AUFSÄTZE - Ja-Aktuell
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AUFSATZ<br />
AUFSATZ ÖFFENTLICHES RECHT · DIE POLIZEILICHE WOHNUNGSVERWEISUNG<br />
Einschreiten bei der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit.<br />
104<br />
II. Eilrechtsschutz<br />
Da sich die Wohnungsverweisung innerhalb weniger Tage<br />
erledigt, kommt dem Eilrechtsschutz besondere Bedeutung<br />
zu. Bei einer unaufschiebbaren Anordnung von Polizeivollzugsbeamten<br />
ist bei dem Gericht der Hauptsache nach § 80 V<br />
1 Alt. 1 VwGO die Anordnung der aufschiebenden Wirkung<br />
zu beantragen. Wurde der Verwaltungsakt dagegen kraft behördlicher<br />
Anordnung nach § 80 II 1 Nr. 4 VwGO für sofort<br />
vollziehbar erklärt, kann das Verwaltungsgericht die aufschiebende<br />
Wirkung wiederherstellen (§ 80 V 1 Alt. 2 VwGO). Im<br />
Rahmen der Begründetheit des einstweiligen Rechtsschutzantrags<br />
nimmt das Gericht eine summarische Überprüfung<br />
der Maßnahme vor. Während in Übungsklausuren an dieser<br />
Stelle eingehend die Erfolgsaussichten einer Hauptsacheklage<br />
zu behandeln sind, 105 entscheiden die Gerichte in der Praxis<br />
angesichts der Kürze der Zeit häufig im Wege einer von der<br />
materiellen Rechtslage unabhängigen Interessenabwägung.<br />
Dabei vergleichen sie die Folgen, die sich ergeben, wenn die<br />
Polizeiverfügung zu Unrecht vorläufig bestätigt oder aber zu<br />
Unrecht außer Vollzug gesetzt wird. 106<br />
III. Hauptsacherechtsschutz<br />
Da sich die Wohnungsverweisung auf einen kurzen Zeitraum<br />
beschränkt, wird sich diese Maßnahme meistens vor der Klageerhebung,<br />
oft auch schon vor der Widerspruchseinlegung<br />
bzw. während des Vorverfahrens erledigt haben. Da sich die in<br />
§ 113 I 4 VwGO geregelte Fortsetzungsfeststellungsklage<br />
nach ihrer systematischen Stellung auf nach Erhebung einer<br />
Anfechtungsklage erledigte Verwaltungsakte bezieht, 107 ist bei<br />
einer Erledigung vor Klageerhebung zu diskutieren, ob nicht<br />
eine Feststellungsklage nach § 43 I VwGO 108 statthaft sein<br />
könnte. Dem wird jedoch entgegnet, dass durch einen Verwaltungsakt<br />
erst ein Rechtsverhältnis begründet wird. Auch<br />
führt eine Rechtsschutzgewährung nach § 43 VwGO zu<br />
schwer erklärbaren Wertungswidersprüchen im Rechtsschutzsystem.<br />
Der Gesetzgeber hat für den Fall der Nichtigkeit und<br />
der Rechtswidrigkeit eines nach Klageerhebung erledigten<br />
Verwaltungsakts in § 43 I Alt. 3 VwGO und § 113 I 4 VwGO<br />
besondere Klagearten vorgesehen, die im Unterschied zur allgemeinen<br />
Feststellungsklage auf die Feststellung eines Rechtszustands<br />
gerichtet sind. 109 Bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage<br />
kann das Verwaltungsgericht zudem das Verwaltungsunrecht<br />
im Entscheidungstenor deutlicher kennzeichnen. 110<br />
Diese Erwägungen sowie die Tatsache, dass der genaue Zeitpunkt<br />
der Erledigung eines belastenden Verwaltungsakts oft<br />
reiner Zufall ist, sprechen für die Statthaftigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage<br />
analog § 113 I 4 VwGO. 111<br />
Folgt man der hier bevorzugten Auffassung, ist als nächstes<br />
zu erörtern, ob ein Widerspruchsverfahren durchzuführen ist,<br />
wenn sich der Verwaltungsakt vor Ablauf der Widerspruchsfrist<br />
erledigt hat. Richtigerweise ist dies zu verneinen, da sich<br />
die §§ 68 ff. VwGO nach ihrem Wortlaut nur auf die Anfechtungs-<br />
und Verpflichtungsklage beziehen. Bei einem erledigten<br />
und damit unwirksamen Verwaltungsakt greift die mit<br />
dem Vorverfahren angestrebte Intention, der Verwaltung eine<br />
nachträgliche Selbstkorrektur ihrer Entscheidung zu ermöglichen,<br />
nicht. 112 Nach richtiger, aber nicht unumstrittener Ansicht<br />
unterliegt in diesem Fall die Fortsetzungsfeststellungsklage<br />
auch keiner Klagefrist. Dem Bürger ist ein fristgemäßes<br />
Vorgehen gegen einen Verwaltungsakt, der seine Regelungswirkung<br />
verloren hat, nicht zuzumuten. Etwas anderes ist<br />
8<br />
1/2011<br />
auch nicht aus Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens<br />
