Fach: Pädagogik Fellner: Die Psychoanalyse Sigmund Freuds GK ...
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<strong>Fach</strong>: <strong>Pädagogik</strong> <strong>Fellner</strong>: <strong>Die</strong> <strong>Psychoanalyse</strong> <strong>Sigmund</strong> <strong>Freuds</strong> <strong>GK</strong> 12<br />
Stellt sich dem Menschen in seinen Handlungen oder Lebensbestrebun-<br />
565 gen irgendein Hindernis entgegen, so gibt es – rein theoretisch – stets<br />
zwei Möglichkeiten: Entweder überwindet er das Hindernis, oder er<br />
scheitert. <strong>Die</strong> <strong>Psychoanalyse</strong> konnte den Nachweis erbringen, dass der<br />
Mensch im zweiten Fall in der Regel nicht einfach zur Tagesordnung<br />
übergeht, sondern als Antwort auf sein Frustrationserlebnis regrediert,<br />
570 d.h. eine Verhaltensweise äußert, die einer entwicklungsmäßig (genetisch)<br />
früheren Stufe entspricht. <strong>Die</strong> Regression ist insofern ein Abwehrmechanismus,<br />
als sie offenbar dazu dient, die mit dem Scheitern<br />
verbundenen Minderwertigkeits-, Schuld- und Angstgefühle nicht ins<br />
Bewusstsein kommen zu lassen. <strong>Die</strong> bewusste Auseinandersetzung mit<br />
575 diesen belastenden Inhalten wird gewissermaßen durch eine 'unreife'<br />
Ersatzhandlung zugedeckt.<br />
Ein Beispiel:<br />
Ein Fußgänger geht in Gedanken versunken den Gehweg entlang und<br />
läuft frontal in den Sonnenschirm eines Straßencafes. In seinem<br />
580 Schmerz beschimpft er ihn als ‘verdammten Stecken’.<br />
Nun - kühlen Kopfes betrachtet, entbehrt seine Handlungsweise jeder<br />
Vernunft. Tiefenpsychologisch betrachtet aber ist sie verständlich: kleine<br />
Kinder nehmen bekanntlich auch unbelebte Gegenstände als belebt und<br />
beseelt wahr und sind darum – ohne dass dies in diesem frühen Alter<br />
585 als Regression bezeichnet werden dürfte – ohne weiteres bereit, z.B.<br />
den Tisch als ‘böse’ zu beschimpfen und ihn zu schlagen, wenn sie ihren<br />
Kopf daran gestoßen haben. Wir nennen diese Erlebensweise animistisch<br />
(alles ist beseelt) oder anthropomorph (alles hat menschliche<br />
Züge). Der beschriebene Fußgänger fiel infolge der starken Frustration<br />
590 auf diese genetisch (entwicklungsmäßig) frühere Stufe zurück und konnte<br />
so – ohne dass er sich dessen bewusst war, denn all dies geschah<br />
unbewusst – einer rationalen Auseinandersetzung mit seinen Minderwertigkeits-<br />
und Angstgefühlen aus dem Wege gehen. Gefühlen, die zu<br />
verkraften offensichtlich wesentlich aufwendiger wären als die spontane<br />
595 Regression.<br />
Auch der Griff zur Zigarette, zur Flasche oder zu einer anderen Droge,<br />
der häufig in belastenden Situationen erfolgt, kann als Regression verstanden<br />
werden: als ein Zurücksinken ins erste Lebensjahr (-> Orale<br />
Phase), in dem sich das Kind durch Saugen, Lutschen oder Einlullen-<br />
600 lassen Lust verschafft.<br />
Neben diesen Regressionen, die als unadäquate Abwehrmechanismen<br />
und insofern als neurotisch zu betrachten sind, gibt es eine Anzahl von<br />
regressiven Handlungen und Lebensvollzügen, die der Aufrechterhaltung<br />
des psychischen Gleichgewichts dienen. Solche ‘legitimen’ Re-<br />
605 gressionen sind z.B. der Schlaf, das sexuelle Erleben, das Spiel, das<br />
