19 - Steinway in Austria
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<strong>in</strong>terview<br />
04<br />
Elisabeth Leonskaja zählt seit Jahren zu den großen Interpret<strong>in</strong>nen unserer<br />
Zeit. Sie gastiert weltweit mit führenden Orchestern als Solist<strong>in</strong>, ist e<strong>in</strong>e<br />
begehrte Kammermusikpartner<strong>in</strong> und hat zahlreiche CDs e<strong>in</strong>gespielt. Wie<br />
aber begann die Karriere der erfolgreichen russischen Pianist<strong>in</strong>? Vom ersten<br />
Klavier, dem ersten Konzert und der ersten Zeit <strong>in</strong> Wien erzählte sie dem<br />
<strong>Ste<strong>in</strong>way</strong>-Magaz<strong>in</strong>: Wie war das, als Sie Ihr erstes Klavier<br />
bekamen?<br />
Leonskaja: Ich war im K<strong>in</strong>dergarten, Papa hat mich abgeholt<br />
und gesagt: „Zu Hause wartet e<strong>in</strong>e Überraschung auf<br />
dich.“ Als ich zu Hause ankam, habe ich das Klavier erst auf<br />
den zweiten Blick gesehen. Das war so e<strong>in</strong> freudiger Schock,<br />
dass ich <strong>in</strong> Tränen ausgebrochen b<strong>in</strong>. Ich wusste nicht, dass<br />
sie mir e<strong>in</strong> Klavier kaufen wollten. Damals war ich 6 Jahre<br />
alt. Ich war <strong>in</strong> die Musikschule aufgenommen worden,<br />
ohne dass ich e<strong>in</strong>e Note spielen konnte.<br />
Kommen Sie aus e<strong>in</strong>er musikalischen Familie?<br />
Me<strong>in</strong>e Mutter hat Klavier und Gesang gelernt, aber die<br />
Zeit, <strong>in</strong> der Sie gelebt hat, war ke<strong>in</strong>e gute. Als sie studiert<br />
hat, hat man ihr Klavier konfisziert. So hatte sie ke<strong>in</strong>e<br />
Möglichkeit, ihr Studium weiterzuentwickeln.<br />
Schon mit sieben Jahren hatten Sie Ihr erstes Konzert. Können<br />
Sie sich daran noch er<strong>in</strong>nern?<br />
Schon zwei Monate, nachdem ich angefangen habe Klavier<br />
zu spielen, habe ich bei e<strong>in</strong>em öffentlichen Konzert gespielt.<br />
Ich war furchtbar aufgeregt und hatte Magenschmerzen.<br />
Me<strong>in</strong>e Mama hat gesagt: „Wenn du auf die Bühne gehst,<br />
stell dir vor, du bist zu Hause.“ Ich aber dachte: „Wieso<br />
höre ich dann nicht ,e<strong>in</strong>s und zwei und …‘?“ (Anm.: Macht<br />
den Rhythmus nach, wie ihn ihre Mutter vorgegeben<br />
hatte.) Ich kann mich noch genau er<strong>in</strong>nern, ich komme auf<br />
die Bühne und setze mich an den Flügel – fragen Sie mich<br />
nicht, welcher es war, wahrsche<strong>in</strong>lich war es schon e<strong>in</strong> alter<br />
Blüthner oder Bechste<strong>in</strong> – und ich habe natürlich vor lauter<br />
Angst e<strong>in</strong>en Fehler gemacht. Me<strong>in</strong>e Lehrer saßen alle <strong>in</strong> der<br />
ersten Reihe und sie sagten, ich soll e<strong>in</strong>fach noch e<strong>in</strong>mal<br />
von vorne anfangen, und dann hab ich ganz gut gespielt.<br />
Hat es dann e<strong>in</strong>en Zeitpunkt gegeben, wo aus dem<br />
Spielerischen Ernst wurde?<br />
Ja, natürlich. Bis 11 habe ich bei e<strong>in</strong>er alten Dame gelernt,<br />
die <strong>in</strong> St. Petersburg ausgebildet war. Danach wechselte ich<br />
zu e<strong>in</strong>er sehr strengen Lehrer<strong>in</strong>, die me<strong>in</strong> systematisches<br />
Arbeiten und me<strong>in</strong>e Virtuosität sehr gefördert hat. Wenn<br />
man nicht sechs Stunden am Tag geübt hatte, sollte man gar<br />
nicht ersche<strong>in</strong>en. Sie wollte sofort, dass ich bei e<strong>in</strong>em<br />
