23.01.2013 Aufrufe

Adhärenter Biofilm bei bakterieller Vaginose: Hatte ... - Frauenarzt

Adhärenter Biofilm bei bakterieller Vaginose: Hatte ... - Frauenarzt

Adhärenter Biofilm bei bakterieller Vaginose: Hatte ... - Frauenarzt

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

DIAGNOSTIK + THERAPIE<br />

308<br />

MEDIZINISCHE MIKROBIOLOGIE<br />

<strong>Adhärenter</strong> <strong>Biofilm</strong> <strong>bei</strong> <strong>bakterieller</strong><br />

<strong>Vaginose</strong>: <strong>Hatte</strong> Gardner doch Recht?<br />

W. Mendling 1 , A. Swidsinski 2 , S. Swidsinski 3<br />

Herman L. Gardner glaubte, Haemophilus vaginalis erfülle die<br />

vier Koch’schen Postulate und sei der obligat sexuell übertragbare<br />

Erreger der „Haemophilus-vaginalis-Vaginitis“. Seit etwa<br />

30 Jahren jedoch wird die bakterielle <strong>Vaginose</strong> als polibakterielle<br />

Störung der Vaginalflora nach Verminderung H2O2-produzierender<br />

Laktobazillen angesehen. Da <strong>bei</strong> der bakteriellen<br />

<strong>Vaginose</strong> aber jetzt ein <strong>Biofilm</strong> aus Gardnerella vaginalis (und<br />

Atopobium vaginae) gesehen wurde, rückt Gardnerella wieder<br />

mehr in den Fokus der Überlegungen zur Entstehung dieser<br />

häufigen und rezidivierenden Störung.<br />

Die Existenz von <strong>Biofilm</strong>en aus Bakterien<br />

oder Pilzen und ihre medizinische<br />

Bedeutung wird erst seit fünf<br />

oder sechs Jahren diskutiert. Da<strong>bei</strong><br />

sind <strong>Biofilm</strong>e jedem bekannt: Wer<br />

zu Hause einen Siphon am Waschbecken<br />

reinigt, findet einem schmierigen<br />

<strong>Biofilm</strong> aus Detritus und Bakterien<br />

vor.<br />

Ebenso bestehen Keimansammlungen<br />

an Kunststoffimplantaten aus<br />

Bakterien und/oder Pilzen und einer<br />

Matrix, und die von ihnen gelegentlich<br />

verursachte Sepsis ist nur<br />

durch Entfernung des Implantats mit<br />

dem <strong>Biofilm</strong> behandelbar. Denn wir<br />

wissen inzwischen, dass sich Erreger<br />

in einem <strong>Biofilm</strong> gegenüber Antibiotika<br />

anders verhalten als <strong>bei</strong><br />

planktonischem Vorkommen. So<br />

scheint auch Gardnerella vaginalis<br />

in der Scheide von Frauen mit<br />

asymptomatischer Normalflora ein<br />

anderer Biotyp zu sein als Gardne-<br />

1 Kliniken für Gynäkologie und<br />

Geburtsmedizin der Vivantes<br />

Klinika Am Urban und im<br />

Friedrichshain, Berlin<br />

2 Medizinische Klinik,<br />

Gastroenterologie, Charité Berlin<br />

3 Institut für Mikrobiologie,<br />

Vivantes Klinikum Neukölln<br />

FRAUENARZT � 47 (2006) � Nr. 4<br />

rella vaginalis <strong>bei</strong> Frauen mit <strong>bakterieller</strong><br />

<strong>Vaginose</strong> (2).<br />

<strong>Adhärenter</strong> <strong>Biofilm</strong> <strong>bei</strong><br />

<strong>bakterieller</strong> <strong>Vaginose</strong><br />

entdeckt<br />

Wir haben in einer Pilotstudie je 20<br />

Frauen mit <strong>bakterieller</strong> <strong>Vaginose</strong> (diagnostiziert<br />

