilt freigebig Mandeln, noch in ihrer Hülle, so wie sie vom Baume fallen oder geschüttelt<br />

werden. Wir wandeln langsam zum Bus zurück und fahren zum nächsten Etappenziel.<br />

XV. Pano Platres und die Kalidonia- Wasserfälle<br />

S<br />

chätzungsweise 12 km ist der Weg <strong>nach</strong> Pano Platres. Wir erinnern uns: Pano bedeutet<br />

Ober-…und Kato…Unter-.<br />

Er führt über eine Kreuzungsspinne<br />

von Straßen, die längs des Troodos und quer<br />

hinüber führen. In der Nähe gibt es einen<br />

Staudamm, der die Frühjahrswässer<br />

auffängt. Das Dorf Moniatis wird passiert.<br />

Es liegt mitten im Wald, der uns nicht mehr<br />

verlässt. Der Bus stöhnt den Berg hinauf.<br />

Beim Umschalten in den nächst niedrigeren<br />

Gang knackt es trocken und laut, er ruckt<br />

dann mit neu übersetzter Kraft an und<br />

beschleunigt wieder. Durch die offenen<br />

Fenster weht stickiger Dieselqualm, Zugluft<br />

und ein Hauch früheren <strong>Reise</strong>ns herein. Bald<br />

Der REDFORD- Bus in Kato Platres<br />

sind wir erlöst.<br />

Wir halten vor einer blitzsauberen Taverne in Kato Platres, wo es viele Ferienhäuser, ein<br />

Forsthaus, ein Hotel und eine Polizeistation gibt. Hier erfrischen wir uns, ruhen ein wenig aus.<br />

Herr Vassos verteilt freigebig und stolz, wenn er gelobt wird, Äpfel aus eigener Ernte. Sie<br />

schmecken prächtig. Wir sitzen an der Theke zu einer Tasse Kaffee, den Frau Vassos bereitet.<br />

Anton schält einen Apfel und schiebt uns wie ein Vater klein geschnittene Stücke rüber.<br />

Dann stehen wir am Beginn eines Wanderpfades. Einige Ältere, die sich den schwierigeren<br />

Weg nicht mehr zutrauen, erhalten Instruktion über einen leichteren, wieder einige bleiben am<br />

Bus und wollen sich den Mühen nicht unterziehen. Wir laufen los. Martina hat sich selbstlos<br />

den kleinen Rucksack aufgeschnallt, mit Wasser drin und etwas Verpflegung und strebt stetig<br />

voran, immer bei Antonio und immer vorn als Erste. Ich bin, weil ich oft stehen bleibe, Motive<br />

suche, knipse, stets hinten, in Hast und um Anschluss bemüht, eile dann am Pulk vorbei und<br />

lasse mich wieder zurückfallen.<br />

Der Wald hier oben in vielleicht 1600 m Höhe riecht frisch, filtert die Sonne, speichert<br />

Feuchtigkeit, selbst jetzt noch <strong>nach</strong> einem heißen Sommer. Wir laufen auf breitem Weg etwa<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 77


1,5 Stunden. Ich erlebe die Natur! Wie vermisst man die frische Luft im Autobus, auch wenn<br />

sie draußen heiß ist. Aber ich spüre, dass ich lebe. Wandern ist wohl doch die beste Art der<br />

Fortbewegung im Freien. Der Blick hat genügend Zeit, sich mit kleinen Dingen zu befassen,<br />

dem eigenartigen Wuchs eines Baumes vielleicht oder einer unbekannten Pflanze oder dem<br />

Piepsen eines Vogels, dem Flug eines Adlers in der Luft.<br />

Phrygana<br />

Antonio hielt uns auf und<br />

zeigte uns eine<br />

unscheinbare Pflanze am<br />

Boden, benannte sie mit<br />

Phrygana. Sie findet sich<br />

auf felsigem und wenig<br />

tiefgründigem Boden und<br />

wird selten bis 1 oder 2 m<br />

hoch. Sie soll sehr<br />

aromatisch <strong>nach</strong> allen<br />

möglichen Gewürzen<br />

duften. Sie sei sehr selten<br />

und wüchse nur auf <strong>Zypern</strong>,<br />

meinte er. Ein<br />

ausgewachsenes Exemplar<br />

haben wir nicht gesehen.<br />

Der steinige, teilweise von<br />

den heftigen Regenfällen<br />

im Winter ausgewaschene<br />

Pfad stieg stetig an. Das<br />

Wasser entwickelt dann<br />

gewaltige Kraft. Im Winter<br />

gehen an durchschnittlich<br />

19 bis 27 Tagen fast zwei<br />

Drittel der Jahresmenge<br />

nieder, oft in schweren<br />

Gewittern mit Starkregen<br />

(bis 150 Liter/Tag). Häufig<br />

kommt es dabei zu<br />

Überschwemmungen.<br />

Typisch hier oben ist die<br />

Schwarzkiefer (Pinus<br />

nigra), vereinzelt sieht man<br />

Western Troodos Area, M.: 1 : 60 000 (verkleinert)<br />

Eukalyptusbäume, Zypressen und Pinien und im ganzen Troodosgebirge auch Laubbäume wie<br />

Ahorn, Platanen und Eichen. Es gibt die endemische Goldeiche (Quercus alnifolia) als<br />

Strauchgewächs, den Erdbeerbaum (Arbutus andrachne) und den phönizischen Wacholder<br />

(Juniperus phoenicea) und am Boden wuchert die vielgestaltige Macchia, die den ganzen<br />

Mittelmeerraum dominiert.<br />

Der Weg wurde enger, die Vegetation immer wilder. Dann hörten wir das Rauschen von<br />

Wasser- die bekannten Kalidoniafälle. Was da an Wasser über eine vielleicht 15 bis 20 m<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 78


hohe Felskante herabströmte, sich im Fallen in kleine Tropfen- Kaskaden auflöste und in<br />

einem Tosbecken wieder zusammenfloss, waren keine gewaltigen Massen. Aber der Fakt an<br />

sich, dass <strong>nach</strong> einem Sommer von vielleicht sechs Monaten absoluter Trockenheit, in denen<br />

kein Tropfen Regen auf der Insel fiel, wenn man das relativ bescheidene Areal des Troodos in<br />

Betracht zog, dann war das hier schon erstaunlich und für mich ein kleines Wunder. Es ist der<br />

Kryos Potamus, der Kalte Fluss, der aus größerer Höhe herabkommt, und dessen Wasser im<br />

Sommer unterhalb fast völlig aufgefangen und genutzt wird.<br />

Kameras wurden gezückt, die Bank von müden Frauen<br />

belagert, und Antonio warf seinen schweren Rucksack ab,<br />

den er den Weg heraufgeschleppt hat und teilte saftige<br />

Apfelsinen aus. Die Pause im Schatten der hohen Bäume<br />

und der labenden und kühlenden Feuchtigkeit der Luft<br />

Kalidonia Wasserfall: Carina streckt die<br />

Hand <strong>nach</strong> Bedürftigen aus<br />

nutzte jeder auf seine Weise.<br />

Nun beginnt der schönste Teil der Wanderung. Entlang<br />

des wild schäumend sich über Felsbrocken, rankende<br />

Baumwurzeln hinweg ergießenden und leise murmelnd<br />

strömenden Bachs, folgten wir einem Trittpfad, der von<br />

Zeit zu Zeit die Bachseite wechselte. Unbeschreiblich<br />

ist die Umgebung, urwaldartig, märchenhaft. Ich<br />

versuche vorn und ungestört zu gehen, dem Schwatzen<br />

der Mitreisenden zu entfliehen- das große Glück in der<br />

Natur kann man nur ohne Menschen genießen, diese<br />

großen Zerstörer. Manchmal zwängt sich das Wasser<br />

durch einen kleinen Felsen – Canyon, dann wieder<br />

weicht es einem mächtigen Fels aus, der ihm den Weg<br />

versperrt und fließt elegant um ihn herum.<br />

Die meisten kletterten und stiegen auf den großen Steinen<br />

umher, um ein günstiges Kameramotiv oder einen<br />

bequemen Sitzplatz mit ungestörtem Blick auf den<br />

Wasserfall zu suchen.<br />

Wendepunkt. Ein Teil, die Fußlahmen, sollten den Weg<br />

zurück nehmen wie gekommen. Der andere Teil unter<br />

Antonios Führung folgte dem Kryos Potamus, der das<br />

Wasser des Kataraktes zu Tale trägt.<br />

Fluss ist jetzt<br />

geschmeichelt,<br />

aber im Winter<br />

kann das ganz<br />

anders aussehen.<br />

Talwärts am Kryos Potamus<br />

Es ist so schön hier. Dann ist es plötzlich mit der Ruhe vorbei. Stimmengewirr, laute Rufe,<br />

Singen dringt uns entgegen. Ohne Respekt vor diesem Refugium der Natur, rufen und brüllen<br />

sie sich zu, wie wenn sie in der Disco wären. Ein Haufe israelischer und französischer<br />

Jugendlicher, darunter junge Frauen mit gewagten, für diesen Weg völlig ungeeigneten<br />

Schuhen, kommt uns lärmend entgegen, fragt Antonio <strong>nach</strong> dem Weg. Sie wollen zum<br />

Wasserfall hinauf.<br />

Der hat sie wohl verprellt mit seiner Antwort, denn sie kehrten <strong>nach</strong> einiger Diskussion um,<br />

vermischten sich auf dem engen Pfad mit unseren Leuten, nahmen uns jetzt die Ruhe und den<br />

Frieden dieser Zauberwelt. Wir mussten nun schneller gehen, dass wir ihnen ein Stück enteilen<br />

und vor ihrem lauten Geschrei fliehen konnten. Wilhelm Busch geht mir durch den Sinn:<br />

„…So wird manche schöne Stunde/ in der Liebe Seelenbunde/ durch Herbeikunft eines Dritten/<br />

mittendurch und abgeschnitten…“<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 79


Stundenlang hätten wir so gehen können, auch Martina gefiel es ausnehmend. Doch bald<br />

lichtete sich der Weg. Wir gelangten an ein Informationsschild und auf den Ausgangsweg<br />

zurück. Am Ende lugte zwischen dichtem Grün die Forellenfarm von Psilo Dendro hervor.<br />

Er ist mehr Gastronom als Fischer, der in mehreren Teichen die Fließgeschwindigkeit und<br />

Sauberkeit des Wassers nutzt, um der Fischarmut auf der Insel aufzuhelfen.<br />

Das war das Ende einer Fußwanderung zu den<br />

Kalidonia- Wasserfällen oder Kalidonia<br />

Waterfalls oder Caledonian Falls oder richtig<br />

Mονοπατι Καληδονιων. Wörtlich gelesen:<br />

Monopati Kalidónion. Verwirrung stiftet dabei<br />

der Buchstabe η, den wir in der Mathematik mit<br />

eta aussprechen. Es ist aber das griechische i für<br />

ita.<br />

Wer das hier liest, muss sich nicht wundern, wenn<br />

die Schreibweise der griechischen Namen von<br />

der einen oder der anderen Quelle etwas abweicht.<br />

Korrekt wäre natürlich die Wiedergabe aller<br />

Namen in griechischer Schrift. Das könnten Viele<br />

nicht entziffern. Die <strong>Reise</strong>führer bedienen sich<br />

häufig der englischen Übersetzung. Schlimmer<br />

wird es im Norden <strong>Zypern</strong>s. Dort haben viele Orte<br />

türkische Namen, sind aber griechischen<br />

Ursprungs. Auf den Karten finden sich, weil alles<br />

ehemals englisch besetzt war, die englischen<br />

Bezeichnungen. Wenn nun der deutsche Tourist<br />

kommt, möchte er möglichst noch das Ganze<br />

verdeutscht schreiben, weil er weder Türkisch<br />

noch Griechisch und vielleicht auch kein Englisch<br />

beherrscht. Es ist ein heilloses Durcheinander.<br />

XVI. Phini<br />

ier bin ich nämlich selbst Opfer dieser<br />

Namensschreibung geworden. Vergeblich<br />

habe ich diesen Ort so geschrieben auf der<br />

H<br />

Karte gefunden.<br />

Vom Klang her ist „Phini“ erst einmal richtig gesprochen. Geschrieben wird es aber im<br />

Griechischen Φοινι. Nun nehmen es die Kartografen buchstäblich und transformieren jeden<br />

Buchstaben in die lateinische Umschrift. Es wird daraus Foini. So liest es die Karte. Man muss<br />

aber wissen, dass die griechischen Doppellaute οι und ει wie i ausgesprochen werden. Also<br />

muss es richtig heißen: Fíni (vorn betont). Nun kann man sich noch über die Rolle des Ph und<br />

seiner langsamen Überalterung im Deutschen auseinandersetzen und dessen Ersetzung durch<br />

das F. Schon ist das Rätsel gelöst! Jetzt sind wir perfekt im Griechischen! Die<br />

Buchstabenverbindungen sind der Knalleffekt. Wer die richtig lesen und aussprechen kann, ist<br />

der Schrift und der Aussprache dicht auf den Versen. Die Vokabeln lernen sich dann schnell.<br />

Ha ha ha.<br />

Wir fahren <strong>nach</strong> Phini - dabei bleibe ich jetzt – zum Mittagessen. Wir haben schon<br />

Kohldampf. Unser Oldtimer- Bus hält vor einem Ausflugslokal an einem schattigen Winkel<br />

des kleinen Dorfes. Ein Bachbett direkt neben dem flachen Gebäude deutet auf Wasser im<br />

Frühjahr hin, das von den höheren Lagen des Troodos herabfließt. Jetzt ist es ausgetrocknet.<br />

An seinen Ufern wächst in dichten Hecken Feigenkaktus. Davor breitet sich ein kleiner<br />

Parkplatz, auf dem schon einige Fahrzeuge stehen.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 80


Der unauffällige Bau des Hauses sowie der Flachbau<br />

schmiegt sich eng, ja verwächst mit dem Hang, der sich<br />

über dem Ufer des Baches erhebt. Drinnen in dem<br />

Flachbau sitzen schon <strong>Reise</strong>gruppen an langen Tischen.<br />

Wir werden an einen langen, freien Tisch gelotst, der<br />

schön eingedeckt ist, sitzen recht eng, auf jeder Seite 15<br />

Leute. In Karaffen stehen Wasser und Wein zur<br />

Selbstbedienung. Ein etwas schmuddeliger Mann trägt<br />

die Speisen auf. Es wiederholt sich in Abwandlung die<br />

Zeremonie einer Mezé. Das Essen soll 17 Gänge gehabt<br />

haben, ich habe nicht gezählt. Je mehr also angeboten<br />

werden, desto stolzer ist jeweils der Gastgeber auf seine<br />

Leistung. Das Essen dauerte lange und war ähnlich<br />

umfangreich und vielgestaltig wie das Abendessen in<br />

Agros.<br />

Nach dem Essen sah ich auf dem Busparkplatz zu, wie<br />

unser Kraftfahrer eine Kaktusfeige aufschnitt, uns ihr<br />

Inneres zeigte und demonstrierte, wie man sie roh isst. Phini- Ausflugslokal am Bach<br />

Er packte die stachlige Frucht, nahm dazu sein Taschentuch, um sich nicht die feinen Nadeln in<br />

die Haut zu stechen, entfernte vorsichtig mit dem Taschenmesser die Haut und legte das gelbe,<br />

reife, süße Fruchtfleisch frei, das er dann vor unseren Augen genüsslich aß.<br />

Wir stiegen wieder ein und bald wieder aus. Es war<br />

nicht weit bis zum Museum von Theophanis K.<br />

Pilavakis, ein inselweit bekanntes Töpferzentrum.<br />

Durch ein niedriges Tor traten wir in einen Hof, der<br />

wie aus dem vorigen Jahrhundert konserviert<br />

schien. Riesige Tongefäße lagerten unter einem<br />

niedrigen, offenen mit Weinlaub überwucherten<br />

Dach. Alte Balken stützen es. Eine Weinpresse mit<br />

hölzerner Spindel schlief ihren musealen Schlaf.<br />

Töpferei- Werkzeug lehnte an einer Lehmwand, Spatel und Holzzinken, um den Tonbrei zu<br />

bearbeiten. Uns erklärte keiner etwas, ich musste also raten. Beachtlich große Tongefäße, mehr<br />

als ein Meter im Durchmesser, standen in Reih’ und Glied. Eine steinerne Ölmühle fristete ihr<br />

Dasein im Halbdunkel. Schnell trat ich hinzu, wo Herr Pilavakis jetzt die Leute unterhielt. Er<br />

ist ein 82jähriger lustiger alter Herr, der jetzt das alte Haus und das Erbe seiner Familie pflegt<br />

und ein privates Museum daraus gemacht hat. Er hatte über 40 Jahre in England gelebt und war<br />

zurückgekommen, als seine Frau gestorben war. Nun verbringt er seinen Lebensabend in Phili<br />

und zeigt uns einige seiner einzigartigen Produkte, mit denen seine Töpferfamilie zypernweit<br />

bekannt geworden ist. Ein Plakat preist den größten Tontopf der Welt an. Er reicht Pilavakis<br />

bis an die Schulter. Dazu brauchte man eine besondere Technik des Formens und Brennens,<br />

mindestens aber große Brennöfen.<br />

Ansonsten machte er viel Spaß. Er erzählte kurze Schnurren auf<br />

Deutsch, griff sich die eine oder den anderen aus unseren Leuten<br />

heraus und demonstrierte kurz, was er meinte. Die Spitze der<br />

Belustigung erreichte Herr Pilavakis, als er uns die Sauna für<br />

Schwangere demonstrierte. Dazu musste Martina als Medium in<br />

ein großes Tongefäß steigen, in dem ein kleiner Korbstuhl zum<br />

Sitzen und – Schwitzen einlud. Schwangere Frauen sollten das<br />

Schlechte aus dem Blut schwitzen. Unter dem Gefäß wurde ein<br />

Feuer angebrannt, über die Öffnung ein Tuch gehängt. Fertig war<br />

die Sauna. Da<strong>nach</strong> wurden die Wöchnerinnen auf eine Liegestatt<br />

bugsiert, ihr Leib mit Binden umwickelt, um die gute Figur wieder<br />

herzustellen.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 81


Das wurde gleich auch noch an Martina demonstriert, weil sie die einigermaßen hübscheste<br />

von uns war und auch so ziemlich die zierlichste Figur hatte. Während Martinas Mitte<br />

umwickelt wurde, schaute ich mich in den kleinen niedrigen und halbdunkeln Räumen um. Ein<br />

alter Webstuhl mit einigen Proben an der aus groben Felssteinen gemauerten Wand<br />

demonstrierte einen Nebenerwerb der Töpferfamilie. An der anderen Wand hingen Bilder.<br />

Eines zeigte die Familie beim Töpfern vor etwa hundert Jahren, ein anderes zwei berühmte<br />

Mitglieder der Familie, von denen einer ein Priester und einer sogar ein Bischof war!<br />

Berühmte historische Persönlichkeiten<br />

der Familie Pilavakis<br />

Die Familie beim Töpfern in alten Zeiten<br />

In einem anderen Raum führte Herr Pilavakis einen Tontopf vor, bat dazu eine beherzte Dame<br />

aus unserer Mitte, sich in der Weise niederzulassen, als wenn sie ihre Notdurft darauf<br />

verrichten wollte, und fragte, was es für ein Topf sei. Natürlich lachten alle- ein Nachttopf! Da<br />

lachte aber Herr Pilavakis, nahm den Topf demonstrativ, setzte ihn an den Mund und ahmte<br />

<strong>nach</strong>, daraus zu trinken. Seine wahre Funktion sei ein Melktopf gewesen. Darin wurde früher<br />

die Milch beim Melken der Ziegen und Schafe gesammelt.<br />

Dann zeigte er uns einen<br />

Ofen aus Ton, Krüge,<br />

Vasen und regelrechte<br />

Kunstwerke, von denen er<br />

eines in der Linken<br />

hochhielt und in der rechten<br />

Hand ein 10- Cent- Stück.<br />

„Dieser Tonkrug war Pilavakis Schöpfung<br />

auf der<br />

Vorbild und Muster für die Zyprischen 10- Cent- Münze<br />

Eines der Tonkunstwerke der Töpferei<br />

Pilavakis in Phini<br />

Münzprägung des zyprischen Geldes“, sagte er stolz. Es<br />

ist eine Art naive Kunst, die sehr dieser antiken braunen<br />

Keramik ähnelt, die ich im <strong>Zypern</strong>museum gesehen habe.<br />

War sie Vorbild oder sind hier Wurzeln echter<br />

Volkskunst verankert, die sich auf <strong>Zypern</strong> bis heute<br />

erhalten haben? Erzbischof Makarios III. war in Ton<br />

gebrannt, eine symbolische Weltkugel mit amphibischen<br />

Menschenwesen darauf, viele Vasen mit Rosetten,<br />

Verzierungen; Schalen, Backmulden, Krüge mit einem<br />

oder zwei Henkeln, oben oder unten angebracht, für die<br />

verschiedensten Zwecke im Haushalt und allgemeinen<br />

bäuerlichen Gebrauch. Martina durfte sich für ihre „Dienste“<br />

zwei Ansichtskarten auswählen, die der alte Herr mit seinem<br />

Autogramm versah. Ich gebe es hier wieder, weil ich in dieser<br />

kurzen Zeit ein Fan von ihm geworden bin. So wie er das Leben<br />

meistert, allein auf sich gestellt und wie er das Erbe der<br />

Vergangenheit an die heutige Generation weiter vermittelt- alle<br />

Hochachtung vor diesem Mann!<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 82<br />

Theophanis K. Pilavakis


So lustig und gleichzeitig lehrreich ist mir die Keramikkunst noch nicht nahe gebracht worden.<br />

Beim Einsteigen auf dem Dorfplatz beobachtete ich im Kafeníon unter dem schattigen und<br />

Früchte tragendem Weinlaub eines uralten Rebstocks sieben alte Herren des Dorfes. Sie sitzen,<br />

verbringen ihre Zeit auf der Bank, rauchend, schwatzend, schweigend, je <strong>nach</strong> Temperament.<br />

Manch einer hat sich auf seinen Stock gestützt. Sie haben Zeit. Nichts bleibt ihnen verborgen,<br />

was im Dorfe vor sich geht. Antonio nennt sie die „Philosophen“ des Ortes. Ich habe mein<br />

Foto „Die sieben Söhne des Sophokles“ benannt. Wenn dieser griechische Vorfahr auch kein<br />

Philosoph war, dann doch ein Dichter und Stratege. Und was machen diese alten Männer denn<br />

anders als Strategie? Sie meistern den schalen Rest ihres Lebens, nehmen es wie es ist,<br />

verbringen es gemeinsam. In Ruhe, Beschaulichkeit und Abgeklärtheit. Uns zum Vorbild.<br />

Neugierig beäugen sie die Fremden. Ein kleinster Wink, und man kann sich mit ihnen<br />

unterhalten. Wie schlimm empfinde ich es immer, wenn ich feststellen muss, dass ich weiter<br />

muss und vor allem, dass ich ihre Sprache nicht spreche. Das meine ich damit, wenn ich häufig<br />

das Gefühl habe, dass ich durch ein fremdes Land fahre, als wenn ich in ein buntes Aquarium<br />

schaue, die schönen Pflanzen und bunten Fische sehe, aber immer durch dickes Glas von den<br />

eigentlichen Bewohnern getrennt bin. Busreisen sind oft nichts als Fassade, schöner Schein. Ab<br />

und zu tauche ich die Hand ins Aquarium, streichle einen Fisch. Mein Kopf bleibt immer<br />

draußen.<br />

XVII. Weinverkostung bei Lambouri<br />

igentlich sollte das <strong>Reise</strong>programm an diesem Nachmittage mit einer Weinverkostung<br />

in Kilani ausklingen. Doch Antonio druckste herum, es würde etwas nicht klappen. Er<br />

müsse kurzerhand umplanen. Wir würden <strong>nach</strong> Platres fahren. Hier säße in einem alten<br />

E Herrenhaus etwas außerhalb des Ortes eine der größten Winzereien der Insel auf 1128 m Höhe.<br />

Dieses schien wie neu gebaut, auf jeden Fall<br />

restauriert. Man sah auch das Geld, das hier<br />

geflossen war. Wir erfuhren beim Vorstellen des<br />

Winzers, dass er sich aus Deutschland einen<br />

jungen Mann vom Fach hergeholt hatte, durch<br />

Heirat nun eng verbunden, der die<br />

Weinerzeugung <strong>nach</strong> den neuesten und<br />

effektivsten deutschen Methoden betrieb. Wir<br />

stiegen in den kühlen Keller hinab. Uns wurden<br />

die blitzenden Edelstahl- Tanks gezeigt, das<br />

Flaschenlager, die Etikettiermaschine. Alles<br />

erschien steril, neu und atmete keinen Hauch<br />

Winzer- Romantik. Ein Industriebetrieb eben.<br />

Weingut Lambouri in Platres<br />

Oben an der Theke konnten wir von den Weinen kosten. Natürlich wird hier roter, weißer und<br />

Rosé- Wein erzeugt, hauptsächlich von den bewährten Sorten Cabernet Sauvignon und<br />

Chardonnay, aber auch von einer neuen Mataro- Traube, die hier in 1000 m Höhe vortrefflich<br />

gedeiht. Der Winzer verwies stolz darauf, dass der deutsche Konsul regelmäßig hier seinen<br />

Weinvorrat aufstockt, dass er an der Küste in den großen Städten viele seiner Abnehmer hat<br />

und auch Wein <strong>nach</strong> Europa exportiert, obwohl er keine großen Mengen herstellt.<br />

Es gibt von Lambouri die Sorten: Chardonnay Fumé, Cabernet Sauvignon, Dry White, Dry<br />

Red, Dry Rosé und Dry Red Special Reservé.<br />

Uns bot man von dreien an. Die Jahrgänge waren nicht älter als drei Jahre. Wir standen, und<br />

ich hatte das Gefühl- da niemand etwas kaufte – dass der Winzer bei aller Freundlichkeit froh<br />

war, als wir dann, <strong>nach</strong> vielleicht einer halben Stunde, sein modernes Haus wieder verließen.<br />

Ein Pflichtprogramm ohne Verve. Enttäuschend.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 83


XVIII. Chandria und wieder Agros<br />

D<br />

ie Heimfahrt <strong>nach</strong> Agros enthielt noch einen kleinen Blickpunkt. Nach dem Wein<br />

bekamen die meisten von uns Kaffeedurst. So ließ Antonio in Chandria den Bus für<br />

eine kleine halbe Stunde anhalten. Die Nachmittagssonne war schon erträglich.<br />

Chandria ist ein kleines Dorf, schon wieder im Pitsilia- Gebirge, das den östlichen Teil des<br />

Troodos- Massivs einnimmt. Die Hauptstraße folgt mit ihren Windungen den Höhenlinien, die<br />

die Topografie des Geländes vorgeben. Die Häuser sind schlicht und zweckmäßig gebaut,<br />

kaum Fenster zur Straße. Hohe Mauern stützen sie gegen den Hang oder das Tal. Auf den<br />

Dächern stehen die Hochbehälter für warmes Wasser. Stromkabel, Leitungsmasten und<br />

teilweise Solarzellenplatten auf den Dächern verunzieren das Bild. Eine Telefonzelle, ein<br />

Kaffeehaus. Weiter kann ich zunächst nichts Kommunales mehr ausmachen. Wovon leben<br />

diese Leute? Ich erfahre es in der kurzen Zeit nicht. Wir halten ein Stück unterhalb und laufen<br />

einige Meter. Ich versuchte auf der kleinen Terrasse im Kafeníon, von der man den Blick ins<br />

Tal frei hatte, zwei frei Stühle zu belegen, aber zwei Damen von uns wollten unbedingt mit<br />

zwei anderen zusammensitzen. „Hier ist besetzt!!“, wiesen sie mich ab. Ich erwähne diese<br />

belanglose Begebenheit, weil sie für viele <strong>Reise</strong>gruppen symptomatisch ist, wenn auch<br />

psychologisch und menschlich verständlich. Im Laufe jeder <strong>Reise</strong> bilden sich Grüppchen und<br />

Gruppierungen, die sich dann einigeln und innerhalb der etwas unüberschaubaren großen<br />

Gruppe zu kleinen Clans zusammenschließen. Da bilden zum Beispiel die immer mehr<br />

befeindeten Raucher eine Allianz, die schon dadurch zueinander hält, dass sie ihr Laster<br />

gemeinsam haben. Manche kennen sich von früheren <strong>Reise</strong>n und wollen sich unbedingt von<br />

den anderen abschotten. Mit gefällt diese egoistische Verhaltensweise nicht, obwohl bei<br />

solchen Rentnerreisen keine anderen Leute im Bus sitzen als sie einem zu Hause auf der Straße<br />

begegnen. Ihre Motive zu reisen weichen von den meinen erheblich ab.<br />

Spielkartenrunde in Chandria<br />

Wir fanden in dem kleinen verräucherten Kafenion Platz am<br />

runden Tisch. Nebenan klitschten die Männer des Ortes Karten.<br />

Antonio erkannte den Bürgermeister und begrüßte ihn lauthals.<br />

Der grüßte zurück und winkte uns zu, wandte sich aber wieder<br />

den Karten zu. Über die Köpfe hielt ich den Fotoapparat hoch<br />

und knipste die Kartentischszene. Das habe ich in vielen<br />

Kaffeehäusern auf <strong>Zypern</strong> gesehen. Bescheiden steht ihr<br />

Teeglas oder die längst geleerte Kaffeetasse daneben. Man ist<br />

vertieft im Spiel und das sehr leidenschaftlich, oder man<br />

mustert die Fremden, um dann sein Scherflein an Beobachtung<br />

beizusteuern, wenn später darüber philosophiert wird.<br />

Irgendwie muss die Zeit umgebracht werden, beschaulich,<br />

ohne Hektik, ruhend in der Gemeinschaft. Wehe, wer von ihr<br />

ausgestoßen ist! Auch hier störten wir nur ihre Sitzungen, in<br />

der Taverne oder draußen vor der Tür die Männer, die uns<br />

dennoch noch lange freundlich zuwinkten, als wir losfuhren.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 84<br />

Da erklärte mir später einmal eine Frau, sie führe<br />

mit ihrer Nichte, für die sie zugezahlt hat, weil diese<br />

arbeitslos ist, eine pekuniäre Gemeinschaft. Ein<br />

anderes Paar gestand mir auf mein Fragen, dass der<br />

Mann des Partnerpaares etwas schwerhörig sei,<br />

daher immer etwas hilflos, und sich auch im<br />

Ausland schwer zurechtfindet. Die Sprache! Nun<br />

gut, ich habe Verständnis, aber solch Verhalten<br />

schweißt eine <strong>Reise</strong>gruppe nicht zusammen. Ich<br />

habe die Erfahrung gemacht: Was über 12 Personen<br />

zählt, ist für Erlebnisreisen zu viel. Leider fangen<br />

organisierte Busreisen sich bei dieser Anzahl erst an<br />

zu rentieren. Andere <strong>Reise</strong>n sind einfach teurer.


Gegen 18 Uhr lud uns der Busfahrer vor dem Rodon- Hotel in Agros wieder aus. Die Fahrt im<br />

Oldtimer- Bus war nicht so komfortabel wie die anderen, aber sie gaben dem Ausflug ein<br />

besonderes Flair. Als es noch keine klimatisierten Fahrzeuge gab, reiste man auch nicht anders.<br />

Und ganz früher hat sich niemand über die schlecht gefederten <strong>Reise</strong>kutschen aufgeregt.<br />

Martina gab sich der Ruhe hin. Ich ging auf Entdeckungsgang im Hotel und schwamm einige<br />

Runden im Schwimmbecken. Die Temperatur war um die 20 Grad, der frischen Höhenlage<br />

hier oben angepasst. Deshalb war ich auch der Einzige, der das herrlich klare und saubere<br />

Wasser nutzte. Die Wenigsten gehen über ihre Bequemlichkeitsgrenzen hinaus. Und erleben<br />

natürlich nicht den Reiz des Besonderen.<br />

Später machte ich mich über einen Informationshefter eines<br />

anderen <strong>Reise</strong>büros her und fotografierte einige Infoseiten über<br />

<strong>Zypern</strong> einfach ab. Man verzeihe mir ihre Verwendung in diesem<br />

Aufsatz!<br />

Immer abends schreibe ich einige Zeilen in mein <strong>Reise</strong>-<br />

Tagebuch, um später die Fakten <strong>nach</strong>zulesen. Sie helfen mir<br />

noch <strong>nach</strong> Jahren, zusammen mit meinen Fotos, mich minutiös<br />

an selbst kleine Begebenheiten zu erinnern. Ich gehe auf den<br />

Balkon und schaue an den Abendhimmel. Ein wunderbarer<br />

Vollmond steigt über den Felsen empor und seine Bahn, wenn<br />

man länger hinschaut, ist sogar zu beobachten, so dass man ein<br />

Gefühl dafür bekommt, dass wir uns auf der Erde drehen. Ich<br />

fühle eine eigenartige Nähe zu den Gestirnen.<br />

XIX. Scheunendachkirche und Kykko- Kloster<br />

Donnerstag, 5. Oktober 2006<br />

H<br />

eute stand pünktlich 9 Uhr wieder der bequeme Mercedes- Bus vor der Tür.<br />

Landschaftlich wie kulturell erwarteten uns heute Höhepunkte: Die Spitzen des Troodos<br />

und das Kykko- Kloster. Die Fahrt ist länger als gestern. Antonio greift zum Mikrofon<br />

und plaudert über zyprische Verhältnisse. Da ist zunächst die Grundschule. Sechs Jahre plus<br />

drei Jahre Gymnasium sind Pflicht. Es gibt eine Kleiderordnung. Fehlt der Schüler mehr als<br />

20mal, wird er oder sie sitzen bleiben. Sind die Zensuren schlechter als Vier, müssen die Eltern<br />

die Zeugnisse abholen. Es gibt auch Ganztagsschulen.<br />

Junge Männer müssen <strong>nach</strong> dem Gymnasium erst eine 26monatige Militärzeit absolvieren, ehe<br />

sie eventuell weiter studieren können.<br />

Wir durchfahren wieder Chandria. Auf einer Höhe bei Kyperunta erhebt sich eine große<br />

unfertige Kirchenbaustelle. Es ist keine Ruine, wie es beinahe aussieht, sondern entpuppt sich,<br />

als wir näher kommen, als ein großer Neubau. Die Baufirma ist Pleite gegangen und jetzt ruht<br />

die Geschichte. Hier in der Gegend breiten sich große Apfelplantagen aus, wo <strong>nach</strong> der Ernte<br />

gleich gemostet und der fertige Apfelsaft als Produkt weiter gehandelt wird.<br />

Neben den Plantagen zieht sich an den Hängen reicher Baumbestand hin: Zedern, Erlen,<br />

Sequoias (Mammutbäume), Goldeichen, Pinien, Platanen, Akazien, Schwarzkiefern.<br />

Wir belustigen uns an den Schnurren, die uns Antonio von dem Typen Christagis erzählt. Den<br />

soll es wirklich gegeben haben.<br />

Christagis hatte eine Phobie. Seine reiche Phantasie gaukelte ihm vor, er hätte seine<br />

Geschichten, die er erzählte, tatsächlich erlebt. Er glaubte fest daran und setzte voraus, dass<br />

seine Zuhörer ihm das abnahmen. So gab er einige Proben zum Besten:<br />

• Unter anderem glaubt er fest daran, dass er im Kriege Pilot war. Christagis fliegt von<br />

Griechenland <strong>nach</strong> <strong>Zypern</strong>. Bei der Landung stellt er einen Fahrwerksfehler fest. Es<br />

fährt nicht aus. Da hat er kühn das Flugzeug während der Landung ausbalanciert, bis<br />

das Flughafenpersonal ein Stützholz unter die Tragfläche gebracht hat. Wirklich!<br />

• Ein andermal war er Pilot eines F16- Jägers, unter Beschuss des Feindes. Ein Treffer<br />

riss ein Loch in den Tank. Christagis wirft die Maschine auf den Rücken, damit der<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 85


Tank nicht leer läuft und fliegt kopfüber noch 300 km auf dem Rücken- und landet<br />

sicher.<br />

• Christagis war auch Busfahrer. Einmal traf er unterwegs einen gefürchteten TUI-<br />

Manager, der ihn für die Werbung prüfen wollte. Dieser hatte seinen Hund mit, einen<br />

Pudel. Sie hielten an, weil der Hund mal musste, dieser büxte aus und badete in einem<br />

Wassergraben. Wütend auf Christagis, wies der Manager auf den tropfnassen Hund. Da<br />

nahm Christagis den Pudel geistesgegenwärtig beim Schopf, lässt den Motor an und<br />

hält ihn unter den heißen Auspuff. Das Haar versengte. Job und Hund und Manager<br />

entfernten sich.<br />

• Christagis war auch Kämpfer im Krieg. Einmal hat er eine Kugel in die Wange<br />

bekommen. Da er rechtzeitig den Mund aufgemacht hat, sieht man heute nur noch das<br />

Einschussloch. Er zeigt auf die eine Narbe.<br />

• Einmal hatte Christagis Motorradpanne. Das Vorderrad war platt. Da riss er es beim<br />

Fahren hoch und ist die 75 km bis <strong>nach</strong> Hause in dieser Position gefahren:<br />

Irgendwie mochte ich diesen optimistischen Typen und hätte noch mehr Geschichten aus<br />

Antonio herauskitzeln mögen.<br />

Makelloser Himmel und große Wärme strahlte die Sonne aus. Die Straße windet sich im<br />

breiten Marathasa- Tal <strong>nach</strong> oben. Oberhalb von Pedoulas stiegen wir zum Fotostopp aus,<br />

um einen Blick auf ein Bergdorf zu genießen, auf seine wunderbare Kirche. Der Narthex ist auf<br />

beiden Seiten Kuppeln bekrönt, die auf schlanken Säulen ruhen. Die Mittelkuppel ragt aus<br />

rotem Ziegeldach heraus. Alle Fenster sind zugemauert und mit schwarzen Kreuzöffnungen<br />

durchbrochen. Weit schweift das Auge bis über die bebauten Terrassen in ferne Höhen des<br />

Gebirges. Ein Judasbaum und ein Essigbaum geben uns Schatten. Wir sind im Troodosgebirge.<br />

Erste Station ist eine uralte Scheunendachkirche. Inmitten herrlicher Natur , am rechten Ufer<br />

des Flusses Klarios (Karkotis) in einer dicht bewachsenen Schlucht errichtet, liegt sie an den<br />

Ausläufern des Troodosgebirges, fünf Kilometer südlich von Kakopetria, das historische<br />

Kloster des Heiligen Nikolaos vom Dach oder auf Griechisch Ο Αγιοσ Νικολαοσ Τησ<br />

Στεγισ (Sprich O Agios Nikolaos tis stegis). Diese kleine Kirche liegt abseits der Straße.<br />

Antonio zeigt sie uns als Zugabe zum Programm. Sie gehört zum Weltkulturerbe der<br />

UNESCO. Es gibt so viele Kirchen hier im Gebirge. Diese aber ist sehr alt und stammt<br />

mindestens aus dem 11. Jahrhundert, ist aus Feldsteinen gemauert und grob verputzt. Ihr<br />

architektonisches Charakteristikum ist ein über die Längsmauern gelegtes Satteldach, 13 m<br />

lang und 8 m breit, das die eigentliche Holz- Kirche überdeckt und gleichzeitig vor den<br />

heftigen Schneefällen hier im Gebirge schützt.<br />

Das geschah schon Ende des 12. bis Anfang 13. Jahrhunderts.<br />

Dieses zweite Dach mit den flachen Ziegeln verlieh bereits im<br />

13. Jh. dem Heiligen Nikolaos den Namen „vom Dach“ (tis<br />

Stegis)<br />

Wir dürfen eintreten, werden aber wieder von einem alten<br />

Mann bewacht, der uns ermahnt, nicht zu fotografieren. So<br />

kaufe ich ihm ein Heftchen ab und lese so gleich etwas über die<br />

Geschichte des Klosters <strong>nach</strong>:<br />

Seine Gründung erfolgte in der mittelbyzantinischen Epoche im 11.<br />

Jahrhundert, es erlebte während der Frankenherrschaft großen<br />

Aufschwung, wie zahlreiche Fresken in der Kirche bezeugen. Es ist<br />

bekannt, dass der Erzbischof von <strong>Zypern</strong> während der<br />

Frankenherrschaft- wir erinnern uns: 1192 – 1489 waren die<br />

Lusignans die Herren – <strong>nach</strong> 1260, dazu gezwungen wurde, dieses<br />

Der Heilige Nikolaos.<br />

Hauptschiff. Fresco aus dem<br />

1. Jahrzehnt des 12. Jh.<br />

Kloster zu seinem Sitz zu wählen.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 86<br />

Dieses geschah, weil die fränkischen Eroberer auf Erlass des<br />

Papstes von Rom, Alexander IV. (1260), in ihrer Bemühung um die<br />

Latinisierung der Insel die orthodoxen Bistümer von 14 auf 4<br />

reduzierten und sowohl den Erzbischof wie auch die anderen<br />

Bischöfe vertrieben.