belanglose Blödeln oder das Mitschreien im Fußballstadion. Der tiefenpsychologisch<br />
ausgerichtete Anthropologe neigt dazu, das psychische<br />
Geschehen als ein Wechselspiel zu betrachten, in welchem sich Licht<br />
und Schatten, Zielgerichtetheit und Laissez-faire, Rationales und Irratio-<br />
610 nales, Pflichterfüllung und Lustgewinn die Waage halten sollen. Dementsprechend<br />
sind ihm alle möglichen Formen der Regression (die konkrete<br />
Wahl wäre da eine Frage des persönlichen Stils..) der nötige Ausgleich<br />
zum progressiven Verhalten: zur zielgerichteten, rationalen und den gegebenen<br />
Ordnungen unterworfenen Lebensaktivität.<br />
615 5.3. Rationalisierung<br />
Bei der Rationalisierung handelt es sich um das verstandesmäßige<br />
Rechtfertigen eines Verhaltens, indem die wahren, aber nicht eingestandenen<br />
und vom Über-Ich nicht akzeptierten Motive (Beweggründe)<br />
durch solche ersetzt werden, die dem betreffenden Menschen für sich<br />
620 selbst und die anderen als annehmbar(er) erscheinen.<br />
Fragt man etwa jemanden, der sich sozial sehr engagiert, weshalb er<br />
das tut, so wird man von ihm möglicherweise hören, er ziehe aus seiner<br />
'christlichen Grundhaltung' die Konsequenz. Das ist durchaus möglich,<br />
es könnten aber auch andere Motive ausschlaggebend oder doch zu-<br />
625 mindest mitbeteiligt sein - so etwa das Bedürfnis, unbewusste Schuldgefühle<br />
zu kompensieren, oder der Drang, im Zentrum zu stehen, Anerkennung<br />
zu erhalten oder von denjenigen, denen man hilft, geliebt zu<br />
werden.<br />
Auch bei diesem Mechanismus ist es offensichtlich, dass Inhalte des Es,<br />
630 die – würden sie bewusst erlebt – Unwohlgefühle erzeugen würden, au-<br />
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tomatisch aus dem Bewussten verdrängt, also abgewehrt werden. Es<br />
zeigt sich hier einmal mehr, dass die Abwehrmechanismen der Angstabwehr<br />
dienen.<br />
<strong>Die</strong> Rationalisierung ist vermutlich die verbreitetste Form der Selbsttäuschung.<br />
Indem uns die <strong>Psychoanalyse</strong> darauf aufmerksam macht und<br />
uns auch auffordert, Rationalisierungen aufzulösen und uns den wahren<br />
Motiven zu stellen, erweist sich diese psychologische Anthropologie als<br />
eine Lehre mit sehr hohem ethischen Anspruch. Sie läuft auf jene Aufforderung<br />
hinaus, die einst über dem Tempeleingang in Delphi stand:<br />
Erkenne dich selbst!<br />
5.4. Projektion<br />
Bei der Projektion werden unbewusste Triebimpulse, Wünsche, Schuldgefühle,<br />
Ängste, aber auch eigene Schwächen und Fehler auf ‘Objekte’<br />
in der Außenwelt übertragen. Biblisch gesprochen: "Was siehst du den<br />
Splitter im Auge deines Bruders, und den Balken im eigenen Auge<br />
siehst du nicht." Als Objekte kommen grundsätzlich einzelne Personen,<br />
Personengruppen, Gegenstände oder Situationen in Frage.<br />
Ein Mensch, der von seinem Vater misshandelt und unterdrückt wurde,<br />
kann z.B. dazu neigen, in jeder Situation, in der Autorität oder die Forderung<br />
nach Unterordnung im Spiel ist, das tyrannische Wirken des Vaters<br />
zu sehen und sich dann in eine kämpferische Haltung zu begeben. Es<br />
ist dann, als würde er stets jede Gelegenheit wahrnehmen, um – ersatzweise<br />