nach Amsel- und Nugent-<br />

Kriterien, s. Tab. 1 und S. 313), 20<br />

prämenopausale Frauen mit normaler<br />

Scheidenflora und 20 postmenopausale<br />

Frauen mit altersgerechter Scheidenflora<br />

untersucht (21) (s. Abb.<br />

1–4). Bei allen wurde ein Nativpräparat<br />

aus Vaginalsekret (Phasenkontrast<br />

400fach), eine Gramfärbung des<br />

Vaginalsekrets (Öl-Emulsion 1.000fach),<br />

eine bakteriologische Kultur aus der<br />

Der Nugent-Score<br />

Vagina (mit verschiedenen Agar-Arten<br />

zur Anzüchtung aerober und anaerober<br />

Keime sowie Candidaarten) und<br />

eine etwa 2 mm große Knipsbiopsie<br />

aus der seitlichen oder vorderen Vaginalwand<br />

zur Untersuchung des <strong>Biofilm</strong>s<br />

durchgeführt.<br />

Diese Knipsbiopsie wurde durch Fluoreszenz-in-situ-Hybridisation(FisH)-<br />

Proben mit 34 verschiedenen familien-,<br />

gattungs- und artspezifischen<br />

Markern markiert, die zur Charakterisierung<br />

der Anogenitalflora in der<br />

Scheide geeignet sind. Zusätzlich erfolgte<br />

zur Visualisierung der DNA von<br />

Bakterien, Pilzen und Wirtszellen<br />

(blaue Fluoreszenz) eine Untersuchung<br />

mit 4,6-diamidino-2-phenylindol-Farbstoff<br />

(DAPI). Alle Befunde<br />

wurden mit einer Nikon-DXM-1200-<br />

Kamera über ein Nikon-e600-Fluoreszenzmikroskop<br />

(1.000fach) fotografiert.<br />

Zusätzlich erfolgten eine übliche Hämatoxilin-Eosin-<br />

und eine Methenimin-Silber-Färbung<br />

mit histologischer<br />

Untersuchung und nach entsprechender<br />

Bear<strong>bei</strong>tung der Paraffinblöcke<br />

zusätzlich eine Transmissionselektronen-Mikroskopie<br />

(Zeiss EM 10)<br />

mit Fotodokumentation.<br />

Gardnerella, gramnegative<br />

Laktobazillen Prevotella/ Kommabakterien<br />

Score (Anzahl) Bacteroides (Mobiluncus)<br />

0 4+ (>30) 0 0<br />

1 3+ (5–30) 1+ 1+ oder 2+<br />

2 2+ (1–4) 2+ 3+ oder 4+<br />

3 1+ (


Abb. 1: Nativpräparat aus Vaginalsekret einer prämenopausalen Frau<br />

mit normaler Flora (400fach): Epithelzelle, verschiedene Laktobazillen,<br />

einige nackte Zellkerne <strong>bei</strong> Zelldetritus, keine Leukozyten.<br />

Abb. 3: Grampräparat (1.000fach) einer prämenopausalen Frau mit<br />

Normalflora: zahlreiche grampositive, dicke Stäbchen (Laktobazillen).<br />

Nugent-Score 0.<br />

Die Quantifizierung gesehener Bakterien<br />

auf der Oberfläche des Vaginalepithels<br />

erfolgte annäherungsweise<br />

nach der Berechnung: Eine Probe mit<br />

10 µl = 10 7 Zellen/ml ≅ 40 Zellen pro<br />

Gesichtsfeld <strong>bei</strong> 1.000facher Vergrößerung.<br />

Demnach wurde definiert:<br />

� vereinzelt gesehene Bakterien =<br />

kein <strong>Biofilm</strong>;<br />

� locker am Vaginalepithel anhängende<br />

Bakterienkonglomerate,<br />

ohne strukturelle Organisation =<br />

unstrukturierter <strong>Biofilm</strong>;<br />

� rasenartige Bakterien mit Adhärenz<br />

am Vaginalepithel = adhärenter<br />

<strong>bakterieller</strong> <strong>Biofilm</strong>.<br />

Als <strong>Biofilm</strong> wurde hier nur der bakterielle<br />

<strong>Biofilm</strong> definiert, also keine<br />

Wirtssekretion und keine Matrixsub-<br />

stanzen, die <strong>bei</strong> <strong>Biofilm</strong>en auch vorkommen<br />