1633 wurde das Kloster renoviert. Ein Mönch Philotheos stiftete neben diesen Kosten ein Fresko, das<br />

den Aposteln Peter und Paul gewidmet ist.<br />

1735 besuchte ein russischer Mönch und Pilger, Basilios Bersky, das<br />

Kloster. Er brachte eine Inschrift an, die heute noch erkennbar ist:<br />

„Von Trikoutsia <strong>nach</strong> Troodos gewandert und über den Schnee dort<br />

berichtet, den Schweiß der Adler, das wunderbare<br />

Asbestgestein…ich der Mönch Wassilis Moskoworotsos aus `Kiew<br />

im Juli.“<br />

Verbrieft ist eine Nachricht: „Es (das Kloster) ist klein, aber verfügt<br />

über zwei Mühlen und zahlreiche Felder und Wälder, von denen es<br />

seinen Lebensunterhalt bestreitet und die türkischen Steuern<br />

bezahlt.“<br />

1808 ist der letzte Mönch des Klosters, der Verwalter Jerasimos,<br />

gestorben.<br />

So schnell wie wir hinein gelangten, waren wir in dem kleinen<br />

Hauptschiff herumgegangen, schauten uns die Fresken an,<br />

einige fast 900 Jahre alt- man muss sich das einmal klar<br />

machen! Es sind die ältesten, die auf der Insel erhalten<br />

„Der<br />

Barmherzige“. Fresco aus dem 3.<br />

geblieben sind.<br />

Jahrzehnt des 14. Jh., das sich im<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 87<br />

Narthex der Kirche befindet<br />

Berühmt ist ein Fresco, das die Bekehrung der „40 Heiligen<br />

von Sebaste“ aus der Zeit der Christenverfolgung<br />

veranschaulicht. Die Männer sollten gezwungen werden, dem<br />

Christentum abzuschwören. Sie wurden, nur mit einem<br />

Lendentuch bekleidet, aufs Eis ausgesetzt. Man sieht sie<br />

zittern vor Kälte, wie sie aneinanderrücken oder sinnbildlich<br />

gesprochen zueinander stehen. Ihre offenen Augen sprechen<br />

Trotz und Durchhaltewillen aus. Für die Abtrünnigen hielt<br />

man Feuer und warmes Badewasser bereit. Auf dem Bild<br />

bemühen sich die Standhaften um einen Mann, der<br />

zusammenbricht. Vom Himmel schweben Märtyrerkronen<br />

herab.<br />

Dieses Kirchlein ist eine Schatztruhe. Von außen ist sie ein<br />

eher unscheinbares Bauwerk, aber es hat fast 1000 Jahre<br />

Geschichte erlebt. Sie birgt Fresken aus sechs Jahrhunderten,<br />

eine seltene Versammlung byzantinischer Kunst.<br />

Weiter trug uns der Bus durch die Berglandschaft des Troodos. Ich könnte den genauen Weg<br />

nicht mehr beschreiben. Ich weiß nur noch, dass wir durchs Fenster ziemlich nahe den<br />

höchsten Berg <strong>Zypern</strong>s, den Olympos sehen konnten. Eine weiße Kugel macht ihn<br />

unverwechselbar. Leider gehört das Plateau des Berges nicht den Zyprern. Die Engländer<br />

haben es okkupiert, besser ausgedrückt, aus der Kolonialzeit gesichert. Was es strategisch<br />

bedeutet, von hier den Weitblick zu haben, mache man sich mit einem Blick auf die Karte<br />

deutlich.<br />

Zunächst fuhren wir am Kykko- Kloster vorbei, immer höher,<br />

vorbei an einem frei stehenden Glockenturm, in dem sechs<br />

Glocken frei aufgehängt sind. Ihr Schall schwingt weit ins Tal<br />

hinaus. Er wurde erst 1882 gebaut, weil bis dahin die<br />

osmanischen Eroberer Glockenverbot verhängt hatten. Die<br />

größte wiegt 1280 kg und wurde in Russland gegossen.<br />

Unser Ziel war das Grabmal von Erzbischof Makarios III. Auf<br />

der Höhe steht sein Mausoleum. Zwei Soldaten bewachen es.<br />

Einer steht immer für zwei Stunden unbeweglich Wache, der<br />

andere löst ihn ab.


Ein schlichter Steinsarkophag ist mit einer dicken Metallplatte abgedeckt. Ein Bild wird von<br />

zwei Blumenschalen flankiert. Im Hintergrund, in der Tiefe der Gruft, zu der einige Stufen<br />

hinab führen - ich hätte ihn beinahe nicht bemerkt - steht breitbeinig ein Wachsoldat auf<br />

Ehrenwache, die Maschinenpistole vor der Brust, vor einer von einem hellen gleißenden<br />

Lichtband durchbrochenen Mauer. Die Fotografen drängeln sich um ein Bild „ohne“. Wir<br />

stehen einige Gedenkminuten lang vor dem Andenken dieses kämpferischen Präsidenten und<br />

Erzbischofs von <strong>Zypern</strong>.<br />

Makarios liegt nicht von ungefähr hier begraben. Er ist unweit von hier in einem Dorfe<br />

geboren und hütete als Junge in diesen Bergen Schafe und Ziegen. Schon als Novize<br />

verbrachte er mehrere Jahre in der Klosterbruderschaft des Kykko- Klosters. Später, während<br />

der Freiheitskämpfe in den 1950er Jahren unterstützte das Kloster die Untergrundbewegung<br />

EOKA 38 . Etwa 2 km entfernt befand sich der Unterschlupf des EOKA- Führers General<br />

Grivas.<br />

Auf dem Berggipfel hier steht eine kleine Kapelle zu<br />

Ehren von Makarios III. Zu ihr führt ein aus Bruchsteinen<br />

gemauerter, mit breiten Brüstungen begrenzter Weg. In<br />

der Kapelle steht der „Throni“, der kleine Thron, das<br />

heißt der Thron der Heiligen Jungfrau“. In älteren Zeiten<br />

stand hier ein hölzerner Thron, auf den die heilige Ikone<br />

bei Bittgebeten gesetzt wurde. Zuletzt geschah dies im<br />

Jahre 1990 bei einer großen Dürre. 1935 wurde der Thron<br />

durch ein Zementgewölbe ersetzt, das jüngst diesem<br />

größeren, imposanteren Bau seinen Platz überlassen<br />

musste.<br />

Auf einem Thronsessel lehnen Ikonen. Eine davon ist die<br />

Nachbildung der „Heiligen Ikone des Klosters“. Um den<br />

Sitz flattern weiße Bändchen, geknüpft von Pilgern. Sie sollen<br />

Wünsche und Bitten an sie erfüllen helfen. Ein so genannter<br />

Wunschbaum steht auch am Rande des Plateaus, fast wie unser<br />

heimatlicher Weih<strong>nach</strong>tsbaum geschmückt, aber nur mit im<br />

Winde wehenden weißen Bändern.<br />

Um diese „Heilige Ikone“ dreht sich die Entstehungsgeschichte<br />

des Kykko- Klosters, die ich hier <strong>nach</strong>erzählen will:<br />

Der Überlieferung <strong>nach</strong> ist der byzantinische Statthalter <strong>Zypern</strong>s<br />

Manuel Voutomitis, um das Jahr 1100 n. Chr. auf Jagd gegangen. Er<br />

verlief sich jedoch im Troodos- Gebirge, in dem es zu jener Zeit<br />

dichte Wälder mit wilden Tieren und seltenen Vögeln gab. Nachdem<br />

er lange hin und her irrte, traf er auf einen greisen Einsiedler namens<br />

Isaias. Der Byzantiner behandelte ihn sehr schlecht, weil sich der<br />

Asket, der alles Weltliche mied, nicht bereit zeigte, ihm behilflich zu<br />

sein und den Weg zu weisen, oder auf seine Fragen zu antworten.<br />

Ikone der Gottesmutter auf dem<br />

„Throni“<br />

Voutomitis fand den Weg dann allein und kehrte <strong>nach</strong> Nicosia zurück. Dort erkrankte er und erkannte,<br />

dass seine Krankheit die Strafe für sein schlechtes Verhalten zu Isaias war. Unverzüglich schickte er<br />

seine Diener aus, den Einsiedler aufzufinden. Als dieser dann vor ihm stand, bat der Statthalter den<br />

Greis innig um Verzeihung. Der Mönch erwiderte nichts, sondern betete einfach um dessen Genesung.<br />

Bald darauf erholte sich Voutomitis und versprach dem Mönch, ihm jeden Wunsch zu erfüllen. Der<br />

heilige Mann verlangte jedoch weder Geld noch Ehren. Einem heiligen Gebot folgend, bat er<br />

Voutomitis, die heilige Ikone der Gottesmutter <strong>nach</strong> <strong>Zypern</strong> zu holen, eine der drei eigenhändig vom<br />

Evangelisten Lukas gemalten Ikonen. Da zögerte der byzantinische Statthalter, er zweifelte, ob er den<br />

Kaiser Alexios Komninos davon überzeugen könnte, die im Palast aufbewahrte Ikone abzugeben.<br />

Trotzdem nahm er Isaias mit und beide reisten in die kaiserliche Stadt Konstantinopel. Dort fanden sie<br />

den Kaiser sehr bekümmert, da seine Tochter schwer krank war, es war dieselbe Krankheit, von der<br />

Voutomitis geheilt worden war. Beide erschienen gerade zu dieser Zeit vor dem Kaiser. Isaias betete<br />

innbrünstig um die Genesung des Mädchens. Daraufhin genas sie.<br />

38<br />

EOKA =Epanastatiki Organosis Kypriakou Agonos, Revolutionäre Organisation für den Kampf auf <strong>Zypern</strong><br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 88


Da erzählten Voutomitis und Isaias dem Kaiser, dass es Gottesgebot sei, die heilige Ikone ins Troodos-<br />

Gebirge zu bringen. Es war nicht leicht für den Kaiser, diese wertvolle Reliquie abzugeben. Erst als er<br />

von derselben Krankheit heimgesucht wurde, wie vordem Voutomitis und seine eigene Tochter, begriff<br />

er, dass es Gebot Gottes war, die Ikone abzugeben. Später schenkte er auch das Geld zur Errichtung<br />

des Klosters, wo die Ikone aufbewahrt werden sollte.<br />

Voll Freude nahm Isaias die Ikone mit <strong>nach</strong> <strong>Zypern</strong>. Das Volk empfing ihn tief gerührt und ehrerbietig<br />

und begleitete ihn von der Meeresküste bis ins Troodos- Gebirge. Unterwegs neigten sich die Bäume,<br />

teilhabend an dem feierlichen Empfang, sogar die Muscheln kamen aus dem Wasser heraus und<br />

begleiteten die Prozession.<br />

Tatsächlich kann man bis heute auf den bewaldeten Hängen in Tillyria gebeugte Kiefern und<br />

Meeresmuscheln vorfinden, Spuren der Anteilnahme der Naturkräfte am Empfangszug für die heilige<br />

Ikone auf <strong>Zypern</strong>. So sagt man.<br />

Wir betraten von der Straße her die Klosteranlage und versammelten uns zunächst im 1.<br />

Innenhof (9). Dem Eingang gegenüber erhebt sich das Zellengebäude.<br />

Drei Seiten des Hofes schmücken ihn mit prächtigen<br />

Arkaden. An den Wänden glitzern und gleißen jetzt in<br />

der Mittagssonne Mosaiken von eindrucksvoller<br />

Vielfalt, alle behandeln sie Szenen und Geschehnisse<br />

aus der Bibel oder sie stellen einige der zahllosen<br />

Heiligen dar, die die Ostkirche verehrt. Ich verfalle ins<br />

Fotofieber und lichte so viel wie möglich davon ab.<br />

Manche dieser Geschichten aus der Bibel kenne ich:<br />

- Von Moses und dem brennenden Dornbusch<br />

- Das Heilige Abendmahl<br />

- Jesus und der Zöllner Zacharias auf dem Baum<br />

- Jesus und seine Jünger im Garten Getsemane<br />

- Die Taufe Jesu<br />

- Grablegung und Beweinung Christi<br />

- Das Jüngste Gericht<br />

- Die Steinigung der Hure u. a.<br />

- Das Wunder der Brotvermehrung am See Genzareth u.a.<br />

Die Heilige Ikone<br />

Im Mittelpunkt aller Kykko- Beschreibungen steht die Ikone der<br />

Heiligen Gottesmutter, die der Überlieferung zufolge ein Werk des<br />

Apostels Lukas ist. Dieser Überlieferung <strong>nach</strong> handelt es sich um<br />

eines der authentischen, zeitgenössischen Porträts der Heiligen<br />

Jungfrau. Die heilige Ikone ist auch unter dem Namen „Panagia<br />

Eleoussa“, d.h. die Barmherzige, bekannt. Abgebildet ist die Heilige<br />

Jungfrau, die das Christus-Kind im Arm hält. Die „Maria von Kykko“<br />

ist in der orthodoxen Welt sehr bekannt und beliebt. Zahlreiche<br />

Ikonen in Griechenland, Georgien, Bulgarien, Ägypten und Äthiopien<br />

sind der Gottesmutter von Kykko gewidmet, ein Zeichen großen<br />

Respekts unter den orthodoxen Völkern.<br />

Seit 1576 hat die Ikone einen vergoldeten Silberbeschlag, ein<br />

weiterer folgte im Jahre 1795. Das Gesicht der Gottesmutter ist<br />

verdeckt und wird nie enthüllt, wahrscheinlich weil es der Kaiser<br />

Alexios so wünschte oder um dadurch größeren Respekt<br />

einzuflößen.<br />

Man erzählt, dass im Jahre 1669 der Patriarch Alexandriens,<br />

Gerasimos, es wagte, den Überhang hochzuheben, um auf das<br />

Gesicht Mariens zu sehen. Er soll jedoch für diese schändliche Tat<br />

bestraft worden sein und Gott tränenvoll gebeten haben, ihm dies zu<br />

verzeihen. Der russische Mönch Vassilios Barsky, der 1735 das<br />

Kloster besucht hat, schreibt, dass die Mönche nur in Zeiten der<br />

Dürre das Gesicht der Heiligen Jungfrau enthüllten.<br />

Die Heilige Ikone, die vom<br />

Evangelisten Lukas gemalte<br />

Gottesmutter Panagia Eleoussa<br />

Sie brachten die Ikone zuerst auf die nahe liegende Bergspitze „Throni“, wo sie dann einen Bittgang<br />

machten. Sie schauten jedoch nicht auf das Gesicht Mariens, das gegen den Himmel gerichtet war.<br />

Die Ikone der Gottesmutter von Kykko ist auf <strong>Zypern</strong> sehr beliebt. Unzählig sind die Volkslieder, in<br />

denen sie gepriesen wird, zahlreich auch die historischen Zeugnisse über Ehrenbezeigungen bei<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 89


Litaneien auf der gesamten Insel. Die Ikone war ebenfalls unter den Gläubigen anderer Gebiete beliebt,<br />

welche in früheren Zeiten ihre Pilgerschaft zum Heiligen Grab mit einem Besuch im berühmten Kykko-<br />

Kloster verbanden.<br />

Heutzutage ist die Besucherzahl natürlich um vieles größer, weil die modernen Transportmittel den<br />

Zugang bedeutend erleichtern. Hier im Kloster treffen Menschen aus aller Welt zusammen, sie beten<br />

die wundertätige Ikone der Gottesmutter an, bitten um Genesung und Kraft, damit sie den schweren<br />

Prüfungen ihres Lebens standhalten können.<br />

In der Kirche findet man Weihgeschenke, die an die Wunder der Heiligen Jungfrau erinnern, z.B. ein<br />

Stück der Zunge eines Schwertfisches, eine Gabe, die an die Rettung einer Matrosenschar vor dem<br />

Ertrinken erinnert. Ihr Schiff wurde 1718 von einem großen Schwertfisch durchlöchert. Ein anderes Mal<br />

hat ein Maure versucht, die Ikone zu entweihen, sein Arm erstarrte. So befindet sich heute ein<br />

Bronzearm in der Nähe der heiligen Ikone, um daran zu erinnern. Alle Opfergaben zeugen von<br />

Wundertaten der Gottesmutter, welche auch in vielen Gedichten aus verschiedenen Zeiten besungen<br />

werden. Auch die in den 1990er Jahren neu gestalteten Mosaiken zeigen solche wundervolle<br />

Begebenheiten.<br />

Dank der Wunderkraft der heiligen Ikone habe es in Zeiten großer<br />

Dürre geregnet, Frauen, die kinderlos waren, seien fruchtbar<br />

geworden, Kranke wurden geheilt. Früher baten die Inselbewohner die<br />

Mönche von Kykko, sie bei Prozessionen in ihren Dörfern mit der Ikone<br />

der Gottesmutter zu begleiten, um die Weihen zu erteilen. Die Zyprer<br />

glaubten, dass schon die Präsenz der Ikone ausreichte, eine Seuche,<br />

Epidemie, die Pest oder jedes andere von Gott gesandte Unheil zu<br />

beenden. Die heilige Ikone wurde jedoch insbesondere als Regen<br />

bringend geachtet. Aus historischen Quellen geht hervor, dass sehr oft<br />

Bittgänge und Litaneien stattgefunden haben mit der Bitte, dass „sich<br />

der Himmel öffne“.<br />

Während der türkischen Herrschaft haben die unterjochten Zyprer des<br />

Öfteren die heilige Ikone um Hilfe ersucht. Um die Ikone im Zuge einer<br />

Prozession außerhalb des Klosters tragen zu dürfen und um Regen zu<br />

bitten, war eine besondere Erlaubnis nötig. Diese Bitte der Christen<br />

wurde von den osmanischen Herrschern oft abgeschlagen, so dass<br />

sich die Christen an den Sultan selbst wandten, um die erforderliche<br />

Erlaubnis durch einen Ferman 39 zu bekommen und so dem Druck der<br />

Herrscher auszuweichen. Davon zeugt beispielsweise ein Ferman aus<br />

dem Jahre 1634.<br />

Ferman über das Recht, die<br />

Heilige Ikone im Zuge einer<br />

Prozession aus dem Kloster<br />

heraus zu tragen<br />

So könnte ich noch manches geschichtliche Ereignis hier wiedergeben. Ich entnehme es einem<br />

Begleitheft des Klosters. Alle diese Fakten kann man nicht behalten, auch wenn man sie<br />

erzählt bekommt. Von Antonio bekamen wir wenig zu hören. Ich stand allerdings nicht immer<br />

bei ihm und hätte nur Zeit verloren. Ich trage mir gern meine Informationen selbst zusammen.<br />

Die Wandmalereien und Mosaiken wiesen viel Gold auf, echtes Gold, was auf den relativen<br />

Reichtum des Klosters schließen lässt. Ich habe nur gestaunt und- fotografiert.<br />

Im Zellenhaus der Mönche, in das wir über Treppen und Gänge gelangten waren vor allem<br />

Geschichten aus dem Alten Testament abgebildet, modern ausgemalt, aber in eben typisch<br />

byzantinischer Malweise. Ich sah Bilder, die den Brudermord von Kain an Abel zeigten, die<br />

Schaffung der Frau aus Adams Rippe oder die Legende vom Bau der Arche Noah. Ich musste<br />

eilen, um mich an die Gruppe anzuschließen.<br />

Über einen zweiten Hof betraten wir dann die relativ kleine Kirche. Sie war voll von<br />

Menschen, vornehmlich Touristen. Es standen draußen Reihen von Autobussen, die <strong>Reise</strong>nde<br />

von ganz <strong>Zypern</strong> hierher gebracht haben. Die Pracht in diesem orthodoxen Gotteshaus ist kaum<br />

noch zu steigern. Ich habe nichts Prächtigeres gesehen.<br />

Die Kirche<br />

Die Klosterkirche wurde mit dem Ziel gebaut, die heilige Ikone zu beherbergen. Ursprünglich war sie<br />

ein Holzbau, ähnlich wie das ganze Kloster. Die Holzkonstruktionen waren feueranfällig, und so<br />

richteten die großen Feuerbrände von 1365 und 1541 bedeutende Schäden an. Dadurch gingen die<br />

wertvollen Wandmalereien verloren. Nach der Feuersbrunst von 1541 wurde das Kloster<br />

wiederaufgebaut. Diesmal wurde statt des Holzes Steinmaterial benutzt. Trotzdem brachen zwei<br />

weitere große Brände in den Jahren 1751 und 1813 aus, die sogar Menschenopfer gefordert haben.<br />

Das Innere der Kirche, die Mönchszellen und der Gasthof brannten ab, Kunstwerke und geistiges Gut<br />

39<br />

Ferman (türk., pers. Befehl): in islamischen Ländern Erlass bzw. Erlaubnis des Herrschers<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 90


ganzer Jahrhunderte gingen verloren, bedeutende Handschriften und historische Dokumente wurden<br />

zu Asche.<br />

Die ursprüngliche Kirche war einschiffig, später wurde sie zu einem dreischiffigen Gebäude umgebaut.<br />

Ihre gegenwärtige Architektur könnte als Kuppelbasilika bezeichnet werden. Das mittlere Schiff ist der<br />

Gottesmutter gewidmet, das rechte Schiff den Allerheiligen und das linke den Erzengeln Gabriel und<br />

Michael.<br />

Einer Inschrift zufolge stammt die Ikonenwand aus dem Jahre 1755, d.h. sie entstand unmittelbar <strong>nach</strong><br />

dem Brand von 1751. Sie blieb später zusammen mit den in der Kirche befindlichen Ikonen wie durch<br />

ein Wunder vom Brand von 1813 verschont. Die berühmte Ikone der Heiligen Jungfrau befindet sich in<br />

der Mitte der Altarwand, sie ist die dritte, links des Zentraleingangs.<br />

Die meisten Ikonen sind im byzantinischen Stil gehalten, während es auch andere gibt, welche von<br />

westeuropäischem Einfluss zeugen. Unter den letzteren sind ebenfalls die Ikonen des kretischen<br />

Malers Joannis Kornaros (1745 - 1812) aus dem späten 18. Jh. zu nennen. Den Schmuck vollenden<br />

Kerzenleuchter, Kronleuchter und Lüster aus dem 18. und 19. Jh. prächtigen russischen Stils und<br />

Herkunft sowie kirchliches Zubehör und Weihgaben.<br />

Die Klosterbruderschaft, deren Geschichte<br />

900 Jahre alt ist, zählt heute 20 Mönche<br />

und 2 Novizen. Seit Januar 1984 bekleidet<br />

Nikiphoros das Amt des Abtes.<br />

Man ließ uns bis zur Abfahrt noch etwas<br />

Zeit, so dass ich mit einem Ehepaar noch<br />

die Gelegenheit wahrnahm, das im<br />

Baedeker mit zwei Sternen versehene<br />

Museum im Kykko- Kloster<br />

aufzusuchen. Gemessen am Eintrittspreis<br />

und der kleinen halben Stunde, die zur<br />

Verfügung stand, war es beinahe eine<br />

Kulturschande.<br />

In einem Seitenflügel ist das Museum untergebracht, eine Schau von einmaligen und seltenen<br />

religiösen Antiquitäten der Ostkirche, Byzantinische und Post- Byzantinische Kunst wie auch<br />

Objekte der frühen christlichen Ära, Ikonen Wandgemälde, Gefäße, prunkvolle Gewänder,<br />

reich mit Edelsteinen verzierte Bibeln, Gravuren, Juwelen auf Pokalen, Hirtenstäben,<br />

Bischofsmützen, Keramik, Kirchenmöbel und Holzschnitzereien, bemalt und unbemalt. Das<br />

alles war in einer hochmodernen Darstellung präsentiert, dass mir Schauer über den Rücken<br />

liefen. Im Hintergrund ertönte unaufdringlich ritueller Gesang aus Mönchskehlen.<br />

Ikone im Museum des Kykko- Klosters, 19. Jahrhundert:<br />

Das Sakrament der Heiligen Taufe<br />

Das Licht war abgedunkelt, die Beschriftung der Vitrinen und Ausstellungsstücke dennoch gut<br />

lesbar, wenn auch nur in Griechisch und Englisch. Logisch. Es war eine einzigartige<br />

Ausstellung. Mich hat es gewundert, warum der <strong>Reise</strong>veranstalter mit keinem Wort auf diese<br />

Sehenswürdigkeit eingegangen ist.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 91


Die Uhr lief grausam schnell. Bald musste ich abbrechen, wäre gerne noch verweilt oder vor<br />

manchem Kunstwerk länger stehen geblieben. Unten löste ich meinen Fotoapparat wieder ein,<br />

den ich abgeben musste. Ich hätte zwar schummeln können, da ich in der Tasche noch den<br />

kleinen mitführte, aber ich möchte im fremden Land ungern negativ auffallen.<br />

Wir verlassen den Klosterbereich wieder durch das Haupttor, mit mir das Ehepaar Schelter,<br />

dem mein Lob für das gesteigerte Kunstinteresse gilt, und ohne die ich diese kleine<br />

Zeiteskapade im Alleingang nicht gewagt hätte.<br />

Ein Mönch steht zur Begrüßung und für Fragen im<br />

Eingangstunnel. Abschied für uns. Ich werfe einen letzten<br />

Blick auf die herrlichen Mosaike. Dann ist das vorbei. Die<br />

staubige Straße, die stinkenden Busse, die eilenden<br />

Menschen, Buden für Andenken, Essen stehen am Rand. Es<br />

ist Mittagszeit. Auch ich habe jetzt Hunger. Hinter einem<br />

Auto sitzt ein Mönch und ruht selbstvergessen. Der Kopf ist<br />

ihm schwer geworden und auf die Brust gesunken.<br />

Vom Getümmel dieser Welt ist<br />

er weit entfernt. Das Alter sehnt<br />

sich <strong>nach</strong> Ruhe. Dieses friedliche<br />

Bild nehme ich mit und noch<br />

eine idyllische grüne Ansicht von<br />

der Ostseite der Klosteranlage.<br />

Dann finden wir den Bus.<br />

Wir fahren nicht lange, da hält Antonio an einem Rastplatz, wie<br />

wir ihn im Vorbeifahren schon mehrmals gesehen haben. Bänke<br />

und Tische laden den müden Wanderer oder Fahrradfahrer oder<br />

auch Motorisierten ein, das Mitgebrachte zu verzehren. Wir<br />

griffen in unsere Verpflegungsbeutel und machten Picknick im<br />

Freien von 13.30 bis 14.30 Uhr im Halbschatten von riesigen<br />

Aleppokiefern in göttlicher Ruhe des lockeren Gebirgswaldes.<br />

XX. Kakopetria und weitere Scheunendachkirchen in Galáta<br />

D<br />

as nächste Etappenziel an diesem Tage war nun mit einer längeren Anfahrt über die<br />

Berge des Troodosgebirges verbunden. Weit reicht der Blick ins Land von hier oben,<br />

manchmal konnte ich im Hintergrund, im blauen Dunst das Meer ahnen.<br />

Nach einstündiger Fahrt hielten wir in Kakopetria und besichtigten zunächst den Ort. Es liegt<br />

an den Nordhängen des Troodos, im fruchtbaren Tale eines Flüsschens, dem Kargótis. Enge<br />

Gassen und alte hohe Walnussbäume bieten den Bewohnern Schatten. Das Dorf ist alt, aber es<br />

hat die Chance, seinen Charakter zu bewahren. Die Regierung gibt den Bewohnern einen<br />

Kredit mit günstigen Zinsen, Rabatt und Rückzahlungsbedingungen, wenn sie ihr Haus wieder<br />

sanieren, restaurieren oder wenigstens außen in einen ordentlichen Zustand versetzen. Das<br />

Programm hat in dem Musterort Kakopetria gezogen.<br />

Viele Touristen besuchen Kakopetria. Bewohner bieten ihre Waren auf<br />

der Straße an, direkt vor ihrer Haustür. Da handelt ein alter Mann, der<br />

über dem Geländer seines Eckhauses lehnt und <strong>nach</strong> uns schaut, mit<br />

Keramik, Strohkörben und Ansichtskarten. Auch Spielzeug bietet er feil.<br />

Ich muss einen niedlichen Esel aufs Bild bannen. Er zieht eine kleine aus<br />

Stroh geflochtene Karre.<br />

Am Wegrand hat eine Hausfrau ihren Stand aufgebaut. Sie hat alles, was ihr Garten<br />

hergegeben hat, in Gläser eingeweckt. In vielen Farben stehen sie in einer Reihe. Daneben<br />

liegen frische Weintrauben, Äpfel, Zwiebeln, Bohnen. Wir spazieren weiter, kommen an<br />

schönen Häusern vorbei, Holzbalkone, Vorbauten, von Weinlaub überdachte Terrassen<br />

glänzen im goldgelben und herbstlichen Sonnenlicht.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 92


Blick von der Terrasse des ΖΟΥΜΟΣ in<br />

Kakopetria<br />

Vor einer verfallenen Scheune steht die Gruppe und<br />

blickt hinüber, wo neben dem Bach Kargótis früher<br />

eine Mühle stand, die sich heute zu einem großen<br />

Hotel gemausert hat. Wir gehen durch den Ort, an<br />

dessen befahrener Hauptstraße sich einige<br />

Restaurants und Cafés befinden. Wir kehren im<br />

ΕΣΤΙΑΤΟΡΙΟ ΖΟΥΜΟΣ (Restaurant Sumos) ein,<br />

trinken einen kafedáki glikó, einen kleinen, süßen<br />

griechischen Kaffee und essen ein Eis. Dabei<br />

schauen wir von einer schattigen Terrasse auf das<br />

grüne Uferdickicht des Flusses. Kein Straßenlärm<br />

dringt hierher. Vögel zwitschern.<br />

Nur das gedämpfte Murmeln der Gäste aus der Tiefe des Cafés ist zu hören, ein Geräusch, das<br />

man unterdrücken kann. Es ist schön hier, und ich denke mir aus, wie es wäre in einen<br />

Individualurlaub…<br />

Wir müssen die Hauptstraße hinunter und suchen<br />

den Bus. Antonio winkt einen falschen herbei – er<br />

sieht unserem ähnlich. Dessen Fahrer ist ganz<br />

verwundert, von einem Fremden Befehle zu<br />

erhalten. Kurzes Palaver. Wir laufen wieder zurück.<br />

Antonio greift zum Handy. Was wäre, wenn es<br />

dieses Hilfsmittel nicht gäbe? In einen anderen Bus<br />

steigen gerade eine Gruppe schwarz gekleideter<br />

Frauen ein, Nonnen auf Pilgerfahrt? Ich forsche<br />

nicht <strong>nach</strong>.<br />

Wir fahren nicht weit, nur noch ein wenig nordwärts, durch den Ort Galata hindurch. Wir<br />

halten auf staubigem Felde und laufen einen Feldweg hinunter. Tatsächlich sah es aus, als<br />

würden wir der Scheune eines Bauern einen Besuch abstatten. Ein nüchterner Bau aus<br />

Feldsteinen gemauert, wird von einem etwa 70 Grad spitzen Satteldach überdeckt. Darunter<br />

verbirgt sich die Panagía tis Podíthou.<br />

Die zu einem ursprünglichen<br />

Klosterkomplex gehörige Kirche der<br />

Eleoúsa (die Barmherzige) wurde gemäß<br />

einer gefundenen Inschrift im Jahre 1502<br />

gegründet. Es ist sogar noch der Name des<br />

Gründers bekannt: Dimitrios de Coron, ein<br />

griechischer Militäroffizier im Dienste von<br />

James II., König von <strong>Zypern</strong>, der mit Eleni<br />

Paleologina verheiratet war. Die Kirche war<br />

der Theotokos Eleousa (Wohltätigen<br />

Jungfrau) gewidmet. Noch vor vierzig<br />

Jahren gab es hier noch ein kleines<br />

zweistöckiges Gebäude aus osmanischer<br />

Zeit, das die Mönche beherbergte.<br />

Das Satteldach liegt auf einer umlaufenden Mauer auf, die einen überdachten Umgang um die<br />

innere Kirche ermöglicht. Der Grundriss ist rechteckig. Er mündet im Osten in einer<br />

halbkreisförmigen Apsis, die leicht aus der Mauer hervortritt. Der Flur ist bedeckt mit<br />

ausgetretenen, gebrannten Terrakotta- Ziegeln.<br />

Die Ausmalung der Kirche ist nie vollendet worden. Fresken bedecken die Ziergiebel der<br />

westlichen und östlichen Mauer, die Apsis, die ganze Ostwand so gut wie Teile der Nord- und<br />

Südwand. Alle Gemälde wurden zu gleicher Zeit des Kirchenbaues geschaffen mit Ausnahme<br />

von zwei Fresken aus dem 17. Jahrhundert, die Petrus und Paulus darstellen. Der Maler war<br />

beeinflusst von der Renaissancezeit wie viele Maler seiner Zeit, diese Epoche ist bekannt unter<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 93


dem Namen Italo- Byzantinischer Stil. Sein Hauptmerkmal sind die Wahl frischer Farben und<br />

die dreidimensionale Behandlung des Sujets.<br />

Antonio leuchtete mit der Taschenlampe in der dunklen<br />

kleinen Halle die einzelnen Objekte an und erklärte dies an<br />

einzelnen Beispielen. Die Schilderung der Kreuzigung am<br />

ganzen Inhalt der Westwand ist ein gutes Beispiel für diesen<br />

Malstil. Man kann ihn auch beobachten an den Fresken in der<br />

Apsis von Maria mit dem Kinde und der Kommunion der<br />

Apostel darunter.<br />

Die Ikonostase wurde 1780 neu vergoldet. Ich konnte leider<br />

keine Fotos machen. Neben der kleinen Kirche steht ein<br />

hölzernes Gerüst, in das eine kleine Glocke gehängt ist. Das<br />

Geläut wird, wenn es bimmelt, wohl nur die Gläubigen<br />

erreichen, die hierher zur Andacht kommen.<br />

Von hier gibt es über eine einzeln stehende Pinie einen<br />

wunderbaren Blick in die Ferne auf die sanften Höhen des<br />

Troodosgebirges. Reste von Mauern zeugen von einer<br />

Vergangenheit, die sich vor den heutigen verschlossen hat.<br />

Panágia Theotókos Archángelos<br />

Apsis Ostseite<br />

Jeglicher Architekturkenntnis spottend, hielten sie<br />

die Wände in Kopfhöhe zusammen, wobei sicher<br />

die Absicht verfolgt wurde, den <strong>nach</strong> außen<br />

wirkenden seitlichen Auflagerdruck des steilen<br />

Satteldaches aufzunehmen. Ich schätze, der Bau<br />

wurde von örtlichen Handwerkern hochgezogen,<br />

die es nicht besser wussten. Diese Zugbänder<br />

gehören in die Ebene der Dach-Traufe. So wird<br />

die religiöse Wirkung der Malerei <strong>nach</strong>haltig<br />

gestört. Dennoch sind diese Fresken rustikaler als<br />

in der vorigen Kirche. Sie tragen eine andere<br />

Handschrift. Die Spender dieser Malereien sind<br />

namentlich bekannt, ebenso kennt man den<br />

Namen des Malers, Symeon Axéndi, der uns aber<br />

nichts sagt. Alle wichtigen Szenen aus dem Leben<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 94<br />

Glockenturm der Kirche<br />

Panagia tis Podithou<br />

Nur 100 m weiter, etwas seitab vom Wege, durch eine<br />

Baumgruppe versteckt, liegt eine zweite von ehemals<br />

sieben Scheunendachkirchen in diesem Sprengel. Es ist<br />

die winzige Kirche Panágia Theotókos. Sie hat auch<br />

den Namen Panágia Theotókos Archángelos<br />

(Erzengelkirche). Sie ist 1514 als Familienkapelle<br />

entstanden, in der Zeit, als die Venezianer herrschten.<br />

Diese kleine Kirche, die man eher Kapelle nennen<br />

sollte, ist voll ausgemalt mit dem ganzen<br />

ikonografischen Programm von Mariä Verkündigung<br />

bis zur Kreuzigung und Auferstehung. Der Wächter<br />

nahm das Fotografieren etwas lockerer, schaute hinweg,<br />

verbat nur Blitzlicht. Trotzdem gelang nichts wirklich<br />

Gutes. Wände und Decke sind voll ausgemalt, jeder<br />

Quadratzentimeter. Mehrfach musste ich aufpassen,<br />

dass ich mich nicht an den Querbalken stieß, die den<br />

Raum von Wand zu Wand überspannen.<br />

Zugbänder stören die Wirkung der Fresken in der<br />

Kirche Panágia Theotókos Archángelos, Galáta<br />

und von Tode Jesu sind abgebildet, wie gesagt das ganze Programm. Es hätte eines gelehrten<br />

Vortrages bedurft, alle Darstellungen zu erläutern und zu interpretieren.


