AUFSÄTZE - Ja-Aktuell
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AUFSATZ<br />
AUFSATZ ÖFFENTLICHES RECHT · DIE POLIZEILICHE WOHNUNGSVERWEISUNG<br />
Nr. 3 GG genannten Materien des Pass-, Melde- und Ausweiswesens<br />
sowie der Ein- und Auswanderung einschließlich<br />
der Auslieferung, welche jeweils Fälle der Ein- und Ausreise<br />
in das Bundesgebiet insgesamt ohne Rücksicht auf den innerdeutschen<br />
Aufenthaltsort betreffen. 8 Im Unterschied zu dem<br />
unter dem Vorbehalt des Reichsgesetzes stehenden vergleichbaren<br />
Freizügigkeitsrecht des Art. 111 WRV wurde der Vorbehalt<br />
des Art. 11 II GG gerade nicht auf Bundesgesetze<br />
beschränkt und werden durch diesen Gesetzesvorbehalt, soweit<br />
es um die Vorbeugung strafbarer Handlungen geht, Fragen<br />
des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts berührt. Dafür<br />
sind aber seit jeher die Länder zuständig. 9<br />
Nach Ansicht des BVerfG dient die in Art. 13 I GG gewährleistete<br />
Unverletzlichkeit der Wohnung der Abschirmung<br />
der Privatsphäre in räumlicher Hinsicht. Daraus ergibt<br />
sich für den Einzelnen das Recht, in seinen Wohnräumen in<br />
Ruhe gelassen zu werden. 10 Durch Art. 13 GG wird ein<br />
grundsätzliches Verbot für die öffentliche Gewalt begründet,<br />
in eine Wohnung einzudringen und dort gegen den Willen<br />
ihres Inhabers zu verweilen. 11 Auch substanzielle Eingriffe,<br />
bei denen die Wohnung der Verfügung oder Benutzung ihres<br />
Inhabers ganz oder teilweise entzogen wird, sind am Maßstab<br />
des Art. 13 I GG zu prüfen, sofern dadurch zumindest teilweise<br />
die Privatheit der Wohnung aufgehoben wird. 12 Weil<br />
dem Betroffenen bei der Wohnungsverweisung nur vorübergehend<br />
die Verfügungsmöglichkeit über die Wohnung entzogen<br />
wird, lehnt das Schrifttum zum Teil einen Eingriff in<br />
Art. 13 I GG ab. So werde auch bei der Inhaftierung einer<br />
Person eine Verletzung des Wohnungsgrundrechts nicht geprüft.<br />
13 Demgegenüber wird in den Gesetzesmaterialien sowie<br />
insbesondere von den Verwaltungsgerichten ohne weiteres ein<br />
Eingriff in dieses Grundrecht angenommen. 14 Jedenfalls wenn<br />
sich die Polizisten zur Eruierung der Lage in die Wohnung<br />
begeben, um den potenziellen Gewalttäter „aus“ dieser zu<br />
entfernen, wird dadurch in Art. 13 I GG eingegriffen, sofern<br />
die Anforderungen an die Wohnungsverweisung hinter der<br />
speziellen Befugnisnorm zum polizeilichen Betreten der Wohnung<br />
zurückbleiben. Man denke etwa daran, dass der Landesgesetzgeber<br />
implizit bei der Wohnungsverweisung von einer<br />
Betretensmöglichkeit zur Nachtzeit ausgeht, obwohl nicht,<br />
wie bei der speziellen Betretensbefugnis, eine gegenwärtige,<br />
sondern nur eine konkrete Gefahr für Leib und Leben vorliegt.<br />
15<br />
Außerdem wird durch die Wohnungsverweisung die Eigentumsgarantie<br />
des Art. 14 I GG tangiert, die nach ständiger<br />
Rechtsprechung nicht nur die Nutzungsbefugnisse des Eigentümers<br />
an der Wohnung, sondern auch das Besitzrecht des<br />
Mieters schützt. 16 Da die Wohnungsverweisung nur vorübergehend<br />
ist, enthalten die Polizeirechtsnormen keine Enteignung<br />
i.S.d. Art. 14 III GG, sondern eine Inhalts- und Schrankenbestimmung<br />
(Art. 14 I 2 GG). 17 Nicht selten wird die<br />
polizeiliche Wohnungsverweisung in Konflikt mit Art. 6 I, II<br />
GG geraten, wenn durch die Anordnung der Kontakt zum<br />
Ehepartner oder Kind unterbrochen wird. 18 Übt der Betroffene<br />
zugleich eine berufliche Tätigkeit in der Wohnung aus,<br />
kann durch die polizeiliche Maßnahme auch Art. 12 I GG<br />
tangiert werden. 19 Da sich Ausländer nicht auf dieses Deutschengrundrecht<br />
berufen können, kann bei ihnen Art. 2 I GG<br />
als Auffanggrundrecht bedeutsam werden. 20<br />
Durch die speziellen Befugnisnormen zur polizeilichen<br />
Wohnungsverweisung werden vom Landesgesetzgeber die<br />
kollidierenden Verfassungsgüter zueinander in Ausgleich gebracht.<br />
Es kann zwar immer nur bezogen auf die einzelne<br />
Landesnorm festgestellt werden, ob die grundrechtseinschrän-<br />
2<br />
1/2011<br />
