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Stuart Hall Introduction. Who needs Identity ... - Thomas A. Bauer

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<strong>Stuart</strong> <strong>Hall</strong><br />

<strong>Introduction</strong>. <strong>Who</strong> <strong>needs</strong> <strong>Identity</strong>?<br />

(aus: <strong>Stuart</strong> <strong>Hall</strong>, Paul du Gay (Hg.):<br />

Questions of cultural <strong>Identity</strong>. Sage, London, 1996.)<br />

Abstract<br />

Der einführende Artikel beschäftigt sich im Rahmen dekonstruktiver Kritik mit der<br />

Definition und dem Sinn von Identität. Vor dem Hintergrund der ethnischen,<br />

rassischen, nationalen, geschlechtlichen und sexuellen Unterschiede von Individuen<br />

versucht <strong>Hall</strong> auf der Grundlage der Ansichten mehrerer namhafter Psychologen den<br />

Basisbegriff der (kulturellen) Identität zu entschlüsseln.<br />

Schlagwörter<br />

Identität, Identifikation, Dekonstruktion, Paradigma, Volk, Kultur, Spiegelphase,<br />

Individuum, Signifikant;<br />

Freud, Lacan, Foucault, Hirst, Butler;<br />

Monika Stangl, 0309693<br />

696511 VO Medienpädagogik: Medienbildung, Medienkompetenz, Medienkultur<br />

Univ.-Prof. Dr. <strong>Thomas</strong> A. <strong>Bauer</strong>,<br />

Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft,<br />

Universität Wien, WS 2004/2005


-2-<br />

Während das Konzept der „Identität“ in den letzten Jahren die Basis<br />

umfangreicher Diskussionen war, so ist es gleichzeitig einer eingehenden Kritik<br />

unterworfen worden. Die Vorstellung von einer vollständigen, ursprünglichen und<br />

vereinheitlichten Identität wurde zunehmend dekonstruiert. Ethnische, rassische und<br />

nationale Auffassungen von kultureller Identität sind in ihren bodenständigsten<br />

Formen umrissen und einer dekonstruktiven Kritik unterworfen worden.<br />

Ungleich jener Formen der Kritik, welche versuchen, unpassende Konzepte durch<br />

bessere zu ersetzen, löscht der dekonstruktive Ansatz Schlüsselkonzepte einfach aus.<br />

Da es keine gegenteiligen Konzepte gibt, die alte ersetzen könnten, wird weiterhin in<br />

der herkömmlichen Form gedacht; aber nicht mehr im Paradigma, in dem diese<br />

Ansätze ursprünglich generiert wurden, sondern in ihrer dekonstruierten Form.<br />

Identität ist ein Gedanke, der nicht im ursprünglichen Sinn gedacht werden kann.<br />

Könnte man auf diesen aber nicht zurückgreifen, so wären gewisse Schlüsselfragen<br />

undenkbar. Die Frage, wo und in Relation zu welchem Problemsatz die<br />

Unreduzierbarkeit des Konzepts der Identität auftaucht, führt uns zum Begriff der<br />

Identifikation.<br />

In common sense language, identification is constructed on the back of a recognition of<br />

some common origin or shared characteristics with another person or group, or with an ideal, and<br />

with the natural closure of solidarity and allegiance established on this foundation. 1<br />

Im Gegensatz zum Naturalismus dieser Definition sieht der diskursive Ansatz die<br />

Identifikation als einen Prozess, der nie fertig gestellt wird, der immer in Entwicklung<br />

ist. Für Freud wiederum ist die Identifikation der erste Ausdruck einer emotionalen<br />

