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Kurse 2012 - Freier Pädagogischer Arbeitskreis

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Köhler: Zuerst einmal brauchen wir im Umgang mit hyperaktiven Kindern eine gewisse Unerschütterlichkeit.<br />

Es hängt unheimlich viel davon ab, dass sie ruhige, unerschrockene Menschen<br />

in ihrer Umgebung finden; Menschen, die sich nicht von ihnen bedroht fühlen, sondern<br />

gern mit ihnen zusammen sind. Diese Haltung würde, wenn sie verbreiteter wäre, tonnenweise<br />

Ritalin überflüssig machen. Ich meine das völlig ernst. Wie gelangt man zu mehr innerer<br />

Ruhe? Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich spreche nicht von Behäbigkeit, Trägheit oder<br />

gar Gleichgültigkeit. Statt tausend Befehle zu erteilen und hunderttausend Grenzen zu ziehen,<br />

sollten wir durch unsere Anwesenheit ordnend, aufrichtend und rückenstärkend wirken.<br />

Nichts gegen Grenzen, aber keinem Kind ist geholfen, wenn es vor lauter Stopp- und Warnschildern<br />

nur noch im Viereck springt – oder vorsichtshalber überhaupt nicht mehr springt.<br />

b&w: Aber die Frage der Grenzen und der Grenzüberschreitungen ist doch ein Dauerthema des<br />

täglichen pädagogischen Kleinkrieges.<br />

Köhler: Das ist ja auch wichtig. Aber es trifft nicht den Kern der Sache. Keine Grenzen und Regeln<br />

können ersetzen, worauf es eigentlich ankommt: Verständnis, Achtsamkeit, Aufrichtigkeit,<br />

soziale Wärme, sinnvolle Rituale, gemeinsam gestaltete (!) Zeit. Aber natürlich gehört<br />

auch eine gewisse erzieherische Konsequenz, oder besser gesagt: Geradlinigkeit dazu. ADS-<br />

Kinder sind zumeist rhetorisch sehr geschickt und zugleich völlig unbeeindruckt von dem, was<br />

die Erwachsenen unter logischen Argumenten verstehen. Deshalb sollte man sich nicht auf<br />

Rededuelle mit ihnen einlassen. Lange Debatten über das, was nun sein muss oder nicht sein<br />

darf, sind nach Möglichkeit zu vermeiden. Man erweist einem Kind nicht dadurch den ihm gebührenden<br />

Respekt, dass man es in Entscheidungsprozesse einbezieht, die es noch gar nicht<br />

überblicken kann. Erzieher/innen und Lehrer/innen müssen sich klar darüber sein, was warum<br />

erlaubt oder verboten ist. Und wenn sie Anweisungen geben, dann sollten sie es mit knappen,<br />

klaren Worten tun. Das Kind muss von Anfang an spüren: Die Angelegenheit steht nicht<br />

zur Diskussion. Es sollten auch keine Anweisungen und Verbote erlassen werden, hinter denen<br />

man nicht wirklich stehen kann. Das ist ja meistens der Grund für wortreiche Erklärungen:<br />

Man will sich selbst überzeugen.<br />

b&w: Gibt es noch weitere Grundregeln?<br />

Köhler: Eine weitere Grundregel lautet: Gewähren Sie dem Kind innerhalb eines weit gespannten<br />

«gesetzlichen» Rahmens möglichst viel innere und äussere Bewegungsfreiheit.<br />

Wenn es in ein kleinkariertes, engmaschiges Regelwerk eingezwängt und ständig bevormundet<br />

und kontrolliert wird, erlebt es dies als atemabschnürend. Sein Verhalten verzerrt sich.<br />

Dann geht wirklich nichts mehr ohne Ritalin. Tatsächlich halte ich die von den meisten Fachleuten<br />

favorisierte Strategie, hyperaktive Kinder möglichst lückenlos zu reglementieren, für<br />

verheerend falsch.<br />

«Eine pharmakologisch gestiftete Beziehung ist keine.»<br />

b&w: Ist es wichtig, wie sich Eltern und Lehrer/innen innerlich auf das ADS-Kind einstellen?<br />

Köhler: Natürlich, das ist entscheidend. Diese hochsensiblen Kinder «lesen» unsere Haltung.<br />

Deshalb muss in der Eltern- und Lehrerberatung ein Hauptgewicht auf die Haltungsfrage gelegt<br />

werden. Es gibt würdigende, ermutigende und es gibt seelenlose Leitgedanken. Letztere<br />

degradieren das Kind zum Gegenstand einer Funktionsanalyse. Ein heikler Punkt, für den mich<br />

manche sicherlich steinigen wollen: In vielen Fällen ist der Entschluss, auf pharmakologischem<br />

Wege den häuslichen und schulischen Frieden sicherzustellen, nichts anderes als ein<br />

Beziehungsabbruch, auch wenn es den betreffenden Eltern oder Lehrern nicht zu Bewusstsein<br />

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