können.<br />

Das mittlere Alter der Patientinnen mit<br />

<strong>bakterieller</strong> <strong>Vaginose</strong> betrug 27,3 Jahre,<br />

das der prämenopausalen, gesunden<br />

Frauen 26,1 Jahre und das der<br />

postmenopausalen Frauen 57,3 Jahre.<br />

<strong>Biofilm</strong> aus Gardnerella<br />

Die verschiedenen verwendeten FisH-<br />

Proben, die sich nach diversen Literaturangaben<br />

bewährt haben, ließen<br />

anhand ihrer am Vaginalepithel erkennbaren<br />

Fluoreszenz in je nach Bakteriengattung<br />

oder -art verschiedener<br />

Farbe eine semiquantitative Mengenabschätzung<br />

und einen Vergleich zur<br />

kulturell ermittelten Bakterienart zu.<br />

Demnach wurden zunächst, wie nicht<br />

Abb. 2: Nativpräparat aus Vaginalsekret einer prämenopausalen Frau<br />

mit <strong>bakterieller</strong> <strong>Vaginose</strong> (400fach): fast keine Laktobazillen, Epithelzellen<br />

und Schlüsselzellen, stark vermehrte (grampositiv/gramnegative<br />

anaerobe) Flora, keine vermehrten Leukozyten.<br />

Abb. 4: Grampräparat (1.000fach) einer prämenopausalen Frau mit<br />

<strong>bakterieller</strong> <strong>Vaginose</strong>: zahlreiche gramnegative zarte Stäbchen, zahlreiche<br />

gramnegative Kommabakterien (Mobiluncus), keine Laktobazillen,<br />

Nugent-Score 10.<br />

anders zu erwarten ist, <strong>bei</strong> <strong>bakterieller</strong><br />

<strong>Vaginose</strong> weniger Laktobazillen<br />

und mehr Gardnerella vaginalis bzw.<br />

gramnegative Stäbchen gefunden,<br />

ebenso wie auch <strong>bei</strong> gesunden prämenopausalen<br />

Frauen (s. Tab. 2 auf<br />

S. 310).<br />

Überraschend und eindrucksvoll war,<br />

dass alle Frauen mit einer bakteriellen<br />

<strong>Vaginose</strong> einen mehr oder weniger<br />

dichten adhärenten <strong>Biofilm</strong> aufwiesen,<br />

der mindestens 50% der Fläche<br />

des entnommenen Vaginalepithels<br />

bedeckte (s. Tab. 3 auf S. 310, Abb. 5,<br />

6 und 7 auf S. 311).<br />

Es gelang, den <strong>Biofilm</strong> mit der Brown-<br />

Hopps-Modifikation der Gramfärbung<br />

auch am histologischen Präparat<br />

nachzuweisen und da<strong>bei</strong> gleichzeitig<br />

DIAGNOSTIK + THERAPIE<br />

FRAUENARZT � 47 (2006) � Nr. 4 309


DIAGNOSTIK + THERAPIE<br />

310<br />

Erreger im untersuchten <strong>Biofilm</strong><br />

Kontrollen<br />

bakterielle prämeno- postmeno-<br />

<strong>Vaginose</strong> pausal pausal<br />

Bakterien KBE/ml (n=20) (n=20) (n=20)<br />

Laktobazillen 10 8 3 7 6<br />

G. vaginalis 10 8 16 0 0<br />

Candida


Abb. 5: Prämenopausale Patientin mit Normalflora: kein <strong>Biofilm</strong>,<br />

vereinzelte Laktobazillen am Vaginalepithel (FisH-Technik,<br />

1.000fach).<br />

Abb. 7: Rasenartiger, dichter, adhärenter <strong>Biofilm</strong> am Vaginalepithel <strong>bei</strong><br />

<strong>bakterieller</strong> <strong>Vaginose</strong>, bestehend aus fast nur Gardnerella vaginalis (rot)<br />