Die Heimfahrt verlief ohne besondere Höhepunkte. Im Hotel Rodon in Agros versammelten<br />

wir uns im Vestibül und erhielten eine Eislimonade kredenzt, wohl als Abschiedstrunk<br />

gedacht, denn morgen früh würden wir das Hotel verlassen.<br />

Ein letztes Mal benutzte ich als Einziger das Schwimmbad, genoss das reine Wasser in der<br />

herben frischen Bergluft und schwamm, bis ich keine Luft mehr bekam.<br />

Abendessen, Koffer packen, die letzte Nacht im Gebirge.<br />

XXI. Der Weg der Persephone<br />

Freitag, 6. Oktober 2006<br />

Frühmorgens Abschied vom „Dorf- Hotel“ Rodon in Agros. 8.30 Uhr setzt sich unser Bus in<br />

Bewegung. Wir fahren westwärts, zunächst noch einmal ins Troodosgebirge, auf den höchsten<br />

zugänglichen Punkt, um dann, mit einigen Höhepunkten, abends das Cynthiana- Hotel in<br />

Paphos anzusteuern, wo wir die letzten sechs Tage verbringen werden.<br />

Wir passieren Chandria, wo im Kafeníon schon die<br />

Männer sitzen, die Ortsphilosophen. Der erste<br />

Blickpunkt an diesem Tage: die „Kirchenruine“ in<br />

Kyperounta, der im Aufbau begriffene, unter Nöten<br />

leidende Neubau, von dem es heißt, dass das Geld aus<br />

ist. Oberhalb einer langen Stützmauer aus hässlichem<br />

Beton erhebt sie sich stolz und ist weithin sichtbar.<br />

Es dauert nicht lange, bis wir bei Fahrt durch<br />

verschiedene Landschaftsformen das Troodos- Plateau<br />

erreichen.<br />

Kirchenneubau in Kyperounta<br />

Antonio erklärt uns die kahlen, unwirklich grauen Hänge, die unterwegs ein riesiges Areal<br />

einnehmen. Wir sehen es im Süden unserer Hangstraße, die jetzt durch kahles Bergland führt.<br />

Westlich des Gebirgsortes Amíandos (= auf Griechisch: Asbest) wurde bis vor wenigen<br />

Jahrzehnten, genauer bis 1986 Asbest im Tagebau abgebaut. Das hat der Natur großflächige<br />

Wunden geschlagen. Die jetzige Regierung ist bemüht, diese toten Berghänge wieder mit<br />

Muttererde aufzufüllen und später aufzuforsten. Das ist mühsam und teuer und wird lange Zeit<br />

dauern. Dafür hat man Terrassen angelegt, diese mit Bäumen bepflanzt, die man 5 Jahre lang<br />

künstlich bewässert. Die Muttererde wird extra mit Transportern oft von weit her angefahren.<br />

Das Projekt ist bis 2017 geplant und kostet Unsummen. Noch 1940 waren in der<br />

Asbestindustrie 10 000 Leute beschäftigt. Nach dem Krieg wurde das Asbest über Limassol<br />

per Schiff verladen und in die UdSSR und auch in die damalige DDR exportiert.<br />

Die Bodenschätze <strong>Zypern</strong>s sind längst verbraucht. Die Kupfererz- Gewinnung ist unrentabel<br />

geworden, wenngleich man es in geringsten Mengen wieder versucht. Von den reichen<br />

Kupfervorkommen der Antike erinnert heute nur noch der Namen der Insel- Kypros. In der<br />

Nähe des Olympos fördert man noch geringe Mengen Chromerze.<br />

Wir tauchen wieder in den Wald ein und erreichen bald mit 1900 Metern das höchste Plateau<br />

des Troodos. Dieses Bergmassiv ist der Rumpf einer vulkanischen Erhebung aus dem Meer.<br />

Die Sedimentgesteinsschichten sind lange schon abgetragen. Zurück blieben die harten<br />

vulkanischen Tiefengesteine, das grau-grüne Gabbro und andere Magmatite, aber auch noch<br />

Lavagesteine. Der Gipfel ist 1951 m hoch, militärisch besetzt von den Engländern. In den<br />

Wintermonaten Januar, Februar liegt dort Schnee, der sich in den Lagen bis 1500 m bis April<br />

hält und dann Wasser in die Ebene liefert, das in vielen Staubecken gesammelt wird. Es gibt<br />

auch viele Quellen hier oben. An den Bächen leben der Wiedehopf, Drosseln, Geier, der<br />

zyprische Steinmätzer, das ist ein Singvogel, den es nur hier auf dieser Insel gibt. Das Gestein,<br />

wo es frei liegt, ist jetzt rotbraun, gefärbt von Eisen.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 95


Wir kommen an und steigen aus. Ein großer freier Platz ist<br />

jetzt, 9.10 Uhr, noch ganz leer. Dieser Ort liegt am<br />

Kreuzungspunkt wichtiger Verkehrsstraßen. Er besteht<br />

eigentlich nur aus ein paar Restaurants, zwei Hotels, einer<br />

Tankstelle und vielen Verkaufsbuden, die im Sommer dicht<br />

von Touristen und Ausflüglern umlagert sind. Viele<br />

Verkaufs- Stände sind jetzt am Vormittag noch<br />

geschlossen. Viele öffnen gar nicht mehr. Wir nähern uns<br />

dem zyprischen Winter. Drei Telefonzellen stehen verwaist<br />

im Halbschatten einer oben verkrüppelten und verdorrten<br />

Schwarzkiefer, die hier oben recht häufig anzutreffen ist.<br />

Wir sammeln uns und werden nun von Antonio zu einer<br />

Wanderung eingeladen, die etwa 2 Stunden dauern wird.<br />

Der Weg heißt Persephoni und sein Name zwingt mich, die<br />

etwas längere Geschichte aus dem griechischen Schatz der<br />

Mythologie zu heben, die Antonio dazu nur in Stichworten<br />

und andeutungsweise erzählt.<br />

Wer war Persephone?<br />

Göttervater Zeus erwuchs aus der Liebesverbindung mit einer seiner göttlichen Schwestern,<br />

nämlich der Korn- und Ackergöttin Demeter, die gemeinsame Tochter Persephone, die<br />

künftige Göttin der Unterwelt und Gefährtin des Hades.<br />

Persephone wuchs sorgenfrei im Kreise ihrer Schwestern Athena und Artemis auf. Eines Tages<br />

erblickte sie ihr Onkel Hades, der Herrscher der dunklen Unterwelt, der sogleich von ihr<br />

entzückt war. Aber ihre Mutter Demeter wollte ihm nicht die Hand des Mädchens geben, denn<br />

ein Leben im Reich des Schattens sollte ihr erspart bleiben.<br />

Daher entführte der Unterweltsgott die liebliche Jungfrau, als sie mit ihren Gefährtinnen in der<br />

Nähe des Einganges zum Orkus 40 auf einer Wiese Blumen pflückte.<br />

Manche meinen, dass diese Pforte zum Totenreich in<br />

der Ebene von Eleusis in Attika lag, andere berichten,<br />

sie läge in der sizilianischen Ebene am Fuße des<br />

Ätna.<br />

Demeter war verzweifelt über das plötzliche und<br />

geheimnisvolle Verschwinden ihrer Tochter.. den<br />

Entführer konnte ihr niemand nennen, denn er hatte<br />

sein Haupt in nächtliches Dunkel gehüllt. Die Mutter<br />

wollte nun nicht mehr in den Olymp zurückkehren<br />

und irrte auf der Suche <strong>nach</strong> ihrem Kind neun Tage<br />

und Nächte lang über die ganze bewohnte Erde. In<br />

der Dunkelheit erleuchtete sie ihren Weg mit zwei<br />

Fackeln. Sie aß keinen Bissen, trank keinen Schluck,<br />

sie wusch sich nicht und machte sich nicht mehr<br />

schön.<br />

Auf dieser langen Wanderung kam die Göttin in<br />

Gestalt einer alten Frau <strong>nach</strong> Eleusis. Dort ruhte sie<br />

sich auf einem großen Stein aus, der in Erinnerung<br />

ihres Schmerzes von den folgenden Geschlechtern<br />

aghélastro petra, der „freudlose Felsen“ genannt<br />

wurde. Demeter begab sich zum König von Eleusis,<br />

Kelos, an dessen Hofe sie ein wenig ausruhte. Eine<br />

alte Dienerin namens Iambe konnte ihr sogar mit<br />

Späßen ein Lachen entlocken.<br />

Unter dem wohlwollenden Blick der Persephone (r.),<br />

die dieser Szene beiwohnt, übergibt Demeter (l.), in<br />

der Hand das Zepter, dem Knaben Triptolemos,<br />

Sohn des Königs von Eleusis, die Weizenähre, die er<br />

wiederum den Menschen bringen soll.<br />

Relief um 430-420 v. Chr., Athen, Archäologisches<br />

Nationalmuseum<br />

40<br />

Orkus, lateinisch Orcus, römischer Gott der Unterwelt und des Todes, auch Totenreich und Unterwelt selbst,<br />

entsprechend dem griechischen Hades.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 96


Als Dank für die freundliche und gastliche Aufnahme wurde Triptolemos, der jüngste Sohn des<br />

Königs, in die Geheimnisse des Getreideanbaus eingeweiht. Er bekam von Demeter den<br />

Auftrag, die Kenntnisse der Feldbestellung in aller Welt zu verbreiten. In Eleusis entstand<br />

später um den „freudlosen Felsen“ ein bedeutendes Heiligtum zu Ehren von Demeter und<br />

Persephone, Berühmt waren die Fruchtbarkeitsmysterien, die nur den Eingeweihten enthüllt<br />

werden durften.<br />

Demeters freiwillige Verbannung hatte die Erde unfruchtbar gemacht. Die ganze Weltordnung<br />

drohte durcheinander zu geraten. Endlich erhörte Zeus das Bitten der verzweifelten Mutter.<br />

Er befahl seinem Bruder Hades, die Braut freizugeben und zur Mutter zurückzubringen. Aber<br />

das war nicht mehr möglich. Persephone hatte in der Unterwelt versehentlich von einem<br />

Granatapfel gegessen, und wer im Reich der Schatten irgendetwas zu sich nahm, durfte nicht<br />

mehr ans Sonnenlicht zurück. Auch die Götter unterstanden diesem Gesetz. Zeus musste sich<br />

daher mit seinem Bruder auf halbem Wege einigen und fällte die Entscheidung, dass<br />

Persephone einen Teil des Jahres bei Hades in der Tiefe verbringen sollte und einen anderen<br />

Teil bei ihrer Mutter auf Erden. Demeter konnte nun wieder ihren Platz im Olymp einnehmen,<br />

und die natürliche Ordnung der Dinge war wieder hergestellt.<br />

So floh Persephone jedes Frühjahr aus dem unterirdischen Schattenreich, und zugleich kamen<br />

auch die Pflanzen und Blüten aus der Erde hervor. Zur Zeit der Aussaat aber musste sie wieder<br />

in die Unterwelt zurück. Während ihres winterlichen Aufenthaltes bei den Unterirdischen aber<br />

ließ Mutter Demeter die Erde unfruchtbar bleiben. Mit dieser Erzählung erklärten die Alten<br />

den Wechsel der Jahreszeiten.<br />

Nun wandern wir auf einem <strong>nach</strong> Harz und Nadeln duftenden, schattigen Weg der<br />

Persephone. Die griechischen Zyprer sind natürlich auch der griechischen Mythologie<br />

verhaftet, was aus vielen Namen, die sie Orten und Dingen gaben, hervorgeht.<br />

Wir laufen in Gänsereihe auf dem schmalen Waldweg,<br />

achten auf Wurzeln und Steine. Mir ist das Tempo, das<br />

Antonio vorgibt, zu hoch, weil es nicht Zeit lässt, schöne<br />

Fotomotive auszukosten. Bleibe ich stehen, walzt alles an<br />

mir vorüber. Ich falle hoffnungslos zurück und verliere den<br />

Anschluss. In fremdem Gelände ist das peinlich. Also<br />

verzichte ich auf Bilder und genieße die herbe Luft und<br />

schärfe den Blick auf die Natur um mich herum. Rechts<br />

den Hang hinauf sehe ich Drahtzäune- englisches<br />

Sperrgebiet rings um den Olympos, einige Bauten, Schilder<br />

mit Verbotshinweisen. Rechts zieht sich der schüttere<br />

Bergwald, vorwiegend Schwarzkiefern, den Hang hinauf.<br />

Links öffnet sich der Blick ins Land. Lange begleitet uns<br />

die Aussicht auf die Halden des Asbestbergbaus. Ihre<br />

grauen Halden stören gewaltig das idyllische Bild der Natur<br />

und erinnern <strong>nach</strong>haltig an den Lebensanspruch der<br />

Halden des Asbest- Bergbaus stören<br />

wie riesige Narben die Natur<br />

Menschen. Antonio bleibt stehen und zeigt auf den Boden.<br />

Ich bin überrascht. Wie dekoriert oder eingepflanzt,<br />

sprießen da und dort ein paar lila Herbstzeitlose.<br />

Das Unterholz ist dornig und vertrocknet, aber sprüht von bunten Farben, dennoch blühen<br />

Salbei und Berberitze und viele Kräuter, die mir nicht bekannt sind. Ähnlich unseren<br />

Heidelbeeren locken blaue Beeren zum Naschen. Natürlich tue ich das nicht. Ich beschäftige<br />

mich zu wenig damit. Dann ein nüchternes Schild auf Englisch: Ende Persephone Trail. Ein<br />

anderer Weg führt weiter hinein in das Troodos- Wandergebiet, längere Wege. Wir biegen ab<br />

und folgen einem breiten Weg, der mit dem Bulldozer gebaggert wurde und nicht mehr so<br />

lieblich ist wie der eben verlassene Waldpfad. Wir sind auf dem Europäischen Fernwanderweg<br />

E4. Bald rasten wir im Schatten. Einige Frauen besetzen eine Bank. Andere müssen mal und<br />

verkrümeln sich außer Sichtweite. Nach dem Aufbruch ist diese Wanderung, die eher einem<br />

Spaziergang glich, auch schon wieder vorbei. Was sind schon 3 km!<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 97


Wieder auf dem Troodos- Platz zurück, besetzen wir eine mit Bänken überdachte schattige<br />

Picknick- Station. Es ist jetzt 11.30 Uhr und Zeit für eine Mittagsrast. Antonio und Carina,<br />

unterstützt vom Kraftfahrer packen Vorräte aus und bereiten uns ein wunderbares Picknick. Sie<br />

schneiden Zwiebeln, Paprika, Tomaten, Gurken, Zucchini, Salami, Schinken, zwei Sorten<br />

Schafskäse, Brot und reichen Wein und Oliven, die Antonio von seiner Mutter mitgebracht hat.<br />

Es schmeckt, so im Freien. Jeder wird satt, und es bleibt eine Menge übrig.<br />

12.40 Uhr steigen wir wieder ein und verlassen nun das Troodos- Gebirge. Auf der B8 fahren<br />

wir die 40 km hinunter in die Ebene bis Limassol, kreuzen dort die Küstenautobahn und<br />

brausen dann direkt in die heiße Nachmittagsonne <strong>nach</strong> Westen bis Kolossi.<br />

XXII. Kolossi<br />

D<br />

ieser Ort beherrschte in antiker Vorzeit die Halbinsel Akrotiri, heute ist sie noch<br />

teilweise „SBA“, Sovereign Base Area, im Besitz der Engländer, Relikt der<br />

Kolonialmacht. Kolossi liegt nur 14 km von Limassol (Lemesos) entfernt.<br />

Ich rätsle über die Herkunft des Namens. Kolossä oder auch Kolossai, was sehr ähnlich klingt<br />

oder verwandt sein kann, ist eine antike kleinasiatische Stadt im südlichen Phrygien, etwa in<br />

der Mitte Kleinasiens. Sie war Sitz einer der ältesten Christengemeinden und Adressat des<br />

Kolosserbriefs, dem Apostel Paulus zugeschriebener, wahrscheinlich aber von einem Schüler<br />

desselben verfasster Brief des Neuen Testaments an die Gemeinde von Kolossä.<br />

Hier also Kolossi. Unzweifelhaft in den Mittelpunkt des<br />

Geschichtsinteresses rückte der Ort mit dem Bau einer<br />

Burg durch den Johanniterorden 41 .<br />

Um 1210 schenkte der fränkische König Hugo I. den<br />

Johannitern fruchtbares Land um Kolossi. Nach dem Fall<br />

von Akkon 1291, wir erinnern uns an Richard Löwenherz,<br />

diente die Feste als Hauptsitz des Johanniterordens. Sie und<br />

sicher auch die Lusignans erbauten während des 13.<br />

Jahrhunderts hier eine Burg und begannen das Land zu<br />

kultivieren. Sie erzeugten Olivenöl, Weizen, Baumwolle,<br />

Wein und bauten auch Zuckerrohr an.<br />

1373 griffen die Genueser die Burg an, konnten sie aber<br />

nicht erobern. Mitte des 15. Jahrhunderts baute man unter<br />

dem Großkomtur Louis de Magnac die Burganlage aus und<br />

erhielt ihren heutigen Grundriss. Viele Bauten davon sind<br />

geschliffen. Mächtig und beeindruckend erhebt sich der<br />

zentrale Donjon, der Burgfried, Hauptturm und Rest der<br />

ehemaligen Wehranlage. Er ist 21 m hoch und 16 x 16 m<br />

im Geviert.<br />

An einem Kassenhäuschen vorbei dürfen wir in das<br />

Museumsareal hinein. Große Hitze lastet jetzt, 13.10 Uhr,<br />

auf den hellen Mauern, den Steinplatten, die die Wärme an<br />

die Umgebung zurückgeben. Zunächst versammelt uns unser Herdenführer und spricht.<br />

41<br />

Johanniterorden, Johanniter, Malteser-, Hospitaliter-, Rhodiser-Orden, geistlicher Ritterorden, entstanden<br />

aus einem um die Mitte des 11. Jahrhunderts von Kaufleuten aus Amalfi gestifteten Spital in Jerusalem zur<br />

Pilgerbetreuung und Krankenpflege. Gerard, vermutlich ein Provençale, rief einen 1113 von Papst Paschalis II.<br />

bestätigten Orden ins Leben.<br />

Unter Gerards Nachfolger Raimond de Puy (1118—1160) wandelte sich die Gemeinschaft in einen Ritterorden<br />

um, der von einem Großmeister geleitet wurde.<br />

Die Ritter trugen schwarze Mäntel mit weißem Kreuz. Ordenssitze waren <strong>nach</strong> dem Fall Jerusalems (1187) u. a.<br />

Akko, <strong>Zypern</strong> (19 Jahre) und Rhodos; seit 1522 bis 1798 lag der Hauptsitz auf Malta . Nach dem Verlust Maltas<br />

lebte der Orden, manchmal in geänderter Form, in einigen Ländern weiter und wurde im 19. Jahrhundert<br />

reorganisiert (neuer Sitz des Großmeisters: Rom). In Deutschland bestehen ein evangelischer Zweig des<br />

Johanniterordens (Preußischer Johanniterorden) und ein katholischer, Malteserorden genannt, der sich wie jener<br />

vornehmlich karitativen Zwecken widmet.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 98


Kolossi, Mühlenhaus der einstigen<br />

Zuckerrohrfabrik<br />

Im Schatten eines alten Baumes setzen wir uns<br />

wie die Hühner auf der Stange auf eine<br />

Steinkante. Dieser Baum ist riesig und etwas<br />

Besonderes. Er ist ein Schmetterlingsblütler, ein<br />

so genannter Machärionbaum. Er soll 160 Jahre<br />

alt sein und stammt aus Nordamerika. Er ist 27<br />

m hoch und trägt als Früchte scharfe Schoten<br />

(griech. Macherie = Messer). Antonio hält<br />

seinen Vortrag. Wir erfahren eine Menge über<br />

die Besonderheit dieses Mönchsordens, der die<br />

sehr weltliche Erzeugung von Zucker hier zu<br />

seinem Haupterwerb erkoren hat. Die Johanniter<br />

bauten in ihrer Großkommende 42 hier eine<br />

Zuckerrohrfabrik, deren Reste heute noch<br />

eindrucksvoll belegen, wie professionell und umfänglich produziert wurde.<br />

Neben einem Aquädukt, der das Wasser einer Mühle zuführte, die die notwendige Energie<br />

umwandelte bis zu den Hallenkomplex, der noch schöne Bögen aufweist, lässt sich das gut<br />

<strong>nach</strong>vollziehen.<br />

Ich habe <strong>nach</strong>gelesen und über die zyprische Zuckerrohrproduktion folgendes gefunden:<br />

Zucker auf <strong>Zypern</strong><br />

„Der Überfluß an Zuckerrohr und dessen Herrlichkeit in <strong>Zypern</strong> ist gar nicht zu<br />

beschreiben. Der Patrizier Frederico Cornaro aus Venedig hat bei Limassol ein<br />

großartiges Besitztum, Episkopi, wo man so viel Zucker macht, daß ich glaube, die<br />

ganze Welt müßte daran genug haben. Der beste geht <strong>nach</strong> Venedig und man verkauft<br />

davon alle Jahre mehr. In dieser Gegend, sollte man glauben, könne niemand sterben,<br />

so reizend ist es zu sehen. wie man den feinen und den weniger feinen Zucker<br />

macht, und wie die Leute, fast 400.sind es, an der Arbeit sind. Geräte haben sie so<br />

vielerlei, daß ich in einer anderen Welt zu sein glaubte, und Kochkessel von einer<br />

Größe, daß es niemand für wahr halten wird, wenn ich sie beschreibe."<br />

Aus der Feder des italienischen Jerusalem-<br />

Pilgers Pietro Casola stammt diese<br />

überschwängliche Schilderung eines Besuches<br />

im Zentrum der zyprischen Zuckerindustrie<br />

Ende des 15. Jahrhunderts. Nahezu jeder<br />

<strong>Reise</strong>nde, der sich zwischen dem ausgehenden<br />

13. und der zweiten Hälfte des 16.<br />

Jahrhunderts auf der Insel umsah, äußerte sich<br />

ähnlich bewundernd über Ausmaß und<br />

Qualität der dortigen Zuckerproduktion.<br />

Arabische Kolonisten machten das Zuckerrohr<br />

schon um 700 auf <strong>Zypern</strong> heimisch, <strong>nach</strong>dem<br />

die kostbare Pflanze aus ihrer Heimat im<br />

Melanesischen Archipel über das untere<br />

Indus-Tal, den Persischen Golf und das<br />

Zweistromland bis an die syrische<br />

Mittelmeerküste vorgedrungen war.<br />

Jahrhundertelang nur von lokaler Bedeutung,<br />

nahm die zyprische Zuckerproduktion einen<br />

stürmischen Aufschwung, als in der Kunst der<br />

Zuckerherstellung bewanderte "fränkische"<br />

Flüchtlinge <strong>nach</strong> dem Verlust ihrer Güter im<br />

Kolossi, Wohnturm der alten Johanniterburg<br />

42<br />

Kommende, [die; lateinisch], Verwaltungseinheit beim Johanniterorden und beim Deutschen Orden.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 99


Heiligen Land 1291 <strong>nach</strong> <strong>Zypern</strong> hineinströmten und hier erfolgreich ihr altes Gewerbe<br />

fortsetzten.<br />

Blick auf Kolossi<br />

Auch der kämpferische Johanniter-Orden war vor der Wucht der muslimischen Offensive auf<br />

die Insel ausgewichen und baute sich in seiner Großkommende Kolossi nahe Limassol ein<br />

Zuckerimperium auf, das zur technologisch führenden und ertragreichsten<br />

Zuckerproduktionsstätte <strong>Zypern</strong>s wurde. In ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, im Gebiet von<br />

Episkopi, besaßen die venezianischen Cornaros, eine einflussreiche Familie international<br />

tätiger Bankiers und Kaufleute, ausgedehnte Zuckerrohrplantagen. Eine weitere bedeutende<br />

Anbauzone für das süße Rohr war die Küstenebene nördlich und südöstlich von Paphos, wo<br />

sich die Plantagen und Raffinerien der königlichen Lusignan- Familie konzentrierten - so in<br />

Lemba, Achelia und Kouklia. Andere Anbaugebiete der Lusignans lagen bei Lefke, Morphou<br />

(türk. Güzelyurt)) und Akanthou (türk. Tatlisu) nahe der Nordküste. Auch die Johanniter<br />

besaßen im Norden Plantagen, so in Lapithos (türk. Lapta) wie auch in Morphou.<br />

Das Zuckerrohr konnte als Sommerfrucht gezogen<br />

werden, da sein hoher Wasserbedarf zu Füßen des<br />

Troodos-Gebirges und der<br />

Pentadaktylos/Resparmak- Bergkette gesichert war<br />

- beste Voraussetzungen also, um eine blühende,<br />

exportorientierte Zuckerindustrie entstehen zu<br />

lassen. Das von den Plantagen herbeigeschaffte<br />

Zuckerrohr wurde zunächst in Stücke geschnitten<br />

und dann einem zweistufigen Mahlprozess<br />

zugeführt: ein gewaltiger Mühlstein, der - so in<br />

Kouklia - einen Durchmesser von 2,60 m und eine<br />

Dicke von 0,53 m erreichen konnte, wurde von<br />

Tieren bewegt und zermalmte das Rohr. Dann<br />

presste man in einem zweiten Arbeitsgang unter<br />

Einsatz einer feiner regulierbaren Wassermühle den<br />

im Rohr verbliebenen Saft aus. Ein großvolumiger<br />

Bottich fing den Saft auf, der darauf durch Stoff<br />

gefiltert und in großen Kupferkesseln gekocht<br />

wurde, was bis zu drei Mal zu wiederholen war, uni<br />

Zucker bester Qualität zu erhalten.<br />

Kolossi, Gotische Bogenarchitektur des<br />

Mühlenhauses der Rohrzuckerfabrik<br />

Der <strong>nach</strong> jedem Umkochen heller werdende und eindickende Sirup wurde schließlich in<br />

konisch zulaufende Keramikformen mit einem Loch im Boden abgefüllt. Sie saßen auf<br />

Auffangbehältern, in die Reste des Sirups tropften, während sich im oberen Gefäß die<br />

Zuckerkristalle absetzten, durchtrockneten und härteten und durch die konische Form ihres<br />

Gefäßes in die typische Zuckerhutform gebracht wurden. 1445 übernahm das venezianische<br />

Handelshaus Martini die Vermarktung des Zuckers der königlichen Domänen Kouklia und<br />

Achelia, und im gleichen Jahr kaufte es auch erstmals die Produktion der Johanniter-<br />

Kommende zu Kolossi auf. Das strenge Preisdiktat und festgelegte Abnahmequoten seitens des<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 100


Aufkäufers bereiteten den Produzenten zwar gelegentlich Ungemach, auf der anderen Seite<br />

waren sie das Problem der Vermarktung in Europa los.<br />

Der Historiker Etienne de Lusignan berichtete 1573 in seinem in Bologna erschienenen Werk<br />

„Chorograffia et breve historia universale dell'isola di Cipro…“ von alarmierenden<br />

Entwicklungen: „Die Insel erzeugt ziemlich viel Zucker auf den Gütern zu Lapithos, Achelia,<br />

Ktima, Chrysochou, Episkopi und Kolossi; an anderen Orten war dies auch der Fall, aber<br />

weil man mehr Gewinn mit weniger Auslagen bei der Baumwolle findet, wird jetzt nur mehr<br />

weniger Zucker erzeugt (…) Die Baumwolle gibt den besten Ertrag auf <strong>Zypern</strong>, weshalb sie<br />

viel die Goldpflanze nennen.“<br />

Was der Historiker Lusignan hier nüchtern konstatiert, waren die unübersehbaren Vorboten<br />

des dramatischen Niedergangs der zyprischen Zuckerrohrkultur. In den wenigen Jahrzehnten<br />

zwischen 1570 und 1600 kollabierte dieser einst blühende Wirtschaftszweig. Entscheidend für<br />

den Zusammenbruch war die wachsende Konkurrenz der klimatisch begünstigten und<br />

effizienter bewirtschafteten Plantagen der neuen europäischen Kolonien auf den<br />

westafrikanischen Inseln und in Lateinamerika. Um 1540 importierte Venedig nur noch einen<br />

kleinen 'Teil seines Bedarfs aus den ostmediterranen Erzeugergebieten. Eine weitaus größere<br />

Menge bezog es aus<br />

Madeira via Lissabon als Zucchero di Medera. 1420 hatten die Portugiesen erstmals aus<br />

Sizilien eingeführte Zuckerrohrschösslinge (auch Weinstöcke aus <strong>Zypern</strong>!) auf Madeira<br />

angepflanzt und, durch den Erfolg ermutigt, auch auf den Kapverdischcn Inseln, den Azoren<br />

und Sao Tomé. Billigzucker aus Madeira war schon um 1500 in Westeuropa ein fester<br />

Begriff. Sebastian Münster notierte <strong>nach</strong> älteren Quellen in seiner<br />

"Cosmographey oder Beschreibung aller Länder Herrschaften…“"(hier in der Ausgabe Basel,<br />

1592):„ Es hat auch der König von Portugal lassen Zuckerrohr pflantzen in diese Insel / und<br />

das wechßt mit Hauffen / und bringt järlichen groß Gut. Solcher Zucker ist auch so<br />

geschmackt /dass er obertrifft den so in Sicilia und Cypro wechßt.“<br />

Als schließlich brasilianischer Zucker weit<br />

unter dem Preis der Erzeuger am<br />

Mittelmeer ab 1530/40 auf den<br />

europäischen Markt drängte beschleunigte<br />

dies den Niedergang der Zuckerindustrien<br />

von <strong>Zypern</strong> über Sizilien bis Andalusien.<br />

Kolossi, Wohnturm, 2. Stock,<br />

Aufenthaltsraum mit Kamin<br />

Wir stiegen auf den Turm hinauf. Man<br />

gelangt über eine Zugbrücke gleich ins<br />

erste Obergeschoss. Unten sind die<br />

Lagerräume und Zisternen. Es gibt zwei<br />

Säle mit Kamin. Auch im zweiten Stock<br />

finden sich Kamine mit dem Wappen des<br />

Stifters Louis de Magnac. Von der<br />

Dachterrasse aus konnten wir weit ins Land<br />

sehen, in der dunstigen Ferne das Meer.<br />

Es gibt eine süße Weinsorte, den Commendaria, der noch an die Kommende der Johanniter<br />

erinnert. Leider habe ich ihn verpasst.<br />

XXIII. Kourion<br />

A<br />

uf ging es in Eile, <strong>nach</strong> nur 40 Minuten, zur nächsten Station, den Ausgrabungsstätten<br />

von Kourion. Nach nur wenigen Kilometern erreichten wir das Dorf Episkopi. Ein<br />

großes Schild wies uns von der Hauptstraße weg <strong>nach</strong> links. Dann versperrte eine<br />

Schildwache den Weg. Ein Wärterhäuschen auch hier. Kurze Verständigung, dann fahren wir<br />

ein. Rechts erheben sich Mauern, antike Mauern. Kourion ist ein Riesenkomplex, für den man<br />

mehr als einen Tag braucht, um alles zu studieren. Wir machten unseren Rundgang auf<br />

Japanisch. Klick und weiter. Wir halten vor dem Haus des Eustólius, eines reichen Römers.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 101


Hölzerne Laufgänge, erhöht über den ausgegrabenen Mauernabschnitten angebracht, zwingen<br />

den Besucher zur Disziplin, nicht zwischen den Steinen, den herrlichen Mosaiken<br />

herumzulaufen und die Zeugnisse der Vergangenheit zu vernichten. Ich kenne Zustände in der<br />

Türkei, wo jährlich Hunderttausende über die Gräberfelder walzen, rücksichtslos über die<br />

Artifakte turnen, ihre dummen Sprüche und Initialen in die Steine ritzen und anderen Unfug<br />

treiben. Die Achtung vor der Vergangenheit beginnt mit der Achtung vor dem Alter. Wenn<br />

ich unsere Gesellschaft betrachte:<br />

Wo ist diese Achtung geblieben?<br />

Ein erstes sehr gut erhaltenes<br />

Mosaik zeigt die Göttin Ktisis, eine<br />

weibliche Personifizierung des<br />

schöpferischen Geistes, mit dem<br />

Messstab in der Hand, die genau<br />

einem römischen Fuß entspricht,<br />

einem Grundmaß des Bauwesens.<br />

Nach Berichten des römischen<br />

Historikers Ammanius Marcellinus Ausgrabungen in Kourion: Theater und Haus des Eustólios<br />

erlitt die Stadt Kourion in den frühen Morgenstunden des<br />

21. Juli 365 n. Chr. ein Erdbeben, das die Stadt<br />

vollständig zerstörte und die meisten Menschen im Schlaf<br />

überraschte. Bei Ausgrabungen 1934 und 1984 – 1987<br />

entdeckte man die Reste eines Wohnhauses und Skelette<br />

seiner einstigen Bewohner.<br />

Nimmt man das Datum und blickt in die Geschichte, so<br />

sind also schon nicht mehr die Römer die Herrscher über<br />

<strong>Zypern</strong>. Nach dem Konzil von Nikäa im Jahre 325 gehört<br />

<strong>Zypern</strong> zum Oströmischen Reich, als Byzanz bekannt.<br />

Das Christentum wird Staatsreligion. Kaiserin Helena<br />

besucht <strong>Zypern</strong>. Doch in diesem 4. Jahrhundert zerstören<br />

Erdbeben die großen Städte <strong>Zypern</strong>s völlig.<br />

Haus des Eustólios, Ktisis, Mosaik<br />

Das ausgegrabene Haus des Eustólios ist zum großen Teil überdacht. Man hat bei den<br />

Grabungen die Skelette einer Familie gefunden, die sicher vom Erdbeben beim Einsturz des<br />

Hauses überrascht wurde. Der Mann hat sich in rührender Weise<br />

über die Körper seiner Frau und seines Kleinkindes geworfen,<br />

um sie vor den herabfallenden Steinen zu schützen. Der Mann<br />

war um die 25, die Frau 19 und das Kind höchstens eineinhalb<br />

Jahre alt. Eine Tragödie vor 1640 Jahren. Man nennt sie „Romeo<br />

und Julia von Kourion“. Wenn ich das noch weitergeben darf,<br />

was ich im Baedeker las: „Im be<strong>nach</strong>barten Stall lagen die<br />

Skelette eines 13jährigen Mädchens und eines Esels. Die<br />

Untersuchungen ergaben, dass das Mädchen schon vor dem<br />

Erdbeben tot war. Vermutlich war der Esel vor Ausbruch des<br />

Bebens unruhig geworden. Das Mädchen wollte <strong>nach</strong> ihm<br />

schauen und wurde von Hufschlägen des sich aufbäumenden<br />

Tieres getroffen, bevor dann der Stall über ihnen<br />

zusammenstürzte. Der Esel war noch mit einer Eisenkette an<br />

einem 360 kg schweren Futtertrog aus Kalkstein angekettet. Die<br />

beiden Halfterringe, einer aus Eisen, einer aus Bronze, waren an<br />

seinem Maul.“<br />

Die Geschichte der Menschheit ist immer eine Geschichte von<br />

Skelette einer Kleinfamilie<br />

Museum Episkopi<br />

Foto Baedeker<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 102<br />

Katastrophen gewesen. Die haften im Gedächtnis an die<br />

Altvorderen. In ihr spielen auch die Religionen eine große Rolle.


