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AUFSÄTZE - Ja-Aktuell

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AUFSATZ ÖFFENTLICHES RECHT · DIE POLIZEILICHE WOHNUNGSVERWEISUNG<br />

Ermessen darüber befinden, wer von ihnen aus der Wohnung<br />

verwiesen werden soll. Hierbei muss sie sich vom Kriterium<br />

effektiver Gefahrenabwehr sowie von dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz<br />

leiten lassen. 88 Denkbar wäre z.B., dass die<br />

Maßnahme gegenüber demjenigen angeordnet wird, bei dem<br />

im Vergleich zum anderen Tatverdächtigen die Verübung<br />

schwerwiegenderer Taten zu erwarten ist. 89<br />

IV. Rechtsfolge<br />

Die Anordnung der Wohnungsverweisung steht im Ermessen<br />

(„kann“) der Einsatzbeamten. Sie müssen entscheiden, „ob“<br />

sie eine derartige Maßnahme verhängen und welche Bestimmungen<br />

sie damit im Einzelnen verbinden wollen. 90 Zu beachten<br />

ist, dass die Gerichte diese Ermessensentscheidung im<br />

späteren Gerichtsverfahren nur auf bestimme Ermessensfehler<br />

(Ermessensnichtgebrauch, -fehlgebrauch, -überschreitung)<br />

überprüfen, § 114 S. 1 VwGO. Je nach den Umständen des<br />

Einzelfalls können die Grundrechte, insbesondere die in<br />

Art. 2 II 1 GG genannten hochrangigen Rechtsgüter von<br />

Leib und Leben, zu einer Ermessensreduzierung auf Null<br />

hinsichtlich des polizeilichen Einschreitens führen, wenn sich<br />

nur so einer fortbestehenden Gefahr für das Opfer begegnen<br />

lässt. 91<br />

Die Ermessensausübung muss dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz<br />