Klavierabend spiele; me<strong>in</strong>e Mutter wollte es aber nicht, weil<br />
sie dachte, ich wäre damit überfordert, und ich habe das<br />
wirklich sehr zu schätzen gelernt, denn ich wollte das auch<br />
nicht. Irgendwann um diese Zeit hab ich dann verstanden,<br />
dass es ernst ist. Mit 11 Jahren hab ich dann mit e<strong>in</strong>em<br />
Symphonieorchester, mit 13 Jahren schon bei Soloabenden<br />
gespielt.<br />
Haben Sie <strong>in</strong> dem Alter auch daran gedacht, dass Sie e<strong>in</strong>mal<br />
berühmt werden könnten?<br />
Ne<strong>in</strong>, also so etwas war bei mir nie im Leben. Ich glaube,<br />
das ist immer umgekehrt: Es gibt den Wunsch, möglichst<br />
gut zu spielen, und die Verantwortung, aber ich habe nie<br />
gedacht, dass ich berühmt oder e<strong>in</strong> Star werde.<br />
Gibt es auch Momente, wo Sie sich sogar davor gefürchtet<br />
haben, berühmt und erfolgreich zu se<strong>in</strong>?<br />
Ja, denn das bedeutet ja Verantwortung und man hat<br />
daher Angst, dem Anspruch nicht gewachsen zu se<strong>in</strong>.<br />
Wie e<strong>in</strong> Lehrer von mir e<strong>in</strong>mal sagte: „Wenn Sie an<br />
sich zweifeln, passen Sie auf, das ist die wachsende<br />
Meisterschaft.“<br />
Wie oft zweifeln Sie?<br />
Nonstop …! (Lacht.)<br />
Und das verändert sich auch nicht im Laufe der Jahre?<br />
Ne<strong>in</strong>, ich f<strong>in</strong>de nicht. Ich arbeite an mir, ich arbeite die<br />
Texte durch und versuche, mich immer tiefer <strong>in</strong> diese<br />
großen Texte h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zudenken. Und es gibt ja so e<strong>in</strong> großes<br />
Repertoire, da kommt man gar nicht nach. Man muss viel<br />
arbeiten, irgendwann kann man auf e<strong>in</strong>em Konzert vielleicht<br />
zufrieden se<strong>in</strong>, aber nie selbstzufrieden.<br />
<strong>Ste<strong>in</strong>way</strong>-Magaz<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview.<br />
Je mehr man gibt, umso mehr hat man<br />
S<strong>in</strong>d Sie auch heute noch nervös vor e<strong>in</strong>em Konzert?<br />
Man kann ruhig nervös se<strong>in</strong>. Ich b<strong>in</strong> gerne drei Stunden vor<br />
dem Konzert im Saal und übe e<strong>in</strong> bisschen. Wichtig ist:<br />
Man muss schon die erste Note des Konzertes so spielen, als<br />
wäre es die letzte. Als Student war das natürlich unbegreiflich,<br />
weil man so durche<strong>in</strong>ander war vor dem Konzert.<br />
Was ist das für e<strong>in</strong> Gefühl, auf der Bühne zu se<strong>in</strong> und den<br />
Applaus zu hören?<br />
Ich merke den Applaus gar nicht, für mich zählen im<br />
Konzert wirklich Aufmerksamkeit, die Qualität der Stille<br />
und die Konzentration im Publikum.<br />
Und nach dem Konzert? Fällt man da nach dem ganzen<br />
Applaus, nach all der hohen Konzentration nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Loch?<br />
Man hat so viel Adrenal<strong>in</strong> nach e<strong>in</strong>em Konzert! Manche<br />
Kollegen tr<strong>in</strong>ken dann Alkohol, das ist e<strong>in</strong> bisschen gefährlich.<br />
Ich liebe es am meisten, wenn man nach dem Konzert<br />
zu Fuß nach Hause gehen kann. Durch die frische Luft<br />
wird man wieder ruhiger. Als junger Mensch hatte man<br />
noch am nächsten Tag dieses Adrenal<strong>in</strong>. Das macht e<strong>in</strong>en<br />
kaputt, wenn man nicht weiterarbeitet, weil diese Energie ja<br />