So fanden wir christliche Symbole wie den Fisch als Mosaik. Er erinnert an die<br />

neutestamentliche „Speisung der 5000“ am See Genezareth.<br />

Die Mauern des Eustólios- Hauses stoßen direkt an die Außenwand des Amphitheaters, das im<br />

grellen Sonnenlicht liegt. Trotz Hitze steigt uns Antonio voran, einen der fünf Gänge hinab.<br />

Das Amphitheater<br />

Wir nehmen auf den harten Steinstufen Platz und<br />

empfinden es <strong>nach</strong>, wie es wohl gewesen sein<br />

musste: Mehrere Tausend Menschen versammeln<br />

sich, vielleicht in der Dämmerung eines warmen<br />

Tages. Erwartungsvolles Gemurmel. Dann zeigen<br />

sich vorn auf der Skene, das ist ein hoher Aufbau,<br />

der heutigen Bühne ähnlich, der bis in die Höhe der<br />

letzten Sitzreihen reichte, die ersten Protagonisten.<br />

Beifall rauscht auf. Über der Skene versinkt das<br />

noch blaue Meer langsam im Schatten des Abends.<br />

Fackeln sind angezündet. Ein Chor tritt auf. Man<br />

spielt die jahrhundertealte Tragödie „König<br />

Amphitheater von Kourion<br />

Ödipus“ von Sophokles. Es wird still im Rund.<br />

Der Wind ist nur noch eine schwache Brise und weht vom Meer, trägt den Gesang hinauf bis in<br />

die letzten Ränge. Da<strong>nach</strong> treten die ersten Mimen auf. Alle Schauspieler sind Männer. Frauen<br />

dürfen nicht auf die Bühne. Die Schauspieler tragen Masken. Mit ihnen lassen sich Gute und<br />

Böse trennen. Männer tragen dunkle Masken, „Frauen“ weiße, so kann man auch die<br />

Geschlechter erkennen. Wieder marschiert ein Chor von links, die Feinde. Ein weiterer Chor,<br />

von rechts kommend, signalisiert den Zuschauern freunde. Sie singen gegeneinander.<br />

Einzelauftritte: Huldigung, Verrat, Brudermord. Der König der Feinde wird Sieger.<br />

Schlusschor. Pfiffe ertönen, Geschrei von den Rängen. Das Stück fiel durch. Da wurde kein<br />

Unterschied gemacht, ob die Handlung schlecht geknüpft war, ob die Mimen versagten, die<br />

Verse unverständlich waren. Das Publikum entschied. Das Stück wird nie mehr gespielt<br />

werden.<br />

Nun sitze ich hier und träume in der gleißenden Sonne.<br />

Im Nahen Osten habe ich schon manche Theater gesehen, in Bosra und Palmyra (Syrien),<br />

Byblos (Libanon), Amman, Petra und Jerasa (Jordanien), Pergamon und Ephesus (Türkei).<br />

Alle haben mich fasziniert, haben meine Phantasie auf den Plan gerufen. Die Schauspielkunst<br />

ist wie gespielte Musik. Worte und Gesang klingen auf, verwehen, erreichen die Sinne der<br />

Menschen, aber versinken mit deren Erinnerung im Staub der Vergangenheit. Erst heute fand<br />

man mit Film und Elektronik Mittel, Theater zu konservieren. Aber was weiß man noch von<br />

den Anfängen? Nichts. Wenig. Viel zu wenig. Natürlich ist einiges überliefert.<br />

Die großen Zeiten der klassischen hellenischen Theaterkunst haben sich gewandelt. Vielleicht<br />

haben religiöse Themen auf der Bühne die mythologischen abgelöst. Nur wenig an Schriftgut<br />

ist auf uns gekommen. Erhalten haben sich bis heute einige griechische Stücke des Aischylos 43<br />

(Sieben gegen Theben, Die Perser) und eben von Sophokles 44 (Elektra, Ödipus auf Kolonos).<br />

Ich träume weiter.<br />

Die alten Griechen haben die Theaterkunst entwickelt. Wann sie genau ihren Anfang nahm<br />

oder mit welchem Ereignis, das kann heute niemand schlüssig sagen. Aus der hellenischen<br />

43<br />

Aischylos, der älteste der großen griechischen Tragödiendichter, * 525/524 v. Chr. Eleusis, † 456/455 v. Chr.<br />

Gela, Sizilien; kämpfte in den Perserkriegen mit, Liebling der Athener (oftmaliger Sieger im Wettkampf der<br />

Tragiker). Von den über 70 dem Titel <strong>nach</strong> bekannten Stücken sind 7 ganz, von dreien größere Bruchstücke<br />

erhalten; sie zeigen in kühner, bilderreicher Sprache die Gerechtigkeit der göttlichen Weltordnung: „Orestie“<br />

(Trilogie), „Der gefesselte Prometheus“, „Die Perser“, „Sieben gegen Theben“, „Die Schutzflehenden“.<br />

44<br />

Sophokles, griechischer Tragödiendichter in Athen, * um 496 v. Chr., † um 406 v. Chr.; Schauspieler,<br />

wiederholt in hohen Staatsämtern (Schatzmeister, Stratege). Die attische Tragödie entwickelte Sophokles durch<br />

Einführung des 3. Schauspielers, Vergrößerung des Chors und Lösung des Einzelstücks aus dem Zusammenhang<br />

der Trilogie über seinen Vorgänger Aischylos hinaus. Von über 100 Stücken sind 7 vollständig erhalten, deren<br />

Größe in der Charaktergestaltung liegt: „Aias“; „Antigone“; „Elektra“; „Ödipus Tyrannos“; „Trachinierinnen“;<br />

„Philoktet“; „Ödipus auf Kolonos“; dazu kamen durch Papyrusfunde rund 400 Verse des Satyrspiels „Ichneutai“.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 103


Kultur des Ackerbaues war es zunächst dieser Kult an die Fruchtbarkeit der Erde, dem man<br />

huldigte. Bekannt ist der Dionysos- Kult, der <strong>nach</strong> dem Mythos den Griechen den Weinbau<br />

brachte. Das war etwa in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts vor Christus. Umzüge, auf<br />

denen der Gott Dionysos mitgeführt wurde, sind erste theatralische Vorstellungen, Dionysien<br />

wurden gefeiert, Feste zu seinen Ehren. Auch der Demeterkult wurde zum Grund für<br />

Aufführungen. Die Demeter als Urmutter der Natur war verantwortlich für den Wechsel der<br />

Jahreszeiten, siehe das Schicksal der Persephone! Gesänge und Totenrituale mögen eine<br />

Vorstufe für die späteren Tragödien gewesen sein. Die von Mund zu Mund weitergegebenen<br />

Geschichten der olympischen Götterfamilie, die immer mehr im Volksmund zu einem<br />

schlüssigen Komplex von Symbolfiguren für alle konkreten und abstrakten Lebensformen<br />

wurden, speisten die Phantasie der frühen Dichter, die diese Geschichten in künstlerische<br />

Verse gossen. Das athenische Dionysostheater am Südhang der Akropolis, das schon im 5.<br />

Jahrhundert v.u.Z. bestanden hatte, nahm zum Beispiel 17 000 Zuschauer auf. Das im<br />

arkadischen Megalopolis aus dem 4. Jh. v.u.Z. hatte sogar Platz für 44 000 Zuschauer.<br />

Brot und Spiele, war die Devise der Römer. Zu den Spielen zählte auch das Theater.<br />

Also Theater gab es schon vielleicht vier-,<br />

Antikes Theater von Kourion.<br />

fünfhundert Jahre, als in Kourion diese Stätte gebaut<br />

wurde. Auf eine kleine hellenische Spielstätte aus<br />

dem 2. Jh. vor bauten die Stadtkönige von Episkopi<br />

und Kourion im 2. Jh. <strong>nach</strong> der Zeitenwende ein<br />

größeres Theater, das die heutigen Abmessungen hat.<br />

Meine Gedanken gingen mit mir durch, als ich so auf<br />

den harten Stufen saß und die Sonne auf mich<br />

hernieder brannte. Was hat sich hier nicht alles<br />

abgespielt, im wahrsten Sinne des Wortes! Ich setze<br />

bewusst ein Ausrufezeichen. Zweitausend Jahre<br />

Freilichtbühne.<br />

Wir gehen weiter. Jetzt erst erlebe ich die Ausdehnung des archäologischen Grabungsgeländes.<br />

Bis zum antiken Stadion zieht es sich auf etwa 1,5 km hin. Der erste Eindruck für mich war ein<br />

unübersichtliches Feld von Mauern, Säulen, Bögen, Straßen und Plätzen, das sich bestimmt<br />

nicht in einer halben Stunde dem Besucher erschließt. Die Besichtigung einer solchen Anlage<br />

geht immer einher mit der Voraussetzung, dass man zumindest etwas Bescheid weiß über die<br />

Zeit, in der in diesen Mauern Leben herrschte. Was also war hier los?<br />

Lassen wir alles beiseite, was vor den großen Erdbeben im 4. Jahrhundert geschah. Viele<br />

Städte und auch Basiliken werden da<strong>nach</strong> neu gebaut. Beginnen wir in der byzantinischen Zeit.<br />

Die Kirche auf <strong>Zypern</strong> erhält im 5. Jahrhundert n. Chr. volle Autonomie. Der Erzbischof darf<br />

einen Purpurmantel und anstelle des Hirtenstabes ein Zepter tragen. Das geschah mit Erlass des<br />

Kaisers Zeno <strong>nach</strong> der Auffindung des Grabes des Heiligen Barnabas 45 .<br />

647 wird <strong>Zypern</strong> von den Arabern unter Muawiya überfallen.<br />

Und noch drei Jahrhunderte da<strong>nach</strong> ist <strong>Zypern</strong> immer wieder<br />

den Einfällen von Arabern und Piraten ausgesetzt, bis<br />

Nikophoros Phokas sie endlich 965 aus Kleinasien und<br />

<strong>Zypern</strong> vertreibt. Dann ist für zweihundert Jahre relative<br />

Ruhe. Stadtkönige regieren die Menschen auf der Insel, die<br />

Bischöfe deren Seelen. Bis die Kreuzritter um 1190 kommen.<br />

Doch diese Geschichten habe ich bereits erzählt.<br />

Ein bedeutender Komplex ist die Episkopal- Basilika aus<br />

dem 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Sie ist eines der<br />

wichtigsten frühchristlichen Zeugnisse auf <strong>Zypern</strong>.<br />

45<br />

Barnabas, zeitweise Mitarbeiter des Apostels Paulus, vertrat mit ihm<br />

die Belange der nichtjüdischen Christengemeinden auf dem sog.<br />

Apostelkonzil (Apostelgeschichte des Lukas 4,36 f., 15,1 ff.; Brief des<br />

Paulus an die Galather 2,1 ff.); Heiliger; Fest: 11. 6.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 104<br />

Kourion, Frühchristliche Basilika


Sie war 55 m lang und, dreischiffig, 37 m breit, mit einer halbrunden Apsis. Im Osten befand<br />

sich ein Portikus oder Narthex, durch den man in die Kirche gelangte.<br />

Ein Baldachin, getragen von vier Säulen, deren<br />

Fundamente man noch sieht, überspannte den<br />

Altar. Im Westen der Basilika schließt sich ein<br />

Atrium an, daneben eine weitere Kapelle, das<br />

Haus des Diakons, der Bischofspalast und die<br />

Taufanlage (Baptisterium) mit Kapelle und<br />

Kruzifixwand.<br />

Kourion, Reste der frühchristlichen Basilika<br />

Während des zweiten arabischen Einfalles im<br />

Jahre 654 wurde die Anlage zerstört. Sie wurde<br />

wieder in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts<br />

noch für eine Zeitlang genutzt und begann<br />

da<strong>nach</strong> im späten 7. und frühen 8. Jh. zu<br />

verfallen.<br />

Auf dem großen Gelände finden sich die Reste einer<br />

griechischen Agora wie die auch eines römischen<br />

Forums, entstanden vor 365 v.u.Z. Säulen<br />

dokumentieren die Grenzen wie auch Händlerhäuser<br />

und Ladenstraßen. Eine Patrizierfamilie hat ein<br />

Atriumhaus gebaut, in dem ein sehr schön erhaltenes<br />

Mosaik den Kampf eines Gladiatoren (ΛΥΤΡΑΣ,<br />

Lytras = Kämpfer) gegen einen Gegner darstellt, von<br />

dem nur noch wenig zu sehen ist. Aber die Gestalt des<br />

Schiedsrichters (ΔΑΡΕΙΟΣ, Darios = Schiedsrichter) ist<br />

wunderbar zu sehen. Er hebt die Hand, versucht den<br />

Kourion, Haus des Gladiators, Mosaik<br />

Kämpfer zu beruhigen, entscheidet – oder zählt?<br />

Die Ruinen sind wegen des Mosaiks mit Zeltkonstruktion und Holz überdacht. Es ist das Haus<br />

des Gladiators. Leider blendet die Sonne stark und lässt dem Fotografen keine Chance.<br />

Antonio führt uns noch bis zum Achilles- Mosaik. Ein<br />

Schutzdach, ein Laufsteg als Umgang. Die Leute der<br />

Gruppe drängen sich um die besten Fotopositionen.<br />

Antonios Erklärungen verwehen im Wind. Ich muss mich<br />

selbst orientieren. Es ist ein Gebäude auch aus dem 4.<br />

Jahrhundert <strong>nach</strong> Christus. Der Hof wird an zwei Seiten<br />

von zimmern und dem Portikus mit dem stark<br />

beschädigten Achilles- Mosaik begrenzt. Diese liegt voll<br />

in der Sonne. Keine Möglichkeit für ein gutes Bild. Kein<br />

Der Gladiator Margaritis kämpft gegen<br />

den „Griechen“ (Ellinikos)<br />

Kontrast.<br />

Aber es erzählt eine schöne Geschichte aus der<br />

Mythologie:<br />

Achilles wird von seiner Mutter Thetis in das Haus des Königs Lykomedes von Skyros<br />

geschickt, um dort als Mädchen verkleidet mit den Töchtern des Königs aufzuwachsen. Thetis<br />

wollte verhindern, dass er nicht im Kampf um Troja teilnimmt und dort stirbt, wie es ihm<br />

bestimmt war. Doch Odysseus braucht Achilles, da ohne ihn Troja nicht zu besiegen war und<br />

wählt eine List. Er kommt mit Geschenken beladen, unter denen sich auch Waffen befinden, an<br />

den Hof des Königs von Skyros, nimmt ein Kriegshorn und bläst wie von ungefähr zum<br />

Kampf. Da greift Achilles zu den Waffen und verrät sich damit. Diese Szene ist auf dem<br />

Mosaik dargestellt. Der Kampf um Troja ist schon im 5. Jahrhundert eine berühmte und allseits<br />

bekannte Legende.<br />

Langsam begeben wir uns auf den Rückweg durch das Ruinengelände, das mit einigem<br />

Aufwand noch besser restauriert und seine ursprünglichen Lebensfunktionen noch mehr<br />

sichtbar gemacht werden könnte. Wir gehen über das römische Forum, die Agora, den Markt.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 105


Ein wunderbarer Blick öffnet sich noch einmal, er geht hinaus aufs blaue Meer, auf die Bucht<br />

von Episkopis. Die tief stehende Oktobersonne lässt die Säulenstümpfe und hier und da einsam<br />

aufragende Palmen lange Schatten werfen.<br />

Bestellte Felder und grüne Haine,<br />

Felshänge, die in der Ferne immer steiler<br />

ins Meer fallen und das blaue Wasser,<br />

wo sich am dunstigen Horizont Himmel<br />

und Flut vereinen, gestalten zusammen<br />

mit der Ruhe, die dieser jetzt einsame<br />

Ort aussendet, einen eigenartigen Reiz.<br />

Dann werde ich angetrieben. Die<br />

anderen von der Gruppe sind schon weit<br />

vorn. Die Herde folgt unaufhaltsam<br />

ihrem Führer. Sie kommt mit kargem<br />

Futter aus, nippt nur hier und da vom<br />

Hingereichten und ist damit zufrieden.<br />

Warum nicht.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 106<br />

Blick von der Ruinenstätte Kourion zur Bucht von Episkopis<br />

XXIV. Aphrodite<br />

Weiter ging die Fahrt <strong>nach</strong> Westen auf der Küstenautobahn. Britische Siedlungen<br />

tauchen auf. Wir erfahren, dass sich die Engländer hier durch Verträge auf alle Zeit<br />

eingenistet haben. Das Gebiet gehört noch zu dem Akrotiri- SBA, dem Sovereign<br />

Base Area der Halbinsel Akrotiri. Die Engländer haben sich völlig autarke Siedlungen<br />

gebaut, mit Kirchen, Einkaufseinrichtungen, Sportstätten, Krankenstationen und allen urbanen<br />

Möglichkeiten. Sie leben wie auf einer Insel auf der Insel eine eigenständige Stadt im Staate,<br />

eine Diaspora, sie schwärmen natürlich aus und nehmen sich alle Rechte, die die Insel- Zyprer<br />

auch haben, für den freien Zugang im Land und leben wie die Drohnen im Bienestock, ohne<br />

den Zyprern zu nutzen.<br />

Doch ehe wir auf die Autobahn auffahren, sehen wir noch die Umrisse des großen antiken<br />

Stadions, das 1 km westlich der Ausgrabungen liegt. Es wurde vom 2. bis zum 5. Jahrhundert<br />

von Kourion genutzt, um militärische Siege oder religiöse Feste zu feiern. Es ist bald 200 m<br />

lang. Auch auf die Reste eines Apollon- Tempels verweist Antonio und zeigt in die Richtung,<br />

wo sie liegen. Es ist ein weiteres Halb- Tagesprogramm, wollte man dort alles besichtigen. Ein<br />

Rundheiligtum aus der Zeit 6. Jahrhundert vor Chr. und ein archaischer Steinaltar aus dem 7.<br />

Jh. v.u.Z. sind die ältesten Relikte.<br />

Wir halten an einem touristischen Rummelplatz rechts der großen Hauptstraße. Hunderte<br />

parkende Autos, Verkaufsbuden, lärmende Menschen. Wir steigen aus. Ein Tunnel unter der<br />

Straße führt zum Strand zum Felsen der Aphrodite, wo der Sage <strong>nach</strong> diese Göttin der Liebe,<br />

Erotik und Fruchtbarkeit geboren und in Schaum gebadet dem Meere entstiegen sein soll.<br />

Dieser Felsen ist Pilgerstätte für alle <strong>Zypern</strong>besucher. Vor allem mit den wechselnden<br />

Lichtverhältnissen ist er immer wieder lockendes und lohnendes Foto- Objekt.<br />

Wir stapfen und waten über grobkiesigen Strand, an dem sich wabernde Tangschwaden im<br />

Takt der kleinen Wellen reiben, die das bewegte warme Wasser hin und zurück treibt. Ich eile<br />

schnell ans Wasser hin, stolpere über das bisweilen faustgroße Geröll und suche nun den<br />

Aphrodite- Felsen, aufgeregt, nun auch hier zu sein, kann ihn aber nicht so recht ausmachen, da<br />

vor dem Strand noch andere, mehr oder weniger große Felsengruppen oder einzelne Felsen<br />

stehen, an denen sich die Wellen brechen. Jeder kann es sein. Da sehe ich ihn, den Felsen der<br />

Aphrodite. Manchmal spricht die Literatur auch in der Mehrzahl von den Felsen der Aphrodite.<br />

Keiner weiß es genau, wo es nun passiert ist. An diesem Gestade soll sie sich vollzogen haben,<br />

die sagenumwobene Geburt der Aphrodite, wie sie in der griechischen Mythologie heißt oder<br />

der Venus, wie die Römer sie nannten, die Göttin der Liebe, der Schaumgeborenen.


APHRODITE, die Göttin der Schönheit und der Liebe<br />

Griechische Mythen scheinen oft ungeheuer grausam und spiegeln unbeschönigt die Abgründe<br />

und Turbulenzen des menschlichen Daseins in Gestalt der olympischen Götter und Heroen.<br />

Und so liest sich auch der Geburtsmythos der schaumgeborenen Liebesgöttin Aphrodite, Teil<br />

einer urzeitlichen Schöpfungsgeschichte, wie eine atemberaubend grausige Familientragödie.<br />

Schuld war, so scheint es, der Himmelsgott und Unhold-Vater Uranos, der mit Gaia, der Erde,<br />

allnächtlich Kinder zeugte. Doch weil er seine Nachkommen hasste, verbarg er sie in einer<br />

dunklen Höhle und ließ sie nie ans Licht. Gaia zürnte dem Gatten, verschaffte sich eine riesige<br />

Sichel und wandte sich an ihre Söhne, den Vater zu bestrafen. Kronos war es dann, der die Tat<br />

ausführte: Er entmannte Uranos, als dieser sich gerade wieder einmal mit Gaia vereinen wollte,<br />

und warf die abgeschnittene Männlichkeit ins Meer, wo sie lange hin und her getrieben wurde.<br />

Weißer Schaum, Aphros, bildete sich um sie aus der unsterblichen Haut. Ein Mädchen<br />

entsprang und wuchs groß darin.<br />

Und wie so oft- das Schreckliche war des Schönen Anfang: Auf <strong>Zypern</strong>, wo die nackte<br />

Aphrodite dem Meer entstieg, wurde sie dann von den Horen bekleidet und bekränzt und<br />

geschmückt und bei den Göttern eingeführt. Alle küssten sie und wünschten sie zur Frau in<br />

ständiger Ehe.<br />

Der Glückliche aber sollte erstaunlicherweise Hephaistos sein, Gott der Schmiede und der<br />

Hässlichste im Olymp. Kein Wunder, dass die schöne Aphrodite diesem Mann, der seine<br />

Werkstatt in einem Vulkan selten verließ, bald den schmucken Kriegsgott Ares als ihren<br />

Liebhaber vorzog ...<br />

Aphrodite, die Tochter des Zeus und der Dione, war die Göttin der Liebe und der Schönheit.<br />

Der hinkende und hässliche Schmiedegott Hephaistos war ihr Gemahl, doch gehörte ihre Liebe<br />

dem Kriegsgott Ares. Diese Aufsehen erregende Affäre trieb den Gatten zu rasender<br />

Eifersucht. Daher wob er ein Zaubernetz, mit dem nur Hephaistos umzugehen verstand. So<br />

fing er die Gattin und ihren Liebhaber, als sie gemeinsam das Ehebett entehrten. Anschließend<br />

gab er sie dem Gelächter der Götter preis, die Hephaistos eigens zusammengerufen hatte. Aus<br />

dem Verhältnis zwischen Aphrodite und Ares gingen mehrere Kinder hervor, so Eros und<br />

Anteros (die griechischen Begriffe für ,Lieben’ und ,Geliebt werden’), Phobos und Deimos<br />

(„Furcht“ und „Schrecken“), Harmonia, die spätere Gemahlin des Königs von Theben,<br />

Kadmos, sowie zuletzt Priapos, der Gott der Gärten. Unter ihren irdischen Liebhabern nahm<br />

der edle trojanische Held Anchises einen wichtigen Platz ein. Aus dieser Verbindung wurde<br />

Aineas geboren, dessen Geschlecht der spätere Gründer von Rom angehören sollte. Die Rolle,<br />

die Aphrodite im Trojanischen Krieg spielte, war keineswegs nebensächlich und beschränkte<br />

sich mit Sicherheit nicht auf ihre folgenschwere Liebesgeschichte mit Anchises. In gewisser<br />

Hinsicht war es gerade die Schönheit der Göttin, die den Krieg auslöste. Und das kam so:<br />

Am Tag der Hochzeit zwischen Peleos und Thetis, den künftigen Eltern des großen Helden<br />

Achilles, warf Eris (die Zwietracht) den Göttinnen Hera, Athena und Aphrodite einen Apfel zu,<br />

welcher der Schönsten unter ihnen zugedacht war. Zeus wünschte, dass der junge Prinz Paris<br />

aus Troja die Siegerin bestimmen sollte. So erschienen alle drei Göttinnen bei ihm in Troas.<br />

Eine jede rühmte ihre eigene Schönheit und bot Paris verlockende Gaben an. Hera versprach<br />

dem jungen Prinzen die Herrschaft über ganz Asia, Athena Unbesiegbarkeit im Krieg, doch<br />

Aphrodite übertraf ihre Rivalinnen, denn sie versprach ihm die Hand Helenas, der schönsten<br />

Frau der Welt. So gewann die Göttin den Preis der Schönheit, und wegen Helena entbrannte<br />

dann der berühmte Trojanische Krieg. Im Verlauf der Kriegsereignisse nahm Aphrodite stets<br />

für Troja Partei, und obwohl sie den Untergang der Stadt nicht verhindern konnte, gelang es ihr<br />

doch, das trojanische Geschlecht überleben zu lassen.<br />

Aphrodite (Αφρoδιτη) steht in der griechischen Mythologie neben der Liebe und der<br />

Schönheit auch für die sinnliche Begierde. Ursprünglich zuständig für das Wachsen und<br />

Entstehen, wurde sie erst später zur Liebesgöttin, die sich in allen polytheistischen Religionen<br />

findet: In der römischen Mythologie entspricht ihr Venus, in der ägyptischen Hathor, und in<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 107


der germanischen Mythologie Freya. Auch die anderen frühen Völker haben sie benannt und<br />

verehrt:<br />

• nordisch – Frigg<br />

• babylonisch – Ishtar<br />

• sumerisch – Inanna<br />

• phönizisch, syrisch, westsemitisch – Astarte<br />

• assyrisch – Mylitta<br />

• persisch – Mitra<br />

• arabisch – Alilat<br />

• armenisch – Anaitis<br />

• skytisch – Argimpasa<br />

• etruskisch – Turan<br />

Nach Hesiod 46 ist sie die Tochter des Uranos, dem sein Sohn Kronos die Geschlechtsteile<br />

abschnitt und ins Meer warf. Der Samen vermischte sich mit dem Meer, schäumte auf und<br />

daraus entstand Aphrodite, die dann in <strong>Zypern</strong> an Land ging. Dieser Mythos, dem sie auch den<br />

Beinamen "die Schaumgeborene" verdankt, wurde aus dem Wortstamm αφρος (aphros)<br />

(Schaum) konstruiert. Man geht heute aber davon aus, dass diese Verbindung etymologisch<br />

unhaltbar und der Name Aphrodite möglicherweise gar nicht griechischen, sondern<br />

orientalischen Ursprungs ist.<br />

Allerdings gibt es auch andere Mythen über die Abstammung der Göttin: Nach Homer ist sie<br />

eine Tochter von Zeus und Dione, andere berichten wieder, sie sei in einer Muschel geboren,<br />

wie sie auch Botticelli darstellt. Eine weitere Quelle nennt sie gemeinsam mit den Erinnyen<br />

und den Moiren als Tochter des Kronos.<br />

Verheiratet war Aphrodite mit Hephaistos, dem<br />

Gott der Schmiede und des Feuers, den sie<br />

allerdings ständig mit Sterblichen und<br />

Unsterblichen betrog. So pflegte sie eine lange<br />

Beziehung zum Kriegsgott Ares, aus der Eros,<br />

Harmonia, Phobos, Deimos und Anteros<br />

entstanden. Einmal aber wurden die beiden<br />

Liebenden von Hephaistos in flagranti in einem<br />

Netz gefangen. Als er sie so den anderen Göttern<br />

präsentierte, erhoben diese das sprichwörtliche<br />

„homerische Gelächter“.<br />

Aphrodite wird aus einer Muschel geboren, die aus<br />

dem weißen Schaum der Meereswellen auftaucht.<br />

Terrakotta, 4. Jh. v. Chr., Athen,<br />

Archäologisches Nationalmuseum<br />

Aus ihrer Affäre mit dem Trojaner Anchises ging Aineas hervor, Held im Trojanischen Krieg,<br />

der dann zu den Stammvätern der Römer gehören sollte. Außerdem zeugte sie mit Dionysos<br />

den Priapos und mit Hermes den Hermaphroditos. Außerdem hatte sie eine Affäre mit dem<br />

schönen Adonis, der jedoch vom eifersüchtigen Ares in Form eines Keilers bei der Jagd getötet<br />

wurde.<br />

Mythen<br />

Der Sage <strong>nach</strong> soll Aphrodite den Trojanischen Krieg ausgelöst haben, indem sie dem Trojaner<br />

Paris dazu brachte, die schöne Helena zu rauben. Als der Krieg ausgebrochen war, unterstützte<br />

sie, gemeinsam mit Ares, Troja <strong>nach</strong> Kräften.<br />

Die Göttin wird oft in Verbindung zu Tauben und Sperlingen gebracht, aber auch die<br />

Schildkröte kann ihr Symbol sein. Besonders ist sie die Göttin der Blumen, Bäume und<br />

Früchte, besonders Myrte, Rose, Anemone, Zypresse, Linde und Apfel. Ihren<br />

unwiderstehlichen Liebreiz verdankte sie ihrem magischen Gürtel der Aphrodite, den sie auf<br />

Bitten sogar gelegentlich auslieh.<br />

Eines der Hauptzentren der Verehrung der Aphrodite war die Stadt Paphos auf <strong>Zypern</strong>.<br />

Deshalb ist ein weiterer Beiname der Göttin „die Paphische“ (Paphia) und Kupfer (griechisch<br />

kypros) ist das ihr heilige Metall. Später wurde der Aphroditetempel von Paphos in ein<br />

Heiligtum der Jungfrau Maria umgewandelt, wo die Muttergottes bis heute als Panhagia<br />

Aphroditessa verehrt wird.<br />

46<br />

Hesiod, griechisch Hesiodos, griechischer Epiker, um 700 v. Chr.; aus böotischem Bauerngeschlecht;<br />

verfasste als Anleitung für bäuerliches Arbeiten das Lehrgedicht „Werke und Tage“, in dem er zu Arbeit und<br />

Gerechtigkeit aufruft, und die „Theogonie“, die den Ursprung der Götter und die Weltentstehung darstellt.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 108


Ein anderes Heiligtum der Aphrodite gab es in Kleinasien in<br />

der Stadt Aphrodisias.<br />

Aspekte & Mehrgestaltigkeit<br />

Es scheint, dass der Ursprung ihrer Verehrung bereits in die<br />

Epoche zurückfällt, in welcher die Griechen noch mit den<br />

übrigen indogermanischen Völkern eine Einheit bildeten; denn<br />

wir finden bei der Mehrzahl dieser Völker eine ihr<br />

wesensverwandte Göttin. Aber diese ursprüngliche Gestalt ist<br />

auf den Inseln und dem Festland von Griechenland durch<br />

orientalische, besonders vorderasiatische und phönizische,<br />

Einflüsse stark verwischt worden.<br />

Vielfache Züge der semitischen Astarte (Aschera, griech.<br />

Aschtaroth) wurden in die Aphrodite hineingetragen. Wie diese<br />

wurde sie bewaffnet dargestellt. Als solche hieß sie Areia und<br />

wurde zur Geliebten des Ares, zu welchem sie auch schon<br />

insofern in Beziehung stand, als er Gott des Gewitters und<br />

somit auch der Befruchtung der Erde ist.<br />

Aphrodite, Manuskript des<br />

Später haben sich hauptsächlich drei Formen der Aphrodite Gregor Nazianzus , 12. Jh.<br />

herausgebildet, man kann auch sagen eine panhellenische Kloster Agios Panteleimon,<br />

dreifache „Große Mutter“.<br />

Athos<br />

In Homers Hymnos erscheint die Göttin als „Herrin der wilden Tiere“, die sich auf ihren Wink<br />

paaren. Besonders wurde jedoch die Göttin der Liebe <strong>nach</strong> zwei Aspekten unterschieden der<br />

„heiligen, himmlischen“ Aphrodite Urania und der „dem ganzen Volk gehörenden“ Göttin<br />

Pandemos. Man spricht auch in diesem Zusammenhang von einem Dualismus der Aphrodite.<br />

Platon interpretierte diese als eine homosexuelle und eine heterosexuelle.<br />

„Die heilige Liebe“ („sakral“):<br />

1. Urania (Venus caelestis), „Die Himmlische“, „Die Himmelsgöttin“ steht für „die reine,<br />

himmlische, edle Liebe“. Als Urania wurde sie zur Adoptivtochter des Zeus als des<br />

lichten Himmels und der Dione (Erdgöttin „Mutter des Universums“), der weiblichen<br />

Ergänzung desselben Aphrodite Dione gemacht und gern auf den lichten Höhen (akroi)<br />

der Berge verehrt, daher auch Akraia genannt. Als solcher dient ihr der Polos (oder<br />

Modius), ein runder, hoher, scheffelartiger Aufsatz, das Abbild des Himmelsgewölbes,<br />

und in gleicher Anschauung, die Schildkröte als Symbol.<br />

2. „Die irdische Liebe“ („profan“):Pandemos „die bei jeglichem Volk“, also auf Erden<br />

waltende, repräsentiert „die sinnliche, käufliche Liebe“. Platon beschreibt sie als die<br />

Göttin der „gemeinen Sittlichkeit“, andere Quellen sprechen davon, dass sie die<br />

Schutzherrin der Tempelprostitution gewesen sei. Aber auch der menschlichen<br />

Zeugung steht sie vor. Sie wurde auch die Göttin (Porne „die Kitzlerin“) der Hetären<br />

und Lustknaben, ähnlich wie im Mittelalter die büßende Magdalena die Schutzheilige<br />

der Dirnen war.<br />

3. Peitho „die Überredung“ steht sie für die „Überredungskünste eines erotisches<br />

Abenteuer“. Sie verkörperte somit die süßen Worte, die ein Liebender finden musste,<br />

um die Geliebte zum Sex zu überreden.<br />

4. „Beschützerin der Seefahrt“: Pontia, Thalassia (Venus marina), Anadyomene „Die aus<br />

dem Meer Auftauchende“, Limenia „Göttin des Meers und des Hafens“ (póntos bzw.<br />

thálassa). Als Pontia stand sie ursprünglich nur der Fruchtbarkeit der Tierwelt des<br />

Meers vor, wurde aber allmählich zur Meergöttin überhaupt, besonders zur Göttin der<br />

Meeresstille und glücklichen Meerfahrt Euploia (bei den Gnidiern) sowie der Häfen.<br />

So wurde Thalassa („die See“) ihre Mutter genannt und sie selbst oft mit Poseidon<br />

zusammen verehrt. Als einen der bemerkenswerten Tempel der Aphrodite Pontia wird<br />

der in der Stadt Hermione auf dem Peloponnes erwähnt.<br />

Eine ältere, prähellenische Manifestation der Aphrodite, welche nicht unbedingt im Einklang<br />

mit ihrer späteren Rolle als griechische Liebesgöttin steht, gehört neben einer erschaffenden zu<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 103


einer zerstörenden „Großen Göttin“. Sie wird auch als<br />

eine Form der Anpassung der dreifachen Göttin<br />

Moira(e) (Trinität) gedeutet.<br />

• „Die Bewaffnete, Zerstörende“:<br />

Androphonos „Die Männermordende“,<br />

repräsentiert einen Titel ihrer älteren<br />

Manifestation, der ihr als „Zerstörerin“ oder<br />

„Totengöttin“ verliehen wurde.<br />

• Skotia „Die Dunkle“<br />

• Epitymbidia die „Göttin der Gräber“ und<br />

Meiboea die „Bienenkönigin“, die ihre<br />

Liebhaber kastrierte und durch Aussaugen<br />

tötete.<br />

Weitere Beinamen, diesem Aspekt zugeordnet, sind:<br />

Hoplismene („die Bewaffnete“), Areia (von Ares „die<br />

Kriegerische“), Enoplios (Waffen Haltende), Anosia<br />

(Unheilige), Basilis (Königin), Eleemon (Gnädige),<br />

Xenia, Summakhia (Verbündete im Krieg).<br />

Die Stadt Paphos auf <strong>Zypern</strong> (Kypros), war eines der<br />

Hauptzentren der Verehrung der Aphrodite. Daher der<br />

weitere Beiname der Göttin Paphia „die Paphische“.<br />

Kupfer und Zypresse sind ihr heilig (griechisch<br />

kypros wird auch als Henna- Pflanze gedeutet).<br />

Später wurde der Aphroditetempel von Paphos in ein<br />

Heiligtum der Jungfrau Maria umgewandelt, wo die<br />

Muttergottes bis heute als Panhagia Aphroditessa<br />

verehrt wird…<br />

Genug des mythologischen<br />

Geschwafels. Wir wissen nun fast<br />

alles über meistgeliebte Göttin des<br />

Altertums. Ich rannte also an den<br />

Strand, weil ich bemerkte, dass die<br />

Mehrheit der Gruppe -<br />

wahrscheinlich wegen der Schuhe<br />

und des Kieses – nicht weiter<br />

heranging. Einer dieser Felsen<br />

musste es sein! Bald machte ich mir<br />

klar, dass man einen festen Ort<br />

überhaupt nicht festgelegt hat und<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 104<br />

Pan lauert der tugendhaften Aphrodite<br />

auf, die ihn mit einer Sandale zurückweist.<br />

Marmorne Skulpturengruppe,<br />

etwa 100 v. Chr. aus Delos<br />

Athen, Archäologisches Nationalmuseum<br />

wenn, dann kann man jeden anderen Felsen hier dagegen halten und behaupten, er wäre es<br />

gewesen, bei dem die Dame dem Wasser entstiegen ist. An dieser Küste soll es aber gewesen<br />

sein. Badegäste und Strandläufer streiften trotz des steinigen Ufers vorbei. Es war ein Wetter,<br />

wie es schöner zum Baden nicht sein kann. Das Wasser noch warm, die Luft nicht mehr so<br />

heiß. Ideal. Ich tauchte die Hand ins Wasser. Glasklar und sauber, mit leichtem Geruch <strong>nach</strong><br />

Tang, schwappten die kleinen Wellen des Mittelmeeres mir um die Füße. Trennung und<br />

zurück. Am Kiosk, wo einige ein Eis verzehrten, rang ich mich zum Kauf einer Aphrodite-<br />

Figur durch, bezahlte 12 € und freute mich mit Martina über das Andenken.<br />

Die Pause wurde beendet. Wir fuhren weiter. Unterwegs streiften wir erneut, leider nur in der<br />

Vorbeifahrt, ein Heiligtum, das mit Aphrodite zu tun hat. Das unscheinbare Dorf Koúklia war<br />

in der Antike Schauplatz der großen Aphrodisien, Feierlichkeiten zu Ehren der Göttin der<br />

Liebe, Erotik und Fruchtbarkeit. Dieses wichtige Heiligtum existierte schon in der Bronzezeit.<br />

Historisch belegt ist eine Siedlung seit dem 15, Jahrhundert v. Chr. Auch aus der Römerzeit ist<br />

wenig bis nichts erhalten geblieben.


Der Ort mit dem Aphrodite- Heiligtum hieß Paläa Paphos.<br />

Bis ins 4. Jh. n. Chr. blühte Paläa Paphos als Pilgerstätte. Aus<br />

aller Welt kamen sie, um in großer Prozession durch die<br />

heiligen Gärten zu den Feierlichkeiten zu ziehen. Die<br />

Mysterienfeiern dauerten mehrere Tage. Man badete zuerst im<br />

Meer <strong>nach</strong> vorgeschriebenem Ritus. In die Aphrodisien bezog<br />

man auch Adonis ein, den schönen Liebhaber der Aphrodite.<br />

Höhepunkt der Feiern war die Heilige Hochzeit. Da vereinigte<br />

sich der Priesterkönig mit der Göttin in Gestalt einer Priesterin.<br />

Den heiligen Stein salbte man mit Öl und brachte Aphrodite<br />

Opfer aus Weihrauch, Parfüms, Balsam und Honigplätzchen<br />

dar.<br />

Ein wichtiger Bestandteil der Aphrodisien war die so genannte<br />

Tempelprostitution, die Herodot 47 im 5. Jh. v. Chr.<br />

beschreibt. Jede Frau hatte sich vor ihrer Ehe in der Nähe des<br />

Tempelbezirks einem Fremden hinzugeben.<br />

„Hat sich eine Frau hier niedergelassen, dann darf sie nicht<br />

eher <strong>nach</strong> Hause zurückkehren, als bis ein Fremder ihr Geld in<br />

den Schoß geworfen und ihr außerhalb des Heiligtums<br />

beigewohnt hat.“ (Herodot 1,119)<br />

„Meine Aphrodite“<br />

Diese Sitte war wohl ein Initiationsritus für die Männer, während die Jungfräulichkeit der Frau<br />

eine Weihgabe für Aphrodite darstellte. Außerdem brachte sie dem Heiligtum wichtige<br />

Einnahmen. In römischer Zeit soll sich im heiligen Bezirk ein Orakel befunden haben.<br />

Verfolgten wurde hier Asyl gewährt.<br />

Im Mittelalter bauten die Lusignans und wahrscheinlich mit dem vorhandenen Steinmaterial<br />

über das Heiligtum eine Zuckerrohrfabrik.<br />

Unter augenzwinkerndem Schmunzeln- ein Schalk, wer Arges dabei denkt, schilderte Antonio<br />

diese heilige Prostitution, die allerdings mit Einführung des christlichen Glaubens langsam<br />

verschwand. Heute lebt sie wieder, aber ist nicht mehr heilig, sondern mit schmutzigem Geld<br />

verbunden.<br />

Wir sind gespannt auf Paphos, dann fahren wir auf breiter Straße durch die Stadt Paphos ins<br />

Hotel, das 7 km weiter draußen liegt. Plötzlich biegen wir <strong>nach</strong> links ab, fahren durch einen<br />

Bananenhain, wo die reifenden Fruchtstauden in blaue Plastiktüten eingepackt waren. Dann<br />

liegt es vor uns, das blaue Meer und wunderschön gelegen, erhebt sich das moderne<br />

Dreisterne- Hotel „Cynthiana“.<br />

Wir erhalten die Suite Nr. 405 mit Blick aufs Meer. Wir haben noch nie so komfortabel und<br />

schön gewohnt. Zwei Zimmer stehen zur Verfügung. Neben dem Schlafzimmer stehen im<br />

Wohnzimmer zwei Sofas und eine Couch, ein runder Tisch mit Rohrsesseln.<br />

Ein Balkon im Schlafzimmer erlaubt das Sitzen<br />

im Abendsonnenschein.<br />

Gegen 18.25 sinkt die Sonne hinter den Horizont<br />

und versinkt teils im Meer, teils hinter Palmen.<br />

Ich eile <strong>nach</strong> draußen und fotografiere die<br />

gepflegte Hotellandschaft und natürlich dann den<br />

Sonnenuntergang.<br />

Wir haben nun 5 volle Tage Zeit in oder besser in<br />

der Gegend von Paphos- im Traumhotel.<br />

47<br />

Herodot, griechisch Herodotos, griechischer Geschichtsschreiber, * um 485 v. Chr. Halikarnassos, Karien,<br />

† um 425 v. Chr. Thurioi, Unteritalien; unternahm ausgedehnte <strong>Reise</strong>n <strong>nach</strong> Persien, Ägypten, Babylonien, der<br />

Cyrenaica und an das Schwarze Meer. Das reiche historische und ethnographische Material verwendete er mit<br />

großer Erzählkunst in seinen 9 Büchern der Geschichte, darunter eine Beschreibung der Perserkriege bis 479.<br />

Das Streben <strong>nach</strong> historischer Wahrheit, <strong>nach</strong> Ordnung und Verarbeitung der Nachrichten macht ihn zum<br />

Begründer der kritischen Geschichtsschreibung.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 105


XXV. Pano Paphos<br />

Sonnabend, 7. Oktober 2006<br />

Wir haben heute wieder einen „Tag zur freien Verfügung“, meines Erachtens eine Neuerung<br />

bei Kultur- und Rundreisen. Auf Nachfrage beim <strong>Reise</strong>veranstalter hieß es, die <strong>Reise</strong>nden<br />

wollten es so. Ich nicht. Wir hatten heute die Aufgabe, den Tag sinnvoll zu nutzen. Während<br />

Martina aus Gesundheitsgründen das Baden meidet, erscheint es mir eine reine<br />

Zeitverschwendung, faul zwischen faulen Menschen auf einer Liege in der Sonne zu<br />

schmoren. Ich gehe gerne abends oder auch morgens schwimmen, bis die Luft knapp wird,<br />

erlebe das Wasser, tauche, pruste, wühle alle Schwimmarten durch. Dann wird es langweilig.<br />

Ich fühlte mich von der <strong>Reise</strong>leitung allein gelassen. Carina, die uninteressierte<br />

<strong>Reise</strong>begleiterin, verkrümelte sich. Nicht einmal ihre Zimmernummer wollte sie uns sagen.<br />