Bindung mit einer anderen Person. Identifikation ist von Anfang an doppelwertig und<br />

deshalb oft in sich widersprüchlich. 2<br />

Während Identifikation sich also ständig ändern kann, immer zu viel oder zu<br />

wenig ist, und niemals einen abgeschlossenen Prozess kennzeichnet, so ändert sich<br />

die Identität erst im Lauf der Geschichte. Die Identität hat einen festen Kern, bleibt<br />

aber nicht immer gleich. Sie ist mehr etwas, das ein Volk mit gemeinsamer<br />

1 <strong>Hall</strong> (1996, S.2)<br />

2 Vgl. Freud (1921/1991) zitiert nach <strong>Hall</strong> (1996, S.3)


-3-<br />

Geschichte und gemeinsamen Vorfahren zusammenhält. Vor allem hängt Identität<br />

von der Nutzung der eigenen geschichtlichen, sprachlichen und kulturellen<br />

Ressourcen ab. Es geht weder darum, was das Volk ist, noch woher das Volk kommt,<br />

sondern allein darum, was es gemeinsam werden will. Identitäten entstehen durch<br />

‚Unterschied’ und können Völkern nur durch ihre Funktion des ‚Ausschließens’ zur<br />

Einzigartigkeit verhelfen. Identitäten sind also ‚Einheiten’.<br />

Für Hirst entsteht Identität im komplexen Prozess, in dem aus einem „kleinen<br />

Tier“ ein erwachsener Mensch gestaltet wird, in dem des Kindes Wiege mit<br />

anthropologischen Aneignungen gefüllt wird. 3<br />

Auch Lacan hat sich eingehend mit der Bildung einer Identität im Zusammenhang<br />

mit der kindlichen Entwicklung beschäftigt.<br />

The child, at an age when he is for a time, however short, outdone by the chimpanzee in<br />

instrumental intelligence, can nevertheless already recognize his own image in a mirror. 4<br />

Für Lacan teilt das Gesamtbild, das in der Spiegelphase gebildet wird, die Identität<br />

des Menschen in zwei Charaktere – das Kind und sein körperliches Abbild. Während<br />

das Kind sich selbst im Spiegel sieht, findet es die Bestätigung des eigenen Seins<br />

beim spiegelbildlichen Abbild seiner Mutter. 5<br />

Foucault sieht im Zusammenhang mit der Identität das Problem der radikalen<br />

„Dekonstruktion“ des Körpers, der das letzte Versteck des Menschen ist, und dessen<br />

„Rekonstruktion“ im Laufe seiner historischen, genealogischen und diskursiven<br />

Veränderungen:<br />

Nothing in man – not even his body – is sufficiently stable to serve as a basis for selfrecognition<br />

or for understanding other men. 6<br />

Das liegt nicht allein daran, dass der Körper ein guter Referent für das<br />

Selbstverständnis ist, sondern vielmehr daran, dass der Körper die Funktion als<br />

Signifikant der Kondensation von individuellen Subjekten übernimmt.<br />

3<br />

Vgl. Hirst (1979) zitiert nach <strong>Hall</strong> (1996, S.8)<br />

4<br />

Lacan (1977) zitiert nach <strong>Hall</strong> (1996, S.9)<br />

5<br />

Vgl. ebda<br />

6<br />

Foucault (1984) zitiert nach <strong>Hall</strong> (1996, S.11)


-4-<br />

Und diese Funktion kann nicht einfach beiseite gelassen werden, wenn sie sich nicht<br />

bewahrheitet.<br />

But there is the production of self as an object in the world, the practices of self-constitution,<br />

recognition and reflection, the relation to the rule, alongside the scrupulous attention to normative<br />

regulation, and the constraints of the rules without which no ‘subjectification’ is produced. 7<br />

Es genügt nicht, herauszufinden, wie das Individuum auf seinen Platz in der<br />

diskursiven Struktur verwiesen wird; der Einsatz des Subjekts muss zusätzlich<br />

begründet werden. Weiters ist eine Theorie über den Mechanismus erforderlich, der<br />

bestimmt, welche Individuen sich in der Position, die sie zugewiesen bekommen<br />

haben, als Subjekte identifizieren (oder nicht identifizieren), wie sie diese Position<br />

gestalten und ausnützen, und warum manche die normativen Regeln, mit denen sie<br />

konfrontiert werden, nicht beachten. 8<br />

Butler wiederum entwickelt den Begriff der Identität im Kontext von<br />

Geschlecht und Sexualität und geht somit auf die paradigmatische Funktion von<br />

sexuellem Unterschied in Relation mit anderen Achsen des Ausschließens ein. 9<br />