noch da ist. Denn je mehr man gibt, umso mehr hat man.<br />
Machen Sie auch manchmal Pausen vom Klavierspielen?<br />
Wenn ich etwas erlerne, das kommt dann <strong>in</strong> mich re<strong>in</strong>.<br />
Dann ist es nicht mehr wichtig, am Klavier zu se<strong>in</strong>. Das<br />
arbeitet dann schon <strong>in</strong> mir.<br />
Sie haben lange Zeit mit Svjatoslav Richter künstlerisch<br />
zusammengearbeitet. Welche Rolle spielte er <strong>in</strong> Ihrem Leben?<br />
E<strong>in</strong>e entscheidende. Ich durfte sehr viel bei ihm zu Hause<br />
se<strong>in</strong>, als <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Leben e<strong>in</strong>e schlechte Zeit war. Ich war<br />
wie e<strong>in</strong> Boot <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em großen Gewässer ohne W<strong>in</strong>d. Und er<br />
war wie e<strong>in</strong> richtig e<strong>in</strong>gestellter Kompass, natürlich habe<br />
ich absolut se<strong>in</strong>e Weltanschauung übernommen. In gewisser<br />
Weise war es auch furchtbar, Augenzeug<strong>in</strong> von so<br />
großem Können zu se<strong>in</strong> und selbst so wenig zu können.<br />
Wie ist der Weg von Tiflis/Georgien, wo Sie aufgewachsen s<strong>in</strong>d,<br />
nach Wien, das Sie <strong>19</strong>78 als Zweitheimat gewählt haben,<br />
gegangen?<br />
Ich hatte ja <strong>in</strong> Wien schon dreimal gespielt, zum ersten Mal<br />
war das <strong>19</strong>74 im Konzerthaus, <strong>19</strong>77 war ich bei den Festwochen.<br />
Im Frühjahr <strong>19</strong>78 habe ich mit den Symphonikern<br />
gespielt, da war es schon problematisch, e<strong>in</strong>e Ausreisegenehmigung<br />
zu bekommen. Neun Tage vor me<strong>in</strong>er<br />
Abreise habe ich alles annulliert, me<strong>in</strong>e Wohnung usw. aufgegeben.<br />
Me<strong>in</strong>en Reisepass habe ich dann ca. zwei Stunden<br />
vor me<strong>in</strong>em Abflug bekommen.<br />
Wie war dann Ihre erste Zeit <strong>in</strong><br />
Wien?<br />
Wenn man dreimal irgendwo<br />
war, hat man auch schon<br />
Bekannte. Im damaligen Generalsekretär<br />
des Konzerthauses,<br />
Prof. Peter Weiser, habe<br />
ich e<strong>in</strong>en großen Freund und<br />
Förderer gehabt. Man kann<br />
sich das aber nicht vorstellen,<br />
wie es ist, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em fremden<br />
Land zu leben. Obwohl ich<br />
deutsch gesprochen habe, ist<br />
es ja doch e<strong>in</strong> ganz anderes<br />
kulturelles Leben, jeder Schritt<br />
ist anders.<br />
Wichtig ist: man<br />
Mittlerweile leben Sie schon sehr lange <strong>in</strong> Wien. Verändert sich<br />
da das Heimatgefühl?<br />
Schwer zu sagen. Die russische Vergangenheit kommt mir sehr<br />
viel länger vor als die Zeit <strong>in</strong> Wien, obwohl es natürlich stimmt,<br />
dass ich nirgends solange wie hier <strong>in</strong> Wien gelebt habe.<br />
Besuchen Sie noch manchmal Ihre Heimat?<br />
Ich b<strong>in</strong> schon nach e<strong>in</strong>em Jahr h<strong>in</strong>geflogen, habe me<strong>in</strong>e<br />
Schwester und Freunde besucht. Dann war Schluss, mit<br />
Gorbatschow ist es wieder leichter geworden. Ich b<strong>in</strong> heute<br />
regelmäßig <strong>in</strong> Tiflis, vergebe dort auch e<strong>in</strong> Stipendium und<br />
helfe jungen Künstlern, wenn sie Hilfe brauchen.<br />
muss schon die erste<br />
Note des Konzertes<br />
so spielen, als wäre<br />
es die letzte.<br />
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