– gegen seinen Vater anzukämpfen.<br />
Projektionen auf Personengruppen sind die psychische Basis jeder Art<br />
von Rassenvorurteilen, Fremden- und Gruppenhass. Situationen und<br />
Gegenstände, die Projektionen auslösen können, sind z.B. ein laufender<br />
Motor, eine Uniform, ein Sonnenuntergang, ein großer Platz, ein Verkehrschaos<br />
und vieles mehr. In jedem Fall sieht der Projizierende im<br />
Gegenstand oder in der Situation mehr und anderes, als das, was diese<br />
‘an sich’ bedeuten, und reagiert darauf oft besonders emotional. Dadurch<br />
wird die erhebliche Erschwerung und Störung zwischenmenschlicher<br />
Kommunkation (die ja darauf beruht, dass wir identische Begriffe<br />
haben) durch jede Form von Projektion nachvollziehbar. Man kann davon<br />
ausgehen, dass in jedem Streit, bei jeder heftigen Auseinandersetzung<br />
Projektionen im Spiele sind. Eine psychologisch korrekte ‘Schlichtung’<br />
dürfte darum niemals auf einen faulen Kompromiss hinauslaufen<br />
("du hast ein bisschen recht und du auch"), sondern muss bei jedem<br />
Teilnehmer die Bereitschaft erzeugen, sich seinen eigenen Projektionen<br />
zu stellen.<br />
Bei der Projektion wird somit eine Selbsttäuschung offenbar - man sieht<br />
das andere oder den anderen nicht so, wie es oder er "wirklich" ist, sondern<br />
so, wie man es oder ihn unbewusst haben "möchte" (bzw. gewissermaßen<br />
sogar haben "muss"). Das ist auch in jenen Fällen so, wo<br />
Projektionen als durchaus angenehm erlebt werden, wie z.B. im Zustand<br />
großer Verliebtheit. In der Regel sieht der Verliebte die Angebetete als<br />
mehr oder weniger fehlerfrei, wobei er allerdings ein Wunschbild (z.B.<br />
die positive Seite seiner Muttererfahrung) in die Geliebte projiziert. Der<br />
bekannte Spruch "Liebe macht blind" wäre demgemäß in "Verliebtheit<br />
macht blind" zu korrigieren, denn im Gegensatz zur Verliebtheit macht<br />
die wahre Liebe sehend, was Saint-Exupérys kleinen Prinzen den bekannten<br />
Satz aussprechen ließ: "Man sieht nur mit dem Herzen gut".<br />
5.5. Introjektion<br />
<strong>Die</strong>s ist der umgekehrte Vorgang der Projektion: Es werden fremde Anschauungen,<br />
Motive, Verhaltensweisen ins eigene Ich aufgenommen.<br />
Dabei geht es nicht um die legitimen Formen des Lernens, sondern um<br />
Imitationen, die dem eigenen Ich eigentlich fremd sind und der Abwehr<br />
beispielsweise von Minderwertigkeitsgefühlen dienen sollen. Ein Beispiel<br />
dafür wäre etwa ein Musiker, der in Erscheinungsbild und Gehaben<br />
ganz in die Rolle eines anderen geschlüpft ist, welcher wirklich etwas<br />
kann und darum auch Erfolg hat. Oder etwa Menschen, die im Grunde<br />
ihres Herzens eigentlich eher konservativ sind, aber plötzlich ganz unvermittelt<br />
und im Gegensatz zu ihren übrigen Überzeugungen und ihrem<br />
wirklichen Leben progressive Ansichten zum besten geben oder sich eine<br />
Trend-Frisur zulegen - offensichtlich aus dem unbewussten Wunsch<br />
heraus, von gewissen Kreisen besser oder anders, als sie sind, angenommen<br />
zu werden.<br />
5.6. Identifikation<br />
Freud-<strong>Fellner</strong>.doc <strong>Fellner</strong>: <strong>Die</strong> <strong>Psychoanalyse</strong> <strong>Sigmund</strong> <strong>Freuds</strong> Seite 6 von 19