und weniger Atopobium vaginae (gelb) (FisH-Technik, 1.000fach).<br />

kommt Lactobacillus acidophilus gar<br />

nicht in der Scheide vor, und es wurden<br />

zahlreiche, bisher unbekannte<br />

Bakterien in der Vaginalflora entdeckt<br />

(12, 16, 22).<br />

Der völlig neue Gesichtspunkt ergibt<br />

sich nun durch die Entdeckung des<br />

<strong>Biofilm</strong>s, in dem die räumliche Organisation<br />

der Erreger am Epithel sichtbar<br />

wird. Im Fall der bakteriellen <strong>Vaginose</strong><br />

stellt sich da<strong>bei</strong> überraschend<br />

heraus, dass nicht, wie in den letzten<br />

30 Jahren geglaubt, das bunte<br />

Spektrum der aerob-anaeroben Mischflora<br />

zusammen mit Gardnerella vaginalis<br />

charakteristisch für die Erkrankung<br />

ist, sondern dass ein spezialisierter<br />

und nur auf einen oder<br />

wenige Keime selektionierter dichter<br />

<strong>Biofilm</strong> vorliegt.<br />

Erste weitere eigene Untersuchungen<br />

geben Hinweise darauf, dass nach der<br />

klassischen Therapie mit Metronidazol<br />

(18) keine vollständige Beseitigung<br />

des <strong>Biofilm</strong>es resultiert, obwohl<br />

im Nativpräparat aus Vaginalsekret<br />

schon innerhalb einer Woche wieder<br />

eine Laktobazillusflora zu sehen ist.<br />

Atopobium vaginae ist trotz Metronidazolresistenz<br />

im <strong>Biofilm</strong> nach einer<br />

Metronidazoltherapie nicht mehr<br />

nachweisbar.<br />

Bekanntlich rezidiviert die bakterielle<br />

<strong>Vaginose</strong> nach korrekter Therapie<br />

und auch trotz (laut randomisierter<br />

Studien statistisch nicht für die Patientin<br />

nützlicher) Partnertherapie<br />

sehr häufig. Wir schließen daraus,<br />

dass auch die bisherige empfohlene<br />

Behandlung der bakteriellen <strong>Vaginose</strong><br />

mit Hinblick auf den <strong>Biofilm</strong> überdacht<br />

werden muss.<br />

Die daraus resultierenden Konsequenzen,<br />

auch zur Vermeidung der<br />

mit der bakteriellen <strong>Vaginose</strong> verbundenen<br />

Frühgeburtlichkeit, dürften<br />

ebenfalls interessant sein.<br />

Literatur<br />

1. Amsel R, Totten PA, Spiegel CA et al.:<br />

Nonspecific vaginitis. Am J Obstet Gynecol<br />

74 (1983) 14–22.<br />

2. Arontcheva AA, Simonis JA, Behbakht K<br />

et al.: Gardnerella vaginalis isolated from<br />

patients with bacterial vaginosis and from<br />

patients with healthy vaginal ecosystems.<br />

Clin Infect Dis 33 (2001) 1022–1027.<br />

Abb. 6: Lockerer, unstrukturierter, nicht adhärenter <strong>Biofilm</strong> aus Laktobazillen<br />

und anderen Bakterien, wie er <strong>bei</strong> einigen gesunden, prämenopausalen<br />

und <strong>bei</strong> zahlreichen postmenopausalen Frauen am<br />

Vaginalepithel beobachtet wurde (FisH-Technik, 1.000fach).<br />

Abb. 8: Bakterieller <strong>Biofilm</strong> aus Gardnerella vaginalis am Vaginalepithel<br />