geboten. Die Verwaltung wird durch das Institut der<br />
Verwirkung ausreichend vor Klagen noch <strong>Ja</strong>hre nach Erledigung<br />
eines Verwaltungsakts geschützt. 113<br />
Neben der Klagebefugnis muss der Kläger ein berechtigtes<br />
Interesse an der gerichtlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit<br />
der Wohnungsverweisung haben. Hierfür genügt jedes<br />
schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller<br />
Art, sofern die gerichtliche Entscheidung seine Rechtsposition<br />
in den genannten Bereichen verbessern kann. 114 Das<br />
Fortsetzungsfeststellungsinteresse wird u.a. bei einer Wiederholungsgefahr<br />
bejaht, d.h. wenn die hinreichend konkrete<br />
Wahrscheinlichkeit besteht, dass unter im Wesentlichen unveränderten<br />
rechtlichen und tatsächlichen Umständen wieder ein<br />
gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird. 115 Hieran fehlt es,<br />
wenn sich der aus der Wohnung Verwiesene gleich nach Ablauf<br />
der Frist getrennt hat, aus der Wohnung ausgezogen und<br />
in eine andere Stadt gezogen ist. 116 Ein berechtigtes Feststellungsinteresse<br />
kann sich dann aber immer noch aus einer<br />
nachwirkenden diskriminierenden Wirkung der ursprünglichen<br />
Maßnahme ergeben (sog. Rehabilitationsinteresse). 117<br />
Nach Ansicht des BVerfG kann es der in Art. 19 IV GG<br />
verbürgte Anspruch auf effektiven Rechtsschutz erfordern,<br />
gerade bei tiefgreifenden Grundrechtseingriffen ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse<br />
zu bejahen, wenn sich die direkte<br />
Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen<br />
Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in<br />
welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der<br />
von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen<br />
kann. 118 Angesichts der kurzen Dauer der Wohnungsverweisung<br />
und ihrer grundrechtserheblichen Wirkung ist zumindest<br />
unter diesem Blickwinkel das Fortsetzungsfeststellungsinteresse<br />
gegeben. 119<br />
H. FAZIT<br />
Die polizeiliche Verweisung einer Person aus ihrer Wohnung<br />
ist nunmehr spezialgesetzlich geregelt. Sie basiert auf einer<br />
komplexen Wertabwägung zwischen hochrangigen und intensiv<br />
berührten Rechtsgütern. Eine solche ist auch von den<br />
zuständigen Stellen bei der Ermessensausübung unter Berücksichtigung<br />
der besonderen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen.<br />
Angesichts der Kürze der zur Verfügung stehenden<br />
Zeit werden die Gerichte häufig um Rechtsschutz im<br />
Zusammenhang mit einer solchen Maßnahme ersucht. Inte-<br />
104 VG Gelsenkirchen NWVBl. 2002, 361.<br />
105 Sodan/Ziekow (Fn. 50) § 106 Rn. 12; Wolff/Decker (Fn. 42) § 80 VwGO Rn. 71.<br />
106 Kiefer LKRZ 2009, 366 (367); Trierweiler (Fn. 2) S. 173. S. zur Unbedenklichkeit<br />
der summarischen Prüfung BVerfG NJW 2002, 2225.<br />
107 BVerwGE 109, 203 (208 f.); Martini (Fn. 45) S. 77; Sodan/Ziekow (Fn. 50) § 102<br />
Rn. 1; a.A. Göpfert ThürVBl. 1999, 182 f.<br />
108 So Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner/Pietzcker VwGO, 17. Erg.-Lfg. 2008, § 42 I<br />
Rn. 86; Wehr DVBl. 2001, 785; in diese Richtung BVerwG NVwZ 2000, 63 (64).<br />
109 Ingold JA 2009, 711 (713); Martini (Fn. 45) S. 77; Rozek JuS 2000, 1162 (1165).<br />
110 Mehde VerwArch 100 (2009), 432 (449).<br />
111 So auch BVerfG NJW 2002, 2225; VGH Mannheim VBlBW 2005, 138.<br />
112 BVerwGE 26, 161 (166 f.); VGH Mannheim VBlBW 2005, 138 (139); Sodan/Ziekow<br />
(Fn. 50) § 102 Rn. 11; a.A. Martini (Fn. 45) S. 83.<br />
113 BVerwG NVwZ 2000, 63 (64); VG Aachen, Urt. v. 23.08.2006 – 6 K 3852/04;<br />
Sodan/Ziekow (Fn. 50) § 102 Rn. 12.<br />
114 BVerwG NVwZ-RR 2010, 154 (155); Sodan/Ziekow (Fn. 50) § 102 Rn. 6.<br />
115 BVerwG NVwZ 1994, 282; Sodan/Ziekow (Fn. 50) § 102 Rn. 7.<br />
116 VGH Mannheim VBlBW 2005, 138 (139); VG Aachen, Urt. v. 23.08.2006 – 6K<br />
3852/04.<br />
117 BVerwG NVwZ-RR 2010, 154 (155); Martini (Fn. 45) S. 79.<br />
118 BVerfG NJW 1997, 2163 (2164); VGH Mannheim VBlBW 2005, 138 (139).<br />
119 VGH Mannheim VBlBW 2005, 138 (139); VG Aachen, Urt. v. 23.08.2006 – 6K<br />
3852/04.