kende Norm z.B. den qualifizierten Anforderungen des<br />
Art. 11 II GG genügt. Mit den Rechtsvorschriften soll einer<br />
unmittelbaren Gefahr für das Leben, die körperliche Unversehrtheit<br />
und die Freiheit des Mitbewohners (Art. 2 II GG)<br />
begegnet werden. Somit wird der Polizei zum Schutz hochrangiger<br />
Rechtsgüter ein Einschreiten erlaubt. Die Wohnungsverweisung<br />
wurde in zeitlicher Hinsicht eng begrenzt. Auch<br />
wird zum Teil explizit vorgeschrieben, dass der betroffenen<br />
Person Gelegenheit gegeben werden soll, dringend benötigte<br />
Gegenstände des persönlichen Bedarfs mitzunehmen, 21 sowie<br />
die Maßnahme in ihrem örtlichen Umfang auf das erforderliche<br />
Maß zu beschränken 22 bzw. ihren räumlichen Bereich<br />
nach dem Erfordernis eines wirkungsvollen Schutzes der gefährdeten<br />
Person zu bestimmen. 23 Darüber hinaus müssen die<br />
ermächtigten Stellen bei ihrer Ermessensentscheidung die<br />
Grundrechte des Betroffenen beachten. Darum wird meistens<br />
die Verhältnismäßigkeit der landesrechtlichen Befugnisnorm<br />
zu bejahen sein. 24 Die Aufstellung einer speziellen Befugnisnorm<br />
zur Wohnungsverweisung ist nicht nur zu begrüßen,<br />
weil dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber dermaßen<br />
„wesentliche“ Entscheidungen obliegen. 25 Die Standardbefugnis<br />
gibt der Polizei klare Maßstäbe an die Hand, welche Anordnungen<br />
sie in den meist nur schwer zu durchschauenden<br />
besonders eilbedürftigen Situationen häuslicher Gewalt treffen<br />
kann.<br />
C. RECHTSNATUR DER WOHNUNGSVERWEISUNG<br />
Die Anordnung gegenüber einer Person, ihre Wohnung zu<br />
verlassen und für eine begrenzte Anzahl von Tagen dorthin<br />
nicht zurückzukehren, erfüllt die Verwaltungsaktkriterien des<br />
8 Seiler VBlBW 2004, 93 (94); s. auch Schenke Polizei- und Ordnungsrecht, 6. Aufl.<br />
2009, Rn. 136.<br />
9 BVerwGE 129, 142 (145); VGH Mannheim NJW 2005, 88 (89); Seiler VBlBW 2004,<br />
93 (94); Ziekow Über Freizügigkeit und Aufenthalt, 1997, S. 561 f. stellt v.a. auf die<br />
Historie ab.<br />
10 BVerfGE 51, 97 (107); BVerfG ZIP 2008, 2027 (2029).<br />
11 BVerfG FamRZ 2009, 1814 (1815); Guckelberger/Ziekow in: Berliner Kommentar<br />
zum GG, 12. Erg.-Lfg. V/05, Art. 13 Rn. 49.<br />
12 BVerfGE 89, 1 (12).<br />
13 Bösch Jura 2009, 650 (653); Götz Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 14. Aufl.<br />
2008, § 8 Rn. 27; Lang VerwArch 96 (2005), 283 (289).<br />
14 SaarlLT-Drucks. 12/1070, S. 8; VG Gelsenkirchen NWVBl. 2002, 361 (362); Collin<br />
DVBl. 2003, 1499 (1503); Petersen-Thrö SächsVBl. 2004, 173 (174); Storr ThürVBl.<br />
2005, 97 (99).<br />
15 Seiler VBlBW 2004, 93 (95); i.E. wie hier VGH Mannheim NJW 2005, 88 (89);<br />
OVG Münster NJW 2002, 2195; Krugmann NVwZ 2006, 152 (154); Trurnit<br />
VBlBW 2009, 205 (208).<br />
16 VG Gelsenkirchen NWVBl. 2002, 361 f.; Bösch Jura 2009, 650 (653); Lang VerwArch<br />
96 (2005), 283 (294 f.); Trierweiler (Fn. 2) S. 124 ff.; s. zum Besitzrecht des<br />
Mieters BVerfGE 89, 1 (5); BVerfG NJW 2000, 2658 (2659); kritisch Roellecke JZ<br />
1995, 74 ff.<br />
17 Lang VerwArch 96 (2005), 283 (295); Seiler VBlBW 2004, 93 (95); Trierweiler (Fn.<br />
2) S. 130 f.<br />
18 Bösch Jura 2009, 650 (653); Seiler VBlBW 2004, 93 (95); Trierweiler (Fn. 2) S. 133 ff.<br />
19 Lang VerwArch 96 (2005), 283 (297); eingehend Eicke Die polizeiliche Wohnungsverweisung<br />
bei häuslicher Gewalt, 2008, S. 95 f.; Trierweiler (Fn. 2) S. 137 ff.<br />
20 VG Gelsenkirchen NWVBl. 2002, 361 (362); näher zu Art. 2 I GG Eicke (Fn. 19)<br />
S. 98 ff.<br />
21 § 14 a II BremPolG; § 34 a II PolG NRW; § 18 II 4 ThürPAG; s. auch Eicke (Fn. 19)<br />
S. 76.<br />
22 § 18 II 3 ThürPAG. Eine Beschränkungsmöglichkeit auf Wohn- und Nebenräume<br />
wird in § 16 a I 2 BbgPolG; § 14 a I 2 BremPolG; § 12 II 2 SaarlPolG normiert.<br />
23 § 34 a I 2 PolG NRW; § 201 a I 3 LVwG S-H.<br />
24 OVG Münster NJW 2002, 2195; VG Gelsenkirchen NWVBl. 2002, 361 (362);<br />
Trurnit VBlBW 2009, 205 (208).<br />
25 S. zur Abstützung einer Wohnungsverweisung auf die Generalklausel Bösch Jura<br />
2009, 650 (654 ff.); VG Stuttgart VBlBW 2007, 67.