und an abgeschilferten Epithelzellen (Schlüsselzellen,<br />

gekennzeichnet durch Pfeile) (Brown-Hopps-modif. Gramfärbung)<br />

3. Csango PA: First International Symposium<br />

on bacterial vaginosis. Scand J Inf Dis<br />

1983 (Suppl. 40) 1–83.<br />

4. Dunkelberg WE: Isolation and identification<br />

of Corynebacterium vaginale. J GA<br />

State Soc Amt 10 (1971) 16.<br />

5. Eschenbach DA, Hillier S, Critchlow CM et<br />

al.: Diagnosis and clinical manifestations<br />

of bacterial vaginosis. Am J Obstet Gynecol<br />

158 (1988) 818–828.<br />

6. Eschenbach DA, Daveck PR, Williams BC<br />

et al.: Prevalence of hydrogenperoxideproducing<br />

lactobacillus species in normal<br />

women and women with bacterial vaginosis.<br />

J Clin Microbiol 27 (1989) 251–256.<br />

7. Gardner HL, Dukes CD: New etiologic<br />

agent in nonspecific bacterial vaginitis.<br />

Science 120 (1954) 853.<br />

8. Gardner HL, Dukes CD: Haemophilus vaginalis<br />

vaginitis. A newly defined specific<br />

infection previously classified “non-specific”<br />

vaginitis. Am J Obstet Gynecol<br />

(1955) 962–976.<br />

9. Geißdörfer W, Böhmer C, Pelz K et al.: Tubovarian<br />

abscess caused by Atopobium vaginae<br />

following transvaginal oocyte recovery.<br />

J Clin Microbiol 41 (2003) 2788–2790.<br />

10. Greenwood JR, Pickett MJ: Transfer of<br />

Haemophilus vaginalis (Gardner and<br />

Dukes) to Genus Gardnerella. Int J System<br />

Bacteriol 30 (1980) 170.<br />

11. Halle E, Bollmann R, Blenk H et al.: Qualitätsstandards<br />

in der mikrobiologisch-infektiologischen<br />

Diagnostik. Genitalinfektionen<br />

Teil 1, Teil 2. Urban und Fischer,<br />

München, 2000.<br />

12. Hill JE, Goh SH, Money DM et al.: Characterisation<br />

of the genital microflora of<br />

healthy non pregment women by shaperonin-60<br />

sequence-based methods. Am J<br />

Obstet Gynecol 193 (2005) 682–692.<br />

13. Leopold, S: Heretofore undescribed organ-<br />

DIAGNOSTIK + THERAPIE<br />

FRAUENARZT � 47 (2006) � Nr. 4 311


DIAGNOSTIK + THERAPIE<br />

312<br />

Historische Erkenntnisse heute wieder aktuell<br />

Herman Lawrence Gardner<br />

(15.5.1912–24.12.1982) stellte auf<br />

dem 22. Jahrestreffen der Central<br />

Association of Obstetricians and<br />

Gynecologists in St. Louis 1954 eine<br />

Ar<strong>bei</strong>t vor, die er kurz darauf zusammen<br />

mit dem Mikrobiologen Charles<br />

D. Dukes ausführlich publizierte (7,<br />

8) und die mit einem wissenschaftlichen<br />

Preis ausgezeichnet wurde. Sie<br />

beschrieb das Bild der „Haemophilus-vaginalis-Vaginitis“.<br />

Alle zu Grunde liegenden gynäkologischen<br />

Untersuchungen hatte Gardner<br />

damals selbst im Texas Medical<br />

Center durchgeführt, alle bakteriologischen<br />

waren vom Co-Autor vorgenommen<br />

worden. Da<strong>bei</strong> fanden sie<br />

<strong>bei</strong> 141 von 1.181 untersuchten<br />

Frauen (12%) kulturell ein gramnegatives<br />

Stäbchen, das sie Haemophilus<br />

vaginalis nannten. Kurz vor der<br />

Publikation der Ar<strong>bei</strong>t war es bereits<br />

von einem Urologen beschrieben<br />

worden (13).<br />

Seit der 1. Internationalen Konferenz<br />

über Vaginosis in Kristiansand<br />

(Norwegen) im April 1982 ist das<br />

Krankheitsbild bakterielle <strong>Vaginose</strong><br />

namentlich und inhaltlich neu definiert<br />

(3) und wurde auf einem WHO-<br />

Workshop (14) bestätigt. Demnach<br />

ist die bakterielle <strong>Vaginose</strong> „Replacement<br />

of lactobacilli of the vagina by<br />

characteristic groups of bacteria accompanied<br />

by changed properties of<br />

the vaginal fluid”. Andere sprechen<br />

von einer Verdrängung der physiologischen<br />

Döderleinflora oder einer<br />

Dysbiose. Subjektives Leitsymptom<br />

ist der übel riechende vaginale Ausfluss.<br />

Es liegt keine Kolpitis vor.<br />