Ich hatte keine Lust auf Badeurlaub, obwohl ich gerne im Meer schwimme. Ich wollte ganz<br />

einfach nicht den Tag am Strand verbummeln. Ich wollte das Land kennen lernen. Deshalb<br />

bin ich hierher gekommen. Ich wollte die alte Kultur dieser Insel verstehen lernen, nicht mit<br />

genusssüchtigen Menschen im Wettbewerb um die modischen Freuden der Spaßgesellschaft<br />

treten.<br />

Von Antonio wussten wir, dass zwei Buslinien<br />

in die Stadt fahren, die 10 und die 15. Er hat uns<br />

auch auf den Markt in Pano Paphos, der<br />

Oberstadt von Paphos hingewiesen und dort<br />

eine Adresse genannt – ein Freund von ihm –<br />

wo wir preiswert essen gehen können.<br />

Wir laufen die etwa 1000 m zur Bushaltestelle,<br />

am Bananenhain vorbei, wo die reifenden<br />

Stauden hingen. Ähnlich wie in Ägypten<br />

wachsen hier die so genannten Kochbananen,<br />

die zwar süß aber kleiner sind als die uns<br />

geläufigen Sorten aus Südamerika.<br />

Ich denke, hier auf <strong>Zypern</strong>, wo das Wasser so knapp ist und die Luftfeuchte relativ gering, ist<br />

kein guter Platz für solcherart Obst. Es wird wohl vorwiegend zum Eigenverbrauch bestimmt<br />

sein.<br />

An der Hauptstraße hieß es aufpassen. Zur Haltestelle <strong>nach</strong> rechts in die Stadt mussten wir<br />

über die Straße hinweg- es ist Linksverkehr! Der Bus Nr. 10 rollte ein. 80 Cent zyprischen<br />

Geldes, also 1 Pfund 60 für beide, hatte ich bereits abgezählt und reichte es dem nervösen<br />

Fahrer. Die Fahrgäste waren vorwiegend Engländer, die sich ausnahmslos laut und vorlaut so<br />

aufführten, als wären sie noch die Herren im Lande. Viele Hotels am Meer beherbergen<br />

wahrscheinlich einheimische Engländer oder die auf <strong>Zypern</strong> angesiedelte. Ich hatte auch<br />

keine Lust zu fragen. Die 7 km bis in die Stadt kamen wir an vielen Hotels vorbei.<br />

Die Busfahrt währte etwa eine Dreiviertelstunde, mehr als 12 km, vorbei am Hafen und dann<br />

in einer großen Schleife bergwärts in die Oberstadt. Endstelle Agora. Marktplatz.<br />

Gegen 9.30 Uhr betraten wir das Gelände in der<br />

Oberstadt von Paphos, das einmal eine große<br />

Markthalle, zum anderen viele kleine Stände und<br />

Läden ihrer näheren Umgebung aufweist, so dass<br />

hier die Einheimischen, aber auch viele Touristen<br />

einkaufen. Entsprechend ist das Profil des<br />

Angebotes, Touristenkitsch und Waren des<br />

täglichen Bedarfes in herrlich bunter Mischung.<br />

Eine kleine verglaste Gemüsehalle steht separat. In<br />

ihr sitzen die Frauen und bieten ihre eigenen<br />

Erzeugnisse an, neben Obst und Gemüse auch<br />

Honig, Marmeladen, Nüsse und Näschereien, die<br />

Pano Paphos, Gemüsemarkthalle<br />

sie daraus gezaubert haben.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 112


Länger als eine Stunde schob und zwängte ich mich mit Martina durch die Massen, mehr ihr<br />

zuliebe. Heute ist Sonnabend, Wochenendeinkäufe sind vor allem für Frauen so etwas wie<br />

Panikkäufe, so als würde ab morgen Schluss sein mit dem Angebot.<br />

Ich muss nicht schildern, welch furchtbaren Kitsch manche Händler anboten und dem<br />

Besucher zumuteten. Aber ich konnte auch Kollektionen von allerfeinsten Gewürzen<br />

bewundern. Manches fein geformte Schachspiel hätte mir zugesagt- mir fehlt ein kompetenter<br />

Partner zu Hause und Platz, die Spiele aufzubewahren, sonst hätte ich eine Sammlung<br />

angelegt. Überhaupt Schachspielen. Wer pflegt es noch? Die Figuren sind den Göttersagen<br />

<strong>nach</strong>gestaltet, in Gussmetall, Holz oder Plastikmasse, aufregend schön. Bücherangebote fand<br />

ich nicht, außer einigen Prospektheften über die Insel. Dagegen Ansichtskarten en masse.<br />

Alles schien den Bedürfnissen der Frauen angepasst. Textilien jeder Art, vom Kunstpelz bis<br />

zum sparsamsten Bikini, Bademoden, Tücher, Spielzeug der Billigklasse, alles made in<br />

China. Ich fand kaum einheimische Erzeugnisse außer Stickereien aus Lefkara, und die waren<br />

entsprechend teuer. Ikonendrucke schienen als Andenken gut verkäuflich.<br />

Der Fischverkauf fand in einem besonders abgetrennten Gang statt. Es stank hier fürchterlich.<br />

Das Angebot war nicht üppig. Ich machte schnell, dass ich weiter kam.<br />

Nach der zweiten Runde durch das Labyrinth überzeugte ich Martina, dass es genug sei,<br />

wobei sie auch <strong>nach</strong> nichts Besonderem fahndete, sondern sich dem den meisten Frauen<br />

eigenen Genusse des Schauens und Probierens, des Vergleichens und Verwerfens, dem<br />

Aufgehen im Suchen und Aufspüren mit Eifer hingab. Vergrabene Wünsche brechen dann an<br />

die Oberfläche, bekommen Ableger. Ein Gedanke gebiert einen neuen. Farben locken, neue<br />

Moden. Die Augen wandern, die Finger hinterdrein, tasten, fühlen, probieren.<br />

Zum Beispiel bei der Oberbekleidung. Da muss ein Bügel gezogen werden, während die<br />

Augen schon das nächste Stück im Auge haben. „Darf ich mal anprobieren?“ Die Verkäuferin<br />

nickt, obwohl sie kein Deutsch versteht. Zu mir die Ansage: „Wartest du mal?“ Und<br />

verschwindet in einer Kabine. Kitzel des Unbekannten. Der Stoff duftet <strong>nach</strong> Parfüm, er greift<br />

sich weich, der Schnitt… „Ich mache schnell! Und der verblüffende, leise mir zugeflüsterte<br />

Zusatz: „Ich kaufe sowieso nichts!“ Wie beruhigend!<br />

Nun habe ich mindestens eine Viertelstunde Zeit, will mich gerade <strong>nach</strong> meinen Vorlieben<br />

umsehen, doch ich werde zurückgepfiffen: „Hältst du das mal!“ Der Vorhang schließt sich<br />

hinter Martina. Ich stehe, behangen mit Tasche und Rucksack etwas überflüssig davor und bin<br />

angenagelt. Hinter den Falten raschelt es. Die Garderobe wird hörbar abgeschält, die neue<br />

übergezogen. Minuten werden mir zu Ewigkeiten. Dann endlich fliegt der Vorhang zurück.<br />

Ich darf urteilen. Sie schaut mich an, erst fragend, dann verächtlich: „Du hast ja keine<br />

Ahnung!“, als sie mein mitleidiges Lächeln sieht. Trotzig dreht sie sich rum und wendet sich<br />

ihrem neuem Spiegelbild zu, dreht sich, spitzt den Mund, kämmt sich mit den gespreizten<br />

Fingern den Pony, dreht sich erneut, wechselt Stand- und Spielbein, betrachtet jetzt in<br />

Halbpirouette die Rückpartie, hört sich nun doch meinen Kommentar an. Ich bemäkele das<br />

Material. Wieder wird das am Spiegel überprüft, was ich Laie zu bedenken gebe. Sie würde es<br />

selbst bei Strafe nicht zugeben, falls ich Recht hätte, aber sie möchte mir ja auch gefallen! Ein<br />

Konflikt bricht aus.<br />

Ein Mann würde nun seine Entscheidung treffen. Entweder benötigt er das Teil und nimmt es,<br />

falls es passt, oder er lässt es. Ganz anders meine Martina. Jetzt geht es erst richtig los. Da<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 113


Farbe und Form nicht gleich einschlagen, aber irgendetwas an dem Teil seinen Reiz noch<br />

ausübt, muss ich nun die nächstkleinere oder nächstgrößere Größe aus dem Regal fischen,<br />

gewissenhaft zuarbeiten. Dabei bin ich immer noch Taschenträger. „Das kannst du wieder<br />

hinschaffen!“ Gibt mir zwei von den fünf Bügeln in die Hand. Ich bringe es wieder hin, hänge<br />

es ordentlich an seine Stelle, eile zur Kabine. „Das kannst du auch hinhängen. Bring mir noch<br />

einmal das erste!“ Das Prozedere beginnt von neuem. Und so weiter.<br />

Wir kauften schließlich etwas Honig aus heimischer Produktion. Martina ersteht für sich<br />

einen Halsring mit Simili- Gemme. Es ist heiß und staubig, viel Verkehr auf den Straßen<br />

Gott sei Dank verlassen wir den<br />

Markt. Ich weiß hier in Paphos<br />

nicht Bescheid. Ein Minarett ragt<br />

in den blauen Mittagshimmel.<br />

Ich steuere darauf zu. Die<br />

zugehörige Moschee steht<br />

unbenutzt. Außer Betrieb. Durch<br />

ein Fenster schaue ich hinein.<br />

Putz, Dreck, keine Teppiche,<br />

ausgeräumt. Leer. Gibt es keine<br />

Moslems in Paphos? Andere<br />

Minarette habe ich nicht gesehen.<br />

Hat man die Retourkarte gegen<br />

die türkischen Muslime gespielt?<br />

Was die Türken uns Griechen können, können wir ihnen auch? Ich bekam keine Antwort auf<br />

diese Fragen. Ein moslemischer Friedhof dicht bei der Moschee lag verwahrlost in der<br />

grellen Sonne. Dicht dabei träumte eine Autowerkstatt ihren Mittagsschlaf. Wir gingen<br />

zurück. Ich versuchte nun auf der anderen Straßenseite eine christliche Kirche zu finden, die<br />

als „Agios Kendeas Church“ auf meinem Stadtplan eingezeichnet war. Über mehrere<br />

Nebenstraßen erreichten wir sie. Spielende Kinder, paar Halbwüchsige, einige Frauen<br />

standen in den Hauseingängen. Die Kirche war geschlossen. Ein Zaun ringsum verhinderte<br />

erfolgreich ein Nähertreten.<br />

Wir beschlossen, zur Hauptstraße zurück zu<br />

gehen. Wir stiegen über Treppen hinunter. Das<br />

Tachydromeo, die Hauptpost, ist ein schönes<br />

Gebäude, im englischen Stil gebaut. Wir<br />

bummelten ein wenig durch die steil<br />

ansteigende Straße. Teure ausländische Marken<br />

haben sich hier angesiedelt und die<br />

einheimischen Kaufleute verdrängt. Autohäuser,<br />

Telefonanbieter, eigentlich alles kein Ambiente,<br />

das mein Interesse verdient. Ich folge Martina in<br />

ein exklusives Geschäft von ESPRIT, nur ihr zu<br />

Gefallen. Dabei spielt sich die oben<br />

beschriebene Zeremonie ab.<br />

Wir gehen zum Busplatz am Markt zurück. Jetzt sehe ich auch den empfohlenen „Freund“<br />

von Antonio, das „SOVOS -Restaurant- Café- Snackbar“. Viel Betrieb. Viele suchen jetzt ein<br />

preiswertes Mittagessen. Wir haben abends reichlich. Der Bus kommt. Wir fahren zurück<br />

und freuen uns über unsere Selbständigkeit.<br />

Am Nachmittag, als wir wieder in unserem „Beach- Hotel“ sind, nutze ich die Gelegenheit zu<br />

einem Bad im Meer. Das Hotel ist wunderbar angelegt. Es blockiert den Zugang zu einer<br />

Landspitze. Zu beiden Seiten der Bettenhäuser ist Wasser. Geschickt hat man die natürlichen<br />

Felsen genutzt und eine fast wellenfreie Nichtschwimmerzone, eine „Badewanne“<br />

geschaffen, in der sich die älteren und vorsichtigeren Leute schwimmen lassen. Wer ins Meer<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 114


ichtig hinein will, muss über einen Felsensteg gehen, der durch ein Seil gesichert ist und<br />

sich am Ende über eine Edelstahlleiter ins Wasser gleiten lassen.<br />

Das Schwimmen hinaus ins freie Wasser ist nicht ganz ungefährlich. Es gibt Untiefen<br />

beziehungsweise Felsbrocken unter der Oberfläche und entlang der Landzunge eine<br />

schäumende Brandung. Die Steine sind rissig und haben scharfe Kanten. In den Höhlungen<br />

lauern Seeigel. Ich bleibe im tiefen Wasser und schwimme rechts um die Klippe herum, auf<br />

deren ebenem Plateau Liegestühle und Sonnenschirme stehen und versuche, mich von außen<br />

in die „Badewanne“ zu lavieren. Ein im Wasser gespanntes Tau hilft mir dabei, Kollisionen<br />

mit den Felsen zu vermeiden, die die Brandung in Schüben versucht.<br />

Erste Bekanntschaft mit<br />

dem Meer. Das Wasser ist<br />

relativ warm, doch der<br />

Wind ist frisch. Ich lerne<br />

den Hotelbetrieb besser<br />

kennen. Wir genießen<br />

unsere Suite, trinken selbst<br />

gekochten Kaffe und essen<br />

Obst. Da es schon Oktober<br />

ist, sinkt die Sonne zeitig.<br />

Das nebenstehende Bild<br />

entstand 17.14 Uhr. Der<br />

Himmel färbte sich in allen<br />

Farben von hellem Rosa bis<br />

ins tiefe Purpur, die Palmen<br />

rauschten im aufbrisenden<br />

Abendwind. Es ist schön<br />

hier.<br />

Die Bucht, an der das Hotel gelegen ist, heißt auf Englisch Coral Bay, die Korallenbucht. Als<br />

Paphos 1962 für den Fremdenverkehr „entdeckt“ worden ist, als man beim Graben im Sand<br />

in der Nähe des alten Hafens römische Mosaiken fand, mag es vielleicht hier Korallen<br />

gegeben haben. Doch in den letzten fünfzig Jahren ist ein Touristenstrom wie ein eiserner<br />

Hobel über die damals nur von Fischern benutzte Küste hinweggefegt. Da ist von der<br />

ursprünglichen Natur nicht viel geblieben. Alles muss sich den Bedingungen des modernen<br />

Fremdenverkehrs unterordnen. Hotels werden aus dem Boden gestemmt. Beiderseits der<br />

Küstenstraße ziehen sich riesige Hotelkomplexe, sind neue Baustellen angelegt. Ob das die<br />

Natur verträgt, fragt keiner. Investruinen zeugen von Unternehmern, die sich übernommen<br />

haben. Ich möchte nicht im Hochsommer hier sein, um nichts in der Welt!<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 115


XXV. Sonntag Vormittag in Kato Paphos<br />

Sonntag, 8. Oktober 2006<br />

Heute ist der nächste freie Tag. Martina und ich<br />

haben entschieden, wieder <strong>nach</strong> Paphos hinein zu<br />

fahren, dieses Mal an den Hafen, <strong>nach</strong> Kato Paphos,<br />

die Unterstadt.<br />

Wenn ich <strong>nach</strong> dem Frühstück auf die Liegewiesen<br />

schaue, da haben sich Viele schon in Mallorca-<br />

Manier die schönsten Plätze reserviert, Handtücher<br />

auf die Liegen gelegt, kleine Festungen<br />

zusammengerückt, Schattenplätze erobert. Ich bin<br />

froh, da nicht mithalten zu müssen. Diesen Stress<br />

möchte ich mir nicht antun.<br />

Martina und ich nahmen also <strong>nach</strong> dem Frühstück<br />

Paphos, Coral Bay, Cynthiana Beach Hotel<br />

auf der Terrasse des Hotels.<br />

Während die meisten von unserer Gruppe sich auf den zahlreichen Liegen im Hotelbereich für<br />

einen langen langweiligen Tag einrichteten, rüsteten wir zum Alleingang zu den<br />

Sehenswürdigkeiten von Kato Paphos.<br />

Wir warteten wieder auf den Stadtbus, der im Pendelverkehr die ganze Korallenbucht entlang<br />

fährt und in der Hauptsache die Badegäste hin und her befördert, und fuhren mit ihm in die<br />

Stadt, bemüht, den Ausstieg am Hafen von Paphos nicht zu verpassen. Das Wetter machte dem<br />

Sonntag alle Ehre.<br />

Am Hafen bummelten wir den Kai entlang. Meine<br />

Blicke glitten über die zahlreichen Schiffe, Segler,<br />

Ausflugsboote, kleine Yachtkreuzer,<br />

Glasbodenboote. Martina wandte sich mehr den<br />

Keramiken und Auslagen der Händler auf der<br />

Landseite zu, die jetzt um diese Stunde gerade ihr<br />

Zeug auspackten. Die Gastronomen rückten<br />

Sonnenschirme und Stühle auf den Freisitzen<br />

zurecht. Mein Ziel war zunächst das alte<br />

Hafenkastell. Leider war es für Besucher noch nicht<br />

geöffnet.<br />

Ein buntes Gewimmel von freudigen Menschen zog uns an. Das müssen alles Engländer<br />

gewesen sein. Was ich mir zusammenreimte war, dass zu dieser frühen Vormittagsstunde ein<br />

kleines Bürgerfest veranstaltet wurde mit zwei Inhalten: Eine Tombola für das bevorstehende<br />

Weih<strong>nach</strong>tsfest und ein Wettbewerb um den schönsten Hund in verschiedenen Größenklassen.<br />

Wir liefen durch all die Hundeliebhaber mit ihren bellenden, an den Leinen ziehenden und sehr<br />

aufgeregten Vierbeinern hindurch bis zum Ende der Mole, hinter der sich die Reste der alten<br />

fränkischen Festung türmten, die <strong>nach</strong> der Eroberung der Insel durch die Venezianer um 1570<br />

geschleift. Ursprünglich wurde sie zum Schutz des Hafens von den Byzantinern errichtet. Das<br />

kann 1000 Jahre früher gewesen sein. So genau weiß das heute niemand mehr.<br />

Wir schauten ein Weilchen den Hunde- Vorführungen zu.<br />

Mit großem Ernst zogen magere Tiere an der Leine ihre<br />

fetten Frauchen oder winzige Hündchen ihre massiven<br />

Herrchen hinter sich her, machten auf Kommando artig<br />

halt, einer strengen Beobachtung einer aus bunt<br />

gekleideten Damen und Herren bestehenden Jury<br />

ausgesetzt. Eine Stuhlreihe begrenzte das Aktionsfeld.<br />

Als wir eintrafen, defilierten gerade die Möpse, Pekineser<br />

und andere Schleifchen- Hündchen.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 116


Die mittleren Größen warteten geduldig und teils<br />

gelangweilt schienen mir einige Superhunde,<br />

Neufundländer oder ähnliche. Mit dem Kroppzeug, das<br />

da gerade über die Steinplatten trippelte, konnten sie<br />

nichts anfangen, obwohl sie sicher alle aufregend<br />

rochen. Frauchen und Herrchen schwatzten<br />

miteinander. Man kannte sich. Ich vermute, die<br />

englische Kolonie von Paphos und Umgebung war<br />

ziemlich komplett versammelt. Ich hätte noch lange<br />

Stoff zum Sehen gehabt, doch wir hatten noch viel vor.<br />

Hafen Paphos, Reste der fränkischen Festung<br />

Es war mittlerweile <strong>nach</strong> 10 Uhr geworden. Das Kastell öffnete sein Burgtor für Besucher.<br />

Martina wollte nicht mit. Ich ließ es mir nicht nehmen, zumal von der Dachterrasse ein Blick<br />

auf Stadt und Hafen nicht zu verachten war. 1 Pfund Eintritt schmälerte wieder das<br />

Taschengeld. Das alles spart sich der <strong>Reise</strong>veranstalter. Ich bat Martina zu warten, was sie<br />

auch geduldig tat. Ich sprintete die engen Treppen hinauf, die mehrfach den Lauf wechselten<br />

und konnte nun auch von oben winken und sah den Hafen und das Meer von oben und die<br />

weite Fläche des archäologischen Grabungsfeldes und weit <strong>nach</strong> Norden in Richtung unseres<br />

Hotels. Dann hastete ich wieder herunter, versuchte noch einige touristenfreie Fotos zu<br />

schießen und erreichte über die Wehrgrabenbrücke wieder den Treffpunkt.<br />

Einige Geschichtsdaten brachte mir dieser Abstecher:<br />

Die Lusignans bauten die alte byzantinische Festung<br />

im 13. Jahrhundert aus, und <strong>nach</strong>dem die Venezianer<br />

sie 1570 zerstörten, wurde sie gleich <strong>nach</strong> der<br />

Eroberung durch die Osmanen 1589 – 1592 wieder<br />

aufgebaut mit dem Ziel, das Armeekommando<br />

aufzunehmen. Dies ist einer Inschrift über dem<br />

einzigen Zugang zu entnehmen. Das kleine Fort auf<br />

der antiken Mole im westlichen Teil des Hafens von<br />

Paphos war einst ein wichtiger Teil des<br />

Verteidigungssystems von <strong>Zypern</strong>.<br />

Die Türme waren zentrale Punkte im Venezianischen<br />

Paphos, Hafenkastell<br />

Verteidigungswall.<br />

Die Reste des Turmes, einverleibt in das Osmanische Bollwerk, gehörten damals zu zwei<br />

Türmen, die zu Zeiten der fränkischen Herrschaft <strong>nach</strong> dem zerstörerischen Erdbeben von<br />

1222 erbaut wurden. Die beiden Türme waren durch einen Zwischenwall miteinander<br />

verbunden.<br />

Als die Genueser 1373 das Fort eroberten, erhöhten sie die<br />

Mauern und gestalteten einen Wassergraben einfach durch<br />

Abschneiden eines Teiles der Mole, welche Zugang vom<br />

seeseitigen Turm zum Ufer bildete. Einer der beiden Türme<br />

verblieb als Ruine seit Ende des 15. Jahrhunderts, als es<br />

durch ein Erdbeben zerstört wurde.<br />

Kurz bevor die Osmanen 1570 einbrachen, zerstörten die<br />

Venezianer, was von den Türmen übrig war, mittels<br />

Pulverexplosion in Übereinstimmung mit ihrer<br />

Entscheidung, die Verteidigung der Insel nur von drei<br />

Städten aus zu führen: Famagusta, Lefkosia und Kyrenia.<br />

Was heute noch überlebt hat, ist die osmanische<br />

Restauration des westlichen fränkischen Turmes, seiner<br />

venezianischen Ergänzungen und die Steinreste des zweiten<br />

Turmes in der Entfernung von 50 m im Osten.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 117


Das Erdgeschoss besteht aus einer<br />

zentralen Halle mit kleinen Räumen an<br />

jeder der zwei langen Seiten, welche als<br />

Gefängniszellen während der<br />

osmanischen Okkupation genutzt<br />

wurden. Zwei kleine unterirdische<br />

Zellen waren für Langzeit- Gefangene<br />

bestimmt. Die kleine türkische Garnison<br />

lebte in den Räumen des oberen<br />

Geschosses und nutzte den zentralen<br />

Raum als Moschee. Auf dem Dach des<br />

Kastells gab es zwölf Zinnen oder<br />

Brustwehren, welche mit der gleichen<br />

Anzahl von Kanonen bestückt waren.<br />

Diese wurden 1878 von den Osmanen<br />

entfernt, als sie die Verwaltung der Insel<br />

an die Briten abgaben.<br />

Blick <strong>nach</strong> Osten vom Dach des Hafenkastells entlang der<br />

Mole auf die Reste des zweiten Turmes<br />

Ab 1878 wurde dann das Kastell von den Briten als Gefängnis verwendet und noch später als<br />

Salzlager. 1935 wurde es als geschichtliches Monument deklariert. Es wurde restauriert und ab<br />

1940 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.<br />

Ich eilte wieder zu meiner Martina, die ergeben und geduldig gewartet hatte, um nun endlich<br />

das eigentliche Ziel, den Archäologie- Park mit den weltberühmten Mosaiken anzusteuern.<br />

Wir empfanden es als großzügige Geste der Regierung, an Sonntagen den Eintritt frei zu<br />

halten. Das ist ein guter Beitrag zur Förderung der Kultur. Leider ist man in unserem<br />

geldgierigen Land weit davon entfernt, dem nicht so gut betuchten Volk wertvolle Kultur an<br />

bestimmten Tagen ohne Eintrittsgeld nahe zu bringen. Wir hatten also heute Glück: Eintritt<br />

frei. Jetzt am Vormittag waren noch wenige Leute im Areal. So konnten wir uns bequem und<br />

beinahe ungestört erst die Ruinen, dann die herrlichen Mosaike besichtigen.<br />

Der Park, in dem sich die Grabungen zu etwa einem Drittel der antiken Stadt Nea- Paphos<br />

befinden, ist archäologisch noch längst nicht völlig erschlossen. Vieles harrt noch auf<br />

Entdeckung und Hebung an das Licht der Sonne. Die Reste der Häuser weisen auf eine<br />

Nutzung der ausgegrabenen Siedlung in der Zeit zwischen dem 4. Jahrhundert vor bis zu den<br />

zerstörerischen Erdbeben im 4. Jahrhundert <strong>nach</strong> Christus.<br />

Die Grundrisse und mancherlei andere Funde lassen weitgehend genau auf die Nutzung und<br />

Aufteilung der Räume vieler Häuser und Anlagen schließen. Die Bodenmosaiken aber geben<br />

uns Aufschluss über den Zeitgeist und den kulturellen Hintergrund der damaligen Bewohner.<br />

Ich muss mich, wenn ich darauf eingehe, auch wieder mit der griechisch- römischen<br />

Mythologie beschäftigen.<br />

Erstes Ziel war das Haus des Theseus.<br />

Eigentlich steht kein Haus mehr. Es sind die<br />

Ruinenreste eines wahrscheinlichen Palastes<br />

des Statthalters, der die größte Abmessung<br />

aller hier gefundenen Häuser besitzt. Er<br />

beinhaltet mehr als 100 Räume mit insgesamt<br />

9500 m 2 Fläche. Die Villa des Theseus wurde<br />

von einer polnischen Archäologischen Gruppe<br />

ausgegraben. Ihr Bau begann im 2.<br />

Jahrhundert und unterlag mancherlei<br />

Veränderungen. Sie war bewohnt bis ins 7.<br />

Jahrhundert. Sie war der offizielle Sitz des<br />

Prokonsuls, des römischen Gouverneurs von<br />

<strong>Zypern</strong>.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 118<br />

Kato Paphos, Archäologie- Park, Haus des Theseus<br />

„Theseus im Kampf mit dem Minotaurus“


Die Sonne brannte grell und hell. Es war ungeheuer schwierig, unter diesen Umständen<br />

vernünftige Fotoaufnahmen von den Mosaiken im Freien zu bekommen.<br />

Wir wandten uns dem Haus des Aion (3. -5. Jh. u. Z.) zu, wobei der Bau nur eine schützende<br />

Umhausung, nicht die Rekonstruktion des ehemaligen Römerhauses sein soll. Auch dieses<br />

kleine Areal wurde von den polnischen Spezialisten freigelegt. Die unüberdeckten Räume<br />

schließen die Empfangshalle des Hauses ein, die auch noch außergewöhnliche geometrische<br />

und figürliche Mosaiken enthalten. Im überdachten Teil fanden wir gut erhaltene Mosaiken,<br />

allerdings auch mit großen Fehlflächen. Das zentrale Paneel des Hauptraumes ist in fünf<br />

kleinere Paneele aufgeteilt und stellt verschiedene mythologische Szenen dar.<br />

Oben links: Leda mit dem Schwan<br />

Oben rechts: Dreikönigsfest des<br />

Dionysos<br />

Mitte: Der Schönheitswettbewerb<br />

zwischen Kassiopeia und den Nereïden<br />

Unten rechts+links: die Bestrafung des<br />

Marsyas<br />

Im Zentrum der Komposition ist<br />

die Darstellung des Gottes Aion,<br />

leider fast ausgemerzt, die<br />

Personifikation der Zeit, dessen<br />

Namen man für das Haus gewählt<br />

hat.<br />

Die Mosaiken erzählen so schöne,<br />

interessante Geschichten und<br />

geben damit auch Einblick in den<br />

Glauben und die religiösen<br />

Ansichten der ersten Jahrhunderte<br />

unserer Zeit.<br />

Da ist zum Beispiel der<br />

Wettbewerb der Kassiopeia mit<br />

den Nereiden im Mittel- Mosaik.<br />

Nereiden (Nereïden, lat. Nerines) sind in der griechischen Mythologie eine Gruppe von<br />

Meeresnymphen. Sie sind Töchter des Nereus, dem Sohn der Gaia und des Pontos und der<br />

Doris, der Tochter des Okeanos. Nach der Mutter werden sie auch Doriden genannt.<br />

Die Nereiden sind Beschützerinnen der in Seenot Geratenen. In Begleitung des Poseidons<br />

erheitern sie oft die Seeleute mit ihrem Spiel. Oder sie begleiten die Amphitrite, selbst eine<br />

Nereide, wenn die in ihrem Muschelboot über die Wellen reist.<br />

Zu den Nereiden gehören beispielsweise Amphitrite, Deianira, Doris, Eione, Galatea oder<br />

Thetis. Es gibt verschiedene Quellen, die ihre Namen aufzählen. Alle fünfzig sind bei Hesiod<br />

genannt, Homer nennt ihrer 33, andere Darstellungen erwähnen 45 oder 49 Nereiden. Die<br />

Autoren weichen in den Namen voneinander ab, so dass die Gesamtzahl der Nereiden auf bis<br />

zu 100 veranschlagt wird.<br />

Das Bild erzählt den Kampf um einen Schönheitspreis. Hier ist der sagenhafte Hintergrund:<br />

Kassiopeia und Cepheus, der Herrscher über Äthiopien hatten zusammen eine Tochter namens<br />

Andromeda. Andromeda wuchs zu einem bildhübschen Mädchen heran und Kassiopeia fing an,<br />

mit ihr zu prahlen. Ihre Tochter sei die schönste überhaupt, auch schöner als die des<br />

Meeresgottes Nereus. Zutiefst gekränkt, beklagten sich die Nereiden bei Poseidon, welcher<br />

sich gebührend rächen sollte. Er schickte Cetus, dass Meeresungeheuer, heute bekannt als<br />

Walfisch. Der Walfisch überschwemmte alle Landpartien, an denen Völker des Cepheus lebten.<br />

Um aber sein Land zu retten, schickte Cepheus in allergrößter Not einen Abgesandten <strong>nach</strong><br />

Delphi zum Orakel. Die Antwort jedoch war erschreckend. Cepheus sollte seine einzige<br />

Tochter, die Andromeda, dem Walfisch als Opfer darbringen. Dies sei die einzige Möglichkeit,<br />

Äthiopien von dieser Plage zu befreien.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 119


Vom Volke gedrängt, entschloss sich Cepheus schweren Herzens, seine Tochter zu opfern, um<br />

sein Land zu retten. Andromeda wurde alsbald an die Klippen des Meeres gekettet, um Cetus<br />

als Fraß zu dienen. Es dauerte nicht lange, bis der Walfisch mit all seiner Kraft auf die<br />

Klippen zugeschossen kam. Doch in allerletzter Sekunde erschien Perseus. Vom Anblick der<br />

wunderschönen Andromeda beglückt, schoss er vom Himmel herab und bohrte ein Schwert tief<br />

in des Ungeheuers Rücken. Erst <strong>nach</strong> einem langen schrecklichen Kampf, konnte Perseus<br />

durch das Gorgonenhaupt, welches Cetus vor Schrecken zu Stein erstarren ließ, als Sieger aus<br />

dem Kampf hervorgehen.<br />

Schauen wir aufs mittlere Mosaik, rechter Teil: Da liegt die schöne Nymphe Thetis, eingebettet<br />

zwischen Doris (mit dem dunklen Schleier) und ihrem Mann Poseidon, der sie aus dem Meere<br />

hebt. Poseidon ist umgeben von Meeresungeheuern. Doris hat Thetis ins Rennen geschickt und<br />

eine zweite Tochter, deren Namen ich nicht so recht entziffern kann. Vater Pontos (rechts<br />

unten) hebt abwehrend und entsetzt die Hand. Der Preis ist wahrscheinlich gerade vergeben. Er<br />

und seine jüngeren (geflügelten) Töchter (eine davon ist Galatea) fliehen verärgert auf ihren<br />

Kentauren. Von oben, dem Olymp, schauen Zeus und Athena zu. Sie haben entschieden und<br />

zeigen beide einmütig <strong>nach</strong> links, wo im linken Teil des Mosaiks Kassiopeia schon bekränzt<br />

und als Schönste geehrt wird.<br />

Was für Geschichten!<br />

Das untere Mosaik ist die Bestrafung des Flötenspielers Marsyas, der den Gott Apollon –<br />

welche Ungeheuerlichkeit! – zum musikalischen Wettstreit herausgefordert hat. Natürlich<br />

verliert er gegen den Lyra spielenden Gott und erfährt eine unmenschliche Strafe. Moral: Man<br />

soll die Götter nicht herausfordern. Wie zeitlos!<br />

Der kleine Dionysos sitzt auf dem Schoß des Götterboten Hermes, dieser erkennbar an seinen<br />

Flügelchen an Kopf und Fußgelenken. Dionysos wird an seinen künftigen Beschützer, den<br />

sich behutsam nähernden Silenen 47 Haus des Aion, Mosaik oben rechts: Dreikönigsfest des Dionysos<br />

Tropheus und einige Nymphen übergeben, die gerade ein<br />

Bad für den Knaben einlassen. Den Segen scheinen die Götter Nektarios und Theogonia zu<br />

erteilen.<br />

Die Geschichte von Leda mit dem Schwan hat sich bis in die Gemälde der Neuzeit erhalten.<br />

Leda, die schöne Königin von Sparta. Zeus nähert sich ihr in Gestalt eines Schwanes, verführt<br />

sie und hat mit ihr die Kinder Kastor und Pollux sowie die schöne Helena.<br />

47<br />

Silenen sind zweibeinige Pferdemenschen<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 120


Wir wenden uns nun dem Haus des Dionysos zu, einem lang gestreckten, architektonisch gut<br />

gelösten Schutzpavillon, der weitere Mosaiken von unschätzbarem Wert schützt und im Stil<br />

einer römischen Villa, wie sie im 2./3. Jahrhundert n. Chr. üblich war, 1997 errichtet worden<br />

ist. Das Haus gehörte einem namentlich unbekannten, sicher aber reichen Mann und<br />

überdeckte einst 2000 m 2 , wovon über 550 m 2 mit Mosaiken bedeckt sind.<br />

Gleich am Eingang werden wir rechts und links von Mosaiken begrüßt. Das linke Skylla-<br />

Mosaik ist das älteste überhaupt. Es besteht nur aus schwarz-weißen Steinchen und stammt<br />

vielleicht noch von dem griechischen Vorbesitzer, von dem man in einem Kellerraum rund<br />

2500 Tetradrachmen aus der Zeit von 204 bis 88 vor unserer Zeitrechnung gefunden hat. Die<br />

genauen Zahlen sind das Geheimnis der Numismatiker.<br />

Das rechte Mosaik behandelt in neun<br />

Feldern das Thema der Vier Jahreszeiten.<br />

Allegorische Tierfiguren schmücken die<br />

zwischen den Eckfeldern mit den Köpfen<br />

der jeweiligen Götter. Im Zentrum schaut<br />

wahrscheinlich Gott Apollon zu uns<br />

herauf.<br />

Eine Begrüßungsformel „Sei gegrüßt –<br />

Auch du“ ist in zwei schmalen Feldern<br />

eingearbeitet und deutet auf einen Raum Haus des Dionysos, Mosaik „Vier Jahreszeiten“<br />

hin, der als Eingang zu dem Hause diente.<br />

Das Haus war bis auf eine Gruppe französischer Touristen, die von einer dicken Frau in<br />

elegantem langem Kleid angeführt wurde, leer. So konnten wir in Ruhe alles betrachten, ohne<br />

allerdings Erklärungen zu hören. Ich verschaffte mit im Nachhinein den Ein- und Überblick<br />

und erfuhr auch noch einiges von Antonio, der mit uns am nächsten Tage dieselbe Tour, wenn<br />

auch sehr gekürzt unternahm. Ich war froh, dass ich heute in aller Gelassenheit meine<br />

Ruhepunkte setzen konnte.<br />

Rund um das Atrium verläuft eine<br />

Säulenhalle, deren Fußboden mit<br />

Mosaik- Geschichten gepflastert war.<br />

Die erste ist die von Thisbe und<br />

Pyramos. Die Eltern des jungen<br />

Liebespaares waren gegen eine<br />

Verbindung der beiden. Daher trafen<br />

sie sich heimlich im Walde. Als<br />

Thisbe eines Tages als erste am<br />

Treffpunkt erschien, floh sie vor<br />

einem Panther, der gesättigt, mit<br />

Thisbe und Pyramos<br />

blutverschmiertem Maul dort lag.<br />

Als Pyramos darauf erschien und den Panther mit Thisbes Tuch im Maul da liegen sah, stürzte<br />

er sich vor Kummer in sein Schwert, in dem Glauben, Thisbe sei von dem wilden Tier<br />

zerrissen worden. Thisbe folgte ihm in den Tod.<br />

Es ist eine klassische Variante des Schicksals<br />

von Romeo und Julia, allerdings viel<br />

prosaischer <strong>nach</strong>zulesen bei Gustav Schwab.<br />

Ein weiteres Bild schöner Liebe zeigt ein<br />

Mosaik, das die ebenfalls tragische Geschichte<br />

von Phaidra erzählt, die sich in ihren Stiefsohn<br />

Hippolytos verliebt.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 121<br />

Poseidon rettet Amymone


Liest man die Sage von Phaidra und<br />

Hippolytos in aller Ausführlichkeit,<br />

wird erst dann klar, welche Tragödie<br />

sich zwischen den beiden und vor<br />

allem auch für den Vater Theseus<br />

abgespielt hat.<br />

Sie sei hier nur kurz angedeutet:<br />

Theseus, König von Athen, verlor in<br />

der Schlacht gegen die Amazonen<br />

seine geliebte Antiope, die ihm einen<br />

Sohn Hippolytos geboren hatte.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 122<br />

Phaidra verliebt sich in ihren Stiefsohn Hippolytos<br />

Theseus nahm sich als zweite Frau Phaidra, eine jüngere Schwester der Ariadne, die Geliebte<br />

seiner Jugend, bedachte aber nicht, dass er selbst schon im vorgerückten Alter war.<br />

Hippolytos wuchs nun, vom Vater zur Erziehung aufs Land gegeben, zu einem schönen<br />

Jüngling heran, blieb aber kalt für Schönheit und Liebe und schweifte stattdessen an der Seite<br />

der schönen Göttin Artemis durch Feld und Wald um zu jagen. Das erzürnte die verliebte und<br />

abgewiesene Aphrodite, die Göttin der Liebe, und sie beschloss, ihn mit einer unreinen Liebe<br />

zu verderben.<br />

Anlässlich der eleusinischen Mysterienspiele sah Phaidra das erste Mal ihren schönen<br />

Stiefsohn, der ihr wie ein verjüngtes Ebenbild ihrer Jugendliebe erschien und verliebte sich<br />

unsterblich in ihn. Sie behielt ihre Neigung in ihrem Busen, schämte sich ihrer Aufwallung. Die<br />

Flammen ihres Herzens gingen in der Nähe des schönen Hippolytos zu unlöschbarem Brande<br />

an. Sie quälte und verzehrte sich, blass und krank und wollte, mit verwirrtem Sinn, endlich<br />

sterben. Einer alten, treu ergebenen Amme gelang es, ihr Geheimnis zu entlocken. Ohne dass<br />

Phaidra es wusste, verriet jene Hippolytos deren unkeusche Liebe und bat ihn, dass er den<br />

Wünschen und der Leidenschaft seiner Stiefmutter Erhörung schenke.<br />

Mit Abscheu und Entsetzen hörte Hippolytos von dem Antrag, er fluchte dem Frevel dieses<br />

pflichtvergessenen Weibes. Sobald Phaidra von seiner Reaktion hörte, schämte sie sich,<br />

verzweifelte und beschloss zu sterben. Sie will durch den Tod ihre Schmach am Ehemann und<br />

bittere Liebesschuld an Hippolytos abbüßen. Dieser sollte aber mit ihr sterben. Er sollte ihr<br />

Los teilen und nicht hochmütig auf sie herabschauen. Sie erhängte sich in ihrem Gemache.<br />

Vorher aber hatte sie noch auf ein Tontäfelchen, das sie sorgsam versiegelte, aufgeschrieben,<br />

dass ihr Hippolytos mit Gewalt <strong>nach</strong> der Ehre getrachtet und sie nur durch den Tod der<br />

Schmach habe entgehen können.<br />

Theseus kam von Delphi zurück, fand die<br />

Tote, das Täfelchen und glaubte die<br />

verdrehte Darstellung seiner abtrünnigen<br />

Frau. Er tobte vor Zorn, fluchte und<br />

verfluchte seinen Sohn, indem er seinen<br />

Vater Poseidon bat, ihn zu vernichten.<br />

Hippolytos kam vor Theseus, erklärte bei<br />

Zeus und Artemis heiliger Zeugenschaft<br />

seine Unschuld, doch nichts half, er wurde<br />

Phaidra liebt Hippolytos<br />

verstoßen.<br />

Bald auch ereilte ihn das göttliche Schicksal. Er kam beim Lenken seines Wagengespannes<br />

unter die Räder und starb, dem Vater Theseus vorher nochmals seine Unschuld beteuernd. Erst<br />

als Artemis ihm die Wahrheit offenbarte, wie sich Phaidra mit diesem lügnerischen Brief der<br />

Beschuldigung arger Tat entziehen wollte, erkannte dieser sein voreiliges Tun, und der Reiz<br />

seines Lebens war dahin.<br />

Theseus begrub in tiefem Schmerz die Leiche des Sohnes unter dem Myrtenbaum, unter dem<br />

Phaidra, die Gequälte, immer gesessen hatte, auch sie fand darunter ihren Platz im Tode, der<br />

ihr im Leben nie vergönnt war.