Im Unterschied zu all den anderen Theorien basiert die Identität bei Butler im<br />

Ausschluss von „differenzierenden“ Frauen.<br />

Die Theorien über die Identität haben meist tiefere politische Bedeutung und<br />

werden wahrscheinlich erst dann vorangetrieben, wenn sowohl die Notwendigkeit<br />

als auch die ‚Unmöglichkeit’ von Identitäten vollständig anerkannt sind. 10<br />

7 <strong>Hall</strong> (1996, S.13)<br />

8 Vgl. Foucault zitiert nach <strong>Hall</strong> (1996, S.14)<br />

9 Vgl. Butler (1990) zitiert nach <strong>Hall</strong> (1996, S.15)<br />

10 Vgl. <strong>Hall</strong> (1996, S.16)


-5-<br />

<strong>Stuart</strong> <strong>Hall</strong>’s einführender Text ist für die Vorlesung zur Medienpädagogik 11<br />

insofern relevant, als das besagte Vorlesung unter anderem ein kommunikationstheoretisch-kulturtheoretisches<br />

Verständnis für die gesellschaftliche Implikation der<br />

Begriffe, die ein medienpädagogisches Handlungsprogramm fordern, gibt – und da<br />

steht die Identität an erster Stelle. Die Identität ist die Basis aller weiteren<br />

wissenschaftstheoretischen Abhandlungen. 12<br />

<strong>Hall</strong>’s ausführliche Gedanken zur Identität bilden somit zahlreiche Parallelen<br />

zur kommunikationswissenschaftlichen Medienpädagogik, denn Kommunikation<br />

kann als Ressource der Identitätsbildung angesehen werden. Der Mensch ist ständig<br />

den Fragen ausgesetzt, was ihm die Gesellschaft bedeutet und was er selbst der<br />

Gesellschaft wert ist, denn er hat lediglich eine kommunikative Identität. 13<br />

Diese Identität wird von der Gesellschaft gern als homogenes Gebilde<br />

betrachtet, das sich in Bezug auf Lernen und Verhalten stets wiederholt. So ist es<br />

für die Gesellschaft weit einfacher, den Einzelnen zu identifizieren; hinter diesen<br />

Kontrollbildern der Gesellschaft liegt jedoch ein erzwungenes Bild. So gesehen<br />

beschreibt diese erzwungene Identität, die der Einfachheit halber nicht als heterogen<br />

angesehen werden will, die Realität nicht, sondern konstruiert etwas, um das soziale<br />

Leben zu organisieren. 14<br />

<strong>Hall</strong> erläutert in seinem Vorwort, dass ethnische, rassische und nationale<br />

Auffassungen von kultureller Identität einer dekonstruktiven Kritik unterworfen<br />

worden sind, sodass darüber nicht mehr im Paradigma, in dem diese Ansätze<br />

ursprünglich generiert wurden, gedacht wird, sondern in ihrer dekonstruierten<br />

Form. 15 Ähnlich verhält es sich mit dem medienpädagogischen Begriff des so<br />

genannten Konstruktionsparadigmas, welches aus heutigem Standpunkt die<br />

Kommunikationswissenschaft und damit den Aufbau und die Entwicklung von<br />

Kultur als gesellschaftliche Größe am besten umschreibt. 16 Das prägende<br />

Denkmuster ändert sich in allen gesellschaftlichen Bereichen, basiert aber stets am<br />

11 Vgl. <strong>Bauer</strong> (VO 2004)<br />

12 Vgl. <strong>Bauer</strong> (22.07.2004) http://www.thomasbauer.at/tab/pub/article.php?artid=932<br />

13 Vgl. <strong>Bauer</strong> ( VO 13.10.2004)<br />

14 Vgl. <strong>Bauer</strong> (VO 24.11.2004)<br />

15 Vgl. <strong>Hall</strong> (1996, S. 1)<br />

16 Vgl. <strong>Bauer</strong> (VO 17.11.2004)


-6-<br />

zuvor herrschenden Paradigma, dass sich durch Dekonstruktion zum Weiterbestand<br />

verhilft. So kann jedes Konstrukt durch Überlegung dekonstruiert werden. 17<br />