Gardner und Dukes betonten, dass<br />

die mikroskopische Untersuchung<br />

des Vaginalsekrets von besonderer<br />

Bedeutung sei. Vermehrte Leukozytenzahlen<br />

und nennenswerte Infektionszeichen<br />

der Vagina fehlten. Die<br />

Autoren versuchten, die vier<br />

Koch’schen Postulate einer auf Bakterien<br />

bezogenen Infektionskrankheit<br />

auch hier zu beweisen:<br />

FRAUENARZT � 47 (2006) � Nr. 4<br />

� 1. Postulat: Das Bakterium muss<br />

in jedem Fall der Krankheit gefunden<br />

werden. Hier wurde <strong>bei</strong> 92% der Patientinnen<br />

Haemophilus vaginalis<br />

gefunden.<br />

� 2. Postulat: Es muss isoliert werden<br />

können und in einer Reinkultur<br />

wachsen. Auch dies gelang.<br />

� 3. Postulat: Das Bakterium in<br />

Reinkultur muss, wenn es inokuliert<br />

wird, wieder die Erkrankung hervorrufen.<br />

Gardner und Dukes fanden 13<br />

freiwillige gesunde Frauen, die mit<br />

Reinkulturen von „Haemophilus vaginalis“<br />

infiziert wurden. 10 von ihnen<br />

entwickelten keine Erkrankungen<br />

und hatten anschließend auch<br />

keine positiven Kulturen. Zwei der<br />

Patientinnen hatten zwei und drei<br />

Monate lang positive Kulturen ohne<br />

klinische Zeichen. Lediglich <strong>bei</strong> einer<br />

Patientin wurde das 3. Koch’sche<br />

Postulat erfüllt. Gardner und Dukes<br />

glaubten allerdings, dass diese Fehlversuche<br />

am suboptimalen Kulturmedium<br />

des Labors lägen.<br />

� 4. Postulat: Das Bakterium muss<br />

danach wieder rekultiviert werden<br />

können. Dies gelang <strong>bei</strong> der einen<br />

erfolgreich inokulierten Patientin.<br />

Danach gaben sie 15 vaginal gesunden,<br />

freiwilligen Frauen den Fluor<br />

von Frauen mit „Haemophilus-vaginalis-Vaginitis“<br />

in die Scheide. 11<br />

der 15 infizierten Patientinnen bekamen<br />

die gleichen typischen Symptome<br />

der heute so genannten bakteriellen<br />

<strong>Vaginose</strong>, davon 8 innerhalb<br />

von 7 Tagen.<br />

So waren Gardner und Dukes überzeugt<br />

davon, dass diese „Haemophilus-vaginalis-Vaginitis“<br />

eine sexuell<br />

übertragbare, neu entdeckte Krankheit<br />

sei, zumal sie auch Ehemänner<br />

bzw. Paare untersucht hatten und<br />

<strong>bei</strong> 6 Männern von 9 Frauen mit<br />

Rückfällen ebenfalls den Keim isolieren<br />

konnten.<br />

Auch 25 Jahre später – Haemophilus<br />

vaginalis war längst zunächst Corynebacterium<br />

vaginale (4) und inzwischen<br />

Gardnerella vaginalis (10) genannt<br />

worden – blieb Gardner <strong>bei</strong><br />

seiner Überzeugung, dass diese Erkrankung<br />

eine sexuell übertragbare<br />

sei und durch „seinen“ Erreger hervorgerufen<br />

werde.<br />

Heute wissen wir, dass auch <strong>bei</strong> bis<br />

zu 40% der gesunden Frauen, <strong>bei</strong><br />

monogam lebenden lesbischen Frauen,<br />

aber auch <strong>bei</strong> Mädchen, die noch<br />

nie Geschlechtsverkehr hatten, Gardnerella<br />

vaginalis gefunden werden<br />

kann. Der Keim kommt <strong>bei</strong> gesunden<br />

Frauen in Konzentration von höchstens<br />

10 5 /ml Vaginalsekret, <strong>bei</strong> <strong>bakterieller</strong><br />

<strong>Vaginose</strong> jedoch von über<br />

10 7 /ml Vaginalsekret vor, vermehrt<br />

sich also um das 100fache. Andere,<br />

anaerobe Keime vermehren sich von<br />

10 4 /ml auf 10 7 /ml (1.000fach), Mycoplasma<br />

hominis von 10 2 auf<br />

10 6 /ml, außerdem nehmen Laktobazillen<br />

von 8 x 10 6 /ml auf 3 x 10 6 /ml<br />

ab.<br />

Ursache des Ungleichgewichts ist eine<br />

Abnahme der H2O2-produzierenden<br />

Laktobazillen mit folgender Zunahme<br />

Katalase-negativer Anaerobier<br />

(5, 6). So wurden <strong>bei</strong> Frauen mit<br />

normaler Flora in 96% der Fälle und<br />

<strong>bei</strong> solchen mit <strong>bakterieller</strong> <strong>Vaginose</strong><br />