Für Hippolytos aber wurde jährlich ein Fest veranstaltet. Er wurde fortan als Halbgott<br />

verehrt. Die Bräute weihen dem keuschen Jüngling, dem Liebling der Artemis, den die<br />

verschmähte Aphrodite in den Tod gestürzt, unter kummervollen Tränen ihr Lockenhaar und<br />

beklagen ihn in holden Gesängen. (gekürzt <strong>nach</strong> H.W.Stoll, „Sagen des klassischen Altertums“)<br />

Im so genannten Tablinum, als Empfangshalle oder Speisesaal genutzt, befinden sich die<br />

Mosaiken, die dem Weingott Dionysos gewidmet sind.<br />

Ein Mosaik stellt die ersten Weintrinker dar. Dionysos genießt die Gastfreundschaft des<br />

attischen Königs Ikarios und bringt ihm als Gegengeschenk die Kunst des Weinbaus und der<br />

Weinherstellung bei. Doch diese Geschichte geht auch tragisch aus.<br />

Dionysos und Akme beim Weintrinken. Ikarios führt Weintrauben heran. Hirten betrinken sich.<br />

Ikarios ist glücklich über die neu erlernte Kunst, gibt zwei Hirten von dem Getränk zum<br />

Kosten. Sie trinken von dem Wein und denken, von ihm berauscht, sie würden vergiftet.<br />

Daraufhin erschlagen sie den Ikarios.<br />

Man vergisst, dass diese herrlichen Kunstwerke beinahe 1800 Jahre alt sind.<br />

Da ist eine große Fläche mit wirklich kunstvollen Geometriemustern, da sind ganze Friese mit<br />

Tieren und Jagdszenen, ein Pfauenmosaik. Eine letzte Geschichte noch:<br />

Wieder wird eine tragische weil<br />

unerfüllte Liebe dargestellt. Apollon ist<br />

in Liebe zur Nymphe Daphne entflammt.<br />

Sie flieht vor dem sie verfolgenden<br />

Apollon zu ihrem Vater, dem Flussgott<br />

Peneios. Zeus erbarmt sich ihrer und<br />

verwandelt sie in einen Lorbeerstrauch,<br />

der bis heute auf Griechisch ihren<br />

Namen trägt. Auf dem Mosaik<br />

verwandeln sich ihre Beine schon in<br />

einen Strauch.<br />

Daphne und Apollon<br />

Eine sehr schöne Darstellung ist dann<br />

noch zu bewundern, die Entführung des<br />

Ganymed. Zeus hat hier die Gestalt eines<br />

Adlers angenommen, der den schönen Jüngling in den Olymp entführt und ihn zum<br />

Mundschenk der olympischen Götter macht.<br />

Ich wollte so viel wie möglich an Bildmaterial mit <strong>nach</strong><br />

Hause nehmen. Jedes Bild eine Geschichte, eine Allegorie,<br />

ein Symbol. Unter den geometrischen Mustern befindet<br />

sich sogar ein Hakenkreuz. Welche Brücke besteht<br />

zwischen den Römern, den germanischen Runen und<br />

Hitlers Unheilzeichen? Und so beschäftigt mich Vieles.<br />

Die Tierkampfszenen zeigen den Heutigen, dass in<br />

Griechenland, aber auch hier auf der Insel <strong>Zypern</strong> Bären,<br />

Berglöwen, Panther, Mufflons, Wildschweine gelebt haben<br />

und von den Menschen nahezu ausgerottet wurden.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 123<br />

Entführung des Ganymed


Wald hat es sicher auch noch<br />

ausreichend gegeben, obwohl<br />

er früher bestimmt auch<br />

schon für Häuserbau,<br />

Feuerungszwecke, Schiffsbau<br />

und neuen Siedlungsplatz<br />

missbraucht und gerodet<br />

wurde. Alles das erzählen mir<br />

diese Bilder. Sinneslust,<br />

Kampfesmut, List und Tücke,<br />

Leidenschaft, Liebe und<br />

Hass, was gab es damals<br />

nicht, was auch heute noch<br />

die Menschen umtreibt? Die<br />

größten und stärksten<br />

Motivationen, Habgier und<br />

Macht, lenken auch heute<br />

noch die Geschicke der<br />

Menschen.<br />

Wir verlassen das an antiken<br />

Schätzen so reiche Haus des<br />

Dionysos, machen noch<br />

davor eine kleine Ruhepause.<br />

Ein Abstecher reizt mich noch, das Haus des Orpheus. Enttäuscht stelle ich fest, dass die drei<br />

Mosaiken, die man schon ausgrub, eines schon 1942, durch eine Sandschicht abgedeckt sind.<br />

Ein schützendes Dach soll darüber gebaut werden, eine löbliche Maßnahme, die ich einsehe.<br />

Also bleibt mit nur eine Informationstafel, die mir die herrlichen Kunstwerke aus bunten<br />

Kieselsteinen als Plakat zeigt. Ich lichte es ab und hier sind wenigstens die Abbildungen, wenn<br />

sie auch niemals die wahre Schönheit der Steinmosaiken wiedergeben können:<br />

Orpheus sitzt auf einem Felsen und lockt auf seiner<br />

Lyra die Tiere des Waldes an, die er mit seinem Spiel<br />

bezaubert.<br />

Auf einem zweiten Bild kämpft Herakles mit bloßen<br />

Händen gegen einen Löwen.<br />

Ein drittes Bild zeigt eine Amazone, die vor ihrem<br />

Pferd stehend eine Doppelaxt in der Hand hält.<br />

Nun haben wir genug von<br />

Mosaiken, richten unsere<br />

Blicke in die Ferne. Zum Leuchtturm hin lenken wir über das<br />

weitflächige Grabungsfeld unsere Schritte, wo sicher noch viel<br />

Unentdecktes unter der Erde verborgen liegt. Immerhin war Nea<br />

Paphos eine Metropole des Statthalters der Insel gewesen.<br />

Wir ergründen das Forum mit einem Amphitheater davor, eine<br />

große leere Fläche, bewachsen mit dornigem, dürrem Stechginster.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 124


Steinbrocken, scheinbar zusammenhangslose Mauerreste in unterschiedlichen Höhen<br />

verunsichern mein Vorstellungsvermögen.<br />

Ich lese noch einmal im Baedeker <strong>nach</strong>: Gegenüber der Agora befand sich hier einst die antike<br />

Akropolis mit dem Asklepieion 48 und dem Odeon 49 . Die Agora, der Markt- und<br />

Versammlungsplatz, bestand aus einem 95 x 95 m 2 großen Hof mit Säulenumgang. Im Osten<br />

ist noch das Stylobat 50 des Umganges erhalten, zu dem Treppenstufen hinaufführten. Hier fand<br />

man Granitsäulen mit korinthischen Marmorkapitellen.<br />

Das teilweise rekonstruierte Odeon, wo wir<br />

uns zu einer kleinen Rast niederließen, wurde<br />

im 4. Jh. von Erdbeben fast völlig zerstört, es<br />

besaß 25 Sitzreihen und bot 3000 Zuschauern<br />

Platz. Ein Odeon hat die Funktion eines Konzerthauses. Es bestand wie ein Theater aus einer<br />

halbrunden Orchestra 51 , Cavea 52 und Skene, war jedoch im Gegensatz zu einem Amphitheater<br />

in der Regel überdacht. Schaut man vom Odeon zum Leuchtturm hinauf, dann gehörte das<br />

Mauerwerk links davon zum ehemaligen Asklepieion. Dieses war ein dem Gott der Heilkunst<br />

gewidmeter Tempel mit Räumen für Heilschlaf und Therapien, kurz ein antikes Kurhaus.<br />

Es gäbe ja noch die Ruinen der alten Festung<br />

Saranta Kolones aufzusuchen, aber Martina ist<br />

müde und sucht ein Plätzchen zum Ausruhen. In<br />

dem Wort steckt die Bedeutung „vierzig<br />

Säulen“, die genau zum Bau dieses römischen<br />

Kastells verwendet wurden. Um 1100 stand hier<br />

eine Burg, mit der die Byzantiner die Küste<br />

sicherten. Später wurde sie von den Franken<br />

genutzt. Saranta Kolones wird auch mit den<br />

Kreuzfahrern zusammen genannt, jedoch schon<br />

1222 völlig zerstört. Seitdem diente das Kastell<br />

als Steinbruch. Heute ist kaum noch etwas aus<br />

Nea Paphos, vorn Reste des Asklepieions dieser Zeit erhalten, vielleicht einige<br />

Säulenreste. Es lohnt nicht hinzugehen.<br />

Wir verließen das Areal durch einen Nebeneingang, überquerten die belebte Hauptstraße<br />

Leoforos Apostolou Pavlou, die Apostel-Paulus- Allee, die zum Hafen führt.<br />

Nach kurzer Orientierung fanden wir den Komplex der Kreuzkuppelkirche. Wir hörten Musik<br />

und sahen Leute zum Eingang strömen. Als wir auch in die kleine Kirche eintreten wollten,<br />

fand gerade ein Gottesdienst statt, und der kleine Raum war gerappelt voll. Gesang schwoll an.<br />

Ich blieb einen Moment stehen und spürte ein sonntägliches Gefühl.<br />

48<br />

Asklepieion, [griechisch], Heiligtum des Heilgotts Asklepios (Äskulap); ausgegraben sind u. a. das<br />

Asklepieion von Athen (um 400 v. Chr.), von Epidauros, Kos und Pergamon. Ein Asklepieion entsprach im<br />

Altertum dem heutigen Kurbad.<br />

49<br />

Odeon, [das, Mehrzahl Odeen; griechisch] Odeion, Odeum, antikes überdachtes Gebäude für musikalische<br />

Aufführungen, mit halbrundem Zuschauerraum. Heute ist Odeon Bezeichnung für Theater, Musikhallen oder<br />

auch Tanzhallen und Kinosäle.<br />

50<br />

Stylobat, oberste Stufe eines antiken Tempelunterbaues, auf der die Säulen stehen<br />

51<br />

Orchestra, Spielfläche<br />

52<br />

Cavea, Zuschauerraum eines römischen Theaters<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 125


Wir umrundeten das recht große Grabungsgelände und stellten fest, dass ehemals eine sehr<br />

große Kirche hier gestanden haben muss. Wieder konnte ich mich nur an einer griechisch-<br />

englisch beschrifteten Informationstafel kundig machen und ich erfahre:<br />

Dieses ausgegrabene Monument ist eine der größten frühchristlichen Basiliken auf <strong>Zypern</strong><br />

gewesen. Die erste Kirche wurde im 4. Jahrhundert n. Chr. gebaut. Sie war als Trapez angelegt,<br />

mit sieben Kuppeln und zwei Apsen in der zentralen Kuppel. Nach Westen hatte sie einen<br />

Narthex und ein Peristyl 53 - Atrium. Die innere Dekoration der ersten Basilika war sehr reich an<br />

Mosaik- Kompositionen, die weite Teile des Fußbodens überzogen. Sie waren geometrisch<br />

gemustert und zeigten symbolische christliche Szenen.<br />

Diese Basilika wurde im 6. Jh. zu einer Fünf- Kuppel- Kirche umgebaut und seine inneren<br />

Apsen weggenommen, der Mosaik- Fußboden des zentralen Schiffs wurde überbaut und die<br />

zwei nördlichen Kuppeln wurden mit neuen Mosaiks gepflastert.<br />

Während der arabischen Einfälle im 7. Jahrhundert wurde auch dieses Bauwerk zerstört.<br />

Eine neue byzantinische Kirche wurde in die Ruinen der Basilika hineingebaut. Nach deren<br />

Zerstörung im Jahre 1159 wurde auch diese im 16. Jahrhundert überbaut, von der jetzt<br />

sichtbaren kleinen Agía Kyriakí in Kreuzform.<br />

Es gibt im Norden der Chrysopolítissa noch eine kleine Kirche des Franziskaner- Klosters aus<br />

dem 13. oder 14. Jahrhundert. Sie wurde aber auch während eines Erdbebens im 16.<br />

Jahrhundert zerstört.<br />

Die jüngste Kirche steht also förmlich auf dem Mosaikfussboden der größeren älteren. Eine der<br />

beiden links zu sehenden weißen Säulen wird „Paulus-Säule“ genannt. Der Legende <strong>nach</strong> soll<br />

der Apostel Paulus auf seiner Missionsreise <strong>nach</strong> <strong>Zypern</strong> an sie gefesselt und gegeißelt worden<br />

sein. Die Apostelgeschichte berichtet weiter, dass Paulus (oder vorher Saulus) und Barnabas<br />

während dieser <strong>Reise</strong> gegen den Widerstand des Zauberers Bar- Jesus, den Paulus mit<br />

Blindheit geschlagen hatte, den römischen Statthalter Sergius Paulus zum Christentum<br />

bekehrten:<br />

Ich rufe den Geist aus der Apostelgeschichte 13, 6 - 12:<br />

…Als sie die ganze Insel bis <strong>nach</strong> Paphos durchzogen hatten, trafen sie einen Zauberer und<br />

falschen Propheten, einen Juden, der hieß Barjesus; der war bei dem Statthalter Sergius<br />

Paulus, einem verständigen Mann. Dieser rief Barnabas und Saulus zu sich und begehrte,<br />

das Wort Gottes zu hören. Da widerstand ihnen der Zauberer Elymas - denn so wird sein<br />

Name übersetzt - und versuchte, den Statthalter vom Glauben abzuhalten. Saulus aber, der<br />

auch Paulus heißt, voll heiligen Geistes, sah ihn an und sprach: Du Sohn des Teufels, voll<br />

aller List und aller Bosheit, du Feind aller Gerechtigkeit, hörst du nicht auf, krumm zu<br />

machen die geraden Wege des Herrn? Und nun siehe, die Hand des Herrn kommt über<br />

dich, und du sollst blind sein und die Sonne eine Zeitlang nicht sehen! Auf der Stelle fiel<br />

53<br />

Peristyl, [das; griechisch], von einem Säulenumgang umgebener Hof, Teil der griechisch-römischen Profanund<br />

Palastarchitektur.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 126


Dunkelheit und Finsternis auf ihn, und er ging umher und suchte jemanden, der ihn an der<br />

Hand führte. Als der Statthalter sah, was geschehen war, wurde er gläubig und verwunderte<br />

sich über die Lehre des Herrn…<br />

Immer wieder mischen sich Legende, religiöser Eifer und geschichtliche Tatsachen.<br />

Während Martina an der Paulus- Säule ausruhte, ging ich noch einmal um das Ruinenareal<br />

herum und staunte über die Abmessungen des ehemaligen Bauwerkes, die allein der Grundriss<br />

verriet. Ein englisches Ehepaar staunte ebenfalls, und so kamen wir schnell ins Gespräch über<br />

Woher und Wohin und den Gegenstand, den wir gerade bestaunten. In tausendsechshundert<br />

Jahren sind hier vier Kirchen übereinander errichtet worden. Die erste war die gewaltigste. Mit<br />

welchen Mitteln wir heute bauen und welchen Stellenwert die Religion heute noch hat, sieht<br />

man an der erhaltenen Kirche. Ein skizzenhafter Vergleich mag das verdeutlichen:<br />

Das rot eingezeichnete Bild ist der heutige Kirchenbau der<br />

Agía Kyriakí Chrysopolítissa, er passt gerade mal in ein<br />

Schiff der alten Basilika; das schwarze sind die Risse der<br />

ehemaligen Anlagen. Ein sehenswertes Relikt der Natur fand<br />

ich beim Stöbern. Die Reste einer alten knorrigen<br />

Baumwurzel waren erhalten, wie sie sich an die Eckmauer<br />

und die Kuppel des alten Kirchleins anschmiegt.<br />

Wie schade, dass<br />

ich nicht mehr<br />

Zeit aufwenden<br />

kann, das alles zu<br />

erkunden!<br />

Das Leben holte uns schnell ein. In einem kleinen<br />

Park neben dem Ruinenareal war ein sonntäglicher<br />

Basar eingerichtet, der sicher für die englischen<br />

Gottesdienstbesucher gedacht war, die im<br />

Anschluss an die Messe noch ein Schwätzchen,<br />

etwas für den Magen und zum Mitnehmen haben<br />

wollten. Dort kaufte Martina ein grünes Seidentuch<br />

bei einem englischen Ehepaar und hatte so ihr Erfolgserlebnis.<br />

Wir machten uns auf den Rückweg, bummelten hinunter zum Hafen und nahmen die Linie 15,<br />

um zurück ins Hotel zu fahren. Gegen 14 Uhr langten wir <strong>nach</strong> einer Dreiviertel Stunde Fahrt<br />

an, ruhten uns aus. Am Nachmittag nutzte ich dann auch die Annehmlichkeiten des<br />

Strandlebens, las in Prospekten und ging schwimmen.<br />

XXVII. Die Königsgräber im antiken Paphos<br />

Montag, 9. Oktober 2006<br />

E<br />

ndlich wieder ein Tag, an dem wir geführt werden, der letzte überhaupt, dann werden<br />

wir uns wieder uns selbst überlassen. Ein Mammutprogramm steht auf dem Zettel:<br />

Königsgräber, Archäologiepark, Neophytoskloster, Akámas- Halbinsel.<br />

Auf sich allein gestellt, selbst mit Mietauto, ist das nicht an einem Tag zu schaffen, nicht wenn<br />

man sich die gebührende Zeit an jedem Ort nehmen will. Dann wären das für mich vier<br />

Tagesausflüge. Das wird eben heutzutage zeitsparend an einem Tag von der <strong>Reise</strong>organisation<br />

zusammengequetscht. Gott sei Dank kannten wir schon den Archäologiepark und hatten ihn<br />

auf eigene Faust erkundet.<br />

Aber zuerst hielt der Bus <strong>nach</strong> kurzer Fahrt vor den Toren von Paphos. Das Gräberfeld ist eine<br />

Nekropole von riesigen Ausmaßen, etwa dem Archäologiepark in der Ausdehnung ebenbürtig.<br />

Früher mag das alles in Alt- Paphos zusammen gehört, eine Einheit gebildet haben.<br />

Im Schatten eines Johannisbrotbaumes erläuterte uns Antonio einiges zur Geschichte. Zuerst<br />

ist der Name „Königsgräber“ falsch. Hier wurden zwar hohe Würdenträger der Stadtstaaten<br />

beerdigt, auch solche, die sich König nannten, aber im Wesentlichen war das der Friedhof der<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 127


alten Stadt Paphos. Diesen antiken Friedhof, zusammen mit den Gebieten von Alt- und Neu-<br />

Paphos, nahm 1980 die UNESCO in ihre „World Cultural Heritage List“ auf.<br />

Wer könnte die Fakten der Historie besser zusammenfassen als eine zyprische<br />

Wissenschaftlerin? Ich darf Frau Maria Hadjisavva wörtlich zitieren, allerdings ins Deutsche<br />

übersetzt:<br />

„EINE EINFÜHRUNG IN DAS ANTIKE PAPHOS<br />

Gegen das Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. verlegte der König von Paphos, Nikakles, seine<br />

Hauptstadt von Alt- Paphos (Kouklia) <strong>nach</strong> Neu- Paphos (Katopaphos). Die Absicht, aktiver in<br />

die dramatischen politischen Ereignisse seiner Zeit einzugreifen, war ein Grund dafür, dass<br />

Nikokles Alt- Paphos verließ, das ein religiöses Zentrum war. Er behielt jedoch seinen Titel als<br />

Priester-König des Aphrodite-Kultes bei und verfügte weiterhin über die reichen Einkünfte des<br />

Heiligtums.<br />

Nach der Beseitigung der zyprischen Königreiche um 311 v. Chr. wurde die Insel zum<br />

Zankapfel zwischen Ptolemaios und Antigonos bzw. später dessen Sohn Demetrios Poliorketes.<br />

Obwohl Demetrios im Jahre 306 Ptolemaios besiegte, gewann Ptolemaios im Jahre 294 v.<br />

Chr. die Herrschaft über die Insel, indem er Demetrios' Abwesenheit in Griechenland<br />

ausnutzte.<br />

Hauptstadt von <strong>Zypern</strong> und Sitz eines Gouverneurs mit dem Titel Strategos (General) wurde<br />

Salamis. Nach kurzer Zeit jedoch wurde die Hauptstadt <strong>nach</strong> Neu- Paphos verlegt, das den<br />

Ptolemäern wegen seiner größeren Nähe zu Alexandria und wegen seiner Schiffsbauholz<br />

liefernden Wälder besonders wichtig schien. Mitbestimmend für diese Entscheidung war das<br />

Heiligtum der Aphrodite, das im politischen und wirtschaftlichen Leben der Insel eine wichtige<br />

Rolle spielte.<br />

Mit der Festigung der ptolemäischen Herrschaft begann eine Epoche wirtschaftlicher Blüte für<br />

<strong>Zypern</strong>. Neue Städte mit dem Namen Arsinoe wurden gegründet, neue, ägyptischen Göttern<br />

gewidmete Tempel erbaut. Die Ausbreitung der klassischen griechischen Kultur, die in <strong>Zypern</strong><br />

unter der Herrschaft Evagoras' von Salamis (411 - 394 v. Ch.) begonnen hatte, setzte sich fort<br />

unter der Wirkung der stärker internationalen hellenistischen Zivilisation.<br />

Während die Macht der kleinen Königreiche im östlichen Mittelmeer durch interne Konflikte<br />

unterhöhlt wurde, eroberten im Westen die römischen Legionen Karthago und überschritten<br />

199 v. Chr. die Grenze Makedoniens. Dieses Ereignis markierte das Ende einer Epoche, die<br />

Alexander mit der Ausbreitung griechischer Herrschaft und Kultur <strong>nach</strong> Osten eingeleitet<br />

hatte. Auseinandersetzungen um <strong>Zypern</strong> zwischen den Ptolemäern selbst führten zur<br />

Intervention Roms. Im Jahre 58 v. Chr. beging der letzte ptolemäische Herrscher <strong>Zypern</strong>s,<br />

"Ptolemaios König von <strong>Zypern</strong>", Selbstmord; die Insel wurde von den Römern besetzt.<br />

Der ptolemäische Strategos wurde von einem römischen Prokonsul abgelöst, dessen Residenz<br />

während der gesamten römischen Herrschaft Paphos blieb. Im Jahre 77 n. Chr. wurden die<br />

hellenistischen Städte <strong>Zypern</strong>s durch schwere Erdbeben zerstört. Die römischen Kaiser Trajan<br />

und Hadrian trugen wesentlich zum Neuaufbau der Städte und des Aphrodite - Heiligtums bei.<br />

Paphos war als Hauptstadt eine der volkreichsten Städte der Insel und besaß ausgedehnte<br />

öffentliche Bauten und Befestigungsanlagen. Die Ausgrabungen der letzten Jahre im Bereich<br />

der antiken Stadt geben eindrücklich Zeugnis vom Reichtum ihrer Bewohner in römischer Zeit.<br />

DIE GRÄBER DER KÖNIGE<br />

Die Gräberfelder von Paphos liegen direkt außerhalb der Mauern im Norden und Osten der<br />

Stadt. Den nördlichsten Teil dieser erstaunlich weitflächigen Nekropole bilden die so<br />

genannten Königsgräber.<br />

Das eindrucksvolle Gesamtbild der Gräber und der schwere dorische Stil ihrer Gebälke tragen<br />

viel zur Anziehungskraft dieser Monumente bei. Das Gräberfeld wurde in der hellenistischen<br />

und römischen Zeit (3 Jh. v. Chr. bis 3 Jh. n. Chr.) ohne Unterbrechung für Bestattungen<br />

genutzt und diente auch den frühen Christen als Zuflucht während der Verfolgung. Im<br />

Mittelalter wurden einige der größeren Gräber zeitweilig bewohnt, wobei die ursprüngliche<br />

Architektur verändert wurde.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 128


Luftaufnahme eines Teiles des Gräberfeldes, abfotografiert von einer Infotafel<br />

Im letzten Viertel des 19. Jh. wurden die "Königsgräber" von Cesnola und seinen Nachfolgern<br />

systematisch geplündert. Die deutschen Archäologen Ross und Dörpfeld sowie der britische<br />

Architekt Jeffery besuchten den Platz und beschrieben einige der zugänglichen Gräber. In den<br />

Jahren 1915-16 grub der Kurator des <strong>Zypern</strong>- Museums, Markiden, einige Schachtgräber aus.<br />

Im Jahre 1937 begann der Hon. Kurator des Paphos Museums, Loizos Philippou, die damals<br />

bekannten großen Gräber mit Peristyl- Hof freizulegen; er führte diese Arbeiten mit einigen<br />

Unterbrechungen bis 1951 fort. Zwar wurden auf diese Weise einige Grabkomplexe<br />

zugänglich, aber keine neuen Aufschlüsse für die Geschichte von Paphos gewonnen. Da eine<br />

wissenschaftliche Überwachung der Arbeit fehlte, gingen die durch eine systematische<br />

Grabung zu gewinnenden Befunde für immer verloren.<br />

40 Jahre später, im Jahre 1977, begann das Zyprische Department of Antiquities in Anbetracht<br />

der Bedeutung dieser Gräber als einziger unzerstörter architektonischer Denkmäler einer<br />

ganzen Epoche mit der systematischen Ausgrabung der Nekropole. Bisher wurden 13<br />

Grabungskampagnen durchgeführt; in dieser Zeit wurden drei große Grabkomplexe und<br />

zahlreiche kleinere Gräber untersucht.“<br />

Wieder kommt ein geschichtlicher Puzzle- Stein über die Stadtkönigreiche hinzu, und wir<br />

wissen wieder etwas mehr.<br />

Dann läuft Antonio vor uns her, ohne innezuhalten. Er hat<br />

vor, uns nur einige der bedeutendsten Grabanlagen zu zeigen.<br />

Um umfassend hier zu studieren, die Bestattungsriten, die<br />

verschiedenen Bauweisen der Gräber über die Jahrhunderte,<br />

kennen zu lernen, ginge ein Tag drauf. Allein schon der<br />

Nachnutzung im Mittelalter <strong>nach</strong>zuspüren, wo in den<br />

Gräberschächten Menschen wohnten oder sie als<br />

Zufluchtsorte nutzten, ist äußerst interessant.<br />

Überall sind in dem weichen Kalkstein Löcher und Höhlen<br />

gestemmt. Treppenstufen in schmalen Schächten führen in<br />

die dunkle Tiefe von fünf bis sechs Metern hinab. Bei dem<br />

grellen Sonnenlicht muten sie wie schwarze unheimliche<br />

Löcher an. Peristyl- Atrium- Grab<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 129


Nachdem wir das Büro des Kustoden, ein kleines Wärterhäuschen, passiert haben, sehen wir<br />

auf der linken Seite der asphaltierten Straße das erste zugängliche Grab. Ein Teil der Anlage<br />

ist oberirdisch und kann durch einen rechteckigen, türähnlichen Eingang betreten werden.<br />

Wir steigen in einen engen, so genannten Dromos 54 , den Zugang zu den Grabkammern. Es<br />

handelt sich um ein Felskammergrab mit zwei kleinen, für Kinderbegräbnisse reservierten<br />

Loculi 55 und fünf Loculi für Erwachsene. Die Innenwand der Grabkammer war<br />

ursprünglich verputzt und bemalt. Reste des Wandstucks sind am Rande der meisten Loculi<br />

sichtbar. Das Grab wurde vor langer Zeit ausgeraubt. Es stammt wahrscheinlich aus der<br />

hellenistischen Periode (325 – 58 v. u. Z.).<br />

Die 12 Säulen gehorchen der dorischen Ordnung, die in den<br />

dorischen und westlichen Gebieten Griechenlands seit dem<br />

7. Jh. v. Chr. entwickelt wurde. Kennzeichnend sind die<br />

gedrungene Säule ohne Basis und das schlichte Kapitell aus<br />

Polster und Platte.<br />

Die Schäfte sind leicht kanneliert<br />

und ebenso leicht konisch <strong>nach</strong><br />

oben verjüngt. Die Säulen bilden<br />

ein Atrium, einen Hof. Nach<br />

zwei Seiten führen Kammern tief<br />

in den Fels hinein, mit weiteren<br />

Verzweigungen, den Lokuli, den Einzelgräbern.<br />

Von der Felsfläche blicken wir hinab in die Peristyl-Höfe<br />

zweier großer Gräber. Der Zugang zum ersten, im Südteil<br />

dieses Bereichs liegenden Grab führt über eine gedeckte<br />

Treppe mit 12 Stufen.<br />

In die rechte Seitenwand der Treppe ist eine Grabnische eingetieft. Die Treppe führt zur Nordwest-<br />

Ecke eines quadratischen Peristyl-Hofes. Beim Eintritt sehen wir links das wohlerhaltene dorische<br />

Gebälk mit seinen Triglyphen 56 und Metopen 57 . Auf der Westseite des Peristyls liegt der Zugang zur<br />

in den Felsen gehauenen Grabkammer, die über eine Vielzahl von Loculi verfügt. Alle gähnen leer.<br />

Gegenüber dieser Grabkammer liegt eine andere<br />

rechteckige Kammer mit einem dekorierten<br />

Eingang; sie diente höchstwahrscheinlich zu<br />

rituellen Zwecken. Der östliche und südliche<br />

Portikus 58 sind zerstört; Trümmer bedecken immer<br />

noch den Südteil des Hofes.<br />

Die freigelegte Fläche zwischen den beiden<br />

großen Grabanlagen mit Peristyl-Hof ist ein<br />

reines Schachtgräber- Feld. Ganze Gruppen von<br />

Gräbern sind durch Mauern getrennt, die jeweils<br />

eine Familienbegräbnisstätte einfassten. Fünf<br />

der insgesamt 20 Gräber dienten als<br />

Kindergräber.<br />

Zweites Grab mit Peristyl- Atrium<br />

54<br />

Dromos, [der; griechisch, „Lauf“], Bezeichnung für einen sportlichen Laufwettbewerb im antiken<br />

Griechenland; unterschieden wurden: Kurzstreckenlauf (Stadionlauf), Doppelstadionlauf (Diaulos) und<br />

Landstreckenlauf (Dolichos). Hier in der Nekropole bezeichnet man damit eine ebene, schräg abfallende oder<br />

mit Stufen versehene Passage, die den Eingang zu einer unterirdischen Kammer bildet.<br />

55<br />

Loculus: rechteckige Vertiefung im Felsen, die für ein Einzelbegräbnis bestimmt ist. Mehrzahl: Loculi<br />

56<br />

Triglyphen, Elemente, die die Metopen eines dorischen Frieses voneinander trennt, durch drei Lisenen<br />

gegliedert<br />

57<br />

Metope, [die; griechisch], rechteckige Platte zwischen den Triglyphen am Fries des dorischen Tempels; oft<br />

bemalt oder mit Reliefs verziert.<br />

58<br />

Portikus, [der; lateinisch], <strong>nach</strong> einer Seite offene Säulenhalle, oft zur Begrenzung von Märkten und Plätzen,<br />

aber auch als selbständiger Bau errichtet, in unserem Falle offen zum Atrium- Hof.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 130


Nach dem Grabungsbefund gehören die meisten dieser Gräber in die hellenistische Periode (3.<br />

bis 1. Jh. v. Chr.) Der Gesamtbereich ist von einem Drainagesystem durchzogen, das<br />

wahrscheinlich in einer späteren Epoche angelegt wurde, als dieser Platz zum Wohnbereich<br />

gehörte.<br />

Der Weg zurück führt über eine etwas höher gelegene, nicht asphaltierte Straße zu dem<br />

asphaltierten Platz. Etwa 50 Meter vor diesem Platz treffen wir auf ein anderes großes, kürzlich<br />

ausgegrabenes Grab. Die Architektur dieses Grabes ist bislang einzigartig und zeigt keine<br />

Beziehungen zu den normalen Gräbern mit Peristyl-Atrien. An Stelle eines Atriums im Zentrum des<br />

Grabes findet sich hier ein offener rechteckiger Hof, in dessen Mitte ein rechteckiger Block steht.<br />

Der eindrucksvolle Dromos, auf der Westseite<br />

des Grabes gelegen, besteht aus 13 Stufen und<br />

verläuft parallel zum Westflügel des Hofes. Er<br />

endet in einem bogenähnlichen Torweg, der im<br />

rechten Winkel umbiegt und die Verbindung<br />

mit dem Westflügel de Hofes herstellt. Der<br />

östliche und südliche Flügel des Hofes wurde<br />

vollständig ausgegraben, während die beiden<br />

anderen Flügel nur teilweise untersucht sind.<br />

Hinter dem Ostflügel des Atriums liegt eine<br />

große Grabkammer, die fünf Loculi, ein<br />

Schachtgrab und eine Nische für Gebeine<br />

aufweist.<br />

Von den achtzehn bisher ausgegrabenen Bestattungen waren nur drei aus der frühhellenistischen<br />

Zeit ungestört. Sie waren in den Boden des Atriums eingelassen und mit einem Haufen verstürzter<br />

Architekturtrümmer überdeckt, der eine Plünderung dieser Gräber verhinderte. Die Beigaben in<br />

zweien dieser Gräber waren identisch: je zwei rhodische Amphoren, ein Unguentarium 59 und ein<br />

goldener Myrtenkranz.<br />

Ein weiteres Grab mit Peristyl-Hof ist die<br />

besterhaltene Anlage dieses Typus. Die<br />

Triglyphen und Metopen seines dorischen<br />

Gebälks sind klar modelliert und alle vier Portiken<br />

sind erhalten. Im Gegensatz zu den sonst überall<br />

verwendeten Säulen ist hier der West- Portikus<br />

von quadratischen Pfeilern getragen. Den Zugang<br />

bildet eine 13-stufige Treppe, die ursprünglich<br />

zum Teil mit Steinplatten überdeckt war und in<br />

einem Winkel von 90° verläuft. Sie führt in den<br />

West- Portikus. Gegenüber dem Eingang liegt<br />

Peristyl- Hof mit quadratischen Pfeilern hinter dem Ost- Portikus die Grabkammer mit<br />

einer Anzahl Loculi für Einzelbegräbnisse. Einige Schachtgräber wurden unter den Portiken<br />

eingetieft. Der übliche Brunnen wurde unter dem Süd- Portikus, nahe dem Eingang zum Peristyl-<br />

Hof angelegt…<br />

Puh, das war ein Lehrgang in griechischer Architektur. Die Fakten entnahm, ich dem lehrreichen<br />

Führer, den ich mir für 1 zyprisches Pfund kaufte. Bald saßen wir alle wieder im Bus. Das<br />

Ganze dauerte nicht einmal eine Stunde.<br />

Das nächste Ziel, den Archäologie-Park in Kato Paphos, im Zusammenhang mit der<br />

Führung durch Antonio zu beschreiben, spare ich mir, da Martina und ich am Tage zuvor auf<br />

eigene Faust das Mehrfache und intensiver gesehen haben, als wir nun im Schnelldurchlauf<br />

auf japanische Art gezeigt bekamen. Einziger Vorteil heute war, dass ich in Ruhe ergänzende<br />

Fotos machen konnte. Die Häuser Aios, Dionysos und die offenen Mauern des Theseus, das<br />

war alles, was die <strong>Reise</strong>leitung zum Sehen anbot. Im Vergleich zu dem, was man alles an<br />

archäologischen Stätten in Kato Paphos anschauen kann, eine Führung für Kulturbanausen.<br />

59<br />

Unguentum, [das; lateinisch], die Salbe; z. B. Unguentum leniens, Kühlsalbe,<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 131


XXVIII. Neophytos- Kloster<br />

Wir hatten nun eine Weile Muße, um während der Busfahrt aus dem Fenster die<br />

westzyprische Landschaft anzuschauen. Mit fiel die ungeheure Bautätigkeit auf.<br />

Neue Häuser schießen förmlich wie Pilze aus dem Boden. Seit einigen Jahren<br />

boomt der Tourismus. Auch scheint sich hier immer mehr ausländisches Kapital anzusiedeln.<br />

Die Häuser wachsen stetig und überwiegend die Hänge hinauf. Ich frage mich, wo die<br />

Besitzer das Wasser hernehmen. Neben der kargen Flora im nahen Bereich der Küste gibt es<br />

auch nur niederes Getier, unter anderem Schlangen. Antonio erzählte von seinem klugen<br />

Großvater, der sich auf seinem Hof eine schwarze, ungiftige Schlange zähmte, die ihrerseits<br />

die giftigen aus ihrem Revier hielt und wie ein Haushund Mäuse und Ratten fraß.<br />

Eidechsen habe ich selbst viele gesehen, wie<br />

sie sich in der Sonne wohl fühlten. Andere<br />

Wildtiere bekam ich während meines<br />

Aufenthaltes aber nicht zu Gesicht, von<br />

einigen Greifvögeln abgesehen, die hoch in<br />

den Lüften segelten.<br />

Die Fahrt <strong>nach</strong> Neophytos ist nicht weit. Es<br />

liegt gerade mal 12 km nordöstlich von Kato<br />

Paphos entfernt. Dennoch liegt es schon etwa<br />

412 Meter hoch in einem tiefen Tal. Das<br />

idyllisch gelegene Kloster ist von hohen<br />

Bergen umgeben. Die Luft ist frisch und rein.<br />

Auf dem Wege zum Kloster Neophytus<br />

Nach dem Aussteigen zog ein Trinkwasserhahn unsere Leute an, einen Schluck zu nehmen.<br />

