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AUFSATZ ÖFFENTLICHES RECHT · DIE POLIZEILICHE WOHNUNGSVERWEISUNG<br />
§ 35 S. 1 VwVfG. Da dem Adressaten über einen gewissen<br />
Zeitraum hinweg ein bestimmtes Verhalten aufgegeben wird,<br />
handelt es sich dabei um einen sog. Dauerverwaltungsakt. 26<br />
Weil nach den einschlägigen Polizeirechtsnormen eine Maßnahme<br />
nur solange gerechtfertigt ist, bis ihr Zweck erreicht ist<br />
oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann, 27 muss die<br />
verfügende Stelle die ausgesprochene Wohnungsverweisung<br />
während des gesamten Zeitraums unter Kontrolle halten. 28<br />
Mit anderen Worten müssen neue Gesichtspunkte, die sich<br />
während der Dauer der Maßnahme ergeben, berücksichtigt<br />
werden, indem die Anordnung aufgehoben oder modifiziert<br />
wird. Deshalb stellen die Gerichte bei der Überprüfung der<br />
Anordnung nicht auf die Rechtslage im Zeitpunkt ihres Erlasses,<br />
sondern der gerichtlichen Entscheidung ab. 29 Wurde eine<br />
Wohnungsverweisung für die Dauer von zehn Tagen verfügt<br />
und kein zivilgerichtlicher Rechtsschutz in Anspruch genommen,<br />
erledigt sich diese Anordnung infolge Zeitablaufs, wenn<br />
die zehn Tage verstrichen sind (§ 43 II VwVfG). Da in demjenigen<br />
Augenblick, in dem das angerufene Verwaltungsgericht<br />
in der Hauptsache entscheiden wird, der zu überprüfende<br />
Verwaltungsakt keine Beschwer mehr entfaltet, prüfen die<br />
Gerichte, ob die jeweilige Wohnungsverweisung im Zeitpunkt<br />
ihrer Erledigung rechtmäßig war. 30<br />
Mehrere Landesvorschriften lauten dahingehend, dass die<br />
Polizei eine Person aus der Wohnung verweisen „und“ ihr die<br />
Rückkehr in diesen Bereich untersagen darf. 31 Allein aus der<br />
Konjunktion „und“ darf nicht geschlossen werden, dass stets<br />
beide Anordnungen auszusprechen sind. Hat nämlich der<br />
Störer bereits die Wohnung verlassen, reicht es zum Schutz<br />
des Opfers aus, wenn ihm die Polizei die Rückkehr in die<br />
gemeinsame Wohnung verbietet. 32 Hält sich der Störer dagegen<br />
noch in der Wohnung auf, liegt der Schwerpunkt auf<br />
der Wohnungsverweisung, da sich aus ihr die Pflicht zum<br />
Verlassen der Räumlichkeiten für einen bestimmten Zeitraum<br />
ergibt. Durch das Rückkehrverbot wird der betreffenden Person<br />
zusätzlich vor Augen geführt, dass sie in den nächsten<br />
Tagen die Wohnung nicht wieder betreten darf. Stellt man<br />
darauf ab, dass sowohl die Wohnungsverweisung als auch das<br />
Rückkehrverbot darauf abzielen, eine bestimmte Person für<br />
eine gewisse Zeit von bestimmten Räumlichkeiten fernzuhalten,<br />
mag man darin eine einheitliche Maßnahme erblicken. 33<br />
Dies scheint auch die Sichtweise manches Landesgesetzgebers<br />
zu sein, wenn etwa davon gesprochen wird, dass „die Maßnahme“<br />
in ihrem örtlichen Umfang auf das erforderliche Maß<br />
zu beschränken ist (§ 18 II 3 ThürPAG; ähnlich § 201 I 2<br />
LVwG S-H). In Bundesländern, in denen erst im Anschluss<br />
an die Wohnungsverweisung geregelt wird, dass unter den<br />
gleichen Voraussetzungen ein Betretungsverbot verhängt werden<br />
darf und dieses spätestens x Tage nach seiner Anordnung<br />
endet (§ 29 a I, III ASOG Bln.; § 12 b I 1–3 HambSOG), geht<br />
der Gesetzgeber von zwei Maßnahmen aus. Jedenfalls bei<br />
einer derartigen Normausgestaltung liegt es nahe, eine von der<br />
Polizei ausgesprochene Wohnungsverweisung mit einem<br />
Rückkehrverbot entsprechend den unterschiedlichen Ermächtigungsnormen<br />
getrennt zu prüfen.<br />
D. FORMELLE RECHTMÄßIGKEIT VON WOHNUNGSVER-<br />
WEISUNG UND RÜCKKEHRVERBOT<br />
I. Zuständigkeit<br />
Oft ergibt sich unmittelbar aus den einschlägigen Befugnisnormen,<br />
dass die Vollzugspolizei für die Wohnungsverweisung<br />
zuständig ist. 34 Andernfalls sind die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften<br />
des Polizeigesetzes maßgeblich.<br />
II. Anhörung<br />