nur in 6% H2O2-bildende Laktobazillen<br />

gefunden. Anaerobe, nicht H2O2bildende<br />

Laktobazillen wurden in der<br />

gleichen Studie <strong>bei</strong> 4% der Frauen<br />

mit normaler Flora und <strong>bei</strong> 36% der<br />

Frauen mit <strong>bakterieller</strong> <strong>Vaginose</strong><br />

identifiziert (6). Warum sie abnehmen<br />

oder ob sie durch Mutation die<br />

Fähigkeit zur H2O2-Bildung verlieren<br />

oder ob sie „krank“ werden, ist nicht<br />

bekannt. Neue Ergebnisse belegen<br />

einen direkten Zusammenhang zwischen<br />

der mikroskopischen Diagnose<br />

der bakteriellen <strong>Vaginose</strong> und erhöhten<br />

Interleukin-1β-Werten (20). Bei<br />

30–50% der Frauen mit <strong>bakterieller</strong><br />

<strong>Vaginose</strong> treten auch Mobiluncusarten<br />

auf. Sie fallen <strong>bei</strong> mikroskopischer


Betrachtung des Nativpräparats<br />

durch ihre schnelle Vorwärtsbewegung<br />

in Kurven, teilweise auch<br />

durch Bewegungen wie ein fliegender<br />

Bumerang auf.<br />

� Diagnostik der bakteriellen<br />

<strong>Vaginose</strong> nach den Amsel-<br />

Kriterien<br />

In der gynäkologischen Praxis sollte<br />

die Diagnose der bakteriellen <strong>Vaginose</strong><br />

nach den Amsel-Kriterien<br />

erfolgen (1). Demnach sollen mindestens<br />

drei der folgenden vier Kriterien<br />

erfüllt sein:<br />

– homogener, grau-weißer Fluor;<br />

– pH über 4,5;<br />

– positiver „Whiff“-Test nach Zugabe<br />

von 10% KOH-Lösung (übler<br />

Geruch);<br />

– Schlüsselzellen <strong>bei</strong> mindestens<br />

20% der Epithelzellen (400fache<br />

Vergrößerung) im Nativpräparat<br />

aus Vaginalsekret mit Kochsalzlösung<br />

(s. Abb. 1 und 2 auf S. 309).<br />

� Diagnostik der bakteriellen<br />

<strong>Vaginose</strong> nach Nugent-Score<br />

Wegen der besseren Reproduzierbarkeit,<br />

insbesondere <strong>bei</strong> wissenschaftlichen<br />

Ar<strong>bei</strong>ten, schlugen<br />

Nugent, Krohn und Hillier (17) ein<br />

Beurteilungsschema vor, das auf<br />

einem Grampräparat des Vaginalsekrets<br />

basiert. Demnach wird die<br />

Anzahl von Laktobazillen, von<br />

gramnegativen Stäbchen (Gardnerella,<br />

Prevotella und Bacteroidesarten)<br />

sowie Mobiluncusarten pro<br />

Gesichtsfeld <strong>bei</strong> 1.000facher Vergrößerung<br />

bewertet und in einem<br />

Score angegeben, wo<strong>bei</strong> ein Score<br />

von 0–3 Normalflora und ein Score<br />

von 7–10 bakterielle <strong>Vaginose</strong> bedeuten<br />

(s. Abb. 3 und 4 auf S. 309).<br />

Dazwischen liegt der unscharf definierte<br />

Score „intermediate“ von<br />

4–6, dessen Bedeutung klinisch<br />

unklar ist und der möglicherweise<br />

als Vorstadium einer bakteriellen<br />

<strong>Vaginose</strong> oder anderer Störungen<br />

relativ große Bedeutung haben<br />

könnte (s. Tab. 1 auf S. 308).<br />

� Gardnerella vaginalis<br />

Gardnerella vaginalis ist die einzige<br />

Art der Gattung und ein je nach<br />

Umweltbedingungen kokkoides bis<br />

langgestrecktes gramnegatives bis<br />

gramlabiles Stäbchen, das mit<br />

grampositiven Bifidobakterien verwandt<br />

ist. Es besitzt die Fähigkeit<br />

zur Anheftung durch Pili und ein<br />

Kapselpolysaccharid. Die Stoffwechselprodukte<br />

von Gardnerella<br />

vaginalis fördern wahrscheinlich einige<br />

andere Anaerobier. Gardnerella<br />

vaginalis kommt nur <strong>bei</strong> Menschen<br />

vor und wird in geringen Keimzahlen<br />

als normaler Kommensale der<br />

östrogenisierten Scheide angesehen.<br />