Der erste Eindruck vom Kloster: Saubere wie neu anmutende Gebäude, Kontrast von Licht und<br />

Schatten, göttliche Ruhe im schattigen Klosterhof. Wir versammelten uns vor der Felswand, in<br />

die vor vielen hundert Jahren der anfängliche Kern des Klosters, die Engkleistra 61 des Heiligen<br />

Neophytos eingehauen wurde. Die Mittagssonne hüllte die Bergwand in gleißendes Licht.<br />

Vor die natürliche Felsenhöhle, die frühere Mönche erst<br />

zu einer Einsiedelei, später zu einer Höhlenkirche<br />

ausgebaut hatten, wurde in neuerer Zeit eine Wand<br />

geblendet. Sie schützt diesen alten Teil des Klosters vor<br />

dem Abrutschen des Felsmassivs, das sich schon durch<br />

unangenehme Risse bemerkbar gemacht hat. Das<br />

Bauwerk ruht auf einer Tonschicht und ist extrem<br />

absturzgefährdet. Stützwände und Betonschlitzwände<br />

sichern die Grottenkirche. Die Vorwand ermöglicht den<br />

bequemen Aufstieg und sie bildet mit aufgesetzten fünf<br />

Bögen eine schattige und bei schlechtem Wetter<br />

schützende Arkade, von deren Ebene aus man in die<br />

Höhlenkirche gelangt. Eine kleine Brücke führt über<br />

einen Bach, der jetzt nur ein Rinnsal darstellt, aber <strong>nach</strong><br />

einem regenreichen Winter oder der Schneeschmelze<br />

alle Beachtung verdient. Wir dürfen aufsteigen. Oben<br />

sitzt ein alter Wärter an einem kleinen Tisch. Auf einem<br />

Neophytus- Kloster, Engkleistra anderen kleinen Tisch liegt Marianna, eine Hauskatze<br />

und schläft. Einige von uns stürzen sich gleich auf sie: „Wie<br />

süüüß!“ Einige Naturfreunde halten sie zurück, die empfindsamen<br />

Gefühllosen, die nur ihr eigenes Gefühl befriedigen.<br />

Mit der strengen Auflage, nicht zu fotografieren, dringen wir in die<br />

niedrige und enge Höhle ein. Wir stehen plötzlich in einer Kirche.<br />

61<br />

Engkleistra heißt so viel wie Einsiedelei, Höhle eines Eremiten<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 132


Oder ist es eher eine bemalte Höhle? Wand und Decke gehen ineinander über. Die Wände<br />

haben keine Ecken, ein seltsames Raumerlebnis. Die Fresken sind so alt, dass sich sofort<br />

Respekt einstellt. Das christliche Bildprogramm entstammt der byzantinischen Ostkirche. Die<br />

Heiligen sind zahllos. Jesus ist die Zentralfigur, seine Apostel sind dargestellt, Szenen aus dem<br />

Leben Jesu. Bemerkenswert ist eine Ikone mit dem Abbild des Heiligen Neophytos, des<br />

Mönches, der diese Einsiedelei begründet hat.<br />

Wieder muss ich, um nicht dumm zu sterben und einige Fakten zu nennen, ein wenig aus dem<br />

Prospekt wiedergeben. Die Geschichte des Neophytos ist eng verbunden mit der <strong>Zypern</strong>s. Wir<br />

werden Parallelen wiederfinden. Lesen wir in dem Heftchen, verfasst vom ehemaligen Direktor<br />

des Archäologischen Dienstes:<br />

DER HEILIGE NEOPHYTOS UND SEINE ZELLE<br />

Der Gründer des Klosters, der Heilige Neophytos, wurde im Jahre 1134 als Sohn einer<br />

armen, kinderreichen Familie in Lefkara geboren, wie er selbst in seinem Typikon schreibt.<br />

Schon im frühen Kindesalter zeichnete er sich durch seinen Glauben an Gott und seine<br />

Vorliebe für die Zurückgezogenheit aus. Der Heilige Neophytos verließ deshalb, als seine<br />

Eltern ihn im Alter von 18 Jahren verlobten (in dieser Zeit war die Hochzeit Sache der Eltern,<br />

die die künftigen Eheleute nicht <strong>nach</strong> ihrer Meinung fragten) seinen Geburtsort und begab<br />

sich heimlich zum Kloster Ayios Ioannis Chrysostomos, Koutsoventi, um Mönch zu werden.<br />

Da er ungebildet war, wurde ihm vom Igoumen 62 des Klosters, Maximos, die Pflege der<br />

Weinberge des Klosters anvertraut, die sich nordöstlich des Klosters im Gebiet "Stoupais"<br />

befanden.<br />

Fünf Jahre lang beschäftigte sich der junge Mann mit<br />

dem Weinanbau. Von Natur aus wissbegierig und<br />

willensstark, lernte er in diesem Zeitraum die ersten<br />

Buchstaben und lernte das Psalmbuch auswendig. Da<br />

holte ihn der Igoumen zurück ins Kloster und ernannte<br />

ihn zum stellvertretenden Kirchenleiter. Damit<br />

beschäftigte er sich zwei Jahre lang. Die fünf Jahre<br />

jedoch, die er im Gebiet Stoupais verbracht hatte,<br />

bestärkten ihn in seinem natürlichen Wunsch <strong>nach</strong><br />

einem asketischen Leben. Deshalb bat er den damaligen<br />

Igoumen des Klosters um die Erlaubnis, Eremit zu<br />

werden. Da er jedoch noch sehr jung war, erlaubte ihm<br />

der Igoumen nicht, das Kloster zu verlassen und in einer<br />

der oberhalb des Klosters gelegenen Höhle zu leben.<br />

Da erbat sich der Heilige die Erlaubnis, <strong>nach</strong> Jerusalem zu gehen, um dort im Heiligen Land<br />

zu beten, den Christus mit seinem Leben, der Kreuzigung und seiner Auferstehung gesegnet<br />

hat. Er hoffte, auf seiner <strong>Reise</strong> ins Heilige Land einen alten Eremiten zu treffen, der ihn mit<br />

dem asketischen Leben vertraut machen würde. Er wanderte sechs Monate lang im ganzen<br />

Heiligen Land, das zu dieser Zeit von den Arabern und Kreuzrittern besetzt war, und<br />

versuchte sein Ziel zu erreichen, jedoch erfolglos.<br />

So kehrte er <strong>nach</strong> <strong>Zypern</strong> zurück und begab sich wieder zum Kloster Ayios Ioannis<br />

Chrysostomos, Koutsoventi. Er versuchte erneut erfolglos, den Igoumen davon zu<br />

überzeugen, ihm zu erlauben, ein asketisches Leben zu führen. Die Weigerung des Igoumen,<br />

seinem starken Wunsch <strong>nach</strong> einem asketischen Leben <strong>nach</strong>zukommen, veranlasste den<br />

Heiligen Neophytos, das Kloster Ayios Ioannis Chrysostomou zu verlassen, um sich zum<br />

heiligen Berg Latros in Kleinasien zu begeben, wo es ein großes Klosterzentrum gab, in dem<br />

auch später, im Jahre 1289 ein anderer Zypriot, der Patriarch von Konstantinopel, Gregorios<br />

II., der Zypriot (1283-1289), Zuflucht fand. Deshalb begab er sich in der Hoffnung, ein Schiff<br />

zu finden, das ihn dorthin bringen würde, <strong>nach</strong> Pafos.<br />

62<br />

Igoumen, Hegumenos, [griechisch] neugriechisch Igumenos, Kloster-Oberer in den orthodoxen Kirchen.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 133


Am Hafen von Pafos jedoch wurde er als<br />

Flüchtling festgenommen und eingesperrt, und<br />

die Wächter stahlen ihm die beiden Münzen, mit<br />

denen er die Überfahrt bezahlen wollte. Als er<br />

auf die Initiative frommer Leute hin am nächsten<br />

Tag freigelassen wurde, wie er selbst schreibt,<br />

hatte er kein Geld mehr für die Fahrt und war<br />

gezwungen, im Inland einen Ort für Eremiten zu<br />

finden. So kam er zu dem Hang und seiner<br />

kleinen Naturhöhle, die er in seine Engkleistra<br />

umwandelte.<br />

Das geschah im Jahre 1159. Drei Monate lang (vom 24. Juni, Feiertag der Geburt des<br />

Heiligen Johannes der Täufer, bis September) untersuchte er den Ort, um festzustellen, ob er<br />

ruhig und abgelegen sei. Dann begann er die kleine Naturhöhle zu bearbeiten, indem er die<br />

lockeren Felsen abtrug und sie ein ganzes Jahr lang, bis zum Feiertag des Heiligen Kreuzes<br />

14. September, vergrößerte. So schuf er die Kirche seiner Engkleistra und eine Zelle, in die er<br />

auch sein Grab meißelte.<br />

Die Kirche der Engkleistra widmete er<br />

dem Heiligen Kreuz. Nach fünf Jahren<br />

Suchens fand er ein Stück des Heiligen<br />

Kreuzes, das er in einer kreuzförmigen<br />

Nische eines Holzkreuzes befestigte, das<br />

bis heute erhalten ist. Das Stück vom<br />

Heiligen Kreuz jedoch ist verschwunden.<br />

Anfänglich wurde das Holzkreuz in einer<br />

kreuzförmigen Nische an der Ostwand der<br />

Engkleistra befestigt. Die Wand hatte<br />

Ayios Neophytos gebaut, um die Höhle zu<br />

schließen. Zu dieser Zeit wurde, den<br />

Berichten des Heiligen zufolge, der<br />

Bischofsthron in Pafos frei.<br />

Im siebten Jahr des Aufenthaltes des Heiligen in der Höhle wurde Basilios Kinnamos zum<br />

Bischof von Pafos geweiht. Der Bischof von Pafos begegnete dem Heiligen Neophytos mit<br />

Wohlwollen und vier Jahre lang bedrängte er ihn, sich zum Priester weihen zu lassen. Im<br />

Jahre 1170 erhielt der Heilige vom Bischof von Pafos, Basilios Kinnamos, die Priesterweihe<br />

und nahm auf dessen Drängen hin, einen Schüler auf, dem er auch die notwendige Kost gab.<br />

Seitdem wurde die Engkleistra ausgebaut und verschönert. In den<br />

gesamten Berghang wurden Zellen eingehauen. Obwohl der<br />

Heilige anfänglich eine begrenzte Anzahl von Mönchen<br />

aufnehmen wollte, legte er später, in seinem zweiten Typikon, das<br />

er im Jahre 1214 schrieb, deren Zahl auf 15 bis 18 fest. Der<br />

Ruhm des Heiligen begann sich überall auszubreiten und die<br />

Zahl der Besucher der Engkleistra stieg bedeutsam an. Die<br />

Besucher störten, wie zu erwarten war, den Heiligen. Um der<br />

Störung der Besucher zu entgehen, war der Heilige im Jahre<br />

1197 gezwungen, hoch über der Engkleistra eine andere Zelle<br />

auszusparen, " Neu Zion", wie er sie nannte, in der er vor der<br />

Störung der Besucher Zuflucht suchte.<br />

Um jedoch die Gottesdienste zu verfolgen und an der Eucharistie teilnehmen zu können, hub<br />

er über der Engkleistra eine kleine Zelle, "das Heiligtum", aus, die er durch eine rechteckige<br />

Öffnung mit der Engkleistra verband .Nördlich von "Neu Zion" und weiter oben schuf er eine<br />

weitere Zelle, die des Heiligen Johannes der Täufer.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 134


Inzwischen hatten sich in <strong>Zypern</strong> dramatische Ereignisse abgespielt, die <strong>Zypern</strong> von Byzanz<br />

trennten und der Kirche und dem Volk <strong>Zypern</strong>s Unglück brachten. Im Jahre 1184 erklärte<br />

sich Isaak Komninos zum Herrscher über <strong>Zypern</strong> und in den sieben Jahren Unterdrückung<br />

brachte er <strong>Zypern</strong> viel Unheil. Im Jahre 1191 wurde <strong>Zypern</strong> von Richard Löwenherz, dem<br />

König von England, eingenommen, der es ausraubte und dann an die Templer verkaufte und<br />

ein Jahr darauf, <strong>nach</strong> Volksaufständen, die blutig niedergeschlagen wurden, an den<br />

entthronten König von Jerusalem, Guy de Lusignan, welcher das Fränkische Königreich in<br />

<strong>Zypern</strong> begründete. Das Land wurde den rechtmäßigen Besitzern weggenommen und die<br />

Zyprioten verrichteten Sklavenarbeit. Die traurige Lage <strong>Zypern</strong>s beschreibt der Heilige<br />

eindrucksvoll in einem Brief, bekannt unter dem Titel „Über die Unmenschlichkeit im Lande<br />

<strong>Zypern</strong>", den er 1196 verfasste.<br />

Die Armut und das Unglück des Volkes<br />

veranlassten viele, in den Klöstern, darunter<br />

auch der Engkleistra, Herberge zu suchen. Nur<br />

zögernd ließ sich der Heilige von den Mönchen<br />

überzeugen, Land, Weingebiete und ein paar<br />

Tiere zu erwerben, um all denjenigen, die im<br />

Kloster Zuflucht gefunden hatten, Nahrung<br />

Deisis. Fürbitte und der Heilige Neophytos.<br />

Wandmalerei in der Zelle des Heiligen, 1183<br />

bieten zu können.<br />

Es ist nicht bekannt, wann der Heilige Neophytos<br />

verstarb. Im Jahre 1214 diktierte er sein Typikon<br />

dem Sekretär des Bistums Pafos, Basilios. Das<br />

handschriftliche Dokument, das sich heute in der<br />

Universitätsbibliothek von Edinburg befindet, ist<br />

eigenhändig vom Heiligen korrigiert worden. Er<br />

ist demzufolge <strong>nach</strong> 1214 verstorben, <strong>nach</strong>dem<br />

er seinen Neffen, Jesaja, der Verwalter der<br />

Engkleistra war, zu seinem Nachfolger bestimmt<br />

hatte. Es ist allgemein bekannt, dass der Heilige<br />

seinem Wunsch gemäß in einem Holzsarg aus<br />

Fichten-, Zedern- und Zypressenholz, den er<br />

selbst zu Lebzeiten gefertigt hatte, bestattet<br />

wurde. Sein Nachfolger, Jesaja, schloss, seinen<br />

Anweisungen gemäß, das Loch, das zur<br />

Aufnahme des Sarges in das Grab geschaffen<br />

wurde, mit einer Wand, die er mit<br />

Wandmalereien versah, damit sie nicht auffiel.<br />

Das führte dazu, dass der genaue Bestattungsort des Heiligen im Laufe der Jahre in<br />

Vergessenheit geriet, und der russische Mönch Vasili Barsky im Jahre 1735 schreibt, dass die<br />

Eucharistie auf dem Grab des Heiligen stattfand.<br />

Der Heilige Neophytos hinterließ zahlreiche Schriftstücke. Obwohl er erst <strong>nach</strong> seinem 18.<br />

Lebensjahr schreiben lernte, ist er möglicherweise der Schriftsteller der mittelbyzantinischen<br />

Epoche mit den meisten Schriften. Außer Predigten verfasste er auch Interpretationen der<br />

Heiligen Schrift und andere, die wichtige Informationen über die Heiligen und die Geschichte<br />

<strong>Zypern</strong>s enthalten. Diese Schriften des Heiligen begann sein Kloster zu veröffentlichen. Es<br />

sind bereits drei umfangreiche Bände erschienen.<br />

Die Engkleistra im Jahre 1214<br />

Der Heilige Neophytos liefert uns im zweiten Typikon, das er 55 <strong>nach</strong> seiner Niederlassung<br />

in der Engkleistra, d.h. im Jahre 1214 (1159+55), schrieb, eine detaillierte Beschreibung der<br />

Engkleistra.<br />

Die Beschreibung ist im 20.Kapitel seines Typikon festgehalten.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 135<br />

" Über hinaus der<br />

Höhlenkirche haben wir ein Tor geschaffen,.... da<strong>nach</strong> eine Küche, ein Lager mit seinem<br />

Obergeschoß für die Lagerung von Waren, verschiedene Zellen und zwei weitere im Garten.


Auf gleiche Weise werden die unteren Zellen am Brunnen als Ställe und Scheunen genutzt,<br />

während die unteren Zellen als Wohnräume genutzt wurden.<br />

Da<strong>nach</strong> der Verwaltungsraum und darüber der fünfbögige Sonnenraum. Und in diesen<br />

Räumen befindet sich der Refektorium, der in den Hang gehauen wurde.<br />

Da<strong>nach</strong> kommt der Narthex mit dem Geräteraum, und über diesem das Heiligtum, wo ich und<br />

die heiligen Zuhörer mit Hymnen und Gesang an den heiligen Sakramenten teilnehmen .Und<br />

wiederum über dem Heiligtum ist die jüngere Engkleistra „Nea Zion“, das vollständige Werk<br />

der heiligen Vorsehung, und eine weitere Zelle, die <strong>nach</strong> dem Prodromos benannt wurde, in<br />

den Hang gehauen. Da<strong>nach</strong> wiederum der größte Bau am Bach, der mit vielen Bögen gebaut<br />

wurde."<br />

Nur einige der Bauten, die der Heilige erwähnt, sind<br />

erhalten geblieben. Heute gibt es die Kirche und die<br />

Altarstätte und die Zelle des Heiligen mit seinem Grab, den<br />

Narthex mit der Sakristei und das Heiligtum und das<br />

Refektorium des Klosters. Der fünfbögige Sonnenraum, der<br />

wahrscheinlich bis 1735 erhalten blieb, als Vasili Barsky<br />

das Kloster besuchte und sorgfältig zeichnete, ist später<br />

verschwunden und durch eine hölzernen Konstruktion, die<br />

auch bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts zerstört war,<br />

ersetzt worden.<br />

Im Jahre 1963 wurde zur Abstützung des Felsens, in den<br />

die Engkleistra eingehauen ist, ein neuer fünfräumiger Ort<br />

geschaffen, zu dem die Höhlenkirche und der Narthex mit<br />

der Sakristei, die sich darüber befindet, und das<br />

Refektorium zählten. Das "Heiligtum" und ein großer Teil<br />

von "Neu Zion" und der Zelle des Prodromos sind bis heute<br />

erhalten.<br />

Die Engkleistra, d.h. die Heilige- Kreuz- Kirche und die Zelle<br />

des Heiligen Neophytos wurden im Jahre 1183 mit Fresken<br />

versehen, wie der Heilige Neophytos in seiner Typikon<br />

ausdrücklich bemerkt. Diese Ausschmückung wird auch<br />

durch die teilweise zerstörte Inschrift in der Zelle des<br />

Heiligen <strong>nach</strong>gewiesen. Die Hauptkirche jedoch, nicht die<br />

Altarstätte, wurde aus unbekannten Gründen erneut mit<br />

Der heilige Neophytos<br />

Fresken versehen, die bis heute erhalten sind.<br />

Ikone, um 1500<br />

Diese zweite Ausschmückung erfolgte <strong>nach</strong> 1214, denn der Heilige erwähnt in seinem Typikon<br />

nur eine Ausschmückung - die von 1183.<br />

Wir durften drei Räume begehen. Der niedrigste Raum in<br />

der Mitte wurde als Altar genutzt. An die Decke ist ein<br />

ikonisches Bild von Christus gemalt. Ich versuchte es von<br />

unten abzubilden, leider nur als Ausschnitt. Alles musste<br />

schnell und heimlich geschehen. Die Zelle des Einsiedler-<br />

Mönches ist spartanisch. Überall Fresken, wertvoll, weil<br />

gut erhalten und für andere künstlerische Vergleiche 800<br />

Jahre, sehr alt.<br />

Wir gingen durch einen Torbogen hinüber ins das neue Kloster und zuerst in die Hauptkirche.<br />

Diese existiert etwa vom Anfang des 16. Jahrhunderts. Es ist eine Basilika mit Kuppeln, die<br />

voll mit Fresken ausgeschmückt war, von denen heute nur ein kleiner Teil erhalten ist. Diese<br />

stammen aus dem Jahre 1544. Wir durften uns umschauen. Das Programm der Ausmalung<br />

dient der Anbetung der Gottesmutter und vieler Heiligen. Eine von Gold strotzende<br />

Ikonostase ist hervorzuheben, eine fabelhafte Schnitzarbeit aus Holz. Sie ist zum kleinen Teil<br />

erneuert, der andere mit wunderbaren Ikonen stammt aus 1544.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 136


Ich betrachtete die schönen korinthischen Kapitelle,<br />

Messgerät, einen Ambo mit Gold, Rot und Blau<br />

bedeckt, oben ein in Silber gefasster Kopf des<br />

Heiligen Neophytos. Eine schöne Kirche.<br />

Wir durften noch in das kleine Museum, in dem<br />

neben den wertvollsten Ikonen auch Krüge, Vasen<br />

und kirchlicher Zierrat gezeigt wurde.<br />

Ich hatte über dem Fotografieren die Gruppe<br />

verloren. Der Klosterhof, seine Ruhe, sein Grün<br />

zogen mich magisch an. Ich konnte mich nicht<br />

trennen. Doch bald gab es einen Gefühlswechsel.<br />

Unsere Truppe drängte sich im Klosterladen, der<br />

weit in <strong>Zypern</strong> für seine süßen Erzeugnisse bekannt<br />

ist. Thymian- Honig, Gelees, Konfitüren gab es,<br />

aber auch allerlei Produkte aus eigen gezogenen<br />

Nüssen, Mandeln, Feigen und natürlich Zucker,<br />

aber auch aus Erdnüssen, Kokosraspeln, Datteln<br />

und anderen Früchten. Wir verließen den Laden mit<br />

Honig und einigen Süßigkeiten.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 137<br />

Kloster Neophytos, Hauptkirche<br />

XXIX. Akámas- Halbinsel<br />

S<br />

tart zur Weiterfahrt 13.10 Uhr. Wir waren schon etwas hungrig. Offen ist nun noch der<br />

Abstecher zur Akámas- Halbinsel, zum Bad der Aphrodite. Der Bus begab sich auf<br />

den Weg <strong>nach</strong> Norden, etwa 35 km nur war die Fahrt – <strong>Zypern</strong> ist verhältnismäßig<br />

klein. Unterwegs Landschaft mit Obstplantagen, aber auch Eichen, Zypressen,<br />

Mandelbäumen zogen vorüber. Von Antonio lernten wir, dass die weiß blühenden<br />

Mandelbäume süße Mandeln abwerfen, die rosa blühenden aber die bitteren.<br />

Unverhofft und überrascht hielt der Meister, ließ<br />

uns aussteigen und führte uns neben dem grünen<br />

Dickicht einer Apfelsinenplantage an einen<br />

primitiven Stand, auf dem ein intelligent<br />

aussehender Kaufmann, vielleicht der<br />

Plantagenbesitzer (sicher auf Vorbestellung) für<br />

jeden einen Plastiksack mit saftigen Orangen<br />

bereithielt, die kostenlos an uns ausgegeben<br />

wurden. Wir verschmausten gleich einige dieser<br />

Früchte, ungespritzt, außen todsicher ökologisch<br />

einwandfrei.<br />

Allerdings waren die Gifte bereits den Pflanzen während des Wachsens zugesetzt worden.<br />

Darauf möchte ich ebenfalls mein Leben verwetten. Vor Pestiziden und Herbiziden ist man<br />

bei Obst und Gemüse nicht mehr sicher. Entweder der Körper freundet sich mit diesen<br />

Insekten- und Pilzwaffen an oder man isst kein Obst und Gemüse mehr. Hoch leben die<br />

Vegetarier! Aber wovon?<br />

Wir durften die Plantage betreten. Ich gestehe, dass ich erstmals<br />

meinen Fuß in einen Orangenhain setzte. Der Boden war übersät mit<br />

verdorrten Schalen. Sie verrotten schlecht, wenn sechs Monate das<br />

Wasser fehlt. Kindskopfgroße Früchte dieser Mischsorte zwischen<br />

Pampelmusen und Orangen wuchsen hier neben den Orangen, aber<br />

alle noch grün. Unsere abgepackten Früchte kamen vielleicht doch<br />

vom nächsten Supermarkt und waren schon gespritzt?<br />

An einem Wasserhahn mit einem dünnen Faden als Ausfluss wuschen<br />

wir die klebrigen Hände und stiegen wieder ein.


Einigermaßen gestärkt, aber dennoch hungrig, setzten wir die Fahrt fort und kamen <strong>nach</strong><br />

kurzer Zeit in dem Städtchen Polis an, dem einzigen größeren Ort am Golf von Chrysochous.<br />

Polis ist heute Badeort und war in der Vergangenheit Sitz des antiken Stadtkönigtums<br />

Marion, dessen Ruinen noch zu sehen sind. Wir allerdings bogen vorher ab und fuhren noch<br />

bis zu dem Fischerdorf Latsi.<br />

Hier erlaubte uns Antonio Freizeit, Zeit für<br />

einen individuellen Mittagsimbiss und eine<br />

Stunde Ausspannen. Ich kaufte in einem Laden,<br />

der jetzt in der Mittagsstunde leergefegt war,<br />

eine Packung Kekse und machte mich dann mit<br />

Martina auf einen Rundgang durch den kleinen<br />

Ort. Dieser lebt von zwei sich bedingenden<br />

Einnahmequellen, dem Hafen und dem<br />

Fremdenverkehr. Wir besuchten ein Klubhotel,<br />

das von der Landschaft ein großes Areal<br />

ausgespart und zu einem Park umgewandelt hat,<br />

mit künstlichen Wasserfällen, verschiedenen<br />

Vegetationsinseln, vom Bungalowdorf und<br />

Abenteuerspielplätzen bis hin zu einem kleinen<br />

Museum und einem Einkaufsladen. Dann liefen<br />

wir den Strand entlang, ehemals die Domäne der<br />

Fischer, heute mehr der Tummelplatz von<br />

Halbinsel Akámas mit Polis und Latsi Freizeit- Kapitänen auf ihren Luxusjachten.<br />

Ein ausgemustertes Schiff liegt auf dem Trockenen, von Pfählen gestützt, ein elegant<br />

geschwungener Rumpf. Die ehemals blauen Farben des Außenanstriches machen deutlich<br />

dem Verfall und hässlichen Rostflecken Platz. Es muss ein schönes Schiff gewesen sein, die<br />

„Spiridon“.<br />

Tiefes Blau und grelles Weiß kontrastierten<br />

an der Mole des Hafens. Gerade tuckerten<br />

einige Boote in dem klaren blauen Wasser<br />

auf die Anlegestellen zu. Sehnsucht kommt<br />

auf, auch dabei zu sein, die Freiheit des<br />

Meeres zu genießen. So aber schlenderten<br />

wir nur vorbei an den vielen Motorbooten,<br />

Seglern aller Größenordnungen und blickten<br />

neugierig aus der Nähe in die Privatsphäre<br />

der Bootsleute. Freiheit hin oder her. Sie<br />

müssen sich auch allerhand Zwängen<br />

unterwerfen und müssen eine Menge<br />

materieller Dinge um sich versammeln, um<br />

in den Genuss einer solchen Bootsfahrt zu kommen. Mein Neid wurde geringer, als ich mir das<br />

überlegte.<br />

Latsi ist klein und überschaubar. Bald hatten wir alles gesehen, und es wurde zum Aufbruch<br />

geblasen. Ich ließ mich noch von einer Händlerin, vielleicht einer Bäuerin, sie sah recht<br />

schmutzig aus, beschwatzen, für zwei Pfund zwei Granatäpfel und einige überreife Feigen zu<br />

kaufen, wofür ich mir Schelte von Martina einhandelte. Am Ende behielt sie Recht, und ich<br />

warf alles weg, weil die Feigen matschig und die Granatäpfel nicht mehr gut waren, als ich sie<br />

für den Genuss prüfte.<br />

Auf einer gut asphaltierten Küstenstraße fuhren wir noch ein paar Kilometer.<br />

Unterwegs wies unser Führer auf einen Hotelkomplex hin, der 1998 mitten ins Naturreservat<br />

gebaut worden ist. Der ehemalige Außenminister Aleco Michaelides setzte den Bau des<br />

Luxushotels „Anassa“ durch, westlich von Latsí, in der Nähe der Bäder der Aphrodite.<br />

Die Akamas- Halbinsel soll zur Schutzzone erklär werden. Ihre Strände gehören zu den letzten<br />

Brutgebieten der vom Aussterben bedrohten Meeresschildkröten im Mittelmeerraum. Doch der<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 138


unheilvolle naturzerstörende, auf Sensationen bedachte Tourismus rückt immer näher heran.<br />

Das Hotel Anassa ist das teuerste und vornehmste Hotel <strong>Zypern</strong> und gilt als Treffpunkt der<br />

Reichen und des Jet- Sets, was immer sich unter diesem Begriff an blasierten Menschen<br />

verbergen mag. Prachtvolle Bauten, vereinzelte Wohnanlagen mit künstlich grünen Gärten,<br />

edlen Werkstoffen und Schmuckelemente zieren diesen hermetisch fürs Volk abgeriegelten<br />

Bereich. Die Straße liegt etwas oberhalb. Wir können in dieses teure Paradies hineinschauen.<br />

Nicht lange, dann endet die Asphaltstraße an einem Parkplatz, der mit allen Zeichen des<br />

Umfeldes einer touristischen Sehenswürdigkeit ausgestattet schien. Andenkenbuden, Imbiss-<br />

Stände, Menschen. Wir sollten jetzt wandern, hieß es, zum Bad der Aphrodite. Ein Rundweg<br />

begann mit der Plünderung eines Johannisbrotbaumes, dessen schwarze Früchte Antonio mit<br />

einem Stecken abschlug und verteilte. Wir kosteten die harte, bohnenähnliche Hülse. Sie<br />

schmeckte süß. Eukalyptus, Feigenbäume.<br />

Es dauerte nicht lange, da erreichten wir<br />

das so geheimnisvoll vermarktete<br />

Wasserloch. Aus einer Felsspalte sickert<br />

Wasser, sammelt sich in einem natürlichen<br />

Becken und fließt dann in der üppigen<br />

Vegetation in Richtung Meeresufer, das<br />

vielleicht ein Kilometer Luftlinie entfernt<br />

lag. Allerdings lässt sich ein regulärer<br />

Wasserlauf nicht erkennen. Jetzt im<br />

herbstlichen Nachsommer bei<br />

halbjährlicher Trockenheit ist es schon<br />

verwunderlich, eine solche Oase der<br />

Feuchtigkeit zu finden.<br />

Hier in diesem Tümpel, der im tiefen Schatten eines Feigenbaumes liegt, soll der Legende <strong>nach</strong><br />

einst Aphrodite ihren schneeweißen Leib gebadet haben. Dabei wurde sie von Akámas, dem<br />

Sohn des Theseus überrascht. Sie verliebten sich ineinander, wie es so kommt. Ihr<br />

Liebesabenteuer wurde aber durch den Verrat einer alten Frau, der personifizierten<br />

Verleumdung, jäh beendet. Aphrodite musste auf den Olymp zurückkehren.<br />

5 km von dem Bad der Aphrodite entfernt; entspringt in einer Sandbucht ihre Liebesquelle, die<br />

Fontana Amorosa. Sie ist mit geländegängigen Fahrzeugen zu erreichen oder auch zu Fuß.<br />

Als wir weitergingen, dachte ich, dass wir eine längere Wanderung unternehmen werden, war<br />

aber sehr enttäuscht, als Antonio an einem Aussichtspunkt uns auch den Schlusspunkt, der<br />

kleinen Fußwanderung setzte.<br />

Nichts zu sehen von den Schildkröten. Keine Rundwanderung, auch wenn sie weh täte oder ein<br />

wenig abenteuerlich wird. Kein Risiko. Alte Leute eben. Einige klagen schon, wenn sie ein<br />

paar Schritte gehen sollen.<br />

Von hier oben hat man einen weiten Blick über<br />

den Norden der Insel, <strong>nach</strong> Osten die Bucht über<br />

Latsi bis Polis. Nach Westen wird die Sicht<br />

verwehrt durch steile Klippen, die nahezu<br />

unberührt scheinen. Wenn man aber <strong>nach</strong> unten<br />

sieht, rücken Karawan- Besitzer und Zelturlauber<br />

in dieses Paradies ein, und nicht alle sind reine<br />

Naturfreunde.<br />

Wir genießen eine Weile diese schöne Aussicht.<br />

Dann machen wir uns auf den Rückweg.<br />

Die Fahrt <strong>nach</strong> dem Hotel ist ohne Spannung. Der<br />

Tag war lang.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 139


XXX. Pano Paphos = Ktima<br />

Martinas Geburtstag - Dienstag, 10. Oktober<br />

H<br />

eute und morgen sind wieder Tage der freien Verfügung, Badetage, die wir nicht wollen.<br />

Wir haben uns abgefunden und nehmen uns heute in der Oberstadt von Paphos einige<br />

Ziele vor. Der Baedeker ist mir dabei ein aufschlussreicher Gehilfe; in jedem Falle<br />

schlauer als die <strong>Reise</strong>leitung und erst recht klüger als die <strong>Reise</strong>begleiterin, die kein Interesse<br />

zeigt, im fremden Lande etwas hinzuzulernen.<br />

Was sagt die Historie?<br />

Dem antiken Mythos zufolge gründete der arkadische König Agapenor von Tegea die Stadt<br />

Paphos und das 15 km entfernte Aphrodite- Heiligtum Paläa Paphos. Auf dem Rückweg<br />

vom Trojanischen Krieg 62 wurde er durch einen Sturm in <strong>Zypern</strong> an Land geworfen.<br />

Allerdings wissen wir von Chirokitía, dass <strong>Zypern</strong> schon im 7. Jahrtausend v. Chr. besiedelt<br />

war. Und noch früher! Wo sind die Ursprünge?<br />

Gehen wir also nicht gar zu weit in den Nebel der Vergangenheit und halten uns an die<br />

schriftlich überlieferten Fakten. Historisch belegt ist die Gründung von Néa Paphos im 4.<br />

Jahrhundert v. u. Z., als der letzte Priesterkönig von Paläa Paphos, Nikokles, seinen Sitz<br />

hierher verlegte.<br />

Die Ptolemäer verliehen Néa Paphos, der heutigen Unterstadt (Kato Paphos), einige<br />

Bedeutung. Die Stadt übernahm von Salamis die Führungsrolle wegen der günstigen Lage am<br />

Meer und den waldreichen Gebieten im Hinterland, und Néa Paphos wurde Hauptstadt der<br />

ganzen Insel. Auch das frische Bergwasser des Troodosgebirges mag eine Rolle gespielt<br />

haben.<br />

Dann kamen die schrecklichen Erdbeben um 365 n. Chr. Néa Paphos wurde nicht wieder<br />

aufgebaut. Stattdessen nahm Salamis wieder den Platz als Inselhauptstadt ein.<br />

Erst unter den Lusignans gewann Paphos wieder Bedeutung und wurde römisch- katholischer<br />

Bischofssitz. Weitere Erdbeben und Überfälle führten dazu, dass Paphos verlassen wurde.<br />

Oberhalb der Küste wurde eine neue Siedlung namens Ktima angelegt.<br />

Während der Osmanenzeit war Paphos unbedeutend, da Famagusta und Nikosia näher zur<br />

Türkei liegen.<br />

Wir benutzten wieder den Stadtbus und fuhren<br />

bis zur Oberstadt. Diesmal besuchten wir nicht<br />

den Markt, sondern wandten uns dem nahen<br />

Stadtpark zu, der alte Mauern, alte Tore und<br />

viele schattige Eukalyptusbäume aufwies.<br />

Erholsam ist es hier, doch ich wollte zunächst<br />

zum Byzantinischen Museum. Wir fragten uns<br />

durch. Ein Mann half freundlich. So richtig<br />

verstand er uns nicht, hatte ich den Eindruck.<br />

Plötzlich wich die Straße zurück, und die<br />

Flanke eines kirchenähnlichen Bauwerkes<br />

wurde sichtbar. Eine Bank lud zum Sitzen ein.<br />

Martina strebte hin und ruht erst einmal.<br />

Bischofssitz in Ktima (Pano Paphos)<br />

Es ist der Bischofssitz und ist für uns Sterbliche nicht zugänglich. Wir schauen uns um. In<br />

ganz kurzer Entfernung sehe ich die weiße Büste des Erzbischofs Makarios III. in einem<br />

Garten. Ich steure dahin und finde so nebenbei das Byzantinische Museum der Stadt.<br />

Martina will nicht mit hinein. Das macht mir den Stress, immer zu wissen, dass sie jetzt<br />

wartet. Also muss ich mich beeilen, obwohl diese Schau von Ikonen, Kirchengeräten wieder<br />

in ganz frühe Zeiten führen. Byzanz und seine Religion beeinflusste <strong>Zypern</strong> vom vierten<br />

62<br />

Trojanischer Krieg, historisch umstrittener Krieg, vermutlich im 12. Jahrhundert v. Chr. zwischen Griechen<br />

und Trojanern in Troja, sagenumwoben und viel besungen (Homer, Vergil).<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 140


Jahrhundert u. Z. bis zum Sieg der Franken, die ab 1192 die römisch- katholische Religion zur<br />

Staatsreligion erhoben.<br />

Ich lerne Einiges über Ikonen. Hier im Museum finde ich hervorragende Stellvertreter vom<br />

12. bis zum 16. Jahrhundert. Ein kleines Büchlein klärte mich über diese Heiligenbilder auf:<br />

„Die Ikone ist der höchste Ausdruck der Geistigkeit der byzantinischen Malerei. Der Hl.<br />

Johannes von Damaskus definierte die Ikone wie folgt: „Eine Ikone ist ein Bild, das dem<br />

Original ähnelt, sich aber gleichzeitig auch von ihm unterscheidet.<br />

Eine Ikone enthält also gleichzeitig sowohl ein Element der Ähnlichkeit wie auch der<br />

Unterschiedlichkeit.<br />

Die Ähnlichkeit ist ein notwendiges Element, weil die<br />

Barmherzigkeit von Christus, der Jungfrau oder eines<br />

Heiligen im Porträt durch die Ähnlichkeit übermittelt wird.<br />

Diese Ähnlichkeit interpretiert auch einen ästhetischen<br />

Gesichtspunkt in der byzantinischen Malerei allgemein und<br />

in der Ikonenmalerei im Besonderen. Die Übermittlung der<br />

heiligen Barmherzigkeit erfordert eine exakte Kopierung<br />

des Originals. Es ist deshalb einfach, den Heiligen, der auf<br />

der jeweiligen Ikone dargestellt wird, zu erkennen,<br />

unabhängig von der Zeit, in der die Ikone gemalt wurde.<br />

Diese Tatsache hat der byzantinischen Kunst einige Kritik<br />

eingebracht. Trotz der Ähnlichkeiten, die eine Ikone des<br />

Apostels Paul z.B. des 6. Jahrhunderts mit einer Ikone<br />

desselben Heiligen, die im 12. oder 16. Jahrhundert gemalt<br />

wurde, aufweist — und das ist natürlich für ein Porträt —<br />

trägt jede Ikone den ganz spezifischen Ausdruck der<br />

jeweiligen Epoche, obwohl die Grundzüge unverändert Heilige Jungfrau Eleoussa, Ende 12. Jh.<br />

sind. Auf diese Weise bleibt die Ähnlichkeit, wie sie vom Hl. Klosterkirche des Hl. Savvas, Karonos<br />

Johannes von Damaskus erwähnt wird, erhalten.<br />

Andererseits muss sich die Ikone von der Wirklichkeit<br />

unterscheiden. Diese Unterschiedlichkeit wird durch<br />

bestimmte technische Prinzipien ausgedrückt. Solche<br />

Prinzipien sind: der Rhythmus in der Linienführung, das<br />

Fehlen der dritten Dimension und der Körperlichkeit, die<br />

Missachtung der Anatomie, die Betonung gewisser<br />

Körperteile wie Augen, Nase, Hände, die Benutzung von<br />

Gold und Rot als Hintergrund und schließlich die<br />

unnatürliche Anwendung des Lichtes, das diffus und nicht<br />

von einer bestimmten Quelle herkommend benutzt wird.<br />

Diese Prinzipien zeigen, dass die im Porträt dargestellten<br />

Personen zu einer übernatürlichen Welt gehören und<br />

betonen die Geistigkeit der Ikone.<br />

Johannes der Täufer<br />

Epiphaniaskirche Paphos<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 141<br />

Die Ikone als solche ist kein Objekt der Anbetung, noch<br />

hat sie magische Kräfte. Die Ikone ist das Medium, über<br />

das der Gläubige mit dem abgebildeten Heiligen in<br />

Verbindung tritt.<br />

Wie der Hl. Basil von Caesarea betonte (Migne 32, 149)<br />

und der 7. Ökumenische Rat im Jahre 787 n. Chr. in<br />

seinen Dogmen festhielt, "geht die Ikone über das<br />

Original hinaus " .