Da die Wohnungsverweisung für den Betroffenen ein belastender<br />
Verwaltungsakt ist, ist ihm gem. § 28 I VwVfG zuvor<br />
Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen<br />
Tatsachen zu äußern. Auf diese Weise kann sich die<br />
zuständige Stelle über das Vorliegen der Voraussetzungen für<br />
eine solche Verfügung vergewissern. Der Einsatzbeamte erhält<br />
Kenntnis von etwaigen der Wohnungsverweisung entgegenstehenden<br />
Interessen, welche z.B. für die Verhältnismäßigkeit<br />
der Maßnahme bedeutsam sein können. 35 § 28 II VwVfG<br />
erlaubt es den Behörden von einer vorherigen Anhörung abzusehen,<br />
wenn diese nach den Umständen des Einzelfalls<br />
nicht geboten ist, „insbesondere“ wenn eine sofortige Entscheidung<br />
wegen Gefahr im Verzug notwendig erscheint<br />
(Nr. 1). Gefahr im Verzug liegt vor, wenn durch eine vorherige<br />
Anhörung auch bei Gewährung kürzester Anhörungsfristen<br />
ein Zeitverlust eintreten würde, der mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />
zur Folge hätte, dass die durch den Verwaltungsakt<br />
zu treffende Regelung zur Erreichung ihres Zwecks<br />
zu spät käme. 36 Da der potenzielle Maßnahmeadressat einer<br />
Wohnungsverweisung bei Durchführung der Anhörung von<br />
einer Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers abgehalten<br />
wird, ist regelmäßig eine Gefahr im Verzug zu verneinen. 37<br />
Bei der Wohnungsverweisung wird sich eine Anhörung nur<br />
selten als entbehrlich erweisen, etwa wenn der Betroffene<br />
nicht greifbar ist, weil er sich nicht mehr in der Wohnung<br />
aufhält, er infolge starken Alkoholeinflusses oder starker emotionaler<br />
Erregung nicht „vernehmungsfähig“ ist. 38<br />
Selbst wenn die polizeiliche Anordnung ohne vorherige<br />
Anhörung ergehen durfte, sind die Behörden nach der Rechtsprechung<br />
wegen der Rechtsnatur der Maßnahme als Dauerverwaltungsakt<br />
dazu verpflichtet, dem Betroffenen nachträglich<br />
auf seinen Wunsch die Möglichkeit zur Stellungnahme<br />
einzuräumen. Obschon § 28 I VwVfG nach seinem Wortlaut<br />
nur die Anhörung regelt, bevor ein Verwaltungsakt „erlassen“<br />
wird, folgt dies aus den Grundsätzen eines rechtsstaatlichen<br />
Verfahrens, zu denen das Recht auf ein faires Verfahren gehört,<br />
39 sowie dem mit der Anhörung bezweckten Schutz der<br />
materiellen Grundrechte des Betroffenen. 40<br />
1. Nachträgliche Anhörung (§ 45 I Nr. 3, II VwVfG)<br />
Ist der Polizei ein Anhörungsfehler unterlaufen, kann dieses<br />
Defizit nach § 45 I Nr. 3 VwVfG durch eine Nachholung der<br />
26 VG Köln, Urt. v. 19.06.2008 – 20 K 3142/06; VG Münster, Urt. v. 11.12.2009 – 1K<br />
2338/08; Trierweiler (Fn. 2) S. 60 f.<br />
27 § 3 III BremPolG; § 2 III PolG NRW; § 2 III SaarlPolG.<br />
28 VG Köln, Urt. v. 19.06.2008 – 20 K 3142/06.<br />
29 VG Köln, Urt. v. 19.06.2008 – 20 K 3142/06; VG Münster, Urt. v. 11.12.2009 – 1K<br />
2338/08; Trierweiler (Fn. 2) S. 61.<br />
30 S. zur Beschlagnahmeanordnung VGH Mannheim VBlBW 2001, 100 (101).<br />
31 Z.B. § 34 a I 1 PolG NRW; § 18 II 1 ThürPAG.<br />
32 Eicke (Fn. 19) S. 219; Kay NVwZ 2003, 521 (523); Trierweiler (Fn. 2) S. 82.<br />
33 So auch Trierweiler (Fn. 2) S. 83; ähnlich Eicke (Fn. 19) S. 219, welche aus der<br />
Konjunktion „und“ auf eine einheitliche Maßnahme schließt.<br />
34 Z.B. § 14 a I 1 BremPolG; § 12 II 1 SaarlPolG; s. auch § 31 II 1 HessSOG; § 13 II 1<br />
Rh.-Pf. POG.<br />
35 Petersen-Thrö SächsVBl. 2004, 173 (177).<br />
36 BVerwGE 68, 267 (271 f.); Kopp/Ramsauer VwVfG, 10. Aufl. 2008, § 28 Rn. 52.<br />
37 Eicke (Fn. 19) S. 105.<br />
38 VG Köln, Urt. v. 25.09.2008 – 20 K 4987/07; Petersen-Thrö SächsVBl. 2004, 173<br />
(177).<br />
39 VG Köln, Urt. v. 19.06.2008 – 20 K 3142/06; s. zum verfassungsrechtlichen Hintergrund<br />
des Anhörungsrechts Stelkens/Bonk/Sachs/Bonk/Kallerhoff VwVfG, 7. Aufl.<br />
2008, § 28 Rn. 1 f.; Kopp/Ramsauer (Fn. 36) § 28 Rn. 3 a.<br />
40 BVerfGE 56, 216 (236);Kopp/Ramsauer (Fn. 36) § 28 Rn. 3.<br />
1/2011 3<br />
AUFSATZ