Es kommt gelegentlich auch<br />

im Darm, aber auch in der Urethra<br />

des Mannes vor, ohne Entzündungen<br />

hervorzurufen. Es gibt Hinweise<br />

dafür, dass es Stämme unterschiedlicher<br />

pathogener Potenz<br />

gibt.<br />

� Atopobium vaginae<br />

Im Jahr 1999 wurde ein Keim identifiziert,<br />

der den Namen Atopobium<br />

vaginae erhielt (19). Der Keim wurde<br />

in 55% der Fälle von <strong>bakterieller</strong><br />

<strong>Vaginose</strong> und auch in einem Tuboovarialabszess<br />

identifiziert (9). Der<br />

grampositive anaerobe Kokkus ist<br />

gegen Metronidazol resistent und<br />

wird, da es bisher keine kommerziellen<br />

Testsysteme dafür gibt, entweder<br />

gar nicht erkannt oder als<br />

Laktobazillus oder Streptokokkusart<br />

verkannt. Offensichtlich spielt<br />

Atopobium vaginae eine Rolle <strong>bei</strong><br />

der bakteriellen <strong>Vaginose</strong>, denn<br />

dieser Keim wurde mit neuen Testverfahren<br />

auffällig häufig mit Gardnerella<br />

vaginalis zusammen <strong>bei</strong><br />

<strong>bakterieller</strong> <strong>Vaginose</strong> nachgewiesen<br />

(16, 22,).<br />

ism isolated from the genito-urinary-system.<br />

US Armed Forces Med J 4 (1953) 263.<br />

14. Mardh PA, Taylor Robinson (eds): Bacterial<br />

vaginosis. WHO-Workshop on anaerobic<br />

curved rods and bacterial vaginosis. Almquist<br />

and Wiksell, Stockholm, 1984.<br />

15. Mendling W: <strong>Vaginose</strong>, Vaginitis und Zervizitis.<br />

Springer, Heidelberg, 1995.<br />

16. Fredricks DN, Fiedler TL, Marrazzo JM: Molecular<br />

identification of bacteria associated<br />

with bacterial vaginosis. N Engl J Med<br />

353 (2005) 1899–1911.<br />

17. Nugent RP, Krohn MA, Hillier SL: Reliability<br />

of diagnosing bacterial vaginosis is improved<br />

by a standardized method of Gram<br />

stain interpretation. J Clin Microbiol 19<br />

(1991) 297–301.<br />

18. Pheiffer TA, Forsy TH, Durfee MA et al.:<br />

Nonspecific vaginitis: Role of Haemophilus<br />

vaginalis and treatment with metronidazole.<br />

N Eng J Med 98 (1978) 1429.<br />

19. Rodriguez-Jovita M, Collins MD., Sjöden B<br />

et al.: Characterization of a novel Atopobium<br />

isolate from the human vagina: Description<br />

of Atopobium vaginae sp. nov. Int<br />

J Syst Bacteriol 49 (1999) 1573–1576.<br />

20. Romero R, Chaiworapongsat, Knivanieni H<br />

et al.: Bacterial vaginosis, the inflammatory<br />

response and risk of preterm birth: Role<br />

for genetic epidemiology in the prevention<br />

of preterm birth. Am J Obstet Gynecol 190<br />

(2004) 1509–1519.<br />

21. Swidsinski, A, Mendling W, Loening-Baucke<br />

V et al.: Adherent biofilms in bacterial<br />

vaginosis. Obstet Gynecol 106 (2005)<br />

1013–1023.<br />

22. Verhelst R, Verstraelen H, Claeys G et al.:<br />

Cloning of 16 S rRNA Genes amplified from<br />

normal and disturbed vaginal microflora<br />

suggests a strong association between<br />

Atopobium vaginae, Gardnerella vaginalis<br />

and bacterial vaginosis. BMC Microbiol 4<br />

(2004) 16.<br />

Für die Autoren<br />

Prof. Dr. Werner Mendling<br />

Klinikdirektor, Klinik für<br />

Gynäkologie und Geburtsmedizin<br />

Vivantes Klinikum<br />

Am Urban<br />

Dieffenbachstraße 1<br />

D-10967 Berlin<br />

Vivantes Klinikum<br />

im Friedrichshain<br />

Landsberger Allee 49<br />

D-10249 Berlin<br />

E-Mail werner.mendling<br />

@vivantes.de<br />

DIAGNOSTIK + THERAPIE<br />

FRAUENARZT � 47 (2006) � Nr. 4 313

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!