Wenn der Gläubige die Ikone verehrt, dann meint er nicht das Material, aus dem die Ikone<br />

hergestellt wurde, sondern den dargestellten Heiligen.<br />

Die religiöse Bedeutung und die Geistigkeit einer Ikone ist<br />

keine Minderung des Kunstwerkes. Der Maler zeigt in der<br />

Ikone nicht nur seinen Glauben, sondern auch seine<br />

malerischen Fähigkeiten und seine Sensibilität. Sowohl sein<br />

Können wie auch seine künstlerische Qualität kommen durch<br />

das Material zum Ausdruck, das er für die Schaffung der<br />

heiligen Darstellung verwendet.<br />

Seine gestalterischen Fähigkeiten, seine Verwendung von<br />

Hell und Dunkel, und allgemein die von ihm benutzte Technik<br />

werden zum Mittel, um sein inneres Selbst und seine<br />

ästhetischen Empfindungen zum Ausdruck zu bringen. Es ist<br />

deshalb einfach, einen guten Maler von einem mittelmäßigen<br />

oder schlechten zu unterscheiden, wie auch Glanzepochen<br />

von Zeiten des Zerfalls der Ikonenmalerei.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 142<br />

Erzengel Michael, etwa 1500<br />

Diese materielle Seite der Ikonenmalerei hat eine besondere Bedeutung, Der Maler, der in<br />

einer bestimmten historischen Epoche lebt, bringt nicht nur die Ideale seiner Zeit, sondern<br />

auch diese Zeit selbst zum Ausdruck. Wenn er die Auftraggeber, die für das Werk bezahlt<br />

haben, im unteren Teil der Ikone darstellt, dann übermittelt er Informationen über seine Zeit.<br />

Die Bekleidung und der Schmuck der Auftraggeber informieren uns über ihren<br />

gesellschaftlichen Stand, ihre ökonomische Position, die Mode jener Zeit, ja selbst über die<br />

Handelsbeziehungen <strong>Zypern</strong>s mit anderen Ländern. Die Einflüsse, die man in der Ikone<br />

aufspüren kann, interpretieren die politischen Abenteuer des Landes, die engen Bande<br />

zwischen dem byzantinischen Reich und den französischen, venezianischen und türkischen<br />

Besatzern.<br />

So wird die Ikone zu einem Buch, das einem viel erzählen kann, wenn man es zu lesen<br />

versteht.“<br />

Ich musste das Buch leider zuschlagen und Martina erlösen. Sie hatte es sich auf einer Bank<br />

in der Sonne bequem gemacht und zeigte mir den Umgang mit einer steinernen Ölpresse, die<br />

im Vorgarten aufgestellt war. Wir blickten uns um und suchten nun das Ethnographische<br />

Museum und siehe da.<br />

Es befindet sich auf der anderen Straßenseite.<br />

Die Breitseite des Hauses zeigt drei elegant<br />

geschwungene, über zwei Geschosse gehende<br />

Bögen, die eine überdachte Terrasse bilden und<br />

unten mit verschnörkeltem Gitterwerk vor<br />

Eindringlingen geschlossen sind. Wir traten ein,<br />

und sofort kam eine untersetzte dicke Frau, von<br />

Parfüm duftend wie eine Aktrice, mit Schmuck<br />

behängt, reichte uns servil ihre fettige Hand,<br />

fragte <strong>nach</strong> unserer Sprache und konnte uns dann<br />

in Deutsch die notwendigen Einweisungen geben.<br />

Langsam bemerkte ich, und sie, die sich als Frau Eliades vorstellte, erwähnte es auch<br />

<strong>nach</strong>drücklich, dass dieses Haus eine private Sammlung ihres Mannes, Professor G. S. Eliades<br />

ist. Eliades ist (oder war, das konnte ich nicht herausfinden) ein Gymnasiallehrer, der sich ein<br />

Leben lang mit der zyprischen Volkskunst befasst hat. Er hat 1957 dieses Haus erworben und<br />

seither eine einzigartige Sammlung ganz unterschiedlicher Art in allen seinen Räumen<br />

zusammengestellt, die insgesamt ein bürgerliches Haus städtischer Architektur des<br />

ausgehenden 19. Jahrhunderts in Paphos repräsentieren.


Als erstes sahen wir das Studierzimmer, was ich gleich selbst annektiert hätte, so gefiel es mir.<br />

Studierzimmer des Herrn<br />

G.S.Eliades<br />

Dann schlug uns die Frau vor, erst einmal die Sammlungen des Untergeschosses anzusehen.<br />

Gesagt. Getan. Wir<br />

gelangten über eine<br />

Außentreppe ins<br />

Untergeschoss und standen<br />

in einem mit glänzenden<br />

Kieselsteinen gepflasterten<br />

kreuzförmigen Gang, von<br />

dem vier Räume abgingen.<br />

Gleich vorn rechts war eine<br />

Bauernstube, eher eine<br />

traditionelle Küche<br />

eingerichtet. In der Mitte<br />

der Tisch mit den<br />

Grundutensilien, die den<br />

meisten Dorfbewohnern<br />

<strong>Zypern</strong>s früher zur<br />

Verfügung standen: die<br />

polierte Tonschale, aus der die ganze Familie in alten Tagen aß, der unentbehrliche tönerne<br />

Weinkürbis, einige Gläser, ein Salzfässchen, einige Zwiebeln und Knoblauch. Flaschen,<br />

Mörser aus Messing. Holz oder Ton, Kupfergerät. Ein transportabler Blechofen mit einer<br />

Wärmepfanne darunter wurde zum Kochen aller Arten von Mahlzeiten und Süßspeisen…Alle<br />

Gegenstände stammen aus Dörfern <strong>Zypern</strong>s und stellen einen Einblick in das Leben der<br />

einfachen Menschen dar.<br />

Im Gange stand ein Karren, wie ihn die Esel zogen. In<br />

einem in die Wand eingelassenen Blindfenster, eine<br />

Art Schaukasten mit Fensterflügeln, häuften sich auf<br />

vier Borden Topfscherben, Handgriffe von<br />

Weinamphoren, Fossilien und Beiköpfe, Fundstücke<br />

aus Paläologischer Vorzeit. Die Amphorengriffe<br />

stammen aus dem 3. bis 1. Jahrhundert v.u.Z.<br />

Zwei Schädel und Schädelplatten sind in einem<br />

Glaskasten links im Gang zu sehen, etwa 250 Jahre<br />

alt. Je mehr man sich vertieft, desto interessanter und<br />

vielseitiger spreizt sich das Spektrum der<br />

Vergangenheit.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 143


Auf einem kleinen Tisch im Gang stehen zwei Wassertöpfe, aus denen<br />

je ein Büschel Thymian ragte. Neben dem Hausgebrauch dienten sie<br />

auch als dekoratives Element und waren in jedem zypriotischen Haus<br />

der Vergangenheit zu sehen, Die Thymianbüschel sollten verhindern,<br />

dass Schlangen hineinschlüpfen. Wie schon Aristoteles erwähnte, gab es<br />

früher viele Schlangen und giftige Vipern auf der Insel. Die Legende<br />

sagt, dass die Heilige Helena, Mutter Konstantins des Großen, Kaisers<br />

von Byzanz, anlässlich ihres Besuches von <strong>Zypern</strong> im 4. Jahrhundert<br />

<strong>nach</strong> Chr. eine große Anzahl Katzen aus Jerusalem mitbrachte. Die<br />

Katzen wurden im Gebiet des Kaps von Limassol ausgesetzt, wo sich<br />

das Kloster des Heiligen Nikolas befand, in der Hoffnung, dass die<br />

Katzen die Schlangen ausrotten würden. Seither wird die Kirche des Hl.<br />

Nikolas auch Katzenkirche genannt.<br />

Wir treten in den Hof. Die Sonne blendet. Wohltuend sorgt<br />

viel Grün für Schatten. Wir sehen eine Olivenölmühle, ein<br />

riesiger runder Stein mit einem Loch in der Mitte.<br />

Steingemauerte Backöfen sind in eine Ecke des Hofes<br />

gebaut, mit den Gerätschaften zum Backen von Brot, einem<br />

Trog zum Teigkneten und Brotbrettern ausgestattet.<br />

Sogar ein Grab finden wir, ähnlich den in Felsen gehauenen<br />

Gräbern der Könige aus der Zeit 3. bis 2. Jh. v. Chr.<br />

einschließlich Grabgefäße und Grabsteine zum Verschließen<br />

des Grabeinganges.<br />

Auch eine Kapelle ist in einer Höhle <strong>nach</strong>gestellt. Einige<br />

Ikonen zieren die moosbedeckte Wand. Vielerorts wurden<br />

solche Höhlen auch als Eremitagen verwendet wie in<br />

Neophytos.<br />

Mitten im Garten, der voller exotischer Pflanzen stand, war<br />

ein Dorfbrunnen <strong>nach</strong>gestaltet. Brunnen sind schon immer<br />

im Dorfe zentraler Treff von Jung und Alt gewesen, überall<br />

auf der Welt, auch hier auf <strong>Zypern</strong>. Schwatz und Klatsch,<br />

Neuigkeiten, ernsthafte Unterhaltung, Kontakt mit dem<br />

Nachbarn. Das waren die Zeitungen von früher! Ein<br />

Drehkreuz für das Seil, an dem die Zieheimer hingen,<br />

steckte auf einem Achsholz, das sich wiederum auf zwei<br />

Steinlagern drehte. Ich sah solchen Brunnen bereits in Kiti<br />

bei Larnaca.<br />

Als wir wieder die Treppe ins Obergeschoss hinaufstiegen,<br />

um die restlichen Räume zu sehen, bemerkte ich über der<br />

Tür ein seltsames Wappen.<br />

Es zeigt ein dekoratives<br />

Relief aus dem Jahre 1878,<br />

einen doppelköpfigen Adler<br />

mit Kronen und unten drei Spieler beim Billardspiel. Die<br />

Inschrift ist teilweise ausgemerzt. So ein seltsames Symbol<br />

über einer Tür habe ich noch nicht gesehen. Oben beinahe<br />

königliche Insignien. Adler breiten ihre Schwingen über<br />

gebändigte Panther aus und unten Lust und Leidenschaft zum<br />

Spiel? Ich schließe auf Vorbesitzer, die das Spiel aus<br />

Frankreich mitbrachten. Immerhin bevorzugten auch schon im<br />

17. und 18. Jahrhundert so berühmte Personen wie Ludwig<br />

XIV. und Napoléon Bonaparte das außergewöhnliche Ballspiel.<br />

Wieder öffnet sich eine Gedankenbrücke ins Gestern.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 144


Wir sind wieder im Obergeschoss. Frau Eliades steht stolz neben uns, möchte uns alles zeigen.<br />

Martina wird ungeduldig. Ich möchte der Zypriotin mein Interesse zeigen. Ich staune über die<br />

Vielfalt der angelegten Sammlungen. Da findet sich eine Münzensammlung, in die ich mich<br />

nicht vertiefen will. Sie führt wieder in die Zeit der Römer und alten Griechen. Da ist in einer<br />

Ecke des Flures eine Reihe von Ikonen an die Wand gelehnt. In einer Vitrine stehen<br />

Silbergefäße und Silberbestecke von großem Wert.<br />

Mit Edelsteinen besetzte Muschelschalen,<br />

Pokale, Sammeltassen, Becher. Es ließe sich<br />

Vieles zusammentragen über die Verwendung<br />

und den ehemaligen Zweck dieser Dinge. Es<br />

wird Zeit, sich von Frau Eliades zu<br />

verabschieden.<br />

Bald stehen wir auf der sonnenüberfluteten<br />

Straße und suchen ein neues Ziel für diesen<br />

Vormittag. Da Martina Geburtstag hat, wollen<br />

wir hinunter <strong>nach</strong> Kato Paphos und irgendwo<br />

einkehren.<br />

Zunächst streben wir auf einen Aussichtspunkt zu, von dem man einen großartigen Ausblick<br />

auf die Unterstadt genießen kann. Ein Lokal muss hier gewesen sein. Jetzt ist es eine Ruine,<br />

nur eine alte Frau sitzt selbstvergessen auf einem Stuhl. Wir gehen auf die Terrasse und<br />

schauen.<br />

Wir wollen noch einmal ans Meer und zum Hafen hinunter und machen uns auf den Weg. Es<br />

sind zwei oder drei Kilometer, für die wir etwas länger als eine Stunde laufen. Da es bergab<br />

geht, ist die einzige Anstrengung, der direkten Sonneneinstrahlung auszuweichen. So nutzen<br />

wir jeden Schatten, der sich bietet und wechseln mehrmals die Straßenseite.<br />

Wir laufen immer die Agapinoros entlang und<br />

stoßen auf die Daidalou. Ampelkreuzung.<br />

Eine mächtige Kirche beherrscht den großen<br />

freien Platz, die Agioi Anargyroi . Es ist sicher<br />

ein Bau aus moderner Zeit, als<br />

Kreuzkuppelkirche ausgeführt. Mir hat sie<br />

imponiert, kompakt wie eine Festung, stolz<br />

wie eine Burg, schlicht die aufstrebenden<br />

Wände, klar die Formensprache ihrer Apsen,<br />

der mit Lüftungslöchern nur angedeuteten<br />

Fenstern, am schönsten die Dachlandschaft,<br />

die Kuppeln klassisch gedeckt mit Mönch und<br />

Nonne, die schlanken Glockentürme, eine in<br />

die Neuzeit herübergeholte Tradition.<br />

Wir wollen ans Wasser, verfehlen den Weg, finden<br />

nur unbekanntes Terrain, suchen jetzt einen<br />

entspannenden Sitzplatz.<br />

Ehe wir etwas Passendes gefunden haben, suchen wir<br />

die Richtung Hafen, laufen ein weites Stück. Eine<br />

Schule mit lärmenden Schulklassen bietet am Rande<br />

für uns eine Bank. Ich verfolge das von Lehrern<br />

geordnete Getriebe der uniform gekleideten Mädchen<br />

und Jungen und bestaune die wohltuende Ordnung<br />

gegenüber dem Chaos au deutschen Schulhöfen.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 145


Eine Klasse wechselt gerade das Zimmer. Ich empfinde Freude über dieses Land, das seine<br />

Kinder gut behandelt.<br />

Wir haben uns entschieden, einen großen Eisbecher zu schlemmen. Das tun wir auch, als wir<br />

die Strandstraße erreichen, suchen uns einen Freisitz in einer Trattoria, genießen die<br />

Ruhepause, das Zuzweitsein im fremden Lande, den Schatten, das kühle süße Eis. Die<br />

Rechnung wage ich auf Griechisch anzufordern: „Kyrios, to logariasmó parakaló!“ Da ich auch<br />

noch die Zahlen verstand, heimste ich einige Pluspunkte beim Kellner ein.<br />

Nun wird Martinas<br />

Wunsch erfüllt, über die<br />

bunte Shopping- Meile<br />

bummeln zu gehen. Ich<br />

bin heute sehr großzügig,<br />

hefte mich an ihre Fersen,<br />

gönne ihr generös die<br />

Entscheidung, in welches<br />

Geschäft sie hinein will,<br />

um zu entdecken.<br />

Ich staune nur über die Unmengen von wertlosem und<br />

sinnlosem Kitsch, den man uns Touristen anbietet. Es ist<br />

unbeschreiblich. Doch es würde nicht hergestellt und<br />

angeboten, wenn es nicht auch gekauft würde. Also gibt es eine<br />

Menge Menschen, die für solchen Kram ihr Geld ausgeben.<br />

Ich gönne den Einheimischen den Verdienst und verüble es denen nicht. Ich begeistere mich<br />

wieder an Schachfiguren, die die alte Römerzeit verherrlichen<br />

Ich bin wieder versöhnt mit dem „Tag zur freien Verfügung“. Am Hafen bietet sich noch<br />

einmal der herrliche Blick über die Schiffe, die Mole mit dem Hafenkastell, die blühenden<br />

Oleanderbäume, die Palmenfächer und die vielfarbigen Bougainvillea- Blüten.<br />

Doch ein Bus rauschte heran, und wir mussten uns mit einer großen Zahl von schwitzenden,<br />

dicken und laut palavernden Engländer hineinzwängen, die alle in ihre Hotels zurückwollten,<br />

die längs des langen Strandes der Korallenbucht von Paphos verteilt liegen. Nach einer<br />

reichlich halbstündigen Fahrt erreichten wir wieder unsere Bananenplantage und dann unser<br />

reizendes Hotel Cynthiana.<br />

Am Nachmittag genossen wir jeder auf seine<br />

Art die Freuden des Nichtstuns. Martina ruhte<br />

und schlief, neue Kraft sammelnd. Ich badete<br />

und las die gekauften Hefte, vertiefte meine<br />

Erkenntnisse, schmeckte meine gesehenen<br />

Bilder im Geiste <strong>nach</strong> und beobachtete meine<br />

Mitmenschen und deren Nichts- Tun und<br />

langweilte mich dabei kräftig. Wie hält man so<br />

etwas über längere Zeit aus?<br />

Über die Abende berichte ich nichts. Natürlich<br />

freuten wir uns auf das Menü, das wir am Buffet<br />

uns selbst wählen können. Ein obligatorisches<br />

Gläschen Bier oder Wein gab den i- Punkt dazu.<br />

Die Abendprogramme nutzten wir nicht. In den verräucherten Lokalen fühlen wir uns nicht<br />

wohl. Wir sind wohl auch schon ein wenig menschenscheu und kontaktarm geworden.<br />

Natürlich versäumte ich nicht, den abendlichen Sonnenuntergang aufs Korn zu nehmen. Ich<br />

habe nun bereits so viele Bilder davon, dass ich die Wiedergabe hier lieber sein lasse.<br />

Goldgelb, Orange, Blutrot, Purpur und Lila. Es ist ein Lichtspiel ohnegleichen. Dazu die<br />

wehenden Palmenwipfel, die im aufbrisenden Abendwind sich biegen und neigen. Es ist schön<br />

hier. Wenn es ganz dunkel ist, bin ich allein am Wasser. Die Menschen haben sich in ihre<br />

Betonhöhlen zurückgezogen und sind fernab der Natur. Ich träume noch eine kleine Weile.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 146


Die Wellen schwappen über die Felsen, schäumen auf, wirbeln zwischen den Klippen, strömen<br />

zurück und kommen wieder. Leise rauscht die Brandung, dunkel am Horizont dehnt sich die<br />

Silhouette des Troodosgebirges. Über dem Meer liegt jetzt nur noch ein lila Streifen, der<br />

Wasser und Luft verbindet, er wird immer dunkler. Ich gehe auch <strong>nach</strong> oben, kleide mich um<br />

fürs Dinner.<br />

Mittwoch, 11. Oktober 2006<br />

XXXI. Agia Solomoni<br />

Letzter freier Tag. Morgen geht es zurück in die Heimat. Wieder nehmen wir uns am<br />

Vormittag Kato Paphos als Ziel, wissen immer besser Bescheid mit dem Stadtbus, kennen die<br />

Haltestellen und fahren allerdings erst einmal bis zum Markt hoch <strong>nach</strong> Ktima bzw. Pano<br />

Paphos. Martina will dann noch die moderne Geschäftsstraße durchkämmen, ihr bekannte<br />

Marken- Unternehmen besuchen, den Trend verfolgen, vielleicht etwas anprobieren oder gar<br />

kaufen. Als der Bus uns an der Endstelle auslädt, ist es heiß und ein bisschen schwül. Wolken<br />

bedecken den Himmel. Kühler Wind deutet auf schlechtes Wetter, vielleicht bringt er sogar<br />

Regen her. Wir nähern uns dem für die Jahreszeit normalem Herbstwetter, wo es auch regnen<br />

kann.<br />

Am Restaurant ZOVOS vorbei begehen wir noch einmal kurz den Markt mit dem konkreten<br />

Ziel, eine gute Kopie des steinzeitlichen Fruchtbarkeitsgottes zu finden, Erinnerung an das<br />

<strong>Zypern</strong>museum. Nach langem Suchen, wobei Martina mit anderthalb Augen ihren Interessen<br />

folgte, fanden wir ein kleines Exemplar, von dem im VI. Kapitel schon die Rede war. Dann<br />

lösten wir uns ganz schnell und sehr einig von dem Trubel und entflohen dieser Budenstadt.<br />

Von der Endhaltestelle führt ein Lift in einen<br />

unteren Stadtteil. In einer Senke lädt ein<br />

Türkisches Bad zur Reinigung ein. Es hat eine<br />

halbrunde weiße Kuppel und sieht sehr türkisch<br />

aus. Da es im Schatten, teils in greller Sonne<br />

liegt, ist das Gebäude nicht sehr fotogen.<br />

In einer kleinen Anlage setzten wir und auf<br />

einen Randstein und stärken uns mit einer<br />

Banane und mitgebrachtem Kaffee, denn der<br />

Vormittag ist weit fortgeschritten, dann machen<br />

wir uns auf den Weg. Martina geht tapfer an den<br />

Luxusgeschäften vorbei, wohl auch mir zuliebe.<br />

Wir wollen nun <strong>nach</strong> Kato Paphos hinunter.<br />

Wieder suchen wir Schatten. Wind fegt Schmutz und Staub durch die Luft. Der Himmel wird<br />

milchig. Heute ist kein Badewetter, für Einheimische sowieso nicht. Heute biegen wir an der<br />

Abzweigung ab, folgen der Leoforos Apostolou Pavlou, der Apostel-Paulus-Straße, geraten<br />

also nicht links von der Agioi Anargyroi auf die Daidalou, sondern weit rechts von dieser<br />

markanten<br />

Kirche.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 147<br />

Kato Paphos- Romana- Hotel


Ein markanter Gebäudekomplex beherrschte diese Kreuzung, das „Romana Hotel“, ein mit<br />

vielen Klischees aus der Römerzeit dekorierter und darum blickfangender, interessanter Bau.<br />

Gegenüber diesem attraktiven Hotel stiegen wir auf den so genannten Fabrica- Hügel und<br />

begannen unsere eigentliche archäologische Entdeckungsreise an diesem Tag.<br />

Blanke Felsen und verdorrtes Macchia- Gestrüpp<br />

bedecken diese von Bebauung frei gehaltene<br />

Erhebung, von der wir einen guten Blick auf die<br />

gerade bewunderte Hotelanlage und das Meer und<br />

<strong>nach</strong> der anderen Seite auf die neue Kirche Agioi<br />

Anargyroi werfen konnten. Unter uns befinden sich<br />

unterirdische Grabanlagen aus hellenistischer Zeit.<br />

Der Name Fabrica erinnert an eine Bauhütte und<br />

Steinmetze, die hier einst arbeiteten. Spuren von<br />

Keillöchern zeigen, dass dieser Hügel in römischer<br />

Zeit als Steinbruch genutzt wurde.<br />

Australische Archäologen graben zur Zeit ein antikes Theater aus, das wir dann sehen<br />

können. Vorerst sehen wir ein Gitter um ein halb gesichertes Boden-Mosaik noch aus der<br />

hellenistischen Zeit. Die schwarz-weißen Steinchen deuten auf Entstehen vor der<br />

Zeitenwende hin, lange vor den herrlichen Mosaiken drüben im Archäologiepark.<br />

Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in ein Loch rutschen, aber es macht Spaß, auf eigene<br />

Faust auf Entdeckung zu gehen. Die regellos herumliegenden Felsen machen den Eindruck,<br />

als hätten Riesen sich hier mit Steinen beworfen. Sie heißen Digenis- Felsen. Es gibt auch<br />

eine Legende: Vor langer Zeit liebte ein byzantinischer Held die Königin Regaena. Diese<br />

hatte Digenis versprochen, ihn zu erhören, wenn er ihr Wasser aus dem Pentadáktylos bringe.<br />

Als sie ihr Versprechen nicht hielt, warf Digenis voller Wut einen Felsblock, den heutigen<br />

Fabrica- Hügel, auf ihren Palast. Regaena bewarf ihn daraufhin mit einer Spindel, die ihn in<br />

eine Granitsäule verwandelte.<br />

Dieser Fabrica- Hügel ist durchlöchert wie ein<br />

Schweizer Käse. An mehreren Stellen führten<br />

oft nur notdürftig freigelegte Treppenstufen in<br />

ein unterirdisches Höhlensystem, das sicher in<br />

der Vergangenheit viele Nutzungen erfahren<br />

hat. Wir stromerten durch die unübersichtlichen<br />

Höhlen, und meine Phantasie begann zu<br />

arbeiten. Höhlen schützen. Vor Unwetter. Vor<br />

Wetter überhaupt. Vor Menschen. Sie spart<br />

bauen. Über eine Nutzung ist nichts mehr zu<br />

erfahren.<br />

Einzelne natürliche Pfeiler stützen die verrußten Decken. Es<br />

gibt oft mehrere Ein- oder Ausgänge. Kurze Treppen<br />

verbinden manchmal unterschiedlich hohe Räume.<br />

Die Höhlen sind hoch, zum Wohnen fast ungemütlich. Man<br />

denkt an sakrale Nutzung, an Gemeinschaftseinrichtungen.<br />

Vielleicht waren es auch die Steine, die man ausbrechen<br />

wollte und nur das Nötigste stehen ließ, um das Gebirge nicht<br />

einstürzen zu lassen. Dann wäre aber der Tagebau einfacher<br />

gewesen. Einsiedeleien sind es bestimmt nicht gewesen.<br />

Dazu war der Ort zu bewohnt. Möglicherweise standen auch<br />

einmal Häuser darüber, und die Höhlen waren die<br />

unterirdischen Lagerräume. Lüftungslöcher führten oft<br />

senkrecht ans Tageslicht. Andernorts denke ich wieder an<br />

eine Kirche, Kultstätten. Der Massentourismus wird daran<br />

vorbeigelenkt. Gott sei Dank.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 148


Ein Hohlraum hat einen ganz offiziellen Ausgang, durch den wir auf die Straße treten.<br />

Eigentlich ist es der Eingang zum Höhlensystem. Wir haben die Besichtigung von Hinten<br />

begonnen, abenteuerlicher, mit einem Anflug von Entdeckerfreude.<br />

Nicht weit davon in Richtung Hafen<br />

wehen linker Hand von einem Baum<br />

viele bunte Tücher. Hier findet sich<br />

unter der Erde eine unterirdische Kirche,<br />

die Höhlenkirche Agia Solomoni, zu<br />

der wir nun hinuntersteigen. Von einem<br />

oben offenen Vorraum führen mehrere<br />

Eingänge zu unterschiedlichen Stellen.<br />

Die eine ist der Zugang zur Kirche<br />

selbst, in die man wieder mit einigen<br />

Stufen hineinsteigen muss. Die<br />

Finsternis wird nur durch ein paar<br />

Wachskerzen aufgehellt. Ansonsten<br />

muss das Tageslicht, das aus dem<br />

kleinen Vorhof hineinfällt ausreichen.<br />

Der Kirchenraum ist auch nicht tief, vielleicht 6 – 8 Meter bis zum Altarbereich. Decke und<br />

Wände sind arg verrußt von Fackeln und Kerzen. Die Wände sind nackter Fels mit Narben,<br />

Rissen, Löchern und Vertiefungen. Links lehnen Papptafeln gegen die Wand, an denen Ikonen<br />

befestigt sind. Kunstblumen und Deckchen schmücken Altar und einen Steintisch an der Seite.<br />

Rechts lehnen ebenfalls Ikonen. Der Fußboden ist festgetreten, nicht gepflastert, erdig und<br />

wirkt wie aufgeschüttet. Blickfang und Andachtsmitte ist eine Christus- Ikone vor einem<br />

weißen Tuch mit zwei roten Kreuzen. Ich vermute, die heutigen Gläubigen haben ohne<br />

Aufwand von Geld diese Höhle mit primitiven Mitteln wiederbelebt und in religiösen<br />

Gebrauch genommen.<br />

Man sagt, dass frühe Christen vor 2000 Jahren hier<br />

Zuflucht suchten. Diese auf antike Grabanlagen<br />

zurückgehenden Katakomben wurden <strong>nach</strong> der Märtyrerin<br />

Solomoni benannt, einer Jüdin, die zusammen mit ihren<br />

sieben Söhnen während des Makabäer- Aufstandes 166 n.<br />

Eingang zur Höhlenkirche Agia<br />

Solomonis (Mitte) und Treppe zum<br />

unterirdischen Brunnen (rechts)<br />

Chr. hier lebendig eingemauert worden sein soll.<br />

Vom Vorhof führen Stufen in die Tiefe zu einem Brunnen,<br />

der diese Stelle wertvoll machte, weil seinem Wasser eine<br />

heilende Wirkung bei Augenleiden <strong>nach</strong>gesagt wird. Ich<br />

steige hinunter bis zur „Quelle“, einem kleinen<br />

Wasserbecken, leider mit Gegenständen verschmutzt, wie<br />

es üblich ist bei öffentlichem unkontrolliertem Zugang.<br />

Wenn der Mensch allein ist und anonym handeln kann,<br />

ohne sich für sein Tun verantworten zu müssen, wird er<br />

zum Urtier, zur Sau. Der Brunnenraum ist aus dem Stein<br />

gearbeitet, so dass mehrere Leute sich bewegen können,<br />

ohne weitere Ausstattung.<br />

Wieder ans Tageslicht gestiegen, bleibt ein Blick durch das verschlossene Gitter der dritten<br />

Tür, die vom Vorhof in einen Andachtsraum führt, die eigentliche Grottenkirche vielleicht,<br />

vielleicht eine Totenkapelle, auch noch unter der Erde gelegen. Es ist finster darin. Die Augen<br />

gewöhnen sich langsam um. Ich sehe verblichene Fresken in der Apsis und zu beiden Seiten.<br />

Die Fresken, mit denen die Wände ehemals bemalt waren, sind vermutlich verschimmelt, auch<br />

abgehackt, nie saniert, mindestens eineinhalb Tausend Jahre alt. Die Denkmalspfleger haben<br />

noch keine schützenden Hände darüber gelegt, scheint mir. Der Boden ist mit groben Steinen<br />

unordentlich gepflastert ohne erkennbares Programm. Die gewölbte Decke ist nahezu schwarz.<br />

Nur mühsam erkennt man, dass sie voll ausgemalt war. Welche Herausforderung, sie wieder<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 149


sichtbar zu machen! Das Podest für einen Taufstein kann man ausmachen. Eine Nische führt<br />

möglicherweise in die Sakristei, einen winzigen Nebenraum für den Priester.<br />

Wir klettern <strong>nach</strong> oben, machen Platz für eine Familie, die neugierig <strong>nach</strong> unten drängt.<br />

Martina rafft es. Sie will auch ein Tüchlein an den<br />

Wunschbaum knüpfen, raubt mir ein Taschentuch und<br />

befestigt es mit verschmitztem Lächeln an dieser 300 Jahre<br />

alten Terpentin- Pistazie. Wir wünschten uns etwas,<br />

verrieten es nicht, als das Tuch wie die anderen im Winde<br />

zappelte, hin und her schwang und nun wer weiß wie lange<br />

dort hängen bleibt. Wie willig lässt sich der so moderne<br />

Mensch auf solche Schamanen- Mätzchen ein. Er tut es mit<br />

einem Lächeln, versteht es als Scherz, doch im Innern?<br />

Der Glauben wird durch das geschmückte Portal<br />

hinausgetrieben. Durch kleine Hintertüren schleicht er sich<br />

wieder ein. Da werden Münzen in Brunnen geworfen,<br />

Bronzestatuetten an bestimmten Stellen berührt, bis das<br />

Metall goldgelb glänzt, heilige Steine angefasst, Ikonen<br />

geküsst, die Liste ließe sich endlos lang ausdehnen.<br />

Hier wird eben ein Tuch am Wunschbaum befestigt. Wer erfüllt diese Wünsche? In allen<br />

monotheistischen Religionen haben die Gläubigen ihre Riten, ihre Heiligen, ihre Reliquien,<br />

ihre Herren und Mütter, die über sie wachen, in anderen Religionen gibt es sie sowieso. Ich<br />

frage mich, warum macht das aber der „moderne“, aufgeklärte Atheist? Und glaubt auch noch<br />

daran! Heidnischer Aberglaube ist eben in jedem von uns infiltriert!<br />

Unser Besichtigungsprogramm war zu Ende. Wir<br />

fanden schnell den Weg zum Hafen. Kühler Wind war<br />

aufgekommen. Vor die Sonne hatten schwammige<br />

Wolken ihre Schleier gezogen. Böen fegten durch die<br />

Straßen und wirbelten den Staub des trockenen<br />

Sommers auf. Schlechtes Wetter zog heran. Wir hatten<br />

Glück, standen gut an der Haltestelle, als der Bus<br />

einlief und bekamen einen Sitzplatz, denn mit uns<br />

wollten jetzt eine Menge Engländer wieder in ihre<br />

Hotels entlang der Küste. Und wir hatten fast die<br />

Schweres Wetter über dem Troodosgebirge weiteste Strecke.<br />

Am Nachmittag dann erlebten wir ein Gewitter mit Blitz und Donner von großer Heftigkeit.<br />

Seltsam, es regnete bei uns nicht. Das Unwetter tobte vielleicht zwei Stunden über die Insel<br />

und verzog sich dann in Richtung Troodos. Die Luft roch frisch und war sehr abgekühlt. Der<br />

Badestrand lag verwaist, selbst die begehrtesten Plätze waren jetzt zu haben.<br />

Ich überredete Martina, mit mir noch ein letztes Mal<br />

den Badestrand zu genießen. Wir suchten eine<br />

Liege direkt auf der Felsenbrücke zwischen<br />

Badewanne und Meer. Der Unterschied zwischen<br />

Luft- und Wassertemperatur war gering und machte<br />

das Zuwassergehen leicht. Ich bereute, dass ich<br />

keine Schwimmflossen oder Taucherbrille mithatte.<br />

Sie hätten das Gepäck belastet. So schwamm ich ein<br />

letztes Mal in dem herrlich sauberen Wasser. Später<br />

beobachtete ich eine Gruppe Taucher, eine<br />

Tauchschule, die ihre umfangreichen Gerätschaften<br />

im Wasser ausprobierten.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 150<br />

Badezugang zum Meer


Viel wird man unter Wasser nicht sehen. Hier ist felsiger Grund an der Küste, kaum Sand. Es<br />

gibt Tangwiesen, Kleinfische sicher auch, Anemonen. Der Name der Bucht lässt auch auf<br />

Korallenriffe schließen. Ich sammelte darüber keine Informationen. Wie beschrieben war ich<br />

auf Kulturreise und nicht im Badeurlaub.<br />

Am Abend fotografierte ich mit innerlichem Glücksgefühl und gleichzeitigem Abschiedsweh<br />

noch einmal den Sonnenuntergang, der heute klarer war als gestern.<br />

Zunächst leuchtet sie noch eine Weile durch die<br />

Palmen. Dann umgibt sie sich mit einem<br />

Schleier aus lila Watte und rutscht in wenigen<br />

Minuten in diese Schicht über dem<br />

Wasserhorizont, bis sie sich rot färbt uns<br />

versinkt, weil ihr Licht mit untergeht. So sehen<br />

wir es. Doch in Wirklichkeit drehen wir uns von<br />

ihr weg. Wer es sich bewusst macht, bemerkt<br />

wie schnell unser Planet sich dreht!<br />

Was blieb uns noch: Ein vorzügliches<br />

Abendmenü, dann Kofferpacken. Zeitig<br />

schlafen gehen.<br />

Es wäre müßig, von dem nun folgenden Geschehen viel<br />

Aufhebens zu machen, der Rest der <strong>Reise</strong> ist schnell erzählt:<br />

Donnerstag, 12. Oktober 2006<br />

Wir mussten sehr zeitig aufstehen. 5.30 Uhr gab es<br />

ein nicht sehr üppiges Frühstück. Koffer zum Bus.<br />

Wir trafen auf Antonio, der uns nun bis zum<br />

Flugzeug begleitete. Die Fahrt zum Flughafen Paphos war<br />

recht kurz. Die Wartezeit auf den Abflug dagegen dehnte<br />

sich über fast zwei Stunden.<br />

Eine zypriotische Maschine brachte uns in etwas mehr als<br />

vier Stunden sicher <strong>nach</strong> Dresden zurück.<br />

Gepäck- Karussell. Rolltreppe. S-Bahn. Hauptbahnhof.<br />

Straßenbahn Nr. 10. Striesen. Bergmannstraße. Wir rollern<br />

mit dem Gepäck übers heimische Pflaster. Keglerstraße. Wir<br />

waren wieder zu Hause.<br />

XXXII. Epilog<br />

ypern ist eine <strong>Reise</strong> wert, das ist mein Fazit. Wir haben so viel es uns in diesen zwei<br />

Z Wochen möglich war gesehen. Ich war beeindruckt von dieser Insel und seinen<br />

Bewohnern, und ich habe vom Gefühl her diese verschiedenen Ebenen erlebt:<br />

• Da waren zuvorderst die politischen Spannungen, unter denen die Zyprioten und zwar<br />

griechische und türkische heute noch leiden. Wer genau hinhört und hinsieht, wird sie<br />

spüren.<br />

• Da ist die Lage der Insel in ihrer Nähe zu drei Kontinenten, ein Katzensprung <strong>nach</strong><br />

Antalya, <strong>nach</strong> Haifa oder Alexandria. Am meisten bemerkt man im Süden, der<br />

Republik <strong>Zypern</strong> aber die Nähe zu Griechenland und Europa.<br />

• Da sind die Religionen, der Islam im türkisch besetzten Norden mit seiner Intoleranz,<br />

Gleichgültigkeit bis zur Verfolgung christlicher Werte und das Christentum mit seinen<br />

Ausformungen und Widersprüchen der griechisch- orthodoxen Ostkirche und der<br />

römisch- katholischen Kirche des Vatikans.<br />

• Da sind die unterschiedlichen Landschaften, das grüne Gebirge, die im Sommer<br />

ausgetrockneten Felder und Wadis der Küstenebenen mit Wasser- und<br />

Energieproblemen.<br />

• Und da sind die unvergleichlichen Erlebnisse mit den Zeugnissen der Vergangenheit,<br />

die mich, wie man diesem Bericht leicht entnehmen kann, am meisten beeindruckten.<br />

© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 151

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