Schon vor mehr als einem Jahrzehnt war Butler der Überzeugung, dass Identität<br />

durch Differenz entsteht. 18 Die Unterscheidung kann in einer Gesellschaft, die<br />

multikulturell, komplex und kompliziert ist, ein sinnstiftendes Ergebnis der<br />

Kommunikation sein, denn Kommunikation ist die Vergemeinschaftung von<br />

Unterschieden und die Verteilung von Gesellschaftlichkeit. 19<br />

Die Kultur wurde im letzten Jahrzehnt generell zu einem entscheidenden<br />

Identitätsfaktor. Menschen definieren sich und ihre Geschichte über die<br />

Zugehörigkeit zu einer Kultur. Jedoch wird heute Differenz zu einem großen Teil<br />

mit „fremder“ Kulturzugehörigkeit gleich gestellt. Eine Version der Auffassung von<br />

Kultur als in sich abgeschlossenes System und Ordnungsprinzip für die Welt vertritt<br />

Samuel Huntington in seinem Buch „The Clash of Civilization“ 20 . Kulturkreis in<br />

Verbindung mit Territorium ist für Huntington das Differenz- und Ordnungsprinzip<br />

für die Welt. Huntington ist der Überzeugung, dass Unterschiede zwischen<br />

verschiedenen Kulturen die Zivilisation spalten. Die kulturellen Identitäten<br />

unterscheiden sich bei Huntington in Hinblick auf Geschichte, Sprache, Tradition<br />

und vor allem Religion. 21<br />

Der Begriff der Identität, der in so vielerlei Hinsicht umschrieben werden kann,<br />

hat also schon eine Vielzahl namhafter Wissenschafter beschäftigt. Um die<br />

Komplexität der Identität nur annähernd zu umreißen, hat <strong>Hall</strong> in seinem Vorwort<br />

sehr interessant gezeigt, aus welch verschiedenen Perspektiven man sich an die<br />

Beantwortung der kritisch betrachteten Identitätsfrage herantasten kann. Und<br />

dennoch bleibt sie unbeantwortet, die Mutter aller Fragen: „<strong>Who</strong> <strong>needs</strong> <strong>Identity</strong>?“<br />

17 Vgl. <strong>Bauer</strong> (VO 24.11.2004)<br />

18 Vgl. Butler (1990) zitiert nach <strong>Hall</strong> (1996)<br />

19 Vgl. <strong>Bauer</strong> (VO 17.11.2004)<br />

20 Vgl. Huntington (1996)<br />

21 Vgl. Huntington (1996)


Bibliographie<br />

-7-<br />

B a u e r, <strong>Thomas</strong> (2004) Vorlesung Medienpädagogik: Medienbildung,<br />

Medienkompetenz, Medienkultur, Universität Wien: WS 2004.<br />

B u t l e r, Judith (1990) Gender Trouble, London: Routledge.<br />

D e r r i d a, Jaques (1981) Positions, Chicago: University of Chicago Press.<br />

F o u c a u l t, Michael (1984) Nietzsche, genealogy, history, in P. Rabinow, The<br />

Foucault Reader, Harmondsworth: Penguin.<br />

F r e u d, Sigmund (1921/1991) Group psychology and the analysis of the ego,<br />

in Civilisation, Society and Religion, Vol. 12 Selected Works, Harmondsworth:<br />

Penguin.<br />

H u n t i n g t o n, Samuel (1996) The Clash of Civilizations and the Remaking of<br />

World Order. New York: Simon & Schuster.<br />

H a l l, <strong>Stuart</strong>; D u G a y, Paul (1996) Questions of cultural <strong>Identity</strong>, London: Sage.<br />

H i r s t, Paul (1979) On Law and Ideology. Basingstoke: Macmillan.<br />

L a c a n, Jaques (1979) The Four Fundamental Concepts of Psychoanalysis.<br />

London: Hogarth Press.

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