entsprechen, d.h. die Wohnungsverweisung bzw.<br />

das Rückkehrverbot müssen zur Abwehr der Gefahr für den<br />

Mitbewohner geeignet, erforderlich und angemessen sein. Die<br />

polizeiliche Anordnung ist nur erforderlich, wenn der Polizei<br />

in der aktuellen Krisensituation kein milderes, aber gleich<br />

wirksames Mittel zur Verfügung steht. An dieser Stelle ist zu<br />

diskutieren, ob nicht die bloße Ermahnung des anderen ausreichen<br />

könnte, Angriffe auf Leib und Leben des Mitbewohners<br />

zu unterlassen. Jedenfalls wenn nicht sicher ist, ob die<br />

betreffende Person dieser Anordnung Folge leisten wird,<br />

stellt diese kein genauso wirksames Mittel zur Gefahrenabwehr<br />

dar. 92 Der Auszug des Opfers aus der Wohnung ist<br />

keine der Polizei zur Verfügung stehende Handlungsalternative,<br />

die an pflichtgemäßen und sachgerechten Erwägungen<br />

orientiert ist. 93 Schließlich darf die polizeiliche Maßnahme<br />

nicht zu einem Nachteil führen, der zum erstrebten Erfolg<br />

erkennbar außer Verhältnis steht. Zwar stellt es für den<br />

Betroffenen eine – wenn auch nur für einen begrenzten<br />

Zeitraum hinzunehmende – erhebliche Beeinträchtigung seiner<br />

persönlichen Sphäre dar, wenn er infolge der polizeilichen<br />

Anordnung die seinen Lebensmittelpunkt bildende<br />

Wohnung nicht nutzen darf. Im Vergleich zu dem hochwertigen<br />

Schutz von Leib und Leben der anderen Person stellen<br />

sich die zu befürchtenden Unannehmlichkeiten für ihn jedoch<br />

meist als geringfügig dar. 94 Gegebenenfalls ist der Betroffene<br />

auf eine Obdachlosenunterkunft zu verweisen. 95 Allein<br />

der Umstand, dass die gefährdete Person zivilrechtlichen<br />

Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann, führt nicht zur<br />

Unverhältnismäßigkeit. Dahinter steht die Erwägung, dass<br />

sich das Opfer in einer Ausnahmesituation befindet und sich<br />

über das weitere Vorgehen klar werden soll. 96 Was die zeitliche<br />

Dauer und die Bestimmung des räumlichen Umfangs der<br />

Maßnahme anbetrifft, ist besonders auf die Angemessenheit<br />

zu achten, wofür aber die Umstände des Einzelfalls maßgeblich<br />

sind.<br />

F. DURCHSETZUNG DER POLIZEILICHEN ANORDNUNG<br />

Wird die Wohnungsverweisung von Polizeivollzugsbeamten<br />

angeordnet, handelt es sich um eine unaufschiebbare Anordnung,<br />

bei der Widerspruch und Anfechtungsklage keine auf-<br />

schiebende Wirkung entfalten (§ 80 II 1 Nr. 2 VwGO). 97 Eine<br />

Polizeiverwaltungsbehörde kann unter den Voraussetzungen<br />

des § 80 II 1 Nr. 4 VwGO ihre Verfügung für sofort vollziehbar<br />

erklären. Infolgedessen kann der jeweilige Verwaltungsakt<br />

sofort vollstreckt werden. Zu denken ist etwa an die Verhängung<br />

eines Zwangsgeldes. 98 Begibt sich der Verfügungsadressat<br />

nicht freiwillig aus der Wohnung und versprechen die<br />

anderen Zwangsmittel keinen Erfolg, kann die Polizei die<br />

Person unter Anwendung von Gewalt (= unmittelbarer<br />

Zwang) aus der Wohnung entfernen. 99<br />

G. RECHTSSCHUTZ<br />

Bei der Wohnungsverweisung bzw. dem Rückkehrverbot<br />

werden die Gerichte häufig um gerichtlichen Rechtsschutz<br />

durch die Betroffenen ersucht. Teilweise geht auch das Opfer<br />

unter Berufung z.B. auf Art. 6 I GG gegen die Wohnungsverweisung<br />

des Ehepartners vor. 100 Obwohl es sich<br />

hierbei um keine Sachentscheidungsvoraussetzung des<br />

Rechtsbehelfs handelt, ist stets zu prüfen, ob nicht die andere<br />

Person zum Gerichtsverfahren entweder nach dem Ermessen<br />

des Gerichts (§ 65 I VwGO) oder, wenn die Voraussetzungen<br />

des § 65 II VwGO erfüllt sind, sogar notwendig<br />

beizuladen ist. 101<br />

I. Rechtswegeröffnung<br />

Ist der Wohnungsverweisung bereits eine Straftat vorausgegangen,<br />

könnte der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten<br />

gem. § 23 I EGGVG eröffnet sein, wenn die Einsatzbeamten<br />

zugleich als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft<br />

(§ 152 GVG) tätig sind. Da es den Einsatzbeamten aber regelmäßig<br />

nicht um die Bestrafung des Täters, sondern um den<br />

Schutz seines potenziellen Opfers vor künftigen Gewaltanwendungen<br />

geht, handelt es sich um eine gefahrenabwehrende<br />

Anordnung, für die der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten<br />

eröffnet ist (§ 40 I 1 VwGO). 102 Soweit die Befugnisnormen<br />

zum Teil explizit zivilgerichtliche Schutzmaßnahmen<br />

nach dem Gewaltschutzgesetz erwähnen, 103 ändert dies<br />

nichts daran, dass die Polizeirechtsnormen eine vorübergehende<br />

Gefahrenabwehr bis zur Erlangung des zivilrechtlichen<br />

Rechtsschutzes ermöglichen. Auch wenn sich dadurch<br />

innerhalb weniger Tage zwei verschiedene Gerichte mit dem<br />

gleichen Lebenssachverhalt befassen müssen, verbleibt es<br />

mangels einer Sonderzuweisung für das präventivpolizeiliche<br />

88 Eicke (Fn. 19) S. 214; Storr ThürVBl. 2005, 97 (103).<br />

89 Eicke (Fn. 19) S. 214.<br />

90 Eicke (Fn. 19) S. 245.<br />

91 VG Aachen, Urt. v. 29.07.2009 – 6 K 112/09; Urt. v. 23.08.2006 – 6 K 3852/04; Storr<br />

ThürVBl. 2005, 97 (101); Trierweiler (Fn. 2) S. 83 ff.<br />

92 Petersen-Thrö SächsVBl. 2004, 173 (181).<br />

93 Petersen-Thrö SächsVBl. 2004, 173 (180); Rachor (Fn. 6) F Rn. 548.<br />

94 VG Aachen, Urt. v. 29.07.2009 – 6 K 112/09; Petersen-Thrö SächsVBl. 2004, 173<br />

(181).<br />

95 Eicke (Fn. 19) S. 251; Petersen-Thrö SächsVBl. 2004, 173 (181).<br />

96 VG Saarlouis, Beschl. v. 15.12.2004 – 6 F 125/04.<br />

97 VG Gelsenkirchen NWVBl. 2002, 361; Eicke (Fn. 19) S. 255; Trierweiler (Fn. 2)<br />

S. 86 f. Stellt sich ein gegenüber einem Abwesenden verfügtes Rückkehrverbot der<br />

Vollzugspolizei nicht als aufschiebbar dar, kann auch sie die sofortige Vollziehung<br />

anordnen, s. Kay NVwZ 2003, 521 (525).<br />

98 Eicke (Fn. 19) S. 255; Kay NVwZ 2003, 521 (526); Trierweiler (Fn. 2) S. 88.<br />

99 Eicke (Fn. 19) S. 255; Trierweiler (Fn. 2) S. 88 f.<br />

100 S. dazu Trierweiler (Fn. 2) S. 166 ff.<br />

101 Für eine notwendige Beiladung VG Aachen, Beschl. v. 01.01.2004 – 6 L 1077/04;<br />

VG Potsdam, Beschl. v. 27.08.2004 – 3 L 847/04, wogegen aber spricht, dass der<br />

Ehepartner nicht Adressat der Maßnahme ist; s. auch Trierweiler (Fn. 2) S. 169 f.<br />

102 VG Gelsenkirchen NWVBl. 2002, 361.<br />

103 Z.B. § 16 a V 2 BbgPolG; § 31 II 4 HesSOG; § 17 III NdsSOG; § 34 a V 2 PolG<br />

NRW; § 201 a II 2 LVwG S-H; § 18 II 7 ThürPAG.<br />

1/2011 7<br />

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